Ludwig Anzengruber
Kalendergeschichten
Ludwig Anzengruber

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Eine Geschichte von bösen Sprichwörtern

(1884)


Manche Sprichwörter sind danach, es dürfte sie der Teufel den Leuten in den Mund gelegt haben, daß ihnen die Sünde leichter eingehe, wie gewissenlose Wirte Bleizucker, Farbstoffe und Spiritus dem Weine zusetzen, um ihn »süffiger« zu machen.

Solche Sprichwörter sind: »Der Mensch lebt nur einmal,« – »Einmal ist keinmal,« – »Kommt Zeit, kommt Rat,« und andere mehr, die alle den Leichtgeherzten das Gewissen geschmeidig halten, indem sie vom Thun und Lassen des Menschen den Gedanken an die Verantwortlichkeit fernrücken und in scheinbar ganz unverfänglicher Schalkheit zur Stunde der Versuchung ihm zuflüstern: »Greif zu, dummer Peter!«

Freilich, die Sprüche können nichts für ihren Gebrauch, so wenig wie der giftige Fingerhut und die Tollkirsche für das Ueble, das sie etwa anstiften, verantwortlich gemacht werden können; die legen es ja auch nicht darauf an, den Menschen an Leib und Gesundheit zu schädigen, so wenig sie davon wissen, daß sie in den Rezepten der Aerzte als Digitalis und Belladonna vorkommen und zu heilsamen Tränken verbraut werden. Es hatte ja den besten Schick und die rechte Art, wenn einer bedächte: der Mensch lebt nur einmal auf der Welt, daher soll er's so rechtschaffen und ehrlich, daß dies eine Mal sich auch auszahlt, daß seine Mitmenschen nicht denken, es wäre dies eine Mal schon zu viel gewesen, sondern daß sie ihm nachsagen, er wäre ihnen zu Leid hinweggegangen. Dächte einer so, und hielte er sich danach, der Segen seines Angedenkens käme noch seinen Kindern zu gute. Besänne sich einer bei allem Guten und Rechten, das er unternimmt: »Einmal ist keinmal,« und stünd' nicht an, es zu wiederholen, dann läge mehr als dreifacher Segen in den drei Worten. Sagte sich ein anderer bei allem unbedachten Thun, zu dem ihn Haß, Eifersucht und sonstige blinde Leidenschaften anreizen wollen: »Halt da! Kommt Zeit, kommt Rat!« Der Mann wäre klug und rechtgesinnt.

So aber bedenkt, besinnt und sagt sich kaum einer, der obige Sprichwörter im Munde führt. »Der Mensch lebt nur einmal auf der Welt,« eifert jeden an, zuzugreifen, wo etwas zu holen, an sich zu rapfen, was zu haben ist; was wäre der Fuchs für ein Esel, der Gans den Kragen, den sie ihm darreckt, nicht umzudrehen, was der Marder für ein Hase, den beschlichenen, schlafenden Hühnern nicht das Blut auszusaugen? Was steckt denn auch Verfängliches dahinter, sich der Freuden des Lebens zu bemächtigen, mögen auch andere ein wenig darunter zappeln müssen? Danach frägt freilich keiner, was eigentlich hinter den gepriesenen Freuden des Lebens stecke, und ob es sich lohne, ihretwegen ein anderes zappeln zu machen?

»Einmal ist keinmal,« sagt der Saufaus, der seinen Rausch heimbringt. »Einmal ist keinmal,« sagt das liederliche Weibsbild, so oft es außer Haus läuft, oder inner vier Wänden Uebel thut. »Einmal ist keinmal,« sagt der junge Dieb, so oft er seine Finger noch schlechtbewachtem fremden Gute streckt, und insofern ist dieses Sprichwort wohl ein Wahrwort, denn bei dem einen Mal bleibt es keinmal.

»Kommt Zeit, kommt Rat,« wird oft gesagt, wo der rechte, der beste Rat zur Hand liegt und diese aus Faulheit oder Bosheit nicht danach greifen mag.


Es war da in – Mooskirchen wollen wir den Ort nennen – ein häbiger Bauer, nahe den Vierzigen, sein Leb'lang' ist der ein lustiger Bruder gewesen, als Knecht hatte er es durch seine allzeit fröhliche Laune der Bäuerin, bei der er zuletzt im Dienste gestanden, angethan und die wohl acht Jahre ältere, noch gut erhaltene und besser bestandene Witib geheiratet. Zwar sahen die angesessenen Bauern den neuen, vom Knechte zum Herrn gewordenen Standesgenossen anfangs scheel an, auch murmelten sie, wenn er im Wirtshause aufzog und groß that, etwas von einem Lumpen, der mehr Glück habe, als er verdiene, und er konnte es nicht gut überhören, denn sie murmelten das nicht in ihre Bärte, die meisten hielten ihr Kinn glatt, und für die wenigen, die ein kurzes Bartbüschel an den Ohren trugen, wäre das Hineinmurmeln sehr beschwerlich und kaum durchführbar gewesen. Der Wiesner Jakob aber fragte nichts danach und lachte und schwankte sich in kurzer Zeit in ihren Kreis hinein, und sie ließen den närrischen Teufel, dem man nicht feind sein konnte, schließlich gerne als ihresgleichen gelten.

Auf dem Hofe des lustigen Bauern diente von Kind auf ein junger Bursche, der Sohn blutarmer Taglöhnersleute, denen die Bäuerin wohlwollte; als der junge Mensch zum Militär mußte, baten seine Eltern, die Bäuerin möchte ihnen doch die Gutthat erweisen, die Schwester des Soldaten, ein eben mannbares Dirndl, aufzunehmen, damit sie nunmehr die von der Schüssel wegbekämen. Die Bäuerin verstand sich dazu, und ein paar Tage, bevor der Bruder einrücken und Abschied nehmen mußte, traf das Mädchen an dem neuen Unterkunftsorte ein.

Der Rekrut war ein fast menschenscheuer Bursche, er galt für einen, der sich viel unnütze Gedanken mache, zu denen er selbst kein freundlich' Gesicht zog; nie hatte man ihn mit einer Dirne schäkern sehen und nur dann lachen, wenn ihm irgend etwas zugestoßen, das ihm ganz wider den Strich ging. Bis zu dem Tode des ersten Mannes der Bäuerin und dem Dienstantritte des Wiesner Jakobs beachtete man die Sonderlichkeiten des jungen Knechtes wenig; von dem Tage aber, wo der lustige Schwerenöter, der gar bald Anlaß hatte, sich als künftigen Bauern aufzuspielen, den Fuß in die Wirtschaft setzte, war es vorbei mit den ruhigen Zeiten für den »verdangelten Sauertopf« und das andere Gesinde eiferte dem »kreuzfidelen« Oberknechte und später dem neuen Herrn nach, in mehr oder minder unfeinen Späßen, Stichelreden und Schelmstücken; der aber, auf den alle boshaften Streiche angelegt waren, erregte schließlich noch den Aerger der anderen dadurch, daß er sich von seinem Aerger so wenig merken ließ.

Nur einem Menschen schloß sich der junge, ernste Bursche an, und das war ein armer, alter, buckliger Flickschneider im Dorfe, der nebenbei auch Musik betrieb, indem er an Sonntagen in der Kirche auf dem Chore und zur Faschingszeit auf den Tanzböden die Geige strich. Oft saßen nach Feierabend in der dumpfen Werkstube die beiden ungleichen Gesellen beisammen, und der junge lauschte mit Andacht dem gerade nicht künstlerischen Spiele des alten. Was verschlug auch ein Griff daneben, wenn das Ganze ehrlich gemeint war?

Viel schwerer fiel dem angehenden Soldaten der Abschied von diesem seinem Freunde, als von der Schwester, die in seinen Augen, eben weil sie eine Dirne, doch nur eine Art untergeordnetes Geschöpf war. Mit der Rosel machte er wenig Umstände, er sagte ihr »Behüt Gott!«, ermahnte sie, brav und rechtschaffen zu bleiben und reichte ihr die Hand, schalt sie – da ihr Thränen ins Auge traten – ein dummes Ding, das flehne, wo es nichts zu flehnen gäbe und nur Sorg' tragen sollt', daß sich dazu nicht anderweit ein Anlaß fände.

Der Bucklige mußte ihn aber ein paar Wegstunden außer Orts begleiten; auf ihn sprach er lebhaft ein, gedachte aller alten Erinnerungen und erklärte, wie er sich seiner Zeit auf das Wiedersehen freue; in Gesundheit und Zufriedenheit, setzte er hinzu. Endlich mußte er den müden Alten doch den Heimweg antreten lassen. Er schüttelte dem Freunde mehrmals die Hand. »B'hüt Gott, Thomas! B'hüt Gott und« – er zog die Stirn in Falten und flüsterte ihm zu – »willst mir noch eine Lieb' thun, so schau auf mein' Schwester!«

Der Alte blickte erstaunt auf. »Je, was wird da auch viel z' schau'n sein? Beim Wiesner Jakob is die gut aufg'hob'n.«

Der Junge sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an. »Meinst? No, nix für ungut, sollt' ich dich gleichwohl unnötig bemüh'n, aber thu doch, wie ich dir sag'!«

»Wie d' willst, wie d' glaubst, ich halt' dir schon d'Augen auf. Mein' Hand drauf!«

So schieden sie.


Auf dem Gehöfte des Wiesner Jakob wuchs die kleine Rosel zu einer gar netten, drallen Dirne heran. Die Burschen sagten ihr, wie sauber sie werde, und eines Tages, als sie mit dem vollen Wasserzuber unter die Stallthür trat, strammen Ganges und die runden Arme, trotz der Schwere des Gefäßes, so nervig und prall emporgehalten, da hörte sie auch den Bauer sagen: »Schau, wie die sauber wird!«

Von der Zeit ab schäkerte er auch mit ihr wie mit den anderen Dirnen auf dem Hofe, just nicht gar fein, eben nach Bauernart, aber sie hatte des kein Arg; alle ließen es sich gefallen und lachten dazu, und Unrechtes konnte nicht dabei sein, da selbst die Bäuerin, wenn sie dazukam, ihren Spaß daran hatte.

Rosel war ehrlicher Leute Kind und – wie das gewöhnliche Redensart – christlich auferzogen, leider fährt aber bei den Leuten die Heilslehre häufig ebenso übel wie die Heilkunde, was für diese die Quacksalberei, ist für jene der Aberglaube, die wenigsten fragen danach und achten darauf, aus welchen Anfängen und Anlassen Sünden und Krankheiten erwachsen und sie befallen, sondern erst, wenn der Schaden ausgebrochen ist, soll ein Trank, ein Pflaster, eine Salbe oder eine Reliquie, eine Messe, eine Wallfahrt alles wieder wettmachen.

Als die Dirne auf Wiesners Gehöft kam, war sie nicht besser, nicht schlechter, nicht klüger, noch frömmer wie viele, aber so eitel wie die meisten, und unter diesen vielen und meisten braucht man just nicht allein Bauerndirnen zu verstehen. Was sie vor den anderen Mägden voraus hatte, das war ihre unverdorbene Jugend; aber gerade das, was sie hätte schützen sollen, das unerfahrene kindliche Wesen, ward ihr Verderben.

So schießt denn dem noch lange keine tausend Wochen alten Kinde mit einmal der spitzbübische Gedanke durch den Kopf, wie gar nicht übel das wäre, bei dem Bauern allen anderen den Rang abzulaufen und da auf dem Hofe etwas vorzustellen. Sie dachte sich das so lustig, wie sie die anderen alle ärgern und den Bauern zum besten haben wollte, und nun begann sie, wenn er in seiner ungeschlachten Weise sie neckte, sich zu zieren; sie suchte durch Uebelnehmen, Aufbegehren, Maulen und Trotzen zu erproben, was er sich wohl von ihr gefallen lassen würde.

Er aber lachte nur dazu, das Gleiche that hinter ihrem Rücken das Gesinde, bei dem es nun für ausgemacht galt, »die Rosel wär' ganz närrisch in 'n Bauern g'schossen«; an sie aber schlich man heran, zog bedeutsam die Augenbrauen empor und raunte ihr zu: »Man merke wohl, der wär' schon ganz aus der Weis' in sie verliebt.«

Bei einem Bauern, der streng und stramm seine Wirtschaft leitet und auf Zucht und Ehr' im Haus und unter dem Gesinde hält, hätte die Dirne zu derlei gefährlichem Spiel weder Anlaß noch Zeit gefunden; auch ein minder Gestrenger würde wohl Ehrbarkeit halber, um sich vor dem Gesinde nichts zu vergeben, der Jungmagd das ärgerliche Wesen bald verleidet haben, aber der Wiesner Jakob, der seinem Anwesen nicht viel anders, wie als ehemaliger Großknecht vorstand, der fragte wenig nach dem Schicksamen und war nicht der Mann dazu, sich und anderen einen Spaß zu verderben, er drückte gerne ein Auge zu, wo er einen solchen um die Wege glaubte.

So nasführten sich denn die beiden Leute eine geraume Weil' über, bis der alte Fuchs dachte, ob es nicht eigentlich doch das lustigste wäre, wenn er dem jungen Gänschen ernstlich an den Kragen ginge?

Je, lustig wohl, schön just nicht!

Die armen Taglöhnerleut' hatten das unbescholtene Kind auf Treu' und Glauben daher an Ort geschickt und vermeinten es in bester Obhut, und was konnte alles für Verdrießlichkeit, Ungelegenheit und Ueberlast aus einem Mißbrauche dieses Vertrauens entstehen?

»Ei ja!« sagte sich der Wiesner. »Aber den Teufel auch (er hatte nicht unrecht, den dabei heranzuziehen), bin ich's nicht, so ist's ein andrer. Entgeht mir der Spaß, möcht's mich mein Lebtag reuen.« (Viele Leute bereuen die begangenen Sünden nicht halb so oft und aufrichtig, wie die unterlassenen.) »Man muß auch nit immer gleich aufs Aergste denken, was folgen könnt'; weiß ich doch von mir und andern, wie oft wir Schiefrig's angefaßt haben, und 's ist allzeit glatt abgelaufen; machet' sich da ein's Gedanken, höret sich alle Freud' auf, und der Mensch lebt nur einmal auf der Welt!«

So war der Bauer mit sich ins – unreine gekommen.

Welcher Beschmeichelungen, Bethörungen, wohl auch Einschüchterungen er sich gegen die Dirne bediente, mag unerzählt bleiben; genug, er spielte falsches Spiel und – sonderbar – derselbe Trumpf, mit dem er die arme Magd ihrem guten Engel abgewann: »Einmal ist keinmal,« sollte ihm den Teufel vom Leibe halten. »Einmal ist ja keinmal!«

Er versuchte auch sofort gegen Rosel fremd zu thun und sich von ihr fernzuhalten, aber sie war zu stolz, sich das gefallen zu lassen und findig genug, um es herauszuhaben, daß sie, wie der Handel nun liege, den Bauern, der aus Feigheit vor ihr davonlief, wohl auch zwingen könne, ihr – ebenfalls aus Feigheit – wieder nachzulaufen. Bei den kurzen Begegnungen, wo er ihr nicht ausweichen konnte, trug sie bald leidig und traurig, bald frech und aufdringlich eine Vertraulichkeit zur Schau, die ihn erschreckte und einschüchterte und schließlich veranlaßte, sich mit ihr wieder auf guten Fuß zu stellen, und in kurzer Zeit merkte er an der Schlauheit, mit der sie ihn gegen Leute, die ihr nicht zu Gesicht standen, aufzuhetzen wußte, an der Entschiedenheit, mit der sie ihren Vorteil über ihn verfolgte, daß es die eitle Dirne eigentlich darauf abgesehen habe, ihn, so lang und breit er war, in die Tasche zu schieben.

Da hörte nun doch für den Wiesner Jakob aller Spaß auf, er begann zu bangen und zu sorgen. Das konnte nimmer langer so fortgehen. Wohin sollte es auch führen? Es mußte ein Ende damit haben! Er aber wußte ihm um so weniger eines zu finden, da sich mit einmal in das Ganze ein neuer Knoten hineinverfitzte.

An einem frühen Morgen kam ihm die Jungmagd in den Garten nachgeschlichen, warf sich ihm an den Hals und that ein Geständnis, das unter zweien Leuten, die sich in Treuen und Ehren angehören, helle Freude hervorzurufen pflegt, wobei das Weib beschämt und der Mann fast etwas großthuerisch vor sich hinblickt und die beiden lieben, verlegenen, gar ein wenig verblüfften Gesichter mit gesundem Rot sich färben; hier stammelte sie es in herzbeklemmender Angst und er hörte es mit erschauerndem Schreck und beide starrten sich bleich und sprachlos an.

Eine geraume Weile standen sie so, der Bauer mit niedergeschlagenen Augen und die Dirne ratlos zu ihm aufblickend, da machte er sich von ihren Armen frei, strich sich das schon, ergrauende Haar von der schweißtriefenden Stirne und sagte: »Laß gut sein; bereden und überlegen wir's spater, noch eilt's nit. Kommt Zeit, kommt Rat!«

Damit ging er hinweg.

So geht es ja für gewöhnlich. Wenn einen die Folgen einer That plötzlich scheu machen, die er ohne Kopf begangen, so hat er den nicht erst darüber zu verlieren; daß er ihn aber in solcher Lage wieder fände, gehört zu den seltensten Ausnahmen.

Und wie nahe hatte auch da noch der rechte Rat gelegen, Bauer, wenn du nicht mit Eigensucht, Leichtsinn, Schwänken und Schnurren vollgestopft gewesen wärest, wie eine Kinderpuppe mit Sägspänen, sondern auch Herz im Leibe gehabt hättest! Das würde dir zugerufen haben: »Nun du es sträflicherweis einmal arg gemacht hast, so verhüte doch, daß es ärger komme! Beruhige die Dirne über die nächste Zukunft, die ihr bevorsteht, treib sie nicht zur Verzweiflung, zieh ein anderes unschuldiges Wesen nicht mit hinein in ihren Verderb, beruhige sie über die Zukunft des Kindes, das ja doch dein Kind ist!«

So hätte, wie die Dinge nun einmal lagen, doch das Uebel noch leidlich ablaufen können.

Aber es dünkte ihm närrisch, einer solchen »verhöllten« Geschichte wegen tief in den Sack langen zu sollen. Pah, mehr als einer war auch nicht gewissenhafter, und mehr als eine schickte sich gemach in das, was kam und läuft heute noch auf der Welt herum. Am besten, man läßt das die Weibsleute allein ausbaden, so kommt ihnen mit der Zeit auch Rat.

Er ließ es die Dirne auch allein ausbaden. Der Bäuerin war mittlerweile das Wesen und Treiben der Jungmagd doch unlauter vorgekommen; sie drang bei dem Bauern auf deren Entfernung, und der Wiesner, dem dies ganz erwünscht kam und der dadurch gleichzeitig den Verdacht seines Weibes zu entkräften suchte, überließ es der Alten, Rosel Knall und Fall aus dem Hause zu jagen.

Der war ihre Zeit immer näher und näher gekommen, aber fremder Rat weggeblieben und eigenen fand sie keinen. Derjenige, der ihr zu raten berufen, ja verpflichtet war, wußte jeder Begegnung auszuweichen, und jetzt, wo sie, auf die Straße geworfen, mit trockenen, unsteten Augen nach dem Gehöfte starrte, saß er gar nicht daheim, war nach »auswärts« gelaufen und kehrte wohl nicht früher wieder, bis er dachte, daß nun alles geschehen und vorbei. Wohin nun? Zu den Eltern?

Ihre Finger, die das Tuch mit den wenigen Habseligleiten hielten, krampften sich bei dem Gedanken ineinander. Nie konnte sie so, wie sie war, es wagen, unter die zerlumpten, nach Brot schreienden Geschwister, vor die durch Not und Elend verhärteten und erbitterten Eltern zu treten; sie mußte fürchten, Mißhandlungen zu erliegen.

Nur der Bauer, er allein, war an allem ihrem Jammer schuld. Hätte sie ihn nie mit Augen gesehen, ihr war' all das gebrannte Herzeleid, alle Demütigung vor sich selbst und vor der Welt, unter der sie zur Stunde litt, erspart geblieben. Sie hatte allerdings recht, auch dann recht, wenn er etwa dagegen gehöhnt hätte, wenn er nicht, so wär' es eben ein anderer gewesen, der sich ihre Unerfahrenheit zu nutz' gemacht, denn daran konnte sie wohl zweifeln, ob ein anderer in gleichem Falle auch so an ihr gehandelt haben würde.

Man sah es vom Gehöfte aus, wie sie drohend gegen dasselbe den Arm schüttelte, dann ging sie langsam hinweg über die Wiesengründe und verschwand im nahen Walde.

Nach Mitternacht machte eine lohende Brandröte ganz Mooskirchen lebendig und durcheinanderlaufen. Der nahe dem Wiesnerschen Hofe auf freiem Felde stehende »Stadel« brannte lichterloh. Es war das ein Gebäude aus Riegelwänden, mit einem Bretterdache darüber und Heu- und Strohvorräten darin. Als die Leute herzugerannt kamen, war nichts mehr zu retten; so blieben sie denn gaffend und plaudernd in der Nähe der Brandstätte stehen und sahen dem Feuer zu; gerade als sie am eifrigsten darüber stritten, ob letzteres gelegt oder durch die Feuchtigkeit des Heues veranlaßt worden sei, brach unter fürchterlichem Gekrache das Dach ein, die Wände barsten und trümmerten hinterher, und aus dem dampfenden Geschütte stoben die Funken, dann leckten noch hie und da Flammenzungen hervor, endlich stieg nur mehr ein schwarzer Qualm auf, der vor dem Winde her in die Heide hinaustrieb.

Gleich nach dem gewaltigen Lärm war man ein wenig eingeschüchtert und raunte sich nur Bemerkungen zu, die diesmal nicht mehr dem Feuer, sondern den davon Betroffenen galten. Man bemitleidete die Bäuerin, die händeringend und heulend die Brandstätte umkreiste, und fand, daß der Wiesner Jakob, der das arme Weib so allein verzagen ließ, doch ein gar zu ausbündiger Lump sei; statt der armen Seel' ihre Bekümmernis tragen zu helfen, liege der Süffling, im Bette und schlafe seinen Rausch aus, denn im Wirtshause war er heute von vielen gesehen worden und früh dahingekommen und spät davongegangen.

Als es nichts mehr zu schauen gab, verloren sich die Leute allmählich, wobei sie wieder lauter wurden; dagegen wurde die Bäuerin, die bisher am lautesten gewesen, nachdem sie gesehen, daß kein Span und kein Halm übergeblieben, ganz stille und schlich' langsam nach dem Hofe zurück.

Um nächsten Morgen machte man eine grausige Entdeckung; inmitten der Brandtrümmer fand man einen verkohlten und verstümmelten weiblichen Leichnam. Die herbeigerufene, gerichtliche Kommission war bald in der Lage, die aufgefundenen Ueberreste für jene der Jungmagd Rosel zu erklären, die Verstümmelungen rührten offenbar von dem stürzenden Gebälk und Mauerwerk her; nach den Zeugenaussagen des bei Wiesner bediensteten Gesindes, sowie aus den Ergebnissen der ärztlichen Beschau war es nur allzu wahrscheinlich und naheliegend, daß die über ihre Wegjagung erbitterte Dirne den Schupfen aus Rache in Brand gesteckt, wobei sie entweder selbst den Tod in den Flammen gesucht habe, um der drohenden Schande zu entgehen, oder durch Zufall verunglückt sei. Im Pfarramte, zu welchem Mooskirchen gehörte, schloß man sich dieser letzten, milderen Auffassung an, welche der Verunglückten ein Grab in geweihter Erde sicherte. Der Wiesner Jakob gewann durch sein Verhalten in dieser traurigen Angelegenheit wieder etwas an Ansehen bei den Leuten, man nannte ihn einen leichtsinnigen, aber guten Kerl, da er der Toten nichts nachtrug, sondern alle Kosten für deren Beerdigung bestritt, die in aller Stille vor sich ging. Zur zweiten Mitternacht nach jenem Brande sah schon der weite Himmel mit seinen blinkenden Sternen und der fahlen Mondsichel auf das Grab der Jungmagd hernieder.


Als man den auffallend kleinen Sarg in die Grube gesenkt hatte, war auch der bucklige Flickschneider dabei gestanden. Er hielt die Augen zu Boden gesenkt, und oft schauerte er zusammen, als ob ihn das Fieber schüttelte, so daß ihn die Nächststehenden befragten, was ihm sei. Er sagte, es fehle ihm nichts.

An dem Grabe sah man ihn zuletzt, dann war er aus dem Dorfe verschwunden.

Am zweiten Morgen darauf sah man ihn in einer kleinen Garnisonsstadt in der Kantine der Kaserne des dort stationierten Infanterieregiments; der Bruder Rosels befand sich an seiner Seite.

Außer den beiden war kein Gast in der Stube, der Wirt war hinter dem Schanktische eingeduselt und nickte vor sich, unzählige Fliegen trieben ihr unflätiges Wesen und jagten in dichten, surrenden Schwärmen von Ort zu Ort.

Der Soldat starrte schweigend auf die Tischplatte, der Bucklige beobachtete ihn mit ängstlichen Blicken, plötzlich erfaßte er mit beiden Händen die Rechte, die jener mechanisch nach dein Weinglase ausstreckte. »Veit,« rief er, »Veit, du wirst mir's nie und nimmer verzeihen können!«

»Was denn?« fragte der Soldat erstaunt aufblickend, »was kannst denn du dafür? Die Rosel, obwohl meine Schwester, war halt auch nit g'scheiter wie die meisten. Ich hab's doch nit so g'meint, wie ich dich damals gebeten, auf sie zu schau'n, daß ich dich für sie verantwortlich machen möcht'. Will eine ein' Dummheit begehen, hilft alles Abmahnen und Hüten nix. Mein Gott, das arme Mensch war halt vorwitzig, und nun is's vielleicht besser für sie,« – er verzog wehmütig lächelnd den Mund – »daß ihr 's vorzeitig' End' erspart hat, völlig zu erleben, was noch nachkommen wär'. Gott tröst' s!«

»Nein, nein, Veit,« keuchte der Flickschneider, die Hände abwehrend schüttelnd und dann ineinanderringend, »du weißt nit alles. Wär' ich nit von Mutterleib her so ein verhöllter, elendiger Krüppel, die Rosel lebet vielleicht heut noch!«

»Bist irr'?«

»Gar nit, Veit, gar nit. Aber bedenk, es is doch ein schrecklich' End', was die Dirn' g'nommen hat, ich mußt' dich doch erst vorbereiten, ich mußt' doch erst wissen, wie d' dich hineinschickst in das G'schehne, eh' ich dir reden kann, was ich mutmaß' vom Hergang.« Er neigte sich vor und flüsterte: »Das war kein Selbstmord, – das war kein Verunglücken, – das war ein anderes.«

»Thomas!« schrie der Soldat erschreckt auf.

Der Alte hielt die Hand vor den Mund und winkte mit den Augen nach dem schlummernden Wirte hinüber, dann fuhr er leise fort: »Hör mich an, du weißt, wenn ich beim Fenster auf 'm Werktisch sitz', so zähl' ich 'm ›goldenen Hirschen‹ gegenüber die Gäst' in die Stuben und weiß auch, wer trocken vorüberlauft. An dem Tag, der ihr letzter auf 'm G'höft war und auf Erden sein sollt', hab' ich die Rosel so gegen Abend fünf Uhr, mit 'm Bündel unterm Arm, eilig daherrennen gesehn, beim Hirschen fährt s' mit einmal, wie nit g'scheit, zum Hausflur h'nein und steht und paßt, und auch gar nit lang, so kommt von der andern Seit' der Wiesner Jakob angestiegen. Er mocht' wohl im Nachbarsort schon 'n Wein verkost't haben, denn er hat ein brennrot' G'sicht g'habt, die Weste war aufgeknöpft und 's Halstuch gelockert, aber 'm Gang nach hat man ihm nix nit ankennt. Er biegt in 'n Thorweg beim Hirschen ein und is nit schlecht z'samm'ng'fahren, wie da mit eins die Dirn' auf ihn zustürzt. Hart am Leib, grad unter d'Augen hat s' auf ihn eing'red't, da stoßt er s' von sich weg, sie aber halt 'n beim Arm zurück. Ang'schaut haben sich die zwei Leut' so bösartig und wild, als möcht' eins's andere am liebsten vergiften. Die Rosel hat ein paarmal hinter sich g'wiesen, nach 'm Wiesnerschen Anwesen zu, und der Bauer hat mit 'm Kopf gedeut't wie einer, der, weil's schon sein muß, ja sagt; dann waren s', eh' ich noch von dem Stich, den ich grad gethan hab', aufschau'n könnt', auseinander.

»Nach Feierabend hab' ich mich vor d'Thür aufs Bankel gesetzt und mein' Pfeifen g'raucht. Ein'n um 'n andern hab' ich drüben aus 'm Wirtshaus kommen und heimgehen g'sehn, nur 'n Wiesner Jakob nit, der is verblieb'n. Ei, denk' ich mir, Lump, so sauf, bis nix mehr in dich h'neingeht. Heb' mich vom Sitz, geh' ins Haus und leg' mich zur Ruh'. In der Nacht werd' ich munter, just wie der Wächter die elfte Stund' ausschreit, gleich darauf hör' ich 'n herankommen und mit wem, der vorm Haus auf mein' Bankel g'sessen sein muß, zu streiten anheb'n, und an der Stimm', die 'n sich fortscher'n heißt, wo er nix z' suchen hätt' und 'n nix anging, erkenn' ich d'Rosel. Jesses, fallt mer ein, der Hascher weiß sich für d' heutig' Nacht kein Unterstand. Ich fahr' also aus 'm Bett 'raus, beginn' mich anzuzieh'n, ich wollt' nebenan die alte Berghoferin wecken und die Dirn' h'reinnehmen zu uns. Während ich mich noch beeil', daß ich ins G'wand find', kommt drüben der Wiesner aus 'm Hirschen, an mein'm Fenster huscht's vorüber ihm nach, und wie ich endlich 'n Rock überg'habt hab' und auf d'Straß' hinaustret', seh' ich schon ein gut' Stück vor mir die zwei Leut' daherrennen. No, heraus war ich einmal, so bin ich ihnen nach. Ich g'steh's frei, wie ich mir da Zeit, Gelegenheit und alles Geschehene zusamm'gereimt hab', is mir schon bang g'west, sie gingen nit auf guten Wegen. Mit dem Tornister, den mir unser Herrgott schon in der Wiegen auf 'n Rücken g'schnallt, und 'm schwachen G'stell, auf das er mich g'setzt hat, war mir's nit möglich, daß ich sie einhol'; die Dirn' is flink ausg'schritten und der Bauer hinterher auf 'n Füßen, als hätt' er 'n Tag über nix wie lauter Wasser getrunken. Daß s' aber irgend wohinzu nach ein'm Ort trachten, war mir klar, und da konnt' ich doch wohl an sie herankommen, und wann's gilt, bei der Hand sein.

»Nit wahr war's, Veit, nit wahr! Ein' Flinkem, ein' weniger G'schreckten, ein' ganzen Mann hätt' ich aus 'n Federn auftrommeln und ihnen nachjagen sollen, nit, daß ich elend's Halbmandel mich 'n langen Weg abmüd' und am Ort dasteh', selber ein' Beistand benötig'nd! Daß ich mich in derselben Nacht auf mich allein verlassen hab', wird mir für all mein' noch übrige Lebzeit schwer auf 'm Herzen liegen; aber die Eil' bedenk, Veit, und die Hast, in der alles vorg'gangen is, und daß ich doch – um Jesu willen – nit g'faßt sein könnt' auf ein' solchen Ausgang, daß ich mir nit denken konnt' . . .«

Der Soldat schüttelte den Kopf und sprach: »Red nit herum, erzähl weiter!«

Der Bucklige seufzte tief auf: »Ach, ich wüßt' nit, was ich d'rum gäb', wann ich nicht erlebt hätt', was jetzt kommt! Du weißt ja, daß die Straßen außer 'm Ort um das Wiesnersche Gehöft eine Beugung macht, dahinter lauft s' wieder grad fort wie eh'uder, dort münd't auch der schmale Steig ein, der über d'Wiesen nach dem dreimal verfluchten Stadel führt. Bis zu der Wegbeugen hab' ich d'Rosel und 'n Bauern im Aug' behalten, dort sein s' verschwunden, und wie ich hernach außer Atem an Ort komm', war weit und breit, nit auf Straßen noch Steig, ein' lebendige Seel' mehr zu sehn. Wunder g'nommen hätt's mich wohl, wenn der Wiesner die Dirn' auf 'n Hof g'führt hätt', aber wo s' sonst sollten hingekommen sein, könnt' ich mir nit gleich denken; so bin ich denn längs 'm Zaun ums G'höft g'schlichen, ob ich nichts erlausch'. Nichts – nichts war zu vernehmen, noch zu sehen, im Baumgarten haben verschlafene Vögel in den Aesten g'flattert, durch d'Rückwand vom Stall hab' ich Rind und Roß pfnauchen g'hört, ein' Viertelstund' mocht' ich mich schon herumgetrieben hab'n, just wollt' ich mir einreden, ich wär' a Narr und nix Arg's um die Weg' g'west und denk' auf d'Straßen hinvor und heimz'gehn, denn ich bin hinterm Haus am rückwärtigen Zaun g'lehnt, da macht mich wieder, wie schon früher an der nämlichen Stell', ein Lärm aufhorchen, als ob nit unweit, aber auch nit nah', zwei streiteten, und wie ich noch 'n Hals reck', hör' ich über d' Wiesen her ein' Schrei, der mir durch Mark und Bein g'gangen is, dann noch ein' – diesmal deutlich vom Heustadel h'rüber – darauf war alles still. Ich mußt's, auf 'n ersten Ruf hatt' ich zustürzen sollen, aber 's Herz hat mir geschlagen, als wollt's zum Hals h'raus, und die Füß' haben mir versagt, am Zaun mußt' ich mich anklammern, um nit hinz'fallen vor Schreck, und wie ich da noch mit Müh' mich aufrecht halt', kommt der Wiesner querüber, 'n kürzesten Weg, vom Schupfen dahergerannt, die Augen heraus, das Haar wirr; mir war, als hätt' ich auch Blutflecken gesehn an ihm; keine zwei Schritt von mir springt er mit ein'm Satz über 'n Zaun, und in dem Augenblick hat sich alles vor mir im Kreis zu drehen angehoben, und ich war nimmer bei mir. Wie ich wieder zur Besinnung komm', schlagt drüben auch schon 's helle Feuer zum Dach hinaus. Nit lang, so war alles um und um schwarz vor zugelaufenen Leuten, ich aber bin völlig krank heimg'schlichen, kein' Aug' hab' ich seither nachts zugebracht, ich hab' nur abgewartet, wie die Herren vom Gericht die Sach' sich zurechtlegen werden, dann bin ich her zu dir.«

»Ich dank' dir, Thomas,« sagte der Soldat, sich ruhig vom Stuhle erhebend und dem Alten die Hand darreichend. »Du kannst doch dein Erzähltes beeiden?«

Der Bucklige nickte.

»Gut, dann komm mit.«

»Wohin?«

»Recht suchen!«


Der Wiesner saß in seinem Baumgarten an einem rohgezimmerten Tische, die Pfeife war ihm ausgegangen, er hatte den Kopf auf die Rechte gestützt und schien nachzudenken. Mit einmal rief es über den Zaun: »Gut'n Abend, Bauer!«

Wiesner blickte auf und entfärbte sich ein wenig, der Grüßende war ein Landjäger. »Auch 'n guten Abend,« murrte er diesem zu. »Was gibt's denn?«

»Nichts. Auf der Streif' sind wir.«

»Auf der Streif'? Wo habt 's denn euern Kameraden g'lassen?«

»Der plaudert im Hof mit der Bäuerin.«

»Und ös da mit mir. No, mit 'm Plaudern werdet 's wohl keine Spitzbuben fangen, die laufen derweil unang'halten auf der Straßen vorbei.«

»Mein Gott, die H'rumstromer, die kommen ein'm nit aus und die Ang'sessenen, die laufen ein'm nit davon. Der Mensch kann nit allweil fleißig sein, er will ein wengerl rasten auch. Verlaubt's schon.« Der Gendarm schwang sich über den Zaun und setzte sich neben Wiesner, der, mißtrauisch und abgünstig blickend, auf der Bank zurückrückte.

»Schaut, und wenn man auch feiert,« fuhr der Landjäger fort, »so kann man doch 's Leiern nit lassen, das bringt so 's Geschäft mit sich. Da war ich jetzt, weil ich mir nix G'scheiters zu thun wußt', auf der Brandstatt da drüben« – er wies nach dem in Trümmern liegenden Stadel – »und hab' richtig in dem Geschütt' was gefunden.« Er zog ein pakfongenes Feuerzeug aus der Tasche und legte es auf den Tisch.

»Das is ja mein,« sagte der Bauer, die Hand danach ausstreckend.

»So? Seit wann verloren?«

»Das b'sinn' ich mich nit, 's liegt doch kein Wert drauf. Gebt's her!«

»Bewahr', 's is ein Corpus delicti.«

»Der Schmarr'n? No, nur anschau'n lassen. Vielleicht irr' ich mich gar.«

Der Landjäger hielt ihm das Büchschen ganz nahe unter die Augen, und als der Wiesner sagte: »Is eh' so, war niemal mein,« drehte er es rasch um.

»No, schau, Bauer, 's is doch merkwürdig, daß da auf 'm Schildplattel mit ein'm Messer eingekratzt die Buchstaben J. W. stehn. Doch das wird sich schon weisen, wem's ang'hört hat.«

Der Bauer fuhr von der Bank empor und schrie, auf den Tisch schlagend: »Was wollt 's damit sagen? Ich frag'...«

Der Landjäger war gleichfalls aufgestanden und faßte ihn am Arme. »Sei g'scheit, Wiesner Jakob, ich verlang' nit, daß d' dich h'neinred'st, sorg du lieber, wie d' dich herauszureden vermagst; mitnehmen werd'n wir dich wohl müssen.«

Vom anderen Ende des Gartens her funkelte im Abendschein ein Bajonett.

»Mitnehmen? Mich?« tobte der Bauer, »Möcht' wissen, auf was hin? Weil ihr da ein' Quark auffindet, wie 'n Tausend' in Säcken mittragen!«

Der zweite Landjäger war hinzugekommen, er legte ein kleines Bündel auf den Tisch und sagte, mit seinem Kameraden einen Blick wechselnd: »Gefunden.«

Der Bauer starrte auf das Päckchen. »Und was is das?« keuchte er, danach den Arm ausreckend. »Was wollt ihr mir da wieder enttragen, ihr Dieb' –«

»Nichts, wie ein' Weste und ein Hemd, die d' eh' nimmer tragen wirst, weil Blutfleck' drauf sein.«

Da schlugen dem Bauern die Zähne aneinander, er sank auf die Bank zurück, und im Nu waren ihm Handschellen angelegt. Die beiden Landjäger hoben den willen- und kraftlosen Menschen über den Zaun, führten ihn eine kurze Strecke, da stand ein Wagen bereit, auf den wurde der Gefangene gesetzt, rechts und links von ihm nahmen seine Wächter Platz, und das Gefährt schoß schnell dahin.

Erst nach einer geraumen Weile kamen Leute, welche näheres zu erfahren hofften, aus dem Dorfe herzugerannt und brachten die Nachricht von Wiesners Verhaftung auf dessen Hof. Die Bäuerin hatte just einen Pfannkuchen über dem Feuer, welcher den beiden Landjägern zugedacht war, deren Zuspruch sie sehr ehrenvoll fürs Haus hielt; da sie nun aber nichts anderes hinter dem Vorgange zu mutmaßen vermochte, als »wieder so 'ne Bauernseccatur von seit' der Gerichtsherren«, so nahm sie scheltend die Pfanne vom Herde, trug sie nach ihrer Stube und aß sie unter Wachebeleidigungen und mit gutem Appetite rein aus.

Die Lust zum Schelten wie zum Essen würde der armen Alten vergangen sein, hätte sie die Wahrheit geahnt; als diese ans Licht kam, hatte sie schwer genug daran zu tragen und ward ihres Lebens nimmer froh.


Als der Jämmerling zum Verhöre vor den Richter gebracht wurde, zerfloß er in Thränen; er behauptete einzusehen, was für ein Schuft er gewesen, und heulte über das Los, das ihm bevorstand; es ist aber höchst wahrscheinlich, daß ihn, wie die meisten herzlosen Missethäter, mehr die Aussicht auf den Galgen, als die Einsicht in sein Inneres so weich stimmte.

Nachdem ihm vorgehalten worden, was das Gericht in Erfahrung gebracht hatte, erzählte er auch, was man sonst zu wissen wünschte, den Hergang.

Als er jenen Tag unter die Einfahrt des »goldenen Hirschen« trat, wo die Dirne ihm auflauerte, stürzte diese mit den Worten auf ihn zu: »Ah, da bist ja! Weißt du davon? Wann nit, so sag' ich dir's: Dein' Bäu'rin hat mich heut fortgejagt. Da bin ich jetzt, wie ich geh' und steh'. Was fang' ich nun an?« Darauf habe er ihr bedeutet, daß ihn das nichts angehe und sie weggestoßen. Hierauf wurde er von ihr am Arme zurückgehalten, und sie verlangte von ihm, daß er hinauf nach seinem Heustadel käme, wo sie sich aussprechen wolle. Das habe er ihr, um sie los zu werden, zugesagt, auch, daß er sie nicht allzulange warten lassen würde; worauf sie sich entfernte. Er ging in die Wirtsstube und hatte, als er diese als letzter Gast verließ, völlig auf die Dirne vergessen gehabt; plötzlich sei die, wie aus dem Boden gewachsen, neben ihm gestanden und dann unter fortwährenden Schimpfreden und Drohungen neben ihm des Weges dahergelaufen.

Bei seinem Gehöfte bog der Wiesner ab und ging (wie er zu Protokoll gab) der Dirn' »zulieb und um auszuforschen, was die gegen ihn plane«, nach dem Stadel. Hinter ihnen beiden verrammelte er die Thür, indem er eine Egge dagegen lehnte, er that dies absichtslos, denn obgleich ihm schon öfter unterwegs über die Reden der Dirne die Fäuste gejuckt hätten, so dachte er doch nicht daran, sich an ihr zu vergreifen, hoffte vielmehr, am Orte würde des Geschimpfes ein Ende sein und die Rosel »gescheit mit ihr reden lassen«.

Auf sein Zusprechen, sich zu schicken und hineinzufinden, worein sich Hunderte und wobei eigentlich nichts um noch an sei, habe ihm die Dirne höhnisch ins Gesicht gelacht; trotzdem ihm da zu Mute geworden, ihr eher Arges als Liebes zu thun, hätte er doch an sich gehalten und gefragt, wie er Frieden mit ihr machen könne.

Hierauf erklärte sie, daß er damit zu spät käme; nach dem, was heute vorgefallen, dem Ausjagen und dem feigen Versteckenspiel mit ihr, traue sie ihm nimmer, gäbe es keinen Frieden mehr zwischen ihnen, sondern nur Streit. Sie drohte, vorab der Bäuerin alles zu verraten, dann in die Gerichte zu gehen und für ihr Kind einen Unterhalt zu verlangen wie für einen jungen Prinzen, und dafür sollte er weder Dank von ihr, noch Ruhe vor ihr haben, sie würd' es nicht müde werden, seine Schlechtigkeit unter die Leute zu tragen und diese wider ihn zu verhetzen, solange er lebe und solange sie leben bleibe!

Da habe ihn eine heillose Wut überkommen, daß die Dirne, so nichts Besseres wär' wie irgend eine andere auch, einer solchen einfältigen Dummheit halber, ihn nicht nur am Gut schädigen, sondern auch seinen Hausfrieden untergraben, seinen Ruf zernichten wolle! Seiner nicht mehr mächtig, langte er nach einer Heugabel und schwang deren Stiel, dachte wohl, nur die Dirn' durch sein wildes Wesen einzuschüchtern; als aber die mit breitgezogenem Maul an ihm vorüber zur Thür ging und dort die Egge anfaßte, um hinaus und weg zu wischen ... da habe er den ersten Schlag nach ihr geführt.

Sie brach schreiend zusammen.

Nun war's einmal so weit, und da ist's dem Wiesner durchs Hirn gefahren: »Soll sich einer 's ganz' Dasein von einer solchen boshaften Kreatur verleiden und verschänden lassen? 's ganze, denn sie will's, solang' sie lebt, und wär' im Vorteil als die jüngere. Der Mensch lebt nur einmal auf der Welt – wehr dich darum – und was ihm zu Trotz, lebt auch nit öfter und danach kehrt es nit wieder und beißt nimmer, und wenn einer das Aergste unternimmt, einmal ist keinmal, wenn er sich nit dabei erwischen läßt, und dafür, es zu verbergen, daß es nix ans Licht bringt, kommt Zeit, kommt Rat!«

Nochmal holte er aus, da that sie einen zweiten Schrei, und er schlug zu. Nun habe er Zündhölzer angebrannt, um zu sehen, ob sie noch atme, und da er sie tot gefunden, warf er den Leichnam ins Heu und brannte dieses an. Hierauf entlief er aus dem Schupfen. Den buckligen Flickschneider habe er wohl wahrgenommen, aber in der Aufregung nicht gewußt, sei es ein wirklicher, lebender Mensch oder nur ein »Einbilden«.

Nach der Beerdigung Rosels wär' ihm gewesen, als fiele ihm ein Stein vom Herzen, und er habe bei sich beschlossen gehabt – wenn es nicht aufkäme – ein anderer Mensch zu werden und sich fürder auf keine »Dummheiten« einzulassen.

So kurz wie der Hergang, war auch der Ausgang; der Wiesner Jakob wurde zum Tode durch den Strang verurteilt und – da das Gericht die Verführung des seiner Obhut anvertrauten Mädchens und dessen herzlose Hinschlachtung als besonders erschwerend betrachtete, – auch nicht zur Begnadigung empfohlen.

Als man ihn ausführte, da mochte er wohl aus tiefgeängstigter Seele wünschen, das eine Mal, das er auf der Welt lebte, auch so gelebt zu haben, wie Leute, die sich vor Augen halten, daß dieses eine Mal nicht keinmal, sondern für allemal sei, sich durch diese Einsicht an ihrer Ehre aufgefordert fühlen, strenge gegen sich und milde gegen andere zu sein, und darin wohlberaten sich finden bis zu der Stunde, wo keine Zeit mehr kommt und es keines Rates mehr bedarf.


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