Berthold Auerbach
Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg
Berthold Auerbach

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Achtundzwanzigstes Kapitel

Der erste Mann, der Diethelm begegnete, war der Steinbauer, er schien ihn nicht mehr zu kennen, und in der Tat hatte sich die Erscheinung Diethelms auffallend verändert. Er trug jetzt einen dunkelblauen Rock mit Kummetkragen, Batten und dunklen seidenbesponnenen Knöpfen, dazu eine schwarze, bis an den Hals geschlossene Atlasweste und lange dunkelblaue Hosen, nur der Hut war der alte geblieben. Teils um selber die kennzeichnende Bauerntracht los zu sein, teils auch um, wie er hoffte, sich seinem Schwiegersohn genehmer darzustellen, hatte Diethelm seine Erscheinung verändert; überhaupt wollte er in jeder Weise ein andrer Mensch sein, er hatte sich genugsam über die Weichmütigkeit geärgert, die ihn an dem Schicksal der abgeurteilten Diebe so besonderen Anteil nehmen ließ, daß er noch tagelang dachte, wie sie auf den Schub gebracht, im Zuchthaus eingekleidet und in ein fremdes Dasein gebracht werden. Er suchte gewaltsam seinen alten Stolz wieder hervor und stellte sich hoch über »das Lumpenpack, das nichts hat und nichts vermag«.

Als er zu seinem Schwiegersohn kam, bedauerte dieser, daß Diethelm seine ihm wohlanstehende Tracht abgelegt habe. Er ging aber bald davon ab und berichtete mit dem freudigen Bangen, daß ein Offizier vor der ersten Schlacht empfinden mag, daß er andern Tags stellvertretender Staatsanwalt sein werde, und zwar in der Angelegenheit Reppenbergers, der erst vor kurzem eingebracht, aber noch in dieser Gerichtsperiode abgeurteilt werde, sowohl um ihn nicht noch auf ein Vierteljahr im Salz liegen zu lassen, als auch um rasch ein abschreckendes Beispiel gegen das überhandnehmende Verbrechen zu geben. »Ich kenn' den Reppenberger, was hat er denn? Ich hab' noch garnichts davon gehört«, sagte Diethelm.

»Die Sache war schlau angelegt«, erwiderte der stellvertretende Staatsanwalt, »er hat eine Branntweinbrennerei, hat sie hoch versichert, angezündet und sich davon gemacht; er hat aber nicht an den Zugwind gedacht, und das Feuer ist zu früh ausgebrochen, am hellen Tag, man hat gelöscht und gefunden, daß die Fässer, in denen Branntwein sein sollte, nichts als Wasser enthielten. Zwölf Jahre Zuchthaus sind ihm gewiß, Es ist Brandstiftung und Betrug.«

»Das ist ein schöner Spaß.«

»Wieso Spaß?«

»Ich hätt' nicht glaubt, daß Sie mit mir so einen Spaß machen. Das lassen Sie sich gesagt sein, das ist ein Punkt, wo man mich nicht anfassen darf, da bin ich kitzlig und hau' um mich, sei es, wer es wolle, da versteh' ich keinen Spaß.«

Der Schwiegersohn beteuerte, daß er nur ernste, wirkliche Tatsachen berichtet habe, und sah Diethelm verwundert an; dieser erkannte schnell, daß er sich anders gebaren müsse, und seine geübte Verstellungskunst kam ihm zu statten, er tat, als ob er den Vorgang mit Reppenberger schon längst kenne und nur darüber gescherzt habe, da der Schwiegersohn voraussetzen könne, daß er sich von dieser Sache dispensieren lasse; denn diese Verhandlungen griffen ihn überhaupt zu sehr an und zumal die bevorstehende gegen den Reppenberger, der ein alter Bekannter von ihm sei. Der Schwiegersohn bemerkte, daß es Aufsehen machen werde, wenn sich Diethelm gerade hiervon dispensieren lasse, er solle vielmehr ihm zulieb dabei sein.

»Warum Euch zulieb? Habt Ihr auch noch was im Hinterling gegen mich?« fragte Diethelm, und seine Augen rollten.

»Ich meine: mir zulieb, weil ich gern möcht', daß mein Schwiegervater dabei wär', wenn ich zum erstenmal im Feuer stehe.«

»Ich kann ja auch als Zuhörer dabei sein,« schloß Diethelm, brach ab und plauderte mit seinem Schwiegersohn über allerlei voll heiterer Laune.

Am Abend machte sich Diethelm auf zu dem Rechtsanwalt Rothmann, der der bestellte Verteidiger Reppenbergers war; dieser mußte ihm den Gefallen tun und von seinem Recht Gebrauch machen, die ihm nicht genehmen Geschwornen abzulehnen und dafür aus der Überzahl einen andern zu nehmen. Erst im Zimmer Rothmanns fiel ihm ein, daß solch eine Bitte gefährlich und nutzlos sei. Gerade weil er ein alter Freund Reppenbergers war, mußte dessen Verteidiger ihn festhalten. Er sprach daher mit Rothmann allerlei, aber nichts eigentlich über die Angelegenheit Reppenbergers. Nur beiläufig bemerkte er, daß die Geschworenen bös gestimmt werden, wenn man Sachen, die nicht daher gehören, anbringe. Er hoffte, daß ihn Rothmann verstanden habe und von dem ihn betroffenen Fall nichts erwähnen werde. Rothmann nickte still. Es kam Diethelm der Gedanke, zu dem Vorsitzenden zu gehen und ihm zu sagen, daß er heim müsse, seine Frau sei totkrank, aber er wagte es doch nicht, dies auszuführen. Er ging noch in das Wirtshaus, wo sich in der Regel die Geschwornen versammelten, und hier kam es zu heftigem Streit zwischen ihm und dem Steinbauern, dessen sicherer, aber auch boshafter und verurteilungssüchtiger Charakter ihm stets zuwider gewesen war.

Mit besonderem Behagen und listigem Augenzwinkern spielte der Steinbauer wiederholt darauf an, daß sie morgen einen Schwarzkünstler (so nannte er stets spöttisch die Brandstifter) eintun wollten, damit die Brandsteuer nicht immer wachse.

Anfangs hörte Diethelm ruhig zu, bis er glaubte, daß Stillschweigen ihm mißdeutet würde, und bald war er mit dem Steinbauer im heftigsten Streit. Der Steinbauer, der stets so kaltblütig und wortkarg war, zeigte sich unbändig wild, wenn er in Zorn gebracht wurde. Er ließ es an gedeckten und doch bitter hässigen Reden gegen Diethelm nicht fehlen, und nur dem Schultheiß von Rettinghausen gelang es, Tätlichkeiten zu vermeiden.

Als trüge er noch all das Lärmen und Schreien im Kopf, so wirr kam endlich Diethelm in seinem Quartier an und faßte den festen Vorsatz, noch das letzte zu tun, und ohne ein Zeichen der Betroffenheit den morgigen Verhandlungen beizuwohnen.

Mitten in der Nacht erwachte er, er war an einem Schrei aufgeschreckt, den er noch wachend zu vernehmen glaubte. Er hatte im Traum seine Frau krank gesehen, und sie rief ihn mit so jammervoller Stimme, daß sein Herz noch laut pochte. Er machte sich rasch auf, verließ das Haus und die Stadt und eilte heimwärts. Immer fester glaubte er daran, daß seine Frau mit dem Tode ringe und nicht sterben könne, bis er bei ihr sei, und daß sie noch im Tode ihn so sehr liebe, daß sie ihn wegrief von all den Schrecken, die seiner harrten und denen er vielleicht doch nicht Trotz bieten könne. Die nie ganz erloschene Zuneigung zu seiner Frau flammte in ihm auf, und weinend wie ein Kind rannte er dahin. Am Herbsthimmel schossen Sternschnuppen in weitem Bogen hin und her, mit vertrauender Innigkeit sprach Diethelm den Wunsch aus, daß seine Frau leben bleiben, und alles mit ihnen gut sein möge.

Kaum eine Stunde war Diethelm gegangen, als er vor einem Berge wie festgewurzelt stand! Wehe! Von der Bergesspitze herunter kam wie aus dem Himmel heraus eine Herde Schafe, die blökten so jämmerlich, wie damals in den Flammen. Diethelm setzte sich nieder und wusch sich die Augen mit dem Tau, der auf dem Grase lag, er wollte gewiß sein, daß er nicht träume. Er schlug die Augen auf, aber immer näher, immer näher kam es wie ein Hirt und eine Herde, und aus der Brust Diethelms rang sich der Schrei los:

»Was willst du?«

Keine Antwort. Im Laub auf dem Wege raschelten Schritte. Ist das der Gang des Geistes? Es nahte sich, und jetzt stand es vor ihm.

»Seid Ihr's, Diethelm?« sprach eine Stimme.

»Bist du's, Munde?« rang Diethelm heraus.

»Ja. Wie kommt Ihr daher? Was habt Ihr? Aber das geht mich nichts an. Eure Frau schickt mich zu Euch, Ihr sollet gleich heim kommen, sie liegt schwer krank. Jetzt hab' ich's ausgerichtet, und nun red' ich kein Wort mehr mit dem Diethelm, solang er lebt.«

»O Himmel! O Himmel! Ich hab's geahnt, daß meine Frau totkrank ist«, schrie Diethelm. »Hilf mir auf, Munde, ich kann ja nicht aufstehen.«

»Meinetwegen. So«, sagte Munde, ihn aufrichtend, »Ihr seid mein Feind, aber ich will's doch tun.«

»Ich bin nicht dein Feind, gewiß nicht, gewiß nicht, Munde, glaub' mir. Meine Frau weiß das auch. Warum hat sie just dich geschickt?«

»Sie hat mich grad in der Stunde, wo ich zum Manöver fortgewollt hab', rufen lassen und hat mich noch gebeten, Euch gut Freund zu sein, ich hab's ihr aber nicht versprechen können. Nie, nie werd ich Euch gut Freund, so gern ich auch Eurer Frau noch was Gutes getan hätt'. Ich muß meinem Vater vor allem Wort halten, und lügen kann ich nicht, auch nicht zu einem, das stirbt. Ich hab' Eurer Frau versprochen, Euch gleich zu melden, daß Ihr heimkommen sollet. Ich hab' mein Versprechen gehalten und will nicht danach forschen, warum Ihr in einsamer Nacht da umherlauft. Daneben leg' ich Euch nichts in den Weg, vor mir kann der Diethelm ruhig sein, wenn er's vor sich auch kann.«

Schnell eilte Munde davon und hörte nicht darauf, daß ihm Diethelm noch nachrief, er möge ihn begleiten.

Wie traumwandelnd ging Diethelm in die Stadt zurück. Im Umschauen gewahrte er wieder die zerstreuten weißen Punkte auf dem Berge, und jetzt erinnerte er sich, daß das ja nur Kreidefelsen waren, die hierzulande auf den Bergen liegen gelassen werden, um die Dammerde vor Abschwemmungen zu wahren. Im Wirtshaus schrieb er einen Brief an den Vorsitzenden und schickte ihn doch nicht ab; er wartete mit Ungeduld auf den Morgen und eilte in aller Frühe zu dem Vorsitzenden, ihm ankündigend, welche Botschaft ihm ein Soldat gebracht, den er genau bezeichnete. Der Vorsitzende entließ ihn, und Diethelm hörte kaum, daß heute ohnedies keine Sitzung sei. Noch einen Augenblick sah er seinen Schwiegersohn und bat ihn, Fränz von dem Geschehenen zu benachrichtigen, dann fuhr er mit Extrapost heimwärts, er fand aber seine Frau nicht mehr am Leben und hörte nur von der Frau Kübler, wie innig sie seiner gedacht und immer gerufen habe: »Du bist unschuldig. Du bist mein braver Diethelm.« In seinem aufrichtigen Schmerz tröstete ihn der Gedanke, daß sie in diesem Glauben gestorben war. Er machte eine namhafte Stiftung zu ihrem Andenken und war überaus mild und freigebig.


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