Berthold Auerbach
Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg
Berthold Auerbach

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Fünfundzwanzigstes Kapitel

Die beiden Rappen waren zu großer Verwirrung los und ledig auf dem Markt umhergelaufen, der Schmied von Buchenberg, der ein Pferd eingekauft hatte und eben davonreiten wollte, fing sie ein und brachte sie dem Diethelm, der darob ganz verwundert schien; er übergab dem Reppenberger die Pferde, um sie nachzubringen, und eilte voraus durch Nebengäßchen und Durchhäuser nach dem Rautenkranz. Als er hier von Fränz hörte, was geschehen war, erschrak er anfangs, so weit hatte er's mit Munde nicht treiben, er hatte ihm nur den Daumen aufs Auge halten wollen. Bald aber sagte er: »Es hat sein müssen, drum ist's besser heut als morgen.« Fränz war nicht so leicht zu beruhigen, sie nahm den Vater aus der Wirtsstube fort nach dem stillen Zimmer und sagte hier, daß man nicht wissen könne, was Munde vorhabe, er wisse alles, Medard habe ihm das Gleiche gesagt, wie dem alten Schäferle.

»Das ist vorbei«, beruhigte Diethelm, »davon bin ich freigesprochen; was gemäht ist, ist gemäht. Red' mir heut nichts mehr von der Geschichte.«

»Ja, Vater, aber er wird mich deswegen vor Gericht fordern.«

»Dich? Warum? Was hast du denn da bei?«

»Ich hab' ihm alles gesagt«, erwiderte Fränz mit niedergeschlagenem Blick.

»Was? Was hast ihm gesagt? Was weißt denn du? Ich versteh' den Teufel von all deinem Geschwätz.«

»Vater, ich hab' gemeint' er sei mein Mann, und ihm darf ich alles sagen, und da hab' ich ihm erzählt, wie Ihr damals auf der kalten Herberge die Farb' gewechselt habt, wie der Wirt erzählt hat, und wie Ihr mir hier in diesem Zimmer vier Wochen vor dem Brand gesagt habt, Ihr wisset nicht mehr, wo aus noch ein. Vater, ich hab's ja nicht bös gemeint, ich hab' ja nie daran denken können, daß uns der Munde verraten könnt'.«

Diethelm schnaubte wild vor Zorn und Schreck, er ballte die Faust, als wollte er Fränz zu Boden schlagen: sein eigen Kind wußte um seine Schuld und hatte sie preisgegeben; aber schnell entballte er seine Faust wieder, spielte in der Luft mit den Fingern wie auf Klaviertasten und sagte bitter lächelnd:

»So? Also du bist so gescheit und willst deinem Vater was zusammenzwirnen? Aber du bist zu dumm, daß dich die Gäns' beißen. Ich sollt' eigentlich kein Wort mehr mit dir reden und dir die Peitsche anmessen. So denkst du von deinem Vater? Du bist's nicht mehr wert, daß ich dir einen Groschen hinterlasse. Geh nur vor Gericht. Kannst alles sagen, alles. Aber gedenken will ich dir's, was du getan hast. Jetzt weiß ich, warum der Lump so frech gegen mich gewesen ist. Mein eigen Kind, mein einzig Kind hat's ihm eingeben. Ich will hinaus und die ganze Welt fragen, ob das noch einmal vorkommt, soweit der Himmel über der Erde steht.«

Vater, verzeihet mir. Ich denk's ja gewiß nicht mehr«, bat Fränz weinend.

»Schlecht genug, daß du's einmal gedacht hast. Wenn du von heut an, hör zu, was ich sag' und guck nicht hinunter, sieh mir ins Gesicht, sag' ich,« knirschte Diethelm, seine Tochter schüttelnd, »wenn du von heut an nicht demütig und gehorsam bist, wie's einem Kind zukommt, nein, ich will dir nicht sagen, was ich tu, ich behalt's bei mir, aber vergessen werd' ich's nicht, verlaß dich drauf. Jetzt komm, hinter mir drein gehst und machst ein heiter Gesicht, das sag' ich dir, und red mir kein Wort mehr davon.«

Diethelm war es gelungen, den schlimmen Sinn seiner Tochter zu bezwingen, sie ging hinter ihm drein wie ein Lamm und erschrak bei jedem seiner Blicke, wenn er sich umwendete. Was war aber damit gewonnen? Handhaben für erneute Anklagen waren in fremde Gewalt gegeben, und noch dazu in die eines aufs äußerste Erbitterten. Soll denn die Tat nie ruhen? Brennt das Feuer immer wieder auf? Nur eines tröstete Diethelm, und dies war der weichmütige Charakter Mundes.

Aber hatte er sich nicht seit gestern so auffallend verändert? Nein, er ist noch derselbe, sonst wäre er ja nicht davongelaufen, statt Diethelm und Fränz sogleich den Gerichten zu überliefern. Dennoch schickte Diethelm sogleich den Reppenberger nach Buchenberg, teilte ihm oberflächlich mit, was geschehen war, und gab ihm den dringenden Auftrag, zu erforschen, was Munde vorhabe, und es ihm durch einen Eilboten nach der Stadt mitzuteilen. Der Reppenberger verstand den Vorgang, wenn auch nur halb, und sagte:

»Ich hab's bald gemerkt, das tut kein gut. Man kann ein Roß und ein Schaf nicht zusammenspannen.« Diethelm lachte über diesen Vergleich und gab dem Reppenberger ein gutes Zehrgeld mit auf den Weg. – 257 Beim Namen angerufen, erwachte Munde unter dem Birnbaum bei Breitlingen, der Schmied von Buchenberg hielt mit seinem Pferd neben ihm und hieß ihn aufsitzen, wenn er müd sei. Munde nahm das gern an. Der Schmied wußte nur von Händeln, die Munde mit dem Schwäher gehabt, und Munde war nicht geneigt, viel zu sprechen. Nur als der Schmied sein Glück rühmte und ihm anriet, klug zu sein, die paar Jahre noch den Diethelm den Herrn spielen zu lassen, sagte er:

»Ich bin nicht klug und will nicht reich sein.«

Die ganze Nacht hindurch rastete man nicht, und bald saß der eine, bald der andre zu Pferde.

Es war bald Mittag, als man sich Buchenberg näherte. Es hatte hier im Oberland geregnet, und Blüten und Blätter waren an den Bäumen hervorgebrochen, so plötzlich wie ein bereit gehaltenes Feuerwerk, das nur des zündenden Funkens wartet.

Munde war ganz ausgehungert, denn er hatte sich geschämt, dem Schmied zu bekennen, daß er keinen Heller Geld bei sich habe.

Als er in die väterliche Stube eintrat, rief ihm der alte Schäferle, die Pfeife im Munde haltend, vom Bett herab zu:

»Grüß Gott, Munde, ich weiß, wie's dir gangen ist. Komm her, gib mir die Hand.«

So zutraulich war der Vater seit lange nicht gewesen, und die Hand reichend, sagte Munde:

«Was wisset Ihr? Von wem? Sind schon Marktleute vor uns angekommen?«

»Kein Mensch. Ich weiß es von mir. Du hast mit dem Mordbrenner Händel gehabt. Ich weiß das so gewiß, als wenn ich dabei gewesen wär'.«

Munde starrte drein vor dieser prophetischen Sehergabe des Vaters, und dieser fuhr fort:

»Ich hab's schon lang kommen sehen. Es ist mir aber lieb, daß ich's noch erlebt hab'. Ich treib's nimmer lang. Von heut in sieben Tagen seh' ich meinen Medard, und er muß mir sagen, wie er so schnell von der Welt kommen ist, und wenn ich dir's berichten kann, tu' ich's. Setzt dich zu mir aufs Bett. Jetzt bist du wieder mein. Gelt' jetzt bist wieder mein? Gehst nicht mehr zu dem Mordbrenner? Ich kann dir auch was geben, daß du nicht mehr an die Fränz denkst. Und ich sag' dir all meine Mittel. Ich hab' dem Medard schon viele gesagt gehabt, und ihm gehören sie auch, aber du bist jetzt mein Einziger.«

Munde weinte laut und erzählte dann alles, wie es ihm ergangen. Der alte Schäferle richtete sich auf, nahm die Pfeife in die linke Hand, hob die rechte in die Höhe und rief:

»Ich schwöre, so wahr ich bald vor Gott komm', der Diethelm ist nicht unschuldig an dem Tod deines Bruders, wie, das weiß ich nicht, das weiß Gott allein. Munde leg deine Hand auf meine Herzgrube, dir vererb' ich's, daß du nicht

»Ich kann's nicht, Vater, ich kann's nicht, ich tät Euch ja alles so gern«, rief Munde, dem plötzlich davor graute, diese schwere Last auf sich zu nehmen, »aber das sag' ich, ich will dem Diethelm, solang ich lebe, zeigen, daß ich ihn für einen schlechten Menschen halte.«

»Gut, das ist mir genug, du hast ein weiches Herz, du kannst nicht mehr.«

Der alte Schäferle begann nun, Munde alle feine sympathetischen Mittel zu sagen, wie er sie vom Vater ererbt; er wollte es anfangs nicht dulden, daß Munde sie aufschrieb, das sei gegen das Herkommen und töte vielleicht ihre geheime Kraft, aber Munde behauptete, nicht alles so schnell behalten zu können. Das Zaubermittel gegen angetane Liebe schrieb Munde nicht auf. Er saß nun bei seinem Vater wie in einem Zauberberg, umgeben von geheimnisvollen Mächten, und wußte nichts mehr von der Welt, bis Martha mit dem Reppenberger kam.

Munde tat es weh, auch gegen die Meisterin feindselig zu sein, der Reppenberger sprach von einer Abstandssumme, die Diethelm dem Munde bezahlen wolle, wenn er sich zur Auswanderung entschließe, aber Munde wies alle Anerbietungen von sich, und der alte Schäferle war glücklich, als er hörte, daß sein Sohn die erledigte Stelle als Gemeindeschäfer in Unterthailfingen annehmen wolle.

Auf den Tag hin, wie er es vorausgesagt, starb der alte Schäferle. Als ihm Munde noch am Morgen die gestopfte Pfeife übergeben wollte, schüttelte er den Kopf verneinend und sagte: »Es ist vorbei.«

Munde überließ alles seiner Schwester und nahm sich nur die Kleider des Medard.

Er saß am Weg und hütete die Schafe, als Diethelm vierspännig mit seiner neuen Kalesche daherfuhr, er schaute auf, und blitzschnell durchzuckte ihn der Gedanke, welch ein großes Leben er hätte führen können; aber er drückte den Hut ins Gesicht und pfiff dem Paßauf, während Diethelm und Fränz rasch vorbeirollten.

Nicht ohne Befriedigung hörte Diethelm, daß der alte Schäferle gestorben und begraben sei, und daß der Geistliche an seinem Grab sagte, Gott möge ihm vergeben, wie ihm der vergeben habe, dem er so viel schweres Leid angetan. Den Munde fürchtete Diethelm nicht mehr, weil er nicht im ersten Zorn gehandelt hatte, in diesem war er des Schlimmsten von ihm gewärtig, jetzt in Ruhe, dachte er, wird die Schafseele es nie dazu bringen, als Ankläger aufzutreten. So fühlte sich Diethelm von dieser Seite gedeckt, aber der Geist der Widerspenstigkeit und Aufsässigkeit, den er in Fränz niedergerungen hatte, schien in Martha jetzt neu zu erwachen, wenngleich gemildert von ihrem an Ergebung gewohnten Wesen. Mit Ruhe ertrug es Diethelm, daß sie ihm heftige Vorwürfe machte, weil er mit Fränz in der Welt umherfuhr und seine Frau daheim vergaß, »wie ein im Stall angebundenes Stückle Vieh«. Er versprach, sie nie mehr allein zu lassen.

Eines Tages ging er mit ihr nach dem Bau, der staunenswert rasch vorrückte, die Sonne brannte stechend und gewitterverkündend nieder, und Diethelm sagte:

»Ich weiß nicht, wie mir's ist, seitdem ich im Gefängnis gewesen, bring' ich eine Kellerkälte nicht aus mir heraus; es ist mir, wie wenn ich einen Eisklumpen im Herzen hätt'. Ich hab' gemeint, im Sommer wird's besser, aber es ist nicht. Du sagst jetzt, dir sei heiß, und ich werde die Gänshaut nicht los.«

»Herr Gott! das sind meine toten Schwurfinger!« schrie Martha gellend und streckte die leichenhaften Finger Diethelm ins Gesicht.

»Was hast? Was machst?« fragte Diethelm erschrocken, und Martha erklärte, indem sie sich auf einen Steinhaufen am Wege setzte:

»Diethelm, was hast du gemacht? Weißt du's denn nicht mehr? Du hast ja geschworen, die Sonne soll dich nicht mehr erwärmen, wenn du ans Brandstiften denkst, dort am Fenstersims hast's geschworen, und jetzt ist's ja wahr geworden, die Sonne wärmt dich nicht, und ich hab' einen falschen Eid auf mich nehmen wollen, und meine Finger sterben mir ab. O gerechter Gott, was machst du aus uns? Gerechter Gott, was soll aus uns werden?«

Diethelm suchte zu trösten, soviel er vermochte, er wollte jetzt leugnen, daß ihn friere, und behauptete, die Wunde an seinem Arm sei noch nicht völlig geheilt; da faßte ihn Martha gerade an der wunden Stelle, daß er laut aufschrie, sie aber sagte:

»Gesteh ehrlich, beichte, nur mir sag's, nur mir, woher du das hast. Der Doktor hat immer gesagt, das säh' aus, wie ein Biß von einem Menschen. Wer hat dich gebissen?«

Diethelm hatte Geistesgegenwart genug, seine Frau tapfer auszuzanken mit dem Zusatz, daß, wenn sie noch ein einzig Mal von toten Schwurfingern rede, er sie auf immer verlasse, möge daraus werden, was da wolle.

Martha schwieg, aber ihre schweigend trauervollen Mienen, ihr stilles, stundenlanges Betrachten der abgestorbenen Finger sagte Diethelm, was sie für sich sinne und was sie von ihm denken möge.

Als das Haus gerichtet war, und der bänderverzierte Maien vom Giebel prangte, machte sich Diethelm mit den Seinen auf nach Wildbad, die warme Quelle sollte Diethelm von seinem Frost und der Wunde heilen und sollte die tote Hand Marthas neu beleben. Am hoffnungsreichsten aber war Fränz, sie bedurfte der warmen Quelle nicht: ihrer harrte dort der Rautenkranzsohn und, nicht zu vergessen, auch der Amtsverweser.


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