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Die Quadrone

I.

Der Himmel, der sich beinahe das ganze Jahr hindurch rein und durchsichtig blau über dem Golf von Mexico, dem schönsten Gewässer der Erde, wölbt, war an einem Oktobertage mit schweren Wolken bedeckt, die gegen Abend immer eiliger und immer niedriger vor dem heftigen, rasch an Gewalt zunehmenden Wind über die Wogen hinjagten und das Tageslicht in ein schauerliches Düster verwandelten. Die See ging hohl, die Wellen waren wie zu Bergen angewachsen und warfen ihren weißen Schaum zischend in die jähen Schlünde hinab, die sich zwischen ihnen aufthaten.

Ein kleines Schiff mit nur einem Mast, an welchem das ungeheure Segel, welches den Amerikanischen Schooner bezeichnete, bis zu seiner Mitte heruntergelassen und durch Zusammenbinden um die Hälfte verkleinert war, kämpfte gegen die Macht der Elemente, schoß bald jählings in die Tiefe hinunter, als wollte es sich unter dem nächsten Wasserberg begraben, und schwebte bald wieder von Schaum umsprüht auf dem Gipfel der nächsten Woge.

Der Seemann, der über der kleinen Kajüte am Ruder stand und das Schiff in seinem verzweifelten Laufe lenkte, war ein kräftiger, aber nicht großer junger Mann, dessen blitzende schwarze Augen den heranrollenden, Gefahr drohenden Wogen kühn und trotzig entgegensahen. Bald links, bald rechts stemmte er seine ganze Kraft gegen das Steuer, um mit der Spitze seines Fahrzeuges den Wellen zu begegnen. Er hatte Hut und Rock von sich geworfen, der Wind wühlte in den weiten Ärmeln seines weiß und roth gestreiften Hemdes und umsauste seine kräftige nackte Brust, während seine glänzendschwarzen Locken sein Haupt wild umwehten.

Zwischen dem Pfeifen und Rasseln des Sturmes in dem Tauwerk des Schiffes wurden wiederholt Klagelaute, Jammertöne und Methodistenhymnen hörbar, die aus dem untern Raum des Fahrzeuges hervorschallten, in welchem zu beiden Seiten an den hölzernen Wänden eine Reihe von Negern mit Ketten angeschlossen war. Kein Lichtstrahl drang in diesen Raum, denn alle Oeffnungen und Zugänge zu demselben waren dicht geschlossen, das gewaltige Arbeiten und rasche Herüber- und Hinüberschwanken des Schooners aber, so wie das Donnern und Krachen, mit welchem sich die Wogen gegen dessen Seiten warfen, ließ die dermaligen schwarzen Bewohner dieses finstern Aufenthalts die Lage vermuthen, in der sich das Fahrzeug befand.

»O Lord, have mercy!« (»O Gott, habe Erbarmen«) »Jesus Christ, save us!« (»Jesus Christus, errette uns«) jammerten und stöhnten die Sclaven und klammerten sich fest aneinander, denn mit jedem neuen Wellenschlag erwarteten sie, die Wände durchbrechen und das Wasser hereinströmen zu sehen.

Der Sturm zog vom Weltmeer über Florida her dem Schiff entgegen, denn dieses strebte der Küste jenes Landes zu und mußte, um dieselbe zu gewinnen, auf und nieder laviren.

»Zieht das Segel etwas höher auf!« schrie der Mann am Steuer den Leuten, die bei dem Maste standen, durch den Sturm zu und warf sich mit aller Gewalt gegen das Ruder, um das Schiff möglichst scharf gegen den Wind zu bringen.

»Wir segeln in den Grund, wenn wir mehr von dem Segel sehen lassen, Herr Weston!« antwortete der Steuermann.

»Verdammt, so gehen wir zusammen zur Hölle – auf mit dem Segel!« schrie Weston wieder und stampfte wüthend mit dem Fuß auf den Boden.

»O Lord – O Jesus Christ!« jammerte es unten im Schiffsraume, während die Matrosen sich an das Tau hingen und mit ihrem monotonen »O – hio« das Segel höher zogen.

Das Schiff, jetzt mehr der Gewalt des Windes preisgegeben, neigte seinen hohen Mast weit über die See hinaus und jede neue Welle stürzte ihren Schaum zischend über sein Verdeck, doch Weston hielt es mit eiserner Faust gegen die Fluth an und spähte von jedem Wogengipfel nach der Küste von Florida hinüber, die jetzt deutlich aus der See auftauchte.

»Laßt das Segel los, um das Schiff zu wenden, mit dem nächsten Umlegen müssen wir die Bucht gewinnen!« rief er dem Steuermann zu; wenige Augenblicke später flatterte das Segel schlagend und prasselnd hin und her; Weston wandte das Fahrzeug mit der Spitze durch den Wind, und kaum faßte derselbe von der andern Seite in das Leinen, als er es mit solcher Gewalt über die See hinabdrückte, daß die Wellen darüber schlugen und das Schiff auf die Seite fiel.

»God dam!«- hörte man Weston schreien, indem er sowie die Mannschaft sich hier und dort festklammerten, um nicht von der See, die jetzt über das Schiff hinrollte, mit hinweggerissen zu werden.

In der nächsten Minute aber erhob sich der Mast wieder aus den Wogen hervor und der Schooner stürmte nun parallel mit der Küste über die Fluth hin.

An dem Strand von Florida erhoben sich zu beiden Seiten einer schmalen Bucht, welche sich an der Mündung eines Flusses bildete, Baumgruppen von himmelhohen Fichten, dem Ueberrest des Waldes, der auf diesen Ufern der Axt der Amerikaner hatte weichen müssen und, zu Bauholz und Brettern geschnitten, in die Häfen anderer Staaten von Amerika gewandert war.

Hinter diesen Baumgruppen, die man absichtlich verschont hatte, damit sie den vielen Küstenfahrzeugen, welche diesen Fluß besuchten, als Wegweiser dienen sollten, hob sich das Land hoch über den Spiegel des Golfs, und weiterhin, wo der Fluß eine scharfe Biegung von Norden her machte, stand ein einzelnes Blockhaus an dessen rechter Seite, welches die Aussicht weithin über die See beherrschte. Riesenhafte Bananen streckten ihre ungeheuern Blätter wie schützende Hände über dasselbe aus, und ein Wald von Orangen-, Citronen- und Granatbäumen stieg hinter dem Gebäude und dem Baumwollenfeld an dessen rechter Seite auf, während an seiner linken das Ufer steil nach dem Fluß hinabschoß.

Vor dem Haus, an einen Pfeiler der weinumrankten Veranda gelehnt, stand ein großer breitschulteriger Mann in einem grauen Rock und mit einem grauen Filz bedeckt, hielt seine Blicke auf die See gerichtet und hob von Zeit zu Zeit ein Fernglas vor sein Auge, um den Bewegungen eines Schiffes zu folgen, welches seine Aufmerksamkeit gefesselt hielt.

»Wenn der Bursche dort unsere Bucht glücklich erreicht, so will ich es loben, denn hierher steuert er, das ist sicher,« sagte er, nachdem er wieder durch das Glas gesehen hatte, zu einer Frau, welche viel jünger als er zu sein schien und hinter ihm unter der Veranda beschäftigt saß, Baumwolle zu hecheln.

»Jetzt dreht er das Schiff durch den Wind; das geht nimmermehr gut. – Sagte ich es nicht? – Bei Gott, er ist umgeschlagen! Gute Nacht, Mannschaft!« rief der Mann, die Frau ließ die Hecheln auf den Boden fallen und sprang mit dem Ausruf: »Ach, guter Gott, die armen Menschen!« an die Seite des Mannes, um auch nach dem verunglückten Fahrzeug auszusehen; aber nirgends konnte man zwischen den übereinander hinstürzenden Fluthen einen Gegenstand erkennen.

»Nein, nein, dort ist das Segel wieder, noch ist das Schiff nicht verloren!« rief die Frau plötzlich, indem sie mit beiden Händen in die See hinaus zeigte, und setzte dann mit einem tiefen Athemzug hinzu:

»Gott sei gelobt!«

Dann zog sie ihr Umschlagetuch, welches der Sturm ihr von den Schultern gerissen hatte, wieder um sich und trat unter die Veranda zurück, wo sie mehr vor demselben geschützt war. Sie setzte sich aber nicht wieder zur Arbeit nieder, sondern blieb an dem Eingang des Hauses stehen und blickte nach dem Segel, welches bald über die Wogen schoß, bald wieder von ihnen verschlungen zu sein schien. Sie war die Frau des Mannes in dem grauen Rock, welcher Crawford hieß und diese Farm als Eigenthum besaß. Als junger Mann war er mit einer schönen Mulattin und einem kräftigen Feldneger, die beide ihm als Erbtheil nach seines Vaters Tode zugefallen, aus den nördlichen Staaten hierher gezogen und hatte mit ihrer Hülfe dies Haus erbaut und diese Felder und Anlagen aus einem Urwald geschaffen. Wie es in den sämmtlichen Ländern Amerika's so häufig der Fall ist, hatten er und die Mulattin als Mann und Frau gelebt, sie hatte treulich und fleißig sein Hauswesen besorgt und ihn mit einer Tochter beschenkt, welche sie Leonta genannt hatten. Vor sechs Jahren war ihm die Mulattin durch den Tod entrissen worden, und da sein Kind derzeit noch nicht elf Jahr alt war und seinem Haushalt noch nicht vorstehen konnte, so hatte er sich nach einer weißen Frau umgesehen und seine jetzige unter den vielen Nachbarfamilien, die sich seit seinem ersten Ansiedeln hier in der Umgegend niedergelassen hatten, gefunden. Sie war eine wirthschaftliche, fein gebildete und sehr verständige Frau, hatte ihm eine Tochter geboren, die jetzt wenig über vier Jahr alt war und Anna hieß, zugleich aber der Quadrone Leonta, freilich den Gebräuchen des Landes zuwider, mit wahrer mütterlicher Liebe sich angenommen und ihr nach besten Kräften eine gute, fromme Erziehung ertheilt. Allerdings konnte sie, nachdem Leonta zur blühenden Jungfrau herangewachsen war, wenn Fremde das Haus betraten, die Macht des Vorurtheils gegen das afrikanische Blut nicht bekämpfen und mußte dieses Kind ihres Mannes von dem Tisch, ja von dem Sitz in der Stube entfernt halten, obgleich ihr oft das Herz blutete, wenn sie das Mädchen mit einer Thräne im Auge ihrem Wink Folge leisten und das Zimmer verlassen sah. Schon als Kind war Leonta so ungewöhnlich reizend und lieblich und verrieth eine so hohe geistige Begabung, daß sie von den Nachbarn gern gesehen und oft zu deren Kindern als Gespielin· geholt worden war, denn die Sclavenkinder werden meist in den Wohnungen ihrer weißen Herrschaften groß gezogen, dienen ihnen zur Unterhaltung, ihren Kindern zu Gespielen und müssen schon, wenn sie noch kaum ein Glas oder einen großen Fächer halten können, gelegentlich einen frischen Trunk holen oder die Fliegen verscheuchen.

Jetzt siebenzehn Jahr alt, war das Mädchen ein Bild der Schönheit, Anmuth und Liebenswürdigkeit, wie Florida selbst unter den Weißen kein zweites aufzuweisen hatte: groß und schlank, doch dabei voll und üppig gebaut, graziös und elastisch in allen ihren Bewegungen, bescheiden und anspruchslos in all' ihrem Thun. Sie fühlte ihre geistige und körperliche Ueberlegenheit über ihre weißen Mitschwestern und wußte nur zu gut, daß ihre Vorzüge, die ihr als Kind so viel Liebkosungen verschafft hatten, ihr jetzt nur Neid und Mißgunst zuziehen und das Vorurtheil gegen ihre leicht-gelb gefärbte Haut um so härter gegen sie auftreten lassen würden. Sie vermied in ihrer Kleidung, im Ordnen ihres wundervollen schwarzen Lockenhaares alles Auffallende, ja sie schlug oft die großen, dunkeln, langbewimperten Augen nieder und verbarg deren wunderbaren Glanz, um nicht Andere damit zu überstrahlen. Hatte sie eine weiße Rose oder eine Granatblüthe in ihre glänzenden Locken geflochten und es nahten sich Fremde dem Hause, so entfernte sie schnell die Blume und erschien nur dann vor ihnen, wenn ihre Pflegemutter sie dazu aufforderte. Dabei hing sie mit seelenvoller Zärtlichkeit und Liebe an dieser, sowie an ihrer kleinen Halbschwester Anna, und hatte eine tiefe Ehrfurcht vor ihrem Vater, der die liebevolle Behandlung, welche ihr von seiner Frau zu Theil ward, wohl geschehen ließ, selbst aber solche Gefühle gegen sie nicht kund that. Die Verachtung und der Fluch, der auf der gelben Haut seiner Tochter lag, traf ihn als Vater mit einem Vorwurf, wo und wie auch von der Quadrone die Rede war. Ihr Wissen und Verstand, sowie ihre Schönheit, ihre Reize steigerten diesen Vorwurf noch, denn was für eine Zukunft gab es in diesem Lande für eine Farbige von so seltenen Eigenschaften!

Dennoch gab er ihr seinen Unmuth darüber niemals, weder durch Worte, noch durch Handlungen zu erkennen, hatte sie aber schon von Kind auf daran gewöhnt, daß sie ihre natürliche Zärtlichkeit und ihre Liebkosungen nicht an ihn richtete, und daß sie ihn niemals Vater, sondern immer »Herr Crawford« nannte. Er war überhaupt ein kalter, in sich verschlossener Mann, der wenig Theilnahme für Menschen und Welt verrieth und mit sich selbst zerfallen schien, weil er trotz der vielen Jahre, die er hier zugebracht, doch nicht zum reichen Manne geworden war. Der Neger Sam, den ihm sein Vater hinterlassen, und der den größten Theil der Arbeit auf dieser Farm gethan hatte, war immer noch der einzige, den er besaß, und der Erlös aus der jährlichen Baumwollenernte überstieg noch nicht den Betrag der notwendigsten Gegenstände, die er während des Jahres bei den Kaufleuten in der Umgegend auf Rechnung nahm. Er selbst arbeitete wenig, und sein sandiges Land, von Anbeginn karg und unergiebig, war durch die vielen Ernten vollends ausgesogen, und im Vergleich zu andern Ländereien in der Umgebung kaum noch des Bearbeitens werth. Seinem Viehstand hatte er niemals, die Zeit gegeben, bedeutend zu werden, sondern immer den jungen Anwuchs geschlachtet, weil in den ersten Jahren seiner Niederlassung, als die Gegend noch großen Ueberfluß an Wild besaß, es ihm zu mühsam erschien, auf die Jagd zu gehen, und er in spätern Zeiten, als das Wild in seiner Nähe nur noch spärlich vorkam, mit seinem Fleischbedarf ganz auf seinen Viehstand angewiesen war. Anstatt selbst das fette Kienholz, womit er sein Land reichlich bedeckt fand, zu fällen und als Bauholz oder zu Dielen geschnitten in New-Orleans für einen hohen Preis zu verwerthen, verkaufte er es an neue unternehmende Ankömmlinge auf dem Stamme für eine Kleinigkeit und sah später, daß diese Leute wohlhabende Nachbarn von ihm wurden. Sogar sein Stück sandiges Land hatte er sich aus dem Grunde der leichtern Bearbeitung gewählt, als es ihm noch auf fünfzig Meilen Weges frei stand, den kräftigsten und schwersten Boden auszusuchen. Jetzt freilich war es zu spät, alle diese Fehler wieder gut zu machen, und das Gefühl, daß seine eigne Schuld ihn so weit hinter seine Nachbarn zurückgesetzt hatte, ließ ihn mit sich selbst und mit der Welt zerfallen.

Nicht, um das Schicksal des Schiffes zu verfolgen, welches mit der tobenden Fluth kämpfte, war er heute hinaus vor das Haus getreten, sondern weil er gern die Natur in ihrem Zorn betrachtete, die so mehr mit seiner Seelenstimmung in Einklang war, als wenn sie ihm die Pracht, die Herrlichkeit, die sie um ihn geschaffen hatte, im goldnen Sonnenlichte zeigte; der Sturm, wie er sein Haar zerzauste und sich um seines Körper preßte, that ihm wohl, und ohne Theilnahme für die Schiffer blickte er nach dem Segel, dem jede Sturzwelle das Grab zu bereiten drohte.

»Jetzt hat er wieder das Schiff glücklich durch den Wind gebracht, und denkt wahrscheinlich, diesmal die Bucht hier zu gewinnen; die Brandung aber kennt er wohl nicht, und außerdem wird es Nacht geworden sein, ehe er sie erreicht,« sagte Crawford nach langem Schweigen, nahm das Fernglas wieder von den Augen und schritt dann zu seiner Frau näher unter die Veranda, wo er sich auf deren Stuhl niedersetzte.

»Das Schiff wird wohl wieder eine neue Familie bringen, die sich hier ansiedeln will,« fuhr er nach einer Weile fort; »es sollte mich gar nicht wundern, wenn es ein Speculant wäre, der die verlassene Farm des verstorbenen Henderson dort drüben an der andern Seite des Flusses zu kaufen beabsichtigte. Die verwaisten, unmündigen Kinder Hendersons sind bei seinen Verwandten untergebracht und die Farm soll mit sechs Negern meistbietend verkauft werden. Sein Viehstand ist schon zu Geld gemacht. Es ist der beste und reichste Platz in der ganzen Gegend, und als ich hierher zog, hätte ich mir das Stück Land ebensogut wählen können, wie diesen verdammten hungrigen Sandboden.«

»Wer weiß, lieber Crawford, ob Du dort so gesund geblieben wärest, wie hier? Erst starb die Frau Hendersons, die Kinder waren niemals recht gesund und nun hat ihn selbst der Tod ereilt. Der Fieberstoff wird von dem Wasser her durch die Luft immer nach den Höhen hinaufgetragen, während man an dem Flusse selbst, gesund bleibt. Du weißt, die Familie wurde ja das Fieber niemals los,« sagte Madam Crawford tröstend zu ihrem Manne und legte ihre Hand auf seine Schulter.

»Fieber, oder nicht Fieber, dort wären wir reich geworden. Für siebentausend Dollars wird die Farm sammt den Negern zu haben sein. Aber wo bekomme ich siebentausend Dollars?« erwiederte der Mann, finster vor sich hinblickend.

»Und wenn es uns nun so ginge wie Hendersons, und Deine Kinder würden zu fremden Leuten gethan, denke nur, was würde aus der armen Leonta werden?« sagte die Frau beschwichtigend.

Bei dem Namen der Quadrone stand Crawford rasch auf, schob die Hände in die weiten Taschen seines Rocks und trat wieder vor die Veranda in den Sturm, von wo aus er, sich halb nach seiner Frau umwendend, sagte:

»Was kann aus Der überhaupt werden?«

In diesem Augenblick erschien die Quadrone in dem Eingang des Hauses mit der kleinen Anna auf den Arme, die den schlanken, schönen Hals der Halbschwester zärtlich umfangen hielt und ihr Gesichtchen in deren reichen Locken verbarg. Ein leichtes, kurzes, gelbes Gewand umschloß Leonta's schönen Körper, ließ aus seinen weiten offnen Aermeln ihre vollen zarten Arme hervorsehen und ward durch eine rothe Schnur über ihren breiten Hüften um ihre schlanke Taille zusammengehalten. Mit einem süßen Lächeln neigte sie ihr liebliches Gesicht seitwärts zu der Kleinen nieder und sagte, indem sie mit der zierlichen Hand nach der See hinaus zeigte und ihre großen dunkeln Augen dorthin richtete:

»Komm, Anna, Du sollst die See sehen, wie sie zürnt; schau nur, wie die Wellen toben und ihren Schaum um sich werfen. Ach dort – da ist ja ein Schiff – es kommt hierher, siehst Du es, Anna?«

So unbedeutend nun die Ueberraschung sein konnte, ein Schiff zu erblicken, so erglänzten doch bei diesen Worten die Augen der leicht erregten Quadrone mit einer auffallenden Lebendigkeit, und zwischen ihren vollen, frischrothen Lippen wurden ihre alabasterweißen Zähne sichtbar.

»Mein Gott, wie das Schiff von den Wogen geworfen wird, wenn es nur unsere Bucht glücklich erreicht!« fuhr sie zu Madam Crawford gewandt fort, während der Schooner, von dem Wind, gegen den er ansegelte, tief auf die rechte Seite geneigt, rasch über die Fluth heraneilte.

Am Fuße der Farm, wo diese von der See begrenzt wurde, brachen sich die ununterbrochen herantobenden Wogen donnernd an den Felsen, stiegen brausend vor dem Sturm gegen den Himmel auf, überschlugen sich schäumend und zischend und stürzten rückwärts über die ihnen folgenden Wellen. In die Bucht aber jagten sie, sich zusammenpressend, hinein, und schlugen mit ihren weißen Häuptern zusammen, so daß in dem ganzen Raum zwischen den links und rechts aufsteigenden Ufern der fliegende Gischt in Massen hoch aufsprühte.

Hierher war jetzt die Spitze des Schiffes gerichtet, und Weston stemmte sich mit rasender Gewalt gegen das Ruder, um den schmalen Eingang der Bucht zu gewinnen, der ihm durch die über den Schaumwolken der Wogen zum Himmel aufstrebenden Fichten bezeichnet wurde.

Nur noch eine ungeheure Welle rollte zwischen ihm und der Brandung, die sich von beiden Seiten her in die Bucht stürzte; auf der folgenden kam das Fahrzeug herangeflogen, sie hob es hoch auf ihrem Haupte dem Strudel zu und stürzte sich donnernd mit ihm hinab in das weiße Schaummeer.

Ein Angstschrei ertönte von Madam Crawfords und Leonta's Lippen zugleich, denn das Schiff war verschwunden, und nur noch einmal tauchte der kleine dreifarbige Wimpel aus dem über die Bucht fliegenden Gischt auf.

»Er ist glücklich herein; ich will doch sehen, ob er neue Ansiedler an Bord hat, « sagte Crawford und schritt um die Wohnung herum nach dem Fußpfad, der von der hintern Thür zu der Biegung des Flusses führte, während sich seine Frau in das Haus begab. Leonta blieb mit der kleinen Anna auf ihrem Arm unter der Veranda stehen und hielt ihre Blicke in die stürmische See hinaus gerichtet, denn sie liebte, die Natur in der Größe ihrer Leidenschaft zu sehen, und der Golf hatte in seinem Kampfe mit dem Sturm mehr Begeisterndes für sie, als in seiner Ruhe, wenn er die Sonne mit seinen grünen Wellen spielen ließ.

Kaum hatte Crawford das Ufer erreicht und sah auf den Fluß hinab, als das Schiff um die scharfe Biegung desselben aus der Bucht geschossen kam und dem Fußpfad gegenüber von dem Anker, den die Matrosen über Bord schießen ließen, in seinem Lauf aufgehalten wurde. Das Segel war eingezogen, Weston ließ das kleine Boot, welches hinter dem Schiff über dem Kajütenfenster hing, auf das Wasser hinab und gewann in demselben mit wenigen Ruderstößen das Ufer.

»Eine nasse Fahrt, Herr Crawford!« rief er diesem zu, während er das Boot befestigte.

»Und eine verzweifelte Fahrt, Herr Weston,« erwiderte Crawford, »hättet Ihr die Bucht nicht getroffen, so hätte Euch kein Herrgott von den Felsen zurückgehalten; Ihr wäret mit Mann und Maus an ihnen zerschellt worden.«

»Wäre schade für die schönen Schwarzvögel gewesen, die ich an Bord habe. Ich sage Euch, etwas Ausgezeichnetes. Wie ist es, könnt Ihr immer noch kein Geschäft mit mir machen? Ich kann Euch diesmal mit Männern und Weibern von der besten, fruchtbarsten Race dienen,« sagte Weston, als er das Ufer erstiegen und Crawford die Hand reichte.

»Ich wollte, Ihr könntet die Fruchtbarkeit auf mein Land übertragen, dann würden wir auch bald einen Negerhandel machen können. So aber wühle ich Jahr auf Jahr ein in dem Sande und gewinne kaum genug, um meine Schulden zu bezahlen, die ich bis zur Erntezeit gemacht habe. Dies Jahr war wieder schlechter als die frühern, es ist kaum noch der Mühe werth, in das Feld zu gehen und Baumwolle zu pflücken, während meine Nachbarn, wenn sie am Abend die Stauden rein gerupft haben, dieselben am folgenden Morgen wieder mit einer weißen Decke überzogen finden. Aber tretet näher, Weston und nehmt ein Glas Whisky zu Euch, Ihr seid ja naß, wie eine Katze.«

»Werde schon wieder trocken werden; ein Glas Whisky aber schlage ich nicht aus. Ich wollte doch nicht bei Euch vorübergehen, und sehen, ob Ihr vielleicht einen Neger nöthig hättet, « antwortete Weston und trat mit Crawford in das Zimmer in dem Augenblick, als Leonta von der andern Seite her durch die Thür hereinschritt. Sie sah den Fremden überrascht an, setzte Anna nieder und verschwand sofort wieder durch den Eingang.

Dem scharfen Auge des Sclavenhändlers war sie aber nicht entgangen, und kaum hatte sie die Thür hinter sich geschlossen, als er zu Crawford sagte:

»Ihr klagt über die Dürre Eures Landes und über Mangel an Geld, und haltet solche Luxusartikel? Ist die Quadrone Euer?«

»Sie ist mein!« war Crawford's halblaute Antwort.

»Verkauft sie mir, ich gebe Euch so viel tausend Dollars für sie, als der beste Feldneger Hunderte werth ist.«

»Ich kann sie nicht verkaufen.«

»Kann! und sie ist Euer Eigenthum?«

»Werde sie nicht verkaufen,« sagte Crawford und sah, wie in Gedanken verloren, nach der Thür, durch welche Leonta verschwunden war.

»Ihr könntet Euch ein schönes Stück Land und die Neger, es zu bearbeiten, dafür anschaffen; und doch werdet Ihr sie nicht verkaufen? Besser, Ihr überlegt die Sache ruhig. Ich gehe jetzt den Fluß hinauf, um einen Theil meiner Ladung an den Ort ihrer Bestimmung zu bringen, dann komme ich hierher zurück, ehe ich auf dem westlichen Arm des Flusses hinauf segle, wo ich auch noch eine Anzahl Schwarzlinge abzuliefern habe; der Zusammenfluß der beiden Gewässer ist ja nicht fern von hier. Und nun auf Eure Gesundheit und auf einen Handel,« sagte Weston, indem er ein Glas mit Whisky füllte und, es zu dem Munde führend, sich gegen Crawford verbeugte.

Auch dieser leerte ein Glas in Erwiderung und dann begleitete er Weston zurück nach dem Ufer, weil derselbe sich nicht länger halten lassen wollte. Bald hatte der Sclavenhändler sein Schiff wieder erreicht, das Segel wurde abermals entfaltet, der Anker aufgewunden und rasch glitt das Fahrzeug scharf bei dem Wind den Fluß hinauf, bis es vor Crawfords nachschauenden Blicken verschwand. Dieser aber schien es nicht zu bemerken, daß es schon die ferne Landspitze verbarg, denn seine Augen hielt er immer noch durch die Dämmerung dorthin gerichtet, und stand, mit den Händen in den Rocktaschen, nach wie vor unbeweglich und träumend da, als die Nacht sich schon dunkel über die Erde gelegt hatte. Auch in seinem Innern war es Nacht geworden und finstere Bilder durchzogen sein Gehirn. Er sah in Gedanken die mit Baumwolle bedeckten reichen Felder seines verstorbenen Nachbars vor sich, er sah sie aber nicht im Sonnenlicht, es lag ein todtes Düster über ihnen ausgebreitet, er erblickte eine Schaar von Negersclaven, die seinem Wink gehorsam Folge leisteten, sie hatten aber ernste, finstere Mienen, wie Unheil verkündende Boten, und dann stand plötzlich Leonta vor ihm, nicht, wie bisher, mit Lieblichkeit, seelenvoller Anhänglichkeit und Ehrfurcht zu ihm aufblickend, sondern mit einem strengen, ja entsetzlichen Ausdruck des Vorwurfs auf ihren Zügen. Der Sturm sauste klagend durch die hohen Fichten und beugte sie ächzend zu ihm herüber, der Wind wühlte in den Riesenpflanzen des Ufers, schlug deren kolossale Blätter prasselnd gegeneinander, und der Donner der Brandung rollte ununterbrochen fort über das Küstenland den fernen Höhen zu; aber Crawford hörte all die schauerlichen Accorde der Nacht nicht, er hörte nur immer noch die Worte des Sclavenhändlers, und dachte darüber nach, wie viele hundert Dollars der beste Feldneger werth sein könnte.

»Herr Crawford, wenn es Ihnen gefällig wäre zum Abendessen zu kommen,« sagte plötzlich eine wohlbekannte Stimme zu ihm, die ihn schon tausendmal zu Tisch gerufen hatte, die ihn aber heute erschreckte und ihn unwillkürlich zusammenfahren ließ. Es war die süße Stimme Leonta 's.

Crawford sah nicht nach seinem Kinde hin und schritt voran dem Hause zu, wo in dem Wohnzimmer das Kaminfeuer lustig und knisternd aufflackerte und das Zimmer hell erleuchtete. Er trat an den Tisch, setzte sich, mit dem Rücken dem Feuer zugewandt, an demselben nieder, seine Frau und Anna nahmen gleichfalls Platz, Leonta trug das einfache Mahl; auf und schenkte den Kaffee ein. Dann setzte auch sie sich nieder, um ihr Abendbrot zu verzehren; Crawford vermied aber in auffallender Weise, ihrem Blick zu begegnen. Leonta hatte die kleine Anna zur Ruhe gebracht, und sie selbst, sowie auch ihre Pflegemutter waren schon längst zu Bett gegangen, als Crawford noch aus einer kleinen Pfeife rauchend vor dem Kamin saß und in die Kohlengluth des niedergebrannten Feuers blickte, während der Wind die Schindeln des Daches rasseln ließ und von Zeit zu Zeit durch den Lehmschornstein in die Kohlen blies, daß die Asche in die Stube flog.


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