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Der Gespensterläugner.


Die Vokation.

Der Advokat Gerstensaft lag eben mit der sechsten Frühstückspfeife im Fenster, und überlegte sich, daß ein großer Mann an ihm verdorben sei. Oder vielmehr nicht verdorben! Wußte er doch was er wußte. Was man zu Ruhethal, seinem Geburtsorte, ganz verkannte, das wurde darum nicht auch anderwärts übersehen. Er hatte bei seinem letzten Aufenthalte in Klatschhausen dort eine besonders gute Reputation hinterlassen. Die Stadtdirektorin hatte ihm beim Abschiede die Taschen mit Eßwaaren, und ihr Gatte das Herz mit Hoffnungen vollgestopft. Die Schwester der Stadtdirektorin, des letzten Prokonsuls Wittwe, war noch weiter gegangen. Sie hatte ihm zu Liebe das schwarze Band, welches dem Andenken ihres Seligen gewidmet war, den zahlreichen Lästermäulern zum Trotz, eine ganze Woche zu früh von der Haube genommen, ja sogar mit dem Ringe des Seligen hatte sie den Advokat Gerstensaft schon auf dieser Erde selig gemacht. Er für seine Person war noch auf keine Rathswahl so begierig gewesen, als auf die nächste zu Klatschhausen. Dem Kalender nach war sie vorbei, und er ärgerte sich nur über die Langsamkeit der Post, durch die er erst morgen um diese Zeit von ihrem Ausfall unterrichtet werden konnte. Aber sein Verdruß ging bald in Entzücken über. Ein Reiter erschien in der Straße, der, so hörte er deutlich, nach Sr. Hochedelgeboren dem Herrn Advokat Gerstensaft fragte. Der Reiter sprang vom Pferde und die Treppen herauf. Es war ein Expresser, den E. E. Rath zu Klatschhausen an den neugewählten Prokonsul abschickte, um diesem die glückliche Wahl zu notificiren, und die Sehnsucht nach seiner baldigen Ankunft auszudrücken.

Die Abreise.

Am Morgen vor der Abreise warf der designirte Prokonsul aus seinem Dachstübchen noch einiges stilles Mitleid auf die tief unter ihm liegende Stadt. Sie soll hören, sagte er bei sich selbst, was ihr an mir für ein Mann verloren gegangen ist, da sie nicht hören wollte, was sie an mir für einen Mann hatte. Vergebens habe ich gegen Exorcismus und Aberglauben gepredigt, vergebens den Anbau des vaterländischen Kaffees und Tabaks dringend anempfohlen. Die Anzeiger haben meine einsichtsvolle Stimme durch ganz Deutschland mit vielem Erfolg, wie ich hoffe, getragen. Nur hier hat sie taube Ohren gefunden. Das Wochenblatt von Klatschhausen soll mich fürchterlich rächen. Es soll kund thun, was mein Geist für Umwandelungen hervorbringt und welches Gewicht auch eine kleine Stadt in der glänzenden Wagschaale der Aufklärung erringen kann, wenn große Männer an ihrer Spitze stehen.

Der Postillon unterbrach seine Freuden an der Zukunft nicht unangenehm. Herr Gerstensaft veranstaltete das Nöthige, versicherte beim Abschiede seinen Wirth, daß er von ihm hören werde, und ärgerte sich noch beim Einsteigen in die Kalesche über die Gleichgültigkeit, womit dieser seine schätzenswerthe Zusage aufgenommen hatte.

Herr Gerstensaft, nicht? fragte die Schildwache im Thore.

Prokonsul Gerstensaft vielmehr, antwortete er ziemlich erboßt, daß noch ein Mann in der Stadt lebte, der von der Krone nichts wußte, welche E. E. Rath zu Klatschhausen seinen Verdiensten gespendet hatte.

Gefahren.

Die Postillons hatten aber in den ersten beiden Tagen ihre Pferde so sehr geschont, daß der Proconsul bei der letzten Station Abend und Nacht zu Hülfe nehmen mußte, wenn er zur versprochenen Zeit in Klatschhausen eintreffen wollte.

Die Straße ist doch auch sicher? fragte er mit Herzensangst den Postillon, als es stockfinster geworden war.

So ziemlich! hieß die Antwort. Dann und wann sind freilich Leute im Wald todtgeschlagen worden, wie die drei Spitzbuben am Galgen bezeugen können.

Mache Er wenigstens dann, daß wir hier vom Flecke kommen.

So was ist bald gesagt! Auf so bösem Wege findet sich das: eile mit Weile, von selber. Auch kommen wir ohnehin nur aus dem Regen unter die Traufe, mein lieber Herr. Denn dort über dem Hohlwege, da liegt, so zu sagen, der Hund begraben. Ich meine, dort steht, mit Ehren zu melden, der Galgen und die drei Spitzbuben hängen daran, mit denen der Wind am Tage klappert. Die spazieren dann bei Nacht bisweilen auf die Straße herunter, um ihrem infamen Metier auch im Tode noch nachzugehen und Postillons und Passagiere wacker zu necken. Schon mancher Wagen ist durch diese vermaledeiten Bursche umgeworfen und in tausend Stücke geschlagen und gewiß auch gar manchem armen Teufel, wie ich und der Herr sind, das Lebenslicht ausgeblasen worden.

Lieber Mann, erwiederte hierauf der aufgeklärte Passagier, lasse er sich doch nicht solche Ungereimtheiten weiß machen.

Weiß machen! Erst gestern ist ein Wagen grade unterm Galgen verunglückt und der Herr will vom Weißmachen reden. Ich lasse mir von niemandem etwas weiß machen. Auch von dem Herrn nicht. Aber Gott danken will ich, wenn der Hohlweg, der nun eben angeht, glücklich überstanden seyn wird. – Da haben wir den Teufel, setzte er bald hinzu, als der Wagen einen Stoß bekam, wodurch dem Prokonsul der Mangel gehöriger Polster auf dem Sitze und an seinem Leibe überaus fühlbar wurde.

Nicht wahr, fing nun der Postillon wieder an, nun wird der Herr nächstens eine andre Sprache führen. Und was für eine Eisluft von dem Elementsgalgen herüberweht!

Gespenster.

Ein neuer Stoß, der den Rossebändiger aus dem Sattel hob und dem Prokonsul das falsche Haar unmanierlich vom Hinterhaupte streifte, war das Signal zu neuen Ereignissen.

Der Himmel stehe uns bei! rief der Postillon, als die Pferde hoch aufbäumten und weder dem Zureden noch der Peitsche einigen Einfluß auf sich gestatteten.

Was giebts denn? fragte der Reisende ängstlich.

Was wird's geben? Eine Parthie schlohweiße Gespenster haben uns ganz den Weg versperrt.

Nur zugefahren!

Ei, so fahren Sie doch. Hier ist die Peitsche.

Der Prokonsul sprang hierauf aus dem Wagen und wollte schon die Peitsche ergreifen, als er in der That des Postknechts Aussage bestätigt, die Gespenster im Wege liegen und die Pferde bei dem Hiebe, den ihr Mentor noch einmal versuchte, abermals hoch aufbäumen sah.

Es könnte ja wohl auch etwas anders als Gespenster seyn. Wenn man's nun auf die Seite zu schieben suchte, Postillon!

Schieben Sie, meinetwegen. Ich vergreife mich nicht daran. Es thut mir schon leid genug, daß ich vorhin solche ungezogene Reden ausgestoßen habe, gegen die drei lieben, gnädigen Herren oben am Galgen. Ich widerrufe auch auf der Stelle jedes unschöne Wort und will mich mein Lebtage nicht wieder mit solchem Vorwitze einlassen.

Was denn aber anfangen? fragte der Passagier.

Gar nichts, da die unvernünftigen Pferde selber so viel Vernunft haben und bei so bewandten Sachen nicht weiter wollen.

Neue Schrecknisse.

Du mein Himmel! rief der Prokonsul und sah schon im Geiste die nahen schönen Hoffnungen mit seinem ganzen Leben in diesem Hohlwege zu Grunde gehen.

Der Postillon stimmte endlich ein geistliches Lied an. Der Prokonsul suchte ihm begreiflich zu machen, daß das uralte Lied die Censur nicht mehr passire, weil es von dem neuen Gesangbuche ausgeschlossen worden, aber der Pferdelenker versicherte, seine Großmutter habe das Lied in der Gespensterstunde sehr probat gefunden. Darauf entschloß sich der Prokonsul selbst den Gesang durch seinen wohlgenährten Bierbaß zu verschönern und zu verstärken.

So standen die Sachen, als ein Licht immer näher und näher rückte.

Der Postillon setzte dem Prokonsul umständlich auseinander, was von Lichtern zu halten sei, die um solche Zeit in der Nähe der Hochgerichte herumflankirten. Gemeiniglich wären Männer, die ihre eigenen Köpfe unterm Arm trügen, oder ähnliche Unholde von der Parthie und kräftige Stoßgebete noch die besten Präservative, wo nicht gegen den Tod, doch gegen den Teufel. Und der Prokonsul war in diesem Augenblicke von seiner Liebe zur Aufklärung dermaßen zurückgekommen, daß er wirklich mit lauter vernehmlicher Stimme alle die Stoßgebete nachsagte, wodurch der Postillon seine Seele zu retten suchte.

Der Schimmel.

Als endlich das wandelnde Licht ganz nahe kam, entdeckte man einen Wagen dabei, dessen Geräusch durch das fürchterliche Geheul des Sturmes überschrien worden war. Der Wagen sollte einen Schimmel abholen, der den Tag zuvor an derselben Stelle ein Opfer der abscheulichen Straße hatte werden müssen.

Dem Postillon wurde sein Herz um viele Centner leichter, als mit dem Schimmel auch zugleich die Gespenster verschwanden.

Herr Gerstensaft war schon weniger zufrieden. Zwar dankte er ebenfalls dem Himmel, doch verdroß es ihn auch erstaunlich, daß der Postillon nicht einmal so viel Ambition hatte, um zu verschweigen, wie sehr sie beide von einem todten Pferd in's Bockshorn waren gejagt worden. Obendrein war der Postillon aus Klatschhausen. Wenn der Kerl plauderte, so konnte es um des Prokonsuls Ansehen und zugleich um seine Reformationsplane geschehen seyn.

Bei reiferm Nachdenken aber beruhigte er sich etwas. Des Prokonsuls Worten, dachte er, wird man doch eher glauben, als der Aussage eines miserablen Postillons. Auch werde ich gewiß durch die That beweisen, daß er gelogen haben muß, sobald sich irgend Gelegenheit darbietet. Zugleich bat er der Aufklärung den eben begangenen Fehltritt von Herzen ab, und gelobte ihr seine Treue von nun an auf ewige Zeiten.

Neuerungen.

Der Prokonsul that, wie er gesagt hatte. Ganz Klatschhausen konnte sich ein Paar Wochen lang vor seinen Gedanken über den Mann gar nicht mehr verhegen. Trug er doch, wahrhaftig, weder Zopf noch Haarbeutel, sondern ging mit abgeschnittenem und ungepudertem Haar in den Rath. Dazu schien er sich um alles bekümmern und Schul- und Brauwesen, Kirche und Küche der gesammten Stadt auf Einmal völlig umarbeiten, mit Einem Worte, er schien Berge umreißen zu wollen.

Weil er sich dabei nun auch in die Geschäfte der übrigen Senatoren mischte, so sagte der Syndikus: Das geht nicht, Herr Kollege. Aber der Prokonsul erwiederte trotzig: ich setze es durch, und sollte ich mich an den König wenden. Wo alles schläft, da wird es Pflicht zu wachen und thätig zu seyn.

Dem Stadtdirektor, der die meiste Schuld an der neuen Wahl hatte, wurde deßhalb erschrecklich von seinen Kollegen mitgespielt. Dem guten Stadtdirektor. Denn was würde damals seine liebe Frau gesagt haben, wenn er ihrer leiblichen Schwester nicht den Gefallen gethan hätte. Bei der Prokonsulin Jahren und Aeußerm fanden sich nicht alle Tage Männer. Mit einem simplen Advokaten aber zum Altar zu treten, das durfte doch wohl kein Christenmensch der Wittwe eines Prokonsuls zu Klatschhausen zumuthen wollen! Der Stadtdirektor konnte sich indessen mit der Neuverehelichten trösten. Denn auch sie hatte ganz andre Dinge von der Liebe und Dankbarkeit ihres zweiten Gatten erwartet. Sie hatte geglaubt, er werde für das artige Vermögen, das sie ihm mitbrachte, so artig seyn, und ihr in allen Stücken den Willen lassen. Darin aber war ihre Rechnung ganz ohne den Wirth gemacht. Herr Gerstensaft war als Kandidat und Bräutigam aus lauter Höflichkeit und Ergebung zusammengesetzt gewesen, um als Prokonsul und Gatte den Spieß umkehren und Ergebung und Höflichkeit gegen Senat und Gattin ganz an den Nagel hängen zu können.

Lottchen.

Es gab Leute in Klatschhausen, welche behaupteten, daß so ein Donnerschlag aus heiterm Himmel dem schlafsüchtigen Senate schon zu gönnen wäre, und der Frau Prokonsulin dazu. Denn es war ein Spektakel wie die böse Frau ihrem ersten Manne den Daumen aufs Auge gesetzt hatte, und wie sie noch bis diese Stunde ihre einzige Tochter plagte und peinigte. Und letzteres bloß darum, weil das hübsche Kind Geschmack hatte. Lottchen wollte nämlich statt des alten höckrigen Kämmerers, den sie heirathen sollte, einen jungen, kerzengraden Springinsfeld zum Manne haben, der freilich keine vollen Geldkasten, wie der Alte, aber doch ein volles Herz für sie besaß. Und ein Herz, das auch Geschmack hatte, wie Lottchen besser als irgend jemand einsah. Denn der Springinsfeld hatte vor Kurzem in der Ressource gradezu erklärt, daß die zum Ideal erhobene mediceische Venus für eine wahre Satire auf den Schönheitssinn der Alten und Neuen gelten könne, weil ein Ideal für weibliche Reitze ohne ein schalkhaftes Stumpfnäschen nicht denkbar sei. Und wer grade so ein schalkhaftes Stumpfnäschen besaß, darüber gab unserm Lottchen jeder ehrliche Spiegel Auskunft. Außerdem hatte der Schönheitskenner bei andrer Gelegenheit auch erklärt, daß Lottchen und sonst kein Mensch je die Seinige werden könne, und dabei hatte er so erbärmlich gethan, als ob er das ganze Bischen Leichtfertigkeit, welches ihm angeboren war, seiner unglücklichen Liebe zu Gefallen für immer aufgeben wolle.

Doch das alles nur beiläufig.

Das Gespensterhaus.

Die lebhafteste Differenz zwischen dem neuen Ehepaare entstand dadurch, daß der Prokonsul nicht mit dem Hause zufrieden war, mit dem sein Amts- und Ehevorfahrer sich bis an sein seliges Ende beholfen hatte. Herr Gerstensaft wollte aber doch Figur machen und konnte unmöglich dulden, daß der Gleitsmann gegenüber auf steinernen Treppen in sein bequemes Quartier stolzierte, während er, der Prokonsul, auf einer Treppe von Holz in einen engen winkelreichen Käfig poltern mußte. Das war freilich ein vernünftiger Grund. Auch die Frau Prokonsulin, die dem Hochmuthe der Frau Gleitsmannin schon längst gern eins angehangen hätte, sah das vollkommen ein. Wenn man aber, meinte sie, dergleichen Dinge nicht auf eine geschickte Weise ändern kann, so muß man sich doch darein ergeben. Und es stand jetzt grade kein Haus in der Stadt zu Kaufe, welches steinerne Treppen und sonst die erwünschte Bequemlichkeit gehabt hätte. Ein einziges ausgenommen, vor dem aber die Frau Prokonsulin einen entschiedenen Abscheu hatte, so vornehm es auch wirklich aussah. Es ging nämlich die Rede, daß die Abend- und Nachtstunden in diesem Hause gar nicht plaisirlich zuzubringen waren, weil dann die verstorbenen Besitzer einzusprechen und allerlei unfertige Späße zu treiben pflegten, aus denen einigemal sogar völliger Ernst geworden seyn sollte. Wenigstens behauptete man, daß die Gespenster vor langen Jahren einmal im Keller dieses Hauses gegen Mitternacht jemanden den Hals auf den Rücken gedreht hatten.

Und grade dieses Haus hatte der Prokonsul gekauft. Grade dieses Haus paßte auch am besten in seine Plane und war fast noch mehr Ursache zu seinem Wunsche, die alte Wohnung aufzugeben, als der Vorzug, den der Gleitsmann ungebührlicher Weise vor dem Prokonsul voraus hatte. Denn die natürliche Auflösung jener Gespenstergeschichte im Hohlwege, hatte den Prokonsul dermaßen in seinem damals wankenden Glauben, daß jede ähnliche Geschichte entweder auf fremdem Betrug oder dem Betruge durch die eigene Einbildungskraft beruhen müsse, bestärkt, daß er nur auf Gelegenheit lauerte, um die Wahrheit dieses Glaubens allem Volke klar zu beweisen.

Ein Beweis dieser Art sicherte ihn auch vor den Erzählungen seines nunmehrigen Mitbürgers des bewußten Postillons, an den er manchmal mit Schrecken dachte. Denn wenn er eben nach Ausführung einer hohen Idee den Postillon vorbeireiten sah, so fiel ihm allemal sein Muth wieder, und es war ihm, als ob der freche Kerl zu ihm sagte: Prokonsulchen, Prokonsulchen, wenn ich reden wollte! –

Der Vertrag.

Ich garantire Deinen Hals! sagte der Prokonsul zu seiner Gattin, die in dem verwünschten Hause darum zu kommen fürchtete. Es wäre ja ein wahrer Schildbürgerstreich gewesen, wenn wir das schöne und wohlfeile Gebäude aus den Händen gelassen hätten. Um eines so albernen Aberglaubens willen! Vergebens suchte die Frau Prokonsulin Himmel und Erde zu bewegen. Jedermann wurde von ihr um Rath in der Sache gefragt, und selbst eine Frau, welche am äußersten Ende der Vorstadt die Schicksale der Menschen aus Kaffeetassen verkündigte, nicht übergangen. Nirgends Hülfe. Endlich gab ihr noch jemand den Einschlag, daß sie mit ihrem Gatten die Abrede nehmen möchte, er solle das Gespensterhaus zuerst allein beziehen. Liefe es gut ab, nun so würde sie nachkommen. Im Gegenfalle bleibe ihr doch wenigstens die Beruhigung, sein Unglück nicht verschuldet zu haben.

Der Prokonsul war mit ihrem Vorschlage zufrieden und versprach ganze acht Tage allein in dem neuen Hause zuzubringen, und die Gespenster, wie er sagte, ruhig zu erwarten. Ja, er war übermüthig genug, die Wette mit seiner Gattin einzugehen, daß er einen silbernen Becher, der beim Einräumen des Weines in den Keller des Gespensterhauses stehen geblieben war, sogleich in der ersten Nacht zwischen eilf und zwölf Uhr herausholen und ihr ihn überbringen wollte.

Um jedoch auch einige Gesellschaft zu haben, so wurde der Rathsaktuarius Blond, auf den er große Stücke hielt, dazu auserlesen. Ueberdies gestand ihm die Frau Prokonsulin recht gern ihre Köchin zu und behalf sich indessen so gut sie konnte. Abgehen, meinte sie, wolle sie ihm nichts lassen. Möchte der Himmel selber über ihn verhängen, was er für gut finde.

Beruhigt war sie darum aber doch ganz und gar nicht, so viel ihr auch von verständigen Leuten zugeredet wurde. Denn – – sagte sie, doch die Zukunft wird es ja wohl von selbst lehren, was sie damals ohngefähr gesagt oder gedacht haben kann.

Die Obskuranten.

Am Abend vor dem Einzuge des Prokonsuls in das neue Haus, kam die Rede in der Ressource zufällig vom Gespensterhause auf das Gespensterbuch, welches jemand mitgebracht hatte.

Der Prokonsul durchblätterte den Anfang des ersten Theils und rief entrüstet aus: Was, eine Gespenstergeschichte ohne natürliche Auflösung? Und das im neunzehnten Jahrhunderte? Will man uns wieder in das Zeitalter der Barbarei und des Aberglaubens zurückwerfen? Morgendes Tages muß in den Leihbibliotheken nach dieser Obskurantenschrift gesucht, sie muß weggenommen und wenn nicht verbrannt, doch wenigstens über das Weichbild unserer guten Stadt hinausgeschafft werden. Denn in einer Stadt, wo ich Prokonsul seyn soll, da darf die Aufklärung keine so unverschämten Backenstreiche erhalten.

Aber, fiel ein Fremder ein, der zum ersten Male in der Ressource erschien, das scheint gar nicht der Wille des Verfassers zu seyn, wie der Herr Prokonsul bald sehen würden, wenn sie die Nachrede zu lesen belieben wollten.

Doch damit kam der naseweise Neuling dem Prokonsul grade recht. Was Nachrede! sagte er. Ist in der Nachrede eine Auflösung für die Historie von dem sogenannten Freischützen?

Das wohl nicht. –

Nun also. So was, mein Herr, kann durch keine Nachrede entschuldigt werden. Auch sollte dergleichen niemand in Schutz nehmen und wenn er der leibliche Bruder des Verfassers wäre. Es giebt keine Gespenster! Daher müssen die Geschichten davon Lügen seyn und gelogen soll nicht werden, weil das schon die zehn Gebote nicht haben wollen. Womit wäre denn wohl ein so unbefugter Schriftsteller zu rechtfertigen, heh?

Ich darf erinnern, erwiederte der Fremde, daß dann gar keine Gedichte überhaupt existiren könnten.

Ei, Gedichte! Nur nicht das Hunderte ins Tausende gemengt. Gedichte, das ist wieder etwas anders, das sind Dinge, die sich reimen oder die doch in gewissen Absätzen gedruckt werden. Uebrigens möchte man in Gottes Namen auch die Gedichte verbieten, denn ich begreife nicht, was für reellen Nutzen sie haben. Mit all ihren Gedichten werden die unnützen Verfasser wahrhaftig keine einzige Kartoffel oder Runkelrübe hervorbringen, auch weder Kaffee noch Zucker wohlfeiler machen, das sage ich.

Aus diesen Aeußerungen nahm die Frau Prokonsulin seufzend ab, daß ihr Gemahl sich während der Probewoche im neuen Hause tüchtig gegen die Gespenster zusammennehmen würde, und daß er, wenn sie's nicht überaus bunt mit ihm machten, doch leicht die acht Tage aushalten und sie nachher das Unglück haben könnte, mitten unter das pochende, scharrende und sonst handthierende unsichtbare Gesindel ziehen zu müssen, das bei übler Laune den Leuten nur gar gern die Köpfe auf den Rücken drehte.

Der Aktuarius.

Der Prokonsul saß am Abende des folgenden Tages richtig in dem Gespensterhause und kuckte bei jedem Knistern der Tische und Thüren sich herzhaft um, ohne irgend ein Gespenst gewahr zu werden. Endlich erschien der Aktuarius Blond, nach des Prokonsuls Meinung der einzige Mensch in Klatschhausen, mit dem ein recht vernünftiges Wort zu reden war, und den er auf eine Suppe eingeladen hatte.

Es ist sehr schön und rühmlich, begann der Aktuarius, es verdient in den Annalen unserer guten Stadt mit goldenen Lettern aufgezeichnet zu werden, wie Sie in der kurzen Zeit, daß hiesige Einwohner so glücklich sind, einen ächten Vater und Versorger in Ihnen, Herr Prokonsul, zu verehren, schon so viel Gutes und Großes gestiftet haben. Durch die Wahl dieses verrufenen Hauses erwerben Sie Sich ein neues, unsterbliches Verdienst um die Aufklärung von ganz Klatschhausen. Es soll kein Aberglaube mehr seyn! rufen sie kräftig damit aus, daß sie ihr eigenes folgenreiches Leben gleichsam zum Pfande für die Nichtexistenz der Gespenster und Kobolde einsetzen. Ich gestehe gern, daß ich, meines Orts, schwerlich so viel über das angeborene Vorurtheil gewonnen hätte. Denn so oft ich mir auch sagen mag: Ohnfehlbar ist alles, was man von den Vorfällen in diesem Hause erzählt, durch Betrüger veranstaltet gewesen, so kann ich mich doch niemals zugleich des entgegengesetzten Gedankens an die Möglichkeit überirdischer Einwirkungen ganz erwehren, wie ich denn zum Beispiel durchaus nicht an nächtliche Geistervisiten auf den Kirchhöfen glaube und doch zur Nachtzeit um keinen Preis dahin gehen möchte. So etwas hat man aber auch nicht nöthig. Und Sie, Herr Prokonsul würden sich wohl auch bedenken, bei Nacht zwischen eilf und zwölf Uhr in den berüchtigten Keller dieses Hauses hinabzusteigen.

Keinesweges, mein lieber Blond. Habe ich doch sogar mit meiner Frau gewettet, ihr einen silbernen Becher, zum Beweise, daß ich in dieser Stunde unten gewesen bin, noch heute zu überbringen. Um eilf Uhr wird sie mir den Schlüssel zum Keller herüberschicken. Und Sie, guter Aktuarius, müssen mich wahrhaftig begleiten. Nicht als ob ich Anstand nähme, mich auch allein hinunter zu wagen. Gott behüte! Aber es befördert die gute Sache, wenn zwei glaubwürdige Personen versichern können, daß sie an einem so berüchtigten Orte durchaus nichts Ungewöhnliches gesehen und gehört haben.

Herr Prokonsul, sagte der Aktuarius, ich gestehe gern meine Schwäche, und bitte daher, mich von diesem Gange zu dispensiren.

Aber vergebens, der aufgeklärte Mann faßte ihn bei der Ambition und ruhte nicht eher, bis der Aktuarius ihm die Begleitung zugesagt hatte. –

Ich darf von der allumfassenden Klugheit des Herrn Prokonsuls hoffen, sprach der Aktuarius, ich darf hoffen, daß Sie allem möglichen Betruge hinlänglich vorgebaut und darauf gedacht haben, daß niemand Verdächtiges weder von außen herein kommen noch im Innern sich aufhalten könne?

Alles besorgt! Vorsicht ist ja die Mutter, der Weisheit. Der bewußte Rathsdiener steht an der Hauptthüre und der Frohn am Gartenthore Schildwache.

Der Hagel.

Was ist das? rief der Aktuarius aufspringend, als jetzt auf Einmal ein starker Hagel an die Fenster schlug. Und dazu der Himmel mit Sternen übersäet!

Eine sehr merkwürdige Naturerscheinung! sprach der Prokonsul. Das Erstaunen stieg noch um vieles höher, als die Köchin hereinkam, und man hörte, daß auf der entgegengesetzten Seite des Hauses, wo die Küche sich befand, der Hagel gar einige Fenster eingeschlagen hatte.

Wunderbar genug! sprach der Aktuarius mit einer Stimme, die nicht von allzugroßem Muthe zu zeugen schien. So ist denn dieser Hagel in zwei ganz verschiedenen Richtungen herabgefallen!

In Stücken wie die Hünereier! sagte die Köchin, eine große Portion Eis aus der Schürze hervorzeigend.

Als sie wieder hinaus war, sprach der Aktuarius: Ich will nicht läugnen, daß mich dieser Umstand ein wenig aus dem Koncepte gebracht hat. Das Ungewöhnliche –

Freilich, fiel der Prokonsul ein, das Ungewöhnliche thut das. Doch ist das Ungewöhnliche in der politischen Welt an der Tagesordnung, warum sollte sich nicht die Natur auch zuweilen etwas ungewöhnlich aufführen können?

Die Märchen.

Sehr wahr und schön gesagt. Aber, so weit geht die menschliche Schwäche, indem ich die Wahrheit und Schönheit zugebe, kann ich mich doch eines tüchtigen Schauers nicht erwehren. Denn dabei fällt mir immer eine Historie ein, die ich in jungen Jahren gehört habe. Der Aktuarius erzählte hierauf die Geschichte eines übernatürlichen Hagels, der sich alle Tage und so lange erneuert hatte, bis das Haus, dem er gegolten, vor Schrecken ganz ausgestorben war.

Das sind eben solche Märchen, sagte der Prokonsul, die zuweilen aus ganz natürlichen, nur, wie so vieles andere, nicht im Augenblicke sogleich erklärbaren Ereignissen, gleich unserm vorhin erlebten, entstehen und die dann von müßigen Köpfen in's Wunderbare übersetzt werden. Wenn ich Kinder hätte, so dürfte denen niemand von meinen Leuten mit solchen Dingen kommen, der nicht sogleich aus dem Hause gejagt seyn wollte. Denn so was prägt sich den jungen Gemüthern zeitig ein und verwächst dann gleichsam in ihre Einbildungskraft. Unfehlbar, lieber Aktuarius, sind dergleichen Ammenmärchen auch Ihrer vernunftgemäßen Ausbildung in der eben besprochenen Rücksicht etwas in den Weg getreten.

Der Sturm.

Als es zehn Uhr schlug, äußerte der Prokonsul seine Verwunderung, daß das Abendessen noch nicht aufgetragen wurde. Doch in demselben Augenblicke kam auch der Aufschluß. Die Köchin eilte nämlich herzu und sagte, daß sie bei dem ungeheuern Winde, der durch die eingeschlagenen Fenster blase, nicht im Stande sei, das Feuer beisammen zu halten. Ueber diese Nachricht aber mußten Wirth und Gast um so mehr erstaunen, da sich, wie man nun das Fenster öffnete, durchaus kein Lüftchen bewegte.

Davon müssen wir uns doch selbst überzeugen, sagte der Prokonsul kopfschüttelnd, und man ging hinaus. Aber auch in der Küche kein Lüftchen.

Es wurde sogleich wieder Feuer gemacht. Doch kaum hatte man die Kasterolle übergesetzt, so blies auf einmal ein heftiger Wind, jetzt aber nicht zum Fenster herein, sondern aus dem Schornstein dermaßen herunter, daß alles wieder auseinander flog.

Das geht wirklich über meinen Horizont! sagte der Prokonsul, weil der Baum draußen noch immer kein Blatt bewegte.

In der That mußte der Abendtisch anders arrangirt und mit kalter Küche vorlieb genommen werden, weil der Wind durchaus nicht zu bändigen war.

Es ist doch überaus seltsam! sagte der Aktuarius bei Tische, und ich erinnre mich hier einer Geschichte, an die ich sonst immer nicht sonderlich geglaubt habe. Er erzählte darauf wieder eine Anekdote von ähnlichen unerklärbaren Winden, die durchaus kein Feuer in einem gewissen Hause gelitten und sogar jedes Licht ausgelöscht hätten.

Der Prokonsul schüttelte lächelnd den Kopf und sagte: Wer weiß, mit welchen schauerlichen Zusätzen morgen die Stadt den heutigen Wind unsrer Küche beehren wird!

Wohl möglich, antwortete der Aktuarius. Aber sonderbar bleibt mir doch der Wind bei völlig ruhiger Luft, der erst durch das Fenster, dann durch die Esse kommt, auch schon an sich und ohne alle Zusätze.

Concedo, antwortete der Prokonsul. Bei einigem Nachdenken aber läßt die Sache gewiß eine natürliche Erklärung zu, wenn wir auch heute nicht sogleich darauf fallen.

Das Scheuern.

Was ist denn das wieder? fragte der Aktuarius, indem er Messer und Gabel weglegte und hastig vom Tische sprang. Zugleich zeigte er mit furchtsamer Geberde auf die Dielen.

Lassen Sie sich durch das Geräusch unter unsern Füßen nicht stören. Unfehlbar läßt meine Frau unten scheuern.

Das klingt mir doch gar nicht so! erwiederte der Aktuarius. Auch fand sich bei näherer Untersuchung, daß an kein Scheuern gedacht worden war.

Gleichwohl fing, sobald man wieder saß, dasselbe Geräusch von vorne an. Der Aktuarius erwähnte hierbei die bekannte Geschichte aus jener Pfarre in Schlesien, wo immer unter den Füßen der Familie von unsichtbarer Hand gekehrt wurde, und fügte noch hinzu: Ich für meine Person weiß überhaupt bei manchen Ereignissen gar nicht wie sie natürlich auszulegen sind, und möchte wohl, da wir jetzt über dergleichen Dinge sprechen, die Meinung eines so aufgeklärten und einsichtsvollen Mannes, wie der Herr Prokonsul sind, darüber vernehmen.

Aber der aufgeklärte und einsichtsvolle Prokonsul schien auch allmählig etwas toleranter und empfänglicher für das Uebernatürliche zu werden. Denn während der Aktuarius ihm einige Geisteranekdoten, worein ein Paar Verwandte verwebt waren, vortrug und dann hinzufügte, daß an der Glaubwürdigkeit der Personen gar nicht zu zweifeln sei, sah sich sein furchtloser Freund schon so häufig im Zimmer um und zog die Füße, unter denen noch immer von Zeit zu Zeit gescheuert wurde, so hoch herauf, daß er das einemal vor lauter Unachtsamkeit auf seine Person, sicher vom Stuhle gefallen wäre, wenn ihn der Gast nicht noch ergriffen hätte.

Ob sie wohl gehen?

Endlich wurde der Kellerschlüssel gebracht und der Aktuarius zündete das Licht an. Da sagte der Prokonsul: Wissen Sie auch, lieber Blond, daß wir unsre Unterhaltung für diesen Abend gar übel gewählt haben? Die Einbildungskraft findet sich durch die Märchen – denn anders werde ich die Gespensterhistörchen bei kalter Ueberlegung schwerlich nennen – so genährt. Eine berüchtigte Stunde ist es obendrein und es giebt Stimmungen, in denen man kaum für sich selber stehen kann.

Sie nehmen mir das Wort aus der Seele, Herr Prokonsul. Lassen wir den Keller. Ihre Frau Gemahlin wird so viel Freude über die gewonnene Wette haben, daß Sie schon im Gedanken daran den Verlust derselben wohl verschmerzen können.

Allein grade bei der Erinnerung an die Wette rekolligirte sich der Prokonsul und sagte: Nein, gehen wir lieber. Es ist kein Frevel, den wir vorhaben.

Ich glaube, sagte der Aktuarius auf der Treppe, daß alles gut zu beseitigen ist, sobald wir nur den ersten Schauer überwinden. Wunderbar, wie alle Bagatellen diesen Schauer vermehren können! So ist der starke Wiederhall auf dieser gewölbten Treppe das Natürlichste von der Welt. Gleichwohl zuckt mir nach jedem Tritte der Fuß vor Schrecken ganz fieberhaft.

Hören Sie einmal, lieber Aktuarius, ehe Sie mir krank werden, wollen wir lieber die Sache unterweges lassen, sagte der Prokonsul, trat eine Stufe zurück und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

O behüte, meinetwegen nur nicht. Man muß für jeden Grundsatz, zu jeder Zeit, sein Leben aufs Spiel setzen können. Ich, meines Orts, will Ihnen die, freilich etwas gefährliche, Wette gewiß nicht verloren machen.

Der Keller.

Was mir von dem Glase Wein für ein Zittern in die Glieder gekommen ist! sagte der Prokonsul, wie er das Schlüsselloch der Kellerthüre gar nicht treffen konnte. Der Aktuarius mußte aufschließen.

Was ist das? rief dieser, als beim Eintreten in den Keller ein lautes Stöhnen zu vernehmen war.

Das weiß der liebe Gott! erwiederte der Prokonsul, weinerlicher als es dem aufgeklärten Manne zukam.

Darauf geschah ein heftiger Knall. Die Lichter verlöschten. Rings umher feurige Todtenköpfe. An der Wand die flammende Schrift: Verloren, wer einen Schritt weiter wagt.

Das alles verschwand jedoch sogleich wieder und eine weißverschleierte Gestalt von hohen, blauen Flammen umgeben, stieg aus dem Boden auf.

Der Aktuarius sank zur Erde. Der Prokonsul so wenig um ihn als um den silbernen Becher bekümmert, eilte, Hülfe rufend zurück, und schätzte sich überaus glücklich, als er die Hausthüre ohne irgend einen Unfall gewonnen hatte.

Eheglück.

Die Frau Prokonsulin lag mit Lottchen voll banger Erwartung im Fenster, wie der Geflüchtete vor der alten Wohnung anlangte.

Nun? so fragten zwei Paar Lippen und Augen, als er noch an der untersten Stufe stand, von oben begierig herab.

Nur ruhig, antwortete er, es wird sich alles finden und die beiden Damen meinten, daß sein sichtbarer Verdruß nicht mit vielem Gelde zu bezahlen sei.

Bringst Du den Becher mit, Männchen? fragte die Frau Prokonsulin in ihrem Innern schon hoch triumphirend.

Still vom Becher und allem. Ich bin gut, darum sollst Du Deinen Willen haben. Wir wollen hier wohnen bleiben. Nun laßt mich aber auch mit Fragen ungeschoren, denn ich kann vor Schlafe die Augen nicht mehr aufthun.

Nur diesen einzigen Kuß noch, liebstes Männchen, sagte die entzückte Frau Prokonsulin, zog den Theuern so fest wie am Hochzeittage an ihre abgelebte Brust und eilte dann mit Lottchen Arm in Arm aus dem Zimmer.

Muthmaßungen.

Die Stadt war zu klein und die Gespenstergeschichte zu merkwürdig, als daß sie nicht schon am folgenden Tage hätte bekannt seyn sollen. Alle Einwohner waren davon allarmirt. Der Prokonsul wurde in der Ressource mit tausend Fragen bestürmt. Einen Schleier darüber! pflegte er zu sagen, da er weder erzählen wollte, noch läugnen konnte. Wer gar zu arg ihm zusetzte, den wies er an den Aktuarius, welcher trotz der Ohnmacht, wobei ihn der Prokonsul im Stiche gelassen hatte, den Gespenstern ebenfalls glücklich entronnen war.

Kein Wunder, wenn man einigen vernünftigen Personen im Städtchen Glauben beimessen will. Nach diesen Personen war der Aktuarius, der sich von jeher viel mit sogenannter natürlicher Magie abgegeben hatte, die Seele dieser Spukerei. Er hatte eine geheime Aktenrepositur unter seinem Verschlusse, die seit Menschengedenken von niemand durchblättert worden war als von ihm. In dieser Repositur soll nun ein ganz natürlicher Aufschluß über die vormalige Spukgeschichte in jenem berüchtigten Hause zu finden gewesen seyn. Man hatte aber damals das Publikum lieber in der Gespensterfurcht lassen, als einen angesehenen Mann, der in die Historie verwickelt war, kompromittiren wollen. Daß der Aktuarius bei Gelegenheit einer Rügensache von dem Postillon, der den Prokonsul hergebracht, die Geschichte mit dem todten Schimmel erfahren hatte, das, wußte man so gut, als daß er auf der Universität wegen seiner Neigung zu lustigen Streichen zuweilen des Teufels Vorlauf genannt worden war. Auch hielten der Rathsdiener und der Frohn, welche die Wache gehabt hatten, zu große Stücke auf den Aktuarius, um den Gespenstern, die er veranlaßte, nicht eher hülfreiche Hand zu leisten, als ihnen voreilig entgegen zu wirken.

Ursachen.

Für eine so ausgezeichnete Treulosigkeit des Aktuarius aber an seinem Gönner, dem Prokonsul, müßten immer sehr wichtige Ursachen anzugeben seyn, wenn man diesen Muthmaßungen Glauben beimessen sollte. Es gab aber auch solche Ursachen. Der Aktuarius war nämlich jener junge Springinsfeld selber, mit dem Mamsell Lottchen lieber Hochzeit machen wollte als mit dem alten Kämmerer. Wohl möglich daher, daß die Frau Prokonsulin in ihrer Verzweiflung über das Gespensterhaus endlich den schlauen Liebhaber Lottchens zu Rathe gezogen, und dieser auf den Fall, daß seine Anschläge gelängen, sich die siebzehnjährige Hand ausgebeten hatte, die zeither seine verliebte Natur tagtäglich mit zärtlichen Briefen genährt hatte, welche an der Köchin, die ebenfalls in den Geisterspuk verwickelt seyn mochte, eine allezeit fertige Bestellerin fanden.

In der That mußte der alte Kämmerer, der lange Zeit für Lottchens Bräutigam gegolten hatte, bald nachher mit langer Nase abziehen, weil der Aktuarius Lottchens Gatte wurde.

Als das junge Ehepaar in der Folge gar das Gespensterhaus selber kaufte und bezog, nachdem die Gespensteranstalten darin völlig zerstört waren, da begann auch der Floh, den der verschmähte Kämmerer dem Prokonsul wegen des Gespensterstreiches bald darauf in's Ohr gesetzt hatte, sich recht mächtig zu regen.

Der Prokonsul spannte nun seine ganze Kraft an, um den verschmitzten Schwiegersohn aus der Rathsstube hinauszubeißen. Umsonst. Die Gespenstergeschichte in der Stadt und die, welche der Postillon jetzt häufig als Gegenstück erzählte, diese beiden Historien hatten den hartnäckigen Läugner der Geisterwelt um alle Autorität gebracht.

Bei der nächsten Rathswahl offenbarte sich dieß noch mehr dadurch, daß der Aktuarius Blond zum Senator ernannt und ausdrücklich dem Prokonsul zur Unterstützung an die Seite gesetzt wurde.

E. E. Rath schöpfte schon wieder Athem, weil nun alles beim Alten blieb, wenn der Schelm, der neue Senator, nicht künftig einmal neue Späne machte.

Was den Prokonsul anlangt, so durfte der zu Hause seinen aufgeklärten Mund auch kaum noch aufthun, wenn er nur einige Ruhe vor seinem zweiten Ich haben wollte, welches bald gar eine Klage gegen ihn beim Konsistorium einreichte. Die Scheidung erfolgte endlich, und man kann als Notiz für Ehestandskandidaten hinzufügen, daß die Frau Prokonsulin sich seitdem so jugendlich bunt und durchsichtig kleidet, auch die erfahrungsvollen Augen so schamhaft niederschlägt, daß man auf die Idee geräth, als habe die unglückliche zweite Ehe ihr den Gedanken an eine glückliche dritte noch gar nicht aus der hoffenden Seele genommen.

In der Stadt behandelte man den Herrn Gerstensaft ebenfalls unartig genug. Brauer, Bäcker, Schulmeister, kurz alle diejenigen, die anfangs, wie er noch Berge umreißen wollte, unter seinen Neuerungen gelitten hatten, stellten sich ihm selbst bei hellem Tage mit aufgehobenen Fäusten in den Weg. Abends wagte er gar nicht mehr auszugehen.

Fast alle Professionen hatten etwas wider den Mann einzuwenden. Am glimpflichsten noch gingen die Glaser mit ihm um, weil er ihr bester Kunde war. Denn die Zeterjungen, die sonst immer am Dreikönigstage mit dem Sterne durch die Stadt gezogen, auf seine Anordnung aber aufgehoben worden waren, litten durchaus kein ganzes Fenster in seinem Hause. Am Ende hätte er seine Besoldung der Glaserinnung völlig abtreten müssen, daher entsagte er lieber der Prokonsulstelle selber. Seitdem soll er in einem andern Städtchen bei schwunghaftem Umtriebe seiner Gesundheitskaffee-, Thee- und Tabaksfabrikation durch Flugschriften der Aufklärung neuen Vorschub thun, und in dem Bewußtseyn verkannter Größe, sich seinen Umständen nachziemlich wohl befinden.


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