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Johann Jakob Reithard

Die Frauen in Burgdorf, oder Entstehung der Hühnersuppe

Erstes Kapitel

Wie der Schneidermeister Werni von Aarburg zu Burgdorf einen Korb holt und darüber in heftigen Zorn geräth

Am Abend des ersten Pfingsttages 1399, zwischen 4 und 5 Uhr ritt eine wunderliche Gestalt durch jenes Thor der Stadt Burgdorf, von welchem aus die Heerstraße gen Winigen führt. Man hätte den Reiter, von dem hier die Rede ist, füglich für den leibhaften Tod selber in reicher, schlotternder Kleidung halten können, wenn die sichtbaren Körpertheile, nämlich der Schädel und die Hände, nicht mit gelber Haut überzogen und Nase und Kinn nicht im blühendsten Zustand gewesen wäre. Nummer Eins, die Nase nämlich hieng als ein ungeheurer Erker von der Stirn herunter, an welche sie durch zwei starke Augbraunen, gleich wie mit schwarzen Eisenklammern befestigt schien, unter denen zwei falsche Augen nach der Nasenspitze schielten, die ihrerseits, in erklecklicher Entfernung vom Gesichte, sich von diesem emanzipiren zu wollen schien, welchem Bestreben der eingefallene, schnappende Mund, so groß er war, sich vergeblich widersetzte. Nummer Zwei, nämlich das Kinn, war eigentlich nur ein großer wurstartiger Auswuchs, von welchem spärliche Haare, wie ein Ziegenbart, herunterflatterten. Das Thier, worauf der Knochenmann ritt, offenbar ein ehrsamer Ackergaul, suchte die ungewohnte Ehre, Reitpferd zu sein, durch einen gräßlich schwerfälligen Trott, der den Reiter fortwährend in die Höhe scheffelte, auf eine Herz und Nieren prüfende Art zu erkennen zu geben. Der Interimsregent des stattlichen Thieres selbst war Niemand Anderes, als der weltberühmte Schneidermeister Werni von Aarburg, welcher dato nicht nur auf Roß-, sondern auch auf Freiersfüßen gieng. Darum hatte er sich in eine funkelnagelneue Kleidung gesteckt; darum prangte auf seinem kannenförmigen Kopfe ein rothes Sammetbaret mit schneeweißen und kohlschwarzen Federn, welche ihm die Nase umfächelten; darum zierte ihn ein gelbseidenes Wamms mit blauen Schlitzen, das festlich seine schmale Brust umfluderte, darum wickelten sich rothe Hosen um seine magern, erbarmungswürdigen Beine, und graue Filzstiefel um seine ungebührlich langen Füße, welche Gottes freien Erdboden für Steigbügel ansahen; darum that sein Gesicht Etwas, das in seiner Art ein selbstgefälliges, behagliches Lächeln war, von vielen Leuten jedoch für ein lächerlich-tückisches Grinsen gehalten wurde.

Der Besuch des stattlichen Reiters galt Herrn Peter Ochsenbein, wohlbestelltem Rathsmann und Gastgeber zum Roß, oder eigentlich seiner Tochter Küngold, welche ehrengedachter Meister Werni als eheliches Gemahl heimzuführen gedachte. Zeugte schon der halsbrechende Ritt des würdigen Freiwerbers von seiner inbrünstigen Minne, so bewies er diese noch handgreiflicher durch die eiserne Ruhe, womit er den erderschütternden Lärm der Burgdorfer Jugend traversirte, die die seltsame Erscheinung mit lautem Spott umtobte – und war es für einen rechtschaffenen Schneider schon ein gewagtes Unternehmen, sich zum ersten Male in seinem Leben einem so feurigen Rosse anzuvertrauen, wie dasjenige war, auf welchem er eben seinen Einzug hielt, so schien es für einen ausgedörrten Sechsziger wohl noch viel gewagter, ein so lasches siebenzehnjähriges Ding zu freien, wie die Tochter des Roßwirthes und Rathsherrn Ochsenbein in der untern Stadt zu Burgdorf, die der geneigte Leser sogleich in Augenschein nehmen kann, wenn es ihm beliebt, den Meister Werni, nachdem er seine Rosinante vor der Hausthüre angebunden, in die Wirthsstube zu begleiten, wo es eben recht lustig hergeht.

Als der Schneider im Gefühl seines prächtigen Putzes und seines mit Zosinger Silbermünzen gefüllten Beutels gravitätisch in die Gaststube trat, wurde es unter den dort anwesenden zahlreichen Gästen einen Augenblick mäuschenstill. Alle betrachteten mit Erstaunen das wandelnde, in bunte Lappen gekleidete Beinhaus und steckten, als Herr Ochsenbein dem Eingetretenen geschmeidig entgegentrat und ihn als seinen verehrten Herrn Vetter bewillkommte, flüsternd und zischend die Köpfe zusammen. Auf zwei Gesichtern war aber sogleich eine sonderliche Bewegung zu lesen. Das eine Gesicht gehörte niemand Anderem, als der Jungfrau Küngold, welche, hinter einem jungen Manne stehend, eben dessen leeren Humpen vom Tische genommen hatte, um ihn wieder zu füllen. Die erst noch purpurfarbigen Wangen waren plötzlich schneeweiß geworden; die erst noch schelmisch blitzenden schwarzen Augen starrten verglast nach der Schneidergestalt, und vom »Ah! –« einer unwillkommenen Ueberraschung war ihr kußliches Mündlein noch offen geblieben. Das andere Gesicht gehörte vorbesagtem jungen Manne, der, nachdem er den Meister Werni eine Sekunde gemustert hatte, den blondlockigen Kopf nach Küngold umwandte und sie mit den großen ehrlichen blauen Augen recht dringlich anschaute, als ob er fragen wollte: »Ist er's?« Der wehmüthig-zornige Blick, den er bald darauf zur Antwort erhielt, mochte geradezu sagen: »Er ist's!« denn eine wilde Flammenröthe ergoß sich über das kräftige jugendliche Antlitz des Jünglings, seine Augen funkelten, und die Hand auf dem Tische ballte sich krampfhaft zur Faust.

Allein der lange wunderliche Gast beachtete dieses verhängnißvolle Mienen- und Geberdenspiel nicht im Mindesten, sondern schritt, nachdem der dicke Roßwirth ihn benachrichtigt hatte, daß die Maid mit der leeren Kanne seine einzige eheleibliche Tochter Küngold sei, mit zahlreichen Verbeugungen auf das todtbleiche Mädchen zu und pflanzte sich mit seinen krummen Beinen wie ein lateinisches X vor sie hin, versichernd, dieser Tag sei einstweilen der glücklichste seines Lebens. Auf dieses »einstweilen« legte er einen näselnden Nachdruck, wovor Küngold zusammenschauderte und der vorerwähnte junge Gast den rechten Fuß fast am Stuhlbein verkrümmte. Ohne ein Wort zu erwiedern, eilte die Jungfrau fort und der alte Freiwerber fuhr erst aus seiner Verblüffung, als ein schmetterndes unauslöschliches Gelächter aller anwesenden Zecher die Schlösser der Sitte und die Riegel des Erstaunens endlich siegend durchbrochen hatte.

Meister Werni lugte mit den falschen schielenden Augen etwas verdrießlich in der Stube herum und vermerkte endlich, indem er mit zitternder Hand an den zwölf Barthaaren melkte und dabei zu lächeln suchte, gegen Vetter Ochsenbein: »Ihr Burgdorfer, Groß und Klein, seid ein absonderlich aufgeräumtes Völklein, hm! hm! wie ich schon in den zwei Minuten meines Hierseins zur Genüge erfahren habe, hm! hm! Ihr kennt hierorts ganz genau die Pflichten der Gastfreundschaft, hm! hm! und übt sie auf eine wunderliche Weise hm! hm! ...«

Herr Ochsenbein braute noch an einer entschuldigenden Antwort, als der junge Mienen- und Zeichenredner hastig vom Stuhle aufschoß und dem Schneider zurief: »Steckt euern Tadel ein, Herr Leichenhahn, oder was ihr sonst sein möget, hm! hm! Oder ich breche euch eure klappernden Knochen vollends entzwei, hm! hm! Die Burgdorfer üben die Gastfreundschaft gerne, aber nur an vernünftigen, menschlich gestalteten Kreaturen, nicht an Wechselbälgen und Vogelscheuchen, hm! hm! an denen sich, wie zum Exempel an euch, hm! hm! die schwangern Frauen versehen möchten und wodurch die ehrlichste Stadt im obern Ergäu um ihre an Leib und See! gesunde und wohlerworbene Nachkommenschaft kommen könnte – hm! hm!«

Nun erst brach das rechte Wetter los, es hatte sich durch des jungen Mannes Rede allgemein in die Hagelschauer des bittersten und entschiedensten Spottes verwandelt und der verlegene Wirth und Rathsherr wußte sich nicht anders zu helfen, als daß er seinen Gast und künftigen Eidam mit möglichster Geschwindigkeit aus den Augen der Lacher in ein Nebenzimmer bugsirte, wohin noch lange das höhnende hm! hm! hinüberklang.

Meister Werni warf sich mit unverkennbarem Unmuth in den ledernen Großvaterstuhl; die letzten Trümmer seiner Zähne klapperten vor Schreck und Verdruß zusammen, und sein Gesicht war bis an die äußerste Nasenspitze blau angelaufen. »Hätt' ich das gewußt, Vetter,« schnarrte er wild, »ich wäre hübsch daheim bei meinen Gesellen geblieben, die mich respektiren, und bei meinen Mitbürgern, die mich vergöttern – hm! hm!«

»Das hättest du thun können, Meister Werni,« entgegnete leise Herr Ochsenbein, indem er hochmüthig die Arme in die Speckseiten stemmte und die Augbraunen zusammenzog. »Dann aber hättest du meine Tochter nie bekommen. Merke dir: erst wenn ich hier den Schultheißenstuhl besteige, besteigst du das Ehebett, Schultheiß werd ich aber erst, wenn die Oesterreicher unserer Stadt Meister sind; Meister werden sie nur, wenn sie des Ortes Gelegenheit durch dich kennen; diese kannst du, zu ihren Händen, nur kennen lernen, indem ich sie dir zeige, und um sie dir zeigen zu können, war es nöthig, daß du hieher kamst. Verstanden?«

»Vollkommen, hm! hm!« näselte der Aarburger; »ich bewundre deine Weisheit, Vetter, die so gründlich, wie mein Lehrbube. Einen Faden aus dem Andern herauszuhaspeln versteht. Indessen denk' ich, der Schneidermeister Werni wäre auch ohne österreichischer – Gesandter zu sein (Spion ist ein schlechtes Wort hm! hm!) mit seiner wohlgespickten Truhe ein genehmer Freiwerber gewesen hm, hm! – wenn nicht für die Tochter, doch mindestens für den Vater, der, wie ich wohl recht weiß, das Geld achtet, auch wenn es eine Schneidernadel aus gestohlenem Tuch herausgekratzt hat, hm! hm! Das Mädel scheint mir aber bedenklich heikel, und sag', wer ist der Milchbart, der mir so verdammt hitzig an die Leber fuhr? hm! hm!«

»Es ist Heini Vogelsang, des Wächters Sohn, dem meine Küngold längst ins Herz gewachsen sein mag, der arme Schlucker! Du mußt ihm schon Etwas zugut halten; denn Scheiden und Meiden thut weh! Doch jetzt muß ich in die Gaststube zurück: werde dir Essen und Trinken durch die Küngold schicken. Mach' dich mit der Maid bekannt und bereite dich dann auf die nächtliche Runde.«

Als der Alte in die Gaststube zurückkam, mußt' er die Tochter erst lange rufen; und wenn der geneigte Leser wahrgenommen, daß auch Heini Vogelsangs Platz leer ist, so wird er vermuthen, daß dringende Geschäfte die Abwesenheit des Mägdleins nothwendig und ersprießlich gemacht haben. Endlich erschien sie mit freudestrahlenden Augen und vernahm sichtbar erfreut, daß sie bestimmt sei, ein speisender Habakuk des in der Löwengrube des Nebengemachs schmachtenden Aarburgischen Daniels zu werden. Verwundert blickte Herr Ochsenbein der geschäftig Forteilenden nach. Meister Werni empfing sie in seinem Versteck mit der ganzen Abgeschmacktheit eines verliebten Greises. Er hüpfte dem Mädchen auf den Zehen entgegen, nahm ihr den Korb voll dampfender Speisen und den Humpen Reifwein unter lächerlichem Schnalzen und Grimassiren ab, stellte Beides auf den Tisch und küßte minneglühend die weißen Hände, welche die Gottesgaben getragen. Wer weiß, wozu ihn die erste Ueberraschung des süßen Besuchs noch getrieben, wenn sein bellender Magen dem flackernden Herzen keinen Einhalt gethan und seine brennende Gurgel den Fluß seiner Liebesworte für den Augenblick nicht erstickt hätte. zumal Küngold nicht sehr abwehrend zu Werke ging. Der Schneidermeister begnügte sich also einstweilen, seine zärtlichen Blicke in die Betrachtung der vor ihm sitzenden Wirthstochter und der dampfenden Speisen, die er vorweg mit großem Heißhunger verschlang, und des perlenden Weins, womit er die worgenden Bissen unablässig hinunterschwemmte, zu theilen. Endlich, nachdem die ganze Auslage vergriffen war, ging das Reich des Magens unter und aus dem Chaos des Genossenen tauchte siegend das schneiderliche Herz.

Ei, was für zierliche, brünstige Reden flossen aus dem unzierlichen Mund! Wie geckenhaft zupfte und putzte der Ellensteckenritter an seinem bunten Kleide! Wie leichtfüßig tänzelte und scharwenzelte er um die blühende Bernerblume, während ein dumpfes Keuchen und ein sieches heftiges Händezittern, gleich einem vorlauten Nachtwächter, der die verspäteten Zecher stört, Allen vernehmlich das zurückgelegte siebenzigste Lebensjahr verkündeten.

»Jungfer Küngold!« flötete schmelzend der Schneider, indem er erschöpft in den Lehnstuhl zurücksank, »setzt euch doch ein Weilchen neben euern gehorsamsten Knecht, auf daß seine Nase euern heiligen Odem trinke, hm, hm! Seht, Königin der Engel,« fuhr er fort, indem er ihre runde Hand in seine Knochengriffe klemmte und sie sehnsüchtig anschielte, »ich bin, trotz meiner grauen Haare, ein Mann in den besten Jahren, hm, hm! noch immer stark und rüstig genug, einer so holden Himmelsrose, wie ihr, zum Lebensstecken zu dienen, auf daß der Sturm sie nicht zerknicke, hm, hm! Alles biet' ich euch, was der Frau die Erde zum Himmel, den Ehstand zum Paradiesgärtlein machen kann: Ein minneglühendes Herz und – einen wohlgespickten Beutel, aus welchem unerschöpflich schöne Kleider, feine Bissen – kurz alle Dinge herfließen werden, was eines Weibes Herz erfreuen mag, hm hm! So ihr dieses wolltet: so sprechet ja, und besiegelt euere Zusage mit einem Kuß eures unvergleichlichen Mundes, hm hm!«

»Mann Gottes,« entgegnete das sich fast krank lachende Mädchen, »wir Burgdorferinnen küssen nicht so schleunig. Ich will euch zwar keineswegs zumuthen, die Jakobsprobe zu bestehen; denn da wäre euch allerdings mit gutem Fug zu rathen, eher das Todtenhemde zuzuschneiden, denn das hochzeitliche Gewand, und euere Rahel müßte, statt am Brautbette, an euerm Sarge stehen und euch weinend betrachten, wie ihr so da läget, als eine eingerostete Scheere, die keine menschliche Kraft mehr zu öffnen vermag. Aber vor Allem fordere ich eine Probe euerer treuen Minne, und diese Probe heißt Vertrauen. Sagt, würdiger Schneidermeister, wie habt ihr's denn angefangen, so ganz und gar das Herz meines Vaters zu behexen, daß er meiner Hand selbst dem reichen jungen Pfister, Erbe an der Schmiedgasse, der eifrig um mich anhielt, verweigerte? Es muß da etwas Absonderliches dahinter stecken.«

In Meister Werni's falschen Augen und um seinen Mund spielte abwechselnd das Lächeln erstaunlicher Pfiffigkeit, vornehmer Selbstgefälligkeit und schlauer Vorsicht, die aber bald in seiner Sinnlichkeit unterging. Er rieb sich eine Weile heftig die Stirne und fragte dann schmachtenden Blickes: »Erhalt' ich meinen Lohn sogleich nach geschenktem Vertrauen, edle Jungfrau?« Worauf die listige Maid ihm recht sinn- und herzverrückend die knöchernen Backen streichelte und verschämt erwiederte: »Ihr werdet mit mir zufrieden sein, Meister Werni.«

Jetzt zog der alte Geck die Schleußen der Vorsicht weg und eröffnete der aufmerksam zuhörenden Dirne, wie er wohl begreife, daß Vater Ochsenbein ihn dem reichen Pfister und allen Burgdorferjünglingen vorziehe, sintemal keiner derselben im Fall sei, ihn zur Schultheißenwürde hiesiger Stadt zu erheben. Er aber, Meister Werni von Aarburg, habe die Ernennung von Seite Herzog Albrechts von Oesterreich selber im Sack, dafern nämlich, wozu Herr Ochsenbein sich erbötig gezeigt, besagtem Herzog die Stadt in die Hände gespielt werde. Diese »Ueberlieferung« sei Niemanden leichter möglich, als dem Besitzer des Gasthofs zum weißen Roß, weil von diesem aus nach erhaltenen Berichten ein unterirdischer Gang vor die Stadt führe, dessen Einfahrt von Außen nur dem Hausbesitzer bekannt sei. Dieser Eingang, den er, Meister Werni, nun zu besichtigen gekommen, und die süße Küngold seien der bedungene Lohn für die Schultheißenstelle.

»Um wessentwillen,« fuhr der alte Sünder fort, »hab' ich mich in diese gefährliche Geschichte eingelassen? Ich, ein friedlicher Schneidermeister, berühmt und gesucht im ganzen Land und gesegnet mit Glücksgütern! Nur um deinetwillen, du Thau meines Herzens, du Nußknacker meiner Qual! Seit ich dich in meiner Bude, wohin mein guter Stern vor einem Jahre dich führte, zum ersten Male schaute, bin ich nicht mehr der alte Schneidermeister und Spendvogt Werni von Aarburg, sondern ein verjüngter Adler, der sich nun eingefunden hat, wo sein Aas ist!!«

Nach dieser lieblichen Vergleichung bemühte er sich, seine Armknochen um den blühenden Leib zu schlingen, was ihm aber nicht gelingen konnte, weil sich Küngold mit einer raschen Wendung gegen die Thüre flüchtete. »Ei, ei!« lachte das liebe, schlaue Kind, »ihr seid noch viel zu ungefüg, lieber Herr, um die Minne eines Bernermädchens im Sturm zu erobern. Traun, wenn es euch mit der Ueberrumpelung der Stadt nicht besser geht, als eben jetzt mit mir, so rath' ich euch in Treuen, das halsbrechende Unternehmen bei Zeiten aufzugeben. Ueberdieß küßt man sich bei uns nicht am hellen, heitern Tage, sondern in stiller Nacht, zur Zeit des lustigen Kiltgangs. Mein Kämmerlein ist von hier eine Treppe hoch, Numero zwölf rechter Hand. Merkt euch das!« Und weg war die flinke Dirne.

Der Schneider sah ihr einen Augenblick mit freudiger Ueberraschung nach; dann wagte er ein Paar bocksteife Luftsprünge: »Von hier eine Treppe hoch, Numero zwölf rechter Hand!« murmelte er unaufhörlich und geberdete sich dabei, wie ein Wahnsinniger, bis er endlich schnaufend in den Lehnsessel zurückfiel und sich einem fieberhaften Schlummer übergab, aus welchem ihn erst um die eilfte Stunde Vetter Ochsenbein weckte.

»Komm Vetter, es ist Zeit,« flüsterte dieser; »wir haben zwei lange steinerne Treppen hinunterzusteigen und eine gute Strecke in dunkler, feuchter Erde zurückzulegen.«

»Nichts da!« entgegnete der schlaftrunkene Meister; »willst du einen Narren, so kauf einen bleiernen, hm hm! Eine Treppe hoch von hier, Numero zwölf rechter Hand. Ich weiß es besser.«

»Sei kein Narr, Werni, sperr die Augen auf und komm,« schnauzte der Roßwirth heftig, indem er ihn unsanft auf die wackelnden Beine zog. – Der Mann mit dem Ziegenbart schüttelte und streckte sich und kam endlich nach einem langen staunenden Blicke um sich her, und einem gedehnten Oh ah! insoweit zu sich selbst, daß er dem Wirthe, der mit einer Laterne vorauszündete, folgen konnte. Sie stiegen in den tiefen Gewölbkeller hinunter, welchen Herr Ochsenbeins Wirthschaftlichkeit mit vollen Fässern ausgesuchten Weines, die in dreifacher Reihe und absteigender Linie hingepflanzt waren, reichlich ausgestattet hatte. Eh' wir aber den Beiden in den unterirdischen Gang folgen, in welchem der Verrath sein Wesen treiben soll und dessen Schlund uns, nachdem der dicke Roßwirth einen beweglichen Pfeiler weggeschoben, in einer Ecke sichtbar wird, müssen wir dem geneigten Leser kürzlich bemerken, daß man von Herrn Ochsenbein, trotz seiner Wirthschaftlichkeit und seiner Rathsstelle hätte sagen können: »Er ist nicht Schuld, daß das Pulver kläpft«, Kläpfen von Klapf; hier der plötzliche erschütternde Knall, den das entzündete Pulver hervorbringt. wenn damals notabene das Pulver schon erfunden gewesen wäre. Seine zwei Hauptneigungen, Geiz und Hochmuth, hielt eine gewisse Schlauheit zusammen, die man auch bei beschränkten Menschen findet, und welche meistens im Leben recht gut forthilft. Dies möge nachträglich das Benehmen des Wirthes zum Roß in einer Sache erklären, die einen verständigen, wohlüberlegenden Mann mit Schauder und Abscheu erfüllt hätte, ihm aber wie eine Wein- oder Käsespekulation vorkam, bei der sich ein Ordentliches gewinnen lasse.

Schon beim Eintritt in den Keller ließ sich ein äußerst bedenkliches Schlottern an Meister Werni verspüren und erst als er sich mit einem tüchtigen Schluck von »dem unter der Steige« »Der unter der Steige«, sprichwörtliche Bezeichnung für den besten Wein im Keller, welcher gewöhnlich unter die Treppe versorgt wurde. gestärkt hatte, konnte er sich entschließen, dem Gastwirth in den unterirdischen Gang zu folgen. Das Gewölbe war eng und senkte sich erst tief hinunter. Endlich erreichten die beiden Nachtwandler, nach Beschreitung vieler zerfallener Stufen, festen Grund, auf dem sie eine Zeit lang vorwärts schritten. Plötzlich blieb der Schneider erstarrt stehen; feine zwölf Haare sträubten sich empor: hörst du Nichts, Vetter? flüsterte er und schmiegte sich eng an seinen Führer.

Wir befinden uns gerade unter der Kirche der Barfüßer, erwiederte dieser, und was du hörst, ist das nächtliche Gebet der Mönche, denen vor alten Zeiten mein Haus gehörte und die sich auch diesen Gang bauen ließen, der sie hierhin in die Arme der Liebe, dorthin ins Freie führte. Ei, so bohr dich doch nicht ganz in meinen Leib wie ein Holzbock, Werni! wir sind ja hier so sicher, wie in meiner Stube.

Ich habe sonst Muth wie ein Löwe, zähnklapperte der Nadelheld – aber in unterirdischen Gängen wird mir immer etwas unwohl. Das kömmt ohne Zweifel von meiner Urgroßmutter her, welche zwei Wochen lang in einem unterirdischen Kerker zu Roggwyl gefangen saß, als sie eben mit meiner Großmutter schwanger ging. – Damit schritten sie fürbas.

Nach halbviertelstündigem Gang ging es wieder eine Treppe aufwärts. Herr Ochsenbein zog zu seinen Füßen einen Nagel aus; die Wand sank nieder. Es war das Wargemälde einer kleinen offenen Waldkapelle vor der Stadt. Sie stiegen die Stufen hinunter und waren im Freien unter'm Sternenhimmel.

Das ist gut, sehr gut! zischelte eilig der Schneidermeister; ich weiß jetzt ganz genau Steg und Weg und danke dir, Vetter Schultheiß! Aber jetzt wollen wir wieder zurück; ich fühle mich herzlich müde. Denn obgleich ich ein vortrefflicher Reiter bin, lieg' ich doch zehnmal lieber in weichem Flaum, als ich zu Gaul sitze – hm hm! Damit stieß er den dicken Mann in die Kapelle zurück; dieser aber stand bedächtlich still und meinte, von den Altarstufen herunterflüsternd: er habe nun gezeigt, was zu zeigen sei; nun aber wünsche er seinerseits auch die Handschrift zu sehen, welche ihn mit dem Schultheißenstuhl belehne, falls er den Oesterreichern auf diesem sichern Wege in die Stadt helfe.

Ei, so komm nur, langweiliger Speckwurm! drängte Werni, das Pergament liegt ja in meinem Mantelsack und dieser in der Nebenstube, wo deine Tochter – hm hm! – – »Eine Treppe hoch Numero zwölf rechter Hand«, rekapitulirte er halblaut für sich und schoß, wie eine Bremse, in den geheimnißvollen Gang zurück, so daß Herr Ochsenbein, infolge seiner Dickleibigkeit, alle Mühe hatte, dem Spindelbein nachzukommen. Hundert Schritte waren sie fortgeeilt, als plötzlich der Rathsmann stehen blieb und den neben ihm wandernden Schneider mit nerviger Faust zurückhielt: Halt! keuchte er; eben jetzt glaubt' ich eilende Fußtritte vernommen zu haben; doch ist es wohl nur eine Kellerratte oder Sinnentrug gewesen, fuhr er, sich und seinen Gefährten beruhigend, fort und wanderte beschleunigten Schrittes weiter, indem er den erschrockenen Werni, der sich mit rollenden Augen an seines Vetters Wams festhielt, hinter sich drein zog. Wohlbehalten kamen sie von ihrer nächtlichen Fahrt in die trauliche Nebenstube zurück. Bald klangen die Becher; denn der Wirth hatte mit großer Hast im Keller noch einen Humpen vom Besten aus dem Steigenfasse geklopft.

Nachdem die beiden würdigen Herren ihren Schrecken in ein Paar Bechern Reifwein ersäuft hatten, verlangte der Roßwirth wiederholt das Pergament zu sehen, worauf der Lohn seines Verraths nach der Versicherung Meister Werni's mit bunten, reich verzierten Buchstaben zu lesen sein sollte. Unverzüglich machte sich der Ueberbringer des Aktenstücks an die Oeffnung seines daliegenden Mantelsacks und zog nach langem Suchen eine in Leinwand gewickelte Rolle hervor, die er dem ungeduldig Harrenden mit dem Vermerken überreichte, er möge sich im Durchlesen sputen, sintemal der Schlaf jetzt seine Schneiderseele übermanne, nachdem dies der vielfachen Gefahr nicht gelungen sei, welche ihm den heutigen Tag zum merkwürdigsten seines Lebens mache.

Mit zitternder Hand wickelte der eitle Gastgeber die Rolle auf. Von bunten, reichverzierten Buchstaben sah er Nichts, wohl aber stand mit zierlicher Mönchsschrift auf dem Pergament geschrieben:

»– – Du tuost als diu kint,
die da zähes muotes sint:
Swaz den kumet in den muot,
ez si übel oder guot,
darzuo ist in alles gach,
und geriuwet si sere dar nach.« Stelle aus dem »armen Heinrich« von Hartmann von Aue, Minnesänger des dreizehnten Jahrhunderts

Wie versteinert starrte der Leser bald den verhängnißvollen Spruch, bald den Schneider an, der gähnend und scheinbar unbefangen seine tückischen Blicke erhoben hatte, um die freudige Wirkung in Augenschein zu nehmen, welche die vermeintliche Urkunde bei dem Rathsmann hervorbrächte. Wie erstaunte er aber, als Herr Ochsenbein ihm das Pergament sichtbar erschüttert und mit den Worten zurückgab: Vetter, du hast dich vergriffen. Was hier geschrieben steht, kömmt mir vor, wie eine Stimme vom Himmel. Ich will die Urkunde diese Nacht nicht mehr sehen. Morgen ist auch ein Tag und da läßt sich mehr von der Sache reden. Komm, daß ich dir ins Bett zünde.

Meister Werni schwur bei allen Heiligen, daß er durchaus nicht begreifen könne, wie diese Reime sich in seinen ungereimten Mantelsack und sogar in die leinenen Fetzen verirrt hätten, worein die Ernennungsurkunde, als er sie vom Freiherrn von Wildegk, dem österreichischen Kämmerling, empfangen, eigenhändig von ihm gewickelt worden sei; eben so wenig vermöge er zu ergründen, was aus dem documento quæstionis geworden. Ohne Zweifel müsse das Alles sich Morgen aufklären und er trage darum ebenfalls auf Vertagung der Session und Eingang ins stille Kämmerlein an. Sie gingen.

Kurze Zeit, nachdem der Gastwirth zum weißen Roß den Vetter von Aarburg in Numero Eins, seinem besten Gastzimmer, untergebracht hatte, öffnete sich die Thüre dieses letzten und heraus trat – das Licht mit der Linken sogleich verdeckend – eine lange, klappernde Gestalt im Hemde, mit bloßen Füßen, wie ein Pönitenzier. Auf den Zehen schlich sie sich über die Laube, keuchte die Treppe hinauf und schritt, eifrig die Zahlen musternd, die über den Thürpfosten gemahlt standen, an der Zimmerreihe rechter Hand hin, immerfort murmelnd: »Eine Treppe hoch, Numero zwölf, rechter Hand!« Plötzlich stand sie festgewurzelt. Keine eifrige Beterin betrachtet ein wunderthätiges Marienbild andächtiger und feuriger; kein müder Wanderer wirft einen freundlichern Blick auf das Schild der ersehnten Herberge; kein Senn begrüßt seine lang entbehrte Alpenhütte zärtlicher – als Meister Werni, den der geneigte Leser ohne Zweifel schon erkannt haben wird, die Zahl zwölf über der Kammerthüre rechter Hand, welche weit abgelegen und kaum zu finden war, begrüßte. Ein süßer Schauer fuhr ihm sichtbar durch Seel und Leib und seine bebende Hand war fast unvermögend, den ungefügen Schlüssel zu drehen und die verhängnißvolle Thüre zu öffnen, durch welche er eingehen sollte in den Himmel der Kilt. Der Kiltgang war ein im Kanton Bern allverbreiteter Gebrauch, der darin bestand, daß die jungen Bursche Nachts zu ihren Mädchen in die Kammer stiegen und dort bis am Morgen verweilten. So unanständig diese scheinbare Anticipation ehelicher Rechte manchem Leser vorkommen mag: so darf dennoch zur Ehre beider Geschlechter gesagt werden, daß das Lockende dieses Gebrauchs, der jetzt noch in gewissen Theilen des Kantons fortdauert, höchst selten zu entehrenden Folgen führt.

Wir sind durchaus nicht befugt von dem was da drinnen, im vermuthlichen Heiligthum der Liebe vorgeht, Zeugen zu sein und das zarte Geheimniß einer sich still entwickelnden, wenn auch seltsamen Neigung, mit frechen Blicken zu entschleiern. Wir entfernen uns daher leise und glückwünschend von der wieder verschlossenen Himmelspforte ... Aber halt! was ist das?

Ein fürchterlicher Krach, wie wenn etwa ein Sack voll Haselnüsse zu Boden geworfen wird, ertönte aus dem Innern der Numero zwölf; hierauf ergab sich ein erbärmliches herzbrechendes Stöhnen, worauf die rührende Klage folgte: Aber verehrteste Jungfer Küngold, wie könnt ihr denn euern treuen Freund und Vetter also mißhandeln, nachdem ihr ihn selbst eingeladen, hm hm?

Was eingeladen! entgegnete, wie ein gedämpfter Donner, die kräftigste Männerstimme, die es damals zwischen der Emme und Aare gab. Ich habe dich weder eingeladen, noch bin ich die Küngold, wie du leicht aus meinen Fäusten entnehmen magst, alter Bock! Ich werde dich auf dem Platze erwürgen; drum bete, wenn du beten kannst, verruchter, österreichischer Spürhund! Oder bist du etwa draußen in der Waldkapelle andächtig gewesen, von welcher du herkommst? hm hm!

Auau! Ihr – er – würgt mich, unbekannter, hochachtbarster Herr! krächzte der unglückselige Werni und peitschte hörbar mit den Füßen den Boden, auf welchem er, nach Allem zu schließen, unter der Faust seines Widersachers ausgestreckt lag.

Dir gebührt das Ende des Judas, war die Antwort des Andern; doch weder ich, noch du selbst sind berufen, dem Henker ins Amt zu greifen; ich werde dich knebeln und sammt deinem Helfershelfer, dem Schultheißen in spe, dessen Ernennungsurkunde mir der Zufall in die Hände gespielt, dort hinauf ins Schloß, und dem Bernerschultheißen in re in die gnädigen Hände befördern. Ei, wie freundlich wird er die beiden hohen Häupter empfangen, wie reichlich wird er sie bewirthen, in seiner stattlichsten Besuchstube tief unten im Marterthurm, wo Heulen und Zähnklappern ist! Damit erhob sich der Redner hörbar und ging, während der angstvolle Werni in einen Strom von Gnadenflehen ausbrach, mit starken Schritten auf und nieder.

Es sei! ertönte endlich die Stimme des Schrecklichen: es sei; aber du mußt dich sogleich auf deinen Klepper setzen und das Weite gewinnen. Nicht deinem Flehen hast du dein Leben zu danken, alter Galgenvogel! Deine Beschützer sind Mädchenseufzer und Mädchenthränen, die aber nicht dir, sondern einem schwachen Vater gelten, den du verführt und betrogen hast!

Eine Viertelstunde nachher öffnete Heini Vogelsang, des Wächters Sohn, dem seltsamen Reiter von gestern Abend, auf den er lächelnd den vollen Strahl seiner Laterne fallen ließ, das Stadtthor gen Winigen. Draußen aber im Zwielicht erhob Meister Werni seine drohende Faust gegen die Stadt und murmelte: ich komme wieder!

Zweites und letztes Kapitel

Wie der Schneidermeister Werni von Aarburg seinen Widersachern eine Grube gräbt, in die er selber fällt. Item: was dem vorausgegangen.

Drei Monate nachdem begegnet, was du, geneigter Leser, im ersten Kapitel erfahren hast – es war im Anfang des Herbsts – zog in der Abenddämmerung zitternden Gangs ein alter Pilger mit weißem Bart, in dunkelm, weitem Gewande – abermals durch das Winigerthor – in die Stadt Burgtorf. Er nahm seinen Weg gegen den untern Spital, trat aber nicht in das Haus, sondern in die dabei stehende St. Verenakapelle, wo er sich sogleich brünstig betend an den Stufen des Altars niederwarf. Der Greis schien so in Andacht versunken, schien so dem Vergessen alles Irdischen hingegeben zu sein, daß der Kirchner, der um 10 Uhr die Thüre zu schließen kam, ihn erst aufrütteln und ermahnen mußte, sich, wenn er nicht eingesperrt sein wolle, von hinnen zu begeben. Ei, entgegnete der Fremde mit dumpfer Stimme: es ist denn in eurer Stadt einem frommen Wallfahrer nicht erlaubt, seinem Gelübde gemäß, die Nacht in einer Kapelle zuzubringen, ohne eingekerkert zu werden? Das wäre mir doch wunderlich, hm hm! Gelobt sei Jesus Christ!

In Ewigkeit! sprach der Andere. Frommer Mann, ohne die Erlaubniß meiner Obern, des Spitalvogts, darf ich die Kapelle nicht offen lassen. Doch, so ihr's begehrt, will ich ihn fragen, oder ihr möget es selbst thun. Es wird euch ohnehin lieb sein, ein wenig ins Haus zu treten und euch durch den Genuß einiger Speise für euere nächtliche Andacht zu stärken.

Der Pilger hieß mit einem ernsten Kopfnicken den Vorschlag des Kirchners gut und folgte ihm in die Wohnstube des Spitalvogts Hans Bickinger, welcher eben mit dem Kapellan des Spitals, Pater Augustin, am traulichen Bretspiele saß. Der Vogt war sogleich geneigt, dem Wunsche des Pilgers, dessen feines Gewand und vornehmes Thun auf einen höhern Stand schließen ließ, zu entsprechen, und lud ihn ein, bis die Abendsuppe bereitet sei, Platz zu nehmen; was der Alte auch mit einer stummen Verbeugung that, indem er sich in einen finstern Winkel drückte. Bald war das Spiel zu Ende und Herr Bickinger wandte sich nun gesprächsweise an den Pilgrim, welcher auf die an ihn gerichteten Fragen vorgab, nach Mariäeinsiedeln wallfahrten und auf seinem Wege dahin überall die heiligsten und merkwürdigsten Reliquien aufsuchen und adoriren zu wollen, an welchen die Stadt Burgdorf, wie er gehört, keinen Mangel leide.

Gewiß nicht; erwiederte der fromme Spitalvogt. Unsere Stadt ist in dieser Hinsicht absonderlich, vor vielen tausenden gesegnet. Die hochwürdigen Väter Barfüßer z. B. besitzen: die große Zehe der heiligen Margareth, die Gebeine der heiligen Dorothea, den Vorderarm St. Georgs, das Steißbein St. Bernhards. Unsere Kapelle erfreut sich des Halswirbels vom heiligen Wilhelm und des ganzen heiligen Ursus. Die Stadtkapelle verschließt sogar fünf Haare der Jungfrau Maria, einen von den Steinen, womit St. Stephanus gesteinigt wurde; ein halbes Pfund Kalch aus des Erlösers Grab; und die Schloßkapelle ist so glücklich, eine Rippe St. Johannis, des Täufers, einen Stockzahn der Königin Adelheid und zwei von den Windeln zu besitzen, worein die Mutter Gottes Jesum auf der Flucht nach Aegypten gewickelt hat. Gelobt sei Gott sammt seinen Heiligen für diese unschätzbaren Güter! Hat doch der Vorderarm des gebenedeiten Lindwurmtöders noch vor wenig Wochen seine siegende Kraft dort zu Bickingen gegen unsere und Berns Feinde, die Oesterreicher, glorreich bewährt!

Ei, wie sehr würden ihr mich verpflichten, näselte der Fremde, den Hals weit vorstreckend, wenn ich jenes Ereigniß, das mir auf so mannigfaltige Art erzählt worden ist, aus euerm glaubwürdigen Munde hören könnte, hm hm!

Wir haben bis zum Nachtimbiß noch eine Viertelstunde Zeit, erwiederte Herr Bickinger und begann:

Euch ist vielleicht bekannt, daß unsere liebe Stadt Burgdorf vordem den Grafen von Kyburg gehört und von diesen vor nun bereits vier Jahren der Stadt Bern käuflich abgetreten worden ist. Ohne Zweifel seid ihr auch im Wissen, wie schon Graf Rudolph von Kyburg, welcher ehemals auf dem Bergschloß Bipp, unweit Solothurn, seine Hofburg hielt, heimlich Volk warb um die seinem Geschlechte ehemals zugehörigen Städte Aarburg und Thun, welche pfandweise an Bern gekommen waren, wieder an sich zu reißen. Weltbekannt ist ebenfalls, was maßen er die biedere Stadt Solothurn auf eine verrätherische Weise in seine gräfliche Gewalt bekommen wollte. Schon zog er im Finstern und auf heimlichen Wegen gegen die sichern, unbewehrten Mauern. Der St. Ursuspropst, sein Ohm, mit ihm einverstanden, hatte den Chorherrn Amstein, dessen Wohnung auf der Stadtmauer lag, in Mitwissenschaft gezogen und um schweres Geld bewogen, die Kyburgischen Söldner durch sein Haus in die Stadt zu schwärzen und die Sturmglocke mit Tüchern zu umwinden, damit sie nicht töne. Wäre damals der wackere Hans Rott von Rumisberg, der die Verschworenen belauscht hatte, ihnen nicht mit Lebensgefahr vorausgelaufen, um den ganzen Anschlag der Wache am Eichthor zu verrathen – traun, die freie Stadt Solothurn seufzte jetzt unter Kyburgischer Eisenfaust. Wenn ihr gen Solothurn kommet, gewahret ihr jetzt noch auf dem Rade am Galgen die Gebeine und den grinsenden Schädel des verrätherischen Chorherrn, den die Gerechtigkeit Gottes erreicht hat. – Auf dieses hin machte Graf Rudolph noch einen Anschlag auf Aarburg, der ebenfalls mißlang. Nun aber ergingen über das Kyburgische Haus Berns und Solothurns strenge Zorngerichte. Die zahlreichen Schaaren der beiden Städte fielen überall verheerend und erobernd in das gräfliche Gebiet ein und die Berner namentlich rückten auch vor unsere Stadt Burgdorf. Darüber grämte sich Graf Rudolf und starb. Aber seine Brüder und namentlich Graf Eberhard, stritten hartnäckig um ihr uraltes Erbe; Schulden und Fehdeunglück zwangen sie endlich, die alte Hauptstadt von Burgund ihren Feinden kaufsweise zu überlassen, ohne jedoch die Hoffnung aufzugeben, ihrer auf irgend einem Wege wieder Meister zu werden. Keine Zeit schien ihnen hiefür günstiger, als die gegenwärtige, wo der österreichische Haß wegen der Räfelserschlacht mehr als je gegen die Eidgenossenschaft entbrannt ist und wo Herzog Albrecht, nachdem er mit dem Schwert nicht hat siegen können, es mit List und Bestechung versucht, Burgdorf sollte jetzt ein Kyburgisches Erblehen unter österreichischer Oberherrschaft werden; so war es im Rathe Albrechts und Eberhards, aber ganz anders war es im Rathe des Himmels beschlossen.

Die Rüstungen der Oesterreicher im Unterergäu wurden sehr geheim betrieben: so daß wir hiervon der Gefahr erst Kunde erhielten, als sie im Dunkel der Nacht fast bis nach meinem Stammhofe Bickingen vorgerückt waren, wo ein Knecht die daher schleichenden Söldner gewahrte, deren einige eben einen Hühnerstall leerten, dessen heftig gackernde Einwohnerschaft seine Aufmerksamkeit erregt hatte. Schnell wurden die Thore geschlossen, die Sturmglocken geläutet. Alles in der Stadt, Männer, Weiber, Greise und Kinder, griff zu den Waffen. Ein edler Kampfes- und Todesmuth hatte Alle ergriffen. Unser greise Schultheiß, Johannes Pfister von Bern, schritt mit dem breiten Schlachtschwerte, das schon im Jahr 1335 den herrlichen Sieg bei Laupen über den hochmüthigen Adel miterringen half, ermunternd und ordnend durch unsere Reihen. Die Mauern, durch unzählige Laternen erleuchtet, boten ein höchst belebtes Schauspiel dar; von ihnen herunter sah man die zahlreichen Feinde den Stadtkranz dunkel umschleichen, gleich schlauen Füchsen einen wohlverwahrten Hühnerstall. Es war drei Uhr des Morgens, den 26. Heumonds. Auf der nördlichen Seite der Stadt, welche durch Mauern am schwächsten bewehrt ist, sammelten sich die Buschklepper und begannen den Hügel gegen die Stadtkapelle, seitwärts vom Barfüßerkloster, hinaufzuklimmen. Es war, als ob der Wald, von dem Beatenkirchlein her, sie zu Hunderten ausspeie. Unter leisem Gesurr und Geklirr kamen sie immer näher. Als sie kaum noch auf halbe Bogenschußweite von uns waren (ich befand mich gerade an jener Stelle), gab Cunrad von Rütschelen, der Stadt Venner, welcher hier befehligte, das Zeichen zur Abwehr. Und nun rollten eine Menge zusammengetragener Steine, Kessel und Töpfe voll siedenden Oels und Wassers – und unverweilt stürzten dann wir, einem brausenden Wetter vergleichbar, aus unserm Verstecke und den Abhang hinunter, in die gebrochenen und erschrockenen Reihen; füraus die herzhaften Frauen von Burgdorf, bewaffnet mit Knitteln, Kärsten, rostigen Spießen und Schwertern, wie sie eben der Augenblick reichte; Waffen, welche, wie mancher Feindesleichnam zeugte, auf furchtbare Weise gehandhabt wurden. Die feigen Schufte, die uns unvorbereitet zu überfallen und zu bewältigen gemeint hatten, stießen ein Geheul des Entsetzens aus. Es war das Zeichen zu allgemeiner und schimpflicher Flucht gegen die Grafenscheuern und Bickingen. Hier aber erwartete sie erst ihr schlimmstes Geschick; denn bereits hatte der wackere Schultheiß Pfister, vom Winigerthor her, einen Ausfall gemacht und ihnen bei Bickingen den Weg abgeschnitten.

Inzwischen war der schönste Julitag angebrochen. Im Strahl der aufgehenden Sonne konnten wir unsere Feinde genau unterscheiden. Sie waren von dem mir gar wohl bekannten Ritter von Rüßeck, Stadthauptmann zu Zofingen und Herrn zu Bottenstein, angeführt, einem edeln Kriegsmann, der sich zu so hinterlistigem Angriff nicht hätte sollen gebrauchen lassen. Es schien auch, als ob der alte Muth, den er bei Sempach und anderwärts bewiesen, gänzlich von ihm gewichen sei. Wie unsinnig sprengte er auf seinem rothen Streitroß hin und wieder und schrie, das Antlitz auf den silbernen Brustharnisch bergend, seinem flüchtigen Volk allerlei verkehrte Befehle zu. Fast wäre er auch von Frau Ursula Kupferschmid, des Bürgers und Rathmanns von hier, mit einer Hellbarde umgebracht worden. Schon hatte sie zum Schlage ausgeholt und hätte ihn unfehlbar getroffen, wenn nicht, zum Glück für ihn, das schwere Mordinstrument sie so bedenklich hinten übergezogen hätte, daß sie es, um nicht selbst unglücklich zu werden, mußte fahren lassen. So entkam er. Schlimmer erging es dem Junker von Safenwyl. Elsebeth Dysli, Tochter des Wildmannwirths, hielt ihm, wie er in vollem Rennen um den Waldsaum herumkam, gen Winigen zu fliehen, mit so tapferer Hand eine Ofengabel entgegen, daß er sich daran spießte, unter jammervollem Geschrei vom Rosse sank und seinen hochmüthigen Geist aufgab. Ich könnte euch noch eine Unzahl Heldenthaten erzählen, die unsere braven Frauen an jenem Morgen verübten; könnte euch erzählen von Rebekka Surer, des Zeugschmieds Frau, welche mit einem Hackmesser, das an langer Stange befestigt war, einem Reisigen von Köllikon seine Bogennase rein vom Kopfe wegschlug; von Jungfer Regula Stampf, der Schneiderin, welche dem Trompeter der feindlichen Heerschaar, mittelst eines eichenen Knittels, die Trompete so kräftig ins Maul schlug, daß das Mundstück hinten beim Halswirbel wieder zum Vorschein kam; von Petronella Schwatzmann, des Schärers Frau, welche, trotz ihres hohen Alters, mit einem alten zweihändigen Schlachtschwerte des Junkers von Rütschelen, bei dessen Frau sie in selber Nacht gerade Hebammendienste verrichtet hatte, so tapfer drein schlug, daß ihr darüber selber Hören und Sehen verging; von Perpetua Stüßelinger, Köchin des hochwürdigen Kaplans Füchsli, welche einen mit den Feinden ziehenden Franziskanermönch von Zofingen von freier Hand zu Boden warf und ihm mit dem Strick, den er um den Leib trug, die Hände auf dem Rücken zusammenschnürte – – kurz, ich könnte euch von Großthaten unserer Frauen erzählen bis am Morgen und würde doch nicht fertig; sie stehen in den väterlichen Herzen unserer Regenten aufgeschrieben, die auch, wie ihr nachher vernehmen werdet, weise Anstalten getroffen haben, daß das dankbare und ehrenvolle Gedächtniß dieser weiblichen Tapferkeit und Vaterlandsliebe bei der spätesten Nachwelt nicht erlösche.

Das Gefecht bei Bickingen war eine Zeitlang von unserer Seite nichts als ein Schlachten, eine bloße Metzelei, Die erschrockenen Soldbuben, im Gefühl umzingelt zu sein, ließen sich in stumpfer Verzweiflung spießen, wie Salmen, und todtschlagen, wie Rinder. Endlich gelang es dem Freiherr von Wildegk, kenntlich am riesigen Wuchs, glänzendem Harnisch und den wehenden Pfauenfedern, die zerstreuten Uebergebliebenen zu sammeln und sich mit ihnen da durchzuschlagen, wo unsere Reihen am dünnsten waren. Bei der Gelegenheit verlor Miriam Schaber, des Kleinweibels sechzehnjährige Tochter, welche dem vorübereilenden Standartenträger das Fähnlein entreißen wollte, durch einen Stich das junge Leben.

Auch die Männer von Burgdorf zeichneten sich durch absonderliche Tapferkeit aus, und ich darf, ohne Ruhm zu melden, auch meiner eigenen Wenigkeit etwas Erwähnung thun. Die Armwunde, um deren willen ich jetzt noch den Arm in der Schlinge trage, ist mir auch nicht im Schlaf geworden. Dank aber vor Allen, dem ehrwürdigen, muthig-besonnenen Schultheißen Junker Pfister; dem schlachtkundigen Junker Konrad von Rütschelen und dem jungen leumuthigen Peter am Graben! Ihren Anordnungen und ihren belebenden, kräftigenden Beispielen ist der Sieg von Bickingen entsprungen.

Als wir die Menge der todten Feinde (es mochten ihrer gegen Zweihundert sein) auf dem Schlachtfeld bestattet und die acht Leichname der Unsrigen auf Wagen geladen hatten, um sie der geweihten Erde des Gottesackers zu übergeben – zogen wir mit Beute belastet und triumphirend heim in die befreite Stadt. In unserer Mitte gingen fünfundzwanzig Gefangene, worunter auch ein Junker von Schenkenberg, der wehmüthig hinter seinem prächtigen Rappen herschritt, auf dem Melcher Saron saß, der Stadt Seckelmeister, welcher den Flüchtigen im Weiherwalde, wo er sich versteckt hielt, gefangen genommen, Petronella Schaber führte ihren dicken, seufzenden Franziskaner an einem Ende des Ordensstricks, der seine frommen Hände auf dem breiten Rücken zusammenhielt. So zogen wir unter dem Freudenjauchzen der Einwohnerschaft und der Umwohner, die von allen Seiten zusammenströmten, in die Stadt ein.

Wem schon einmal Kettengerassel, ewiger Kerker oder Tod auf der Ferse gewesen; wem das Eulengekrächz unauslöschlicher Schmach und Entehrung schon in ahnungsvollen Tönen in die Ohren geklungen; wessen Wohnstatt die zerstörende Flamme schon angeleckt hat, wer schon in Gefahr gewesen ist, durch den einschlagenden Blitz sein Liebstes auf der Welt zu verlieren – der wird begreifen, wie es uns war, nach diesem uns von Gott und seinen Heiligen verliehenen Siege ...

Hier hielt der Erzähler inne, um sich einen Augenblick den Gefühlen andächtiger Dankbarkeit zu überlassen, in welchen ihn aber der Pilgrim mit seltsamer Hast unterbrach, fragend: Ei, was ist dann aber mit dem Heini Vogelsang und der Tochter des Roßwirthes, von welcher das Gerücht verbreitet, sie hätten eigentlich, bei Hause verharrend, den besten Fang in dieser Fehde gethan, hm hm?

Alles hat seine Zeit, frommer Pilgersmann! entgegnete Herr Bickinger fast empfindlich. Ich konnte Euch doch nicht erzählen, was unterdessen in der Stadt vorgefallen, ehe denn ich dort war. Mit dem, was ihr eben gesprochen, verhält sichs wirklich so. Heini Vogelsang und Küngold Ochsenbein haben in diesem Krieg den besten Fang gethan. Ihr müßt nämlich wissen, was ich vorher auch nicht wußte, daß von der Herberg zum Roß ein unterirdischer Gang außer die Stadt führte und in der Beatenkapelle endete. Nun hatte Heini Vogelsang in Erfahrung gebracht, daß ein schlechter Mensch aus Aarburg, ein gewisser Schneider Werni (hier ließ der Pilger ein grunzendes hm »haha!« hören), Vetter des Roßwirthes und ein herdreicher Kauz, der trotz seines Alters und seiner abschreckenden Häßlichkeit, die schöne Küngold als Ehestandsthier in seine Silbertruhe sperren wollte (hier grunzte der Pilger heftiger), daß dieser Gauch in der zweiten Pfingstnacht zwischen 11 und 12 Uhr draußen um die Beatenkapelle herumgestänkert und wieder in die Stadt gekommen sei, ohne sich das Thor öffnen zu lassen. Er theilte seine Beobachtungen der Küngold mit, die ihm heimlich mit Minne zugethan war, und diese vertraute ihm dagegen das Geheimniß vom verborgenen Gang; welches sie – ich weiß nicht wie – in Erfahrung gebracht hatte. Als nun die Nachricht in die Stadt kam, die Feinde seien heimlich im Anzug, verfiel Heini Vogelsang gleich auf die Vermuthung, diese Erscheinung sei in Verbindung mit gedachtem Gang und gedachtem Schneider, von dem man genau wußte, daß er, obgleich ein Aarburger und Berner'scher Unterthan, doch häufig mit den österreichischen Edelkälbern des Ergäus pflügte, die er herauszuputzen und zu kleiden berufen war; denn seine Werkstatt ist eine der gesuchtesten und berühmtesten zwischen Aare und Doubs. Heini theilte seine Gedanken der Dirne mit. Gewiß, behauptete er, haben die Strauchdiebe durch Werni vom Dasein eines solchen Ganges Kenntniß erhalten und begehren, auf diesem Wege in die Stadt zu dringen. Küngold besann sich einen Augenblick und meinte dann, dagegen ließe sich eine höchst wirksame Kriegslist treffen. Vor dem Eingang sei eine Fallthüre, welche in den Unterkeller führe, wo die Fleisch-, Obst- und Buttervorräthe aufbewahrt werden, und in welchem man auf einer Leiter etwa dreißig Fuß hinuntersteige; verdunkle man nun die ohnehin schon finstere Stelle noch mehr durch ein vorgeschobenes Faß, und nehme man die Leiter weg, so werde der ganze Nudel der Eindringlinge, zumal bei dem engen Durchpaß, der nie mehr als Einen hereinlasse, hinunterfahren in die Hölle und erst mit Erlaubniß des hiesigen Magistrats wiederum auferstehen, wofern nämlich alsdann die Mehrheit nicht Hals und Bein gebrochen, was gar leicht geschehen könnte. An lange Ueberlegung war hier nicht zu denken. Die Beiden eilten stracks in den Keller hinunter; den Alten konnten sie nicht berathen, denn er war zum Weinkauf nach Neuenburg gereiset. Alles geschah nach der Dirne Anordnung – und richtig: kaum war der Unterkeller zum Empfang der fremden Gäste bereit, und der Boden reichlich mit Stroh ausgelegt, damit der Fall weniger zu hören sei, – kaum hatten sich die Beiden wohlbewaffnet hinter das schützende Faß zurückgezogen, als sich auch schon ein dumpfes Gerassel hören ließ und der verhängnißvolle Pfeiler knarrend sich drehte. Zu sehen war Nichts, als ein Gleißen und Blinken von glänzendem Stahl und bald darauf ein dumpfer Sturz in die Tiefe, dem rasch sich drängend, ein zweiter, dritter, vierter – – zwanzigster folgte. So schnell fiel Einer auf den Andern, daß sich im Uebermaß des Schreckens kein Geschrei erheben konnte. Wieder blitzte es, glänzender als je zuvor, unter dem Eingang, dann sprach eine dumpfe Stimme: Zurück, Meister Werni! hier ist's dunkel wie in einer Kuh und unheimlich wie in einem Grab – geht voran!

In dem Augenblick ließ sich von unten ein dumpfes Geheul vernehmen, da ließ der Heini flugs die Fallthüre über die Oeffnung fallen und drang mit bloßem Schwerte auf den glänzend Gerüsteten ein, der wohl im Anfang meinen mochte, es sei Einer der Seinen und sich daher auch erst zur Wehre stellte, als er bereits einen Stich durch die Halsberge empfangen hatte. – Das ist deine Verrätherei, satanische Schneiderbrut! donnerte der Verwundete, daß es im Gewölbe wiederhallte, und zog sich fechtend zurück. Hinter ihm erklangen die eiliges Schritte eines hastig Davoneilenden, ohne Zweifel war das der Verräther Werni, den ich heute noch in Stücke zerhacken möchte, den Schelm!

Hier fuhr der Pilgrim heftig zusammen, murmelte sein hm hm! und klapperte dabei etwas mit den Zähnen, daß seine Bewegung dem Spitalvogt nicht entgehen konnte: Was ist euch, alter Mann, fragte er theilnehmend; ihr scheint unwohl zu sein? Worauf der Pilger Herrn Bickinger mit heiserer Stimme fortzufahren bat, bemerkend, die Erzählung habe ihn allerdings tief ergriffen, um so tiefer, da er sich eben recht lebhaft gedacht, in welcher dringenden Gefahr die gute Stadt Burgdorf in jenem Augenblick sich befunden, und wie wunderbar Gott sie gerettet habe. Damit bekreuzte er sich, und der Vogt fuhr arglos fort:

Heini verfolgte – während Küngold auf dem Falladen Wache stand – unausgesetzt und hitzig den Geharnischten, welcher, rückwärts gehend, sein Schwert in steter Schwingung erhielt, daß es gerade war, als versende er Blitze. Lange zog er sich so vertheidigend zurück – schon hatte er die Treppe erreicht, welche hinauf in die Kapelle führte, nun aber gänzlich verschüttet ist. Plötzlich, mit der Wuth eines Löwen, stürzt der Verfolgte über den Heini her, welcher durch das ununterbrochene Zurückziehen seines Feindes überkeck gemacht, sich eine Blöße gegeben hatte. Ein furchtbarer Stich in die rechte Seite streckte ihn sogleich zu Boden, und über seinen Körper wegsetzend, eilte der Sieger den Gang zurück.

Während dessen war Küngold über Heini's langes Ausbleiben ängstlich geworden; sie zog die Laterne unter dem Scheffel hervor, welcher sie bedeckt hatte und wollte eben hineinzünden, in das finstere Gewölbe, als sie schwere Eisentritte die Stufen heraufkommen hörte. Das ist nicht des leicht gekleideten Heini's Tritt. Besonnen kauert sie, die Laterne sorgfältig in die Schürze verhüllend und mit der schweren Keule zum Schlage ausholend, dem Eingange gerade gegenüber. Jetzt erscheint eine leuchtende Rüstung unter dem Eingang; vorsichtig prüft ein blitzendes Schwert, mit der Spitze herumstupfend, den Boden. Dabei vermehrt sich das dumpfe Geheul und Gewimmel unter der Fallthüre. Endlich tritt die Gestalt zögernd heraus; sie beugt das behelmte Haupt zu Boden, augenscheinlich, um zu horchen. Plötzlich erhebt sich Küngold. Fast zugleich mit dem Strahl der enthüllten Laterne, fällt des Mädchens Keule auf das Haupt des Ueberraschten, und rasselnd sinkt von dem gewaltigen Schlag der muthigen Dirne ein geharnischter Ritter zu ihren Füßen. Es war Hugo von Hohenramstein aus dem Emmenthal, ein junger Edelknecht, den Kyburgern dienstbar und Anführer des »unterirdischen« Streifzuges. Regungslos lag er da, und Küngold hatte nun nichts Eiligeres zu thun, als mit der Laterne den geheimnißvollen Gang zu durchstreifen. Ungefähr in der Mitte desselben wankte ihr eine blutige Gestalt entgegen. Es war Heini Vogelsang, der, von seiner Ohnmacht genesen, aber vom Blutverlust äußerst geschwächt, in den Keller zu seinem Lieb zurück zu gelangen suchte. Nie hat sich über der Erde wohl eine heißere und heiligere Minne gefunden, als hier unter der Erde! Küngold verhielt ihm die quellende Wunde mit dem Taschentuch, sie unterstützte, sie trug ihn halb zurück, und sprang die Treppe hinauf, Leinenzeug und Binden und stärkende Essenzen oben im Hause zu holen. In einer Minute stand sie wieder da und bald war das Blut gestillt, die Wunde verbunden. Kaum geschehen, tönte von der Gasse her in den offenen Keller herunter, erst ein dumpfes, dann ein immer lauter werdendes Getümmel, in welchem sich bald ein ungeheurer Volksjubel und der Ausruf unterschied: Viktoria! Es lebe Bern! Verderben Kyburg! In rascher Bewegung und mit einem innigen »Gottlob!« erhob sich Heini Vogelsang vom Boden; ja, diese Stimmen schienen selbst die Pforten des Orkus zu durchdringen; denn der todtgeglaubte Ritter fing sich, tief aufseufzend, an zu regen, und erhob ein wenig das schwerbehelmte Haupt, um es sogleich wieder sinken zu lassen; das gutherzige Bernerkind eilte, ihn des gewichtigen Eisenhutes zu entlasten. Da klaffte ihr die tiefe Halswunde entgegen, durch die das Leben in warmen rothen Wellen rann, und die goldenen Locken befeuchtete, während der bleiche Tod über das wohlgebildete Antlitz zog, das blaue Auge brach, und die jugendlichen Züge mit starrem Gletschereis übergoß. So erzählte sie's selbst mit herzinniger Wehmuth. Noch ein tiefes schmerzliches Aechzen und Zucken – und der Ritter Hugo von Hohenramstein, der Letzte seines Geschlechtes, war nicht mehr. Heini Vogelsang hatte ihn in der Knabenzeit wohl gekannt und dem Junker, der einmal in der Emme badete und untersank, mit eigener Gefahr das Leben gerettet, um es ihm hier, im Verein mit der Maid seines Herzens, feindlich zu nehmen.

Auf sein Treulieb gestützt, verließ Heini, nachdem er die schwere Fallthüre und die drei Riegel derselben nochmals sorgfältig untersucht und sich überzeugt hatte, daß für die Gefangenen an kein Entkommen zu denken sei, den Keller. Schon hatten sich fröhliche Gäste in der Wirthsstube eingefunden; ihnen erzählten die Beiden das bestandene Abenteuer, die wunderliche Gefangennehmung der heimlich einbrechenden Gäste und den Tod des Hohenramsteiners. Ungläubig schüttelten die guten Bürger ihre Häupter und stellten dies Kopfschütteln erst ein, als sie die Leiche des Ritters mit Händen griffen und beim Schein einer großen Stalllaterne sich vom Dasein der überlisteten Brandfüchse mit eigenen Augen überzeugten. Welch' neuer Jubel! Die ganze Stadt war des Ruhmes der Beiden voll, und selbst die reichern Spießbürger, welche vorher eine Heirath zwischen der Tochter des geldstolzen Roßwirths und Rathsherrn Ochsenbein und dem Sohn des armen Thorwächters für eine Sünde gegen den heiligen Geist gehalten hätten, fanden nach diesem wundersamen Ereigniß die Sache ganz in der Ordnung und sprachen im Sinne des Evangeliums: »Was Gott zusammengeführt, das soll der Mensch nicht trennen.« Heini's Wunde war nach der Versicherung des Schärers ungefährlich, das Schwert des Ramsteiners hatte keine edeln Theile verletzt, doch mußte er sich sogleich zu Bette legen.

Am Abend kam der Roßwirth von seiner Weinreise nach Hause zurück. Das Gerücht hatte ihm auf dem Wege die Nachricht von der Gefahr seiner Vaterstadt zugetragen und er eilte, nach seiner eigenen Versicherung, auf Windesflügeln heim. Er wunderte sich nicht wenig, fast ganz Burgdorf, Groß und Klein, Reich und Arm, Vornehm und Gering, selbst den ehrwürdigen Schultheißen und Ritter Rudolf Pfister in seinem Hause zu finden.

»Wahrlich!« rief der freundliche Regent dem Alten entgegen, »die Stadt Burgdorf hat in euerer Abwesenheit die Blutprobe ausgehalten, und ich bin überzeugt, achtbarer Herr, wäret ihr zu Hause gewesen, auch ihr hättet euch als ein treuer Anhänger Berns gezeigt. Euere Stelle ist indessen wacker vertreten worden; eure Tochter Küngold hat gezeigt, daß ein frisches eidsgenössisches Bürgerblut in ihren Adern fließt.« Hierauf erzählte er dem Roßwirth selbst, was sich in seinem Hause zugetragen, schilderte die rührende Minne Küngolds und Heini's, die so treulich Gefahr und Noth getheilt und gemeinsam die Stadt errettet; er schloß mit dem Wunsche, daß es dem jungen Paar wohlergehen möge!

Erst war der Wirth ob der Gefahr, welche der Stadt durch den Gebrauch des unterirdischen Ganges, über welchen bereits eine völlige Verschüttung beschlossen war, ganz gelb vor Entsetzen geworden. Nach und nach hatte er sich wieder erholt, und bei dem Schlußwinke des Schultheißen rief er fast grimmig: »Erlaubet mir, gnädiger Herr, so weit sind wir noch nicht. Ich glaube denn doch, die Tochter des Rathsherrn und Roßwirths Ochsenbein zu Burgdorf hat noch andere Ansprüche zu machen, als auf einen Wächterssohn, der überdies ein leichtfertiger Junge ist, welcher die Dirne behext oder wenigstens verführt hat.«

»Meine Nachrichten über den Jüngling lauten anders, Herr Roßwirth,« entgegnete der Schultheiß. »Nichts als Liebes und Gutes wird von ihm gesprochen; alle Urtheile stimmen überein, und daß das eurige so hart und unbillig ist, beweiset gerade, daß man sehr unrecht thäte, alles Liebe und Gute über euch zu sagen.«

Der Roßwirth warf hochmüthig die Lippe auf, besann sich einen Augenblick und wandte sich dann plötzlich mit einem höhnischen Lächeln an den jungen Pfister Erbo, der da am Tische saß, um nach dem heißen Tage, an dem er wacker mitgestritten, sich am kühlen Wein zu erlaben.

»Meister Erbo!« begann Ochsenbein, »ihr habt vor vier Monden um meine Tochter angehalten; ungern wies ich damals euere Werbung zurück; gebieterische Rücksichten haben mich dazu gezwungen. Diese Rücksichten sind nicht mehr. Nehmt die Dirne hin und mit ihr hundert baare Goldgulden Heirathsgut. Seid Ihr's zufrieden?«

Aller Blicke waren auf den jungen Erbo gerichtet; man wußte, daß er die Maid zärtlich liebe und war nun sehr begierig zu erfahren, ob Selbstsucht, Stolz oder Großmuth seinen Entschluß bestimmen würde. Der Jüngling besann sich nicht lange; er warf dem Alten einen finstern Blick zu und antwortete:

»Ochsenbein! Ihr sind weder einer Tochter, wie Küngold, noch eines Eidams, wie Heini Vogelsang, würdig. St. Ursus bewahre mich, Werkzeug eueres blinden Hochmuths zu sein und den wackersten Gesellen in Burgdorf von einem Herzen zu verdrängen, wohin er gehört, weil es nur für ihn schlägt, und weil er seiner so sehr würdig ist. Gott sei mein Zeuge: meine Liebe zu Küngold ist warm und innig; sie wär es aber nicht, wenn sie der Jungfrau Besitz auf Unkosten des Glückes derselben erzwingen wollte. Weiche von mir, Versucher.«

Damit leerte Erbo hastig seinen Becher und stürmte aus der Stube. Aber der Wirth zum Roß biß sich wild in die feißten Lippen, stampfte den Boden und murmelte: »Und wenn alle Kaiser und Könige vor mir auf den Knieen lägen, dem Buben gäb' ich meine Tochter nicht; ich bin ein freier Mann!«

»Es wird Niemand vor Euch knieen!« entgegnete eine schwache männliche Stimme, die dem guten Heini gehörte, welcher, auf Küngold gestützt, eben in die Stube getreten war. Ich habe einen Werbebrief an euch, der mir gewiß keinen Korb einbringt, Vater Ochsenbein. Kommt einen Augenblick dort unters Fenster und leset! ich wette mein Leben, ihr werdet keinen andern Tochtermann begehren, denn eben gerade mich.«

»Du glaubst an Wunder, Heini, wie mich dünkt,« hohnlachte der Gastwirth zum weißen Roß.

»An Wunder nicht, aber an Zeichen,« entgegnete lächelnd Heini; langte in den Busen und reichte dem dicken Herrn einen Pergamentbrief, den dieser, in die Fensternische gelehnt, mit verletzendem Uebermuth empfing und entfaltete. Aber kaum hatte er einige Blicke hineingethan, als er gewaltig zu zittern anfing und bleich wurde, wie ein Leichentuch. Heini trat besorgt auf ihn zu, las das Pergament, das seiner bebenden Hand entglitten war, sorgfältig vom Boden auf, und steckte es wieder in sein Wamms.

»Ich bin überzeugt, Herr Ochsenbein,« sprach er dann, »daß Ihr jetzt weiter gegen meine Freiwerberei Nichts einzuwenden habt. Der Brief, den ihr soeben gelesen, hat Euch über meine Verhältnisse so trefflichen Aufschluß ertheilt, daß ich glaube, ihr werdet euch schwerlich weigern, eure väterliche Zustimmung zu meiner Verheirathung mit euerer einzigen, eheleiblichen Tochter Küngold vor dieser ehrenfesten Versammlung auszusprechen.«

»In der That,« – stotterte jetzt Ochsenbein, indem er im Haar kratzte und dem guten Heini einen wundersam verwirrten Blick zusandte, »auf diesen Brief hin – infolge jenes Schreibens – in Hinsicht der vorliegenden Umstände – läßt sich die Sache bedenken, und ich will dir morgen Antwort geben, Heini Vogelsang!«

»Ei, wozu denn ein so langes Bedenken, hochachtbarer Herr Rathsmann und Gastgeber? Ich werde einmal mit euerer Erlaubniß sothanen Brief dem hier anwesenden Publici mitheilen und dasselbe unpartheiisch urtheilen lassen, ob Ihr mir unter Bedingungen, wie sie dieses Schreiben enthält, nicht euere Tochter geben könnet? Ob Ihr, wenn Ihr mich abweiset, nicht jenem Blasbalg gleichet, welcher so lange in's Feuer blies, bis es ihn selbst zuletzt verzehrte?«

Mit diesen Worten nahm der Wächterssohn das Pergament wieder hervor und machte Anstalten, es abzulesen, worauf ihm aber Herr Ochsenbein mit ängstlichem Eifer in die Rede fiel:

»Ihr habt Recht, Herr Vogelsang! Ein Narr müßt ich sein, wenn ich unter solchen Conditionibus nicht Euer Schwäher werden wollte. Behaltet diese Conditiones inzwischen immerhin für Euch, und bindet sie Niemand auf die Nase; sie gehen nur uns Beide an. Uebrigens soll allen Anwesenden hiemit kund und zu wissen sein, daß euch, theuerster Eidam, meine Tochter nicht nur hundert, sondern zweihundert Goldgulden Mitgift bringt.«

Alle Anwesenden staunten über diese plötzliche Sinnesänderung des Roßwirthes und wunderten sich ob des seltsamen Briefes, welcher, wie ein Talismann, dies harte Herz erweicht, diesen störrischen Sinn und Hochmuth gebeugt hatte. Daß es ein Werbebrief sei, der gewisse, besonders annehmbare Anträge und Bedingungen enthalte, glaubte Niemand, denn man kannte Heini's Verhältnisse zu gut; aber eben so wenig konnte Jemand den eigentlichen Inhalt des Pergaments ergründen. Nur der verehrte Schultheiß schien Etwas zu vermuthen, indem er bemerkte, es stände vielleicht an ihm, als Stellvertreter seiner hochweisen gnädigen Herren und Obern zu Bern, die Conditiones dieser Heirath zu ermitteln, und den wunderkräftigen Werbebrief, an dem er das herzoglich-österreichische Siegel bemerkt zu haben glaube, zur Einsicht zu begehren; die Wirkung freue ihn aber zu sehr, als daß er der Ursache nachgrübeln möchte, und er wünsche dem braven jungen Paare nochmals Gottes und der lieben Heiligen besten Segen.

Mit diesen Worten verließ der Schultheiß und sein Gefolge, die Gefangenen mit sich führend, wovon mehrere jämmerlich hinkten, das Haus zum weißen Roß, welches er erst vier Wochen später, an Heini Vogelsangs Hochzeit, wieder mit seinem Besuche beehrte. Ein stürmischer Jubel, eine begeisterte Menge begleitete ihn bis hinauf ins alte Grafenschloß.

Am folgenden Morgen beschied ein Herold, in der Landesfarbe durch die Stadtgassen reitend, sämmtliche Einwohner, Männer und Frauen, auf den Nachmittag um zwei Uhr in den Schloßhof. Hier empfing uns, deren Keiner zu Hause blieb, der greise Schultheiß zu Pferde und redete, mitten in unsern Kreis reitend, uns ungefähr folgendermaßen an:

»Liebe und insbesonders Getreue. Der gestrige Tag ist für die Regierung, in deren Namen ich hier bin, und für euch, wackere, streithafte Bürger und Bürgerinnen, ein Tag bleibenden Segens geworden. Er hat unwidersprechlich bewiesen: euere Liebe und Anhänglichkeit an Bern, die altgefreite Stadt, er hat in diese auf ewige Zeiten das Gefühl der Dankbarkeit und innigen Wohlwollens niedergelegt. Seid versichert, daß von der gerechten und erkenntlichen Obrigkeit, deren Diener und Stellvertreter ich zu sein die Ehre habe, nicht nur euere verbrieften und besiegelten Rechte und Freiheiten, euere alten Herkommen, Privilegien und Gebrauche werden in Ehre gehalten, sondern selbst, je nach Umständen und Bedürfnissen durch neue vermehrt werden. Ich erfülle, indem ich euch für euere gestern bewiesene Tapferkeit und Treue danke, nicht allein den Auftrag meiner Obern, sondern den meines eigenen Herzens. Besonders euch, Frauen und Töchter hiesiger Stadt, die ihr sonst nur der Spindel, Nadel und der ungefährlichen Häuslichkeit gewohnt, voll begeisterten Eifers für die Vertheidigung dieser Mauern zu den Waffen gegriffen, und noch glorreicher als einst die Frauen von Zürich, die nicht zum Kampfe kamen, zu dem gewonnenen Siege durch euere thätliche Mithülfe beigetragen habt; euch Frauen und Töchter von Burgdorf zeig ich hiermit an, daß meine weise und gnädige Obrigkeit, in gerechter Würdigung eueres Verdienstes, auf meinen Antrag beschlossen hat: Es soll für ewige Zeiten, je am Jahrestag der Bickinger Schlacht, die Frau des regierenden Schultheißen eine Mahlzeit anrichten, und unter die Frauen und Töchter in den acht Gassen der Stadt vertheilen. Dieses Essen soll zur Erinnerung, daß der Anzug der Feinde durch die Hühner in Bickingen verrathen worden, Hühnersuppe heißen, und bestehen aus sechzig Hühnern, achtzehn Stücken Fleisch und genügsamem Brod. Kommet nun herauf ins Schloß und seid fröhlich.

Möge euer treuer und tapferer Sinn von Geschlecht zu Geschlecht sich forterben! Es wird geschehen, denn so wackere Mütter können keine schlechte Kinder gebären!«

Doch das fröhliche Siegesmahl, das wir im Rittersaale hielten, erinnert mich, daß auch unser Nachtessen längst wartet. Ist es euch genehm, frommer Mann, so setzt euch mit uns zu Tische. Zieht ihr vor, allein zu sein, so wird man euch die Speise hierher bringen. – »Ich bitte um das Letztere, erwiederte dumpf der Pilger. Einsamkeit thut mir Noth, und mich ruft ein Gelübde zeitig nach den Altarstufen euerer Kapelle. Eins aber muß ich euch noch fragen, lieber Herr – denn euere Erzählung hat meine ganze Theilnahme erweckt – wie geht's jetzt den beiden jungen Eheleuten, Heini und Küngold?«

»Die gehaben sich sehr wohl,« erwiederte Herr Bickinger aufstehend. »Der Alte hat ihnen, schon acht Tage nach der Hochzeit, die ganze Wirtschaft eigenthümlich übertragen, und eine Wallfahrt nach St. Jago di Compostella in Hispania angetreten, von der er bis auf heutigen Tag noch nicht zurückgekehrt ist.«

Damit nahmen Herr Bickinger und der Kapellan freundlich Abschied von dem Pilger und der Pater erbot sich noch, ihm am Morgen die Reliquien zu zeigen, ein Anerbieten, das der Fremde mit Dank annahm. Hastig verschlang er dann das aufgestellte Erbsmuß, den dampfenden Braten, einen Pokal des reinsten Reifweins und entfernte sich mit tückischem Grinsen.


Ein paar Stunden später stieg aus dem hölzernen Anbau der Herberge zum weißen Roß ein dicker Rauch auf, und bald brach die verzehrende Flamme, das Gasthaus ergreifend, aus dem leichten Strohdach. – »Feuer! Feuer!« donnerte es durch die Gassen, und die Sturmglocke läutete. Von allen Seiten strömten die aus dem besten Schlafe geschreckten Einwohner herbei, zu löschen und zu retten, was zu retten war. Mit Besonnenheit und unermüdlichem Eifer flüchtete der junge Hauseigenthümer und Wirth, Heini Vogelsang, seine und seiner Nachbarn bewegliche Habe vor das Thor; ihm stand getreulich seine Gattin Küngold und sein Freund und Nachbar, Spitalvogt Bickinger bei. Als dieser von einem solchen Gang wieder zurückeilte, huschte der Pilgrim von gestern Abend wie ein Schemen an ihm vorbei; aber er erkannte ihn beim Licht des umsichgreifenden Feuers. Ein schneller Verdacht stieg in dem wackern Bürger auf. »Halt, guter Freund!« rief er, und faßte ihn mit kräftiger Faust. »Ihr seid der Einzige, der, statt zu helfen, davonläuft, gebietet euch vielleicht auch ein Gelübde, das Feuer, wo es Häuser verzehrt, nicht zu löschen?«

Der Angeredete zitterte in der Hand des Burgdorfers wie ein Espenlaub, »Ich habe – ich bin – hm hm! – – mir ist – halt nie wohl, wo's brennt;« stotterte er. »Ich habe – hochachtbarster Herr! – eine schreckliche Abneigung gegen Feuersbrunsten – hm hm! Das ist – ich versichere Euch, hochweiser Herr Spitalvogt! – ein Familienübel und kömmt glaube ich – hm hm! von meiner Urgroßmutter her, welcher das Bett unter dem Leibe verbrannte, als sie mit meiner guten, seligen Großmutter schwanger ging, hm hm: – Aber laßt mich jetzt um Gotteswillen meines Weges ziehen, Hochedler! sonst werdet Ihr noch erleben, daß ich in Ohnmacht falle, hm hm! Aus lauter Abneigung gegen Feuersbrunsten, auf Ehre! Gelobt sei Jesus Christ!«

»In Ewigkeit – kommt Ihr so nicht los,« entgegnete Bickinger, dessen Argwohn durch des Pilgers Benehmen gewaltig gestiegen war. »Ihr kehrt mit mir zurück, frommer Mann« –

In diesem Augenblick stieß ein Vorübereilender mit einem umfangreichen Bündel Hausrath unserm verdächtigen Pilger aus Versehen den großen Kremphut vom Kopfe. Der Mann mit der Bürde, welcher kein Anderer als Heini Vogelsang war, sah sich rasch um, und blieb beim Anblicke des Wallfahrers wie versteinert stehen; dann ließ er achtlos den ganzen Kram sinken und rief! »Heilige Mutter Gottes! Das ist ja der Werni von Aarburg!«

Die Schauer der Vernichtung warfen den Verbrecher ohnmächtig zu Boden. Wie das Feuer, welches er angelegt, vom scharfen Morgenwinde gepeitscht, in wenig Minuten die ganze untere Stadt ergriffen hatte, so ging auch der Ruf: »Man hat ihn, man bringt ihn, den Mordbrenner!« blitzschnell von Mund zu Mund, und es würden die herbeiströmenden Brandbeschädigten über ihrem rächerischen Zorn die Rettung ihrer Habe versäumt haben, wenn nicht der greise Schultheiß sie zurückgewiesen und den Elenden ihren Augen entzogen hätte, indem er ihn in's tiefste Verließ der Burg werfen ließ. Vierzehn Tage später, Nachmittags um zwei Uhr stieg aus der Stadt Burgdorf wieder eine Rauchsäule auf. Aber nicht die Sturmglocke, sondern das Armensünderglöcklein der Schloßkapelle wurde geläutet – und nicht einer brennenden Wohnung galt es, sondern einem Verbrecher auf brennendem Holzstoße. Dieser Verbrecher war der Berner'sche Unterthan, Basilius Werni, Schneidermeister und Spendvogt von Aarburg, der, überwiesen des Hochverraths und der Brandstiftung, in Folge welcher die ganze untere Stadt Burgdorf in einen Aschenhaufen verwandelt war, hier den Feuertod erleiden sollte. Der Richtplatz war auf der Wiese unter dem Schlosse, am jetzigen alten Markt. Eine unzählige Volksmenge hatte sich versammelt und sah schaudernd den Verbrecher das schuldbeladene Haupt auf der Brust, regungslos in den Ketten hangen, womit er an den Pfahl festgebunden war. Die Angst hatte ihn getödtet, ehe die Flammen es thun konnten. Seine Asche wurde verflucht und in den Wind gestreut.

Aber aus der Asche der untern Stadt blühten gesegnete Wohnungen auf, unter diesen vor allen stattlich die Herberge zum weißen Roß. Wer zwei Jahre nach der grauenvollen Brunst dort einkehrte, konnte einer aufgeblühten Rose gleich, an welche die Knospe sich schmiegt, die junge Wirthin sehen mit ihrem Knäblein im Arm, und da war Eins gegen Zehn zu wetten, daß er – und wenn es auch gegen Gebrauch und über den Durst war, sich einen zweiten Becher einschenken ließ, nur um den holden Anblick noch eine Weile genießen oder sich länger mit dem Wirth und Rathsmann, dem geehrten und verständigen Herrn Heinrich Vogelsang unterhalten zu können, der die Gegenwart seines Schwähers im Mindesten nicht vermissen ließ. Dieser war, wie die Sage ging, auf seiner Wallfahrt nach St. Jago an zu reichlich genossenem spanischem Rosinensaft gestorben. Gott habe ihn selig.


Fast fünfhundert Jahre sind seit diesen Ereignissen in die unergründliche Tiefe der Zeit hinabgerauscht und mit ihm eine Menge Generationen, und ihre Leiden und Freuden. Vergebens suchst Du, o freundlicher Leser, das Grab des ehrwürdigen, ritterlichen Schultheißen, oder den Ort, wo Küngolds und Heini's Gebeine ruhen; das Gras, das über ihnen wächst, giebt Dir keine Kunde; der Schutt, den die Zeiten darüber gehäuft, redet nicht. Die Vergangenheit ist ein ungeheures Buch, und die Geschichte ein schwacher lückenvoller Abriß, gemäß dem kurzsichtigen Auge der Sterblichen, Dem Blicke des Ewigen, Unveränderlichen geht zwar kein Blatt, keine Zeile, kein Wort des großen Buches verloren, und das tröste Dich, wenn Du den Staub Deiner Lieben zum andern Staube legst, und das Gefühl einer gleichen Zukunft Dich schmerzlich durchdringt. Allein, es ist ein schöner Gedanke, schon auf Erden nicht vergessen zu werden, noch auf die späte Nachwelt begeisternd zu wirken, ein Gedanke, »des Schweißes der Edeln werth«. Darum lasset uns das Gedächtniß unserer Altvordern ehren und feiern, und ihre Thaten verewigen, so viel wir können, und schaffen wir, daß wir einer ähnlichen Bemühung unserer Nachkommen würdig seien!


Wie wir glauben, wird es unsern Lesern nicht unangenehm sein, zu vernehmen, daß das nach dem Gefechte bei Bickingen zu Ehren der tapfern Frauen gestiftete Hühnersuppenfest, wenigstens dem Namen nach, bis auf den heutigen Tag sich in Burgdorf erhalten hat. Wir sagen: »dem Namen nach«, – denn die Zeit hat auch an ihm, so viel sie es vermochte, ihre Kraft ausgeübt und ihm einen modischen Zuschnitt verliehen. Was ihr nicht ganz gelang, wollte vor fast hundert Jahren der Geiz und Hochmuth der spendpflichtigen Schultheißin vollenden. Aber die Frauen von Burgdorf zeigten sich ihrer Vorfahrerinnen werth und vertheidigten ihr gutes, altes Recht in ihrer Art ebenso mannhaft, als ihre Eltermütter die Stadt. Als Belege führen wir wörtlich an, was uns die handschriftliche Burgdorfer Chronik von Joh. Rud. Aeschlimann, Bürger dieser Stadt, hierüber in treuherziger Sprache meldet:

»Anno 1737 weigerte sich die damalige Frau Schultheissin, Ursula Manuel, geborne Ernst, denen Frauen zu Burgdorf das zu dieser Festivität Schuldige jeder Art ferner auszurichten. Die Frauen aber, die bis dahin ihre Männer nicht aus Schuldigkeit, sondern aus bloßer Complaisance am Genusse dieser Stiftung haben Antheil nehmen lassen, beklagten sich darüber vorerst bei ihren Ehegenossen, welche aber, sowie auch der Magistrat nachher, sich nicht in die Sache mischen, sondern lieber stillschweigend zusehen wollten. Auf dieß hin ernannten die hierüber ziemlich entrüsteten Frauen eine Deputation aus ihrer Mitte, Die Namen dieser mit der Reklamation an die Frau Schultheißin und deren Aktionirung vor dem täglichen Rath in Bern beauftragten zwei Frauen verdienen, hier der Nachwelt aufbehalten zu werden. Die erste war Frau Margaritha Trachsel, geb. Langhans von Bern, Herrn Oberspitalvogt Albrecht Trachsels Gattin, sie starb 1741. Die zweite war Herrn Bendicht Äeschlimanns, Einungers Frau, Anna Maria König, von Bern, Hieronymus und Anna Maria Perrets Tochter; sie starb im Januar 1766. sandten selbige mit bestimmtem Auftrage an die Schultheißin, – wurden aber von dieser Rabsake schnöd abgewiesen. Die gleichen deputirten Frauen, im Bewußtsein ihrer gerechten Sache, beklagten sich sofort hierüber bei dem täglichen Rathe in Bern, wo auch zugleich der Herr Schultheiß seine Opposition gegen die fernere Ausrichtung der fraglichen Beiträge vorlegte. Den Erfolg davon zeigt die hier wörtlich beigefügte Erkenntniß:

»Weilen diejenigen Desmarches von Herrn Venner Jankhauser zu Burgdorf gegen den Herrn Schultheiß daselbst nicht erheblich gewesen, denen Frauen allda die Hünersuppen wieder zukommen »zu lassen, da doch solche von seinem Herrn Vorfahrer unverweigerlich entrichtet worden, als Mnhg. Hrn erkennt: Weilen Hrn. »Schultheiß das Amt in Rutz und Beschwerde angetreten, solche »Ausrichtung ein sehr altes Herkommen, so soll er solche laut »Hünersuppen-Nodels de 1659, von Bestens wegen entrichten, – »weilen Ihr Gnaden solche alte Gebräuche nicht gern abschaffen. »Datum den 14. Fbr. 1737.«

Der Herr Schultheiß mußte nun überdies noch den deputirten Frauen ihre gehabten Auslagen dießorts mit Ern. 24. 2. 1. und für ihre wegen Information über dies Geschäfte versäumten 16 Tage vier neue Doublonen als Discretion bezahlen. Noch hatte er Lust, diese Sache coram Zweihundert, als der höchsten Gewalt, zu ziehen. Das Factum dazu war wirklich dem Druck übergeben, als es ihm von guten Freunden widerrathen wurde, und nun konnten sich die guten Frauen eines zweiten Sieges freuen.

»Anno 1798 bei damaliger Staatsumwälzung gerieth diese den Frauen Burgdorfs ausschließlich geeignete Hühnersuppen-Stiftung zu gänzlicher Aufhebung. Mit der neu eintretenden Ordnung der Dinge wurden die Landvogteien und Schultheißenamt abolirt. Die Schlösser des Landes erhielten eine auf Oekonomie berechnete Bestimmung; mithin andere Bewohner, Landvögte und Schultheißen zogen wieder dahin, wo sie hergekommen. An ihre Stelle ward in jedem Distrikt der neuen Eintheilung ein sogenannter Statthalter, ein Sohn des Landes, geordnet. So wie sich nun der Herr Schultheiß von hier am 17. April 1798 entfernte, so verloren auch die guten Frauen von Burgdorf in der Person der Frau Schultheißin ihre dießörtige rechtmäßige Schuldnerin, als welche die questionirlichen Beiträge, infolge alten Herkommens zu liefern hatte. Die neuen Statthalter sowohl als ihre Frauen kannten keine dergleichen Schuldigkeiten; am allerwenigsten war bei der damaligen Regierung Lust und Willen zu Ausrichtung dieser durch das Alterthum heilig gewordenen Gefälle. Manche unserer Schönen mag da den Verlust eines so ausgezeichneten Privilegii geheim beseufzet haben; – manche hätten lieber andere Vorrechte – nur dieses nicht – der Revolution zum Opfer gebracht.

»Doch die Stunde der Wiederherstellung dieses Freudenfestes erschien endlich nach achtzehnjährigem Ausbleiben, für Burgdorfs schöne Frauen. Durch die Bemühungen des damaligen sehr schätzbaren Herrn Oberamtmanns Gatschet kam es wieder dahin, daß die Oberamtmänninnen jeder der zu diesen Gefällen von jeher berechtigten acht Gassen ihre dießörtige Reklamation einstweilen à tout hazard eingeben durften.«


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