Sagen aus Wien
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Stoß im Himmel

Vor vielen Jahren lebte in Wien eine hochmütige, eitle Frau, die für nichts anderes Sinn hatte, als Luxus zu treiben und prunkvolle Gewänder zu tragen. Die besten und teuersten Stoffe mußten ihr vorgelegt werden, aus denen sie die allerschönsten auswählte, um sich daraus Kleider nach der neuesten Mode anfertigen zu lassen. Den ganzen Tag saß sie vor dem Spiegel, ließ den Haushalt von anderen besorgen und kümmerte sich um keine Kirche und keinen Gottesdienst. Ihr einziger Herzenswunsch war, alle anderen Frauen an Putz und äußerem Glanz zu übertreffen.

Einmal ging sie in höchstem Staat an einem Bild der Gottesmutter vorüber. Ihr grenzenloser Hochmut, der Gedanke, die Schönste zu sein, verführte sie zu den spöttischen Worten: »Du mit deinem einfachen Gewand kannst mir nicht einmal das Wasser reichen. Laß sehen, ob du imstande bist, dir so herrliche Kleider zu verschaffen, wie ich sie trage!«

Einen Moment lang schien es der gottlosen Frau, als wende die Heilige Jungfrau empört ihr Gesicht zur Seite, doch hielt sie es nur für eine Sinnestäuschung und schritt mit stolzem Lächeln weiter. Aber schon in der folgenden Nacht erreichte sie die Strafe des Himmels für ihren frevelnden Hochmut. Gegen Mitternacht klopfte ein später Gast an die Tür ihres Hauses. Verwundert erhob sie sich, um nachzusehen, wer mitten in der Nacht bei ihr vorspreche. Da stand, auf einen Stock gestützt, eine alte Bettlerin auf der Schwelle des Hauses. Entrüstet schimpfte die feine Dame über die Frechheit des lumpigen Bettelvolkes, dessen Zudringlichkeit selbst in der Nacht keine Grenzen kenne. Doch die Alte ließ sich nicht abweisen. Stolz hob sie ihren Stock wie ein Zepter empor und sprach mit der Würde einer Königin:

»Du eingebildetes Weib, du bist ja eine Bettlerin gegen mich! Was wollen die armseligen Lumpen besagen, die dort in den geöffneten Kästen aufgehäuft sind! Laß dir einmal meine Schätze zeigen! Ich komme, um dir ein kostbares Kleid anzubieten, wie es keine Königin jemals getragen hat«

»Unverschämte Lügnerin«, rief die stolze Frau, »du willst Prachtgewänder besitzen und gehst in Lumpen gehüllt umher! Pack dich fort auf meinem Haus, sonst müßte ich die Hunde auf dich hetzen!«

Ruhig zog die Alte aus einem geflickten Henkelkorb, den sie auf dem Arm trug, ein wundervolles Gebilde hervor und breitete es vor den Augen der erstaunt zurückweichenden Frau aus. Es war ein Prachtgewand aus Samt und Seide, flimmernd von Gold und Edelsteinen. Dazu wies sie noch einen Schleier vor, in dessen Gewebe die Sterne des Himmel eingeschlossen schienen, so strahlte und funkelte das feine Gespinst. Um die Bekleidung zu vervollständigen, lagen noch Gürtel, Haube und ein Paar kostbare Schuhe im Korb, alles von einer Pracht, daß sich keine Fürstin dessen zu schämen brauchte. Als die eitle Dame diese Herrlichkeiten sah, änderte sie plötzlich ihr Benehmen. Nun suchte sie nach den freundlichsten Worten und bat und beschwor die armselige Alte, ihr das prachtvolle Kleid zu überlassen; kein Preis werde ihr zu hoch sein, den jene verlangen wolle.

»Kein Preis zu hoch?« fragte die Alte mit überlegenem Grinsen. »Aber du hast ja nichts mehr, du hast doch dein ganzes Geld schon für Kleider und Tand vergeudet.«

»Es ist wahr«, meinte erschrocken die Stolze, »aber ich muß das Kleid haben. Ich will alles, was ich besitze, zu Gold machen und es dir geben; laß mir das Kleid!«

»Ich will dir einen Vorschlag machen«, entgegnete die Bettlerin nach einigem Überlegen. »Dein Gold brauche ich nicht, ich habe selbst genug davon. Ich will dir das Kleid für drei Tage und drei Nächte borgen, und du gibst mir als Lohn, was in der dritten Mitternacht von dem Kleid bedeckt sein wird.«

Die eitle Frau, die den Sinn dieser Worte nicht richtig verstand und überdies glaubte, die Alte rede irr, versprach alles, was die Bettlerin verlangte, nur um ihre Begierde erfüllt zu sehen. So erhielt sie das Gewand. Drei Tage und drei Nächte prunkte sie stolz in dem neuen Gewand, um das sie von den vornehmsten Frauen beneidet wurde; denn nirgends in der ganzen Stadt fand sich ein Kaufladen, der so herrliche Stoffe, so feine Gewebe, so kunstvolle Stickereien angeboten hätte.

So kam die Mitternachtsstunde der dritten Nacht heran. Nun erinnerte sich die Frau des Lohnes, den die Alte für das Kleid gefordert hatte, und begann darüber nachzudenken, was jene wohl mit Ihren Worten gemeint haben könnte. Je länger sie aber nachdachte, desto unheimlicher wurde ihr zumute. Allerlei dunkle Besorgnisse und schreckhafte Bilder drängten sich der Frau auf. Endlich wurde ihr klar, das Kleid müsse höllischen Ursprungs sein. Von Entsetzen gepackt und von tiefer Reue ergriffen, beeilte sie sich, das Prunkgewande vom Leibe zu streifen. Aber wie angegossen saß es fest und spottete jeder Bemühung. Nun versuchte sie, es in Fetzen zu reißen, um es vom Leib zu bekommen – umsonst, der Stoff, in der Hölle gewebt, war nicht zu zertrennen. Dabei kam die Stunde der Mitternacht immer näher heran. Wie von Sinnen rannte die Unglückliche in ihrem Zimmer auf und ab, gekleidet wie eine Fürstin, jammernd wie eine elende Bettlerin.

Da ertönten zwölf Schläge vom Turm; angsterstarrt lauschte die Frau. Kaum war der letzte Schlag verklungen, tat sich die Zimmertür auf, und die zerlumpte Bettlerin schritt über die Schwelle.

»Liebes Schätzlein«, rief sie spöttisch, »du hast mir zum Lohn versprochen, daß mein sein soll, was zu dieser Stunde von meinem Kleid bedeckt ist. Nun bist du es selbst, mein Kind, und daher bist du mein!«

Flammende Röte erhellte das Gemach, an Stelle der Alten stand plötzlich der Teufel vor ihr und streckte lachend seine Klauen nach der armen Sünderin aus. Im Nu verwandelte sich das gleißende Kleid; der rote Samt wurde zu Blut, die Goldstickerei zu rötlichen Flammen, das Silberne der Sterne loderte in feurigen Zungen empor, es knisterte und brannte um den Leib der verzweifelt gegen die Hölle sich sträubenden Frau. Schon wollte der Teufel seine Beute ergreifen, als ein heftiger Stoß die Frau seinen Krallen entriß. Das brennende Kleid fiel herab, in leuchtendweißem Gewand wurde die Reuige, die in letzter Stunde sich bekehrte, gegen Himmel gehoben. Ein Kreuz und ein Bildnis der Heiligen Jungfrau, das unter dem höllischen Gewand auf der Brust der Sünderin geruht, hatten sie vor der ewigen Verdammnis gerettet. Sie gaben der Frau gleichsam »einen Stoß in den Himmel«, damit sie nicht in die Hände des Höllenfürsten falle.

Die ehemals so stolze Frau ging in ein Kloster, wo sie büßend den Frieden der Seele fand und, mit dem Himmel versöhnt, nach vielen Jahren in die ewige Ruhe einging.

 


 


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