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Hunyadi Janos.
Von
J. Payn

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August Nashby ist ein Philosoph. Oder richtiger gesagt: er war es wenigstens noch das letztemal, als ich ihn traf. Er tut sich viel darauf zugute, daß er das Leben von der beschaulichen Seite nimmt, was übrigens nicht so schwierig für ihn ist, da er reichliche Renten und keine Kinder hat und zudem in seinem ganzen Leben noch keine acht Tage krank gewesen ist. Er bringt alle theologischen Zweifel und Disputationen, wie auch alle politischen Fehden mit den »Gallengängen« in Verbindung, einem anatomischen Begriff, der das Leitmotiv seiner Weltanschauung bildet, und ist der Ansicht, daß die Menschheit eine einzige und einige große Familie ausmachen würde, sofern sich nur ein jeder entschließen könnte, gleich ihm alle Morgen ein Glas Hunyadi Janos einzunehmen. Es ist ganz aussichtslos, zu versuchen, in seinem Busen Entrüstung über die Greueltaten der Türken oder Russen zu erwecken. Gegen die Leute selber, erwidert er, ist nichts einzuwenden, mein Lieber; es ist nur das Klima, das an ihren Handlungen schuld ist. Was sie brauchen, sind Wolldecken, beziehungsweise Eisbeutel. Verschaffen Sie ihnen die in genügender Anzahl – und ein Glas Hunyadi Janos morgens, nüchtern genossen – und ihre Greuel werden bald ein Ende nehmen. Seine Nachsicht im Urteil spart er, so seltsam das klingt, selbst zu Hause nicht. Er betrachtet die Verbrecher in seinem eigenen Vaterlande mit aller Ruhe und Leidenschaftslosigkeit und empfindet nicht die geringste Neigung, sie »einspinnen« zu lassen. Sie eingehend zu beobachten, ist für ihn ebenso interessant, als etwa die großen Raubtiere im zoologischen Garten zu betrachten (vorausgesetzt natürlich, daß sie sich nicht mit ihm persönlich beschäftigen). »Wir sind mit unserem Urteil über diesen oder jenen Menschen rasch fertig,« pflegt er zu sagen, indem er nachlässig mit seinem Zwicker spielt und in seiner unnachahmlich überlegenen Weise lächelt, »weil er zufällig ein Mörder ist. Es ist keine Kunst, Worte zu finden und ihnen sogar eine beleidigende oder wegwerfende Bedeutung beizulegen; aber des Pudels Kern ist der: welches sind die tatsächlichen Begleitumstände der betreffenden Tat?«

Und dann wird er nicht müde, zu betonen, daß bei dem Täter erstens irgend etwas in seinen »Gallengängen« nicht in Ordnung gewesen ist, und daß er zweitens in seinem ganzen Leben noch kein Gläschen Hunyadi getrunken hat.

» Mens sana in corpore sano,« doziert er, »ist nicht nur für die physische, sondern auch für die moralische Gesundheit der leitende Grundsatz. Nehmen Sie z. B. Caligula oder Robespierre, die man herkömmlicherweise als ausgemachte Bösewichte bezeichnet. Von beiden wissen wir, daß sie in ihrer Jugend ganz anständige Leute waren. Und dann, mit einem Schlage verwandelten sie sich in blutdürstige Vampire. Sehen Sie denn nicht das Unnatürliche des plötzlichen Umschwungs? In Wahrheit blieb dem Caligula ein Fremdkörper, wahrscheinlich eine Lamprete, in den Gallengängen stecken, während ich nicht daran zweifle, daß Robespierre eine brioche – jenes entsetzliche Gebäck, das Gott sei Dank in unserem Lande nicht fabriziert wird – warm gegessen hat. Das ist meine Erklärung dieser psychologischen Rätsel!«

Im Gegensatz zu anderen Philosophen (vergangener Zeiten natürlich) läßt es Nashby nicht dabei bewenden, den Finger auf die Wunde zu legen. Die vielen Tausende seiner Mitbürger, denen unter den gegenwärtigen sozialen Verhältnissen das Hunyadi Janos unerreichbar ist, und die aus diesem Grunde zu der Verbrecherklasse gehören, sind für ihn von höchstem Interesse. Er ist untröstlich darüber, daß kein Mitglied seiner eigenen Familie bis zum heutigen Tag seine Verdauung so sehr vernachlässigt hat, um in die Hände der strafenden Gerechtigkeit zu fallen; denn auf diese Weise hätte er nach Belieben seine Beobachtungen an ihm machen können. Einmal hat er mir im Vertrauen mitgeteilt, daß er sogar selbst die Absicht gehabt habe, ein schwerverdauliches, aus Schweinebraten und Würsten bestehendes Mahl einzunehmen, vom Genuß des Hunyadi abzustehen und die Folgen, so schwer sie auch sein mochten, auf sich zu laden, mit anderen Worten, sich der Polizei auszuliefern; er sah sich bereits in seiner Gefängniszelle und analysierte seinen eigenen Verfall, wie jener sterbende Arzt die Vorzeichen seiner nahenden »Auflösung« in seinem Tagebuch zum Gebrauch und Nutzen seiner Kollegen und Mitmenschen aufzeichnete; aber bereits bei der ersten Wurst ließ ihn sein Mut im Stiche.

Wenn es sich um einen Mann mit derart hervorragenden geistigen Eigenschaften handelt, wie Nashby, kann es ihm keinen Abbruch tun, wenn ich verrate, daß der Mut nicht seine stärkste Seite ist. Seine Gallengänge – so würde er es darstellen – sind in so wundervoller Verfassung, daß er die Annäherung der geringsten Gefahr schon von weitem wittert. Daher ist es mir auch nie möglich gewesen, meinen philosophischen Freund zu überreden, mich auf gewissen Streifzügen zu begleiten, zu denen mich mein Beruf als Schriftsteller bisweilen genötigt hat und die in die Schlupfwinkel jener Bevölkerungsklassen führten, deren Lieblingsgetränk in der Regel nicht aus Hunyadi Janos besteht: in verrufene Absteigequartiere, Kaschemmen und dergleichen, wo die Begleitung eines Polizisten unerläßlich ist und zwei oder drei Vertreter dieses Berufes noch vorzuziehen sind. Nashby behauptet, er könne in der Seele der Verbrecher wie in einem offenen Buche lesen und zieht es vor, sie zu Hause zu studieren, statt sie im Gewühle des Lebens aufzusuchen. Außerdem, und das ist der springende Punkt, fügt er hinzu, daß aus solchen oberflächlichen Besuchen doch kein moralischer Gewinn entspringen könne. So lange der Verbrecher sich im Kreis seiner Genossen befinde, sei er taub für die Stimme der Vernunft, während hingegen durch Ueberredung viel erreicht werden könne, wenn man ihn isoliert – selbstverständlich mit Personen von wohlregulierter Verdauung innerhalb Hörweite – bearbeiten könnte. Daraufhin erbot ich mich, einen sehr bekannten »schweren Jungen« nach der Villa Akazia (wo mein Freund wohnt) zu einem Gelage zu bringen. Die Sache hätte sich denn auch befriedigend einrichten lassen, hätte nicht die Stunde des Mahles Schwierigkeiten bereitet. Nashby stellte nämlich als unumgängliche Bedingung, daß der Besuch bei hellichtem Tage statthaben sollte; der Besucher aber lehnte die Einladung mit der Begründung ab, »daß er kein solcher Esel sei und seine Zeit besser zu verwenden wisse«.

Trotzdem hatte der Vorschlag Nashbys Beifall gefunden, und nicht lange darauf ließ er ihn zur Tat werden, allerdings, ohne meine freundliche Hilfe dabei in Anspruch zu nehmen, was ich auf eine vorübergehende Verstimmung seiner Gallengänge zurückzuführen geneigt bin.

Er hatte sich zum Kristallpalast verfügt. Selbstverständlich nicht, um die Konzerte zu hören, oder das Büchsenwettschießen zu sehen, sondern um eines der vorzeitlichen Reptile zu untersuchen, worüber er eine eigene Theorie hatte. Er glaubte nämlich die Abstammung der gemeinen Eidechse vom Plesiosaurus entdeckt zu haben, die mit der Verlegung des Golfstroms zusammenhängen sollte. Während er nun diese Vorväter unserer Tierwelt betrachtete, verlor er seine goldene Uhr. Die Uhr war ihm von einer gelehrten Gesellschaft für eine erschöpfende Abhandlung über diesen Gegenstand selber verliehen worden, und er schätzte sie aus diesem Grunde sehr. Frau Nashby hat mir später im Vertrauen erzählt, daß seine Reden, als er den Verlust zu Hause entdeckte, nichts weniger als philosophisch gewesen seien, sondern derart, daß sie jede Gesellschaft, gelehrt oder nicht, in beträchtliches Erstaunen versetzt haben würden.

Es war nicht anzunehmen – selbst von einem Manne der Wissenschaft nicht – daß der Plesiosaurus die Uhr an sich genommen habe. Und trotzdem Nashby hoch und heilig versicherte – wie ja alle Leute tun, wenn sie ihre Uhr vermissen –, daß er sie keinen Moment aus dem Auge verloren habe, ohne die Hand an die Uhrkette zu legen, daß ein Diebstahl ganz ausgeschlossen sei usw., so blieb doch in Wirklichkeit kein Zweifel daran übrig, daß sie ihm von einem Taschendieb entwendet worden war. Unter diesen Umständen ließ Nashby, dessen moralische Verfassung viel zu hoch stand, um sich einen Pfifferling beim Abschluß eines Vergleichs bei einem Gaunerstreich reuen zu lassen, eine Notiz in die Zeitungen einrücken, worin er zehn Pfund Belohnung für den Finder der Uhr einsetzte und versprach, daß er im Falle der Wiedererstattung »keine Frage stellen« würde. Am folgenden Tage erhielt er ein schmuckes Briefchen, auf parfümiertem Papier und in einer Handschrift, die der Gauner offenbar für eine weibliche hielt, des Inhaltes, daß Schreiber auf die Bedingungen eingehen und selber mit fraglicher Taschenuhr um ein Uhr in der Villa Akazia vorzusprechen sich erlauben werde. Da bot sich nun, dachte Nashby, endlich eine Gelegenheit – und zwar eine Gelegenheit, die sich als sehr interessant erweisen würde – den Verbrechercharakter ohne persönliches Risiko zu untersuchen.

Liebe Julia, sagte er zu seiner Frau, ich werde diese junge Person zum Essen einladen, und dann unter der Decke der Gastfreundschaft –

Wie weißt du denn, wenn ich bitten darf, daß es sich um eine junge Person handelt? fragte Frau Nashby in scharfem Tone. Wenn ich recht gehört habe, sagtest du, es habe sich niemand in der Nähe befunden, als du deine Uhr verlorst.

Der Verdacht der guten Dame war natürlich, jedoch grundlos, wie ich sogleich hinzufügen will, wach geworden; sie erinnerte sich, daß es gewisse Laubgänge in der Nachbarschaft der vorzeitlichen Ungeheuer gab, die zwar der Wissenschaft – für die Ausstellung von Gesteinsproben, Stalagmiten und dgl. – dienten, aber von leichtsinnigem Volke zu Flirtzwecken benützt wurden.

Ich urteile ja nur nach ihrer Hand – verstehst du – ihrer Handschrift, beeilte sich Nashby zu erklären. Sie trägt den Charakter einer Frauenhand, wie sie der Dichter beschreibt:

Wie wenn ein Aehrenfeld
Die Aehren alle vor des Ostes Brausen senkt.

Ich frage nicht, was der Dichter, noch was sonst jemand sagt, gab Frau Nashby spitzig zurück; du wirst mit dieser Kreatur nicht speisen, ohne daß ich anwesend bin. Umsonst bemerkte der Philosoph dagegen, es sei nicht wünschenswert, daß seine Frau an einem Tisch mit einem Individuum sitze, das, wenn es auch von ihrem Geschlechte sei, andern Leuten die Taschenuhren stehle; vergeblich betonte er, daß die Anwesenheit einer dritten Person den Besucher mißtrauisch, wenn nicht stumm machen würde. Sie gab darauf dem Sinne nach, wenn auch in etwas gewählteren Ausdrücken, dieselbe Antwort, wie jener »schwere Junge«, der bekanntlich behauptet hatte, er sei »kein solcher Esel«.

Und schließlich stellte es sich heraus, daß die Kreatur doch ein Mann war. Im ersten Augenblick erschreckte dieser Umstand den armen Nashby im gleichen Maße, wie es seine Frau tröstete; aber das gewählte Aeußere seines Besuchers und der Gedanke, daß er mit ihm an einem Fünfschillingtag im Kristallpalast zusammengetroffen war, beruhigte ihn wieder einigermaßen. Er zahlte ihm sogleich seine zehn Pfund aus, wofür er seine Uhr wieder erhielt und nach der Erledigung dieser kleinen geschäftlichen Angelegenheit ließen sie sich alle drei am Eßtische nieder, Frau Nashby nicht ohne eine gewisse Verlegenheit und der Diener in einem derartigen Zustand des Erstaunens (weil nämlich die Redensarten des Gastes keineswegs seiner Kleidung entsprachen), daß es ihm kaum möglich war, zu bedienen – aber der Philosoph und sein Gast auf dem denkbar besten Fuße miteinander.

Nunmehr, da unser kleines Geschäft in aller Freundschaft erledigt ist, bemerkte Nashby zögernd, werden Sie vielleicht, geehrter Herr, nichts dagegen einzuwenden haben, wenn ich Sie frage, wie – wie –

Wie ich den Oßnick Taschenuhr (Gaunersprache). geschnappt habe? eilte ihm der Besucher zu Hilfe.

Wie bemerkten Sie? Ich habe nicht ganz richtig –

Wie ich Ihnen den Zwiebel abgeknöpft habe?

Jawohl, das meinte ich, erwiderte Nashby, ein wenig aus dem Konzept gebracht durch die freimütige Art seines Gastes, das Ding beim richtigen Namen zu nennen; er selbst hatte sich diese Freiheit nicht gestattet, die aus dem Munde des Täters selber noch weniger angenehm klang. Wie haben Sie mir den – den Zwiebel abgeknöpft?

Oh, das war der alte Witz, antwortete der andere, indem er sich – und zwar nicht gerade bescheiden – mit Spargeln versah, ich markierte die Fliege.

Was? Die Fliege? entgegnete Nashby. Da kommt mir doch eher vor, als sei ich die Fliege und Sie die Spinne gewesen.

Ich weiß nichts von Spinnen, erwiderte der Taschendieb, dem das von Nashby gebrauchte Bild offenbar nicht verständlich war; ich weiß aber genau, daß ich Sie zweimal im Nacken kitzeln mußte, bevor ich Ihre Aufmerksamkeit von diesem verflixten Zeugs da – ich weiß nicht, wie Sie ihm nennen – ablenken konnte.

Saurier, erklärte Nashby; ach richtig, ich erinnere mich jetzt, daß ich einen Brummer hörte und spürte, wie er mir im Nacken anstieß.

Ich war der Brummer, erwiderte der andere in ruhigem Tone; als Ihre Hand die Uhrenkette losließ, nahm ich die Uhr an mich, damit Sie sie nicht verlieren sollten.

Potztausend, wie sonderbar! Findest du nicht auch, Julia? fragte Nashby, der in Gegenwart seiner Frau trotz des Spotts des Taschendiebes mit seiner philosophischen Seelenruhe renommieren wollte.

Ich finde das gar nicht sonderbar! bemerkte seine Frau, die vor unterdrückter Entrüstung kochte.

Es war sauber – sehr sauber gearbeitet, ohne Zweifel, warf der Gast bescheiden ein; aber schließlich ist es nichts, wenn man es seit zwanzig Jahren oder noch länger tagtäglich tut.

Zwanzig Jahre! rief Nashby aus. Das ist wirklich sehr interessant. Nun aber, darf ich Sie fragen, Herr – äh, ich habe nicht das Vergnügen, Ihren Namen zu kennen –

Oh, danke sehr, aber Mum ist mein Name, fiel der Besucher hastig ein.

Also, darf ich Sie fragen, Herr Mum, ob Sie viel an Dyspepsie zu leiden gehabt haben?

Das geht über meinen Horizont, antwortete der andere, wobei er sich reichlich mit Sherry versorgte. Sie meinen wohl, ob ich öfters im Loch –

Nun ja, unterbrach ihn der Philosoph, wie Sie das nun nennen, ich meine, ob Sie im – im Gefängnis öfter darunter zu leiden hatten?

Oh ja, gewiß, sehr viel – Jawohl (zu dem Diener gewendet), geben Sie mir ruhig noch ein oder zwei Glas – ja, ich bin immer niederträchtig behandelt worden.

So, Herr Mum? Wenn wir die Gesetze der Natur überschreiten, denken wir alle so, bemerkte Nashby mit philosophischem Lächeln. Als Kind nun sind Sie gewiß recht unvorsichtig mit dem Essen gewesen?

Ich habe geschluckt, was ich ergattern konnte – noch ein Stück Kitz, wenn ich bitten darf, gnädige Frau, der Schlegel genügt – nein, in jenen Tagen ist mir nichts entgangen, vom Schweinefutter bis zu den Albertbiskuits.

Gott im Himmel! Und da gibts noch Leute, die Sie einen Verbrecher nennen würden! rief Nashby voll Mitleid aus.

Wir nennen uns auch mit allerlei Bezeichnungen in unserem Handwerk, erwiderte der andere freimütig, aber das schadet nichts.

Es schadet freilich nichts, mein guter Freund, bemerkte Nashby, dem infolge der Bestätigung, die seine Theorie durch das Zeugnis des Taschendiebs erhielt, der Mann anfing, sympathisch zu werden – aber es führt zu prinzipiellen Mißverständnissen und Fehlern.

Sehr wohl, erwiderte der andere; die Gallonesfahrer = Einbrecher (Gaunersprache). begehen immer früher oder später einmal einen ganz verdammten Fehler.

Und nun, Herr Mum, darf ich Sie fragen, ob Sie je Hunyadi Janos getrunken haben?

Nein, ich danke; das Wasser da (er klopfte an sein Sherryglas) ist mir lang gut genug.

Nashby warf seiner Frau ein bedauerndes Lächeln zu, wie wenn er hätte sagen wollen: Was hat der arme Teufel da in seinem Leben je einmal für ein Glück genossen?

Dann aber begann er mit dem Verbrecher ein ernstes Wort zu reden. Mum lauschte seinen Worten mit der respektvollen Aufmerksamkeit, die öfter einem Gefängnisgeistlichen als einem Philosophen zuteil wird. Bevor das Mahl noch zu Ende war, hatte Nashby die Ueberzeugung gewonnen, daß, wenn er nicht schon gar eine Seele bekehrt und gerettet, doch wenigstens gute Anlagen in Mum vorhanden waren, die, wenn sie nur von der guten Verfassung seiner Gallengänge glücklich unterstützt würden, ihn noch in einen ehrlichen Menschen und eine Zierde der menschlichen Gesellschaft verwandeln könnten.

Als der Besuch sich empfahl, begleitete ihn der Gastgeber bis zur Haustür und drängte ihn zur Annahme einer halben Flasche Hunyadi Janos nebst Gebrauchsanweisung.

Haben Sie nicht vielleicht noch eine Flasche Sherry übrig, damit ich das Zeug damit verdünnen kann? fragte der Besucher.

Nein, nein, sie müssen es pur trinken. Und schreiben Sie mir ein paar Worte, nicht wahr, um mich auf dem Laufenden zu erhalten, was Sie treiben – in irgend einem anständigen Berufe, wie ich jetzt hoffe.

Ganz recht! Sie sollen von Mr hören. Verlassen Sie Ihnen darauf!

Nach seinem Weggange machte sich zwischen Nashby und seiner Frau eine gewisse Meinungsverschiedenheit in bezug auf die Wahrscheinlichkeit der Bekehrung des Herrn Mum bemerkbar. Frau Nashby besaß nicht die philosophische Sinnesrichtung ihres Mannes, und sie nörgelte nicht bloß über den Verlust der zehn Pfund, sondern auch über das Verschwinden von anderthalb Kitzchen und drei kleinen Flaschen Sherry, die ihr Gast, trotz seiner gewöhnlichen Dyspepsie, in seinem Innern mit sich genommen hatte.

Ich habe nicht die nötige Geduld, noch Zeit, deine Reden mit anzuhören, rief sie jetzt aus; ich habe deiner Schwester versprochen, daß ich sie um drei Uhr in der Ausstellung treffen werde.

Gut. Du hast ja noch Zeit in Menge bis dahin. Es ist jetzt erst – heiliger Gott, jetzt ist meine Uhr schon wieder weg!

Wieder und wieder fuhr er mit dem Daumen und Zeigefinger in seine Westentasche, als habe sich die Uhr wie ein Uhrenschlüssel im Futter verkriechen können. Aber alles Suchen war umsonst. Mum hatte ihm zweifellos, als er sich nötigen ließ, die Flasche Hunyadi Janos mitzunehmen, den »Zwiebel« zum zweitenmal »abgeknöpft«.

Geschieht dir gerade recht! bemerkte Frau Nashby lakonisch, eine Bemerkung, die nur dazu beitrug, meinen Freund in seinem Verdruß noch zu bestärken.

Unehrlichkeit kann ich ertragen, aber Undankbarkeit ist zu viel für mich, sagte er mir noch am selben Abend. Aber schließlich ist es doch eine offene Frage, ob Nashby das Recht hatte, sich darüber zu beklagen, oder ob nicht tatsächlich noch ein anderer Gesichtspunkt vorhanden war, von dem aus die Angelegenheit betrachtet werden konnte.

Am nächsten Morgen nämlich erhielt mein Freund eine Mitteilung auf rosa Briefpapier, in derselben zierlichen Handschrift, wie am Tag zuvor – in der höchst wahrscheinlich schon manches Tausend Bettelbriefe abgefaßt worden waren. Sie lautete:

 

Geehrter Herr!

Ich hab Ihren Zwiebel wieder an mir genommen, und das ist auch ganz in der Ordnung. Sie haben in der Zeitungsnotiz versprochen, daß Sie keine Fragen stellen würden, und ich denke, daß Sie mich ein halb hundert Fragen gestellt haben. Außerdem habe ich ein Glas von dem verfluchten Hunida Jonas oder wie das Teufelszeug heißt, eingenommen. Und wenn das uns nicht quitt macht dürfen Sie mir einen Achtgroschenjungen heißen.

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