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II.

Der neue Tag fand den Himmel klar und wolkenlos, die Sonne stieg heiter über den Wäldern Floridas auf und sandte ihre wärmenden Strahlen über den Golf, dessen smaragdgrüne Wogen einander lustig jagend der Küste zurauschten, und ihren Schaum in dem goldnen Morgenlichte wie Brillantenschauer um sich sprühten. Hunderte von großen und kleinen schneeweißen Segeln waren in der klaren durchsichtigen Ferne zu erkennen, zogen nickend hin und her über die grüne Fluth, und Schaaren von Möven schwebten mit ihrem schneeigen Gefieder, auf, dem leichten Schlag ihrer langen Schwingen über der bewegten Tiefe spielend, auf und nieder und riefen sich laut ihren Morgengruß zu. Der Sturm war verweht und eine feierliche Ruhe lag auf Wald und Flur, als ob die Elemente hier in ewigem Frieden ruhten.

In dem Garten, der unter den Orangen-, Citronen- und Granatbäumen hinter dem Hause ausgebreitet lag, ging Leonta, als die feurigen Blüthen und goldnen Früchte von den ersten Sonnenstrahlen geküßt wurden, mit ihrer kleinen Halbschwester umher und sammelte Blumen, um die Zimmer des Hauses damit zu schmücken. Oft hielt sie ihren leichten Tritt an, verweilte bei einem glänzenden, bunten Schmetterling, lauschte dem süßen Morgengesang der Vögel, weidete ihre Blicke an deren blitzendem goldnen und purpurnen Gefieder, oder spähte über die endlose Wasserfläche nach den schaukelnden Schiffen hinüber. Ihr Herz war so voll, so übersprudelnd bewegt; froh bewillkommnete es den jungen Tag, es war ihr, als müsse sie die ganze Welt an ihre Brust drücken, und doch mischte sich in ihre Wonne ein schmerzliches Etwas, welches ihr nicht erlaubte, diese rein und vollkommen zu genießen. Sie schaute auf ihre kleine Halbschwester, die unter einem Orangenbaum neben ihr die weißen Blüthen auflas, und hielt ihre Blicke auf die Aermchen und auf den Nacken des Kindes geheftet, deren Schnee die Farbe der Blüthen verdunkelte. Ihre Augen wurden feucht, und Thränen, wie schwere Perlen des Morgenthaues, fielen von ihren langen Wimpern herab, als sie auf ihren eignen schönen gelben Arm sah.

»Warum weinst Du denn, Leonta? Ich habe Dich ja so lieb,« sagte die kleine Anna, zu der Quadrone aufblickend, und diese warf sich neben dem Kinde in das Gras nieder, schlang ihre zarten goldigen Arme um dessen Nacken und preßte es krampfhaft gegen ihre Brust.

»Du sollst nicht weinen, Leonta, ich gebe Dir auch mein neues rothes Tuch,« fuhr das Kind fort, und hielt seine Aermchen um den schlanken Hals der farbigen Halbschwester geschlungen, die es auf ihren Arm hob, ihre Thränen trocknete und nach dem Wohngebäude zurückging, um des Tages Arbeit zu beginnen. Alles, was sie that, ging ihr leicht von der Hand; bald hatte sie das Frühstück bereitet, dem alten Neger Sam zuerst sein Morgenbrod gegeben, damit er wieder in das Feld zurückgehen könne, hatte dann den Tisch für die Ihrigen sauber gedeckt, denselben mit einem Glas voll Blumen geschmückt, und ging dann hinaus zu ihrem Vater, der unter einer mächtigen Banane am Ufer des Flusses saß und seine Blicke bald auf demselben hinauf, bald nach der verlassenen Farm Hendersons hinüber richtete. Schweigend folgte er dem Ruf seiner Tochter zu dem Frühstück, und nach Beendigung desselben ergriff er die Angel und ging an die Küste hinunter, um einige der herrlichen Fische des Golfs zu fangen.

Hier war er wieder mit seinen Gedanken allein, die sich nach und nach zu ordnen begannen. Die Aenderung seiner beschränkten Verhältnisse durch die Erwerbung von Hendersons Farm und dessen Negern trat immer mehr in den Vordergrund, und vor der Gräuelthat, die er an seinem eigenen Fleisch und Blut begehen wollte, bebte er immer weniger zurück. Leonta war ja eine Farbige und deren Verkauf nach Gesetz und Gebrauch des Landes erlaubt; warum sollte er sich deshalb nun bedenken?

Ein guter Feldneger war immer achthundert Dollars werth, also hatte ihm Weston achttausend Dollars geboten, vielleicht legte er auch noch Etwas zu, dann konnte er die Farm und die Neger kaufen und behielt noch Geld genug zu Anschaffungen für seine Bequemlichkeit übrig.

Wo er ging, wo er stand, umgaukelten die glänzendsten Bilder der Zukunft seine Gedanken, und des immer schwacher mahnenden Gefühls seines Unrechts wurde er Herr.

Der Tag verblich, eine stille, warme Nacht hatte sich über die Gegend gelegt und in dem Hause Crawfords war Alles, außer Leonta, in tiefen Schlaf gesunken. Es war schwül und drückend in ihrem kleinen Zimmer und unruhig hatte sie sich auf ihrem Lager hin- und hergeworfen, als ihr einfiel, daß jetzt die Zeit der Fluth begonnen habe, in welcher sie sich seit ihrer frühen Kindheit zu baden gewohnt war, und sie sich leise erhob, um sich in den krystallklaren Wogen des Golfs zu erquicken. Sie legte ihr einfaches weißes Nachtgewand ab, trat in ihre Schuhe, löste die Fülle ihres Lockenhaares, warf ein großes rothes Tuch um ihre weichen Schultern, in welches sie sich einhüllte, und verließ leisen Schrittes das Haus. Es war eine sternenhelle Nacht, kein Lüftchen regte sich und die Stille ward nur durch das eintönige Brausen der fliehenden und kommenden Wellen der See unterbrochen. Leonta folgte dem vertrauten Fußpfad, der zu dem Golf hinunterführte, dorthin, wo die Wogen auf feinem Sand ihr lustiges Spiel trieben, und blickte im Gehen schüchtern umher. Bald hatte sie den Strand erreicht, blieb stehen und schaute lauschend nach allen Richtungen um sich, als fürchte sie sich selbst vor der Nacht, sich zu enthüllen.

Alles war still und regungslos, nur die hellflimmernden Sterne tanzten auf den dunkeln, rauschenden Wogen. Leonta ließ das Tuch fallen, trat aus den Schuhen, setzte ihren wundervoll geformten kleinen Fuß auf den kühlen, weichen Sand, und ging lautlosen Schrittes, wie eine Göttin des Meeres, den Wogen entgegen, die, als ob sie ihrer Herrin Willkommen zujubeln wollten, eilig zu ihr heranrauschten, sich um ihren schönen Körper schlangen und sie schaukelnd und wiegend davon trugen, als sie sich ihnen in die kühlen, feuchten Arme warf. Von den langen Locken ihres üppigen Haares umspielt, führte die Welle die schöne Quadrone in den Golf hinaus der kommenden zu, die sie, ihrem sichern Arm gehorchend, auf ihrem krystallnen Rücken wieder zu dem Strand zurücktrug, um sie dort abermals der nachfolgenden bei ihrem Rücklauf zu überliefern. So wiegte sich Leonta hin und zurück mit leichtem Zug ihrer vollen, zarten Arme auf den vertrauten, weichen Fluthen, ließ ihre schönen Formen kosend und plätschernd von ihnen umspielen und sich endlich gekühlt und erfrischt auf den Strand tragen, wo sie wieder in ihre Schuhe trat, sich in ihr Tuch hüllte, noch einen dankbaren Abschiedsblick auf die ihr lieben dunkeln Wogen warf, und sich dann leise zu ihrem Lager zurückbegab.

Drei Tage verflossen, ohne daß das stille, einförmige Leben auf der Farm Crawfords durch irgend etwas Ungewöhnliches unterbrochen worden wäre. Am vierten Morgen, bald nach der Frühstückszeit, kam eine Nachbarin, eine langjährige Freundin von Madam Crawford, auf einem großen Ackerpferde herangeritten, um dieser einen seit langer Zeit versprochenen Besuch abzustatten. Der kleine Negerknabe, der hinter ihrem Sattel auf der breiten Croupe des Pferdes saß, führte das Thier nach der Einzäunung, um es dort zu verpflegen, während die Frau von Madam Crawford herzlich bewillkommnet und in das Haus geführt wurde. Auch Leonta kam freudig herbeigesprungen, um die Nachbarin zu begrüßen, denn sie war eine von den Wenigen, die an deren goldiger Haut keinen Anstoß nahmen und sie liebevoll und vertraulich wie eine Weiße behandelten.

»Du kommst nicht zu mir, liebe Leonta,« sagte sie zu der Quadrone, indem sie ihr freundlich die Hand reichte, »und so muß ich Dich schon hier aufsuchen, wenn ich Dich einmal wiedersehen will.«

Ein solcher Gruß von einer weißen Frau that der Quadrone unendlich wohl, und mit feuchten Augen küßte sie der Nachbarin die Hand. Dann aber eilte sie fort nach Garten und Küche, um für ein besonders gutes Mittagsessen zu sorgen.

Crawford war wieder zum Fischen nach dem Golf hinuntergegangen und seine Frau setzte sich mit ihrer Freundin unter die Veranda vor dem Hause, wo Beide ihre Näharbeiten zur Hand nahmen und sich freuten, endlich einmal wieder mit einander plaudern zu können.

»Leonta ist doch in jeder Weise ein ganz ungewöhnliches Mädchen,« sagte die Nachbarin nach einiger Zeit, als sie dieselbe von dem Garten her mit einem Körbchen voll Früchten nach der Küche gehen sah; »sie besorgt Ihnen ihr ganzes Hauswesen und dabei hat sie doch immer noch Zeit übrig, um ihre hübschen Handarbeiten zu verfertigen, ihre eignen, so wie Anna's Kleider zu machen und sich mit Lesen zu unterhalten. Ich habe ihr auch einen Band Gedichte von Thomas Moore mitgebracht.«

»Sie Gute; wie wird sich das Mädchen darüber freuen! « erwiderte Madam Crawford.

»Und wie wunderbar schön sie ist,« fuhr die Nachbarin fort; »ich wenigstens bekenne, daß ich nie in meinem Leben etwas so Vollkommenes von Schönheit gesehen habe. Wie glücklich könnte ein solches Wesen einen Mann machen!«

»Ja, wenn nicht ein Fluch auf ihrer Haut läge,« sagte Madam Crawford mit einem Seufzer.

»Hat denn Ihr Mann einen Freibrief für sie ausgestellt? Es ist um Lebens und Sterbens willen.«

»Noch nicht, obgleich ich ihn wiederholt darum gebeten habe.«

»Soll ich vielleicht einmal mit ihm darüber reden?«

»Nein, ja nicht. Es ist ihm unangenehm, daran erinnert zu werden, daß sein Kind eine dunkle Haut hat. Sie kennen das allgemeine Vorurtheil. Ich werde es aber nicht versäumen, ihn daran zu mahnen,« antwortete Madam Crawford und lenkte die Unterhaltung auf einen andern Gegenstand. Herr Crawford kam bald mit einer schweren Tracht Fische von dem Golf herauf, die Leonta in Empfang nahm, um damit das Mittagsmahl zu bereichern. Bei Tisch wartete die Quadrone auf, ließ sich aber nicht eher nieder, als bis ihr Vater aufgestanden war und sich entfernte, um, wie er sagte, einen Nachbar zu besuchen.

»Komm, liebes Mädchen, nun setze Dich neben mich und speise; Dir allein hatten wir ja das herrliche Essen zu verdanken,« sagte die Nachbarin zu Leonta, und diese folgte mit einem dankbaren Blick der Aufforderung.

Den Nachmittag verbrachte die Quadrone bei ihren beiden mütterlichen Freundinnen vor dem Haus und wurde dort von der Nachbarin mit den Gedichten beschenkt. Ihre Freude war groß, zumal sie das Geschenk der Zuneigung einer weißen Frau verdankte.

Die Stunden eilten schnell dahin, und als die Nachbarin ihr Pferd bestieg, um noch vor Abend ihre Wohnung zu erreichen, versprach ihr Leonta mit Freuden, sie recht bald zu Hause zu besuchen.

Die Sonne sank, der Himmel im Westen glühte wie ein Feuermeer über dem fernen Horizont des Golfs und spiegelte sich auf der leicht gekräuselten Fluth in allen Farben des Diamants und des Rubins, bis das scheidende Gestirn wie eine durchsichtig goldene Kugel in die Tee hinabtauchte und seine letzten Abschiedsstrahlen funkelnd auf den Spitzen der Wogen bis zu der Küste Florida's hintanzten. Bald verließ das Licht den Strand, sagte dann dem Blockhaus Crawfords Lebewohl, vergoldete noch auf einen Augenblick die höchsten Wipfel der Fichten und war dann von der Erde verschwunden, während die Dämmrung über Land und Meer zog und der Himmel da, wo die Sonne versunken war, in ein dunkles Carmin überging. Leicht wehte der Hauch des Abendwinds über die See, hoch sprangen die goldnen Fische aus den grünen Wogen empor und im lustigen Spiel rauschte der Delphin über die Fluth. Der Flamingo und der Reiher schwebten mit leichtem Flügelschlag von dem Strand her den Wäldern zu, und hier und dort ließ der Uhu von der Höhe einer Cypresse seinen schauerlichen Ruf erschallen.

Crawford stand mit untergeschlagenen Armen auf der Uferbank und schaute den Fluß hinauf, als plötzlich über der fernen Biegung desselben der flatternde Wimpel eines Schiffes sichtbar wurde und bald darauf der Schooner des Sclavenhändlers sich mit der langsamen Strömung näherte. Ungeduldig war Crawford hinunter an das Wasser getreten und harrte dort, bis das Fahrzeug vor ihm vor Anker gegangen war und Weston sich in dem Boote zu ihm an's Land ruderte.

»Nun, Crawford, habt Ihr Euch die Sache mit der Quadrone überlegt? Ich habe nicht lange Zeit, denn der Wind frischt sich vom Golf her auf und giebt mir eine günstige Gelegenheit, den westlichen Arm des Flusses hinaufzufahren, die ich nicht unbenutzt vorübergehen lassen darf. Wer weiß, ob ich mich auf meinem Rückweg hier aufhalten kann! Ist der Wind günstig, so gehe ich sofort in See.«

»Setzt Euch her zu mir in's Gras, Weston,« sagte Crawford, indem er sich an dem Ufer niederließ, »wir wollen darüber reden.«

»Ich halte Euch mein Gebot, vorausgesetzt, daß das Mädchen gesund ist,« sagte Weston eifrig und setzte sich nieder.

»Sie ist gesund wie die Fische im Golf, und kein Makel an ihrem Körper. Auch ist sie gut erzogen und geschickt in aller Arbeit,« erwiederte Crawford.

»Wie alt ist sie?«

»Noch nicht siebzehn Jahr.«

»Und hat Eures Wissens noch keinen Liebhaber gehabt?«

»Niemals, dafür bürge ich,« antwortete Crawford und fuhr nach einer kurzen Pause fort: »Nun sagt mir kurz heraus, wie viel Ihr mir für sie geben wollt.«

»Ich muß sie nochmals sehen, ehe ich Euch ein bestimmtes Gebot machen kann. Laßt uns hinauf nach Eurem Hause gehen und dann sollt Ihr es sogleich erfahren, was ich geben kann.«

»Ihr müßt Euch in Acht nehmen, Weston, damit weder sie, noch meine Frau eine Ahnung davon bekommt, daß ich sie verkaufen will, denn sie ist von dieser wie ein eignes Kind erzogen und aus unserm Handel möchte sonst Nichts werden. Ihr könnt bei mir zu Abend essen und das Mädchen soll uns dabei bedienen, dann habt Ihr Gelegenheit, sie Euch anzusehen.«

»So kommt, wie ich Euch sagte, meine Zeit ist kostbar. Seht, der Wimpel steht gerade den Fluß hinauf,« sagte Weston aufspringend; auch Crawford erhob sich rasch und Beide eilten nach dem Hause.

Das Wohnzimmer war leer und nur ein kleines Feuer, welches dasselbe spärlich erhellte, brannte in dem Kamin. Die Männer nahmen an dessen Seiten einander gegenüber Platz, Weston ergriff einige Stücke fetten Kienholzes und warf sie mit den Worten auf die Flamme:

»Um ein Mädchen zu kaufen, hat man helles Licht und scharfe Augen nöthig.«

Das Feuer flackerte hoch auf und beleuchtete das Zimmer mit Tageshelle, als die Thür sich öffnete und Leonta herein trat, um den Tisch zu decken. Sie sah überrascht nach dem Fremden hin, dessen stechender Blick sie schon in der Thür empfing, schlug die Augen nieder, und besorgte schweigend nach gewohnter Weise die Vorbereitungen zum Abendessen. Sie trug den Tisch in die Mitte der Stube, überdeckte ihn mit einem saubern weißen Tuch und setzte dann alles Nöthige so schnell und geräuschlos und mit so vielem Anstand auf demselben nieder, daß Weston ihr verwundert zusah und, als sie beinahe damit fertig war, zu ihr sagte: »Ich sollte denken, Mädchen, ich hätte Dich schon einmal früher hier in der Nachbarschaft gesehen. Ist es nicht so?««

Leonta war noch niemals in dieser Weise angeredet worden, sie fuhr zusammen, ein glühendes Carmin schoß über ihre Wangen und mit einem funkelnden Blick strafte sie den Fremden, der so unartig zu ihr geredet hatte und sie so scharf ansah. Im nächsten Augenblick aber schlug sie die Augen nieder und sagte:

»Sie irren sich, Herr, wir sind uns früher niemals begegnet.«

Dann stellte sie schnell die Stühle um den Tisch und eilte aus dein Zimmer.

»Sie hat eine gesunde, ja eine sehr schöne Stimme und das Erröthen bezeugt, was Ihr mir über sie versichertet,« sagte Weston leise, indem er sich zu Crawford hinbeugte. »Ich zahle Euch achttausend Dollars für das Mädchen.«

»Legt noch zweitausend zu, dann sind wir mit dem Handel zu Ende,« erwiederte Crawford ebenso leise, indem er sich gleichfalls vorbeugte.

»Bei Gott nicht, zu solchem Preis wüßte ich keinen Abnehmer für sie. Achttausend Dollars ist viel für einen Liebhaber. Wollt Ihr?«

»Nein,« antwortete Crawford mit großer Bestimmtheit.

»So laßt uns den Unterschied theilen und nehmt neuntausend Dollars. Verdammt sei meine Seele und meine Augen, wenn ich einen Cent mehr gebe! Sagt kurz Ja, oder Nein!« flüsterte Weston. Crawford blickte sich nach der Thür um und schien zu lauschen, ob sich auch Niemand nahe, dann sagte er:

»Wenn Ihr denn nicht anders wollt, so nehmt sie für neuntausend Dollars hin. Aber baares Geld.«

»Blankes Gold, es liegt in meiner Kajüte bereit. Das Mädchen ist mein, nach Tisch geht Ihr mit mir an Bord, unterzeichnet mir einen Kaufbrief über sie und empfangt Euer Geld,« sagte Weston, als sich in dem Augenblick die Thür öffnete, Madam Crawford mit Leonta eintrat und Beide Speisen auf den Tisch trugen. Letztere eilte nochmals hinaus und kehrte, mit einer großen Kaffeekanne in den Händen und von der kleinen Anna gefolgt, zurück, um bei Tisch aufzuwarten, nicht aber um sich, wie gewöhnlich, selbst daran niederzulassen. Mit einem schrecklichen Widerwillen gewahrte sie, daß der Fremde sie fortwährend mit seinen Blicken verfolgte, und suchte sich so viel als möglich denselben zu entziehen. Er aber rief ihr wiederholt zu, ihm Kaffee einzuschenken, und musterte dann forschend ihre Gestalt. Bebend verrichtete sie ihre Pflicht während des Essens, bald schoß ihr das Blut in die Wangen, bald wurde sie bleich und kalt, und als endlich der Fremde und ihr Vater aufstanden, stürzte sie zur Thür hinaus, um einem Thränenstrom die Freiheit zu geben und durch Weinen ihrem zusammengeschnürten Herzen Luft zu machen.

Crawford und Weston hatten das Haus verlassen und sich an Bord des Schooners begeben, in dessen Kajüte sie sich bald darauf allein befanden. Der Sclavenhandler nahm Papier zur Hand, schrieb schnell einen Kaufbrief über Leonta, legte ihn Crawford zur Unterschrift vor und trug dann einen schweren Sack mit Gold auf den Tisch.

Crawford hatte die Feder aufgenommen, seine Hand aber, als er sie auf das Papier setzte, bebte hin und her, so daß er nicht im Stande war, seinen Namen zu schreiben. Da schüttete Weston das Gold aus dem Beutel auf den Tisch; dessen Glanz wirkte wie ein Zauber auf die Nerven des Vaters, und er unterzeichnete den Verkaufbrief über sein Kind. Das Gold wurde nun abgezählt und in ein Packet zusammengebunden, welches Crawford unter seinem grauen Rocke verbarg und es mit den Armen gegen seine Brust drückte.

»Wir müssen sie nun mit Vorsicht hierher zu bringen suchen,« sagte er zu dem Käufer; »ich gehe hinauf und befehle ihr, sie solle mir helfen, eine Anzahl Flaschen mit Whisky nach Hause zu tragen. Ist sie hier, so ist es Eure Sache, sie zu halten, sorgt aber dafür, daß meine Frau ihr Schreien nicht höre, denn sie wird sich wild geberden.«

»Hat Nichts zu sagen, habe schon manchen wilden Vogel in diesem Käfig zahm gemacht,« erwiederte Weston und begleitete Crawford in dem Boote bis an das Ufer, worauf dieser sein Gold nach Hause trug. Er schloß es schnell in seinen Koffer ein und rief dann Leonta herbei, die sich mit seiner Frau in der Küche befand.

»Komme schnell mit, Du sollst mir helfen, Whisky von dem Schiff zu holen; der alte Sam möchte mir die Flaschen zerbrechen. Zünde die Laterne an,« sagte er zu ihr. Gehorsam folgte sie seinem Befehl und kam bald mit der Laterne in der Hand zurück. Crawford nahm ihr dieselbe ab und schritt voran dem Ufer zu, wo Weston sie in dem Boote erwartete.

Mit schüchternem, Unglück ahnenden Gefühl folgte das Kind dem Vater in den Nachen, der sie bald zu dem Schiffe führte.

Weston sprang zuerst an Bord, und als Crawford nach ihm das Verdeck erstiegen hatte, reichte er Leonta die Hand und half ihr zu sich herauf. Die Laterne stellte er an der Brüstung nieder und winkte dann der Quadrone, ihm zu folgen. Der Eingang der spärlich erleuchteten Kajüte war niedrig, Crawford bückte sich, trat in dieselbe ein und Leonta folgte ihm. Kaum aber hatte sie die Thür hinter sich, als Weston sie erfaßte, ihr ein Tuch auf den Mund preßte und zwei andere Männer ihr Handschellen um die Handgelenke befestigten. Crawford stürzte aus der Kajüte, warf die Thür hinter sich zu, sprang mit der Laterne in das Boot und wurde von einem Matrosen an's Land gesetzt. Ein furchtbarer Schrei drang von dem Schiffe zu ihm herüber, ein Schrei, der das Mark in seinen Knochen und seine Seele in ihren verborgensten Tiefen erschütterte; dann war Alles wieder still. Nach wenigen Minuten entfaltete sich das Segel, der Wind blähete es auf, und wie ein Riesenschatten glitt das Fahrzeug lautlos durch die Dunkelheit den Fluß hinauf.

Crawford hatte die Laterne ausgeblasen, denn Licht war seinen Augen unangenehm, er sah das weiße Segel in der Finsterniß verschwinden und rief sich das Gold, die Farm Hendersons und dessen Neger in's Gedächtniß zurück, um das Bild von seinem verkauften Kinde daraus zu verscheuchen; doch das Gold glänzte nicht mehr, und die Farm und die Neger waren ihm zuwider.

In der Kajüte, auf den Fußboden hingestreckt, lag die Quadrone in jenem halbbewußtlosen Zustande, den ein übermächtiges plötzliches Unglück herbeiführt, welches zu schwer, zu ungeheuer ist, als daß der Mensch, den es betroffen, es mit seinen Gedanken zu fassen im Stande wäre. Ein anhaltendes Zittern hatte sie ergriffen und ließ die Ketten erklirren, die von ihren Händen nur bis zu der nahen Wand reichten, an der sie befestigt waren. Das düstere Licht, welches die Ampel, die unter der Decke hing, über die unglückliche Sclavin warf, zeigte ihre thränenlosen, halbgeschlossenen Augen und ihren nur wenig geöffneten Mund, dem von Zeit zu Zeit ein langgehaltener krampfhafter Seufzer entfuhr, wobei ihre Lippen bebend aneinander schlugen und sie ihre Hände fest gegen ihre Brust drückte.

Plötzlich aber, wie erwachend, raffte sie sich zusammen, wild und verwirrt blickte sie um sich, sah auf die Ketten, die an ihren Armen rasselten, ihr Bewußtsein kehrte zurück; sie sprang auf, hob die Hände hoch über sich und schrie mit der Stimme der rasendsten Verzweiflung:

»Verkauft – mein eigner Vater hat mich verkauft!«

Sie rang die Hände, sie zerraufte sich das Haar, sie schrie, sie warf sich nieder und sprang wieder auf, doch Niemand war zugegen, der ihres ungeheuren Schmerzes, ihrer ungeheuren Verzweiflung Zeuge gewesen wäre. Die Thür war geschlossen und das kleine offne Fenster, welches an der hintern Seite des Schiffes aus der Kajüte auf das Wasser zeigte, ließ sie nur die Dunkelheit der Nacht erkennen. Einem jeden solchen Ausbruch der Verzweiflung folgte der halbbewußtlose Zustand der Abspannung und Entkräftung, den die Natur dem höchsten Schmerze mitleidig als einzige Wohlthat zusendet.

Es war gegen Mitternacht, als Leonta, abermals von wilder Raserei erfaßt, mit aller Kraft an ihren Ketten riß. Die Handschelle hatte sich hierbei bis auf ihre kleine rechte Hand gezogen und sie sah, daß es ihr ein leichtes sein würde, sich ganz davon zu befreien. Sie versuchte, wie weit sie die Schelle über ihre linke Hand bewegen könne, und fand, daß dies noch viel weniger Schwierigkeit hatte. Sie konnte sich von den Fesseln befreien, sie blickte nach dem offnen Fenster und war schon im Begriff, die Handschellen abzuziehen und sich hinaus in den Fluß zu stürzen, als sie den Anker in das Wasser fallen und zugleich das Schloß an der Kajütenthür aufschließen hörte. Erschreckt warf sie sich auf den Boden nieder, schloß die Augen und bemühte sich jetzt, in dem bewußtlosen Zustande zu erscheinen, in welchem sie ihr neuer Herr verlassen hatte. Der Hoffnungsfunke, sich seiner Gewalt zu entziehen, loderte aber zur hellen Flamme in ihr auf und mit aller Willenskraft ihres heißen, südlichen Blutes war sie entschlossen sich zu befreien oder ihrem Leben ein Ende zu machen.

Weston trat mit dem Steuermann in die Kajüte, blieb neben der Quadrone stehen und sagte: »Sie hat sich ausgetobt und wird sich bald in ihr Schicksal ergeben. Wir wollen sie ruhig hier liegen lassen, morgen wird man wohl ein vernünftiges Wort mit ihr reden können. Nehmen Sie mein Mosquitonetz mit hinaus auf das Verdeck, ich möchte doch noch einige Stunden schlafen und hier in der Kajüte ist es zu warm. Ehe der Tag kommt, können wir doch nicht nach der Farm gehen, um die Neger abzuliefern.«

Der Steuermann nahm das leichte, wie ein Zelt geformte Netz von der Wand, verließ die Kajüte, und Weston, nachdem er noch einen Blick auf die Quadrone geworfen hatte, folgte ihm und verschloß die Thür. Kaum hörte Leonta das Schloß knarren, als sie auffuhr und lauschend nach dem Eingang blickte. Dann begann sie, die Handschelle über ihre kleine Rechte zu schieben, welches ihr mit wenig Anstrengung gelang; die linke Hand befreite sie noch leichter von der Fessel, sie legte die Ketten geräuschlos auf den Boden nieder und stieg nun auf den Sitz unter dem kleinen, sehr niedrigen Fenster, um zu versuchen, ob sie ihren Körper hindurchzwängen könne. Leise schob sie ihren Kopf und ihre Arme hinaus, drängte ihre volle Büste mit wenig Schwierigkeit durch die Oeffnung und wieder zurück, und schlich dann leise zu ihren Ketten, um sie sich schnell wieder anzulegen, für den Fall, daß man ihr noch einen unverhofften Besuch abstatten sollte. Sie mußte ihren Tyrannen Zeit geben, in Schlaf zu sinken.

Kein Fußtritt ward mehr hörbar, eine Todtenstille herrschte auf dem vor Anker liegenden Schiffe, und nur das Plätschern der Wellen unter seinen Seiten unterbrach die nächtliche Ruhe.

Wohl eine Stunde hatte Leonta bei ihren Ketten auf dem Fußboden gesessen, ohne einen Laut zu vernehmen, der die Wachsamkeit eines der Männer auf dem Verdeck verrathen hätte. Ihr Herz pochte laut, ihre großen Augen funkelten kühn und entschlossen und mit leichtem Tritt hob sie sich jetzt zu dem Fenster hinauf. Sie beugte sich hinaus und lauschte eine lange Zeit; kein verdächtiger Ton drang zu ihrem Ohr; sie blickte auf das Wasser hinunter, sah, wie die schwarzen Wellen sich an den Seiten des Schiffes herkräuselten und unter ihr in drehendem Wirbel sich vereinigten; sie schob sich mit dem ganzen Oberkörper hinaus, bis ihre Hüften die Oeffnung des Fensters ausfüllten. Mit Verzweiflung gewahrte sie, daß sie nicht weiter konnte; sie stemmte sich mit aller Gewalt ihrer kleinen Hände gegen die Schiffswand, sie machte eine halbe Wendung, noch' einmal nahm sie ihre ganze Kraft zusammen, zwängte sich gewaltsam durch den engen Raum, und nun glitt sie nach der Tiefe hinunter und schoß senkrecht, mit dem Kopf voran, hinab in die dunkle Fluth. Tief unten von dem schlammigen Grund des Flusses stieß sie sich mit den Händen ab und schoß pfeilschnell nach dem Wasserspiegel empor. Sie athmete wieder, sie athmete Freiheit, sie öffnete die Augen und sah in kurzer Entfernung über dem Glanz des Wassers den schwarzen Körper des Schooners liegen, aus dem das Fenster, welchem sie ihre Freiheit verdankte, matt erhellt hervorblickte. Niemand auf dem Schiffe hatte ihren Fall in das Wasser gehört, denn keine Bewegung war auf ihm sichtbar. Stromab und dem östlichen Ufer zu richtete Leonta jetzt die sichern Züge ihrer Arme und vergrößerte schnell die Entfernung zwischen sich und ihrem Gefängniß. Bald hatte sie das Land erreicht, wo es von üppigen Pflanzen überhangen war, hob sich an ihnen aus der Fluth und erklomm die Uferbank. Nur einen Augenblick stand sie unschlüssig, welche Richtung sie einschlagen sollte; dann floh sie in der Dunkelheit hin durch Wald und Flur, über steinige Höhen und sumpfige Gründe, bis sie mit dem ersten Grauen des Tages das Ufer des Hauptstromes erreichte. Ohne zu rasten, verfolgte sie dessen Lauf und erkannte bald die dunkeln Umrisse einer Farm, die sie oft schon als Kind und später mit Madam Crawford besucht hatte. Dieselbe lag einige hundert Schritt von dem Flusse entfernt, doch erinnerte sich Leonta, früher an dessen Ufer mehrere Nachen bemerkt zu haben, und hoffte jetzt einen derselben zu finden. Sie wurde bei ihrem Herannahen nicht getäuscht; zwei Kähne schaukelten sich unter dem laubigen Abhang, in den kleinsten davon sprang sie hinein, löste die Kette, die ihn dort festhielt, ergriff das Ruder und fuhr schnell mit der Strömung dahin.

Die Dämmerung verdrängte die Schatten der Nacht und der neue Tag zog heiter am wolkenlosen Himmel auf; mit jeder Meile, welche Leonta zurücklegte, wurden ihr die Ufer bekannter; hier war es ein einzelnes Farmerhaus, dort eine hohe Gruppe von Magnolien oder Cypressen, die ihr zeigten, wo sie sich befand, und ihr ankündigten, daß sie sich ihrer Heimath nahe. Heimath? ach, Leonta hatte ja keine Heimath mehr! Wohin sollte sie sich wenden, wohin fliehen, um sich vor ihren Verfolgern zu verbergen? Auf der Farm, wo sie geboren war, konnte sie den wenigsten Trost erwarten, da ihr eigner Vater sie ja verkauft hatte und sicher ihrem neuen Herrn, der sie dort am ersten suchen mußte, wieder ausliefern würde. Die Wälder waren ihr einziger Trost, reife Früchte gab es dort im Ueberfluß und schnell lenkte sie das Boot an das östliche, dicht bewaldete Ufer, um sich in dem Dickicht zu verbergen. Sie stieg an das Land, stieß den Nachen in die Strömung zurück, damit er ihre Spur nicht verrathe, und blickte ihm mit thränenvollem Auge nach. Sie befand sich hier noch mehrere Meilen von ihres Vaters Wohnung entfernt, aber auch die Nähe des Flusses war ihr schrecklich, denn hier mußte das fürchterliche Schiff wieder herunterkommen und seine Bewohner folgten ihm vielleicht auf dem Ufer, um nach ihr zu suchen. Sie eilte landeinwärts von dannen, stillte ihren Hunger während ihrer Flucht mit den Früchten des Waldes und sank, als der Tag sich neigte, entkräftet unter einem Baume nieder.


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