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Gottlieb Jakob Kuhn

Die Papierstreifen

1. Das Schneidermaß.

»Wo ist mein neues Maß hingekommen? Da, auf den Tisch hatt' ich's hingelegt! Was gilt's, das hat schon wieder mein Zeter-Junge, der Gottfried, weggekriegt! Der ist ärger auf das Papier erpicht, als der T... Gott sei bei uns! – auf eine Juden-Seele!« So polterte in seinem Grimm Meister Krause, der kunstgerechte Schneidermeister; und mit der Elle in der Hand rannte er in's Nebenzimmer, wo der erschrockene Knabe sich hinter der Mutter Stuhl verbarg. Er kannte die väterliche Hand mit und ohne Elle, und wußte recht gut, was seiner wartete. – Besänftigende Worte sprach die Mutter hinter dem Bollwerk des Spinnrades und der Kunkel. Aber der Vater zürnte: »Hat der Junge mir da wieder ein Maß zerschnitten! Ein Maß von ganz weißem Papier! Ein Maß für unsern Herrn Gevatter, den Rathsherrn; und hat's wieder mit seinen einfältigen Sprüchlein bekleckst! Hab' ich's nicht tausend Mal gesagt:

Sudeln und Schmieren steht nicht sein;
Verderbt Papier, und soll nicht sein!«

Meister Krause war nämlich der Meinung, sein Gottfried müsse ein ehrsamer Schneider werden; und die Mißhandlung eines Maßes durch Zerschneiden in kleine Streifen schien ihm eine unverzeihliche Verachtung seines ehrenhaften Berufes. Die Mutter hingegen fand in dem Namen Gottfried, und in des Knaben unüberwindlicher Lust zum Lesen und Schreiben einen Beweis seiner höheren Bestimmung zum geistlichen Stande. Der Spruch, den Gottfriedchen eben auf ein Stück des zerschnittenen Maßes geschrieben hatte, war ihr eine neue Bestätigung ihres frommen Glaubens; denn mit zierlicher Schrift stand zu lesen: »Wahrlich, wer ein Bischofs-Amt begehrt, der begehrt ein köstlich Amt!« Aus diesen ungleichen Ansichten entstand der Wortkrieg, der auch jetzt endete wie immer. Jedes behielt in seiner Meinung Recht, und handelte nach seiner Weise. Die Mutter tröstete den erschrockenen Knaben, und der Vater rannte scheltend mit den Stücken seines Maßes zum Herrn Gevatter Rathsherrn, entschuldigte mit manchem Bückling sein Wiederkommen, und erzählte, mit manchem »verstehn Sie wohl« und »hab' ich gesagt« verbrämt, das sträfliche Vergeh'n, das sein Knabe sich zu Schulden hatte kommen lassen.

Aber der Herr Gevatter freute sich der schönen Handschrift seines Pathen, lächelte über seine Gier nach Papier, besänftigte den Vater, und sandte dem Sohne ein ganzes Buch des schönsten Schreibpapiers. Ja, nach einigen Tagen kam er persönlich zu Meister Krause, prüfte den Verstand und die Anlagen des Knaben, und besiegte durch sein vielgeltendes Wort, nebst dem Versprechen kräftiger Unterstützung, des Schneiders Vorliebe zu seinem Handwerk. Gottfried ward zum geistlichen Stande bestimmt, war von nun an ein fleißiger Schulknabe, und kam seiner Zeit in das Gymnasium der Hauptstadt. Eingedenk aber, daß er die Erfüllung seines Herzenswunsches einem Stück Papier verdanke, war er von nun an noch gieriger über jeden Streifen.

2. Der Wechsel

Freilich ward Gottfried nicht selten dadurch zum Spotte seiner Mitschüler. Er trieb seine Achtung für weißes Papier soweit, daß er sogar aus dem Kehricht manchen kleinen Streifen rettete. Er wußte dann mit gutmüthigem Witze recht schön alle möglichen Vorzüge des Papiers zu erzählen. Er rechnete vom gelehrten Folianten bis zum erotischen Musenalmanach, und vom Rescripte der hohen Obrigkeit bis zum Liebesbrief und Küchenzettel alle die zahlreichen Dienste vor, die das liebe Papier der Welt schon geleistet habe, noch wirklich leiste, und auch ferner leisten werde; und besänftigte, als er einmal Student war, die neckenden Kobolde dadurch, daß er sie alle mit künstlich gedrehten Fidibus versorgte. Doch blieb ihm der Spitzname, »Papyrius« Etwa: der Papyrer durch's ganze akademische Leben.

Aber der Genius des Erfinders jenes geliebten Materials schwebte wohlwollend um Gottfried; und er sollte erfahren, daß Achtsamkeit für Kleinigkeiten sehr leicht zum Großen führen kann. Im Hingeh'n über die Gasse sah er einmal einen schmalen Streifen beschriebenen Papiers eben auf einem Kehrichthäufchen neben dem Bache liegen. Geschickt ließ er seinen Spazierstock hinfallen, und hob mit diesem auch das Papier auf. Freudig erschrocken las er darauf einen beträchtlichen Wechsel. Nun, damit kann ich Jemanden einen recht großen Gefallen thun, dachte er vergnügt, eilte auf der Stelle nach dem Gewölbe des darin genannten Kaufmanns, und übergab seinen Fund. Beschalt der Herr, wie billig, seine nachlässigen Diener, die ein solches Papier so liederlich verloren hatten, so belobte er dafür den treuherzigen Studenten; und zwar eben sowohl um der sichtlichen Freude willen, mit der er das Gefundene wiedergab, als um der Rückgabe selbst willen; und Gottfried erzählte fröhlich seinen Freunden, wie wohlgerathen abermal seine Achtung für das Papier gewesen sei.

Aber der Kaufherr erkundigte sich unter der Hand bei den akademischen Lehrern nach dem ehrlichen Studenten. Diese gaben demselben allgemein das Zeugniß des stillen Fleißes und der bescheidenen Geschicklichkeit; und so erhielt Gottfried die Stelle eines Informators in dem Hause jenes reichen, angesehenen Mannes gerade im rechten Augenblicke. Sein bisheriger Gönner, der Herr Gevatter Rathsherr, war nämlich mit Tode abgegangen, jede daherige Unterstützung blieb also zurück, und Gottfried, wie eingezogen er auch lebte, würde doch schmerzlich und kümmerlich seine akademische Laufbahn vollendet haben. Jetzt aber war er geborgen. Er lernte in diesem Hause die französische Sprache und manches Andere, was kein Professor docirt, was aber doch für das Leben höchst ersprießlich ist.

3. Die Loose.

Die akademischen Jahre waren vollendet. Gottfried wurde Candidat, und als Vikar angestellt. Fröhlich und fleißig genoß er die schönste Zeit seines Lebens. Etwas Musik und etwas Naturgeschichte dienten ihm zur angenehmen Erholung nach seinen ernsten Berufsstudien, und machten ihm das stille ruhige Landleben doppelt angenehm. Sein Vater und seine Mutter besuchten ihn oft, und hatten ihre herzliche Freude an dem predigenden Sohne. Wenn dann ersterer mit breiter Wohlredenheit versicherte, daß er in seinem Leben nie geglaubt hätte, an seinem kleinen Gottfriedchen so viel Ehre zu erleben, so weinte die letztere süße Thränen der innigsten Freude am Halse des geliebten Sohnes, und schied immer mit den zärtlichen Worten von ihm: » Mein theurer Gottfried, Gottes Friede sei mit dir!«

Im folgenden Winter aber begrub der junge Mann den Vater, und im Frühjahr darauf die Mutter. Das äußerst geringe Vermögen ward von den Schulden fast aufgezehrt, und Gottfried stand sehr vereinzelt und trostlos in der Welt. Allein er getröstete sich des Segens, den die sterbende Mutter über ihn ausgesprochen, und erwartete ruhig, was die Zukunft in ihrem Schooße verborgen halte.

Jetzt ward eine hoch im Gebirge gelegene Pfarre durch den Tod erledigt. Die Entlegenheit und Abgeschiedenheit des Ortes, der beschwerliche Zugang, die alte hölzerne Pfrundhütte, das rauhe Klima und mehr dergleichen Betrachtungen verscheuchten alle Bewerber. Nach Herkommen denn sollte der jüngste Kandidat von Rechtswegen dorthin gesandt werden. Aus mancherlei Gründen aber wurde beliebt, daß diesmal das Loos zwischen den zwei Jüngsten entscheiden solle. Die ominösen Papierstreifen wurden also beschrieben, zusammengerollt, – gezogen, – und Gottfried Krause war erwählter Pfarrer nach Flühdorf.

Man denke sich einen jungen Mann in der lebendigsten und freudigsten Periode seines Lebens, der so in ein vaterländisches Kamtschatka verwiesen wird, und der ohne alles Vermögen, ohne Hülfe nun eine eigene Haushaltung anfangen soll! und man wird unserm Freunde sein Erschrecken nicht verargen, als das große Schreiben mit dem Staatssiegel ihm seine Erwählung kund that. Wenn er dießmal über sein liebes Papier zürnte, und an der wohlthätigen Einwirkung desselben auf sein Schicksal zu zweifeln anfing, so wollen wir das dem ersten Schreck zuschreiben, und mit ihm darüber nicht rechten. – Denn bald fand sich bei ruhiger Prüfung auch eine erfreuliche Ansicht seines Schicksals. Von Kind auf an eine beschränkte Lage gewöhnt, hatte er sich leicht den Spruch des weisen Römers angeeignet: »Daß nicht derjenige arm sei, der wenig hat, sondern nur der, welcher immer mehr begehrt«. Non qui parum habet, sed qui plus cupit, pauper est. Seneca So war ihm seine fast einsame Gegend schon recht, weil sie ihm alle mögliche Muße zur Fortsetzung seiner Studien versprach. Seine alte hölzerne Wohnung war ihm lieb, sobald sie schirmte und wärmte; und eben ihre Armseligkeit gestattete in seiner Einrichtung eine so große Einfachheit, wie sie mit seinen Finanzen im beßten Verhältnisse stand. Durch diese und ähnliche Betrachtungen beruhigt, söhnte er sich bald mit dem lieben Papier wiederum aus, das durch jenen verhängnißvollen Streifen ihn nach dieser Felsenkluft bannte; und, Von Herzen getrost, sprach er der Mutter frommen Wahlspruch nach: Was Gott thut, das ist wohlgethan. In festem Vertrauen traf er seine Anstalten zur Abreise, und zog wohlgemuth einer für ihn ganz neuen Welt entgegen.

4. Das Buchzeichen

Und er fand sich – obwohl aller Anfang schwer ist – bald in seine Lage. Freilich von allen sogenannten Freuden des Lebens, und von allem dem, was die Geselligkeit dem Menschen Freundliches bietet, war er nun einmal geschieden. Eine alte harthörige Magd, eine Katze und ein Paar Stubenvögel machten, die summende Schaar von Fliegen abgerechnet, die ganze Bevölkerung des Pfarrhauses aus. Seine Bauern waren, wie das an solchen entlegenen Orten meist der Fall ist, ein grundehrlicher, aber höchst ungebildeter Menschenschlag. Sein nächster Amtsbruder wohnte drei und eine halbe Stunde weit entfernt. Aber seine Studien gaben ihm hinlänglich Beschäftigung, seine Felsen waren erhaben und reich an mancherlei merkwürdigen Erzeugnissen der Natur, sein genügsames Herz war zufrieden.

Nur Eins kam dem ehrlichen Manne wohl hier und da bedenklich vor, wenn er seine jetzige Lage beherzigte. Wer wird, dacht' er oft, in unsern luxuriösen verwöhnten Zeiten zu mir in meine Einsamkeit ziehn? welches Mädchen wird mein Weib werden mögen? Es will ja heut zu Tage alles gebildet heißen, und es müßte schlimm sein, wenn nicht jedes Kammerkätzchen von Schiller und Göthe, oder wenigstens von La Motte Fouqué's Geister- und Ritter-Romanen zu erzählen wüßte. Und alle diese hochgebildeten Damen werden kaum so weit herab sich lassen, ihre holden Aeuglein gnädig auf ein armes Pastörchen zu werfen, das kein Geld hat, keine Verse macht, die eine Hälfte des Jahres eingeschneit und die andere Hälfte sonst von der gebildeten Welt abgeschnitten ist. – Gleichwohl glaubte er steif und fest, daß es dem Menschen überhaupt, und einem – jungen Pfarrer besonders, gar nicht gut sei, allein zu sein.

In dieser nicht ungegründeten Besorgniß, ob er wohl eine passende Gehülfin finden werde, bestärkte ihn ein Zettel, der als Zeichen in einem seiner Bücher lag, und beim Auspacken und Aufstellen ihm in die Hände fiel. Der fatale Papier-Streifen enthielt wörtlich folgendes:

» Ma chére!«

»Hier sende ich dir mit Dank dein Dessin zurück – qui est trés-joli. – Apropos! Was sagst du dazu, daß Herr Krause Pfarrer nach Flühdorf worden ist! Der Arme dauert mich! Eine rechte Frau kriegt er nun gewiß nicht. Wer möchte dorthin in die Flühe sich mit ihm vergraben? Einmal du nicht, und ich auch nicht. Aber – n`en dites rien!« ec.

Offenbar war das die Handschrift eines Frauenzimmers. Er erinnerte sich, das Buch einem Freunde geliehen zu haben. Die Schwester desselben hatte es wahrscheinlich gelesen, und – freilich über den Inhalt jenes Papier-Streifens geschwiegen, aber doch denselben als Zeichen im Buche liegen lassen. – Das war nun freilich dem Pfarrherrn keine gute Vorbedeutung. Um so weniger, da er gerade auf jene Schwester des Freundes, jedoch nur von Ferne und ganz in der Stille, seine Gedanken gerichtet, und ihr so viel Entsagung zugetraut hatte, daß sie auch durch eine weniger angenehme Gegend sich nicht von einem freundlichen »Ja!« würde abhalten lassen, wenn einst die Frage an sie erginge: »willst du mit diesem Manne ziehen?« – Er hielt den fatalen Zettel lange in der Hand! Er wiederholte die Worte: »einmal du nicht!« mehrere Male mit bedenklichem Kopfschütteln und verschloß den Streifen endlich in sein Pult. Aber wie er sich auch zermarterte, demselben eine ersprießliche Seite abzusehen, immer fand er nichts weiter in ihm, als einen negativen Wegweiser, der ihm sagte, wo er sich nicht zu melden habe; und dem er also doch seinen Dank nicht versagen konnte, daß er ihm einen Korb und in diesem eine schreckliche Demüthigung erspare. Und so war es auch. Denn nicht über lang wußte er, daß jenes Mädchen einen bemittelten Kaufmann geheirathet habe, mit dem sie schon lange im Stillen verlobt gewesen war. »Segn' euch Gott!« rief der Pastor fröhlich, als er das im Briefe seines Freundes gelesen hatte; »und segne Gott jenen Papierstreifen, der mir eine tüchtige lange Nase erspart hat!«

5. Das Lotterie-Billet

»Daß du mir meine Vögel zu füttern nicht vergissest! Und die Thüre zu meiner Studierstube laß ja nicht offen stehn, daß etwa die Katze hinein käme! Wer Geschäfte halber nach mir fragt, wird auf den Freitag bestellt, wo ich wieder zurück sein werde!« So gebot der junge Pfarrer noch unter der Hausthür seiner alten Magd, und zog dann fröhlich in frühester Morgendämmerung eines neblichten Herbsttages von Hause, um in der sechs Stunden entlegenen kleinen Stadt A.... einige Nothwendigkeiten einzukaufen, ehe der Winter mit seinen Schneewällen in seinen Felsen ihn einmauerte. Daß ihm besonders auf jene Zeit eine heitere Gesellin wünschenswerth schien, daß er also unterwegs auch an's Heirathen dachte, und daß die fatalen Worte jenes Zettels ihm unaufhörlich um die Ohren summten; das würden ihm wenigstens die hübschen Kinder in A.... hoffentlich nicht übel genommen haben, falls ein dienstbarer Geist die geheimen Gedanken des ehrlichen Pastors ihnen zu Ohren gebracht hätte. Denn wenn auch keine derselben Lust haben mochte, seine Einsamkeit mit ihm zu theilen, so mögen sie's alle doch wohl leiden, daß man ihrer in Liebe gedenkt, und jeder, auch der unerhörte Seufzer ist ihnen ein billiges Opfer, das ihrer Liebenswürdigkeit gebracht wird.

Doch Gottfried seufzte nicht einmal. Gewohnt, über die Zukunft sich keine unnützen Sorgen zu machen, hoffte er, daß auch dieser Knoten zu seinem Besten und wohl gar ohne sein besonderes Zuthun sich lösen werde. Hatte doch der Himmel auch seine alte Tante Suse gerade da zu sich genommen, als ihre, ihm zugefallenen Habseligkeiten den Antritt seiner Pfarre um Vieles ihm erleichterten, indem ihr Tod zugleich der nicht geringen Sorge ihn entlud, sie selbst, und in ihrer Person ein ewiges Klaglied mitzunehmen, welchem Niemand als Freund Hain die Finalnote zu setzen vermochte.

Aber so freundlich auch in A.... die ihm völlig unbekannten Leute ihn aufnahmen, so war doch ihre Art nicht geeignet, seinen eben angesponnenen Trostesfaden weiter fortzuspinnen. Vielmehr empfing man ihn, als den Pfarrer von Flühdorf, überall mit dem Ausrufe der Verwunderung. Man bedauerte mit wahrhaft unfreundlichem Mitleid fein unglückliches Schicksal, wie man es zu nennen beliebte, und er bedurfte seiner ganzen Gutmüthigkeit, um nicht ungeduldig zu werden über Leute, die gleichsam geflissentlich die Hefe im Becher ihm aufrührten, nur damit sie ihn bedauern könnten, daß er – trübes Wasser trinke. Am wenigsten behagte ihm, daß gerade das schöne Geschlecht sich kreuzte und segnete über den Gedanken, das Leben an einem solchen Orte zubringen zu müssen. Ehrlicher als schlau hielt er alle diese Aeußerungen für baaren Ernst, und sie tönten ihm um Nichts angenehmer, als das Unglück weissagende Geschrei einer Nachteule.

Der Tag war verschwunden. Es zog, mit seinem Steg auf der Schulter, der in Oehl getränkte Lichtmacher des Städtchens herum, die sparsamen Laternen, welche die engen Straßen erleuchten sollten, anzuzünden, und Gottfried suchte einen vor dem Thore wohnenden Freund auf, um einen langen, trüben Herbstabend am Kamin zu verplaudern.

Gelassen stopfte er seine Pfeife, sah vor seinen Füßen etwas Weißes schimmern, hob ein Stückchen Papier von der Erde, und wollte schon den brennenden Schwamm damit decken, als ihm das Ding so gar sauber, regulär zugeschnitten und sogar bedruckt schien. Hastig schritt er auf das Thor zu und entdeckte da im Schein der Straßenlaterne, daß er ein Lotterie-Billet gefunden, und zwar eines, das, sonderbar genug, eben mit dem Jahre seiner Geburt 1770 als Nummer bezeichnet war. Sorgfältig schob er den Fund in seine Brieftasche, und suchte gleich bei seiner Rückkehr den Ausrufer der Stadt auf, und schon am Morgen wußte das gesammte Publikum, daß Herr Pfarrer Krause ein Lotterie-Loos gefunden habe, welches einer Jungfer Elisabeth C... gehöre. »Elisabeth,« denkt er, »das ist mir gar lieb! Hieß doch meine, leider früh vollendete Schwester so! Hieß doch auch jenes Mädchen so, das ich, ohne das fatale Buchzeichen, wohl allen andern vorgezogen hätte! Wer weiß! Die dritte Elisabeth bringt Glück! Die Ehe ist ja ohnehin, sagt man, eine Lotterie. Laß sehn, welches Loos ich dießmal gezogen habe!«

6. Der Hauszettel

Also scherzend bei sich selbst über seinen Glücksstern mit Papierstreifen, eilte Gottfried nach der bezeichneten Gasse, Obschon nicht poetischen Geistes, gaukelte ihm seine Phantasie doch ein junges, hübsches Mädchen vor, das wohl auch Vermögen haben müsse, weil ja doch seines Dafürhaltens unbemittelte Leute nicht in Lotterien zu setzen pflegten. Aber ehe der Knoten des kleinen Romans in seinem Geiste gelöst war, stand er bereits an der Thüre, wo auf einem schmalen Streifen Papier mit weiblicher, aber fester Schrift zu lesen war: »Jungfer Elisabeth C... eine Stiege hoch, vorne heraus.« Freundlich nickte das Pastörchen diesem stummen Wegweiser seinen Dank zu, klimmte vorsichtig eine finstere Treppe hinan, und stand etwas verblüfft vor der Thür, als er in dem Zimmer eine altfränkische Melodie mit wackelnder Stimme singen hörte. Indessen er pocht an, einmal, zweimal, – dann stärker zum dritten Male. Umsonst! der Sirenengesang tönt fort. – Endlich kommt eine Pause, eine alte Stimme ruft herein, fängt jedoch wieder zu singen an, ehe nur unser Freund die Thüre eröffnet hatte. Er trat ein. Hatten aber seine Ohren ihm schon wenig Tröstliches versprochen, so gaben ihm nunmehr seine Augen nichts Besseres zu schauen. Betroffen erblickte er in sehr altfränkischen Umgebungen ein altes dürres Mütterchen mit bedenklich zugespitzter, stark gegen das emporstrebende Kinn divergirender Nase. Ohne sich durch seinen Eintritt stören zu lassen, vollendete die fromme Matrone ihren Gesang aus dem Mirantischen Flötlein, zu dem ein dickgemästeter Kater auf dem Schooße seinen leisen Baß schnurrte. Erst mit dem Ende des Liedes hob die Dame die Brille von der Nase und fragte nach seinem Anbringen. Etwas kleinlaut eröffnete Gottfried die Ursache seiner Erscheinung, und hatte sich nun eines gar freundlichen Blickes der holden Sängerin zu erfreuen, die mit vielen und breiten Worten ihm dankte, mit frommen Sprüchen ihn begabte und ihn endlich, mit dem Segen entließ: »Der Herr vergelte dir nach deinen Werken!«

So sehr nun der junge Mann auch in seinen Erwartungen betrogen war, so konnte er doch des Lächelns über sich selbst sich nicht enthalten. Er schnitt freilich dem trüglichen Zettel an der Hausthür jetzt ein ganz anderes Gesicht, als vor wenigen Augenblicken. Aber hatte dieser nicht dennoch seine Pflicht gethan? War es nicht vielmehr seine eigene Phantasie, die ihn hintergangen hatte? Er war billig genug, das einzusehn, und söhnte sonach sich auch mit diesem Papierstreifen aus.

Allein in einer Stadt, die nicht größer als A.... ist, kann eine an sich unbedeutende Geschichte schon Aufsehen erregen. Gottfried ward aller Orten darüber ausgefragt, und mußte immer wieder erzählen, welchergestalt er das Loos gefunden und es wieder abgegeben habe. Wie stutzte er aber, als er von ein paar muthwilligen Mädchen bedauert wurde, daß er nur die alte Tante und den alten Kater angetroffen; die hübsche junge Nichte hingegen, der das Loos eigentlich gehöre, verfehlt habe. Man neckte ihn mit seinem Unstern und er spaßte gutmüthig mit. Ganz aber konnte er einen geheimen Unmuth doch nicht unterdrücken, daß er von seinem Funde dießmal nicht mehr gewinnen sollte, als den Gesang der alten Tante und ihre gar zu bekannten Sprüchlein, Indessen, wer wenig begehrt, ist leicht befriedigt; und der genügsame Pastor tröstete sich bald, Etwas nicht erlangt zu haben, an das vier und zwanzig Stunden früher sein Herz ja nicht einmal gedacht hatte.

7. Das Einladungs-Billet.

Geschah es auf Veranstaltung seines oben genannten Freundes, oder hatte der still-heitere gutmüthige Pfarrer doch vor den Augen jener neckenden Mädchen Gnade gefunden; war es, daß seine Erscheinung unter ihnen die weibliche Neugierde rege gemacht hatte, oder daß sie sich berufen glaubten, durch ihre Vermittlung gut zu machen, was ein ungünstiger Zufall ihm verdorben hatte; genug, er erhielt eine höfliche Einladung, Nachmittags an einer Landparthie Theil zu nehmen.

Dem größten Theile der dortigen Bewohner fremd, unter Frauenzimmern besonders schüchtern, wagte es Gottfried kaum, dieser an sich willkommenen Einladung Folge zu leisten. Doch ging er hin und fand ein ganzes fröhliches Völklein junger Mädchen und Herren, die bereits in der lebendigsten Lustigkeit waren, als er, einer der letzten, etwas zaghaft eintrat. Aber wie der Bach ein einzelnes Blatt, das Vom Baume fällt, herumwirbelt und mit sich reißt, so ergriff die allgemeine Freude selbst unsern Pastor. Er ward in Kurzem bei dem fröhlichen Zirkel einheimisch und faßte minder blöde die Hände seiner Nachbarinnen links und rechts, wenn irgend ein kunstloser Ringeltanz zum Spiel gehörte. Von allen den hübschen Mädchen aber, in deren Kreis jenes Billet ihn gezaubert hatte, zog nur Eins ihn an, das zwar keineswegs das hübscheste war, über dessen Gesicht jedoch eine unverkennbare Gutmütigkeit ausgegossen lag und deren bescheidenes blaues Auge, unschuldig und freundlich wie es war, jedes unverdorbene Herz ansprechen mußte. Keine Hand faßte er lieber, als die ihrige, und doch zitterte die seine auch nirgend so, wie in dieser. Es war ihm ordentlich willkommen, daß die Spiele aufhörten, die bunte Menge in kleinere Gesellschaften sich auflöste, und er also, gleich Andern, in Feld und Wald herumstreifend, mit sich selbst und seinem unruhig gewordenen Herzen Zweisprache halten konnte.

Aber mitten in seinen Selbstgesprächen nahte ihm eben jene Huldgestalt mit freundlichem Gesicht und fing an ihm zu danken, daß er zu ihrem verlorenen Loose ihr wieder verholfen habe. Wie stutzte Pastor Krause! Sie war also die gesuchte Lise C. Sie hatte er nun doch gefunden! Wie froh und freundlich versicherte er jetzt, ein recht gutes Loos in der Lotterie gefunden zu haben, inmaßen dasselbe ihm den Anblick ihres holden Angesichts verschaffe! Wie freute er sich, als, im Verfolg eines kurzen Spazierganges, seine Vermuthung sich bestätigte, daß das holdselige Mädchen die Tochter des vor etwas mehr als einem Jahre verstorbenen Pfarrers C. in D. sei und keine andern Verwandten habe, als eben die Schwester des verstorbenen Vaters, bei der sie nun lebe! – Gern wäre er noch lange mit der Holden im trauten Gespräche geblieben. Aber man sammelte sich um den Tisch. Leben und Fröhlichkeit ging die Reihe herum, man neckte und ließ sich necken; und erst der einbrechende Abend trieb das lustige Völklein singend nach der Stadt zurück, ohne daß Freund Gottfried nur ein vertrauliches Wort mit dem Mädchen gewechselt hätte, von dem es ihm bedünken wollte, gerade sie würde ihm seine Felsen in Flühdorf weniger steil, seine Gletscher weniger wild und seine Winter weniger lang erscheinen lassen.

Eben wollte er an ihrer Hausthüre betrübt Abschied nehmen, als ihre Gefährtin ihr Etwas in's Ohr flüsterte, worauf sie erschrocken sich entschuldigte, daß sie nach seinen allfälligen Auslagen sich nicht erkundigt habe. Aber – so klug war mein Pastor denn doch, daß der Vorwand ihm zu Gebote stand, es lasse sich ja auf finsterer Straße nicht wohl Geld zählen; er werde also morgen seine Ansprache geltend machen, wenn sie nur gütigst ihm anzeigen wolle, an welcher Thüre er klopfen müsse, um nicht wieder die Tante – – – in ihrer Andacht zu stören! – Er erhielt genügenden Bescheid, entfernte sich dankend, und strich im schwachen Viertellichte des wachsenden Mondes noch eine Weile in den Umgebungen der romantisch gelegenen Stadt herum.

8. Die Vorladung.

Als der Pfarrer auf seinem Zimmer im Gasthofe angelangt war, erstaunte er nicht wenig, auf dem Tische einen mit dem Stadtwappen versiegelten Zettel zu finden, überschrieben: »Vorladung an Herrn Pfarrer Krause von Flühdorf, – Polizei-Direktor.« – Unfreundlich kreuzte diese unerwartete Erscheinung seine, auf ganz andere Dinge gerichteten Gedanken. Er fragte, das fatale Papier uneröffnet in der Hand haltend, den eintretenden Wirth um Auflösung. Aber mit Achselzucken antwortete dieser: er begreife nicht, wodurch die Vorladung eigentlich veranlaßt worden. Vielleicht sei der Polizei-Direktor aufgebracht, daß der Herr Pfarrer das gefundene Loos nicht ihm zugestellt, vielleicht vermuthe er etwa ein Billet von einer verbotenen Lotterie. Auf alle Fälle rathe er dem Herrn, auf der Stelle hinzugehen; indem der Herr Direktor in Amtssachen keinen Spaß verstehe, – Der Zettel ward nun eröffnet und wies in der That nur eine trockene Citation, auf der Stelle zu erscheinen.

Mißmuthig stolperte Gottfried durch die engen Gassen und grollte dießmal seinem lieben Papier in allem Ernste; denn was konnte ihm diese fatale Lettre de Cachet andres bringen als Unheil und einen unverdienten Wischer, oder gar eine Geldbuße!? – Geldbuße? Geldbuße? Mit wahrem Schreck führte das redliche Männchen seine Hand in die Tasche, drückte voll schmerzlicher Inbrunst zwei große Thaler in seinem Beutelchen zusammen, nahm in Gedanken schon Abschied von ihnen, und hätte sich in seiner Angst bald verschworen, sein Lebenlang keinen Papierstreifen mehr aufzuheben.

Er kam an, ward vorgelassen und fand in der ganzen Geschichte – einen freundlichen Spaß! Ein Jugendfreund seines Vaters hatte sich hier gesetzt, nachdem er als Gerber ein hübsches Vermögen erworben. Er hatte mit seinem geraden verständigen Wesen sich bis zum Rathsherrn und Polizei-Direktor emporgeschwungen, vernahm die Anwesenheit des Sohnes von seinem Jugendfreunde und citirte in einem Anfall muthwilliger Laune ihn nach aller Form, um ihm für die Zeit seines jedesmaligen Aufenthaltes in A... Kost und Wohnung in seinem Hause anzubieten. Somit war ja der gute Papyrius mit seinem Papiere schon wieder ausgesöhnt.

Aber vollends küssen mußte er diese Vorladung, als sich beim fröhlichen Nachtessen auswies, daß der Herr Rath sogar Vormund der holden Lise und ihrer frommen Tante sei. Denn hier erhielt er nun vollständige Kenntniß von beiden. »Ist die junge Lise,« – so sprach jener – »das Muster eines lieben, verständigen, fleißigen Mädchens, so ist die alte Lise hingegen mir sehr fatal. Einst ein verliebtes Weltkind, wie wenige, fing sie nach dem ersten halben Säculum ihres Lebens an fromm zu thun. Wie vormals von den derbsten Gassenhauern, so fließt sie jetzt von geistlichen Gesängen über. Und während sie hinter geistlichen Büchern zu brüten scheint, geht keine Katze unbekrittelt über die Gasse. Sie ist anbei einem periodischen Schwindel unterworfen, weil sie ihrem schwachen Magen immer und immer wieder mit Elixieren zu Hülfe kommt.«

»O wehe mir!« seufzte der Pfarrer im Stillen. »Wenn auch das Loos mir die holde Lise zuführte, so müßte ich ja wohl die unholde in den Kauf oben drein haben! Wehe mir dann, wenn ein solch altes Uebel in mein Haus zöge! Das wäre ja schlimmer als Salz und Pfeffer auf Zuckerbrod!«

9. Das Recept

Sobald Krause am Morgen glaubte, daß die Singstunde der alten Betschwester begonnen habe, schlich er dort sich die Treppe hinauf und horchte. Rechts sang Tante Lise und krähte der Welt zu Liebe von ihrer sogenannten Frömmigkeit. Also links gehalten! Ein scharfer Blick durch's Schlüsselloch zeigte ihm, daß er recht war; und so stand er denn vor dem Mädchen, dem er so viel Schönes sagen wollte, das nun – rein vergessen war! Seine sichtbare Verlegenheit war nicht eben geeignet, das gute Mädchen aus der ihrigen zu reißen. Sie aber – wie denn die Mädchen in dergleichen Bedrängnissen sich immer eher zu helfen wissen, – sprang hurtig auf das gefundene Loos über, und es entspann sich ein Gespräch, das noch leidlich genug gewesen wäre, hätte nicht Lise mit sichtlicher Aengstlichkeit immer nach der singenden Tante hinüber gehorcht, deren störenden Eintritt sie jeden Augenblick zu fürchten schien. Die Aussicht, sich entfernen zu müssen, ehe er seiner Angelegenheit nur von ferne gedacht, oder durch sein längeres Bleiben dem guten Mädchen Verdruß zu verursachen, machte ihn endlich so kühn, daß er in sichtbarer Bewegung Lischens Hand faßte und sprach: »O wie gerne – wie Vieles wollte ich Ihnen noch sagen! Aber es kann ja nicht sein. Darf ich aber« – – Hier ging die Thüre auf und Tante Lisabeth stand da vor den erschrockenen Leutchen! »Aha!« – krähte die Zürnende, – »du eiteles Weltkind! Was muß ich an dir erleben! Mannsleute schleichen heimlich in dein Kämmerlein und du duldest das? Wohl gilt von dir, was im Liede geschrieben steht:

Ich führte heimlich kein
Penelopeisch Leben,
Und dennoch wollt ich sein
Lukretia daneben.

und wie es weiter heißt:

Bei allen Spielen führt' Ich Ueppigste den Reihen.
Ich ging hinein, geziert
Wie Flora in dem Maien.
Es wallte mir das Blut
Im Leib vor Uebermuth.

Und Sie – wendete sich die Strafpredigerin an Krause – Sie beschleichen unerfahrne Jungfrauen ins geheim? Wie reimt sich das für einen geistlichen Herrn? Doch man kennt euch, junge, leichtfertige Vögel!

Nur an dem Zuckerhut
Wollt ihr den Schnabel wetzen;
Das Herz nach vollem Wuth
Der Sinnlichkeit ergötzen.« – –

Unter dem langen Sermon gewann Gottfried sich Besinnung. So ehrlich und ohne Falsch er sonst war, schien ihm hier doch eine kleine List erlaubt, um dem armen Mädchen, das nahe am Weinen stand, noch Härteres zu ersparen. Er zog also seine Brieftasche hervor, bückte sich ehrerbietig vor der zürnenden Alten und erzählte, er sei eigentlich um ihrer und nicht um der Nichte willen hieher gekommen; habe sie aber in ihrer Andacht nicht stören dürfen. Er habe mit großem Leidwesen erfahren, wie sie mit Magenbeschwerden behaftet sei und habe ihr daher ein von seiner verstorbenen Tante geerbtes Recept zu einem trefflichen Magen-Elixier anbieten wollen. Hiermit zog er einen Papierstreifen hervor, auf dem – o Schalk! – ein Paar griechische Verse aus Anakreon geschrieben standen. Etwas ungläubig zog Tantchen die Brille aus der Umhüllung ihres keuschen Busens hervor, beguckte das Blättchen mit großer Aufmerksamkeit, und bat, er möchte ihr das Ding vorlesen. So plapperte mein Pastörchen ihr denn aus Anakreons verliebten Versen ein Paar aufgefangene botanische Benennungen vor und erntete sogar Lob und Dank ein, als er sich erbot, dem Apotheker das Weitere mündlich zu erläutern. Er ward höflich entlassen, und dankte seinem Geschick, das ihn abermals mit einem Papierstreifen gerettet hatte.

10. Das Schwalbenschwänzchen.

Nicht ganz leichten Herzens jedoch schlich Krause mit seinen anakreontischen Versen nach einer Apotheke. Denn was sollte er nun eigentlich bestellen? Was alles konnte der Apotheker fragen? Und was konnte er antworten? Und wie sollte er nun seiner Huldin offenbaren, was er heiß im Herzen trug?

Mit dergleichen Gedanken sich herumschlagend, langte er in Aeskulaps Rüstkammer an, und wie freudig blickte er auf, als er im Apotheker einen Bekannten fand, den er an seinen Bergen botanisierend im Sommer angetroffen hatte! Bald war er mit ihm in traulichem Gespräche. Das Lotterieloos, welches das ganze Publikum in Bewegung gesetzt hatte, kam auch hier zur Sprache, und mein Pastor wußte nun seine medizinische Angelegenheit recht gut an den Mann zu bringen, ohne eben mehr zu verrathen als nöthig war. Lachend mischte der Handlanger des Todes etwas Krimskram zu einer Magenstärkung, während Krause unter den niedlichen, mit kleinen Bildchen gezierten Papierstreifen wählte, die den Arzneigläsern in Form von Schwalbenschwänzchen zur Erläuterung angehängt werden. Wie gern hätte er durch einen schußfertigen Amor, einen ominösen Myrthenkranz oder dergleichen Etwas seiner Holden auch nur einen Funken des in ihm glimmenden Liebesfeuers leuchten lassen. Aber – welche Noten würde die alte Pharisäerin zu solchem Texte wohl gesetzt haben? Er ließ also den Apotheker wählen. Und siehe, dieser ergriff den alten Charon im lecken Kahne, mit der Unterschrift: nondum. d. i. noch nicht! Wie paßte doch das zu den Wünschen des armen Pfarrer? – Indeß – er nahm das Glas, und trollte wieder nach der Wohnung der alten Sybille. Auf einmal stand er still. Frohes Lächeln schwebte gleich einem Sonnenblicke über sein Gesicht hin: gefunden! sprach er halblaut für sich selbst, trat in ein enges Nebengäßchen und schrieb mit seinem Bleistift eine kurze, aber deutliche Liebeserklärung in französischer Sprache auf die Rückseite des Schwalbenschwänzchens. Ihn belustigte die mehr als ovidische Verwandlung, zufolge welcher Anakreon in seiner Hand zum Apotheker und der grämliche Charon zum verliebten Merkur geworden war. Fröhlich trat er nun ein in die enge Wohnung, die ihm zur Hälfte wenigstens, – eine Engelburg schien. Er produzirte demüthig sein Heilmittel, und war so glücklich, Lischen das gleich einem Heiligenschein von ihm um Charons Haupt geschriebene: tournez la feuille D. i. kehre das Blatt um. bemerklich zu machen. Und wäre diese wohl ein Mädchen gewesen, wenn sie den Streich nicht gemerkt, und nicht erröthend sich abgewandt hätte, während er der Alten das Bild ganz ernsthaft erklärte?

11. Das Papier im Fadenknäuel

Ein Schritt war also gethan. Aber was war dem guten Pastor gewonnen? »Welche Antwort wird wohl das liebe Kind mir ertheilen? Auf welchem Wege werd' ich sie erhalten? Wie soll ich vernehmen, mit was für Augen sie mein rasches Thun betrachtet?« Diese und ähnliche Fragen quälten ihn nicht wenig. Umsonst suchte er auf einem einsamen Spaziergange seine gestörte Gemüthsruhe wieder zu finden. Umsonst überlas er alle seine mit Sprüchen alter Weisen beschriebenen Zettel, die er, als geistliche Hausapotheke überall mit sich trug. Alle Weisheit ward für diesen Augenblick zu Schanden. Das aufgeregte Herz behauptete nun einmal seine Rechte; und Alles, was das arme Männchen über sich vermochte, war das Geständniß, daß er lieber an den blauen Himmel als in Lischens blaue Augen hätte gucken sollen; – daß er besser gethan hätte, den ganzen Handel gar nicht anzufangen; – daß er .... Aber hier stand schon wieder das freundliche Wesen vor seinem Blicke, und mit vor die Brust geballten Händen seufzte, er: »Ach, Himmel, ich konnte ja nicht anders!«

Unruhig erschien er an der Mittagstafel seines Gönners. Das muntere Tischgespräch des alten Herrn, die mancherlei Jugendstreiche in der Gesellschaft von Krause dem Vater einst verübt, und dem Sohne mit jovialischem Muthwillen erzählt, der kräftige, nicht sparsam gespendete Wein, und die dabei von Seite des ehrenfesten Rathsherrn so herzlich angebrachte Gesundheit: »Auf stete gute Freundschaft zwischen uns beiden!« das Alles erheiterte doch endlich den liebekranken Pastor; ja er faßte die Hoffnung, im Nothfalle an dem wackern Vormunde wohl gar einen kräftigen Alliirten für die wichtigste Angelegenheit seines Lebens zu gewinnen.

Im Gange seiner Geschäfte gerieth er Nachmittags in die Gesellschaft zweier alten Jungfern, bei denen er neben andern Bedürfnissen auch Faden zum Heften seiner Schreibereien einkaufte. Freundlich ward er ins Zimmer genöthigt und sogar eine Tasse Kaffee ihm angeboten. Aber wie stutzte er, als drinnen seine Huldin auf dem Ruhebette saß, emsig strickend, doch freundlich ihn begrüßend. Ohne die lauschenden Späherblicke der beiden alten Jungfern, ohne das sichtbare Erröthen des überraschten Mädchens hätte wahrscheinlich Krause sich vergessen und wäre – mit der Thür ins Haus gefallen. Jetzt hielt er an sich, gewann Kraft zu einem gleichgültigen Gespräche und bat im Verfolge desselben das freundliche Mädchen, den eben gekauften Faden ihm in einen Knäuel zu winden, damit er weniger sich verliere. Er suchte in seinen Taschen nach einem schicklichen Stückchen Papier zur Unterlage. Aber während die gefälligen Jungfern eben draußen mit ihrem Handel beschäftigt waren, ergriff Lischen mit sichtlich zitternder Hand und neuem Erröthen ein zusammengelegtes Papier aus ihrem Strickbeutel und wickelte in sorglicher Hast den Faden darüber. Hoch pochte Krausen das Herz. Wie gerne hätte er gefragt! doch wie durfte er? Aber fest hielten seine Blicke auf sie, die, im Purpur der Verlegenheit glühend, schöner war als sonst. Er wollte in ihrem Blicke lesen, ob eine Antwort für ihn darin, und ob Ariadnes rettender Faden ihm geboten sei. Aber sie blickte nicht auf. Sie bot – die Lauscherinnen waren eben wieder eingetreten – freundlich den Knäuel ihm dar und nahm von einer schlagenden Wanduhr, wie sie sagte, gemahnt, ihren Abschied. Auch Krause entfernte sich, und rannte lange nach einem heimlichen Winkel umher, wo er unbemerkt den Knäuel abwinden und das Innere desselben erforschen könnte. Die hoch gelegene Kirche bot ihm in ihrer Vorhalle eine Zuflucht. Mit zappelnder Hast wickelte er den Faden ab, faltete das Papierchen aus einander und las: »Dankbarkeit und Pflicht binden mich an meine Tante. So lange diese lebt, kann und will ich Niemanden auf solche Fragen antworten.«

Kalt und warm krabbelte es um das Herz des ehrlichen Krause herum. Ich würde umsonst versuchen, das Gewirr der sauern und süßen Empfindungen hier zu malen, deren wogender Kampf ihn bis zum Einbruche der Dunkelheit auf seiner einsamen Stelle festhielt. Genug, er hielt sich an das reine Resultat, daß für ihn zwar in diesem Augenblicke nichts zu hoffen sei: aber doch, auch von keinem Andern etwas zu fürchten. Oder warum hatte sie sonst das: Niemanden unterstrichen? Heilig bewahrte er also dieß Billet und legte es, zu Hause angelangt, in das geheimste Schubfach seines Schreibpultes.

12. Der Neujahrwunsch.

Hatte der in A... neuerworbene Gönner, der Herr Rathsherr und Polizeidirektor, unsern jungen Pastor überhaupt um seiner einsamen, von aller Welt abgeschiedenen Lage willen bedauert, so war ihm das besonders aufgefallen, daß Alles, was etwa seit der Zeit seines Antritts zu Flühdorf im lieben Vaterlande begegnet war, ihm eben so fremd und neu vorkam, als wäre es in Ost- oder Westindien vorgefallen. Er schalt den Pastor um seiner unverzeihlichen Gleichgültigkeit willen aus, und gab sich erst dann zufrieden, als dieser ihm erklärte, wie alle seine Freunde in der Welt herum zerstreut, und von ihm geschieden seien, er aber keine Verwandten und Bekannten habe, die sich der Abgeschiedenheit eines armen Bergpfarrers annehmen möchten. – Da trieb der alte Herr seine Mütze rund um auf dem glänzenden Schädel und sprach: »So muß ich denn selbst noch in meinen alten Tagen ein Zeitungsschreiber werden! Sei es drum: ich will durch Kürze und Wahrheit allen Andern den Rang ablaufen.«

Und wirklich erhielt Krause von nun an fast jeden Samstag durch einen vom Wochenmarkte heimkehrenden Bauer einen Neuigkeitszettel, dessen bunter Inhalt und drollige Ausfertigung ihn meist herzlich belustigten. Zum billigen Dank für diese und andere Beweise des uneigennützigsten Wohlwollens hatte der Pfarrer aufs Neujahr seinem Gönner einen schönen Käse gesandt, und dafür eine Flasche Hypokras und etwas Zuckerbrod zurück erhalten nebst einem Zettel – Neujahrwunsch überschrieben. Aber welch' ein Inhalt! Man lese und denke sich das freudige Erstaunen des guten Pastors, als er folgende Knittelreime erblickte:

»Mein wohlehrwürdiger Herr Pastor,
Thut auf das rechte und linke Ohr!
Vernehmt, es hat dem Himmel gefallen,
Daß Tante Lise zu Tod ist gefallen!
Und ward begraben im kühlen Grund
Nach dreimal vier und zwanzig Stund.
Und also, mein lieber Herr Pfarrer Kraus,
Geb' Gott Euch eine liebe Frau ins Haus!
Ich biete Euch freundlich meine Hand.
Petrus der Gerber bin ich genannt.«

Und damit er ja nicht zweifle, daß der Herr Vormund von Allem bestens unterrichtet sei, so stand unten mit seiner Schrift: »Ein glückliches Neujahr wünscht Ihnen auch L. C.«

Der gute Pastor brachte seinen ersten Neujahrstag zwar noch völlig einsam, aber von Herzen fröhlich zu, die übrigen aber nicht mehr einsam und doch nicht minder fröhlich. Denn obgleich das verhängnißvolle Lotterieloos kaum die Einlage wieder gab, so hatte doch Er das beste gezogen, ein holdes Weib. Darum paradiren auch in seinem Wohnzimmer die zwölf Papierstreifen. zum Theil in originali, zum Theil in möglichst getreuen Kopien hinter Rahmen und Glase.


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