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An Feiern und Festlichkeiten gab es im alten Wien keinen Mangel. So wurde einmal vorzeiten die Hochzeit eines reichen Kaufmannssohnes gefeiert, und Aufzüge und Lustbarkeiten aller Art halfen das Fest verschönen. Spielleute, Gaukler und fahrendes Volk taten das Ihre, um die genußfreudigen Wiener zu unterhalten, und eine Menge von Bettlern suchte Gewinn aus der allgemeinen Festesfreude zu schöpfen. Aber es schien, daß doch nicht jeder von diesen mit der Ausbeute des Tages zufrieden war: denn dort an den Stufen der Peterskirche stand ein buckliger Bettelmann, der zwar den ganzen Tag fleißig seinen Hut hingestreckt und in mitleidheischem Ton um milde Gaben gefleht hatte, der aber nun mit grimmiger Miene in seinen schäbigen Hut starrte, einige Münzen in seiner zerlumpten Gewandung barg und mit einem Fluch den Hut auf den Kopf stülpte. »Sind doch ein elendes Pack, diese Wiener Kaufleute!« knurrte er unwillig. »Wollen selbst im Überfluß leben, bestehlen und betrügen ihre Mitmenschen, stellen protzig ihren Reichtum zur Schau und denken nicht daran, den andern auch leben zu lassen und einem armen, kranken Mitmenschen ein wenig Festesfreude zu bereiten. Da möchte ich doch lieber den Teufel selbst um ein Almosen bitten als dieses hochmütige, hartherzige Krämersgesindel.«
Vor sich hin murrend, wollte er seinen Standplatz verlassen, als er ein kleines hinkendes Männlein in grünem Samtgewand mit schwarzem Hut und roter Feder bemerkte, das sich zu ihm gesellte. Weil der Bettler sah, daß der Kleine in die Tasche griff, erhoffte er eine milde Gabe und sprach den Fremden darum an Der aber hieß ihn mitkommen, führte ihn in eine stille Seitengasse und zog eine kleine Raspel aus seinen Kleidern hervor. »Du sollst sehen«, sagte er, »daß der Teufel wirklich nobler ist als deine Mitmenschen, über die du gerade so geflucht hast Sieh, da habe ich ein kleines Werkzeug, das mehr wert ist, als mancher schwere Taler und deiner Not ein Ende bereiten wird, wenn du mir Gehör schenkst Du brauchst dir damit nur über die Lippen zu fahren und dabei zu sagen ›Schab den Rüssel!‹, und sogleich wird dir ein Goldstück vom Mund fallen.«
Verwundert hatte der Bettler der Rede des Grünrockes gelauscht, unverwandt betrachtete er die kleine Raspel.
»Versuch es nur einmal!« sagte der Kleine aufmunternd, »du wirst meine Worte bestätigt finden.«
Ungläubig nahm der Bettler das Werkzeug in die Hand und tat, wie ihn der Teufel geheißen hatte. Zwar brannten ihm die Lippen von der schabenden Bewegung der Raspel, aber der helle Klang eines glänzenden Goldstückes, das von seinem Mund auf das Straßenpflaster kollerte, übertönte den brennenden Schmerz. Hastig bückte er sich nach dem Goldstück, dann versuchte er die neue Kunst noch einmal, und wieder klirrte eine goldene Münze zu Boden. Mit glänzenden Augen fragte er den Teufel: »Und wie oft kann man dieses Kunststück wiederholen?«
»Sooft du willst und solange es dein Mund aushält«, erwiderte der Teufel. »Diese Raspel hat aber noch eine andere Eigenschaft. Wenn dir jemand zu nahe tritt oder dir Übles will, so brauchst du nur zu sagen ›Schab den Rüssel?‹, sogleich wird die Raspel deinem Widersacher übers Maul fahren, daß ihm Hören und Sehen vergeht Freilich«, fuhr der Grüne fort, »versteht es sich von selbst, daß ich für dieses Wunderwerkzeug auch einiges von dir begehre, denn umsonst ist der Tod. Ich verhelfe dir zu Reichtum und Wohlergehen, und du sollst dein Glück sieben Jahre lang uneingeschränkt genießen. Du darfst aber während dieser ganzen Zeit weder beten noch in die Kirche gehen; nach Ablauf dieser sieben Jahre komme ich wieder und hole mir deine Seele. Sie soll mir gehören.«
Unserem Bettler lief zwar eine Gänsehaut über den Rücken, als er diese Bedingung hörte; aber das Reichsein war keine üble Sache, und das Unterlassen des Betens und des Kirchenbesuches sollte ihm auch nicht schwerfallen; denn damit hatte er sich auch schon bisher nicht allzuviel abgegeben. Freilich, seine Seele dem Teufel zu überantworten, schien ihm eine bedenkliche Sache zu sein? Aber, »kommt Zeit, kommt Rat«, dachte er und sah sich nach seinem Begleiter um, sein Einverständnis zu dem Vorschlag zu geben. Doch der war verschwunden.
Die Raspel im Hosensack fest umklammernd, lief der Bettler in die nächste Herberge, mietete eine Kammer und strich sich mit den Worten »Schab den Rüssel!« mit der Raspel über den Mund. Plumps, kollerte ein funkelnagelneuer Dukaten zu Boden, und wieder rief der Bettler »Schab den Rüssel!«, und abermals war er um ein Goldstück reicher; was tat es, daß jedesmal ein Stückchen Haut von seinen Lippen mitging. Bis zum Abend arbeitete der Bettler unermüdlich wie ein Handwerker und schabte sich einen schönen Haufen Goldstücke vom Mund. Am andern Tag begann er seine Arbeit von neuem, wenn auch seine Lippen gewaltig brannten und sein Mund binnen kurzem einem Rüssel ähnlich sah, der mit Schorf bedeckt war. Er mußte sich ein Tuch vor den Mund binden, wenn er sich auf der Straße sehen ließ, war er die Zielscheibe manchen groben Witzes.
Nach wenigen Wochen war er so reich, daß er sich ein schönes Haus bauen lassen und nach Belieben üppig und in Freuden leben konnte. Viele Abende verbrachte er im Kreise lustiger Zechgesellen im Wirtshaus und ließ dabei gar manchen seiner mit der Raspel erarbeiteten Goldfüchse springen. Wenn einer oder der andere seiner Zechbrüder im Übermut des Gelages ihn wegen seines Saurüssels gar zu arg verspottete, so ließ er ihm mit dem Zauberwort »Schab den Rüssel!« die Raspel über den Mund fahren, und augenblicklich verstummte der Spötter.
So gingen sieben Jahre dahin. Aus dem zerlumpten, mürrischen Bettler war ein vornehmer Mann geworden, der die ganze Zeit herrlich und im Überfluß lebte, ein prächtiges Haus sein eigen nannte, über zahlreiche Dienerschaft verfügte, die jeden seiner Wünsche und jede Anordnung pünktlich und aufs Wort befolgte, und dem alle Genüsse der Welt offenstanden. Auf diese Weise war der Nachteil des wunden Mundes durch sein gutes Leben reichlich aufgewogen.
Eines Tages saß der reiche Mann, mit sich selbst und der Welt zufrieden, im Lehnstuhl seines wohleingerichteten Wohnzimmers und sprach einem Gläschen feurigen Ungarweines zu. Da öffnete sich die Tür, und das kleine hinkende Männchen im grünen Samtrock betrat das Zimmer. »Was soll's? Was gibt es?« fragte der Hausherr unwirsch. »Man wende sich an den Kammerdiener!« – »Deine Zeit ist um«, erwiderte der Grüne, »komm und folge mir!«
Überlegen lachend blickte der Angesprochene seinen unwillkommenen Gast an und sagte: »Was heißt Zeit und dir folgen; für mich heißt's nur immer ›Schab den Rüssel!‹« Kaum hatte er das Wort gesprochen, da fuhr die Raspel aus dem Sack und dem Teufel übers Maul und raspelte, daß der Kleine stöhnend und jammernd von einem Fuß auf den andern hüpfte. Da half kein Flehen und Bitten, unaufhörlich raspelte die Raspel. Der Teufel hatte nämlich vor sieben Jahren vergessen, sich selbst von dem Schaben der Raspel auszunehmen.
Kniefällig bat er den Herrn Schabdenrüssel, ihn zu schonen und dem schmerzhaften Tun der Feile Einhalt zu gebieten. Aber erst als er seinem Peiniger wutschnaubend zwar, aber feierlich versprochen hatte, auf die Einlösung des Paktes zu verzichten, kam die Raspel zur Ruhe.
Unter Hinterlassung einer mächtigen stinkenden Schwefelwolke fuhr der Satan sodann bei der Tür hinaus, und Schabdemüssel erfreute sich zeit seines Lebens unangefochten seines Reichtums. So hatte sich der Teufel durch seine eigene Dummheit um eine Seele gebracht, die ihm schon sicher war.