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Erstes Kapitel

Der einsame Reiter. Die Wilden. Friedrichsburg. Das Morgenständchen. Die Liebenden. Der Major. Die beiden Kriegskameraden.

 

Dunkle Nacht lag auf Texas, doch der Himmel war wolkenleer, und die Sterne blitzten und funkelten mit ungewöhnlicher Pracht.

Es war schon nach Mitternacht, als ein Reiter auf der Straße hinritt, welche sich von der deutschen Colonie, der Stadt Braunfels, hundert Meilen weit in nördlicher Richtung über die kahlen Kalkgebirge durch eine gänzlich unbewohnte Wildniß nach der zweiten deutschen Niederlassung, der ganz neu erstandenen Stadt Friedrichsburg, hinzog und dort ihr Ende erreichte. Der Reitersmann hatte seinem Pferd den steilen Berg hinan Zeit gelassen, doch als er die Höhe erreichte, setzte er es in scharfen Trab, denn wohl eine Meile weit zog sich die Straße nun ziemlich eben auf derselben hin. Wie eine schwarze Silhouette eilten Roß und Mann flüchtig auf dem Bergrücken fort, und des Hengstes Hufschläge schallten aus dem harten Gestein laut durch die todtstille Nacht. In ununterbrochenem Trabe hatte der Reiter den Abhang erreicht, wo die Straße sich wieder steil in das Thal hinabwand, und indem er das Pferd in Schritt fallen ließ, klopfte er ihm liebkosend den steinfesten Nacken. Er legte ihm den Zügel auf den Hals, nahm seinen breitrandigen Filzhut ab und strich sich mit der Rechten durch das Haar, denn es war sehr warm, und nur auf der Höhe der Berge war ein leicht kühlender Luftzug zu bemerken. Dann nahm er eine kleine Pfeife aus der Brusttasche seiner Lederjacke hervor, füllte sie mit Taback, und hielt nun sein Roß an, um die Pfeife anzuzünden.

Er hatte den Schwamm auf den Stein gelegt und einige Schläge mit dem Feuerstahl gethan, als er plötzlich damit innehielt und für Augenblicke mit verhaltenem Athem nach dem Thale vor sich hinunterlauschte, dann aber, wie zu einer sichern Ueberzeugung gekommen, rasch Pfeife und Feuerzeug verbarg, die Zügel verkürzte, und zugleich die Hand mit denselben auf die Doppelbüchse drückend, die hinter dem Sattelknopf über seine Schenkel lag, dem Hengste die Sporn gab, und den Berg hinab dem Thale zusprengte.

Immer deutlicher hörte er jetzt vor sich zu seiner Rechten die eiligen Hufschläge vieler flüchtiger Rosse, die unbezweifelt aus einem Nebenthale der Straße zujagten. Er hatte die Tiefe erreicht, wo der Weg zwischen den Gebirgen mehrere Meilen weit in der Ebene hinführte, und gab jetzt seinem flüchtigen Roß die vollen Zügel und zugleich die Sporn, um den von der Seite heranjagenden Reitern, die er mit jedem Augenblick der Straße näher hörte, zuvorzukommen. Dabei hielt er seinen durch die Finsterniß spähenden Blick nach den noch unsichtbaren Reitern hin gerichtet, und immer zweifelhafter schien es ihm, ob er, oder sie die Stelle zuerst erreichen würden, wo sie auf die Straße gelangen mußten.

Unter Sporn und Peitsche schoß der Hengst dahin, da erkannte der Reiter die dunkeln Gestalten, die in fliegendem Laufe jetzt heransprengten, um ihm den Weg abzuschneiden, noch einmal stach er sein Pferd in die Flanken und zog zugleich einen Revolver aus dem Pistolenhalfter hervor. In demselben Augenblick hatte die fremde Schaar die Straße bis auf kurze Entfernung erreicht, ließ das furchtbar gellende Kriegsgeschrei der Indianer ertönen, und sandte einen Hagel von Pfeilen nach dem fliehenden Reiter her. Dieser aber hatte den Wilden den Vorsprung abgewonnen, im Dahinstürmen feuerte er zwei Revolverschüsse nach ihnen zurück, und nun ging die Jagd in donnernder Carrière auf der Straße vorwärts, der einzelne Reitersmann voran, und die Schaar der Wilden ihm nach.

Der Fliehende mußte ein guter Reiter sein, denn kaum hatte er die Entfernung zwischen sich und seinen Verfolgern über Schußweite vergrößert, als er seinen Hengst zur Ruhe sprach, ihm den Nacken klopfte, und sich selbst leicht und hoch in dem Sattel hob, um dem an scharfe nächtliche Ritte gewohnten Thiere die Bürde zu erleichtern, und dasselbe nicht durch unnötiges Uebereilen zu verhindern, sich den sichersten Weg auf der Straße zu wählen. Die Schnelligkeit des Hengstes aber blieb demohngeachtet eine so große, daß er von Minute zu Minute die Verfolger weiter hinter sich zurückließ. Sein Herr schien dieselben auch wenig mehr zu beachten, sondern hielt Auge und Ohr mit größter Spannung vor sich hin gerichtet, als fürchte er, daß das ununterbrochen wilde, weit durch die Gebirge schallende Kriegsgeschrei hinter sich von vorn her beantwortet werden möchte. Doch vor ihm blieb es stumm und still, und nur das Echo gab die Schreckenstöne wieder, die hinter ihm ertönten.

Er hatte den Fleck erreicht, wo die Straße sich abermals steil erhob, und hielt jetzt sein Roß zum Schritt an, indem er sich ruhig in seinem Sattel umwandte, und nach seinen Verfolgern zurücklauschte, die noch über eine halbe Meile von ihm entfernt waren.

Du armer Carlos, Dich so zu hetzen, sagte er beruhigend zu dem edlen Thiere, und klopfte ihm liebkosend Hals und Gruppe, nur gut, daß sie Dich nicht mit ihren Pfeilen getroffen haben.

Dabei trieb er aber doch das Pferd mit den Waden zu lebhafterem Schritte an, welches der Aufforderung, laut durch seine Nüstern blasend, willig folgte.

Sieh einmal, sagte der Reiter plötzlich, die Lumpe haben mir wahrhaftig einen Pfeil beigebracht, doch nur in den Pistolenhalfter, wobei er das Geschoß, welches seitwärts in der Decke von Bärenfell stak, mit einiger Schwierigkeit herauszog.

Den will ich doch als Andenken mitnehmen, fuhr er dann fort, und schaute sich zugleich nach seinen Verfolgern um, die ihm wieder näher kamen, und den Fuß des Berges erreicht hatten, während er selbst der Höhe nicht mehr fern war.

Komm, Carlos, sagte er nun abermals zu seinem Pferde, indem er die Zügel anzog, worauf dieses sofort in Galopp ansprengte, und nach wenigen Augenblicken den Bergrücken erreichte, auf dem es jetzt wieder flüchtig dahin sauste.

In das nächste Thal gelangte der Reiter, ohne noch einen Ton von den Wilden zu vernehmen, und folgte nun in größter Ruhe der Straße, die ihn nach einem breiten dichten Waldstreifen und in demselben bald an das Ufer des rauschenden Flusses Pierdenales führte. Hier stieg er ab, ließ den Hengst seinen Durst stillen, und erfrischte sich selbst durch einen Trunk aus dem klaren kalten Gebirgswasser.

Eine Todtenstille lag auf der Gegend, nur das Brausen der Wellen, die sich nahe unterhalb der Furt über mächtige Felsblöcke stürzten, und das ferne Jubelgeheul jagender Wölfe unterbrach die heilige Ruhe der Nacht. Die Dunkelheit hatte sich vermindert, und man konnte die schlanken Stämme der himmelhohen Pecannussbäume auf dem Ufer erkennen, durch deren über den Fluß geneigte Wipfel die Sterne in die dunkle Fluth herabblickten, und sich wie tanzende Lichter in ihr spiegelten.

Noch einmal lauschte der Reiter zurück, dann hob er sich wieder in den Sattel, durchritt den nicht tiefen Strom, und setzte nun sein braves Thier in ruhigen Trab, denn er fühlte sich hier schon wie zu Hause, da die Stadt Friedrichsburg nur noch eine halbe Stunde von ihm entfernt lag.

Hügel auf, Hügel ab führte der Weg jetzt durch einen ununterbrochenen Wald von einzeln stehenden Schwarzeichen, unter denen der Boden mit üppigem hohem Grase bedeckt war, und in allen Richtungen ertönten bei Annäherung des Reiters die flüchtigen Tritte des vor ihm fliehenden Wildes.

Der Hengst, als wüßte er, daß es nach Hause ging, beeilte jetzt von selbst seine Schritte, so daß der Reiter ihn wiederholt zurückhalten mußte, dennoch war der Weg zur Stadt schnell zurückgelegt und der breite Bach durchritten, an welchem die Schlachterei von Friedrichsburg sich befand.

Jetzt bog der Reiter in die Hauptstraße der Stadt, in die San Sabastraße ein, an deren linker Seite in dem ersten Haus, einem aus Sandstein erbauten, der Colonialdirector, Doktor Schubbert, wohnte. Daneben standen die Vereinsgebäude, und an ihrem Ende schaute eine dort aufgestellte Kanone wie ein drohender Wächter nach der Straße her.

Der Reiter warf im Vorüberziehen einen Blick auf die Wohnung des Directors, und folgte der langen geraden Straße zwischen den kleinen, aus eingezäunten Gärten sich erhebenden hölzernen Häusern bis auf den großen Marktplatz, in dem Mittelpunkt der Stadt. Dann wandte er sich zur Rechten über die Austinstraße nach der Schubbertstraße, und folgte derselben bis an deren letztes Ende. In diesem westlichen Theile der Stadt standen die Häuser noch einzeln, und zwischen ihnen lagen weite offene Grasflächen.

Der Reiter bog um die Einzäunung eines Gartens nach der hintern Seite des hölzernen Hauses in demselben, und stieg dort von seinem Pferde. Er nahm diesem Sattel und Zeug ab, schlug ihm liebkosend auf die Gruppe, und sagte:

So, nun ruhe Dich aus, braves Thier, hast mir einmal wieder meinen Scalp gerettet.

Der Hengst schüttelte sich, rollte sich darauf im Grase, und schritt dann weidend in demselben fort, während sein Reiter Sattel und Zeug unter die Verandah hinter dem Hause trug, und selbst nun in dasselbe eintrat. Nach wenigen Minuten aber schon sprang er mit einer Mandoline in der Hand wieder aus dem Gebäude hervor, und eilte leichten Schrittes über das Gras nach einem weit hin und einsam stehenden Blockhause.

Bei seiner Annäherung an die dasselbe umgebende Pallisadeneinzäunung schallte ihm die zornige tiefe Stimme eines Hundes entgegen, doch als er den Eingang erreichte und die Stacketenthür öffnete, bewillkommnete ihn das mächtige Thier mit freudigen Sprüngen, und wurde von ihm mit Liebkosungen begrüßt.

Der Morgen graute, der bleiche Streif am östlichen Himmel begann sich zu röthen, und der Tag zitterte über die Erde.

Der junge Mann trat leise an die Seitenwand des Hauses unter das kleine Fenster, und ließ nun von den rauschenden Saiten der Mandoline süße, liebliche Accorde zu demselben aufsteigen.

Des Jünglings Name war Rudolph v. Wildhorst, er stand im Alter von achtzehn Jahren, ein Bild kräftiger, lebensfrischer Jugend. Die enganschließende Lederkleidung, die er trug, zeigte seine gedrungene, musculöse Gestalt in ihrem ganzen schönen Ebenmaß, während das Licht des heraufziehenden Morgens seine edlen, von üppigen braunen Locken umwogten Züge beleuchtete und sich auf seinen großen braunen Augen spiegelte.

Das Wettjagen, welches er so eben um sein Leben bestanden, hatte keine Spur auf seinem glückstrahlenden, nach dem Fenster gerichteten Antlitz zurückgelassen, und mit klangvoller männlicher Stimme sang er seinem Liebchen sein Morgenlied.

Kaum waren die ersten Töne seinen Lippen entquollen, als das Fenster sich bewegte, doch erst, nachdem sein Lied verhallte und die Saiten der Mandoline ihm nachrauschten, öffnete es sich rasch, und das Engelsantlitz eines reizend schönen Mädchens mit glänzend schwarzem Haar und dunkelblauen Augen wurde in demselben sichtbar.

Mein Rudolph, rief die Jungfrau in wonniger Ueberraschung, Gott sei gelobt und gedankt, daß Du wieder hier bist. Dabei streckte sie, sich aus dem Fenster zu dem Jüngling niederbeugend, ihm beide Arme entgegen, und er hob sich mit einer Hand an der Fensterbank empor und schlang, seine Lippen in heißem Kusse auf ihren schönen Mund pressend, seinen Arm um ihren schneeigen Nacken.

Meine Ludwina – mein einziges – mein theures Mädchen! sagte er im Uebermaße seines Glückes, und liebkoste, herzte und küßte die schöne Jungfrau mit freudiger, inniger Zärtlichkeit.

Vergiebst Du mir denn auch, daß ich Dich in Deinem süßen Schlafe störte? fragte er lächelnd nach einer Weile, indem er seine Rechte um ihr weiches Kinn legte und ihr in die dunkeln veilchenblauen Augen schaute.

Ach, Du lieber, guter Rudolph, wie danke ich Dir jeden Augenblick, den Du mir durch Deine Nähe versüßest, antwortete Ludwina, den Geliebten fester an sich ziehend, ich schlief ja nicht; ich dachte an Dich, denn das Bellen Leos hatte mich geweckt, und mein erster Gedanke, mit dem ich die Augen öffnete, warest Du, Du, mein Leben!

O, Du Engelswesen wie bist Du gut, wie bist Du herzig, und wie unsäglich glücklich macht mich Deine Liebe, sagte der Jüngling im Drange, seinem Seligkeitsgefühl Worte zu geben, und schmiegte sich verstummend wieder in die Arme der Geliebten. Nach einer kurzen wonnigen Pause aber fuhr er fort:

Komm heraus in die Laube, Ludwina, höre nur, wie der Spötter in der Lebenseiche schon singt; der Morgen ist so reizend – komm heraus; wecke aber Deinen guten Vater nicht.

Gleich bin ich bei Dir, Rudolph, antwortete das Mädchen in glücklicher Hast, und verschwand aus dem Fenster, der junge Mann aber ging nach der Laube, welche seitwärts unweit der Einzäunung von einer uralten prächtigen, immergrünen Eiche überschattet wurde. Dort legte er die Mandoline auf den, roh aus Brettern zusammengefügten Tisch, und flocht dann die in die Laube hinein hangenden üppigen Ranken der Schlingpflanzen, welche dieselbe bildeten, in deren Wände ein.

Da öffnete sich die Thür des Blockhauses, und Ludwina eilte schwebenden Fußes aus ihm hervor.

Ihre hohe elastische Gestalt war in ein silbergraues lustiges Morgengewand gehüllt, welches durch eine rothe seidene Schnur lose um ihren schlanken Leib gehalten wurde, und ihre schmalen zierlichen Füße waren mit rothen goldgestickten Pantoffeln geziert.

Mein Rudolph, mein Geliebter, sagte sie mit seelenvoll bewegter Stimme, eilte, ihre Arme öffnend, ihm entgegen und sank mit einem »Gottlob« an seine Brust.

Du süßes, Du himmlisches Wesen, wie soll, wie kann ich jemals Dir Deine Liebe danken, die jede Stunde, jede Minute meines Lebens beseligt, rief der Jüngling aus, und preßte das Mädchen an sein Herz.

Mit Deiner Liebe, Rudolph, sie macht mich zu Deiner ewigen Schuldnerin, antwortete Ludwina, indem sie von seinem Arm umschlungen, mit ihm in den Eingang der Laube schritt.

Ach, mein Haar, rief sie plötzlich aus, und griff lachend nach diesem prächtigen Schmuck, den die Natur ihr gegeben, doch das glänzend schwarze Haar fiel in lockigen Wellen über ihre Schultern bis auf ihre Kniee herab, denn sie hatte es in der Eile; nur loose aufgerollt, auf ihrem Kopf befestigt, und eine Ranke in dem Eingange der Laube hatte es gelöst.

Es ist mir eine rechte Last, denn wenn ich es geflochten lasse, kann ich nicht schlafen, fuhr sie fort, und wollte das Haar schnell zusammendrehen und aufstecken, doch Rudolph hielt ihr beide Hände fest, und sagte: O, bitte, nur einen Augenblick – es ist ja zu – zu schön!

Dabei schaute er freudig überrascht auf die seidenweiche Lockenfülle, und ließ sie dann durch seine Hand gleiten.

O, Du schönes Lieb, sagte er, das Haar bewundernd, doch Ludwina zog es ihm rasch aus der Hand, und drehte es blitzschnell mit den Worten auf ihrem Kopf zusammen:

Es ist gar nicht schön, ich sehe ja aus wie eine Indianerin.

Dann ließ sie sich mit dem Geliebten auf der Bank nieder, und sagte:

Nun erzähle mir, wie es Dir in der langen Zeit, wo ich Dich nicht sah, ergangen hat – Du bist zehn Tage ausgeblieben.

Rudolph gab nun einen treuen Bericht über seinen Ritt nach Braunfels und zurück, und als er denselben mit seiner Flucht vor den Indianern schloß, schlang Ludwina ängstlich ihren Arm um seinen Nacken und sagte:

Nein, nein, Rudolph, Du darfst nicht mehr diese gefährlichen Ritte übernehmen, und wenn Du auch noch so viel dabei verdienen könntest.

Aber Einer muß doch die Depeschen bringen und holen, es hängt ja das Wohl, ja, die Existenz unserer Stadt davon ab: ohne Verbindung mit Braunfels würden wir bald zu Grunde gehen, wir bekommen ja noch alle Lebensmittel von dort, entgegnete Rudolph.

So wird sich ein Anderer finden, der es wagt, Du sollst es aber nicht mehr thun; denke nur, wenn Dich die Wilden getödtet hätten, was würde aus Deiner Ludwina geworden sein?

Sei unbesorgt, süßes Mädchen, die Gefahr soll nun bald aufhören, denn die Regierung der Vereinigten Staaten will mit den Indianern Frieden schließen. Ich habe schon Instructionen dieserhalb von der Generaldirection in Braunfels an unsern Director mitgebracht; der Friedensschluß soll im August hier in Friedrichsburg stattfinden.

Das gebe Gott, versetzte Ludwina rasch, ich kann mich nicht, wie die meisten hier wohnenden Leute, an die Gefahr gewöhnen, die uns doch in jeder Minute umgiebt, und es kommt mir vor wie ein Wunder, daß die feindseligen Wilden unsre Ohnmacht nicht mehr gegen uns ausgebeutet haben. Sage mir, Rudolph, was könnten wir, mein Vater und ich, ihnen für Widerstand leisten, wenn sie uns Nachts überfielen? Wir wohnen hier so abgelegen, daß unsre Hülferufe gar nicht gehört werden würden.

Du hast Recht, Ludwina, auch mir hat dieser Gedanke schon manche schlaflose Nacht verursacht, und wie oft schon habe ich dann mein Lager verlassen und bin hierhergeeilt, um mich zu überzeugen, daß Dir keine Gefahr drohe. Doch, wie man in Deutschland sagt, »Furcht hütet den Wald«, es ist das moralische Uebergewicht der Weißen, welches die Indianer abhält, ernster und offener gegen sie aufzutreten, entgegnete Rudolph beruhigend, und setzte nach einer kurzen Pause noch hinzu:

Und unsre Feuerwaffen reden auch ein Wort dabei mit, denn alle diese feindlichen südlichen Indianer führen nur Waffen, die sie selbst verfertigen, weil sie Feuergewehre nicht ausbessern und auch keine Munition dafür bekommen könnten. Auf kurze Entfernung sind ihre Pfeile allerdings gefährlich genug, unsre Büchsenkugeln aber reichen weiter, und haben doch auch eine ganz andre Wirkung. Freilich, wenn die Wilden sich ihrer Kraft bewußt wären und sie gegen uns richteten, so würden sie uns erdrücken, denn die Comantschen allein, denen dies Land eigentlich gehört, zählen noch über zwanzigtausend Seelen. Wer könnte das wilde Roß mit schwachem Zügel bändigen, wer den Löwen in hölzernem Käfig gefangen halten, wenn sie ihre Kraft kennten!

Was sie nicht durch Gewalt erreichen, das führen sie durch List aus, fiel Ludwina ein, bedenke, Rudolph, wie viele Bewohner von Friedrichsburg sind ihr schon als Opfer gefallen.

Opfer ihrer eignen Unvorsichtigkeit und Sorglosigkeit, antwortete Rudolph. Jedesmal, nachdem durch die Wilden ein Mord an einem Friedrichsburger geschehen ist, sieht man unsre Männer nicht anders ihre Häuser verlassen, als bis an die Zähne bewaffnet, sie behängen sich dann mit Büchsen, Flinten, Pistolen, Säbeln und Aexten, und gehen nur in Schaaren zur Stadt hinaus, während welcher Zeit keine Spur von einem Indianer zu sehen ist, bald aber ist der Schreck wieder vergessen, die Waffen werden ihnen lästig, zu tragen, die Gefahr ist etwas Gewöhnliches, etwas Gleichgültiges, und man begegnet den Leuten wieder meilenweit vor der Stadt, ohne daß sie einen Schuß mit sich führten. Wie oft schon hat der Director die Einwohnerschaft zusammenkommen lassen, und sie dringend beschworen, nie ohne Waffen zu gehen, und was hat es geholfen? Nein, die Leute sind selbst daran Schuld, wenn sie ein solches Unglück trifft.

Und ebenso ist es mit Dir, bester Rudolph, auch Du begiebst Dich unnöthig in Gefahr. Wie leicht hätten Dir in vergangener Nacht die Wilden zuvorkommen, wie leicht hätte Dein Pferd stürzen können! Sagte Ludwina bittend zu dem Geliebten, und strich liebkosend die glänzenden Locken von seiner Stirn zurück.

In der Ausübung meines Dienstes stehe ich in Gottes Hand, Ludwina, er wird mich nicht verlassen, antwortete der Jüngling, und schaute dann einige Augenblicke durch die Einzäunung in südlicher Richtung über die Grasfläche, worauf er fortfuhr:

Sieh, dort habt Ihr ja während meiner Abwesenheit einen Nachbarn bekommen, klein genug ist das Reisholzhüttchen; wer hat sich denn einen solchen Palast gebaut?

Ein Herr Küster aus Frankfurt am Main, er kam mit dem letzten Emigrantenzug an, und soll ein reicher Mann sein. Er hat, wie ich höre, in Frankfurt eine Kaffeewirthschaft besessen und seine Frau, die das Geschäft führte, soll ihn dazu gebracht haben, allein nach Texas auszuwandern. Das mag wohl keine gute Ehe gewesen sein – es giebt doch recht viel Unglück in der Welt –der Mann sieht so traurig und gedrückt aus, entgegnete Ludwina mit theilnehmendem Tone.

Wer weiß, welche Interessen das Paar zusammengeführt haben, ihre Herzen sind sicher nicht dabei betheiligt gewesen, sagte Rudolph, und fügte lächelnd hinzu:

Du wirst mich doch niemals auswandern lassen?

Mein Rudolph, fiel das Mädchen flehend ein, und warf sich an des Jünglings Brust, würde mit Dir nicht auch das Leben Deiner Ludwina von ihr gehen?

In beseligendem Austausch ihrer Gefühle verstrich den Liebenden die Zeit unbemerkt, der neue Tag hatte sich heiter über das so weit von der civilisirten Welt entfernt gelegene stille Thal von Friedrichsburg ergossen, und der erste Strahlenblick der aufsteigenden Sonne vergoldete die steinigen Höhen der Gebirge, die dasselbe auf allen Seiten umgaben, während hoch oben auf der höchsten steilsten Kappe eine Meile nördlich von der Stadt, von dem goldigen Licht beschienen, eine riesige weiße Fahne in der frischen Morgenluft wehte, ein Wegweiser auf weithin für die Bewohner der Stadt, für den Fall, daß sie sich in den Bergen verirrt hätten; der Director Schubbert hatte sie dort zu diesem Zwecke aufpflanzen lassen.

In der Stadt herrschte schon reges Leben, ein großer Theil der männlichen Bevölkerung war hinausgezogen, um in dem östlich gelegenen, gemeinschaftlichen Maisfeld an die Arbeit zu gehen, die Frauen und Mädchen waren in den kleinen Gärten, welche die Wohnungen umgaben, beschäftigt, und hier und dort ertönte die Axt beim Bauen von Blockhäusern, oder beim Fällen von Bäumen.

Jetzt muß ich gehen, Herzens-Ludwina, sagte Rudolph, sich erhebend, ich will dem Director die Depeschen gleich bringen, er ist sicher schon lange auf und vielleicht schon draußen bei den Arbeitern in dem Maisfeld. So bald ich kann, werde ich wieder bei Dir sein.

Sieh zu, Rudolph, ob Du zum Mittagsessen zu uns kommen kannst, mein Vater wird sich so sehr darüber freuen, versetzte das Mädchen, mit ihm aus der Laube tretend, und fügte, liebreich zu ihm auflächelnd, noch hinzu:

Und Deine Ludwina wirst Du dadurch hoch beglücken.

Hierbei schmiegte sie sich an das Herz des Geliebten, und reichte ihm ihren frischen Mund zum Abschiedskusse, da öffnete sich die Thür des Hauses, und der alte Major Nimanski, der Vater Ludwinas, trat aus derselben hervor.

Guten Morgen, Rudolph, willkommen zurück, sagte er, auf Wildhorst zutretend, und reichte ihm die Hand. Leo hat mir Deine Ankunft zuerst gemeldet, und dann bestätigte sie mir Dein Lied; es war mir aber doch ein wenig zu früh, um Dich gleich zu begrüßen.

Dann schüttelte er herzlich die Rechte des jungen Mannes mit den Worten: Es hat Dir gut gegangen – Du siehst recht frisch aus, und wandte sich darauf zu seiner Tochter, indem er, sie küssend, sagte: Und meiner Ludwina fehlt auch Nichts zu ihrem Glück, als höchstens ein Theil von unsrer häuslichen Einrichtung, wie wir sie in Lemberg zurückließen.

Nein, bester Vater, es fehlt ihr gar Nichts, denn sie hat Dich und ihren Rudolph, und in Euch Beiden ist all ihr Glück enthalten, fiel Ludwina dem Alten freudig in das Wort, indem sie ihn zärtlich umarmte und zugleich dem Geliebten die Hand reichte. Dieser aber verabschiedete sich nun schnell, und Ludwina rief ihm noch in der Thür der Einzäunung nach:

Wenn Du kannst, Rudolph, zum Mittagsessen; es giebt einen prächtigen Hirschbraten!

Ein braver, echt deutscher Bursch, Dein Rudolph, sagte der Major, diesem nachschauend, in ihm ist mir der Grund klar geworden, weshalb die gütige Vorsehung mich alten Mann von dem Texasfieber erfassen ließ, so daß ich mit Dir, mein einziges Glück, mein einziges Kind, hierher auswandern mußte. Du solltest Rudolph hier finden. Freilich waren die Zustände in unserm alten, lieben Galizien auch beunruhigend und unerfreulich, und wir kamen in Lemberg mit meiner Pension nur knapp durch, während sie mir hier bei unserm einfachen Leben mehr, wie ausreicht; aber wir sind doch damals, ohne einen rechten Grund angeben zu können, in die weite Welt gezogen.

Und in eine schöne Welt, lieber Vater, versetzte Ludwina, seine Hand an ihre Lippen hebend, denke nur an die häßlichen Winter in Galizien, und welch paradiesisches Klima ist uns hier dafür gegeben; wir leben ja in ewigem Frühling.

Ja, es ist schön hier, namentlich aber für uns, weil Du Rudolph hier gefunden hast, antwortete der Alte und merkwürdig bleibt es doch, daß auch sein Vater, ein alter Pensionär wie ich, mit seinem Sohne von der Sucht nach Texas befallen werden mußte; es ist die reine Fügung des Himmels, und darum wird es Euch auch gut gehen, Ludwina.

Gott hat uns so weit mit seiner Gnade beigestanden und wird es auch ferner thun, sagte diese im Hochgefühl ihres Glückes, und ging am Arm ihres Vaters nach dem Hause zurück, nach kurzer Pause aber fuhr sie fort:

Willst Du es nicht Rudolphs Vater sagen, daß er zu uns zu Tisch komme? wir haben den schönen Braten.

Ei freilich, ich will gleich hinüberlaufen, er möchte ausgehen, oder zum Fischen nach der Pierdenales reiten, antwortete der Major, ging mit seiner Tochter in das Haus, und kam bald darauf, mit einer langen Pfeife bewaffnet, wieder daraus hervor, um nun über die Grasfläche nach der Wohnung des pensionirten preußischen Obristen v. Wildhorst zu wandern.

Beide waren schon seit vielen Jahren Wittwer, und Beide waren den Aufforderungen zum Auswandern nach Texas, welche der Fürstenverein durch ganz Deutschland hatte ergehen lassen, gefolgt, und hatten bei ihrem Zusammentreffen hier in Friedrichsburg enge Freundschaft geschlossen, welches Band dann durch den Herzensbund ihrer Kinder noch fester gezogen worden war.

Nach wenigen Minuten Wanderns mit langen, doch gemessenen Schritten erreichte die große hagere Gestalt des Majors die Wohnung seines Freundes, und er fand diesen behaglich unter der Verandah sitzend und seine Morgenpfeife rauchend.

Hei ho, Major, so früh? rief der Obrist ihm freudig überrascht zu, und trat ihm bis an die Gartenthür entgegen. Dort bewillkommnete er ihn, schüttelte ihm herzlich die Hand, und sagte, mit ihm nach der Verandah schreitend:

Rudolph hat mir schon mitgetheilt, daß Du bereits in Deinen Stiefeln stündest; komm, setz Dich zu mir, und laß uns ein wenig plaudern.

Dabei zog der Obrist seinen Schlafrock um sich, nahm neben seinem Freunde auf dem hölzernen Sopha Platz, und fuhr dann fort:

Rudolph ist denn in letzter Nacht einmal wieder von diesen verdammten Indianern auf Tod und Leben gejagt worden; man sollte diese Plage mit der Wurzel ausrotten. Ich begreife die Regierung nicht, es ist der einzige und zwar ohnmächtige Feind, der dem Fortschreiten der Cultur im Wege steht, die Vereinigten Staaten haben die Mittel in Händen, um diese nichtsnutzige Bande zu vertilgen, und doch gehen sie mit ihr um, als hätten sie Gott weiß was für Pflichten gegen sie. Jetzt soll ein großartiger Friedensschluß mit diesem Gesindel gemacht werden. Rudolph hat schon Instructionen dieserhalb für den Director mitgebracht.

Meine Tochter hat mir davon gesagt, antwortete der Major, ich muß Dir gestehen, Wildhorst, diese halsbrechenden Ritte Rudolphs machen mir große Sorgen, denn die Indianer scheinen ihm den Tod geschworen zu haben, wie oft sind sie nun schon hinter ihm gewesen!

Ja, und denke Dir, dennoch nimmt sie der Junge in Schutz, und meint, sie wären in ihrem vollen Rechte und thäten Nichts, als ihr Eigenthum gegen die weißen Räuber schützen. Er sagt, er würde niemals einem Indianer ein Haar krümmen, wenn er nicht in der Vertheidigung seines eignen Lebens dazu gezwungen würde; und dabei will er sich todt lachen, wenn sie ihn über Berg und Thal gehetzt haben.

Der Obrist war bei diesen Worten heftig geworden, und setzte, die Faust ballend, noch hinzu:

Komme ich mit den Hunden zusammen, so schieße ich sie nieder, so lange ich noch die Büchse laden kann. Es ist Gesindel – das gesammte Indianervolk wollte ich mit einem preußischen Cavallerieregiment in das stille Weltmeer jagen.

Nun, da solltest Du doch Deine Last haben, alter Kamerad, die Comantschen allein zählen ja über zwanzigtausend Seelen, fiel ihm Nimanski in das Wort. Ein Glück für uns Weiße, daß sie in so unzählig kleine Stämme getheilt sind, und so uneins unter einander leben. Uebrigens sind schon viele dieser Stämme gegen die Weißen freundlich gesinnt, und namentlich unserm Director Schubbert in Freundschaft ergeben, denn sie bringen ihm ihre Kranken aus weitester Ferne hierher, und schlagen deren Zelte in der Nähe seines Hauses auf, damit er sie herstelle. Noch in letzter Woche war der Stamm des ersten Häuptlings der Comantschen, Santa Annas, hier, der sich nach dem mexikanischen General genannt hat. Er ließ dem Director auch mehrere Kranke zur Behandlung zurück.

Ja, Schubbert soll schon früher, ehe er das Directorium hier übernahm, mit diesen Indianern bekannt gewesen sein, versetzte der Obrist.

Ganz Recht, er hat viele Jahre lang weit im Westen in der Wildniß in einer hölzernen Festung mitten unter den Wilden gelebt, und hat sich mit ihnen herumgeschlagen, bis dieselben ausfanden, daß er Arzt sei, worauf sie Freundschaft mit ihm geschlossen haben. Nach und nach werden sie doch alle einsehen, daß sie sich besser dabei stehen, in Frieden mit uns zu leben, und mit uns Handel zu treiben.

Ich traue den Kerlen nicht, sie sehen aus, wie Teufel, und trotz ihrer Freundschaftsversicherungen bin ich überzeugt, kriegen sie einen Weißen draußen in der Wildniß, so machen sie kurze Fünfzehn mit ihm, versetzte der Obrist, und strich sich den weißen Schnurrbart.

Nun laß einmal die Indianer ruhen, und von etwas Anderm. Ludwina sendet Dir ihre Bitte, heute einen feisten Hirschbraten mit uns zu verzehren, Rudolph will auch kommen, wenn der Director ihn nicht abhält.

Das schlage ich sicher nicht aus, antwortete Wildhorst, und es ist mir lieb, daß Du so früh zu mir kommst, denn ich wollte nach der Pierdenales hinunterreiten und mir einige Fische holen. Sage doch Ludwina, ich hätte herrlichen Kopfsalat hier im Garten, ich wollte ihr davon senden; ein guter Salat zu dem Wildpret ist etwas Köstliches.

Das wird sie mit Dank annehmen. Auch wir haben Salat gesäet, er ist aber nicht gerathen, wir Beide, Ludwina und ich sind schlechte Gärtner, sagte der Major.

Ich begreife nicht, warum Du Dir nicht, wie ich es that, einen alten treuen Soldaten als Diener mitgenommen hast, fuhr der Obrist fort, mein alter Anton, der bereits zwanzig Jahre Bursch bei mir ist, und meine alte Liese, die als Köchin noch länger in meinen Diensten steht, halten mir den Garten in herrlichem Stande, und da es hier Winter und Sommer wächst, so ist und bleibt es mir ein Räthsel, warum in ganz Friedrichsburg außer dem meinigen und dem von Weltge noch kein mit Gemüsen bestellter Garten existirt.

Freilich hätte ich mir einen Burschen mitbringen sollen, man machte mir aber bange, daß die Dienstboten der Herrschaft hier sogleich durchgingen, und dann hätte man die Kosten für sie weggeworfen, erwiderte Nimanski.

Von einem richtigen Soldaten hat man das nicht zu erwarten; es geht überhaupt Nichts darüber, Soldat gewesen zu sein, und ich meine, es müsse Einem auch helfen, dermaleinst mit größerer Leichtigkeit selig zu werden, fiel der Obrist ein, und blies eine dichte Wolke von Tabacksrauch zwischen seinem Schnurrbart hervor.


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