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Herakles war ein Sohn Zeus. Seine Mutter hieß Alkmene und war die Gattin des Königs Amphitryon von Mykene, der eines Mordes wegen in Theben am Hofe König Kreons in der Verbannung lebte.
Die Göttermutter Hera, die Gemahlin des Weltenbeherrschers, blickte voll Haß auf den Neugeborenen und suchte ihn zu verderben. Sie sandte zwei Schlangen an die Wiege des Knaben in Alkmenes Gemach, die ihn töten sollten. Als die giftigen Nattern seinen Hals umstrickten, erwachte Herakles mit einem Schrei. Um sich von dem lebenden Halsband, das sich immer enger zusammenzog, zu befreien, richtete er sich von seinem Lager auf, ergriff mit jeder Hand eine Schlange im Genick und erwürgte sie, noch ehe die erschrockene Mutter herbeigeeilt war, mit eigenen Händen.
Staunend standen die Eltern vor dieser Probe übermenschlicher Kraft. Sie sahen darin ein Wunderzeichen, in dem die Götter für ihres Sohnes Zukunft Großes offenbarten.
Schnell lernte Herakles alle Fertigkeiten, die einen Helden auszeichnen, und schon in jungen Jahren erschlug er einen mächtigen Löwen, der im Bergwalde Kithairon die Menschen und die Herden seines Vaters in Schrecken hielt.
Als Herakles einst an einer Weggabelung saß und darüber nachsann, welche Lebensbahn er einschlagen solle, kamen aus verschiedenen Richtungen zwei schöne Frauen auf ihn zu.
»Du bist unschlüssig, Herakles, welchem Lebensweg du folgen sollst,« begann die erste, die ein prächtiges Gewand trug. »Nimm mich als Freundin und Begleiterin, so werde ich dich die angenehmste und gemächlichste Straße führen. Alle Freuden, welche diese Erde zu bieten vermag, werde ich dir gewähren und Last und Sorge von dir fernhalten.«
Verwundert fragte Herakles nach ihrem Namen. »Wer mich liebt, nennt mich die Glückseligkeit«, antwortete sie und blickte ihn dabei begehrlich an; »meine Feinde, die mich herabsetzen wollen, nennen mich das Laster.«
Unterdessen war auch die andere Frau hinzugetreten. Sie trug ein schlichtes weißes Gewand, und ihr Wesen war bescheiden und gesittet. »Du mußt wissen, Herakles,«, sprach sie mit ruhiger und fester Stimme, »daß die Götter nichts ohne Verdienst schenken. Ich kann dir keine lockenden Traumbilder vorgaukeln; denn nur nach Kampf und Mühen erreicht der Mensch ein hohes Ziel. Folge dem Guten und Großen, so wirst du durch Arbeit und Schweiß Ruhm und Ehre erlangen.«
»Wie ist dein Name?« fragte der junge Held.
»Ich bin die Tugend«, antwortete sie. Da reichte Herakles ihr ohne Zögern die Hand und verschrieb sich damit einem Dasein, das vom Menschen Tapferkeit und Lebensmut verlangt.
Aus freiem Willen übernahm es Herakles, das thebanische Land von einem schweren Tribut zu befreien, den der mächtige Nachbarkönig alljährlich verlangte. Zum Dank gab König Kreon ihm seine Tochter Megara zur Frau, und in glücklicher Ehe lebte Herakles nun mit seiner schönen Gattin, die ihm drei Söhne gebar.
Doch die stolze Hera sann immer noch auf Rache. Sie gönnte dem jungen Helden nicht das Eheglück und erreichte es durch List im Rate der Götter, daß Herakles dem König Eurystheus von Mykene untertan und dienstbar wurde. Zwölf Arbeiten, so verkündete das Orakel zu Delphi, habe er für den König zu vollbringen.
In erbittertem Trotz wollte Herakles sich gegen solches Gebot auflehnen, da es ihm unwürdig schien, einem Geringeren zu dienen. Das verletzte Selbstgefühl steigerte seinen Zorn, und er verfiel schließlich in so wilde Raserei, daß er sein Weib und seine Kinder für Riesen hielt und sie mit seinen Pfeilen tötete. Als dann der furchtbare Wahn von ihm wich und er seinen Irrtum erkannte, mied er, tief bekümmert über sein schweres Unglück, die Menschen. Erst als die Zeit seinen Schmerz linderte, entschloß er sich, zur Sühne für seine Tat, die ihm befohlenen Arbeiten auszuführen.
»Jedem Sterblichen werden diese Arbeiten den Tod bringen« hatte die Priesterin des Apollinischen Orakels offenbart; »nur wer ausdauernde Geduld und beharrlichen Mut zeigt, darf auf die Hilfe der Götter vertrauen!«
Die erste Arbeit, die König Eurystheus von Herakles forderte, bestand darin, das Fell des Nemeïschen Löwen herbeizuschaffen. Das gefährliche Raubtier hauste in einem Tal des Peloponnes und verbreitete Angst und Schrecken auf der ganzen Halbinsel. Es hatte ein so dichtes und zottiges Fell, daß es als unverwundbar galt.
Vergeblich schoß Herakles seine Pfeile ab. Sie ritzten nicht einmal die Haut des Löwen, der sofort zum Sprung ansetzte, als er seinen Feind entdeckt hatte. Da ließ Herakles unerschrocken den Bogen fallen, wickelte seinen Mantel um den linken Arm und ergriff mit der Rechten die Keule. Er traf den Löwen in den Nacken, daß dieser zu Boden stürzte, warf sich von hinten auf den Rücken des Untiers und preßte ihm mit seinen starken Fäusten die Kehle zu, bis es erstickte.
Dann zog Herakles dem toten Löwen das Fell ab und hängte es sich um, den Löwenkopf trug er seither wie einen Helm auf dem Haupte.
Schreckensbleich sah Eurystheus den göttlichen Helden heimkehren; in seiner Angst verbarg er sich vor ihm und ließ ihm fortan seine Befehle durch einen Boten überbringen.
Als zweite Arbeit sollte Herakles die Hydra, eine Schlange mit neun Köpfen, die in der Landschaft Argolis hauste, töten. Mit brennenden Pfeilen jagte der Held sie aus ihrer Höhle hervor und griff sie mit seiner Keule an. Er konnte jedoch das Ungeheuer nicht überwinden. Für jedes erschlagene Schlangenhaupt wuchsen zwei neue hervor.
Da ließ Herakles von seinem Wagenlenker, der ihn zum Kampfplatz begleitet hatte, im Walde ein Feuer anzünden, und mit brennenden Bäumen sengte er jeweils die Wunde aus, so daß die Köpfe nicht nachwachsen konnten. So erschlug er ein Schlangenhaupt nach dem anderen, und bald lag das Ungeheuer tot am Boden. Herakles tauchte seine Pfeile in das Schlangengift und machte sie dadurch unfehlbar tödlich.
Ohne Dank vernahm Eurystheus, daß das Land von der schrecklichen Hydra befreit war. Er gönnte dem Helden keine Ruhe und stellte ihm als nächste Aufgabe, eine Hirschkuh der Göttin Artemis lebendig zu fangen.
Die Hindin, eine Schwester der Tiere, die die Jagdgöttin als Viergespann vor ihren Wagen zu schirren pflegte, besaß eherne Füße. Weder Hund noch Pferd vermochten sie einzuholen. Ein ganzes Jahr jagte Herakles vergebens. Dann gelang es ihm, die Hindin durch einen Pfeilschuß zu lähmen und sie in seine Gewalt zu bekommen. Auf seinen Schultern trug er sie fort und brachte sie lebend nach Mykene.
Bald darauf erhielt Herakles wiederum den Auftrag, das Land von einer Plage zu befreien: Diesmal war es ein wilder Eber, der im Gebirge Erymanthos in Arkadien die Menschen in Schrecken hielt und alles Land verwüstete. Herakles spürte den Eber im Waldesdickicht auf, trieb ihn mit Geschrei ins weite Schneefeld hinaus und fing das erschöpfte Tier, wie das Gebot lautete, bei lebendigem Leibe, mit einem Strick.
Auf seinen Schultern trug der glückliche Jäger den gefesselten Eber zu Eurystheus, der sich beim Anblick des Ungeheuers vor Schreck in ein ehernes Faß verkroch.
Der König schickte Herakles sogleich zu einer fünften Arbeit fort. Der Jüngling sollte den Stall des Königs Augias von Elis an einem Tag ausmisten. Es schien wahrlich eine Arbeit, die eines Helden nicht würdig war. Dreitausend Rinder hatten seit Jahren in dem Stall gestanden, und so hatte sich eine ungeheure Menge Mist angehäuft. Als der Held sich zu diesem schmutzigen Dienste anbot, konnte König Augias kaum das Lachen unterdrücken. Aber Herakles dachte nicht daran, sich durch schmachvolle Arbeit zu erniedrigen.
Um die Riesenarbeit zu vollbringen, brach er Löcher in die Stallwände, leitete den Fluß Alpheios, der nahe vorbeiströmte, in die Stallungen hinein und ließ die Berge von Mist hinwegspülen.
Immer neue Aufgaben ersann König Eurystheus, um den ihm verhaßten Helden zu demütigen; doch Herakles zeigte sich stets gehorsam und geduldig, wie er einst gelobt hatte.
Als sechste Arbeit vertilgte er die Stymphalischen Vögel in der Landschaft Arkadien, die mit ehernen Flügeln, Schnäbeln und Klauen schreckliche Verwüstungen unter Menschen und Tieren anrichteten. Als Herakles die unzählbare Schar dieser Vögel erblickte, stand er zunächst regungslos. Dann scheuchte er mit lärmenden Klappern die Tiere aus ihren unzugänglichen Schlupfwinkeln im Sumpfe hervor und tötete die meisten mit seinen Pfeilen; die übrigen flohen aus Arkadien und zeigten sich nie wieder.
Mit gleicher Entschlossenheit vollbrachte Herakles seine nächste Tat, als er den grimmigen Stier aus Kreta entführte. Der Meeresgott Poseidon hatte den Stier rasend werden lassen, weil König Minos ihm diesen als Opfergabe verweigert hatte. Gern gab Minos dem Helden die Erlaubnis, das gefährliche Ungeheuer zu bändigen. Mit unwiderstehlicher Kraft packte Herakles den Stier bei den Hörnern und brachte ihn zu Schiff nach Mykene.
Das war die siebente Arbeit.
Schon hatte König Eurystheus einen achten Auftrag bereit: Herakles sollte die Pferde des thrakischen Königs Diomedes herbeibringen. Diese schrecklichen, feuerschnaubenden Tiere nährten sich nicht von Hafer, sondern von den Fremden, die ins Land kamen. König Diomedes selber warf sie den Tieren zum Fraß vor.
Diomedes weigerte sich, seine Pferde herzugeben, doch sein Sträuben half ihm nichts. Herakles ließ ihn seine Untaten am eigenen Leibe entgelten und warf ihn den Pferden vor, nachdem er die Wächter in den Ställen überwältigt hatte. Da legten die Pferde plötzlich ihre Wildheit ab, und wohlbehalten landete der Held mit seiner Beute bei Eurystheus.
Mit seiner achten Arbeit hatte Herakles das Land von einer großen Plage befreit, und mit Ingrimm sah der hinterhältige Eurystheus, der dem Helden Schande und Verderben wünschte, ihn aus jedem Abenteuer nur stärker hervorgehen. Jetzt verlangte er als Geschenk für seine Tochter den edelsteinbesetzten Gürtel der Amazonenkönigin, den diese vom Kriegsgott Ares erhalten hatte. Er gab Herakles den Auftrag, das kostbare Kleinod herbeizuschaffen.
Als Herakles nach beschwerlicher Seefahrt das ferne Land erreichte, nahm ihn die Königin der Amazonen freundlich auf, und da sie Gefallen an dem kühnen Jüngling fand, versprach sie ihm auf seine Bitte ihren Gürtel als Gastgeschenk. Doch die unversöhnliche Hera hatte ihren Groll gegen Herakles noch nicht vergessen. In Gestalt einer Amazone mischte sie sich unter die Menge der Frauen und flüsterte ihnen zu: »Der Fremde will unsere Königin entführen!«
Schnell verbreitete sich das Gerücht, und zornentbrannt drangen die Amazonen auf Herakles ein. Erst nach hartem Kampf konnte er die Königin gefangennehmen. Da übergab sie ihm den Gürtel als Lösegeld und erhielt dafür die Freiheit.
Ohne dem Helden zu danken, nahm Eurystheus das kostbare Geschenk in Empfang. Auch gönnte er Herakles keine Rast, sondern drängte ihn zu einem neuen Abenteuer.
»Schaff mir die Rinder des Riesen Geryones herbei,« befahl er. Diese Rinder, die die schönsten der Welt waren, wurden von einem doppelköpfigen Hunde bewacht, und Geryones selber war wie aus drei Riesenleibern zusammengewachsen.
Dieses beschwerliche Unternehmen mußte dem Helden den Tod bringen! Eurystheus, Hoffnung aber war vergeblich, denn Herakles fuhr unverdrossen, bewaffnet mit Bogen und Keule, nach Libyen. Dort kämpfte er zunächst mit dem Riesen Antaios, der als unbesiegbar galt. Doch Herakles erkannte das Geheimnis des Antaios, der stets neue Kraft erhielt, sooft er die Erde, seine Mutter, berührte. Herakles hob ihn in die Höhe und hielt ihn mit seinen gewaltigen Armen umschlungen, daß der Riese den Erdboden nicht berühren konnte und so, ohne die Kraft seiner Mutter, unter den Fäusten des Helden erstickte.
Am äußersten Ende der Welt, wohin Herakles nach unendlichen Mühen gelangte, durchbrach er die Erdenge zwischen Europa und Afrika und vereinte das Weltmeer, den Atlantischen Ozean, mit dem Mittelmeer. Hier errichtete er die beiden »Säulen«, die seinen Namen tragen, die in der Straße von Gibraltar einander gegenüberliegenden Felsberge Kalpe und Abyla.
Schließlich landete der Held auf der Insel Erythia, auf der Geryones mit seinen Herden hauste. Der doppelköpfige Hund, der die Rinder bewachte, verendete bald unter Herakles, furchtbarer Keule. Doch als der Jüngling nun die kostbaren Rinder forttreiben wollte, trat Geryones selbst ihm in den Weg und suchte ihn am Raube zu hindern. Es kam zu einem harten Kampf; aber trotz seiner dreifachen Riesenkraft unterlag Geryones dem Helden, der ihn mit einem wohlgezielten Pfeilschuß in die Mitte des Leibes tötete.
Vielerlei Abenteuer hatte Herakles noch zu bestehen, bis er seine Beute dem Eurystheus übergeben konnte. Damit hatte er die zehnte Aufgabe erfüllt.
Als nächste Arbeit hatte Herakles die goldenen Äpfel der Hesperiden herbeizuschaffen. Vier Jungfrauen, die Hesperiden genannt, bewachten den prächtigen Baum, den Gaia, die Göttin der Erde, einst dem Zeus und der Hera zur Vermählung geschenkt hatte.
Aber wo sollte Herakles den Baum finden? Vergeblich fragte er jeden, den er traf, nach dem Wege zu den Hesperiden. Nach mancherlei Zwischenfällen gelangte er in den Kaukasus, wo er Prometheus an einen Felsen angeschmiedet fand. Den Adler, der – wie jeden Tag – sich auf dem Felsen niederließ, um die Leber des von Zeus Verdammten zu fressen, erlegte Herakles mit seinen Pfeilen und befreite so den unglücklichen Dulder Prometheus von seinen Qualen. Von Prometheus erfuhr Herakles, daß der Garten der Hesperiden am westlichen Ende Afrikas zu suchen sei. Dort am Fuße eines Berges, wo der Riese Atlas das Himmelsgewölbe auf seinen Schultern trage, werde er die goldenen Äpfel finden.
»Geh aber nicht selber, die Äpfel zu rauben«, riet ihm der kluge Prometheus; »sondern sende den Riesen Atlas dazu aus!«
Herakles tat nach dem Rate des Prometheus, und er fand bei dem Riesen Gehör für seine Bitte. Während Atlas sich auf den Weg machte, stemmte der Held selber seine Schultern unter das Himmelsgewölbe und trug es mit seiner göttlichen Kraft. Nach geraumer Zeit war Atlas mit den Äpfeln, die er den Hesperiden abgelistet hatte, wieder zur Stelle.
»Ich habe jetzt empfunden, wie schön es ist, von der schrecklichen Himmelslast befreit zu sein« sagte er; »ich überlasse es dir, sie fernerhin zu tragen.« Damit warf er die Äpfel in das Gras und wandte sich zum Gehen.
Da mußte Herakles, um dem Riesen das Himmelsgewölbe wieder aufzubürden, zu einer List greifen. »So vergönne mir einen kurzen Augenblick Ruhe«, bat er, »daß ich mir einen Schutz um den Kopf winde. Die schreckliche Last will mir fast das Hirn zersprengen.«
Solchen Wunsch fand Atlas berechtigt und nahm das Himmelsgewölbe noch einmal auf seine Schultern. Herakles aber, von der Last befreit, machte den Betrüger zum Betrogenen, hob die Apfel auf und ging davon.
Eurystheus war es trotz seiner bösen Absicht nicht gelungen, den Helden zu verderben. Nun wählte der König als zwölfte Arbeit ein Abenteuer, das ihn – wie er hoffte – von dem Anblick des verhaßten Herakles auf immer befreien sollte. Er trug ihm nämlich auf, Zerberus, den dreiköpfigen Höllenhund, den Wächter am Tor zur Unterwelt, aus dem Hades heraufzuholen.
Hermes, der Götterbote und Begleiter der abgeschiedenen Seelen, geleitete den Helden auf diesem gefährlichen Weg in das Reich der Schatten. Am Vorgebirge Tainaron stiegen sie zur Unterwelt hinab, ließen sich von Charon, dem Fährmann, in seinem Nachen über den Styx setzen und traten vor den Thron des Hades.
Herakles brachte seine Bitte vor.
»Wenn du meinen Wächter ohne Waffen zu bändigen vermagst«, erwiderte der Gott, »so magst du ihn mit dir nehmen.«
Das furchtbare Untier begann wild zu heulen, als der Held sich ihm näherte. Doch ohne Furcht vor dem scheußlichen Rachen, der unaufhörlich Gift und Geifer spie, packte Herakles das schreckliche Ungeheuer mit übermenschlicher Kraft; vergeblich peitschte es ihm mit seinem Schlangenschweif unaufhörlich die Füße.
Voller Entsetzen verkroch sich Eurystheus, als er den gefesselten Höllenhund vor sich sah, und befahl, ihn sogleich in die Unterwelt zurückzubringen.
Nach dem Beschluß der Götter war Herakles nun von seiner Dienstbarkeit und der Pflicht gegenüber seinem Peiniger befreit, nachdem er treu und geduldig alle zwölf Aufgaben erfüllt hatte.
Endlich schien ihm ein freundliches Schicksal beschieden zu sein; denn nach vielen Abenteuern und Kämpfen heiratete er die schöne Deïaneira, die Tochter des Königs von Aitolien. Erst nach hartem Wettkampf mit dem Flußgott Acheloos, der ebenfalls um Deïaneira warb, hatte Herakles sie zum Weibe gewinnen können.
Doch nur kurz war das Lebensglück, das dem Helden vergönnt war. Auf der Reise nach Theben mußte er mit seinem jungen Weibe einst über einen Fluß setzen, an dem Nessos, ein Kentaur, als Fährmann tätig war. Der Kentaur erbot sich, Deïaneira hinüberzutragen, und ohne Bedenken vertraute Herakles sie ihm an. Jenseits des Flusses wollte das ungeschlachte Doppelwesen, von Deïaneiras Schönheit betört, ihr ein Leid antun. Herakles hörte ihre Hilferufe, spannte den Bogen und traf den Kentauren, der mit seiner Beute eben ans Ufer stieg, in den Rücken.
Nessos spürte bald, daß das Geschoß vergiftet war, und noch im Sterben sann er auf tödliche Rache.
»Fange das Blut meiner Todeswunde in einer Schale auf«, riet er Deïaneira, »und bist du einst der Liebe deines Gatten nicht mehr gewiß, so tränke sein Gewand damit. Niemals wird er dann eine andere lieben!«
Gutgläubig folgte die junge Frau seinem Wort. Wirklich glaubte sie einige Zeit später, an der unwandelbaren Liebe ihres Gatten zweifeln zu müssen, und schickte ihm für ein Opferfest ein neues Gewand, das sie mit dem Blute des Nessos getränkt hatte. Herakles legte es ahnungslos an; doch kaum erwärmte es seinen Körper, als ein brennender Schmerz ihn peinigte. In wildem, grimmigem Zorn wollte er sich die Kleider vom Leibe reißen; aber das unheilvolle Gewand haftete unlöslich auf seiner Haut.
Von qualvollen Schmerzen gepeinigt, sah Herakles den sicheren Tod vor Augen. Da meldete man ihm, Deïaneira habe sich voller Verzweiflung den Tod gegeben, als sie von der verderblichen Wirkung ihres Geschenkes gehört habe.
»Errichtet mir einen Scheiterhaufen!« gebot Herakles seinen Gefährten, und mit letzter Lebenskraft stieg er hinauf. »Zündet ihn an!« befahl er den Freunden; aber erst auf die beschwörenden Bitten des von Schmerzen bis zur Raserei Gepeinigten erwies man ihm diesen traurigen Liebesdienst.
Da zuckten aus dem Himmel Blitze hernieder und schlugen in den Holzstoß, der sogleich in lodernden Flammen stand. Dann senkte sich eine Wolke herab und trug den Dulder unter krachenden Donnerschlägen zum OIympos empor. Dort empfing ihn freundlich die Göttin Athene und führte ihn in den Kreis der Unsterblichen.
Nachdem sich Herakles, menschliches Schicksal erfüllt hatte, zeigte sich auch Hera zur Versöhnung bereit: sie gab dem Helden, der so unverdrossen durch alle Fährnisse des Daseins geschritten war, ihre Tochter Hebe, die ewig blühende Göttin der Jugend, zur göttlichen Gemahlin.