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Der noble Schuster

Ernst Constantin

I. Kapitel
Die drei Handwerksburschen

Früher, als noch Wunder auf unserer schönen Erde geschahen, gingen einmal drei Handwerksburschen durch den Wald im Erzgebirge. Alle drei waren auf der Wanderschaft und hatten sich von ungefähr zusammengefunden.

Der eine war ein langer, dünnbeiniger Springinsfeld, dem seine Frackschöße bei seinen Seiltänzerschritten lustig um die großkarrierten Hosen schlugen; sein mageres Gesicht, aus dem ein paar listige Augen blitzten, war mit einem extraschönen, spitzigen Ziegenbart geziert.

Meine lieben Leser werden aus der Beschreibung schon gemerkt haben, daß er nach seinem Äußern ein Schneider sein mußte, und das war er auch.

Der zweite war ein Schmied. Er war sehr groß und breit und riesenstark; sein Anzug bestand aus einer blauen Bluse, schmierigen, schwarzen Lederhosen und groben Stiefeln, aus denen die Zehen neugierig hervorschauten. Auf seinem breiten Rücken hing ein gewaltiges Felleisen, das schwer herab hing, denn der Schmied führte sein Handwerkszeug, einen Ambos, verschiedene Hämmer, Zangen und einen Blasebalg mit sich.

Was nun den dritten Handwerksburschen betraf, so war er ein Schuster, aber ein feiner Schuster. Er trug ganz funkelnagelneue Kanonenstiefel, wie sie die Studenten zu tragen pflegen, einen langen Rock, welcher noch vom Vater herstammte, und an welchem er die Messingknöpfe blank wie ein Spiegel geputzt hatte. Er allein trug einen schönen, reinen Hemdkagen, um welchen er eine rote Kravatte gar kunstvoll geschlungen hatte. –

Auf seinem Rücken hing ebenfalls ein Felleisen, das auch sehr groß und geräumig war, denn er hatte neben seinem Werkzeug auch viel grobes und feines Leder mit eingepackt, damit er bei Gelegenheit gleich ein paar Stiefeln machen könne. Außerdem hatte er noch des Schneiders Bügeleisen in seinem Ranzen, weil es diesem zu schwer war, oder auch, weil er zu faul war, es zu tragen. Dafür mußte aber der Schneider für ihn betteln, wenn das Essen klamm wurde, was der gebildete Handwerksbursche fechten nennt, denn der feine Schuster war zu stolz dazu.

Alle drei trugen die damals üblichen, faltigen Zilinder aus Wachstuch, die oben am Rande breiter waren, als dort wo sie auf der Krempe aufsaßen; ebenfalls hatte jeder einen gewundenen Knotenstock in der Hand; der Schmied natürlich den dicksten und der Schneider den dünnsten.

So zogen sie denn alle drei dahin, ehrlich, treu, und von Zeit zu Zeit eine Schnapsflasche herumgehen lassend, wie es alle deutschen Handwerksburschen thun.

»Schmied, hast du noch was zu essen,« fing der Schneider an, »ich habe jämmerlichen Hunger und der Magen hängt mir fast bis in die Schuhsohlen herab.«

»Nein,« sagte der Schmied, »habe auch nichts mehr und übrigens eben so großen Hunger wie du.«

»Wenn nur bald ein Dorf käme, welches wir mit unserer Gegenwart beglücken könnten, aber der verwünschte Wald nimmt gar kein Ende.«

»Lauft nur ruhig eurer Nase nach, sie wird schon irgend wohin kommen, wo sie sich hineinstecken kann; denn wo ein Weg ist, müssen auch Menschen gegangen sein und jeder Weg hat ein Ziel; übrigens wünscht nur nicht an ein Schloß zu kommen, denn mit eurer lumpigen Toilette werdet ihr nicht im Staatszimmer empfangen werden.«

»Schaut doch den Pomadenhengst,« rief der Schneider, »thut er doch als wäre er ein Graf und ist doch nur ein Schuster.«

»Aber ein Damenschuster,« fiel der Schmied ein, »den der Umgang mit Damen gebildet hat.«

»Spottet nur,« entgegnete der Schuster, »reinlich und ordentlich zu sein ist keine Schande, und du Schneider, kannst dein Bügeleisen selber tragen wenn du mich noch einmal beleidigst und mir solls gleich sein, wenn du nicht mit fortkommst.«

Daß er sein Bügeleisen selber tragen sollte, davor hatte der Schneider eine Höllenangst, weshalb er auch stille schwieg und nur meinte, er müsse doch den Schuster sozusagen mit ernähren, da ihn seine Noblesse verhindere, fremde Leute um eine Wegzehrung anzugehen.

Der Schmied hatte es ihm früher getragen, doch nach einem kleinen Streite hatte er sich geweigert, es fernerhin zu thun. –

Als die drei Kumpane mit knurrenden Magen noch eine Weile gelaufen waren, kamen sie an eine Höhle, vor der ein Glöcklein hing. Sogleich vermuteten sie richtig, daß hier ein Klausner oder Eremit wohnte. Freilich war bei einem solchen nicht viel zu holen, doch in der Not frißt der Teufel Fliegen.

Gar bescheiden klopften sie an das Pförtlein und bald darauf kam der fromme Mann heraus. Nachdem er ihnen Gottess Segen erteilt hatte, frug er nach ihrem Begehr. Der zungengewandte Schneider erzählte nun mit einer wahren Jammermiene, daß sie sich in dem großen Walde verirrt hätten und vor Hunger fast umgekommen wären, wenn sie nicht ein Engel Gottes an diesen heiligen Ort geführt hätte. Der fromme Mann möge sich ihrer erbarmen und sie vom Hungertode retten.

Nachdem der Eremit ihn stillschweigend angehört hatte, entgegnete er: »Mein Sohn, du sprichst viel und unnütz; dein vieles Reden führt dich ab von der strengen Warheit, ich rate dir, in Zukunft die Worte, die du sprechen willst, besser abzuwägen.«

»Jetzt kommt,« sprach er dann zu ihnen, »ihr sollt ein Süpplein haben und Maisbrot, das euren Hunger hoffentlich stillen wird.«

Der Eremit ging voran und die Handwerksburschen folgten. Alle drei sahen sich einander an und der Schuster und der Schmied lachten den sprachgewandten Schneider heimlich aus.

Der Klausner führte sie an einen roh gearbeiteten Tisch, hieß sie setzen und brachte eine Kräutersuppe in einer gewaltigen Schüssel getragen, ebenso ein großes Maisbrot. Jedem der drei Handwerksburschen legte er einen Blechlöffel hin und forderte sie auf, mit ihren Taschenmessern sich Brot abzuschneiden und tüchtig zu essen. Diese ließen sich auch nicht lange nötigen und aßen nach Herzenslust, zumal die Suppe ausgezeichnet duftete und herrlich schmeckte; endlich waren sie gesättigt und einer nach dem anderen bedankte sich bei seinem ernsten Wirt. Sie glaubten jetzt weiter ziehen zu können, doch der finstere Mann in der Kutte sagte: »Auch ich habe eine Bitte an euch. Ich weiß, du bist ein Schuster, du ein Schmied und du ein Schneider; ihr sollt mir etwas arbeiten, dessen ich bedarf, doch erst legt euch schlafen, denn das Wandern wird euch müde gemacht haben.« Mit diesen Worten zeigte er in eine Ecke der Höhle, in der weiches Moos ausgebreitet war. Der Ernst und die Entschiedenheit, mit welcher der Eremit sprach, ließ keine Weigerung zu und mit dem Schlafen waren sie übrigens ganz einverstanden. Bald lagen alle drei im süßesten Schlummer und jeder hatte einen merkwürdigen Traum.

Dem Schmied träumte, er sei Besitzer einer großen Machinenfabrik und ein angesehener Mann.

Dem Schneider träumte, er wäre Meister und mehr als hundert Gesellen arbeiteten in seiner Werkstätte.

Der Schuster träumte auch, aber nicht, daß er eine große Schusterei habe, sondern er sei ein Ritter mit großer Länderei, deren Einwohner er mit Verstand und Fleiß regiere.

Nach einiger Zeit wachten sie auf und fragten den Eremiten was sie für ihn machen sollten.

»Nicht viel,« sagte dieser. »Du Schmied sollst mir diesen Christus an meiner Wand befestien, dazu mußt du aus diesem Stück Eisen drei Haken schmieden und sie in die Steine befestigen.«

Der Schmied ging gleich an die Arbeit. Er schnürte sein Felleisen auf, stellte den Ambos zurecht, legte Hammer und Zange daneben und fachte mit seinem Blasebalg ein mächtiges Feuer an und begann zu schmieden.

Zum Schneider hatte der Eremit gesagt: »Ich habe eine sehr zerrissene Kutte, die sollst du mir wieder ausbessern.«

Der Schneider zog aus seinem kleinen Felleisen eine Nähnadel und den nötigen Zwirn hervor und nähte tapfer darauf los.

Der Schuster hatte den Auftrag erhalten ein Paar neue Sandalen mit den dazu nötigen Riemen zu schneiden. Dieser holte sein Handwerkszeug ebenfalls heraus nebst Leder, und bald hatte er ein Paar Sandalen mitsammt den Riemen fertig. Der Schneider und der Schmied waren mit ihrer Arbeit noch nicht fertig, weshalb er aus langer Weile noch einen Leibriemen schnitt, ihn sauber einsäumte und ihn sammt den Sandalen dem Eremiten überreichte.

So wurden sie mit ihrer Arbeit ziemlich gleich fertig und der Klausner bedankte sich bei allen dreien und händigte jeden von ihnen einen ledernen Beutel ein, indem er sagte:

»Hier habt ihr jeder ein Andenken von mir, das euch, wenn ihr euch bestrebt immer klug und nach dem Worte Gottes zu leben, Glück und Segen bringen wird; verlaßt ihr aber den Weg des Rechten, so wird euch dieses Geschenk nicht zum Glück gereichen.

Außerdem ist es nötig, daß ihr fleißig seid und bei eurem Handwerk bleibt, wenn euch das Geschenk von Nutzen sein soll. Für jeden Stich, jeden Schnitt, jeden Schlag, jeden Feilstrich und jeden Strich mit dem Bügeleisen werdet ihr einen Kupferpfennig in euren Beutel finden, doch müßt ihr mit dem Arbeiten etwas nützliches fertig bringen, denn wenn ihr zwecklos schlagt oder stecht, werdet ihr nichts im Beutel finden; verlaßt euch übrigens nicht zu sehr auf diese Beutel. So, nun geht, und der Herr sei mit euch!«

Die drei Handwerksburschen stammelten Dankesworte und mit krummen Rücken, in der einen Hand den Hut, in der anderen den Beutel und den gewundenen Knotenstock unter den Arm geklemmt, gingen sie mit unzähligen Verbeugungen hinterrücks zur Höhle hinaus. Draußen setzten sie wohlgemut ihren Weg fort, und unterhielten sich von ihrem Abenteuer in der Eremitenklause.

In jeden Beutel war eine Anzahl Kupferpfennige, der Lohn der Arbeit, die sie für den Klausner gethan hatten.

Nach einer Weile fing der Schneider an, ich werde einmal probieren, ob es mit unseren Beuteln seine Richtigkeit hat, damit schüttete er die Kupfermünzen in die Tasche, sodaß sein Beutel leer war. Dann zog er seinen Rock aus, nähte ein Loch zu und zählte dabei die Nadelstiche. Als er fertig war, steckte in dem Beutel eine Anzahl Pfennige, und als er sie nachzählte, waren es genau so viel, als er Stiche gemacht hatte.

»Nun hat die Not ein Ende, und wir wollen herrlich und und in Freuden leben!« riefen alle drei, und der Schneider setzte hinzu: »Wenn ich mir recht viel Pfennige erschneidert habe, werde ich eine große Werkstatt anlegen, mit mehr als hundert Gesellen, gerade so, wie ich es in der Höhle geträumt habe.«

»Mir hat auch etwas ähnliches geträumt, nämlich, daß ich Besitzer einer großen Maschinenfabrik sei,« sagte der Schmied.

Der Schuster ging stillschweigend nebenher und sagte kein Word, bis der Schneider rief: »He, Schuster, du träumst wohl jetzt noch von einer großen Stiefelfabrik in der du Herrscher bist?«

Da blickte der Schuster auf und sagte: »Allerdings habe ich auch, wie ihr, in der Höhle geträumt, doch nicht, daß ich Herrscher einer Stiefelfabrik sei, sonder Herrscher über Land und Leute.«

Da lachten seine beiden Gefährten, und der vorwitzige Schneider meinte, der feine Schuster müsse natürlich etwas Besseres haben.

»Männlein werde nicht so üppig,« rief er, »Schuster bleib bei deinen Leisten, heißt ein altes Sprüchword und ein anderes, Hochmut kommt vor den Fall; paß auf, daß du nicht auf den Narrenthron kommst.«

»Was spottet ihr abermals meiner?« Erwiederte der Schuster, »kann ich doch nichts dafür, daß mir in der Eremiten-Höhle dieser Traum erschienen ist. Das Schicksal ist oft launenhaft, so gut wie ihr hofft, daß eure Träume in Erfüllung gehen sollen, warum soll ich nicht dasselbe von den meinigen denken? Was nützen aber alle diese Reden, wir wollen an die Gegenwart denken wie wir das Geschenk des frommen Mannes am besten ausnützen.«

»Der Schuster hat recht,« ließ sich der Schmied hören, »du Schneider kannst dein loses Maul nie halten, trotzdem du dich noch der Worte erinnern wirst, die der Eremit dir auf deine schwungvolle, erbarmungswürdige Anrede entgegnete. Ich will euch den Vorschlag machen, wir mieten uns so bald als möglich ein Haus, in dem wir eine Schneider-, Schuster- und Schmiedewerkstätte errichten; dann arbeiten wir fest darauf los und werden in kurzer Zeit reiche Leute sein.«

»Der Schmied hat recht,« sagte der Schuster, und auch der Schneider war einverstanden damit.

Alle drei schritten unter Singen und heiteren Gesprächen rasch weiter. Nach fünf Stunden hatten sie das Ende des Waldes erreicht, an dessen Saume ein freundliches Städtchen lag, das den Namen ›Olbernhau‹ führte.

Freilich konnten sie sich nicht sofort ein Haus mieten, denn dazu hatten sie jetzt noch zu wenig Geld und, den Schuster ausgenomen, sahen sie ziemlich vagabundenmäßig aus, um allenfalls den nötigen Kredit zu bekommen, deshalb gingen sie in die Herberge, wo sie sich erst stärkten. Dann setzte sich der Schneider hin, und nähte den anderen anwesenden Handwerksburschen die Löcher in ihren Röcken umsonst zu, und der Schuster reparierte denselben die Stiefeln und Schuhe gratis. Der Schmied ging zu einem Schmiedemeister und fragte nach Arbeit, da derselbe aber keinen neuen Gesellen mehr einstellen konnte, so bat er ihn, er möchte ihn nur in seiner Werkstätte arbeiten lassen, er wolle nichts dafür verlangen.

So uneigennützige Leute hatten die Olbernhau'er Bürger noch nie kennen gelernt und viele brachten zerrissene Hosen, Stiefeln und zerbrochene Pflüge geschleppt, die alle von den drei Handwerksburschen repariert wurden. Diese wußten aber, daß sie dafür reichlich bezahlt wurden, wenn auch auf andere Weise, als die biederen Philister von Olbernhau dachten.

Ebenso wunderbar fanden sie, daß die drei immer mit funkelnagelneuen Kupferpfennigen auszahlten und es ging das Gerede, sie seien Falschmünzer und die hohe Ortspolizei hielt kraft ihres Amtes eine strenge Haussuchung, die aber selbstverständlich resultatlos verlief. Sie fanden nur eine beträchtliche Anzahl solcher neuen Pfennige und die drei ledernen Beutel. Diese konnten sie nicht confiscieren, weil die Polizei nicht nachweisen konnte, daß sie unrecht verdient seien.

Mit dem Gelde schafften sie sich schöne bürgerliche Kleider an, und mieteten ein Haus am Ende des Marktfleckens, wo sie ihre Werkstätten errichteten. Nun aber wurden sämtliche Schneider, Schmiede und Schuster in Olbernhau aufgebracht über diese billige Arbeit und sandten eine Deputation an die drei Handwerksburschen, welche halb bat, halb befahl, die Herren möchten sich doch ihre Arbeit bezahlen lassen, da ihre Olbernhauer Kollegen sonst die ganze Kundschaft verlieren würden.

Die drei Handwerksburschen, jetzt geachtete Leute, versicherten, daß sie sich von nun an ihre Arbeiten bezahlen lassen wollten, und froh über die Antwort, empfahlen sich die Abgesandten.

Trotzdem, daß sie sich von jetzt an ihre Arbeit bezahlen ließen, hatten sie doch alle drei vollauf Arbeit und da sie fleißig und thätig waren, so vermehrte sich ihr Vermögen in kurzer Zeit bedeutend.

Als sie ein halb Jahr in Olbernhau gearbeitet hatten und nach ihrer Meinung reiche Männer geworden waren, kam beim Schneider und beim Schmied der Größenwahn. Sie zogen fort, um in einer großen Stadt die geträumte große Schneiderei und die große Maschienenfabrik zu gründen. Vergebens riet der Schuster zu längerem Bleiben; vergebens stellte er Beiden vor, daß sehr geachtete Bürger von Olbernhau sie gern als Schwiegersöhne annehmen würden, doch die Beiden hatten große Rosinen im Kopfe. Sie schnürten ihre Bündel, mieteten einen Zweispänner, sagten ihrem Freunde Lebewohl und fuhren stolz wie die Prinzen zum Städtchen hinaus.

II. Kapitel
Vom Schuster zum Ritter

Der Schuster blieb, lebte schlicht und recht und hielt sich zwei Gesellen. Der Traum in der Eremitenhöhle kam ihm aber ebenfalls nicht aus dem Sinn; Ritter zu sein dünkte ihm weit besser als Schuster zu bleiben. Nun überlegte er sich, daß das Schicksal oft gar wunderbar spiele und es schien ihm doch nicht so unmöglich, ein Ritter zu werden, er dachte, jeder gemeine Soldat führt ein Komandostab im Tornister, warum könne seiner nicht der Ritterschlag harren? Weiter überlegte er, ein Ritter müsse aber noch mehr verstehen als er, deshalb kaufte er sich gute Bücher und studierte eifrig.

Nun war in der Nähe von Olbernhau ein Schloß, das Rauhenstein geheißen. Der alte Ritter hatte eine wunderschöne Tochter, die er aber eifrig hütete, damit nicht etwa ein Edelmann käme und sie als Gemahlin verlangte. Nun traf es sich, daß unser Schuster auf dem Rauhenstein verlangt wurde, um der schönen Thekla Schuhe anzumessen. Ob der großen Ehre, zog er seine besten Kleider an, legte blendend weiße Wäsche um, strich seinen schönen Schnurrbart und begab sich so, mehr einem Kavalier als einem Schuster ähnlich sehend, in das Schloß.

Die schöne Thekla empfing ihn, umgeben von ihren Frauen, und hielt ihm einen allerliebsten kleinen Fuß hin. Der feine Schuster machte eine gar ehrfurchtsvolle Verbeugung, so wie es die Prinzen und Ritter in den Büchern gemacht hatten, die er studierte, und ließ sich dan graziös auf ein Knie nieder. Als er daß liebliche Füßchen, das ein weißseidener Strumpf umschloß, in der Hand hielt und der schönen Thekla in die blauen Augen sah, wurde es ihm so wund und weh um's Herz, daß er fast vergaß, Maß zu nehmen; doch die Blicke der Kammerfrauen, die auf ihn gerichtet waren, brachten ihn wieder zur Besinnung, er nahm Masß und schrieb es in ein gesticktes Büchlein ein.

Auch das Schloßfräulein fühlte ihr Herz warm werden, als der schöne Schuster vor ihr kniete, denn auch sie glaubte, die treuesten blauen Augen und den schönsten Schnurrbart zu sehen. Ein Sprüchwort heißt: ›In den Augen liegt das Herz!‹ und auch sie glaubte ein liebesuchendes, sich hingebendes, treues und edles Herz darin zu erblicken. –

Der Schuster war fertig, er erhob sich, steckte Buch und Maß ein, und machte abermals eine tiefe Verbeugung zum Abschied; da streckte ihm die schöne Thekla ihre kleine, weiße Hand zum Abschiedsgruß entgegen, die der Schuster ergriff, an die Lippen führte und einen heißen Kuß darauf drückte, gerade wie es die Ritter in den Büchern gethan hatten; dann noch eine stumme Verbeugung und er war draußen.

Als er heim wanderte, war ihm das Herz so voll, daß es fast zu zerspringen drohte. Das Schloßfräulein hatte es ihm angethan, ihm den Schuster.

Als er nach Hause kam, machte er sich sofort über die Schuhe her, und als sie fertig waren, packte er sie in rosa Papier und trug sie selbst auf's Schloß.

Bei seiner Anmeldung wurde er zu seiner großen Enttäuschung nicht von dem Schloßfräulein empfangen, sondern von einer ihrer Kammerfrauen. Diese frug nach dem Preis der Schuhe, aber der Schuster entgegnete:

»Sage deiner holden Gebieterin, daß ich genugsam belohnt worden bin durch das Glück, daß es mir vergönnt war, in ihre schönen blauen Augen schauen zu dürfen, und daß mir die Ehre widerfahren ist, ihre zarte Hand zu küssen.«

»Schuster du sprichst sehr vermessen, und wenn du nicht aussehest wie ein Kavalier und ein so ritterliches Benehmen hättest, so würdest du die Antwort, die dir gebührt, gleich von mir empfangen, so aber will ich die Schuhe und deine Worte meiner Gebieterin überbringen, damit sie selbst die richtige Antwort sendet.«

Damit rauschte die Kammerfrau hinaus und ließ unsern Schuster sehr betroffen stehen.

Eine geraume Weile hatte er gewartet; es wurde ihm bange, ob sich das schöne Schloßfräulein nicht durch seine voreiligen Worte beleidigt fühlte, infolgedessen nichts mehr bei ihm machen lassen würde, und er dann aus ihrer Nähe verbannt sei. Als die Kammerfrau wieder kam, war sie auffallend freundlich und sehr zuvorkommend und forderte ihn auf, ihr zu folgen. –

Das hatte der Schuster kaum erwartet, und nun war er voll freudiger Hoffnung, denn der Diener ist der Spiegel des Herrn. Zürnt der Herr, so zieht der Diener auch eine krause Stirn, ist der Herr guter Laune, so lacht der Diener über das ganze Gesicht.

Also er folgte der Kammerfrau; diese führte ihn in einen kleinen Salon, in welchem ein gedeckter Tisch mit den herrlichsten Speisen und Getränken stand. Die Kammerfrau forderte ihn auf, zu essen und zu trinken, und bediente ihn auf das Aufmerksamste. Der Schuster fühlte sich beim Essen und bei der Bedienung wie ein Edelmann selber, und das Herz hüpfte ihm vor Freude, zumal er diese Bewirtung, als eine wohlwollende Antwort auf seine kecken Worte annahm.

Als er fertig war, führte ihn die Kammerfrau durch eine hintere Pforte aus dem Schloß und drückte ihm beim Abschied ein Briefchen in die Hamd mit der Weisung, es erst zu lesen, wenn er ganz allein sei und es nach dem Lesen sofort zu verbrennen.

Der Schuster versprach es zu thun und verbarg das Briefchen, das ihn in eine gewaltige Aufregung versetzte, auf seiner Brust. Als er in den Wald gekommen war, und er niemand weit und breit bemerken konnte, zog er das geheimnisvolle Papier hervor und erbrach es. Er las mit glühender Stirn folgende Worte von zarter Hand geschrieben:

›Nächste Nacht, ein Uhr, kommt in die Kapelle zum heiligen Vicentius im Flöhathal. T.‹

Das war klar und deutlich, es war eine Bestellung und von wem? – Er wagte gar nicht daran zu denken, doch das ›T.‹ verleugnete sich nicht. Noch einmal las er die Worte, küßte das ›T.‹, dann zog er sein Feuerzeug heraus und verbrannte den Brief.

Er konnte die Nacht kaum erwarten. Als die Dunkelheit eingebrochen war, machte er sich auf den Weg und war schon um zwölf Uhr in der Kapelle. Als er so ganz allein dasaß auf einen der wenigen Sitze und der abnehmende Mond seinen bleichen Schimmer durch das Fenster auf das Marienbild über dem kleinen Altar warf, dachte er an die Zeit; es war die Geisterstunde. Der Gedanke in einer einsamen Kapelle um diese Zeit allein zu sein, allen Gefahren preisgegeben, die diese Stunde mit sich bringt, erstarrte ihm das Herz, denn er wußte wohl, daß diese Stunde den Geistern gehört, die oft schreckliche Rache nehmen, wenn sie merken, daß sie belauscht werden, auch wenn es absichtslos geschied.

In seiner Bangigkeit fiel sein Blick auf den Jesusknaben, der auf dem Arm der Mutter Maria von dem bleiernen Mondglanz beschienen wurde. Es war ihm, als nickte der kleine Jesus ihm zu, als wollte er ihn beruhigen. Er warf sich auf seine Knie und betete. Nach beendetem Gebete war eine wunderbare Ruhe über ihn bekommen, die Bangigkeit war vollständig von ihm gewichen, denn er fühlte, daß ein mächtiges Schild ihn schützte.

Da that sich plötzlich die Steinplatte auf, und heraus stieg ein Jüngling, angethan mit Harnisch und Beinschienen, in der Rechten ein mächtiges Schwert haltend, dessen kunstreicher Griff mit Edelsteinen besetzt und dessen Scheide aus purem Golde getrieben war. Das Gesicht des Jünglings war totenbleich, man sah, daß er aus dem Grabe stieg.

Der Schuster entsetzte sich anfangs vor der Erscheinung, doch ein Blick auf den Jesusknaben, der ihn freundlich anlächelte, gab ihn seinen Mut zurück.

Der Jüngling fing an zu reden: »Du bist hierher bestellt worden, und glaubst der Minne gehorcht zu haben, dem ist nicht so. Die Dame die dich hierher berief, liebt dich zwar, doch nicht ihre Liebe zu dir rief dich hierher, sondern die Liebe zu ihrem unglücklichen Bruder.

Sie wird von dir einen Dienst verlangen, einen Dienst, den man nur von dem tapfersten Ritter begehrt. Du bist kein Ritter und Edelmann von Geburt, doch ein echter Ritter und Edelmann von Herzen. Versprich alles, was die Dame verlangt, du wirst der Aufgabe gewachsen sein.

Ich bin eine Ahne des Geschlechts derer von Rauhenstein, einst geliebt und gefürchtet weit und breit. Geliebt von meinen Freunden und gefürchtet von meinen Feinden. Mein Arm bezwang sie alle oder vielmehr mein Schwert; ich war unbesiegbar. Das weckte den Neid meines Bruders. Als ich einst hier betete, erschoß er mich meuchlings mit einem kleinen vergifteten Pfeile und scharrte mich in den Boden dieser Kapelle, unter diesem Steine ein. Das Geschlecht derer von Rauhenstein hat seitdem, infolge dieser Schandthat, viel Unglück gehabt, und jetzt ist es dem Aussterben nahe.

Aber das Geschlecht derer von Rauhenstein soll noch nicht untergehen. Hier nimm dieses Schwert und brauche es mit Verstand, so wirst du stets siegen. Weiter vermache ich dir meinen Namen, lebe du für mich weiter. Ich war zur Zeit meiner Ermordung auf einer Turnierfahrt begriffen und hatte folglich alle meine Ausweispapiere und meinen Adelsbrief bei mir; hier nimm und verwerte sie richtig. Denke immer daran, daß du jetzt ein Edelmann bist und für mich fort lebst, halte immer die Ehre aufrecht, und sei stets ein edler Ritter im wahren Sinne des Wortes. Jetzt knie nieder, daß ich dir den Ritterschlag gebe.«

Der bleiche Jüngling zog das breite Schwert aus der Scheide, gab ihm den Ritterschlag und zugleich den Namen ›Heinrich von Rauhenstein‹; dann steckte er wieder das Schwert in die Scheide, gab es dem Schuster in die Hand, desgleichen eine dicke Brieftasche und war verschwunden.

Der Schuster durch das freundliche Gesicht des Jesusknaben gestärkt und bei klarem Verstande geblieben, hätte dennoch geglaubt zu träumen, wenn er nicht die halbvermoderte Brieftasche und das gewichtige Schwert in der Hand gehabt hätte. Die Frucht seines Nachdenkens war, daß er ausrief: »Ich bin jetzt ein wahrer Ritter und will die Ehre der Rauhensteiner rein und unbefleckt erhalten!« Dann besah er das gewaltige Schwert und versuchte es aus der Scheide zu ziehen, doch war die Klinge eingerostet, so wartete er auf gelegenere Zeit, ebenso mit der Durchsicht der Papiere, was der Dunkelheit wegen schon hier nicht möglich war.

Da vernahm er Kleiderrauschen und eine hohe Frauengestalt trat in die Kapelle, während eine andere draußen an der Thür stehen blieb. Da schlug die Frauengestalt in der Kapelle den Schleier zurück, und er blickte in das liebliche Gesicht des Schloßfräuleins von Rauhenstein.

Sie erhob die Stimme und sprach: »So habe ich mich doch nicht getäuscht, du bist gekommen. Auch darin hatte ich recht, daß ich unter der Verkleidung eines Schusters, einen echten deutschen Ritter erkannt habe. Fremder, sage mir selbst bist du ein Ritter?«

»Ja, ich bin ein Ritter; ich will dir dienen, will mein Herzblut für dich opfern, wenn es sein muß. Verlange was du willst, bei diesem Schwerte, das schon so oft gesiegt hat, schwöre ich, nicht eher zu ruhen und zu rasten, bis ich deine Achtung und deine Liebe erworben habe.«

»Ich wußte es ja,« sprach leise die schöne Thekla, »solche Augen sind nicht falsch.« Dann entgegnete sie laut: »Meine Liebe hast du schon, erwerbe dir auch meine Dankbarkeit. Höre mir zu und handle dann, den Lohn für deine erfolgreichen Thaten kannst du dir dann selbst bestimmen.«

Nun erzählte das Schloßfräulein, daß das Geschlecht der Rauhensteiner schon seit langer Zeit vom Unglück verfolgt worden ist. Alle Kämpfe sind trotz der großen Tapferkeit der Rauhensteiner, stets zu ihren Ungunsten ausgefallen, und ihr Besitztum habe sich immer mehr verkleinert. Alle Herren von Rauhenstein, gleich wie ihr Vater, durch das beständige Unglück tiefsinning geworden, sodaß schon seit undenklichen Zeiten kein Gelage mit fröhlichen Genossen auf dem Rauhenstein stattgefunden hätten, und der jeweilige Besitzer immer allein in seiner verschlossenen Burg, verborgen vor allem Menschenaugen gesessen habe.

Auf ihrem Bruder, Kurt von Rauhenstein, war die ganze Hoffnung gesetzt, doch auch er scheint von dem Unglück verfolgt zu werden. Als er das erste Mal in den Kampf zog, war er voll hohen Mutes, und wohl bewandert in der Fechtkunst. Stolz ritt er seinen mutigen Rappen und sein Harnisch glänzte wie eitel Gold. Doch war es sein erster und letzter Kampf, denn er wurde gefangen genommen und sitzt jetzt in dem Kerker des grimmen Ritters von Waldhof. Dort schmachtet er nun schon seit fünf Jahren und harrt der Befreiung. Noch keiner hat den Versuch gemacht, ihn zu befreien, erstens weil Rauhenstein keine Freunde mehr hat, und zweitens, weil der Ritter von Waldhof überaus stark und grausam ist.

»Ich weiß nun was ihr von mir wünscht, mein edles Fräulein, und hier auf dieses Schwert schwöre ich, den Ritter von Waldhof zu besiegen und deinen Bruder zu befreien oder selbst unterzugehen!«

»Ich wußte ja, daß ich keine Fehlbitte thun würde,« lispelte Thekla von Rauhenstein. »Meine Hoffnung erwacht wieder und ich glaube unser Geschlecht wird wieder aufblühen, wie die Fichte nach kalter Wintersnacht. Hier nimm diese Schärpe; das sind die von mir gewählten Farben, grün und weiß, in die ich selbst den Wappen der Rauhensteiner gestickt habe; sie möge deine Begleiterin sein.«

Inbrünstig drückte der Schuster das Wappen an seine Lippen und versicherte, daß ihn nur der Tod von dieser Schärpe trennen sollte.

»Jetzt muß ich fort,« sprach hastig das Schloßfräulein. »Lebt wohl, Herr Ritter, wollte Gott, daß wir uns bald wiedersehen.«

Der Schuster fühlte einen warmen Kuß auf seiner Stirn, hörte das Rauschen eines Kleides, und war allein. Alles was er in dieser Zeit erlebt hatte, schien ihm märchenhaft. Doch hielt er ja Schwert, Tasche und Schärpe in der Hand, und der Kuß glühte noch auf seiner Stirn. Da blickte er zu dem Jesuskinde auf, das freundlich auf ihn herab sah, und mit vollem Herzen warf er sich abermals auf die Knie und betete geraume Zeit. Dann stand er auf, verbarg die Schärpe auf seinem Herzen, nahm Schwert und Tasche und machte sich auf den Heimweg. Ungesehen kam er in seiner Wohnung an, wo er seine Reliquien sorgsam verbarg.

Am anderen Morgen erklärte er seinen beiden Gesellen, daß er eine Reise machen müsse, jedoch die Zeit seiner Heimkehr nicht bestimmen könne, weshalb er den ältesten der beiden Gesellen auftrug, sein Geschäft so lange zu verwalten, bis er wieder käme.

Seine Reise hatte Freiberg zum Ziel. Freiberg war schon von jeher ein Sammelplatz der Sächsischen Ritterschaft gewesen und die glänzendsten Turniere daselbst zeugten von dem Mut und der Tapferkeit der Ritter.

In Freiberg angekommen, mietete er sich eine bescheidene Wohnung und nannte sich Ferdinand Winter, Schuhmachermeister. – –

Sein Plan war, zu allererst die ritterlichen Künste und das stolze Benehmen der Edelleute zu lernen und sich anzueignen, damit er dem Geschlechte der Rauhensteiner durch Unwissenheit keine Unehre mache, und er sich den anderen Rittern gegenüber keine Blöße gebe.

In seiner Wohnung machte er sich vor allen Dingen darüber her, sein Schwert zu putzen. Als die Klinge blank wie ein Spiegel war und das Gold des kunstreich gearbeiteten Griffes glänzte wie der Strahl der Morgensonne, mußte er sich gestehen, daß das Vermächtnis des Rauhensteiner Ahnen ein Wertstück sondergleichen sei.

Als er den Adelsbrief auseinanderschlug gewahrte er, daß die Jahreszahl nicht mehr vorhanden war. Er nahm nun eine Feder und schrieb diejenige Jahreszahl hinein, welche für ihn paßte. Nachden dies geschehen war, kaufte er sich einen Harnisch von Stahl, ein Schwert, eine Lanze und ein Pferd; dann suchte er einen armen Edelmann auf, welcher der jungen Ritterschaft von Freiberg und Umgegend Unterricht in den ritterlichen Künsten erteilte. Diesen ersuchte er, ihm alles zu lernen, was ein Ritter können müsse, um auf den Turnieren und im Kampfe seinem Gegner männiglich zu stehen. Nachdem sie einen Vertrag abgeschlossen hatten, wurde am anderen Tage die erste Lehrstunde bestimmt.

Als der Fechtmeister sah, daß der Schuster nicht einmal die Anfangsgründe der ritterlichen Eigenschaften kannte, ja daß er sogar erst das Reiten lernen müsse, wunderte er sich sehr über Herrn Heinrich von Rauhenstein; doch machte dieser gar gute Fortschritte. Bald konnte er sein Roß tummeln wie der bravste Ritter; im Lanzenrennen wurde sein Lehrmeister öfter als einmal von ihm in den Sand geworfen, und das Schwert führte er gar gewandt und kunstgerecht.

Wenn er nach Hause kam, war er stets wieder der Schuster Ferdinand Winter, denn seine Übungsstunden besuchte er stets heimlich.

III. Kapitel
Das Turnier

Der neu nach Freiberg gezogene Schuster bekam auch Arbeit, und manches Paar Schuhe mußte er neu machen oder flicken für die Freiberger Bürger. Das war ihm aber ganz recht, denn so konnte er sich seinen Lebensunterhalt verdienen, der durch seine ritterliche Liebhaberei nicht gerade bescheiden war.

Da wurde ein Turnier zu Freiberg bestimmt, wo man große Vorbereitungen traf. Die Blüte der sächsischen Ritterschaft hatte versprochen, daran teilzunehmen; auch mancher Fremde wollte sich hier Lorbeeren pflücken.

Unter anderen hatte sich auch der Ritter von Waldhof gemeldet und unser Schuster, der selbstverständlich beim Turniere nicht fehlen wollte, freute sich, daß hier vielleicht Gelegenheit geboten würde, die Bekanntschaft des wüsten Ritters zu machen.

Für das Geld, das er noch übrig hatte, kaufte er sich einen besseren Harnisch, seinem Pferde schenkte er Ruhe bis zum Turniertage und das Ahnenschwert, welches seit Hunderten von Jahren zum ersten Male wieder benützt werden sollte, putzte er so hell und blank, daß nur der zierliche, prachtvolle, aber unmoderne Griff sein Alter verriet.

Es brach der Tag des Turniers an.

Der Fechtmeister, welcher Herrn Heinrich von Rauhenstein beim Rüsten behilflich war, hatte ihm auch einen Knappen besorgt.

Als er auf dem Kampfplatz erschien und sich durch seinen Adelsbrief als Heinrich von Rauhenstein auswies, wunderten sich die zwei Herolde sehr; denn seit langer Zeit war der Name der Rauhensteiner in den Turnierschranken nicht vernommen worden.

Die grün-weiße Schärpe hatte er sich um die Hüfte geschlungen, denn heute wollte er, wenn möglich, sein Gelöbnis erfüllen. Mit heruntergeschlagenen Visier mischte er sich unter die übrigen Ritter, von deren reichen Rüstungen die seinige allerdings sehr abstach. Nur das schöne Schwert an seiner Seite war den glänzenden Waffen der übrigen Ritter ebenbürtig.

Da trat auch der Ritter von Waldhof mit aufgeschlagenem Visier, stolz um sich blickend, in den Kreis, da und dort einen Raubgenossen grüßend, den er an dem Schilde erkannte.

Der Ritter von Waldhof war eine Riesenfigur, sein Schwert war fast noch einmal so schwer als eines der übrigen Ritter; seine Lanze war ebenfalls bedeutend schwerer und stärker als die gewöhnlichen und sein Pferd schien eigens für ihn gezüchtet zu sein, –

»Wer ist der neuangekommene Ritter?« fragte Heinrich von Rauhenstein seinen Nachbar, der einen Raben im Schilde führte.

»Das ist der Ritter Hans von Waldhof, einer der besten Kämpfer. Noch nie ist er eigentlich besiegt worden, und nur ungern kämpfen die Ritter mit ihm; denn seine große Kraft und seine schweren Waffen sichern ihm den Sieg überall.«

Also das war sein Gegner, sein Feind auf Leben und Tod. In seinem Wappen auf dem Schild war eine knorrige Eiche zu sehen, die ihre kurzen dicken Aeste gar trotzig in die Höhe reckte. –

Kaiser Friedrich I. (Barbarossa) mit dem Beinamen ›Rotbart‹ war ebenfalls anwesend und erhob sich eben, um den Herolden das Zeichen zu geben, die Turniergesetze vorzulesen.

Die Ritter hatten sich in zwei Gruppen gestellt, von welchen Heinrich von Rauhenstein diejenige wählte, wo Hans von Waldhof nicht dabei war.

Als das Turnier nach Vorlesung der Gesetze eröffnet wurde, traten aus der gegenüberstehenden Partei zehn Ritter hervor als die Herausforderer, unter denen sich der Ritter von Waldhof mitbefand.

Als Freiwillige den Kampf sofort mit diesen aufzunehmen, sprengte Heinrich von Rauhenstein mit noch neun Rittern vor die Front und ritten ihren Gegnern langsam entgegen.

Allen voran ein glänzender Ritter, der sofort auf Hans von Waldhof zuritt und mit dem Schaft seiner Lanze dessen Schild berührte.

So mußte unser Schuster den Streit mit seinem Feinde einstweilen aufschieben, deshalb berührte er den Schild des nächsten feindlichen Ritters mit seinem Lanzenschaft, wie es alle übrigen Ritter von seiner Partei thaten und ritt dann mit ihen wieder zurück.

Das Berühren des Schildes mit dem Lanzenschaft bedeutete ihre friedliche Absicht, d. h. es wurde mit Höflichkeitswaffen gekämpft, unter welchen man Lanzen versteht, an deren Spitzen ein rundes Stück Holz befestigt ist, welches jede Gefahr ausschloß, von der Erschütterung des Stoßes abgesehen. Wurde der Schild hingegen mit der Spitze der Lanze berührt, so bedeutete dies ein ernstes Gefecht, in welchem die Ritter mit scharfen Waffen stritten.

Beim Schmettern der Trompeten sprengten die Kämpfer in vollem Galopp aufeinander zu; krachend zersplitterten die Lanzen und vier Ritter lagen im Staube. Von jeder Partei zwei, und verschiedene andere Ritter hatten dadurch den Sieg verloren, weil sie teils die Steigbügel beim Zusammenstoß verloren, teils ihre Gegner mit der Lanzenspitze verfehlt hatten.

Heinrich von Rauhenstein hatte seinen Gegner in den Sand geworfen, ebenso der starke Ritter von Waldhof.

Auf ein Trompetensignal kamen die Trabanten, fingen die ledigen Pferde ein und stützten die Besiegten, welche trübselig aus den Schranken schlichen, um mit den Siegern wegen der an sie verwirkten Waffen und Pferde zu unterhandeln.

Die bei dem Kampfe beteiligten Ritter traten aus den Schranken, um anderen Kämpfer Platz zu machen.

Das Glück war wechselseitig und schließlich waren die Erfolge der beiden Parteien ziemlich gleich.

Als alle Kämpfer der Waffenkunst Genüge geleistet hatten, trat Hans von Waldhof auf den Platz, begleitet von einem Trompeter. Dieser gab ein Signal und mit lauter Stimme forderte der Waldhofer die Ritter auf, mit ihm noch einige Lanzen zu brechen. Dabei schlug er mit der schweren Lanze an seinen Schild, dessen Wappen so gut als Sinnbild seiner Stärke paßte.

Alles war still im Kreis, und kein Ritter wollte sich mit dem starken Waldhof messen, da sein grimmigster Feind schon im ersten Rennen von ihm geworfen worden war. Triumphierend blickte der starke Ritter um sich, als keiner hervortrat mit ihm zu kämpfen. Noch einmal rief er: »Ihr tapferen Ritter, hat keiner Lust, mit mir noch ein paar Lanzen zu brechen?« Als sich noch kein Gegner zeigte, drehte er sich verächtlich um und sagte laut: »So ist euer Mut zum Teufel!«

Bei dieser groben Beleidigung sprengten wie auf Kommando verschiedene Ritter auf ihn zu und riefen mit drohender Stimme: »Waldhof, diese Frechheit sollst du büßen!«

Allen voran war Heinrich von Rauhenstein, und mit dröhnendem Schlage berührte er des starken Ritters Schild mit der Spitze seiner Lanze.

»So ist's recht,« höhnte Waldhof, »einer nach dem anderen, ihr könnt euch alle das Vergnügen bereiten, mit mir zu kämpfen. Ihr habt ja auf einmal höllisch Mut bekommen! Ja, ja, man muß euch eben erst aus dem Schlafe aufrütteln.«

Da machte ihn ein Herold aufmerksam, daß der Ritter mit der grün-weißen Schärpe sein Schild mit der Spitze berührt hatte. Das machte ihn doch etwas betroffen, aber schnell sagte er: »Um so besser, doch rate ich dem einfachen Herrn, vorher sein Testament zu machen, denn mit scharfen Waffen spaßt Hans von Waldhof nicht.«

»Jetzt habt ihr, denke ich, genug geschwätzt und es wäre mir lieb, wenn ihr euch um eine andere Lanze kümmern würdet.« –

Diese Worte des Ritters mit der grün-weißen Schärpe wurden mit stürmischen Zurufen von Seiten der Zuschauer begrüßt; erstens, weil der Ritter von Waldhof nicht beliebt war, und zweitens, weil es ein Kampf mit scharfen Waffen werden sollte. –

Ärgerlich ritt der starke Ritter zurück, wo er seine schwere Lanze, welche keine scharfe Spitze hatte, mit einer von gewöhnlicher Schwere vertauschen mußte.

Der Schwere seiner Lanze hatte er die meisten Siege zu verdanken und es war ihm im höchsten Grade unangenehm, mit einer leichten kämpfen zu müssen; teils weil die Wucht des Stoßes nicht so bedeutend war, teils weil ihm mit einer solchen die Treffsicherheit mangelte.

Da schmetterten die Trompeten und beide Ritter sprengten blitzschnell aufeinander los.

Das Pferd Heinrichs von Rauhenstein wurde durch den heftigen Anprall auf die Hinterfüße zurückgeworfen, doch raffte es sich sogleich wieder auf; an der Lanzenspitze des Reiters aber baumelte der Helm des Ritters von Waldhof, dessen verwildertes Gesicht mit dem struppigen Haar hochrot vor Zorn aus dem Harnisch hervorsah.

Lautes Geschrei und Beifallrufe ertönten aus der bunten Volksmenge.

In seiner Wut riß der starke Ritter sein Schwert aus der Scheide, um über Heinrich von Rauhenstein herzufallen, doch jetzt legten sich die Marschälle ins Mittel und wehrten diesem unehrenhaften Angriff.

»Heraus mit dem Schwert, elender Feigling, der du nicht gewagt hast, deine Lanzenspitze auf meine Brust zu richten,« keuchte der starke Ritter und stülpte dabei seinen Helm wieder auf, der ihm ein Trabant reichte.

»Mit dem größten Vergnügen will ich mit dir weiter kämpfen,« ließ sich der Ritter mit der grün-weißen Schärpe vernehmen, »obgleich du kein ehrenwerter Ritter zu sein scheinst; denn keiner von diesen Rittern, der heute Unglück hatte im Turnier, hat seinen Sieger beschimpft wie du. Doch bevor wir weiter kämpfen, mußt du mir nach bendetem Kampfe eine Bitte gewähren.«

»Ich gewähre einstweilen Alles, aber ich werde schon dafür sorgen, daß du nach Beendigung des Kampfes nicht mehr bitten kannst; doch jetzt heraus mit deiner Klinge.«

Die Ritter stellten sich nun gegenüber, und auf das Signal hämmerten sie mit ihren Schwertern aufeinander los.

Der Rauhensteiner konnte sich der Hiebe des Waldhofer kaum erwehren, so ungestüm drang dieser auf ihn ein und so mächtig war jeder Schlag, doch als er eine Blöße seines Gegners bemerkte, schlug er mit voller Kraft auf den rechten Arm, den dieser sofort sinken ließ, ein zweiter Hieb auf den Kopf brachte ihn zu Fall, er sank betäubt vom Streitroß.

Lauter Jubel erschallte, als der grün-weiße Ritter abermals Sieger war.

Nach dem Fall des Ritters von Waldhof spengten sofort die Marschälle ein und erklärten denselben für besiegt und den Kampf für beendet. Die Trabanten öffneten sofort den Harnisch des Besiegten, der hierbei wieder zu sich kam. Es zeigte sich, daß der Helm geborsten, doch die Verletzung am Kopfe von keiner Bedeutung war. Anders war es mit der zweiten Wunde am rechten Arm. Der Hieb hatte Armschienen und Arm zugleich zertrümmert und der mit anwesende Chirurgius erklärte, daß hier unbedingt der Arm abgenommen werden müsse. –

Das war für den Waldhofer eine bittere Pille, denn nun hatte sein Rauferleben ein Ende; niemals sollte er wieder Lanze und Schwert führen, in Zukunft konnte er sich keinen Waffenruhm mehr erwerben. Aber wer war denn sein Gegner?

Dieser war mittlerweile an die Tribüne herangeritten, wo der Kaiser Friedrich saß, mit edelm Anstand verbeugte er sich, indem er den Helm im linken Arm trug und wartete der Ansprache des kaiserlichen Helden.

Dieser hub an: »Ritter mit der grün-weißen Binde, die gebührt heute der erste Preis. Hier nimm diese Kette, damit sie deinen einfachen Harnisch schmücke, unter welchem ein so mutiges, ritterliches Herz schlägt. Doch sage, wie ist dein Name, damit die Welt ihn mit deinem Ruhm verbinde.«

»Mein Name ist Heinrich von Rauhenstein; doch bin ich von geringer Herkunft und dir, großmächtiger edler Kaiser, will ich mitteilen, wie ich den Ritterschlag empfing.«

Nun erzählte er seine letzten Abenteuer, wie er ausgegangen war, um seiner Liebe zu dienen, den jungen Kurt von Rauhenstein aus den Klauen des Räubers zu befreien, wie sich hier die beste Gelegenheit geboten habe, den Ritter Hans von Waldhof zu besiegen und dadurch, daß er ihm eine Bitte gewährt habe, den armen Gefangenen zu befreien. Er bitte hiermit den Ritter Hans von Waldhof, den von ihn gefangen gehaltenen Ritter Kurt von Rauhenstein frei zu geben und ersuchte den Kaiser um gnädige Unterstützung.

Da entstand eine Bewegung unter den Rittern, denn daß der Sieger kein Edelmann von Geburt sei und er den Ritterschlag auf so rätselhafte Weise empfangen haben sollte, gefiel ihnen nicht.

Da erhob sich der Kaiser und mit lauter Stimme sprach er: »Ritter Hans von Waldhof! Hältst du in deinem Kerker den edlen Ritter Kurt von Rauhenstein gefangen?«

»Ja, doch habe ich ein Recht dazu; denn ich habe ihn im ehrlichen Kampfe bezwungen und gefangen genommen.«

Weiter sprach dann Friedrich I.: »Hast du deinem Sieger das Versprechen gegeben, ihm einen Wunsch nach dem Kampfe zu erfüllen?«

»Zum Teufel, ja! Konnte ich den Ausgang ahnen?«

»Willst du diese Bitte erfüllen, wie es einem Edelmann gebührt?«

»Nein, das will ich nicht,« schrie der Waldhofer, »ich gab zwar mein Wort, doch einem Ritter, nicht einen Unedlen, wie es dieser ist.«

»Da du an dem Adel dieses Helden etwas auszusetzen hast, so empfange derselbe den Ritterschlag von mir zum zweiten Male und keiner wage es sodann, diesen Ritter geringer als sich selbst zu achten; knie nieder, Heinrich von Rauhenstein!«

Damit zog der Kaiser sein Schwert aus der Scheide und gab ihm den Ritterschlag, sowie das Recht, den Namen ›Heinrich von Rauhenstein‹ auch ferner führen zu dürfen.

»Und du, stolzer Ritter von Waldhof, gib deinen Gefangenen binnen drei Tagen frei, widrigenfalls ich dich vor den Reichstag lade.«

Lauter Beifall begrüßte diese Rede und viele Ritter reichten Heinrich die Hand mit der Versicherung ihrer Freundschaft.

Das Turnier war zu Ende, und Heinrich von Rauhenstein quartierte sich einstweilen bei seinem Lehrer ein, der sich unter den Zuschauern mitbefunden und seines Schülers heldenmütiges Auftreten mit angesehen hatte.

Heinrich hatte eben ein Bad genommen, als sich zwei Männer meldeten, deren jeder ein geharnischtes Roß führte, auf welchem je eine vollständige Rüstung hing.

Es mußten nämlich den damaligen Gesetzen gemäß, die besiegten Ritter ihren Siegern ihr bei den Waffengang benütztes Streitroß, sowie ihre vollständige Rüstung überlassen, oder ein bestimmtes Lösegeld dafür bezahlen, je nach dem Belieben des Siegers.

»Im Namen des tapferen Ritters von Waldhof,« begann der eine Knappe, »biete ich euch, Heinrich von Rauhenstein, den Turniergesetzen zufolge, das von meinem Herrn benützte Streitroß, sowie dessen Rüstung an, indem mein Herr und Gebieter es euren Ehren überläßt, sie zu behalten, oder ein Lösegeld dafür zu nennen.«

Ähnlich sprach der andere Knappe und setzte hinzu, daß sein Herr ihn beauftragt habe, einhundertfünfzig Reichsthaler für Roß und Rüstung zu bieten.

»Dem edlen Ritter, deinem Herrn,« erwiderte Herr Heinrich, sich an letzteren Knappen wendend, »entbiete ich meinen Gruß, ich danke ihn für das Anerbieten, aber nie würde ich ihm die Waffen und das Streitroß nehmen, die kein tapferer Held führen könne; doch von dem Lösegeld muß ich leider Gebrauch machen, da ich in Wahrheit ein armer Ritter bin. Du aber,« wandte er sich zu dem andern, »sag' deinem Herrn, daß ich von ihm kein Lösegeld nehme, sonder Roß und Waffen behalte.«

Umsonst bot der Knappe drei- und vierhundert Reichsthaler, er wurde abschlägig beschieden.

Nachdem Heinrich von Rauhenstein jedem der Knappen zehn Reichsthaler geschenkt hatte, verbeugten sie sich und gingen, der eine Roß und Rüstung, der andere einhundertfünfzig Reichsthaler zurücklassend.

IV. Kapitel
Der Kampf um die Burg

Der dritte Tag brach an, als Heinrich von Rauhenstein sich mit seinen Knappen auf den Weg zum Waldhof machte.

Gegen Abend standen sie vor dem Thore.

Der alte Thorwart, ein mürrischer Geselle, öffnete ein Turmfenster und frug nach ihrem Begehr. Als er vernahm, daß es der Besieger seines Herrn sei, der die Auslieferung des Gefangenen verlangte, erwiederte er: »Die Antwort könnt ihr gleich von mir bekommen, denn der edle Ritter von Waldhof gebot mir, ihn nicht zu belästigen, wenn sein Gegner vom letzten Turnier, dem der Name ›Ritter‹ gar nicht gebührt, den Gefangenen beanspruche. Er läßt euch durch mich sagen, daß ihr euch nicht wieder vor der Burg blicken lassen sollt, widrigenfalls er euch mit Peitschenhieben durch seine Knechte fortjagen lassen würde.«

Da schwoll die Zornesader auf des Ritters Stirn und drohend rief er hinauf: »Elender Hund, das wagst du mir zu sagen, weißt du, daß über deinen wortbrüchigen Herrn die Reichsacht verhängt wird?«

Als Antwort prallte ein Bolzen von einer Armbrust an seinem Harnisch ab und es blieb Ritter Heinrich nichts anderes übrig, als, tiefen Groll in Herzen, wieder wegzureiten.

Friedrich Barbarossa hielt sich noch in Freiberg auf, was Herrn Heinrich veranlaßte, sofort die Klage gegen den Ritter Hans von Waldhof zu erheben.

Infolge des Wortbruches und der Auflehnung gegen den kaiserlichen Befehl lud ihn Friedrich Barbarossa vor den Reichstag. Da aber der Ritter von Waldhof nicht erschien, so verhängte der Kaiser die Reichsacht über ihn.

Sofort boten verschiedene Ritter Herrn Heinrich von Rauhenstein ihre Hilfe gegen den Waldhofer an, denn allen diesen hatte er schon großes Leid zugefügt.

So setzte sich denn kurze Zeit darauf ein kleines Heer in Bewegung und zog gegen den Waldhof.

Den Oberbefehl hatte einstimming Herr Heinrich von Rauhenstein übernehmen müssen, und der ehemalige Schustergeselle eignete sich ausgezeichnet zum Heerführer, wie wir später sehen werden.

Als der Waldhofer sah, da seine Gegner gegen ihn ausrückten, schloß er schleunigst Thür und Thor und rüstete sich zum heißen Empfang. Lebensmittel hatte er genug, und Wasser lieferte ihm der breite und tiefe Wallgraben. Die Mauern waren so stark, daß sie jeden Sturm aushalten konnten.

Sein zerschmetterte Arm war ihm abgenommen worden, und der Stumpf befand sich jetzt in der Heilung; übrigens hatte sein kräftiger Körperbau die Operation sehr gut ertragen, sodaß er hoffen durfte, in kurzer Zeit wieder sein Pferd besteigen zu können. Doch das regelrechte Kämpfen war freilich vorüber.

Herr Heinrich hatte sein Heer in einer Entfernung die Burg umstellen lassen, daß es von den Geschossen der Gegner nicht erreicht werden konnte; dann begab er sich zur Besichtigung der Gegend.

Als er die starke Befestigung erblickte, schien es ihm fast unmöglich, die Burg einzunehmen, zumal keine Belagerungsmaschinen zur Verführng standen. Da bemerkte er, wie ein Wasserarm aus dem Wallgraben unter den Mauern hindurch in das Innere der Burg floß und mit Recht vermutete er, daß dieses Wasser der Zufluß des nötigen Trinkwassers sei. Nun wurde der Wallgraben durch ein kleines Flüßchen, die Bobritsch, einem Nebenfluß der Mulde, gespeist und zugleich schoß ihm der Gedanke durch den Kopf, den Belagerten durch Abgraben des Zuflusses das Wasser zu entziehen.

Als er wieder in das Lager kam, teilte er den Rittern seinen Plan mit, und einige, welche die Burg des Waldhofers kannten, versicherten, daß kein Brunnen noch eine Quelle im Innern der Burg sei und alle zollten ihrem Anführer Beifall über den glücklichen Gedanken.

Sogleich wurden die Reisigen und Knappen in die umliegenden Dörfer geschickt, um Schaufeln und Hacken herbeizuholen.

Es dauerte nicht lange, so sahen die Belagerten, wie ein großer Teil ihrer Feinde einen Graben zog, der das Wasser des Bobritsch mit Umgehung der Burg in sein altes Bette weiter unten leiten sollte.

Den vereintem Kräften gelang es auch, den Graben fertig zu stellen, und bald hatten die Belagerer die Freude zu sehen, wie das Wasser des Wallgrabens seichter und seichter wurde.

Die Belagerten, welche die Absicht des Feindes sofort durchschaut hatten, füllten nun alle Gefäße, die in der Burg nur irgend aufzutreiben waren, mit Wasser und glaubten, so dieser Gefahr entronnen zu sein.

Doch es war Sommer; die Sonne schien glühend heiß und trocknete die einzelnen Wasserlochen im Wallgraben aus. In der Burg übte die Hitze auch ihren Einfluß aus, das Wasser wurde stickend; in der mit Bewaffneten vollgepfroften Burg brachen infolgedessen Krankheiten aus, und der inzwischen wieder vollständig gesund gewordene Ritter von Waldhof wußte sich in seiner Wut nicht zu fassen, als er sich von dem Rauhensteiner so ohne Waffen besiegt sah. Er rüstete jetzt zu einem Ausfall. –

Heinrich von Rauhenstein, der seinen Feind aus der Burg herauslocken wollte, sah einen Ausfall schon lange voraus, und hatte in diesem Falle schon seine Befehle erteilt.

Das Hauptheer sollte dem Feinde entgegen treten und eine Flucht markieren, während er mit einem kleineren Teil durch den Graben, der früher die Burg mit Wasser versorgte, in das Innere derselben dringen wollte. Wenn es ihn nun gelungen war, die Burg zu nehmen, so sollten sich die Flüchtlinge wieder sammeln und den Feind zurück treiben, der dann am Burgthore von ihm empfangen werden sollte.

Eines schönen Tages, als die Sonne aufging, wurden die Zugbrücken heruntergelassen und ein gewaltiges Heer durstiger Krieger quoll aus dem Thore.

Mit dem Rufe: »Hoch Waldhof!« und dem Angriffssignal der Hifthörner stürzten sie auf die scheinbar zersteuten Belagerer, die denn auch bald die Flucht ergriffen.

Hans von Waldhof hatte den Zügel an seinen Armstumpf gebunden, und schwang mit der linken Hand eine schwere Streitaxt, die manchen Helm mitsamt dem Schädel zerschmetterte.

Die Flucht der Feinde schrieb er dem unerwarteten Angriff zu und schon glaubte er Sieger zu sein, als in der Burg ein wüstes Geschrei und das Schmettern von Hifthörnern erscholl. Ein Blick zeigte ihm, daß er abermals überlistet war, und wütend befahl er seinen Männern zurückzukommen, um die Burg wieder zu erobern.

Doch jetzt sammelten sich die Flüchtlinge, und stürzten nun ihrerseits auf die erschrockenen Waldhofer. Ein kurzes, wildes Handgemenge entstand, und in rasender Flucht ging es wieder der Burg zu. Am Thore bereitete ihnen Heinrich von Rauhenstein mit seinen Leuten einen heißen Empfang.

Hans von Waldhof schlug wie ein Rasender um sich, und seiner riesigen Kraft hatte er es zu danken, daß er die Zugbrücke von Feinden säuberte und so den Weg in die Burg erzwang.

Da stellte sich ihm Heinrich von Rauhenstein entgegen. In blinder Wut führte der Waldhofer Streich auf Streich mit seiner Riesenaxt nach dem Feinde, die dieser mit dem Schilde so gut als möglich aufzufangen suchte; doch dieser zersprang und Heinrichs linker Arm war wie gelähmt von den wuchtigen Schlägen.

Mit dem Ahnenschwert hatte er schon manchen Hieb geführt, doch kaum den starken Ritter besomderen Schaden verursacht. Die gewaltigen Axthiebe, die einen Ambos zu spalten drohten, verhinderten einen erfolgreichen Angriff. Da sauste wieder ein gewaltiger Hieb herunter, dem Heinrich durch eine schnelle Wendung entging, und mit voller Kraft schwang er sein Schwert auf das Haupt seinen Gegners. Da ließ dieser die Axt fallen, wankte und stürzte tot nieder wie eine Eiche unter der Axt des Holzfällers.

Als die Waldhofer Vasallen ihren Führer stürzen sahen, gaben sie den Kampf auf, baten um Gnade, und die Großmut der Sieger schenkte ihnen das Leben.

Der alte Thorwart, der damals den Ritter Heinrich von Rauhenstein so roh behandelte, als er den Gefangenen holen wollte, warf sich vor Heinrich auf die Knie und bat ihn um Gnade, dieweil er damals nur dem Befehle seines Herrn gefolgt war.

Heinrich aber packte ihn am Kragen und rief: »Du verdammter Schuft, wenn ich Dir jetzt nicht dein lästerliches Maul zerschlage, so kannst du es nur dem Umstand verdanken, daß ich hoffe, du kannst mir das Loch zeigen, wo der edle Kurt von Rauhenstein schmachtet!«

»Der heilige Vincentius, mein Schutzpatron, sei gelobt, daß ich in der Lage bin euch zu dem edlen Herrn zu führen; bin ich es doch gewesen, der ihn mit Speise und Trank versorgte auch während der Wassernot. Kommt edler Herr, und dem Himmel sei Dank, daß ich seine Bitten erhörte.«

»Was hat er wohl von seinem Kerkermeister erbeten?«

»Ach, edler Herr,« seufzte der Thorwart und drehte dabei die Augen gen Himmel wie ein segenspendender Priester, »er sagte: ›Vincenz, wenn die Belagerer gewinnen und ich dann noch lebe, will ich dich reichlich belohnen, lasse mich nicht verschmachten, denn mich durchzieht eine Ahnung, als ob meine Leiden ihr Ende erreicht hätten.‹ Und das hat mich so gedauert, daß ich ihm Brot und Wasser brachte auch zu der Zeit, wo ich fast selbst verschmachtet bin.«

»So, so, aus lauter Mitleid, als ob der Satan auch Mitleid kenne; doch vorwärts Bursche, führe mich!«

Der Thorwart nahm einen großen Bund Schlüssel vom Gürtel und führte Herrn Heinrich durch verschiedene dunkle Gänge in die kellerartigen Räume der Burg. Vor einer eisenbeschlagenen Thüre machte er Halt, steckte einen großen Schlüssel hinein, und nach vieler Mühe drehte sich die Thür kreischend in ihren verrosteten Angeln.

Jetzt bot sich Heinrich von Rauhenstein ein schrecklicher Anblick dar. In einem Winkel auf fauligen Stroh lag eine Gestalt, die mehr einer Leiche als einem lebenden Menschen ähnlich sah.

Sie hob sich empor, sah mit stieren Augen die geöffnete Thüre und die Menschen an und hauchte: »Könnt ihr mich nicht ruhig sterben lassen?«

Aber Heinrich von Rauhenstein eilte auf den elenden Menschen zu und rief: »Nicht deinen Tod wollen wir, sonder deine Befreiung!« Damit nahm er ihn wie ein Kind in seine Arme und trug ihn durch die unterirdisxhen Gänge an das Tageslicht. Sofort übergab er ihn einem Chirurgius der dem Halbverschmachteten die größte Sorgfalt angedeihen ließ.

Mittlerweile war dir Plünderung vor sich gegangen, wobei große Schätze an Geld und Waren gefunden wurden, alles reisenden Kaufleuten durch Ritter von Waldhof abgenommen.

*

Auf der Burg Rauhenstein herrschte ein buntes Treiben. Vor einigen Stunden war ein Bote angekommen, der die frohe Nachricht gebracht hatte, daß der Ritter von Waldhof erschlagen, seine Burg eingenommen und geschleift worden sei. Der edle Ritter Kurt von Rauhenstein sei mit seinem Befreier auf dem Wege zum Rauhenstein.

Diese Nachricht hatte sämtliche Burgbewohner in eine freudige Aufregung versetzt. Es galt, die Ritter, die auf der Herreise waren, festlich zu empfangen und zu bewirten. Da wurde gescheuert, gefegt, gewaschen, gebacken, gesotten. Die besten Mutterfäßchen wurden angestochen, denn nach dem vielen Unglück, mit welchem Rauhenstein seither verfolgt worden war, sollte endlich das Glück wieder einkehren.

Der alte Rauhensteiner lebte ordentlich wieder auf, er prüfte and ordnete alles selbst und ließ es sich nicht nehmen, das Thor selbst mit Kränzen zu behängen, kehrte ja sein einziger Sohn, der Stammhalter der Rauhensteiner wieder.

Das Schloßfräulein, die schöne Thekla, schmückte sich gar festlich, kehrte doch mit dem geliebten Bruder noch Jemand zurück, Jemand der ihr Herz gefangen hielt. Sie hatte durch einen geheimen Boten alles erfahren, wie er den Ritter von Waldhof im Turniere besiegt und vom Kaiser den Ritterschlag empfangen hatte. Ihre Sehnsucht nach dem innig Geliebten war groß.

Bald sah man in der Ferne einen glänzenden Zug Ritter kommen, in dessen Mitte eine Sänfte getragen wurde.

Der alte Rauhenstein eilte dem Zuge entgegen, riß die Sänfte auf und hielt seinen Sohn in den Armen. Thekla war ebenfalls an die Sänfte getreten und begrüßte ihren unglücklichen Bruder mit Thränen im Auge.

»Wo ist dein Retter, mein Sohn?« frug der alte Ritter. Kurt wies auf Heinrich, der die grün-weiße Binde mit dem Wappen der Rauhensteiner umgeschlungen hatte. Freilich sah sie nicht mehr schön aus, denn die Kämpfe hatten ihre Spuren zurückgelassen; doch je zerfetzter die Fahne ist, in desto größeren Ehren steht sie.

Der alte Rauhenstein ergriff des Ritters Hand und sprach warm und innig: »Habe Dank, du edler Ritter, der du mir mein Licht und Leben wiedegegeben hast.« Dann wandte er sich an Thekla und sagte: »Nun hast du, meine Tochter, kein Wort des Dankes für den Befreier deines Bruders?«

Thekla ging dem Ritter errötend entgegen, um ihm gleichfalls zu danken, doch derselbe sprang vom Pferde und schloß sie in seine Arme.

Erstaunt sahen der Alte und die Ritter zu, bis ein verständnisvolles Lächeln auf ihren Lippen schwebte. Dann zog der Troß in die Burg ein. –

Ich will in Kürze nur berichten, daß noch an demselben Tage die Verlobung des schönen Schloßfräuleins mit Heinrich von Rauhenstein proklamiert wurde, daß der Kaiser Friedrich Barbarossa das bedeutende Besitztum des erschlagenen Ritters Hans von Waldhof dem Ritter Heinrich von Rauhenstein zum Lehen gab und dieser ein neues schönes Schloß in sein Land baute und Thekla als sein Ehegemahl hineinführte.

Seine Schusterei in Olbernhau schenkte er seinen beiden Gesellen, die bei der glänzenden Hochzeit anwesend sein mußten.

Sein Lehrmeister, der arme adelige Fechtmeister von Freiberg, wurde Schloßverwalter; und für den Lederbeutel ließ der Ritter einen Glaskasten machen, auf dem die Symbole des Schusterhandwerkes gemalt waren.

Das Geschlecht der Rauhensteiner aber pflanzte sich bis auf den heutigen Tag fort, doch das Unglück war seitdem gebannt. –

Heinrich von Rauhenstein war ein weiser Herrscher, er erleichterte seinen Unterthanen das Leben wo er konnte, beförderte Industrie, Kunst und Wissenschaft und war geliebt und geachtet von aller Welt.

Als er eines Tages von der Jagd heimkehrte, standen am Wege zwei Bettler, die ihn um eine kleine Gabe anflehten. Als der Ritter die beiden Jammergestalten näher betrachtete, erkannte er in ihnen den Schmied und den Schneider.

Sofort nahm er sie mit in sein Schloß. ließ sie speisen, baden und neu kleiden und bat sie, ihm doch zu erzählen, wie sie trotz des Geschenkes des guten Eremiten so ins Elend geraten waren.

Der Schmied hub an: »Als wir von Olbernhau wegzogen, hatte uns der Größenwahn erfaßt. Wir hatten verhältnismäßig viel Geld in der Tasche und glaubten, es den großen Herren gleich thun zu können. Wir spielten, tranken die besten Weine, aßen stets vom Besten, bis unser Geld alle war. Jetzt hieß es wieder zu Nadel und Hammer greifen; doch wollte uns die Arbeit nicht mehr schmecken. Wir arbeiteten nur so viel, als wir brauchten, um unser Schwelgerleben fortzusetzen und trieben dies so lange, bis uns eines schönen Tages unsere Beutel gestohlen waren.

Jetzt hatte die Arbeit für uns erst recht keinen Reiz mehr, wir sanken tiefer und tiefer, bis wir schließlich froh waren, wenn uns Jemand auf der Straße ein Stück Brot gab, damit wir unseren Hunger stillen konnten.

In diesem elenden Zustand dachten wir oft der Worte des alten Klausners: ›Verlaßt ihr aber den Weg des Rechtes, so wird euch dieses Geschenk nicht zum Glück gereichen.‹

Heinrich von Rauhenstein bedauerte tief das Schicksal seiner früheren Genossen, obgleich sie es selbst verschuldet hatten und sagte:

»Gedenkt ihr noch der Träume, die wir in der Eremitenhöhle hatten? Nur der meinige is in Erfüllung gegangen. Doch ich will euch beistehen, und wenn der bessere Mensch in euch noch nicht ganz gestorben ist, so können euere Träume wohl auch noch in Erfüllung gehen.«

Der Ritter richtete nun jedem eine Werkstätte ein, gab ihnen Gesellen, und wirklich, die beiden Bummler wurden fleißige, umsichtige Handwerksleute, die bald mehr und mehr Gesellen brauchten und in ihrer Werkstätte herrschten wie ein gerechter und kluger Fürst in seinem Lande.

Leider schenkte der liebe Gott Herrn Heinrich und seiner edlen Gemahlin keine Kinder. Nichtsdestoweniger aber lebten sie sehr glücklich und zufrieden, geliebt und geachtet bis an ihr Ende. –

 


 


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