Sagen aus Niederösterreich
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Der Wein aus der Burgruine Greifenstein

Ein armer Arbeiter aus Greifenstein feierte einst die Taufe seines siebenten Kindes. Weil man dem Taufpaten bei so einem Fest denn doch einen kleinen Imbiß und einen Schluck Wein vorsetzen muß, hatte er sich mit den letzten Groschen ein Krüglein Wein beschafft, das aber bald ausgetrunken war. Da sich's nun mit trockener Kehle gar nicht gut redet, der Geldbeutel des Mannes aber ganz leer war, wollte er doch wenigstens seinen guten Willen bezeugen, gab seinem ältesten Mädchen den Krug in die Hand und sagte: »Geh und hole uns Wein!« Und als das Kind Geld dazu haben wollte, meinte der Vater: »Du brauchst kein Geld. Geh zur Burgruine hinauf, dort wird man dir auch ohne Geld Wein geben; in den Kellern dort oben gibt's Wein zum Ertrinken!«

Die einfältige Kleine ließ sich das nicht zweimal sagen und lief hurtig zum Schloß auf dem Felsen. Die Dunkelheit brach schon herein; aber als sie zur Ruine kam, waren alle Fenster hell erleuchtet, und drinnen ging es gar lustig zu, obwohl die Burg schon seit Jahrhunderten unbewohnt war. Am Tor stand eine schöne weißgekleidete Frau, die an der Seite einen großen Schlüsselbund trug. Ohne lang zu fragen, nahm sie der Ankommenden das Krüglein aus der Hand und deutete ihr zu warten. Doch schon nach kurzer Zeit erschien sie wieder, übergab dem Mädchen den bis zum Rand gefüllten Krug und sagte:

»So mein Kind, hier hast du den Wein, und wenn dein Vater wieder nach einem guten Trunk Sehnsucht hat, soll er dich nur wieder herschicken. Er darf aber niemandem sagen, woher der Wein kommt«

Das Mädchen bedankte sich und lief mit dem vollen Krug nach Hause. Als man den Wein kostete, waren alle des Lobes voll über das herrliche Getränk. Schon am nächsten Festtag schickte der Vater seine Tochter wieder um den köstlichen Trunk nach der Burgruine, und wieder brachte das Mädchen ein Krüglein voll des edelsten Weins. Sooft in der Folge ein kleines Fest im Haus gefeiert wurde, bezog der Hausherr ohne Bezahlung seinen Wein aus dem Burgkeller. Immer erschien die weiße Frau dem Kind, das den Wein holte, und füllte das mitgebrachte Gefäß.

Einmal aber, als genügend Wein im Hause war und die Nachbarn rund um den Tisch saßen und dem guten Tropfen zusprachen, der aus dem Kruge rann, plauderte der arme Taglöhner das Geheimnis seiner Weinquelle aus. Als er dann am Abend seine Tochter nochmals zur Burg hinaufschickte, fand sie die sonst hell erleuchtete Ruine in düsterem Dunkel leer und verlassen; so lange sie auch wartete, die weiße Frau zeigte sich nicht mehr, weder an diesem Abend noch an den folgenden. Reuevoll erkannte der arme Mann, daß er sich durch seine Redesucht selbst um den guten Burgwein gebracht hatte.

 


 


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