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Klara Mongomery.


Aus den Papieren des Chevaliers St. **ge.

Zehn unruhvolle Jahre hatte ich fern von meinem Vaterlande durchlebt. Der Auftrag des **er Hofes war mir willkommen, so bedenklich er auch an sich war. Ich nahm ihn mit raschem Entschluß an, weniger, um die feingesponnenen Fäden des Kabinets eben so fein zu verweben, als vielmehr meiner eignen Sehnsucht wegen, die mich schon lange unwiderstehlich nach dem geliebten Frankreich zog.

Ich hatte im Fluge die schönen Ufer des Rheines erreicht. Mit Mühe nur lernt' ich mich wieder finden, so sehr hatte der Krieg Alles verändert, Vieles auch entstellt. Um so liebender nahte ich mich nun jeder Stelle, welche mir in der alten befreundeten Gestalt entgegengrünte. Es war eben Weinlese. Wie heißt das Dorf, unten am Berge? fragte ich einen rothbäckigen Schwarzkopf von Winzer, der neben seiner Butte an einen volltraubigen Weinstock sich gestreckt hatte und vesperte. Montremy, war die Antwort, aber ihr müßt dort seitwärts fahren, bei St. Maurice vorbei, sonst habt ihr ein böses Stück Weg. Ist's möglich, rief ich in frohem Erstaunen, bin ich bei Montremy, lebt wol der alte ehrwürdige Pfarrer zu St. Maurice noch? Hier wendete mir der Junge ein paar große blitzende Augen zu. Ei freilich – sagte er – ihr wollt ihn wol besuchen? Laßt mich nur meine Butte voll schneiden, dann führ' ich euch hin, wenn ihr wollt. Ich sprang rasch aus dem Wagen und wollte dem freundlichen Burschen helfen, aber er legte mir so viel Trauben vor, und nöthigte mich zuzulangen, daß er früher fertig war, als ich. Nun wollen wir gehen, sprach er, und tanzte singend mit seiner Butte vor mir her. Es währte nicht lange, so klopfte er an ein weißes Gartenpförtchen; es war schon geöffnet, und er schob mich hinein. Dort sitzt der Herr Pfarrer, sagt' er, nickte freundlich, und war mir aus den Augen, eh ich Zeit hatte, ihm zu danken.

Ich erkannte augenblicklich in dem aufstehenden Greise, der sein schwarzes Sammtkäppchen von dem silberweißen Haar abzog, meinen alten Freund und Wohlthäter. Er hieß mich freundlich, aber als einen Fremden willkommen und nöthigte mich bei ihm auf der Gartenbank Platz zu nehmen.

Kennen Sie mich nicht mehr? – fragt' ich und faßte seine Hand. Er sah mich nachdenkend an, schüttelte dann lächelnd den Kopf und entschuldigte seine Vergeßlichkeit mit Altersschwäche.

Erinnern Sie sich nicht mehr – fuhr ich fort – eines vormaligen Officiers der königlichen Garde, der verwundet, entkräftet und hülflos bei Ihnen Sicherheit und Pflege fand?

Meines Wirthes Augen wurden blitzender. Er umarmte mich lebhaft und schmälte auf sich, daß er mich nicht gleich erkannt habe, dann besah er mich von allen Seiten, strich mir die Haare von der Stirn und zeigte mir die Narben, die damals bedeutende Wunden waren, und blutige Denkmale der Versailler Schreckensnacht. Er hatte nichts vergessen. Der Greis von einigen und achtzig Jahren wiederholte mir die Scenen, die er aus meinen Erzählungen kannte, treuer, als mein eigenes Gedächtniß.

Wir saßen bis spät in die Nacht. Ich mußte meine Schicksale seit meiner Flucht erzählen, und dazwischen redeten wir mancherlei über die öffentlichen Verhältnisse. Mein Wirth lächelte oft, wenn ich begeistert von der schönen Frucht republikanischer Freiheit sprach, die der vergangenen Schreckensperiode nur zu ihrer Reife bedurft habe.

Reifen – sprach er – wird allerdings eine Frucht, und unser Glaube gebietet uns zu hoffen, eine heilsame; ob aber ihr Name republikanische Freiheit heißen werde, dürfte vielleicht noch zweifelhaft seyn. Unser Klima scheint ihr nicht günstig.

O Sie ewiger Zweifler! – rief ich etwas ungeduldig.

Erinnern Sie sich – fuhr er fort, und ward im Sprechen immer ernster – an Ihre Hoffnungen vor zehn Jahren. Sie wollten das Schwert damals nicht sehn. Es ist gefallen.

Ich sah ihn schweigend an. Auf seinem Gesicht lag ein tiefer Ernst, und seine Augen suchten eine Thräne zu verbergen.

Wunderbarer Mann – sagt' ich – ja, ich erinnre mich, wie Sie den Tod des unglücklichen Königs ahndeten. Doch jetzt begreife ich Sie noch weniger.

Die Zukunft wird mich rechtfertigen, wie damals – erwiderte er, und stand auf. Mitternacht war nah. Mein Wirth wies mir ein Schlafzimmer an und entfernte sich.

Ich lag kaum in dem ersten Schlaf, als ein starkes Pochen und Klingeln mich aufweckte. An dem Fenster hörte ich, daß man den Pfarrer abrief, um einer Sterbenden das letzte Sakrament zu reichen. Das halbe Dorf war in Bewegung. Mein, sonst in seinem hohen Alter noch so rüstiger Wirth, trat mit wankendem Schritt aus seiner Wohnung und mußte sich wegen seiner Schwäche auf einen jungen Burschen stützen. Im Augenblick brachten die Nachbarn einen gepolsterten Lehnstuhl, und Männer und Jünglinge drängten sich, den herrlichen Greis wie einen Apostel durch das Dorf zu tragen. Die Kinder und Frauen gingen neben dem Stuhl und faßten Lehne und Arme um nicht leer auszugehn, und den geliebten Greis auch vor jedem möglichen Schwanken zu schützen.

Er blieb lang' aus. Am Morgen hörte ich, die Kranke sei kurz nach ihrer Beichte während seiner Einsegnung verschieden.

Ich wollte meinen Freund in der ihm so nöthigen Morgenruhe nicht stören, und machte einen Spaziergang in die Weinberge. Ueberall standen die Dorfbewohner in kleinen Gruppen und unterredeten sich, wie es schien, über den Vorfall der vorigen Nacht.

Ich mischte mich in das Gespräch und fragte theilnehmend nach den nähern Umständen des plötzlichen Todesfalles. Die Leute sahen sich bedenklich an, endlich nahm einer von den Aeltesten das Wort:

Man darf heutzutage von solchen Dingen nicht sprechen – sagte er – aber ich weiß, was ich davon denke. Gestern Abend war Colette noch frisch wie Sie, und es that ihr kein Finger weh. Vom Tanzen soll es kommen und von der Erkältung. Freilich, der Tod will seine Ursache haben. Ich weiß am besten, daß sie nach dem Abendbrot keinen Schritt getanzt hat. Schlug Sie es doch dem Matthieu ab. Hätte sie getanzt, sie lebte vielleicht noch.

Ich bat um nähern Aufschluß. Nach einigen Weigerungen fuhr der Sprecher fort:

Sagen es doch mehre, so kann ichs ja wol auch sagen! Colette saß mit den andern Mädchen, die nicht mehr tanzen mochten, unter den Linden, und da wurde mancherlei geschäckert. Endlich fällt's ihnen ein Versteckens zu spielen. Wie nun das junge Volk in allen Winkeln herumsucht, es war aber kaum so lange, als wir davon sprechen, so klatscht Colette in die Hände und ruft: Gefunden, gefunden! aber in dem Augenblicke schreit sie laut auf und fällt vor Schreck todt zur Erde.

Ich wollte eine Frage thun, aber der Alte fuhr gleich beantwortend fort:

Ja, was ihr widerfahren ist, das hat sie niemand gesagt. Gesehn hat sie etwas, das ist ausgemacht, denn warum hätte sie sonst gerufen: Gefunden? aber Manon, die sich versteckt hatte, konnte es nicht seyn, denn die kam auf den Schrei ganz wo anders her gelaufen. Ich bleibe dabei, sie hat die verschleierte Braut gesehn, die ist ihr begegnet.

Die verschleierte Braut – fragte ich – was ist das?

Nun – fuhr er fort – meinen Glauben dring' ich niemand auf, aber ich hab' es von meinen Großältern erzählen hören, daß die sich manchmal sehn läßt, und vor sechs oder sieben Jahren wollte sie auch der alte Thomas gesehn haben. Man sollte damals nicht davon sprechen, unser Herr Pfarrer sah es nicht gern; aber der alte Thomas ist darauf gestorben.

Weiter konnte ich nichts erfragen, denn der Mann hielt mich für ungläubig und meinte, ich lachte ihn wol im Stillen wegen seiner Treuherzigkeit aus. Ein altes Mütterchen wollte gehört haben, diese sogenannte verschleierte Braut habe Zauberei getrieben und einem König mehr von der Zukunft sehen lassen, als sie erlaubt bekommen, dafür habe sie nun keine Ruhe bis alles was sie ihm vorgezaubert erfüllt sei. Ich hätte gern mehr gewußt, aber je angelegentlicher ich fragte, um so verschlossener wurden die Landleute. Ich mußte also ohne Befriedigung meiner Neugierde zu meinem Pfarrer zurück.

Ich fand ihn wohl auf, und nur etwas ermattet. Sein Geist aber war zu meiner Verwunderung lebhafter als gestern, und er sprach über verschiedene Gegenstände mit einer Wärme, die oft sein Gesicht mit einem flüchtigen Jugendschimmer röthete.

Unser Gespräch lenkte sich bald auf das schnelle Ende des jungen Mädchens, und da ich bemerkte, daß ihn dieser Todesfall von neuem erschüttern, so wendete ich das Gespräch auf den Gespensterglauben des alten Bauers, und fragte nach der verschleierten Braut.

Es ist mir lieb – sagte der Pfarrer – daß Sie diesen Glauben nicht genährt haben. Ich sehe es ungern, wenn solche Dinge in meiner Gemeine zur Sprache kommen, und fürchtete schon gestern das Aufleben aller alten Sagen, die ich oft mit Mühe bekämpft habe, weil sie durchaus nicht für das Volk gehören.

Schon gestern? – wiederholte ich fragend.

Bei der Nachricht von Colette's Zufall setzte er hinzu – Sie hat wirklich etwas gesehn, was die Leute hier die verschleierte Braut nennen, und der Schreck hat ihr den schnellen Tod verursacht.

Sonderbar! – rief ich und sah ihn zweifelhaft an – Wie konnten sie aber gleich auf eine Erscheinung rathen? Hier muß in der That ein sehr räthselhaftes Geheimniß verborgen liegen!

Mein Wirth schwieg. So wenig seine Miene Verlegenheit zeigte, so glaubte ich doch das Gespräch möchte ihm unangenehm seyn und lenkte es auf andre Gegenstände. Allein er unterbrach mich bald selbst.

Sie sind mir schon bei unsrer ersten Bekanntschaft lieb geworden – sagte er mit einem unbeschreiblich liebreichen Blick – daß Sie nach Verlauf von zehn Jahren sich eines alten Mannes noch so freundlich erinnern, macht Sie mir doppelt theuer. Wollen Sie mir wol eine Bitte nicht abschlagen?

Ich gab ihm die herzlichsten Versicherungen.

Sie stehn – fuhr er fort – im Begriff nach der Hauptstadt abzureisen – Verschieben Sie diese Reise einige Zeit. Nehmen Sie mit einer Wohnung vorlieb, so gut ich sie Ihnen bei mir anbieten kann.

Ich war etwas überrascht, und erinnerte ihn an die Absicht meiner Reise, die keinen Aufschub und keine Verzögerung verstatte.

Er lächelte.

Ihre Reise ist vergebens – erwiderte er – doch ich weiß, daß der Auftrag Ihres Hofes wenigstens den Versuch ihn zu vollziehen nöthig macht. Reisen Sie also, nur aber heut, und wo möglich morgen nicht, sonst ist Ihre Reise nicht allein unnütz für Ihren Hof, sondern auch verderblich für Sie.

Er sagte die letzten Worte mit einem Ernst, der mich erschütterte. Indem er aber diese Wirkung seiner Rede auf mich bemerkte, fuhr er sanfter fort:

Ihr Zweifel, den ich in Ihren Augen lese, ist sehr natürlich. Allein, erinnern Sie sich, es ist nicht das erstemal, daß das Unwahrscheinliche doch wahr wird.

Ich dachte an unsre frühern Gespräche. Seine Reden waren, wie Weissagungen vom Erfolg wunderbar bestätigt. Die Schnelligkeit, mit welcher ich gereiset war, übertrug reichlich die Verweilung von ein paar Tagen. Nach einigem Besinnen sagte ich ihm zu bis morgen zu bleiben. Er umarmte mich und dankte mir, als hätt' ich ihm eine Wohlthat erzeigt.

Aber – setzte ich hinzu – werden Sie mir nun die Bitte gestatten, um einigen Aufschluß über Ihre Vermuthungen? Wie kann diese Reise verderblich für mich seyn, und warum eben nur heut und morgen?

Sie sollen alle Befriedigung haben – sagte er – die ich Ihnen geben kann, und die in dergleichen Dingen möglich ist. Die Zeit unsres Zusammenseyns wird hinreichen, Sie mit einer Begebenheit bekannt zu machen, die seltsam genug ist, um einen Zweifler zur Aufmerksamkeit zu bewegen. Doch, ich will Ihnen nicht erzählen, Sie sollen selbst sehen und untersuchen, worauf meine Voraussagungen und zugleich die Sagen von der verschleierten Braut sich gründen. Kommen Sie!

Er nahm seinen Knotenstock und faßte mich unter den Arm. So gingen wir durch dasselbe Gartenpförtchen, durch das ich gestern hereingetreten war.

Unser Weg führte uns bald aus den Weinbergen in einen reizenden Grund. Wir gingen den grünen Ufern eines klaren Baches nach, der durch die Mitte des Thales rauschte. Oftmals war der Weg so eng, daß die Bäume auf den Bergen über uns mit den Aesten in einander griffen, und unsre Stimme zwischen den nahen Felswänden schwirrend widerhallte. Bald aber erweiterte sich das Thal, und unter dem wilden Buschwerk zeigten sich hier und da Spuren vormaliger Regelmäßigkeit. Buchenwände, die seit vielen Jahren der Scheere des Gärtners entwachsen waren, breiteten sich aus und hatten die Statuen, die sonst in ihren ausgeschnittenen Nischen standen, mit den hervorwachsenden Zweigen umschlungen und nicht selten umgestürzt. Trockene Bassins zeugten von vormaligen Bädern und Wasserkünsten und die künstlichen Blumenstücke von buntem Glas und Porzellan ließen keinen Zweifel, daß ein Garten mit aller symmetrischen Eleganz des Geschmacks früherer Zeiten hier geglänzt hatte.

Die freie Natur siegt doch überall! – sagt' ich zu meinem Führer, als wir eben bei einem Taxus vorübergingen, der seinen vormaligen Pfauenschnitt in eine lächerliche Karikatur ausgebreitet hatte.

Nur etwas ungraziös und zerstörend – antwortete mein Wirth – und zeigte mir eine schöne Jupiterstatue, welcher der Pfauenschweif im Ausbreiten die blitzende Rechte mit dem olympischen Haupte abgestoßen hatte.

Schade – rief ich – führt denn hier Niemand einige Aufsicht?

Er lächelte.

Dieser Garten – sagte er nach einer kurzen Pause – gehört zum Schlosse Montremy. Es empfand in jener Schreckenszeit das Schicksal mehrer Gebäude, die der Reichthum ihrer Besitzer seit Jahrhunderten verschönert hatte. Wir werden bald die Ruinen davon sehen, denn anders ist das Vorhandene, so weitläuftig und groß es auch noch ist, gegen die frühere Pracht nicht zu nennen. Seit jener Zeit steht alles hier wüst. Montremy mit seinen schönen Umgebungen, ward eine Wildniß, die jeder dem es beliebt nach seinen Einfällen benutzt, wie er es eben kann und vermag.

Wir hatten uns mühsam durch die dichtverwachsenen hohen Büsche gedrängt. Eine steile Wand schien uns den Weg zu versperren. Wenden Sie sich nur wenig Schritte zur Linken, rief mein Führer mir zu, indem er das Gestrüpp zurückbeugte. Eine schmale Oeffnung zeigte sich. Der Pfarrer faßte meine Hand und führte mich einige Schritte durch dichtes Dunkel, das bald von oben durch matt einfallendes Licht erhellt wurde. Ich erkannte in dieser Dämmrung eine ziemlich verfallene Treppe, wir stiegen hinauf, nicht ohne einige Beschwerde. Aber das Ende unsers Weges belohnte reichlich die aufgewendete Mühe. Wir standen auf der Anhöhe von Montremy. Vor uns breitete sich die herrliche Gegend, als hätte sie die Natur wie ein Panorama für diesen Gesichtspunkt gebildet. Weinberge im lebendigen Gewühl der Erndte; neben den Bergen hier fruchtbeladene Thäler, dort furchtbare Gründe zwischen wolkenhohen Felsen; in der Nähe rauschende Bäche mit schäumenden Fällen unter lachenden Gärten und Wiesen, in der Ferne der breite, majestätische Strom, und hinten am Horizont die nimmergrünen, weitleuchtenden Berggipfel von Eis und Schnee – ich wurde nicht müde die Pracht zu bewundern, und hätte noch lange in Entzücken verloren gestanden, wenn mein Führer mich nicht erinnert hätte, auch die andre Seite unsrer Umgebung zu betrachten. Ich wendete mich, und vor meinen Blicken lag das Schloß Montremy. Die schwarzen, mit Moos und Dornen durchwachsenen Trümmer zeugten noch unwidersprechlich von der ehmaligen Pracht des Schlosses und dem bedeutenden Reichthum seiner Besitzer. Ein großer Theil des Innern war vom Feuer verzehrt, das der wilde Pöbel aus blindem Haß gegen alles, was auf ererbten Wohlstand und hergebrachte Vorzüge deutete, auch in dieses Schloß geworfen hatte. Aber selbst die wilde Gewalt der Flammen schien in dem weiten starken Gebäude ermattet zu seyn, und bei weitem der größre Theil stand noch unversehrt, und bloß durch mehrjährige Verödung eingewildert. Wir besahen verschiedene Zimmer, einigemal glaubt' ich am Ende zu seyn, aber eine verborgene Thüre führte dann in eine neue Reihe von Gemächern, die durch größere Verborgenheit besser vor der Zerstörung und Plünderung geschützt gewesen waren.

Sie sollen nun die verschleierte Braut sehn – sagte mein Freund, indem er in einer kleinen Kapelle eine verborgene Thür' öffnete, die durch einen schmalen Gang zu einer ziemlich geräumigen Halle führte.

Wir traten ein. Meine Augen mußten sich erst an die Dämmerung gewöhnen, denn das sparsame Licht, das einzig durch eine Oeffnung in der Kuppel die Halle beleuchten konnte, war durch überhängendes Gesträuch zum ganz matten Schimmer abgestumpft. Endlich sonderten sich die Gestalten vor meinen Augen aus der Dunkelheit. Die Wände der Halle waren in dem Geschmack der vorigen Zeit mit düstern Bildern und Emblemen des Todes verziert. Dem Eingang gegenüber stand, in einer, der Wand eingehauenen Nische auf einem ziemlich hohen Fußgestell eine Statue. Die dumpfe Luft in dem feuchten verschlossenen Gewölbe war ihrer Erhaltung nicht günstig gewesen, doch schien sie mir bei näherer Betrachtung von guter Arbeit und nicht so gar alt. Neben ihr in der Nische lehnte der zerbrochene Schaft einer starken Lanze, an der andern Seite war eine Verzierung angebracht, in der man mit Mühe einen zerrissenen Kranz und einen Nonnenschleier errathen konnte.

Ist das die sogenannte verschleierte Braut? fragte ich meinen Freund.

Sie ist es – war die Antwort – Lesen Sie die Inschrift.

Das Postament enthielt nichts als die einfache Aufschrift Klara Mongomery. Indem ich aber mich beugte, bemerkte ich, daß wir auf einer glänzenden Metallplatte standen. Die Schriftzüge darauf waren deutlich erhalten. Ich las: Klara Mongomery aus dem Hause Limeuil, geboren 1543, gestorben 1559. Unter dieser Aufschrift waren mehre Zeilen von verschiedenen Händen eingegraben. Ich glaubte die gewöhnliche Gattung von Inschriften zu finden, mit welchen manche Reisende ihre Anwesenheit an merkwürdigen Orten zu bezeichnen pflegen; allein, wie erstaunt' ich, als ich las: ist gesehn worden den zwanzigsten des Julius 1589, erschien den vierzehnten des May 1610. Dergleichen Nachrichten folgten noch einige. Voll Verwunderung sah ich meinen Führer an.

Soll ich das für Scherz oder für Ernst halten – fragte ich.

Der Scherz – erwidert' er – wär diesem Orte nicht angemessen.

Aber der Ernst – fuhr ich fort – noch weniger unsrer Zeit. Sollen wir anfangen wieder Ammenmärchen zu glauben, die gesunde Philosophie längst lächerlich gemacht hat?

Muthe ich Ihnen denn an, irgend etwas zu glauben? – gab er mir zurück – Ich zeige Ihnen hier Monumente der Geschichte, deren Aechtheit freilich der Kritik zur Untersuchung überlassen bleibt, die aber vor dieser Untersuchung eben so wenig für unglaubwürdig als für glaubwürdig angesehn werden können.

Sonderbar! – erwidert' ich – Wenn hier eine Inschrift gefunden würde, in welcher Cyrus dem Alexander ein Denkmal weihet, würden Sie es für ächt halten, oder auch nur der Untersuchung würdig finden.

Nein – antwortete er kurz und entschieden.

Ich deutete fragend auf Bild und Schrift. Er fuhr fort:

Warum also diese Inschriften, wollen Sie sagen. Weil, antwort' ich, ihre Unächtheit nicht durch sichere historische Monumente, sondern durch unsichere, schwankende, veränderliche Meinungen und Ansichten von einer uns fremden Welt, angedeutet wird. Oder, soll mir die gestrige Erfahrung, die von mehrern, Ihnen unbekannt gebliebenen bestätiget wird, nicht wenigstens eben so viel gelten, als das Raisonnement unserer Philosophen, das sie nach ihren, eben nicht unveränderlichen und sich fast immer widersprechenden Systemen über Dinge hören lassen, von welchen sie selbst keine Erfahrung zu haben versichern. Doch ich habe Ihnen nur eine Erzählung versprochen. Die Prüfung ihrer Möglichkeit bleibe Ihnen selbst überlassen.

Nur noch Eine Frage – fiel ich ein. – Wenn Sie an der Wahrheit oder Möglichkeit dieser Dinge nicht zweifeln, warum sprechen Sie zu Ihrer Gemeine wider Ihre bessere Ueberzeugung? Ein alter Bauer versicherte mich, daß Sie schon früher sich gegen die Meinung von dieser Erscheinung erklärt haben.

Mein Freund – erwidert' er ernst – der Quell der Wahrheit ist so lauter und heilig als die Natur. Durch falschen Gebrauch werden Erzeugnisse der Natur für den Körper zerstörend, sollte es Sie befremden, wenn auch bei Wahrheiten für den Geist dieselbe Vorsicht nöthig wär, die wir, zum Beispiel, bei Giften für den Leib anwenden? Durch meinen Widerspruch werde ich überhaupt niemand vom Geisterglauben abbringen. Dieser liegt zu tief in der menschlichen Natur und Eine Erfahrung schlägt alles Raisonnement dagegen nieder, wie Sie selbst an den Sprechern in meiner Gemeine bemerkt haben. Wollte ich aber, als Geistlicher, diesen Glauben in Schutz nehmen, wie bald würd' er unter Leuten von mehr Einbildungskraft als Verstand, in den verderblichsten Aberglauben ausarten.

Ich blickte nochmals nach den Inschriften. Kennt man wol – fragt' ich – die Personen, welche diese wunderbaren Erscheinungen hier bezeugen?

Mein Führer lächelte, wie es mir schien über die letzten Windungen meines Unglaubens.

Die letzten beiden Nachrichten – sagte er – habe ich eigenhändig eingegraben, die unmittelbar vorhergehende schrieb mein unvergeßlicher Freund Monthollon. Er war Sekretär bei dem letzten Besitzer von Montremy, ein Mann von hellem Geist und festem, treuem Gemüth. Es ist billig, daß ich seinem Andenken, in der Erzählung, die ich Ihnen schuldig bin, einige Worte widme. Zuvor aber lassen Sie uns unsre Wanderung vollenden.

Wir durchstrichen noch einige Gemächer des Schlafgemaches, und gelangten endlich wieder auf die Anhöhe, wo mich bei dem Eintritt in das Schloß die herrliche Aussicht entzückt hatte. Wir setzten uns auf eine dunkelbemooßte Steinbank, und mein alter Pfarrer fing ohne Einleitung seine Erzählung an:

Auf dieser Bank saß ich in den bessern Zeiten von Montremy fast täglich mit meinem Freund Monthollon, wenn an heitern Abenden die Sonne hinter dem Schlosse sank, und die Schneehäupter der fernen Berge über den dunklen Thälern in den letzten Strahlen des Abendrothes glühten. Dann verjüngten wir unser Alter mit Erinnerungen aus den frohen Jugendjahren, und, da wir beide in unserm thätigen Leben Stoff genug zur Mittheilung gesammlet hatten, so wurden wir uns täglich unentbehrlicher. Was in des Einen Erfahrungen sich noch chaotisch darstellte, wußte die Einsicht des Andern zu gestalten, und hätte auch einer zuweilen etwas trübe Laune mitgebracht, so schied er gewiß beim Abschiedshändedruck mit heiterem Sinne. Mit einem Wort: die ächteste und innigste Freundschaft war zwischen uns.

Es war mir daher sehr befremdend, als er eines Tages – ungefähr ein Jahr vor den Greuelscenen in dieser Gegend – mit den Zeichen der tiefsten Bekümmerniß neben mir saß, und plötzlich als ich auf die heitern Umgebungen deutete, sein Gesicht verhüllte, um einen Strom von Thränen zu verbergen, den sein männlich festes Gemüth nicht bezwingen konnte.

Monthollon, was ist dir! rief ich höchst erschrocken und fast außer mir. Er umarmte mich, und deutete still, ich sollte nicht in ihn dringen; so schwebt' ich lange in peinlicher Erwartung, bis die Heftigkeit seiner Empfindung sich so weit gemäßiget hatte, daß er sprechen konnte.

Traurige und furchtbare Zeiten nahen sich, sprach er mit bebender Stimme, unsre glücklichen Tage sind vorüber. Armes, unglückliches Land!

Mein Erstaunen wuchs. – Was ist geschehn? rief ich, welche Nachricht hat dich so heftig erschüttert?

Keine Nachricht – erwidert' er mit schmerzlichem Lächeln – die Zeit ist erfüllt. Frankreichs furchtbare Tage beginnen. Unglückliches Land! Unglücklicher König!

Für mich waren diese Worte damals Räthsel. Die Zeit wird bald Alles aufklären, sagte Monthollon. Zu weiterem Aufschluß konnten meine Bitten ihn nicht bewegen. Er blieb düster, sprach wenig, und jedes seiner Worte klang wie das dumpfe Wehe! eines Propheten.

Wir schieden zum ersten Male bekümmert von einander.

Noch diesen Abend hörte ich unter meiner Gemeine halblaute Aeußerungen über die Erscheinung der verschleierten Braut. Ich hatte diesen Glauben als eine dunkle Tradition schon bei Antritt meines Amtes vorgefunden. Alte Landleute wollten von ihren Eltern und Großeltern Sagen von solchen Erscheinungen gehört haben. Selbst hatte niemand etwas gesehen, und die meisten lachten über die Schleierbraut, wie über andre ähnliche gespenstische Wesen in alten Volkssagen. Jetzt wollte ein Knabe etwas in einem Hofe des Schlosses gesehn haben, das er selbst nicht genau zu beschreiben wußte. Ein alter Winzer erinnerte an die vormaligen Erscheinungen der verschleierten Braut und so ward die Vision des Knaben zu einer neuen Erscheinung gestempelt, daß ich Mühe genug hatte, der Verbreitung unzähliger Gespenstergeschichten entgegen zu arbeiten, die aus der zweideutigen Erzählung des Knaben zusammengedichtet wurden.

Die Aufmerksamkeit der Landleute wurde aber bald von diesen Spielen der Fantasie auf wichtigere Gegenstände gelenkt. Nachrichten aus der Hauptstadt deuteten auf Abstellung mancher Mißbräuche und auf den erwachenden Muth im Volke sein Recht gegen die Anmaßungen der höhern Stände geltend zu machen. Unser lebhaftes Völkchen vergaß alles andre über den glänzenden Aussichten, welche die Zulassung von Deputirten des dritten Standes bei der Reichsversammlung zu eröffnen schien, und wen hatte auch nicht damals die Hoffnung auf eine große Revision der wichtigsten Angelegenheit der gesammten Menschheit mit Enthusiasmus erfüllt! Nur Monthollon wurde immer düsterer; oft schien er mit sich zu kämpfen, ob er mir ein ungern zurückgehaltenes Geheimniß anvertrauen sollte, aber immer, wenn ich auf Mittheilung hoffte, fertigte er mich mit der Hinweisung auf eine andre Zeit ab.

Diese Zeit kam nur zu bald. Die Zerstörung der Bastille gab das Signal zu den furchtbaren Scenen, die bald darauf das ganze Land erfüllten. Auch in unsrer Gegend brach die gräßliche Gährung los. Ohne es selbst zu wollen, wurden die Einwohner von Montremy von dem Strom ihrer Nachbarn fortgerissen. Lassen Sie mich die Schrecken jener Nacht verschweigen! Montremy stand in Flammen. Blutige gemißhandelte Leichname lagen umher, der wüthende Haufe tobte im Innern des Hauses durch die Zimmer und suchte den Schloßherrn. Schon waren die Wilden an seinem Schlafgemach, die Thüren splitterten von Kolbenstößen und Beilschlägen, kaum konnte der Unglückliche halb bekleidet mit wankenden Knieen durch eine geheime Thüre entweichen. Jetzt sprengte der letzte Schlag das Schloß, da warf sich der brave Monthollon dem wüthenden Schwarme entgegen, er kämpfte mit übermenschlicher Kraft, bis er von Wunden zerrissen, erschöpft zu Boden sank, aber der Schloßherr hatte indessen Zeit gewonnen zu entfliehn, er war gerettet.

Der Morgen dämmerte, als ich meinen sterbenden Freund, vom Blutverlust ohnmächtig, auf dem Boden fand. Ich verband seine Wunden. Der wilde Haufen hatte seine Wuth in Zerstörung abgekühlt und zog mit dem Morgenroth lärmend weiter. Unbekümmert um das Feuer, das, sich selbst überlassen, in dem Schlosse wüthete, beschäftigte ich mich einzig mit meinem Monthollon. Es gelang mir, ihn zur Besinnung zurückzubringen, ach! nur auf wenig kurze Minuten. Er sah mich lange an. Ich hab' es dir zuvor gesagt – sprach er schwach – und dieses sind nur Vorboten größerer Greuel. Ist der Marquis gerettet?

Ich bejahte es.

Gottlob! – rief er – So muß ich dir also das Geheimniß entdecken. Eile jetzt auf mein Zimmer. In meinem Arbeitstisch findest du ein versiegeltes Packet mit der Aufschrift: Klara Mongomery, die verschleierte Braut. Eile – rief er nochmals, als ich etwas zögerte – Eile, eh' vielleicht die Räuber oder die Flammen das Papier ergreifen.

Ich that, wie mein Freund wünschte und brachte das bezeichnete Papier. Monthollon schien sich etwas zu erholen. Einige von den treuesten Dienern und mehre wohlwollende Landleute kamen aus den Schlupfwinkeln, in welchen sie sich vor der Rotte verborgen hatten, hervor. Mit ihrer Hülfe gelang es mir, die Flammen zu dämpfen, und meinem Freunde seine letzten Stunden wenigstens zu erleichtern. Nach einem kurzen Schlummer winkte er mich an sein Bette, entfernte die Umstehenden, und fragte angelegentlich nach dem bewußten Packet.

Ich versicherte ihn, daß es wohl aufgehoben sei.

Glaube nicht – erwiderte er – daß ich dir unwichtige Papiere vertraue, weil die Aufschrift auf etwas märchenhaftes zu deuten scheint. Diese verschleierte Braut ist keine leere Volkssage, kein Fantom aufgereihter Einbildungskraft. Ich habe sie selbst gesehn. Jene Papiere werden dich überzeugen, daß ich nicht in Fieberfantasien spreche. Erinnere dich an jenen Abend, wo ich zum erstenmal die traurige Zukunft beklagte, die dem Lande bevorsteht. Damals hatt' ich zum zweitenmal die unglückdrohende Erscheinung jener Klara gesehn.

Zum zweitenmal? – widerholt' ich.

Das erstemal – fuhr er fort – war es vor dem Tode des vorigen Königs. Frage mich nicht, jene Papiere unterrichten dich über alles, und ich habe dir wichtigeres zu entdecken:

In einer unbekannten Halle des Schlosses: er beschrieb mir den Weg, den wir vorhin gingen – steht ein steinernes Bild mit der Unterschrift: Klara Mongomery. Die letzten Besitzer des Schlosses, die selten und immer nur auf kurze Zeit hier wohnten, waren selbst unbekannt mit der alten Tradition von diesem Bilde. Mancher hatte es vielleicht niemals gesehn. Einst aber, als ich einige Urkunden im Archiv ordnete, fand ich die Originale jener Papiere, welche dir vertraut sind, und dadurch geleitet, entdeckte ich nach manchem vergeblichen Suchen die Halle mit dem Bilde. Meine Philosophie, die bisher alles Wunderbare, dem Geist, oder vielmehr der Frivolität unsers Zeitalters gemäß, verlacht hatte, war beschämt. Denn zwei inhaltreiche Jahrhunderte lagen profetisch aufgedeckt vor mir. Könige fallen, Throne werden Blutgerüste, die Ungeheuer steigen auf ...

Die Rede Monthollon's ging hier in wilde Fantasien über, welche sie mir unverständlich machten. Vergebens suchte ich ihn zu besänftigen. Er kannte mich nicht mehr, nannte mich Thronräuber und stieß mich mit Heftigkeit von sich. Endlich ward seine Fantasie milder, er sprach von wiederkehrendem goldenen Zeitalter, wo die Eisenkrone sich in Gold umwandeln und über die ganze Erde leuchten werde. Dann verschied er mit dem heitersten Lächeln auf dem erblaßten Gesicht.

Der ehrwürdige Greis von St. Maurice schwieg hier und weihte dem Andenken seines Freundes eine stille Thräne.

Lassen Sie uns sein Grab besuchen – sagte ich gerührt, und er drückte mir mit einem Blick der wärmsten Freundschaft die Hand.

Das Vermächtniß meines Freundes – fuhr er nach einer kleinen Pause fort – zog nun meine ganze Aufmerksamkeit auf sich. Es bestand in einer Sammlung von Briefen und einigen alten Nachrichten. Sie sollen das Ganze sehn und lesen; ich gestatte Ihnen sogar, wenn Sie die Mühe nicht scheuen, eine Abschrift davon zu nehmen. Denn da der Marquis in der Schlacht von Quiberon mit seinen beiden Söhnen geblieben ist, so darf ich dieses Familiengeheimniß nun wol' als mein Eigenthum betrachten. Sie werden in diesen Papieren den Wahrsagergeist finden, der meine Reden gegen Sie zu Prophezeihungen machte, und Sie in den Stand setzen wird, mit einiger Sicherheit in die Begebenheiten der nächsten Jahre zu blicken.

Meine Neugierde war gespannt. Doch glaubt' ich, die Wichtigkeit, welche mein Wirth auf jene Papiere legte, mehr dem Enthusiasmus für seinen geliebten Monthollon, als den Urkunden selbst zuschreiben zu müssen.

Den ganzen Tag hinderten Amtsgeschäfte den Pfarrer, sein Versprechen zu erfüllen. Erst am Abend übergab er mir die versprochenen Papiere. Ich glaubte meinen Augen kaum, als ich statt der gehofften Wichtigkeiten eine Art Roman in Briefen eines jungen, verliebten Mädchens fand. Ich blätterte einige Zeit und endlich überzeugt, mein Wirth müsse sich vergriffen haben, legte ich die Papiere etwas verdrüßlich über die getäuschte Erwartung bei Seite.

Der heitre Morgen weckte mich frühzeitig, und zum Zeitvertreib nahm ich jene Briefe wieder zur Hand. Ich fand bald, daß ich gestern zu schnell geurtheilt hatte. Mein Erstaunen wuchs, als ich auf die Stellen kam, die meinem Wirth und seinem Freunde die Aussicht in die Zukunft geöffnet hatten, und ohne langes Besinnen ergriff ich Feder und Papier, froh der gestatteten Freiheit, mir Abschrift dieser wundervollen Briefe nehmen zu dürfen. Die Nothwendigkeit meine Reise bald fortzusetzen, beschränkte mich indessen auf Auszüge und eine Auswahl dessen, was auf meinen Zweck die nächste und unmittelbarste Beziehung hatte.


1.
Klara an Frau von Limeuil.

Deine Besorgnisse um mich sind ungegründet, meine gute Mutter. Frau von Brissac wird dir dasselbe geschrieben haben, aber, wie ich mir einbilde, in andrer Rücksicht, als du es gern hörst. Du weißt, sie athmet nur in der großen Welt, und nichts scheint ihr tadelhaft, oder nur bedenklich, als was vor dem Hofe nicht bestehen kann. Sie mag in ihrer Art auch Recht haben. Die Königin schätzt sie sehr, und hat mir einigemal gesagt, ich könnte in keinen bessern Händen seyn. Halte du dich aber nur an das, was ich dir selbst über mich schreibe. So gut ich der Frau von Brissac bin, so kann ich doch mit ihr nicht so von Herzen weg plaudern, als mit dir, meine Mutter. Ich weiß, du gönnest mir jeden Genuß, zu den meine Jugend und meine Verhältnisse berechtigten, darum bin ich ängstlicher, daß ich dir etwas verschweige, als daß ich dir zu viel entdecke. Laß aber die Brissac von meiner Offenherzigkeit nichts merken, sie lacht sonst über mich und fragt mich aus, denn du glaubst nicht was sie vor eine kluge Frau ist.

Daß die Königin mir sehr gewogen ist, hast du schon oft gehört. Natürlich bemerken das auch andre und zeichnen mich aus. Anfangs, wie mir das bunte Hofleben noch neu war, kam es mir gar drollig vor, wenn die großen Herren, die ich mir immer wie die Bilder auf unsrem Schlosse mit wichtigen Mienen gedacht hatte, sich um mich kleines Ding drängten und mir Artigkeiten sagten. Jetzt finde ich mich schon besser drein, und die Brissac ist mit mir zufrieden.

Die Königin läßt mir auch Zutritt zu ihren Privatzirkeln, wo Gelehrte und Künstler sich bei ihr versammeln. Sie findet nämlich sehr viel Geschmack an Wissenschaften und hat sogar einen Sterndeuter in ihrem Dienst. Er heißt Roger und ist ein Florentiner von Geburt. Mir könnt' er nicht den Augenblick gefallen. Weil aber die Königin viel auf ihn hält, so gehört es zum guten Ton sich von ihm die Nativität stellen zu lassen. Manche sagen gar, er sei ein Zauberer, und er läßt sich solche Vermuthungen gefallen, ohne zu widersprechen. Ich glaube aber nichts davon, denn er ist der eitelste Mensch von der Welt, und ließ sich wol noch schlimmere Dinge nachsagen, nur, um für etwas ungewöhnliches zu gelten. Er wollte mir auch die Nativität stellen, und weil ich ihm auf seine wunderlichen Fragen nicht antworten wollte, ward er böse, und wollte mir weiß machen, er säh an meiner Stirn, daß ich ein paar Jahrhunderte leben würde. Da siehst du gleich, daß es mit seiner Kunst nur Tändelei ist. Er ward auch tüchtig ausgelacht.

Indessen gab dieser drollige Vorfall Veranlassung zu den fatalen Versen auf mich, die ich aber nur fatal nenne, weil sie dir, mein gutes Mütterchen, Besorgnisse gemacht haben. Du mußt indessen bedenken, daß hier am Hofe alles Verse macht, und alles beverselt wird. Sage ich dir nun zum Ueberfluß, daß die beiden verrufenen Sonets nicht etwa von ein paar galanten Rittern herrühren, die sich deine Klara zur Dame ihres Herzens ausersehn haben, sondern von den berühmten Dichtern Ronsard und Jodelle, die den Sterndeuter mit auslachen halfen, so gönnst du mir wol den kleinen Triumf über die andern Hoffräuleins, die um ein Sonet von diesen Lichtern des poetischen Siebengestirns gern ihren besten Kuß zahlten. Ich habe sie aber umsonst.

Bei Hofe und in den Privatzirkeln der Königin sind, wie du leicht denken kannst, nicht lauter Damen, und eben so wenig lauter alte mürrische Herren. Man spricht, scherzt und tändelt mit einander, und deine Klara ist nicht die letzte unter den fröhlichen und muntern Fräuleins. Aber eine Herzensangelegenheit, wie sie es nennen, hab' ich wahrhaftig nicht. Du schreibst mir darüber so bedenklich, als drohete mir die größte Gefahr. Alle Hoffräuleins haben ihre Anbeter, und man will es mir gar nicht glauben, daß ich keinen, wie man hier sagt, heimlich begünstige. Aber ich gestehe dir, es macht mir peinliche Langeweile, wenn ich zu Zeiten die Unterhaltungen solcher Begünstigten mit ihren Damen anhöre. Ist denn darin etwas so Anziehendes, daß du mich so ernsthaft vor solchen Verbindungen warnst?

Sei versichert, ich bin so aufmerksam auf mein Herz, daß mir nicht das geringste darin entgehen kann, und von Allem, was in seinem geheimsten Kabinet sich ereignet, erhältst du auf der Stelle treuen Bericht.


2.
Klara an dieselbe.

Ich werde der Brissac recht gram. Sie bringt mich am Ende noch um dein Vertrauen. Zwei Kavaliers sollen um mich Lanzen gebrochen haben! Ich möchte darüber lachen, wenn mir nicht so weinerlich ums Herz wär, weil du schon wieder um mich besorgt seyn wirst. Hör' also geschwind die lächerliche Geschichte vom Anfang bist zum Ende:

Bei der Königin hatt' ich das Glück mit der Gemahlin des Dauphins, der jungen Königin Maria bekannt zu werden. Was der Ruf von ihrer Schönheit und Liebenswürdigkeit sagt, gibt dir keinen Schatten von ihrem wirklichen Bilde. Neben ihr besteht kein andrer Reiz, und gleichwol sind die Frauen fast eben so verliebt in sie, als die Männer. Weil ich fast von gleichem Alter und von demselben Temperament mit ihr bin, so hat sie mich gern um sich und wir sind ziemlich vertraut mit einander. Ihr Gemahl, der Dauphin, liebt sie mit einer Glut, die ihn selbst verzehrt, allein er hat so viel Schwäche gegen seine Mutter, und diese hält ihn in so strenger Abhängigkeit von sich, daß Maria alle Feinheit ihres Geistes nöthig hat, um ein erträgliches Verhältniß gegen die Königin, die gern allein herrschen möchte, zu behaupten.

Du solltest sie hören, wenn sie zur Laute alte schottische Balladen singt! Zuweilen wählt sie dazu einen nationalen schottischen Anzug und der Kontrast dieser rauhen nordischen Tracht mit der zaubergleichen Lieblichkeit ihres Gesichtes, erhöht nur, wenn dieß möglich ist, ihre Schönheit. Gewöhnlich kleidet sie sich bei mir um, denn sie beträgt sich mit einer liebenswürdigen Unbefangenheit, und nennt mich oft ihre kleine Schwester, wenn sie mich zur Schottin herausgeputzt hat, und dann gehen wir zusammen zu der Königin.

Unter den Herren, welche dieser Schönheit ihren Verstand geopfert haben, ist auch ein gewisser Chastelard. Seine Bekannten haben ihm weiß gemacht, er gleiche seinem Ahnherrn, dem berühmten Ritter Bayard. Darauf ist er so eingebildet, daß er sich für unwiderstehlich hält, und sich in den Kopf gesetzt hat, die Dauphine Maria zu erobern. Er drängt sich bei allen Gelegenheiten an sie, bringt ihr Verse, die er sich von Ronsard machen läßt, und erhebt seine Göttin darin bis über die Sterne. Die Königin Maria, die gegen jedermann leutselig ist, spricht dann wol mit ihm, und läßt sich seine poetischen Huldigungen gefallen, ich weiß aber recht gut, daß sie ihn nicht leiden kann, denn sie geht ihm aus dem Wege, so oft sie ihn von weitem merkt, und nennt ihn nur ihren Ueberlästigen.

Seit einiger Zeit suchte nun dieser alberne Mensch meine Bekanntschaft, und muthete mir an, für ihn bei meiner königlichen Freundin zu sprechen. Ich wieß ihn, wie du denken kannst, damit rund ab, aber einmal trieb er es so weit, daß er, unter dem Vorwande mich zu sprechen, sich in meinem Kabinet versteckte, als ich eben der schönen Maria einen Scherz bei der Königin ausführen half.

Wir kamen beide lachend zurück, und legten unsre Verkleidungen ab, als Chastelard die Verwegenheit hatte, hervorzutreten und der jungen Königin von Schottland fußfällig seine Liebe zu gestehn. Sie wies ihn mit äußerster Strenge zurück und befahl ihm, augenblicklich sich zu entfernen. So erschrocken ich selbst war, so konnt' ich sie doch kaum von meiner Unschuld an diesem Vorfall überzeugen, denn sie blieb dabei, ich habe Chastelard zu diesem frechen Schritt mein Kabinet erlaubt.

Die Sache war indessen nicht verschwiegen geblieben, und Chastelard, der die üblen Folgen seiner Verwegenheit fürchtete, hatte die Niedrigkeit vorzugeben, sein Besuch habe mir gegolten. Der König gab eben ein kleines Turnier als Vorbereitung des großen, zur Vermählungsfeier der Prinzessin Elisabeth, und als ich mit der Königin erschien, nahmen die Seitenblicke und das Gezischel kein Ende. Ich dachte vor Schaam zu vergehn. Am Schluß des Turniers, als der König sich schon mit einem Theil des Hofes entfernt hatte, drängte sich Chastelard, mit dem Schein der Vertraulichkeit, an mich, aber ich kehrte ihm vor allen Leuten mit Verachtung den Rücken. Er lächelte mit der fadesten Verlegenheit, und stotterte etwas von früherer Gunst, worauf ich ihn laut einen Lügner schalt und fortging. Er schrie mir mit erzwungener Hitze in gellendem Ton nach: Fräulein, das fordert Genugthuung! und sogleich trat der junge Graf Mongomery zu mir, und bat, ihm diese Genugthuung zu überlassen.

Ich konnte vor Aerger kein Wort sprechen, und Mongomery nahm mein Schweigen für Zusage. Einen Ritt zum Beschluß, Chastelard, rief er, und sprang in den Sattel. Chastelard mußte wol ein Gleiches thun, wollte er nicht beschimpft werden. Aber die Königin Katharina rief dem Grafen zu: Mongomery, das Turnier ist aus. Für heut ist es zu spät eine Lanze zu brechen! Der erhitzte Mongomery erwiderte sogleich: Ew. Majestät hat recht, dieser nichtswürdige Verläumder verdient keine ritterliche Lanze. Damit stieß er in vollem Rennen mit seiner Lanze auf den Boden, dass sie splitterte, und mit dem Ende des Schaftes stieß er den Chastelard so mächtig auf die Brust, daß er sechs Schritte weit aus dem Sattel flog. Alle Zuschauer applaudirten; die Königin küßte mir die Stirn, und die schöne Maria umarmte mich und bat mir den kränkenden Verdacht so rührend ab, daß ich weinen mußte. Das Zischeln hatte nun auf einmal ein Ende, und Chastelard machte eine Reise um dem Gelächter zu entgehen.

Hierbei wirst du nichts zu tadeln finden, meine gute Mutter, aber nun vernimm ein Bekenntniß, wobei es mir nicht so ruhig und kühl um das Herz bleibt. Wie fang' ich es nur an, daß ich dir alles entdecke? Ich weiß selbst nicht, was ich dir gestehn soll, und doch fühl' ich, daß ich dir viel, viel zu sagen habe.

Dieser Mongomery, der so tapfer meine Ehre gegen den schlechten Chastelard verfocht – Mutter, wahrhaftig ich glaube, daß ich ihn liebe, oder, damit ich dir kein falsches Wort schreibe; ich bin nichts, als Liebe zu ihm. Sei mir nicht böse darum, liebe Mutter! Ach, ich bin so froh, daß es aus der Feder ist; nun kann ich dir alles schreiben. Oder weißt du es schon von der Brissac?

O, glaub' ihr nicht! ihr gilt jede Liebe nur als Galanterie oder Intrigue, wenn es hoch kommt, als Herzensbelustigung. So ist es mit meiner Liebe nicht; und gewiß Mongomery empfindet darüber ganz wie ich.

Ich wollte dir gern erzählen, wie wir nach und nach bekannt wurden, aber ich würde nicht fertig. Es sind kaum acht Tage, daß ich ihn zuerst sah, doch welch ein Reichthum in diesen wenigen Tagen! Mutter, wenn die Liebe einem jungen Mädchen so gefährlich ist, wie unser alter Abbee immer sagte, so bin ich unglücklich! Aber, nicht wahr, er hat es nicht verstanden?

Wir sahen uns zum erstenmal in einem Privatzirkel bei der Königin, wo Jodelle eine neue Tragödie vorlas. Mongomery kam zuvor selten an den Hof, wenigstens bei der Königin hatte ich ihn noch niemals angetroffen. O Mutter, könntest du ihn nur einmal sehn! Er ist der Sohn des berühmten Ritters Delorge, der bei einem Thiergefecht den Handschuh einer Dame zwischen einem Löwen und einem Tiger aufhob, und sähst du meinen Mongomery, du zweifeltest nicht, daß er seinem Vater es gleich thue, oder zuvor. Aber dabei ist er so sanft und fühlt so zart, daß ihn die Damen eben so gern in galanten Angelegenheiten als Richter anerkennen, wie die Männer in Ehrensachen. Mit einem Wort: was die Schottenkönigin Maria unter den Frauen ist, das ist Mongomery unter den Männern.

Wir kamen bald in ein interessantes Gespräch bei Gelegenheit von Jodelle's Trauerspiel; ich habe gewiß nicht viel Kluges gesagt, aber es kam mir vor, als sprach er recht gern mit mir, denn er fand immer einen neuen anziehenden Gegenstand der Unterhaltung, so daß wir nicht fertig wurden mit Hin- und Herreden. Die Brissac, die immer ihre eignen Bemerkungen macht, behauptet, er sei im Gespräch mit mir etwas verlegen gewesen, und schließt daraus weiter, er sei in mich verliebt. Ich habe nichts von Verlegenheit an ihm bemerkt, aber daß er mir gut ist, merkte ich bald.

Er kommt auch seitdem regelmäßig zur Königin, und weiß es immer so einzurichten, daß wir ungestört zusammen sprechen können, was ich ihm freilich nicht schwer mache. Von Liebe haben wir gewiß noch nicht zusammen gesprochen, aber, Mutter, wenn wir uns nicht aus innerster Seele und mit voller Glut lieben, so weiß ich nicht was Liebe ist, und mag es auch nie wissen!

Wir sprechen sehr oft von dir, und er erkundigt sich nach Allem, als ob er dich nächstens besuchen wollte. Er fragte mich, ob ich es ihm gestatten würde? und als ich mich darüber freute, küßte er mir so lebhaft die Hand, daß ich erschrak und die Königin aufmerksam wurde. Es war doch natürlich, daß ich dir seine Bekanntschaft wünschte.

Ich habe dir viel vorgeschwatzt. Gib mir nun bald einen mütterlichen Rath. Ich brenne vor Begierde auf deine Briefe, und wenn einer kommt, fürcht' ich mich ihn zu öffnen, weil ich denke, du möchtest Unzufriedenheit mit mir bezeigen; und betrübteres kenn' ich nichts für mich, besonders jetzt, wenn du meine Liebe zu Mongomery tadeltest.


3.
Klara an dieselbe.

Wie froh bin ich, meine Mutter, daß ich dir in meinem letzten Briefe mein ganzes Herz aufgeschlossen habe! Du wirst nun ruhig alles anhören, was dir über meine Verhältnisses am Hof und über die Gefahren der Verführung, in welchen ich schweben soll, gesagt wird. Was nur die Leute davon haben, jeden meiner Schritte zu beobachten und zu deuten! Meinetwegen brauchte sich niemand um mich zu bekümmern, als Mongomery und nächst diesem die liebenswürdige Maria von Schottland. Diese ist gewiß meine beste Freundin. Mit ihr kann ich so offen wie mit dir von Mongomery sprechen. Sie billigt meine Liebe zu ihm und verspricht mir all' ihren Einfluß für unser künftiges Glück.

Wie soll ich mir aber das erklären, daß die Königin von meiner Liebe zu ahnden und sie zu mißbilligen scheint? Sie hat mich schon einigemal gefragt, ob ich jemals geliebt habe, und warnt mich mit bedeutenden Worten vor jedem heimlichen Einverständniß. Die Dauphine Maria hält diese Warnungen für Altmütterlichkeit. Die Königin, meint sie, komme in die Jahre, wo man gern moralisirt, um mit Festigkeit zu glänzen, wenn die Lebhaftigkeit und der Scherz ungelenk werden, aber sie scheint es mir zu leicht zu nehmen, denn die Königin sprach unverkennbar mit einem andern als allgemeinem moralischen Interesse. Die Brissac, die dabei stand, lächelte wichtig, und meinte, die Königin scheine mit mir besondre Absichten zu haben. Was es indessen sei, ich bin auf meiner Hut. Mongomery meint auch, wir müssen vorsichtig seyn, er kennt den Hof, und will, daß wir unsre Verbindung in aller Stille vollziehen, und dann den Hof mit der Bekanntmachung überraschen.

Ueberhaupt fühl' ich jetzt eine besondre Aengstlichkeit, wenn ich um die Königin bin. Du wirst sagen, ich fürchte die Entdeckung meiner Liebe, aber das ist es nicht allein. Es ist sicher noch etwas andres, was mich so in ihrer Nähe beklommen macht, nur daß ich mir nicht bestimmt davon Rechenschaft geben kann. Sie scheint manchen Kummer zu haben, das sollte mich aber mehr an sie ziehn, denn, ob ich gleich lieber lache als weine, so gäb' ich doch gern den fröhlichsten Tag darum, wenn ich einen Unglücklichen trösten könnte, und besonders eine so große Königin. Sie scheint mit dem König etwas gespannt, die Brissac meint wegen der Herzogin von Valentinois. Sollte aber die Königin eifersüchtig seyn? Man spöttelt ja bei Hofe allgemein über die Eifersüchteleien der Ehleute. Erkläre mir das, Mutter, ich finde mich in diese Widersprüche nicht. Neulich auch, als die Königin etwas in Affekt war, hörte ich, daß sie zu ihrer vertrautesten Dame, der Gräfin Usez sagte: und das thut er mir, ohne die er nicht auf diesem Throne säß! Verstehst du das? Der König war ja durch die Geburt für den Thron bestimmt, denn sein älterer Bruder starb noch vor König Franz. Wie kann Heinrich also seiner Gemahlin die Krone danken? Ich begreife nichts davon.

Alles ist jetzt hier in Bewegung wegen der Doppelhochzeit in der königlichen Familie. Der König will alle Pracht aufbieten, um die Feste glänzender zu machen, als sie jemals am Hofe gesehn worden sind. Es trifft sich jetzt oft, daß er zu der Königin kommt, die sehr viel Erfindungsgeist hat, besonders wo es darauf ankommt Glanz und Pracht mit Festlichkeit und Eleganz zu vereinigen. Gleichwol fragt mich der König fast allezeit noch um meinen Rath. Ich war erst etwas schüchtern, aber die Königin selbst munterte mich auf und bat den König, ihre kleine Nonne, wie sie mich nennt, etwas zu säkularisen. Du siehst also, daß sie gewiß nicht so sehr eifersüchtig ist und daß die Brissac Unrecht hat.

Die Anstalten zu diesen Festen würden mich mehr freuen, wenn nicht eine der Hauptpersonen ihnen mit gebrochenem Herzen entgegensäh. Du wirst errathen, daß ich die Prinzessin Elisabeth meine, der statt des liebenswürdigen Infanten, der alte finstre Tirann Philipp sich zum Gemahl aufdringt. Der König hätte es nicht zugeben sollen! Die Prinzessin liebte den Infanten mit der glühendsten Schwärmerei. Sie lag zu den Füßen ihres Vaters und beschwor ihn, sie nicht dem alten Ungeheuer zu opfern. Die Dauphine Maria bat mit ihr. Umsonst! Der König antwortete mit einer, des künftigen Eidams würdigen Härte: Prinzessinnen gehören dem Staat! O Mutter, da erhob sich die Prinzessin, blaß wie eine Todte: König, sagte sie langsam, wie eine Profetin, der Tag dieser Verbindung ist ein Trauertag für Viele, und mit der letzten Silbe sank sie ohnmächtig zu Boden. Der König war erschüttert; aber in den Zerstreuungen ewiger Feste vergaß er bald die bedeutenden Worte der Prinzessin, die mich noch immer, wie Orakelstimmen umhallen. Ich fürchte, Elisabeth will jenen furchtbaren Tag nicht überleben. Sie geht umher, wie eine Träumende, spricht selten ein Wort, und ihr Kummer vereitelt alle Versuche sie aufzuheitern. Ach, Mutter, das Leben der Großen ist wol nur in der Ferne so glänzend, ich möchte mit keinem von ihnen tauschen. Bin ich nur erst Mongomery's Gemahlin, dann eilen wir, so schnell wir es vermögen, aus diesen Umgebungen, und fliehen zu dir, in die Wohnung des ruhigen freundlichen Glücks.


4.
Frau von Brissac an Frau von Limeuil.

Du verwirrst mir unsre Klara mit deinen wunderlichen Bedenklichkeiten. Ohnehin hast du das Mädchen mit einer Ausstattung von moralischen Provinzialismen an den Hof geschickt, daß sie so hübsch seyn muß, als sie eben ist, um nicht ausgelacht zu werden. Man muß wissen, was man will, meine Gute! Soll das Kind am Hofe Glück machen, so muß es nicht dem Kloster Ehre machen sollen. Deine zweite Tochter, Isabelle, schlägt mir weit besser ein. Ich habe sie noch nicht bei Hofe vorgestellt, damit sie zuvor in guter Gesellschaft sich betragen lernt. Sie wird einmal uns alle verdunkeln. Der alte Connetable macht der Kleinen schon den Hof, und Prinz Conde gäb sein bestes Lebensjahr darum, wenn er ihrer unreifen Kindheit eins zulegen könnte. Aber an Klara, bitt' ich dich, schreib ein verständiges Wort. Das Glück liegt zu ihren Füßen, sie darf nur die Hand danach ausstrecken, um es zu ergreifen, aber das einfältige Kind wird zaudern und Bedenklichkeiten haben, bis Alles zu spät ist.

Die Königin und die Poitiers-Valentinois sind mehr als jemals gespannt. Jene möchte gern herrschen, aber diese hält den König durch die alte Gewohnheit von ihr abzuhängen, noch so fest, daß jene immer nur als zweite Herrscherin gilt. Eine neue Geliebte allein kann der Sache eine Wendung geben und die verhaßte Diana verdrängen. Dieses Glück ist unsrer kleinen Klara beschieden. Der König hat sie gesehn, er ist entzündet, entzückt, verliebt, bezaubert, aber die kleine Närrin thut, als verstünd sie die, allem Lebendigen unverfehlbare Sprache der Liebe nicht. Eile mithin, Mamachen, und lies dem albernen Töchterchen tüchtig den Text. Sie hat den König in ihrer Hand; sie verbindet sich, wenn sie die Gefälligkeit hat, ihr Glück anzunehmen, die Königin. Hat man jemals unter so glänzenden und vortheilhaften Verhältnissen eine königliche Geliebte ihre Laufbahn eröffnen sehn? Ich habe ihr vorgestellt, daß deiner Söhne und deiner ganzen Familie Wohl von ihrem klugen Benehmen in dieser Sache abhänge, da hat die Närrin geweint und mich gebeten, sie gegen die Liebe des Königes zu schützen. Ich habe meine Beredsamkeit gegen sie erschöpft, versuche du nun, was du vermagst, und schreib' es niemand, als dir selbst und deiner verkehrten Erziehung zu, wenn diese glänzende Gelegenheit, deine Familie auf einmal zu der angesehensten im Reiche zu machen, verloren geht.


5.
Klara an dieselbe.

Mutter, Mutter, in welche Hände bin ich gerathen! Die Brissac ist falsch, o sie ist gefährlich, und ich fliehe sie von jetzt an, wie die giftigste Schlange. Sie hat mir Anträge gemacht, daß ich vor Scham zu vergehn dachte. Was hab' ich begangen, daß diese Frau es wagen darf, in solch einem Tone mit mir zu sprechen? Dem König – nein, nein, ich kann es nicht schreiben! Was du dich scheuen würdest, nur auszusprechen, das wollte sie deine Klara überreden. Sie schalt mich eine Närrin, als ich sie bat, vielmehr mich zu schützen, als mein Verderben selbst zu befördern; sie hatte sogar die Dreistigkeit mir zu sagen, sie vertrete deine Stelle, und du selbst würdest mich erinnern, was ich meiner Familie schuldig sei.

O Mutter, niemals hab' ich mich so verlassen und einsam gefühlt, als an diesem Abend! Wem sollte ich mich vertrauen! Mongomery dieses Gespräch entdecken? Unmöglich! Wie könnte ich einem Manne, und wär es mein Vater, jene abscheulichen Worte wiederholen! Und wie soll ich es wagen der Königin vor die Augen zu treten? Ich habe Mongomery gebeten unsre Verbindung zu beschleunigen, unter seinem Schutze werd' ich sicher seyn. Er war entzückt über meine Bitte. Das Vermählungsfest der beiden Prinzessinnen soll auch unser Fest seyn. Ein Geistlicher wird uns in aller Stille in Fontainebleau kopuliren. Und dann fort, fort von diesem Ort der Verführung! Bete an dem bezeichneten Tage für deine glückliche Tochter.

Dürfte ich der Wahrsagung eines ehrwürdigen Greises trauen, von dem ich dir nächstens mehr erzählen will, so steht mir das Glück bevor, von meiner Vermählung an in deiner Nähe zu verweilen. Mongomery hat mir versprochen zuerst zu dir zu reisen. Vielleicht gefällt ihm die anmuthige Gegend, und erwählt sie zu seinem Wohnsitz. Erfüllt mir der Himmel diesen Wunsch, dann giebt es kein glücklicheres Wesen auf der Welt als deine Klara.


6.
Klara an dieselbe.

Ich bin nun beruhigt, meine Mutter. Die Königin muß mit der Brissac ein Gespräch gehabt haben. Diese stand mit hochrothen Wangen und in auffallender Verlegenheit vor ihr, als ich eintrat. Die Königin schloß mit einem so entschiedenen Tone, als ich selten von ihr gehört habe, das Gespräch, und trat dann freundlich zu mir und küßte mich. Seitdem ist die Brissac fremd gegen mich, und ich bin es sehr wohl zufrieden.

Ich erwähnte gegen dich eines Greises, der mir etwas angenehmes geweissagt habe. Es ist der vormalige Bischof Gauric, der aus Liebe zu den Wissenschaften sein Bisthum niedergelegt hat, und jetzt unter dem einfachen Namen Meister Lukas an den Hof gekommen ist. Der Ruf erzählt Wunderdinge von seinen geheimen Kenntnissen und seiner Macht über die Geister. Die Königin ließ ihn sogleich bei sich einführen und unterhielt sich lange mit ihm. Der Sterndeuter Roger schien eifersüchtig darüber zu werden, und windbeutelte gegen die Gesellschaft ziemlich laut von seinen tiefen Einsichten in die weiße und schwarze Magie, die Königin aber that als hörte sie es nicht, und bat endlich den Meister Lukas der jungen Königin Maria die Nativität zu stellen. Er lehnte es mit einer Bescheidenheit ab, gegen welche Roger's Pralerei sehr widrig abstach. Dieser eingebildete Mensch mochte wähnen, der alte Mann scheue sich vor seiner größern Weisheit und ward immer übermüthiger. Das Nativitätstellen, sagte er, sei nur der Anfang der Kunst, er wolle der Dauphine ihre ganze Zukunft in einem magischen Spiegel zeigen, den er auch sogleich aufzustellen anfing.

Während er seine Gaukeleien machte, trat Meister Lukas zu der Dauphine, die neben mir stand. Im Gespräch ergriff er einmal wie von ungefähr ihre Hand, ich sah aber, daß er schnell hineinblickte, vielleicht um ihre Linien zu beobachten, doch äußerte er nichts davon. Im Gegentheil, sagt' er, man thue nicht wohl sich die Zukunft durch magische Mittel bekannt zu machen, und er befriedige äußerst ungern eine solche gefährliche Wißbegierde. Mir schien diese Rede eine bloße Ausflucht, und ich fragte ihn etwas voreilig, warum er sich denn bei solchen Grundsätzen mit diesen Wissenschaften abgebe? Er ward nicht im geringsten verlegen. Meine junge Freundin, sagte er ernst, aber sehr liebreich, die Wissenschaft ist groß und heilig, aber ihre Anwendung, zu Befriedigung der Neugierde, entweiht die Wissenschaft, und ist den Menschen gefährlich. Die Zukunft ist durch hohe Weisheit von der Gegenwart getrennt. Wir haben eine Führerin, die uns sicher zu ihr leitet, die Zeit. Diese beleidigt der Neugierige und zugleich erzürnt er die Geister der Zukunft. Darum erscheinen sie zornig, reißen den Menschen in ihre Gewalt, und lassen ihn nicht los, bis sie selbst Geister der Gegenwart geworden sind, und die Zeit ihre langsamen Schritte vollbracht hat. Das macht es sehr gefährlich die Geister ferner Zeit zu rufen, und es gehört strenge Vorbereitung dazu, denn sie sind unerbittlich, und der Tod selbst befreit nicht aus ihrer Gewalt.

Ich hätte gern noch einige Zeit zugehört, aber Roger hatte seinen Zauberspiegel aufgestellt und lud die Königin Maria ein, ihre Zukunft darin zu sehn. Indem sie sich umwendete, sagte Meister Lukas: Wißt ihr auch schon, Meister Roger, was die Königin sehn wird? Nein – antwortete jener stolz – haltet ihr mich für einen Betrüger? Das nicht, erwiderte Lukas, aber für einen Unbesonnenen. Auf dieses Wort wollte niemand in den Spiegel sehn, denn jeder fürchtete einen traurigen Anblick. Roger fühlte sich dadurch sehr beleidigt, und verlangte Lukas solle selbst in den Spiegel sehn. Gern, erwiderte dieser, doch zuvor gönn' ichs euch, Meister Roger, ihr dürftet weniger Zeit dazu behalten.

Indem nun alle auf den Spiegel sahen, erblickten sie darin Rogern mitten unter Häschern, die ihn gefangen führten, und ein lautes Gelächter erschallte. Eh' aber Roger Zeit hatte seinen Unwillen zu äußern, trat wirklich ein Lieutenant des Königs mit Wache herein, der unter vielen Entschuldigungen den Befehl zu Rogers Verhaftung der Königin überreichte, und den Sterndeuter abführte, weil er zauberischer Anschläge auf das Leben des Königs verdächtig sei.

Die Königin war in äußerster Bestürzung als man den Roger gefangen nahm, sie scheint sehr für ihn eingenommen, aber Meister Lukas gewann dadurch nicht wenig an Ansehn. Er bediente sich des zurückgelassenen Zauberspiegels noch zur Belustigung der Gesellschaft, aber nichts konnte ihn bewegen, ein eigentliches magisches Stück zu zeigen. Auch lehnte er den Antrag der Königin ab, die ihn gern in ihre Dienste genommen hätte.

Die Königin blieb seit jenem Abend in sonderbarer Spannung. Sie hat einigemal lange geheime Unterredungen mit Mongomery gehabt, und auch dieser hat seine Heiterkeit verloren. Er scheint über etwas zu brüten, und über einen Entschluß mit sich selbst nicht einig werden zu können.

Morgen wird Herzog Alba, der Stellvertreter des spanischen Bräutigams, erwartet. Ich wollte die Feste wären vorüber, und meine Vermählung wär nicht mit diesen Feierlichkeiten verbunden, vor welchen mir grauet. Immer umtönen mich die Worte der Prinzessin Elisabeth: der Tag meiner Verbindung wird ein Trauertag für Viele. Es ist mir als könne nichts glücklicher an dem Tage vollzogen werden, den Thränen unglücklicher Liebe trüben.


7.
Klara an dieselbe.

Mutter, wo soll ich Worte hernehmen, dir das furchtbare Schauspiel zu beschreiben, das ich gesehn habe! Noch sträuben sich meine Haare empor, und jedes Glied zittert mir vor Angst und Fieberschauer. Ich fürchte, eine Krankheit wirft mich nieder, eh' ich eine ausführliche Erzählung vollende, darum will ich kurz seyn.

Die Königin ließ mich gestern Abend spät zu sich rufen. Ich fand sie allein. Sie wollte mir etwas entdecken, ich sah aber an ihrer Miene, daß es sie einige Ueberwindung kostete. Endlich wendete sie es in Scherz und erzählte mir, Meister Lukas habe ihr auf diesen Abend ein magisches Schauspiel versprochen, und weil sie nicht gern mit ihm allein bleiben wolle, so möchte ich in dem Nebenzimmer mich aufhalten, wo ich durch den Vorhang, wenn ich Lust hätte, die Erscheinungen würde beobachten können. Ich durfte es ihr nicht abschlagen und war auch selbst neugierig, dergleichen Dinge, von denen ich immer viel wunderbares gehört hatte, einmal mit anzusehn. In dem Saal, der durch einen Vorhang von dem Kabinet abgesondert war, worin wir uns befanden, ließ sich zuweilen ein seltsames Getön hören, nach einiger Zeit schlug eine Glocke siebenmal an. Die Königin sagte mir, Meister Lukas operire in dem Saal, und die Glockenschläge seien das Zeichen, daß er sie abrufe. Sie verließ mich nun und ging in den magischen Saal, ich aber blieb hinter den Vorhängen, wo ich alles bequem übersehn konnte.

Meister Lukas bat die Königin einigemal, sie möchte von ihrem Verlangen abstehen. Er stellte ihr vor, sie könnte vielleicht Dinge zu sehn bekommen, die den Geist zu sehr erschüttern möchten. Sie blieb aber unbeweglich auf ihrem Vorsatz, und jetzt erfuhr ich zuerst, daß sie das Schicksal des Reiches und seiner Könige zu sehn verlangt habe.

Nach langem Hin- und Herreden versprach ihr endlich Meister Lukas Befriedigung. Sie werde – sagt' er – die Reihe der Könige sehn, wie sie nach einander den Thron besteigen würden, auch zeige die Dauer ihrer Erscheinung die längere oder kürzere Zeit ihres Regimentes an. Würde einer sitzend verschwinden, so bedeute ihm dieses einen natürlichen Tod, fiel er aber vom Thron herab, einen gewaltsamen. Hierauf fing Meister Lukas seine Beschwörungen an. Er räucherte, daß eine dichte Rauchwolke den Saal erfüllte, und als diese sich nach und nach verzog, sah ich im Hintergrunde den königlichen Thron mit Wappen und Krone, aber blaß, wie ein schwacher Widerschein auf trübem Wasser. Ein König saß auf dem Sitz, aber kaum hatte ich in seiner Gestalt den König Heinrich erkannt, als er mit fürchterlichem Geprassel herabfiel. Mich schauderte, aber die Königin ertrug diesen entsetzlichen Anblick mit einer Fassung, die mich befremdete, ob ich gleich ihren festen Charakter kenne.

Bald nach diesem Gesicht kam eine Gestalt wie der Dauphin. Er setzte sich auf den Thron, verschwand aber sehr bald. Sogleich kam ein Kind, wie der Schatten des Prinzen Karl. Es stieg auf den Thron, saß länger als die vorige Erscheinung und verschwand.

Ein gekrönter Jüngling bestieg nun den Thron. Ich glaubte in seinem Gesicht die Züge des jüngern Prinzen Heinrich zu erkennen. Er saß einige Zeit, da prasselte es, wie ein Donnerschlag, und die Erscheinung fiel plötzlich vom Thron.

Die Königin bedeckte sich hier das Gesicht und schien heftig bewegt. Jetzt winkte der Meister, und alles verschwand im Augenblick. Wirst du aber es glauben, Mutter, die Königin hatte des Schrecklichen noch nicht genug, sie drang in den furchtbaren Mann, er solle seine Beschwörungen erneuern, denn sie wolle das fernere Schicksal ihres Reiches und seiner Könige sehn.

Meister Lukas ließ nun von neuem den Thron erscheinen. Ein junger, schöner Mann, auch mit einer Krone auf dem Haupte, ging mit raschen Schritten auf den Thron zu, doch stand er einige Zeit auf den Stufen, eh' er sich setzte. Die Königin schien den jungen Heinrich von Navarra in ihm zu erkennen, den sie, seiner Mutter wegen, bitter haßt, denn sie rief heftig: Was, der kleine Bearn auf meinem Throne? Meister Lukas eilte sogleich auf sie zu, und bat sie, um ihres Lebens willen, keinen Laut zu sprechen. Er schien auch viel Mühe zu haben, als er die Beschwörung fortsetzen wollte; denn die ganze Zaubererscheinung zitterte in einander, wie ein Bild im Wasser, wenn der Sturm hinein weht. Endlich aber, als er durch viele und starke Beschwörung alles wieder hergestellt hatte, sah ich den König fröhlich auf dem Throne sitzen, und erkannte auch die Aehnlichkeit mit dem Prinzen von Navarra. Er saß aber nicht sehr lange, da stürzte auch er mit einem gewaltigen Donnerschlag vom Throne.

Nun stiegen noch drei Könige nach einander auf den Thron, der jetzt immer glänzender ward, und jeder dieser Könige saß lange, viel länger als einer der vorigen, auch verschwanden sie alle sitzend: Als aber ein vierter König den Thron bestiegen hatte, ließ Meister Lukas abermals das Gesicht verschwinden, und wollte der Königin durchaus nichts weiter von der Zukunft zeigen, so sehr sie auch ihn bat. Endlich da sie mit ihrer und des Königs Ungnade drohete, ward Meister Lukas entrüstet und rief: Weil ihr nicht ruhen wollt, so schaut denn hin, bis euch Angst das Haar emporsträubt und Entsetzen alle Glieder lähmet, und findet keine Ruhe bis Alles erfüllet ist! Dabei sah er so schrecklich, daß ich umzusinken fürchtete vor seinem Anblick, und ich wär gern weit von diesem Ort des Grauens geflohen, hätte mich nicht die Furcht entdeckt zu werden, gehalten. Die Königin muß einen eisernen Muth haben, denn sie blieb standhaft und sagte, sie wär vorbereitet, daß die Geister keine Gewalt über sie haben könnten. Dann hieß sie ihn nochmals weiter operiren.

Meister Lukas fing nun seine Beschwörungen wieder an. Der Thron erschien von neuem mit dem König, der zuletzt darauf Platz genommen hatte. Aber ein dumpfer Donner rollte immer über dem Thron, und ward stärker und immer stärker, je länger der König saß. Dann – o Mutter, wo nehm' ich Worte her, dir das Entsetzliche zu beschreiben! – ein gräßlicher Donnerschlag, furchtbarer, als alle frühern, ward gehört, das Lilienwapen und die Königskrone fiel herab, und bald darauf stürzte der ganze Thron in Trümmer. Der König stand noch, aber nach wenig Augenblicken fiel er mit schrecklichem Geprassel und Krachen von den Stufen herab. Ungeheuer stiegen nun auf, von gräßlicher Ungestalt, wie sie noch niemals mir aus Bildern der Hölle vorgekommen sind. Sie stritten sich auf den Stufen des Thrones, die von Blut gefärbt wurden, denn die Ungeheuer zerfleischten sich und Geschrei der Wuth und Geheul von Sterbenden war rings um sie her. Endlich erhob sich aus dem Ruin ein Stuhl, auf dem saß ein Mann in glänzendem Waffenschmuck und mit allen Zeichen eines Helden, und der Stuhl ward zum Throne, aber weit prächtiger als der vorige, seine Arme waren von verschlungenen Kronen gearbeitet, und er selbst ruhete auf Kronen.

Mehr konnt' ich nicht sehn, denn die Königin war von den furchtbaren Vorzeichen so erschüttert, daß ihr die Sinne vergingen und sie ohnmächtig zu Boden sank.

Ich eilte hinzu, ihr zu helfen. Aber Meister Lukas riß mich mit Gewalt zurück und rief mir zu: Fräulein, ihr seid des Todes, wenn ihr einen Schritt näher tretet. In demselben Augenblick fühlte ich mich wie von Funken umsprüht, die Luft glühte um mich, und in tödtlicher Angst eilte ich in das Vorzimmer zurück, wo ich mich erst lange nachher durch den Beistand der Königin und des Meister Lukas erholte.

Die Königin sprach mir zu und wollte mich bereden, es sei alles ein optisches Blendwerk gewesen, aber Meister Lukas schwieg dazu mit strengem Ernst, und sah mich nur zuweilen mit sehr traurigen, wehmüthigen Blicken an, ich fühlte mich auch recht krank, und eine wilde Fieberfantasie plagte mich diese Nacht mit der entsetzlichen Vorstellung: ich müsse, wie Meister Lukas der Königin gedroht hatte, die in dem Zauberbild gesehenen Begebenheiten alle selbst noch erleben, und werde selbst im Grabe nicht ruhen, bis alles erfüllt sei. Noch jetzt fühle ich mich sehr matt, doch muß ich mich stark machen, denn die Königin schickt unaufhörlich zu mir, und schrieb mir sogar eigenhändig einen Zettel, sie könne nicht ruhen, bis sie mich wieder munter säh. Nach einem Stündchen Schlaf werde ich mich auch schon wieder erholen.


8.
Klara an dieselbe.

Sorge nicht, liebste Mutter, kein Mensch erfährt von mir das furchtbare Geheimniß jenes Abends. Könnt' ich es nur ganz aus meiner Erinnrung austilgen! Dir mußt' ich es aber entdecken; wie könnt' ich dir etwas verbergen, was mein Herz so gewaltsam tief erschütterte! Bei dir ist ja das Geheimniß auch gewiß besser verwahrt, als bei mir. Jetzt ist mir das Ganze wie ein Traum, und überzeugte mich dein Brief nicht, daß ich dir alles als wirkliche Begebenheit erzählt habe, ich mißtraute meiner eigenen Erinnerung.

Mongomery macht mir jetzt einige Sorge. Er hat nun seit geraumer Zeit fast täglich geheime Unterredungen mit der Königin, und wenn er aus ihrem Kabinet kommt, sieht er ganz sonderbar verstört. Er antwortet mir verlegen, und gibt vor, die Königin habe geheime Pläne zu Verschönerung der Vermählungsfeierlichkeiten. Ich glaub' es aber nicht. Mit solchen Mienen sinnt niemand auf Vergnügungen. Der König sieht ihn nicht mehr so gern als vormals; das ist unverkennbar. Allein das sollte ihn nicht bekümmern, da wir doch bald den Hof verlassen. Auch setzen ihn die geheimen Verhandlungen mit der Königin gewiß nicht fester in der Gunst des Königs, denn die Spannung zwischen beiden vermehrt sich fast mit jedem Tage.

Morgen nehmen die Vermählungsfestlichkeiten ihren Anfang. Alles was frühere Zeiten geleistet haben, soll überboten werden. Aber wird alle Verschwendung von Pracht und Glanz dieses unglückliche Fest beleben können?


9.
Klara an dieselbe.

Ich sende dir diese Zeilen durch einen Eilboten, meine Mutter. Die Vorbedeutungen sind furchtbar und über alle Erwartung schnell erfüllt. Der König ist todt. Und deine unglückliche Klara muß mit Mongomery flüchtig werden, um nicht als verhaßtes Opfer der Rache vielleicht zu fallen. Vergönne deinen Kindern einen sichern Zufluchtsort an deinem mütterlichen Herzen. Ich eile mit Mongomery zu dir, aber auf Umwegen, um Nachforschungen zu verwirren.


10.
Mongomery an Klara.

Im Flug nur zwei Worte, dich zu trösten, meine Geliebte! Der König lebt, aber seine Stunden sind gezählt. Gott ist mir Zeuge, und bei deiner süßen Liebe schwör' ich dir's: so viel Stimmen gegen mich sprechen mögen, ich bin schuldlos an seinem Tode, schuldloser, als vielleicht Heinrich seyn würde, wenn mir das Todesloos gefallen wär. Er hat mir vergeben, und mich jeder Verantwortlichkeit entbunden. Aber dennoch, mein geliebtes Leben, müssen wir eilen. Halte dich zu jeder Stunde bereit, dem Knaben zu folgen, welcher dir diesen Zettel bringt, er führt dich auf sicheren Wegen in ein verborgenes Heiligthum, wo ein Priester uns erwartet, unsern Bund zu segnen. Dann führe ich meine Gemahlin von diesem Hof voll Verbrechen, nach dem stillen Zufluchtsort unserer Liebe.

Noch Eins: Vermeide die Königin. Meine Liebe zu dir könnte dich verderben. Es ist gefährlich um dunkle Geheimnisse zu wissen. Laß mich also dir verschweigen, was dein junges, reines Herz nur gewaltsam erschüttern würde; traue meiner Liebe so viel, als beweisenden Gründen. Ich lasse dich mit banger Ahndung in jener Nähe zurück. Vergib mir deswegen die wiederholte Bitte um Vorsicht. Entdecke dich niemand, als deiner treuen Cäcilie, welche dich auf unsrer Flucht begleiten soll. Morgen, vielleicht schon diesen Abend, begrüße ich meine Klara als meine Gemahlin.


11.
Klara an Frau von Limeuil.

Noch bin ich hier, meine Mutter, in der peinlichsten Erwartung, wie Alles noch enden wird. Ich fühle mich, wie in einer weiten Oede, aus der ich vergebens den Ausweg suche. Höre nun die Geschichte der unglücklichen letzten Tage, damit nicht entstellende Nachrichten dich vielleicht noch mehr über deine Tochter beunruhigen, als die Wahrheit selbst, die keines Zusatzes bedarf, um höchst traurig für mich zu seyn.

Mongomery hatte wieder eine geheime Unterredung mit der Königin in ihrem Kabinet, und im Vorzimmer befand sich niemand als die Usez, die Brissac und ich. Nach einiger Zeit kam der König. Er fing ein Gespräch mit mir an, und sagte mir nach seiner Gewohnheit einige Galanterien. Unterdessen entfernte sich die Brissac mit der Usez ganz still. Der König ward immer lebhafter und bat mich sogar um eine Schleife von meinem Kleide, die er auf seinen Hut befestigen wollte, um, wie er sagte, bei dem Turnier als mein Ritter die Farbe seiner Dame zu tragen. In der Verlegenheit gab ich vielleicht die albernste Antwort, daß meine Rosaschleife zu seiner schon gewählten Farbe nicht stimme. Er hat nämlich schwarz und weiß, um die Wittwenschaft seiner geliebten Diana anzudeuten. Der Himmel weiß, wie er meine Worte auf eine Scheu vor der Valentinois deutete! Er vergaß den Ort, wo wir uns befanden, umfaßte mich, und indem er mir eine Schleife raubte, rief er: die Frühlingsrose besiegt die herbstliche Malve! und küßte mir die Stirn. In diesem Augenblicke trat Mongomery aus dem Kabinet der Königin. Er ward feuerroth, doch hatt' er Fassung genug, mit einer leichten Verbeugung vorüber zu gehn. Aber der König, der in der heftigsten Spannung war, rief ihm zu: Mongomery, man sagt, ihr liebet Fräulein Limeuil? Mongomery antwortete mit erzwungener Kälte: Sie ist meine Braut. Gut, rief der König, so gebührt euch Genugthuung, und diese Schleife mag als euer Ritterhandschuh gelten. Mit diesen Worten befestigte er sie an seinen Hut.

Die Damen der Königin traten jetzt herein, und der König ging mit einiger Heftigkeit zu ihr in das Kabinet. Laß uns bald fliehen, Mongomery, sagt' ich, wenn du mich nicht gegen solche Zudringlichkeiten schützen kannst. Er blieb hierauf im Vorzimmer, bis ich mich mit Anstand entfernen konnte.

Der König versuchte nachher noch einigemal, mich zu sprechen, aber es gelang mir jedesmal ihm auszuweichen, ohne daß er meine Absicht merken konnte. Ich erlangte indessen wenig dadurch, denn am Morgen vor dem Turnier erhielt ich ein Billet voll Galanterieen von ihm, worin er mich bat, mich zum Zeichen einiger Gunst bei dem Turnier weiß mit Rosa zu kleiden. Ich beschloß sogleich, Mongomery das Billet zu zeigen und ganz andre Farben zu wählen. So erschien ich auch im Gefolg der Königin. Der König machte mir einige Vorwürfe über meine Ungefälligkeit, und schien mir empfindlicher als er es äußern wollte. Bald nachher, als ich mit Mongomery darüber sprach, kam die Königin in meine Nähe. Schämt euch, Limeuil, sagte sie im Vorbeigehn, ihr betragt euch wie ein Kind, man wird euch künftig wie Kindern euren Anzug anbefehlen müssen. Mongomery wollte statt meiner antworten, aber die Königin wendete ihm den Rücken. Mein Freund – sagte sie verächtlich – eure Thorheit verdient kein anderes Schicksal. Mongomery glühte vor Zorn. Nach einigen Schritten aber wendete sich die Königin wieder zu ihm, und sprach freundlich, doch mit einem gewissen bedeutenden Accent: Ich hoffe, Graf, ihr begreift endlich, daß ich eure Freundin bin. Darauf ging sie schnell vorüber.

Als ich gegen Abend nach dem Beispiel der andern Fräuleins meine Kleidung wechselte, schickte mir die Königin einen sehr prächtigen und äußerst geschmackvollen Anzug von den Farben, welche der König wünschte. Ich vermuthete, das Geschenk sei von ihm selbst, und die Königin werde nur zum Schein genannt, indessen blieb hier nichts übrig als zu gehorchen. Kaum war ich auf dem Balkon wieder erschienen, als der König vom Turnier aufbrach, und mich mit den feurigsten Schmeicheleien unterhielt. Er dankte mir für die Aufmerksamkeit auf seine Bitte, wegen meines Anzuges, und zeigte mir meine Schleife an seinem Helm. Der ganze Hof ward aufmerksam, und die Königin blickte mit einem spöttischen Lächeln auf Mongomery, der außer den Turnierschranken hielt. Sein Pferd mochte den Unwillen seines Herrn fühlen und bäumte. Unglücklicherweise bemerkte der König die Bewegung und vielleicht auch die Schleife von meiner Farbe, die Mongomery seit unsrer ersten Bekanntschaft stets an Hut und Helm trug. Graf Mongomery, rief der König, ihr habt heute nicht turnirt; noch eine Lanze zu Ehren unsrer Dame! Ihr seid der Preis, schöne Klara, flüsterte er mir im Abgehn zu, und eh noch meine Angst mir ein Wort erlaubte, saß er schon zu Roß. Ich glaubte zu vergehen, denn bei der heftigen Erbitterung zwischen beiden ahnete mir Unglück.

Mongomery lehnte die Aufforderung einigemal ab, er schien die Bitte in meinen Augen zu lesen. Die Königin schickte den Herzog von Savoyen an den König und ließ ihn bitten, sich mit dem erworbenen Ruhm im Lanzenbrechen zu begnügen, aber wer den König kennt, der weiß, daß Vorstellungen ihn allezeit nur noch eigenwilliger machen. Er bestand auch jetzt auf seinem Vorhaben, und Mongomery mußte in die Schranken reiten. Im ersten Rennen strich die Lanze des Königs hart an Mongomery's Helm vorbei, im zweiten riß die Spitze ein Stück des Helmschmuckes ab. Ich litt tödtliche Angst, denn es war unverkennbar, daß der König absichtlich nach Mongomery's Haupt seinen Stoß richtete. Der Graf hatte beidemal gegen seinen Gegner die Lanze gesenkt. Dieser schien darüber entrüstet und rief ihm einige Worte zu, die ich nicht verstand. Beide sprengten nun wild auf einander. Mongomery traf den König auf die Brust, daß die Lanze splitterte, und im Augenblick sank der König blutend und ohnmächtig aus dem Sattel. Ein Splitter des abgebrochenen Schafts von Mongomery's Lanze war ihm durch das Auge tief in den Kopf gedrungen. Was nach diesen schrecklichen Augenblicken vorgegangen, weiß ich nicht.

Mongomery schickt mir eben einen männlichen Anzug zu Erleichterung unsrer Flucht. Die nächste Nacht ist dazu bestimmt. Ein dunkler Himmel begünstiget uns. Wenn du diesen Brief erhältst, meine Mutter, ist deine Klara dir vielleicht schon nahe.


12.
Cäcilie Fleury an Frau von Limeuil.

Ich muß die schmerzliche Pflicht erfüllen, Ihnen Madame, die nähern Umstände der traurigen Begebenheit zu berichten, die Ihr mütterliches Herz schon mit dem tiefsten Schmerz erfüllt hat. Trost werden Sie von mir nicht erwarten, die selbst durch den Verlust ihrer Freundin und Wohlthäterin auf das tiefste gebeugt ist. Ihre Klara genoß das seltene Glück ihr Leben zu beschließen im Augenblick seiner schönsten Blüthe. Sie verschied in den Armen ihres Geliebten, dessen Leben sie durch ihren Tod rettete. Ich sollte das Glück nicht haben für Klara zu fallen, denn der auf mich gerichtete Angriff mißlang.

Ich wiederhole nicht, was Sie von unsrer Klara selbst ohne Zweifel erfahren haben, wie ihre Flucht mit dem Grafen Mongomery verabredet war. Mit einbrechender Nacht führte uns einer von des Grafen Dienern ungestört aus der Stadt. Klara war in männlicher Kleidung, und ich saß in weiblichem Anzug an ihrer Seite. In der Nähe der bezeichneten Kapelle stiegen wir aus, und ließen den Wagen weiter an den von dem Grafen bestimmten Ort fahren, wo frische Pferde unsrer warteten.

Der Graf kam uns entgegen, ein Geistlicher wartete schon in der Kapelle, und in wenig Minuten war die Kopulation vollzogen. Die jungen Gatten überließen sich den süßesten Hoffnungen. Sie ahndeten nicht die Nähe des feindlichen Verhängnisses! Graf Mongomery war einige Schritte vorausgegangen, um wegen der Reise Befehle zu ertheilen, und seine Gemahlin, die nun alles Leiden überstanden zu haben glaubte, umarmte mich mit allem Feuer der seligsten Freude. Im Augenblick ward ein Schuß gehört, und ich fühlte eine Kugel bei mir vorüber zischen, ein zweiter Schuß, und die Gräfin sank blutend neben mir zu Boden.

Der Graf eilte sogleich herbei und schickte seine Leute den Mördern nach; allein sie waren so schnell entflohen, daß keine Spur von ihnen zu finden war. Ohne Zweifel galt wenigstens Ein Schuß den Grafen und der Mörder ward durch Klara's männliche Kleidung gemißleitet. Wer seinen Tod verlangte, gebührt mir nicht zu vermuthen. Der Graf scheint um ein Geheimniß gewußt zu haben, das sein Tod versiegeln sollte.

Die Gräfin drang nun mit der letzten Kraft ihrer sterbenden Stimme in ihren Gemahl, daß er in schleuniger Flucht seine Rettung suchen solle; sie mußte ihn endlich mit der Hoffnung täuschen, ihre Wunde sei mehr schmerzlich als gefährlich, um ihn zu bewegen, daß er für sie sein Leben sicher stellen möge. Nie werde ich diesen Abschied vergessen! – Als der Graf sich losgerissen hatte, brachte ich die Sterbende mit Hülfe des Geistlichen in ein nahes Nonnenkloster. Sie bat vor ihrem Ende, das sie nicht fern fühlte, unter die Zahl der frommen Schwestern aufgenommen zu werden, und die Aebtissin erfüllte diesen Wunsch.

Sie, Madame, hätten jetzt ein Recht auf die gränzenlose Dankbarkeit, mit welcher ich Ihrer verewigten Klara verpflichtet war. Wer aber, wie ich, die schönsten Freuden der Welt in so furchtbarer Zerstörung sah, der sehnt sich aus dem Kreise betrüglicher Hoffnungen in die stillen Wohnungen des klösterlichen Friedens. Dort werde ich, in frommen Uebungen und Gebeten für das ewige Heil unserer Klara, mein Leben beschließen. Möge es mir da auch gelingen, für Ihren gerechten Schmerz den Trost des Himmels zu erflehen.


13.
Archiv-Nachricht.

Am Tage Mariä Himmelfahrt im Jahr unsers Herrn Eintausend Fünfhundert Neun und Funfzig, ist ein Fremder, so sich Lukas von Florenz genannt, zu Montremy angekommen, und hat mit der Frau Marquise zu sprechen verlangt, worauf dieselbe sich mit gedachtem Florentiner mehrere Stunden in ihr geheimes Kabinet verschlossen, woselbst sie verschiedene Briefschaften und Papiere emsig durchgesehn, ohne daß man jedoch erfahren können, worüber sie sich unterhalten, daher denn viele den gedachten Florentinischen Meister für einen Goldmacher oder Adepten halten wollen, besonders da die Frau Marquise am nächstfolgenden Tage eine sehr starke feuerfeste Halle in dem Schlosse anlegen lassen, welche jedoch von denen, so sie in ihrer fertigen Gestalt betrachtet haben, wol mehr vor eine Todtengruft, denn vor ein alchymisches Laboratorium gehalten werden möchte.

Es ist auch kurze Zeit darauf, nachdem die erwähnte Halle ausgemauert gewesen, ein Todtensarg aus einem Kloster auf das Schloß abgeholet und in diese Halle, nachdem sie vorher von dem Priester geweihet, jedoch bei nächtlicher Stille, und bloß in Beiseyn der Frau Marquise, des Pater Aymar, und meiner, des Kastellans, versenkt, auch darüber eine Bildsäule der Frau Gräfin Mongomery aus dem Hause Limeuil aufgerichtet worden, woraus nicht uneben zu vermuthen, daß deren todter Leichnam in diese Halle versetzt worden. Was aber die Frau Marquise bewogen habe, dem Leichnam diese veränderte Ruhestelle anzuweisen, solches hat dieselbe niemand entdecket, sondern dieses Geheimniß mit sich in die Gruft genommen. Es will aber der Herr Pater Aymar von einer Nonne, welche die Vertraute der Gräfin Mongomery, und bei ihrem traurigen Ende zugegen gewesen, vernommen haben, wie die Gräfin einmal eine furchtbare Vorstellung künftiger Ereignisse gesehn, und daher im Grabe nicht Ruhe finden könne, bis alles erfüllt sei, was der Schwarzkünstler ihr im Bilde gezeiget. Was davon zu halten, überlasse ich den Gelehrten auszugrübeln; der armen Seele aber wünsche ich die himmlischen Freuden, und dem Leib eine sanfte Ruhe im Grabe, so wie dermaleins eine fröhliche Auferstehung.


Der größte Theil des Tages war über dem Abschreiben dieser Nachrichten verstrichen. Ich beschloß daher mit dem nächsten Morgen meine Reise fortzusetzen. Mein Wirth sprach noch einiges mit mir über jene sonderbare magische Vorschau und ihr wunderbares Zusammentreffen mit der Geschichte. Ich gestand ihm, daß ich die Thatsachen, die hier ziemlich begründet schienen, nicht läugnen könne, daß ich aber eben so wenig solche Begebenheiten mit den Gesetzen der Natur in Uebereinstimmung bringen könne, und erbat mir seine Ansicht der Sache.

Geht es uns – erwidert' er – nicht mit vielen, fast den meisten natürlichen Phänomenen so, daß wir sie für wahr annehmen, ohne sie erklären zu können. Denn was man im gemeinen Leben Erklärung nennt, ist ja gewöhnlich nur Veränderung des Wortes, die uns der eigentlichen Einsicht um keinen Schritt näher bringt.

Erklärung – fuhr er fort, als ich ihn mit fragendem Blick ansah – verlangen und erwarten wir nur dann, wenn eine Sache mit einer andern, die uns für unbezweifelt gilt, in Widerspruch zu stehen scheint. Die Erklärung soll den Widerspruch aufheben, das heißt, sie soll nachweisen, daß das Bezweifelte mit dem Unbezweifelten in seinem Wesen Eins und Dasselbe, und nur in Form, Richtung, Ansicht, oder andern Beziehungen verschieden sei. Dieses Licht über den dunklen Ursprung der Dinge ist die wahre Aufklärung. Unstreitig wird die Erklärung immer schwieriger, je weiter die in Widerspruch scheinenden Dinge von ihrem gemeinschaftlichen Ursprung entfernt sind. Nehmen Sie dazu, daß der größte Theil der Menschen, auch der Gelehrten, ihre Geisteskraft bloß mechanisch geübt haben, daß sie daher das Erklären bloß als mechanisches Zergliedern und Zusammenstellen betrachten und handhaben. Daher die Unsicherheit in allen Ansichten solcher Dinge, die nicht durch bloß mechanische Kräfte von der Natur hervorgebracht werden, und die vielen verfehlten Theorien, welche dergleichen Wirkungen mechanisch erklären wollten. Wir müssen ein höheres Denkvermögen kultiviren, um die chemischen Durchdringungen, wieder ein höheres, um das organische Leben zu begreifen, aber natürlich hält die mechanische Denkweise diese Forderung sowol, als die Aussprüche jener höhern Fähigkeiten, für Schwärmerei, wiewol sie wenigstens zu der Einsicht gelangen könnte, daß, weil in der Natur Wirkungen sind, die mechanischer Weise nicht begreiflich sind, es auch im Geist analoge Fähigkeiten geben müsse, welche jene Wirkungen unmittelbar und ohne Beihülfe des mechanischen Denkens auffassen können. Ein noch höheres Denken als selbst das organische, würde uns erst über das, was wir Geisterwelt nennen, vollen Aufschluß geben können, indessen gibt uns die chemische und organische Natur in vielen unbestrittenen Erscheinungen den Schlüssel zu den Wundern der Geisterwelt; denn was ist Prophezeihung anders als das Vorgefühl künftiger Veränderung, z. B. des Wetters, in einer höhern, geistigen Sphäre? So haben alle Wunder der Geisterwelt ihr Vorbild in der organischen Natur, so wie diese wiederum ihre analogen vorbildlichen Erscheinungen in der chemischen Reihe von Wirkungen findet.

Unsere Unterhaltung, die ich gern fortgesetzt hätte, wurde hier abgebrochen. Meine Reise litt keinen Aufschub, und unter den herzlichsten Danksagungen trennte ich mich von meinem Freunde.

Ich ahndete damals noch nicht, wie viel ich ihm zu danken hatte. Die Partei, deren Pläne mein Hof begünstigte, war in einem schnellen und heftigen Kampf untergelegen, ihr mächtigstes Haupt war gestürzt, und der geheime Geschäftsführer einer andern Macht war als ein Opfer der siegenden Partei gefallen. Ich würde einem gleichen Schicksal nicht haben entgehen können, wär meine Reise nicht durch die Warnung meines Freundes verzögert worden.

Die veränderten Verhältnisse gaben meiner Wirksamkeit nun eine andre Richtung, und erst nach mehrern Jahren führte mich eine neue Reise in die Gegend von Montremy. Mein ehrwürdiger Freund lebte nicht mehr, die Reste des Schlosses und mit ihnen jene Halle waren durch den Krieg völlig verwüstet, die Einwohner waren geflüchtet, und ich fand niemand, der mir Nachricht geben konnte, ob die verschleierte Braut nun ihre Ruhe gefunden habe.



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