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Lehrreiches

Streikende Vögel.

Wer mit der Eisenbahn im Frühjahr oder im Sommer von Breslau nach Liegnitz fährt, dem fällt auf der Nordseite der Linie, kurz vor Liegnitz, wohl eine weite, mit Tausenden von weißen Vögelchen belebte Wasserfläche auf. Es ist der Kunitzer See, einer der fünf Seen des Katzbachtales, der eine Fläche von 110 ha, bedeckt und eine etwa 1 ha, große Insel umschließt. Die Tiefe des Sees, der fast ausschließlich von Grundquellen gespeist wird, erreicht an einigen Stellen 15 Meter. Der Westrand des Sees ist versandetes Flachufer und malerisch von einem Teile des Dorfes Kunitz, der langgestreckten Seegasse, umschlossen. Die Insel erscheint, vom Ufer gesehen, als langgestreckte grüne Wiesenfläche, aus der nur an einer Stelle ein riesiger eratischer Block, etwa 1½ Meter hervorragt,

Was den See besonders interessant macht, das ist seine Möwenkolonie auf der Insel. Alljährlich Mitte März bis Anfang April kommen die Möwen in großen Scharen aus dem Norden und lassen sich auf der grünen Insel nieder. Zu Zehntausenden bedecken die weißen Tierchen die Insel, die dann einem in fortwährender wallender Bewegung befindlichen großen weißen Tuche gleicht. Die Möwe, die sich bisher auf der Kunitzer Insel in einer Anzahl von 20- bis 30 000 aufhielt, ist die Lachmöve ( Larus ridibundus), ein Vogel von reichlich Taubengröße mit grauem Federkleid, das unten in Weiß übergeht, rotem Schnabel und roten Füßen. Bald nach seiner Ankunft beginnt er mit dem Nesterbau; bald darauf – gewöhnlich Mitte April – fängt die Legezeit an, die einige Wochen andauert. Die geschätzten Eier sind etwas kleiner als die Hühnereier, ihre Grundfarbe ist grünlich, unbestimmt dunkle Flecke kennzeichnen sie. Zu Beginn der Legezeit werden sie in Liegnitz mit 30 bis 50 Pf. bezahlt, sie erreichten sogar schon den Preis von 75 Pf. Sobald die Ernte ergiebiger wird, geht der Preis sehr zurück, gewöhnlich bis auf 20 und 15 Pf. Die Ablese erfolgt in der Weise, daß die Sammler am frühen Morgen in Kähnen nach der Insel fahren, wo die Eier dann unter Anwendung größter Vorsicht in Tragekörben gesammelt werden. Die Möwen steigen dann zu vielen Tausenden in die Lüfte und kreisen um die Insel zu solcher Zeit bietet der See, der übrigens oft einen kräftigen Wellengang aufweist, einen besonders interessanten Anblick. Auf den Wellen schaukeln die eleganten Vögel und die Luft ist erfüllt von dem Geschrei der großen Schwärme, die, aufgeregt über den See streichend, die Abfahrt der Kähne nach dem Ufer abwarten, worauf sie sich wieder niederlassen, um das Brutgeschäft fortzusetzen.

Ueber die Erträge der Kunitzer Eierernte macht Kollibah in seinem Buche über die Vögel Schlesiens folgende Mitteilungen. Die Kunitzer Möwenkolonie besteht erst seit Anfang vorigen Jahrhunderts. Am 1. und 2. Mai 1879 wurden 3120 und 2593 Eier gesammelt, trotzdem gingen noch massenhaft junge Tiere an Nahrungsmangel ein. Im ganzen wurden damals jährlich 18 000 Stück Eier gewonnen. Nach späteren Berichten muß sich die Zahl der Inselgäste bis 1900 verdoppelt haben; sie wurde auf 10 000 Brutpaare geschätzt, denen jährlich etwa 40 000 Eier genommen werden. Jetzt ergibt die Ablese in den ersten Wochen täglich 29 bis 40 Schock, in den nächsten vier Wochen – etwa bis Ende Mai – täglich 50 bis 60 Schock Eier, danach beziffert man den jährlichen Ertrag der Möweneier-Ablese auf 5- bis 7000 Mk. Es ist dabei allerdings zu berücksichtigen, daß die Möwen den Fischen stark zusetzen, daß sie fast ausschließlich von kleinen Fischen leben. Daher kommt es auch, daß die letzten Fischzüge im See kein der Größe und Tiefe des Tees entsprechendes Resultat hatten. Immerhin birgt der See noch riesige Exemplare von Welsen, Karpfen und Hechten.

In diesen Verhältnissen ist nun plötzlich eine Aenderung eingetreten. Am Nachmittage des 8. April gegen 5 Uhr erhoben sich die Möwen mit großem Gekreische von der Insel, um vorläufig nicht mehr zurückzukehren. Der Besitzer des Sees, Rittergutsbesitzer Jurock in Kunitz, ließ natürlich sofort der Ursache dieser merkwürdigen Erscheinung nachforschen. Indessen wurde kein plausibler Grund entdeckt. Tag und Nacht wurde die Insel bewacht, ohne daß man etwas Besonderes bemerkt hätte. Es wird u. a. vermutet, daß Mäusebussarde auf den Bäumen am Ufer nisten, die zeitweise auf der Insel nach den in diesem Jahre sehr zahlreichen Mäusen jagen. Indessen ist auch die Annahme anfechtbar. Von anderer Seite wird behauptet, daß sich Fischottern an der Insel angesiedelt hätten. Es ist auch nicht ausgeschlossen, daß sich die Möwen durch Mäuse oder Wiesel beunruhigt fühlen, Tatsache ist, daß auf dem See nur noch einige Tausende der schlanken Vögel umherflatterten, die Insel dagegen ängstlich mieden.

Die Mehrzahl der Möwen hat sich in der Umgegend zerstreut. Besonders die benachbarten Seen, der Jeschkendorfer und der Koischwitzer See, sind mit Möwen stark bevölkert. Auch westlich von Liegnitz, in der Nähe des Pansdorfer und des Jakobsdorfer Sees, haben sich Möwen zu Hunderten angesiedelt. Es besteht die Gefahr, daß die Möwen, wenn nicht bald die Ursache ihrer Flucht entdeckt bezw. beseitigt wird, die Möweninsel künftig gänzlich meiden oder gar die Liegnitzer Gegend verlassen, da sie sowieso dazu neigen, in größeren Zwischenräumen ihre Brutstätten zu wechseln.

Die Kunitzer Möwenansiedelung besteht seit etwa 50 Jahren. Vor Jahresfrist meldeten süddeutsche Blätter, daß um die Mitte des vorigen Jahrhunderts herum eine starke Möwenkolonie auf einem kleineren See der Schweiz plötzlich eingegangen war, weil die Möwen eines schönen Tages sämtlich auf Nimmerwiedersehen davongeflogen waren. Um dieselbe Zeit soll die Möwenansiedelung auf dem Kunitzer See entstanden sein. Es wird angenommen, daß es sich um ein und dieselbe Möwenschar handelt, und die Kunitzer Möwen ursprünglich Schweizer waren. Sollten sie jetzt vielleicht dorthin zurückkehren? In Schlesien sind die Bartschniederung und das Fallenberger Seengebiet beliebte Massenbrutstätten der Lachmöwen. Vorläufig streift man eifrig mit Schießgewehren und anderen Werkzeugen die Umgegend des Sees ab, um jedes sich zeigende Raubzeug zu vertilgen. Die Möwen aber streikten noch Wochen nach ihrem jähen Aufstieg.

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Die Butter.

Die Butter ist wahrscheinlich von den alten Hirtenvölkern zuerst entdeckt und hergestellt worden. Auf ihren Wanderungen von Ort zu Ort, Weide suchend für ihr Vieh, führten sie die Milch ihrer Kühe, die ihnen willkommene, fast einzige Nahrung bot, in Schläuchen mit sich. Durch das Schütteln im Innern dieser Schläuche, auch durch die Hitze der Tage schieden sich die Fetteile als fester Bestand von der mehr wässerigen Flüssigkeit, diese festen Fetteile, die aus den Schläuchen entfernt wurden, waren die »Urbutter«, Vorläufer unserer heutigen Butter, die ja noch nie – besonders für den Rohgenuß – durch ein gleich edles tierisches Fett ersetzt ist und ersetzt werden wird. Griechen und Römer des Altertums wußten nichts von der Butter, sie gebrauchten schon damals zum Fettmachen und Braten ihrer Speisen das Olivenöl. Allein der weitgereiste Solon, der in nördlichere Zonen gedrungen war, kannte den Gebrauch und wahrscheinlich auch die Bereitung des Milchfetts. In der Zeit vor Herodes berichtet Hecatäus von den Paonern, die in Pfahldörfern am Strymon wohnten, daß sie sich mit aus Milch gewonnenem Oele salbten. Außer den Skythen und den Thrakern haben auch die Phrygier Butter bereitet. Sie setzten Sklaven um hohe, hölzerne, wahrscheinlich aus Baumstämmen gebildete Gefäße und ließen diese die darin befindliche Milch zu Butter rühren. Unser vereinzelt noch heute auf dem Lande zu findendes bekanntes »Handbutterfaß« ist ohne Zweifel mit nur kleinen Verbesserungen eine Nachbildung jener primitiven echten Butterfässer. Auch den Israeliten war die Butter nicht ganz unbekannt, wie wir aus den Bibelsprüchen Salomonis Kapitel 30, Vers 33, entnehmen, wo es heißt: »Wenn man Milch stößt, so kommet Butter daraus.«

Den Deutschen jener fernen Urzeit, die kein Oel von ihren Bäumen entnehmen konnten, war das Milchfett natürlich auch bekannt und willkommen. Zwar brieten sie ihr Wildpret wohl ohne Butter, d. h. sie rösteten es über Feuer am Spieße, aber sie haben sich früh in ihrer Küche der Butter bedient, sie wahrscheinlich neben Eiern, Honig und gemahlenem Getreide schon zu einer Art Teig verwendet. Hier scheidet sich auch wohl die Beschaffenheit der Butter der orientalischen Hirtenvölker von der Butter, die der germanische Stamm bereitete, erstere war dickflüssig, mehr an Oel erinnernd, während die deutsche Butter feste Gestalt annahm. Auch die Erfindung des Knetens, Salzens und Waschens der Butter stammt aus dem Norden. In früheren Zeiten, als Haus und Apotheke noch fest zusammenhingen, war die Butter, wie heute vereinzelt auf dem platten Lande noch, auch ein bewährtes Heilmittel und man machte vielfach Salben daraus. Dazu gebraucht die Apothekerkunst heute andere Fette, der Butter gehört allein der Platz auf dem Tische, denn in der Küche ist ihre Herrschaft nicht mehr ganz unbestritten, seit andere, billigere tierische Fette (z. B. Rindstalg und in wohlfeileren vergangenen Zeiten Schweine- und Gänsefett) sowie sogenannte Kunstfette durch vermehrte chemische Wissenschaft und Fortschritte der Fabrikation sich eingeführt haben. Butter wird roh auch zumeist in Norddeutschland und dem nördlichen Europa gegessen, ihr Verbrauch ist z. B. in südlicheren Gegenden Oesterreichs weit geringer. Norddeutschlands »Butterbrote« sind etwas, was man im Süden nicht kennt. Jahrhundertelang war man bei der alten Bereitung der Butter stehen geblieben, wenn auch die menschliche Kraft hier und dort durch Maschine oder Pferd ersetzt wurde. Vor ungefähr 30 Jahren entstand dann die Zentrifugenbutterei, welche eine Aenderung im deutschen Meiereiwesen insofern herbeiführte, als auf großen und kleineren Gütern die eigene »Holländerei« vielfach eingestellt und die Milch an in den Städten entstehende Meiereien (Genossenschaftsmeiereien) geliefert wurde.

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Die Battak.

Im heißen Zentralsumatra lebt ein interessantes Mischvolk, das aus einer kleineren Rasse und einem feineren, größeren, dunkleren, durch dünne Lippen ausgezeichneten Stamme entstanden ist. Wie Professor Volz kürzlich vor der Gesellschaft für Erdkunde berichtete, zählen die Battak etwa eine Million Seelen und leben mit Malaien gemischt. Originell sind ihre Haus- und Dorfanlagen. Es sind auf Pfählen gebaute Holz- und Bambushäuser mit sehr hohem Dach und Giebel, der durch Bilder der Schutzgötter derart verziert ist, daß die Figuren an ihrer Rückseite konstruktiv mit dem Dache verbunden sind. Die Häuser der primitiveren Karobattak haben einen Flur von 8 bis 12 und 10 bis 18 Meter Länge, eine Altane, enthalten etwa bis zu sechs Feuerstellen und dienen 8 bis 12 Familien zur Wohnung; das Haus der südlicher wohnenden Pakpal hat dagegen stets nur eine Feuerstelle. Die »Bales«, die Versammlungshäuser für die Männer und Schlafräume für die Junggesellen darstellen, sind zumeist durch Schnitzereien verziert. Dort spielen die Männer, rauchen und trinken gemeinsam. Die Karo kennen solche Bales nicht. Daneben gibt es Reishäuser, in denen der Reis gestampft wird und Totenhäuschen mit kleinen Monumenten (Standbildern) zum Andenken an die Verstorbenen. Bei den Toba umgibt ein viereckiger, bei den Pakpak ein runder Zaun die Dorfanlage. Die Toba weben und färben ihre Kleidung selbst; rot und blau sind die beliebtesten Farben, auch wissen sie Muster einzuweben, die auf Hindukultureinflüsse deuten; die Pakpal sind ein degenerierter Stamm; sie benutzen importierte Stoffe als Kleidung. Die Frau hat alle Arbeiten auf dem Lande zu besorgen, während der Mann zumeist raucht und etwa nur die Rodung für ein neues Feld ausführt, Jagd und Krieg sind sein Geschäft; Reis, Mais und süße Kartoffeln werden angebaut. Nach dreijährigem Anbau folgt zehnjährige Ruhe des Feldes. Es herrscht die Kaufehe; der Preis für eine Frau richtet sich nach dem Preise, der einst für deren Mutter bezahlt worden ist, er schwankt zwischen 14 bis 1000 Dollars (1 Dollar zu 2 Mark gerechnet). Die Karobattak zerfallen in fünf Margas (Geschlechter). Heirat innerhalb der Marga ist verboten, die Tiere, die derselben Marga angehören, dürfen von deren Angehörigen nicht gegessen werden. (Die Stände scheiden sich nach dem Besitz). Kannibalismus (Menschenfresserei) wird an Kriegsgefangenen und verurteilten Verbrechern als Schimpf geübt, aber nur von den Männern. Auf Ahnenkult und Geisterglauben beruhen die religiösen Anschauungen der Battak. Beschwörung von Geistern, dabei aber kritische Prüfung der Medien ist nichts Seltenes.

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Meerkabel.

Vor etwa fünfzig Jahren erst begann man damit, Telegraphenleitungen ins Meer zu versenken. Heute liegen allein zwischen Europa und Nordamerika siebzehn Kabel, von denen jedes einen Wert von mindestens zwölf Millionen Mark repräsentiert; sieben davon werden betrieben, zehn dagegen sind unbrauchbar – tote Kabel, wie der Kunstausdruck lautet –, und mit diesen zehn sind 120 Millionen Mark unwiederbringlich in den Ozean versenkt. Die sieben in Betrieb stehenden Kabel nach Nordamerika haben zusammen eine Länge von 30 000 Kilometer, alle unterseeischen Kabel der Erde, soweit sie benutzt werden, haben dagegen 200 000 Kilometer Länge, das heißt, sie würden den Aequator fünfmal umgürten können. Ihr Wert dürfte sich, da ein Kabel von 1000 Kilometer Länge mindestens 2½ Millionen Mark kostet, auf 500 Millionen belaufen. In Wirklichkeit ist mehr, weit mehr in den Schoß des Meeres gesenkt worden, da eine ungeheure Zahl von Kabeln zwei-, ja dreimal gelegt werden mußte, bevor eines glücklich ohne Verletzung ausgeführt wurde. Besonders die erste Periode der großen Kabellegungen war verlustreich. Zwischen 1851 und 1860 sind etwa 20 000 Kilometer Kabel verlegt worden, die bald allesamt dienstunfähig wurden. Damit waren allein 50 Millionen Mark ins Wasser geworfen. Länger als die berühmten nordatlantischen Kabel ist übrigens das große südamerikanische Kabel von Europa nach Buenos-Aires, dessen Herstellung auf etwa 40 Millionen Mark veranschlagt wurde, während seine gesamte Länge reichlich 11 000 Kilometer beträgt. Der Stille Ozean ist, von kleinen Strecken abgesehen, noch ohne Kabel. Doch wird schon seit Jahren eine Kabelverbindung von Nordamerika nach Japan, China und Australien geplant – eine Linie von etwa 20 000 Kilometern. Das wäre dann das größte derartige Unternehmen; es würde ungefähr 100 Millionen Mark losten.

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In Korea.

In der »Deutschen Japan-Post« war vor kurzem zu lesen: Das unglücklichste Volk der Welt ist zurzeit das von Korea, gedemütigt, aus der Liste der Nationen gestrichen, bestimmt, aufgesogen zu werden oder auszusterben. Und doch hat die Geschichte Beispiele, daß verloren geglaubte Völker sich in ständiger, ruhiger Arbeit wieder festigten und den glorreichen Eroberer aus dem Lande hinausjagten. Wie steht es mit der Zukunft Koreas? Diese Frage ist gleichbedeutend mit der: Wie ist die koreanische Mutter beschaffen? Wie wird die koreanische Jugend erzogen? Erschrecklich groß ist die Sterblichkeit der Kinder in Korea. Ein Missionar, ein Amerikaner, erzählt: Kinder werden genug geboren, Theodor Roosevelt würde seine Freude daran haben. Aber alle Leute von 40 oder 50 Jahren, die ich kennen lernte, hatten mehr tote Kinder als lebende. Es kam vor, daß ein alter Mann mir erzählte, seine ganze Familie bestehe aus seinem Weibe, fragte man dann weiter, so hörte man: Er hatte zehn Kinder gehabt, aber alle wären tot. Für die, die in Korea längere Zeit gelebt hatten und die Dinge kennen wie sie wirklich sind, erscheint es wie ein Wunder, daß dort überhaupt Kinder groß werden. Wie viel unzählige Dinge beachtet nicht die sorgsame Mutter in europäischen Ländern, um von dem zarten Leben des Kindes allen Schaden fernzuhalten! Alle diese Dinge sind in Korea überhaupt nicht bekannt! Kann man sich eine deutsche Mutter ohne Wasser und Seife vorstellen? Die Koreanerin weiß gar nicht, daß es so etwas wie Seife in der Welt gibt. Wasser kennt sie, aber nur als Getränk und als Mittel zum Kochen von Reis usw. Daß man in Wasser baden kann, ist ihr nie eingefallen, Kindern würde das sogar schaden. Wenn man den angewachsenen Schmutz vom Kopfe des Kindes entfernte, würde der Wind zu sehr herankommen. Eine Koreanerin, die noch keine sauberen Europäerkinder gesehen hat, hielt es für Kindesmord, dem armen Wurm den Kopf zu seifen. Alle Kinder, die man in Korea zu sehen bekommt, sind so mit Schmutz bedeckt, daß man die Kopfhaut nicht erkennen kann. Tausende von Koreanern gibt es, die in ihrem Leben nie gebadet haben. Wiegen oder weiche Kinderbetten sind unbekannte Dinge in Korea. Das Kind liegt auf dem steinernen Erdboden, der mit alten Lumpen bedeckt ist. Unterhalb des Erdbodens laufen Röhren, durch die der Rauch der Küche seinen Abfluß findet. Ein ganz praktisches Heizsystem für den Winter, aber es ist nur im Betriebe, wenn in der Küche gekocht wird. Das Kind wird im August beinahe gebraten, im Dezember leidet es bittere Kälte. Gemildert werden diese Zustände allerdings dadurch, daß das Kind vielfach auf dem Rücken der Erwachsenen herumgeschleppt wird, d. h. der »Erwachsenen« vom Großvater abwärts bis zum fünfjährigen Schwesterchen. Was die Kleidung betrifft, so ist sie ganz ungenügend. Das Kind ist in einfache Baumwolle gehüllt wie die Erwachsenen, nur noch nachlässiger, so daß der Wind durch die Löcher pfeift. So ist es bei reich und arm; die Sitte herrscht, nicht der Unterschied des Besitzes. Im starren Winter sieht man Kinder halbnackt herumlaufen. In der Nahrung ist das koreanische Kind auf die natürliche angewiesen. Einen anderen Weg kennt die Mutter nicht. Ist die natürliche Quelle unzureichend oder versiegt sie zu früh, so bekommt das Kind Wasser zu trinken, in dem Reis gekocht war, und es wird mit gekochtem Reis vollgestopft, soviel es nur schlucken kann. Andere Kenntnisse von Ernährung der Kinder hat man nicht. Langt das Kind nach etwas anderem, was eßbar ist, so läßt man es auch dies verzehren; kein Mensch fragt, ob es verdaulich ist oder nicht. Dabei hat Korea Kühe und Ziegen in Fülle; der Genuß der Milch ist aber unbekannt. Es ist klar, daß so aufgebrachte Kinder, wenn sie nicht schon in zartem Alter dahingehen, keine große Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten haben. Dazu kommen aber noch die wahnsinnigen Heilmethoden des Volkes. Daß von Prophylaxis (Vorbeugung), vom Schutz der Kinder gegen die Gefahr der Ansteckung kein Gedanke vorhanden ist, versteht sich von selbst. Kinder, die mit Pocken, Typhus oder Scharlach behaftet sind, spielen in den Straßen mit den anderen zusammen, solange sie können. Geht es dann nicht mehr, so wird der »Arzt« gerufen. Der sieht sich das Kind an und sagt: »Es hat es innerlich, das muß heraus« – und dann sticht er mit einer rostigen Nadel aus seinem Gewande das Kind in den Unterleib, bis es aussieht wie eine Pfefferbüchse. Am nächsten Tage fragt der Arzt, ob das Kind besser wäre, ob es die Portion von gekochtem Reis oder das Pulver aus gerösteten Ratten gegessen hat usw. Das ist nicht der Fall, »Unbekannte Einflüsse, hm, hm! Versuchen wir etwas anderes!« Er streut dann ein Pulver auf den Kopf des Kindes und brennt das auf dem Körper ab, so daß ein rundes Loch in der Haut entsteht. Man kann die Male oft noch am Körper der Erwachsenen sehen. Bei solchen Zuständen kann man sich nur wundern, daß das Volk nicht schon längst ausgestorben ist. Aber diese östlichen Rassen halten vieles aus, was bei Europäerkindern undenkbar wäre.

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Versteinerte Bäume.

Eines der größten Naturwunder ist der Wald versteinerter Bäume von Arizona, den die amerikanische Regierung unter ihren Schutz stellt und so der Nachwelt erhält. An und für sich sind ja versteinerte Bäume keine Seltenheit; die Umgebung von Kairo weist schöne Exemplare auf, und neuere Ausgrabungen in Algier und Tunis haben Stätten einer versteinerten Vegetation freigelegt. Aber nichts von dem allen läßt sich mit der grandiosen Einöde von Arizona vergleichen. Es ist ein ganzer mächtiger Wald, der ein weites, mehrere Meilen langes, fast einen Kilometer breites und 15 bis 20 Meter tiefes Tal ausfüllt. Die ganze Gegend ist öde und wüst. Die Abhänge dieser gewaltigen Aushöhlung der Erde bieten nur eine verkrüppelte Vegetation dar; man findet versteinerte Bäume von jeder Größe und jedem Umfang. Hier und da erheben sich versteinerte Baumstümpfe, Ueberreste von Bäumen, die der jähe Temperaturwechsel zerbersten ließ, und die nur noch in Trümmern von 0,80 Meter bis 7 Meter Länge übrig geblieben sind. Am interessantesten sind natürlich die Baumstämme, die der Zeit und der Witterung getrotzt haben und noch in Riesengröße dem Blick sich darbieten. Mehrere von ihnen haben eine Länge von 70 Meter mit einem Durchmesser von 1,35 Meter. Ein solch gewaltiger Baumstamm führt den Namen der »versteinerten Brücke«. Er ist über einen tiefen Abgrund gelagert; seine beiden Enden verbinden die felsigen Abhänge miteinander.

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Indianische Signale.

Der Stamm der Irokesen hat eine Dichterin unter sich: Tekahienwake. Sie war vor, kurzem in London und entwarf in einem englischen Blatte die folgende Schilderung gewisser indianischer Gebräuche: »Viele Monde, bevor ich den mokassinbekleideten Fuß in Londons Straßen setzte, hörte ich einen Ton, seltsamer als all die unzähligen Geräusche dieser tausendzüngigen Stadt, dieser Haut schmerzte mein Ohr nicht, wie der mißtönende Lärm der hinhastenden Menschen, aber obwohl er melodisch und leise zu mir klang, erfüllte er doch die ganze Nacht mit Schrecken und machte mein Blut erstarren. Es war der Todesschrei der Irokesen, der da zu mir kam durch die schweigende Stille, der bedeutungsschwerste, durchdringendste Ruf, der den Lippen des roten Mannes entflieht. Er wird nur ausgestoßen, wenn dem Volke der Tod eines großen Häuptlings oder das Nahen eines Kriegers verkündet werden soll. Der erfinderische Verstand des weißen Mannes hat viele Wunder erdacht, um vogelschnell die Kunde wichtiger Geschehnisse überall hin zu verbreiten. Als die »große weiße Mutter«, Englands Königin, vor fünf Jahren starb, da durchdrang die Nachricht das weite Waldgebiet des roten Mannes pfeilgeschwind. Da ward der »Todesschrei« zum letztenmal den Lauf des großen Stromes entlang gehört, der seinen silbernen Weg hin unter dem Himmel Kanadas sich bahnt. Steigt aus den murmelnden Wogen dieser Ruf zum Ohr des weißen Mannes empor, dann glaubt er wohl, den Geistergesang überirdischer Wassergötter zu hören; aber wir, die wir seit Jahrhunderten gelernt haben, dem Rauschen des Waldes und dem Klingen des Wassers zu lauschen, wir wissen, daß der Silberfluß die Klänge zu uns trägt. Ein Krieger hat das Gerücht vom Tode oder Kriege vernommen; sofort färbt er die Wangen rot, um den Kriegspfad zu betreten, oder schwarz, wenn er um den Häuptling trauert, und schleicht dann lautlos durch die Waldwildnis zum Rande des Stromes. Ueber das Wasser beugt er sich tief herab und läßt den lang hingezogenen dumpfen Ruf hohl durch die Hände tönen, einmal, zweimal, dreimal, daß er geisterhaft über die Wellen schwebt. Dann lauscht er aufmerksam, bis ein schwacher Widerhall des Lautes zu ihm dringt. Meilenweit entfernt hat ein scharfes Ohr stromabwärts den Ruf vernommen, und nun klingt der Schrei weiter, bis er wieder von einem Irokesen gehört und aufgenommen wird. Bevor es dämmert, ist durch den ganzen Wald die Kunde gedrungen, und die Nachricht hat sich überall hin verbreitet. Ist der Todesschrei durch das Land gegangen und hat den Krieg verkündet, dann werden die Ketten von den Tomahawks genommen, die Kriegsfeuer lodern zum Himmel. Meldet aber der Todesschrei den Hingang eines großen, guten Häuptlings, dann tönt die Stimme der Klage durch den Wald. Der traurigste Ton, der durch das Herz des roten Mannes zu dringen vermag, schluchzt durch die Lüfte: Es ist das trostlose, hohle Dröhnen der indianischen Todestrommel. Feierlich und eintönig klagt sie Stunde um Stunde, Nächte nacheinander, und spricht des roten Mannes Trauer aus. So hörte ich den gefürchteten Todesschrei den Fluß hinausschleichen und die Todestrommel verhalten schluchzen. Und dann wurden die Todesfeuer aufgebaut, den Pfad zu erleuchten, den der Geist des Verstorbenen zu den weitentfernten glücklichen Jagdgründen zurücklegen muß. ... Weit im Lande der untergehenden Sonne, wo die Prärie noch Büffelspuren aufweist, teilten andere rote Stämme einander die Nachricht durch das geheimnisvolle Rauchsignal mit, das selbst der scharfsinnigste Weiße nicht verstehen kann, und das nur der Wigwambewohner kennt; trotzdem ist es schnell und einfacher als der surrende Zauberdraht der Blaßgesichter. Stets glimmt das Feuer in einem Indianerlager, damit vor allem schnell Nachrichten befördert werden können. In einem Augenblick wird die Flamme im Büffelgras erstickt, der Wigwam verlassen und die Tür geschlossen, und drei oder vier starke Männer ergreifen von außen die Pfosten und heben und senken den Bau mit schneller Bewegung. Der Rauch strömt in scharfen Stößen aus und warnt so vor dem nahen Feind, oder er steigt langsam in schweren Massen aus und berichtet von einer entscheidenden Schlacht. In den Gebieten, in denen der dichte Wald die Rauchsignale verhindert, werden die Nachrichten von Läufern befördert. Zu dieser Mission werden junge Leute erwählt, die ihre Widerstandskraft in harten Prüfungen erwiesen haben. Ganz unbeschwert bricht der Läufer auf, um vielleicht eine Strecke von 200 Meilen zurückzulegen; nur einen kleinen Beutel mit harten Fleischkuchen trägt er vorn in seinem wildledernen Hemd. Er läuft langsam, stetig, bedächtig, vom Morgengrauen bis zur Dunkelheit; sein Schritt bleibt unverändert, nie stockt ihm der Atem, er hält nicht an, um zu essen. Nachts findet er ein Lager unter den Büschen ...«

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Diplomatie.

In seiner » Hohenzollernlegende« (Verlag Buchhandlung Vorwärts) schildert Genosse Maurenbrecher, wie Friedrich II. den Eroberungszug nach Schlesien in Szene setzte. Es war mehr ein Ueberfall als ein ehrlicher Krieg, da der Besetzung jener österreichischen Provinz keine Kriegserklärung, nicht einmal eine diplomatische Aktion vorausgegangen war, Friedrich bemühte sich im Gegenteil, alle Welt zu täuschen. Während die Truppen bereits den Befehl erhalten hatten, zu marschieren – mit Marschroute nach Halberstadt, um die Richtung des Ziels zu verdecken – führte er in Rheinsberg das ausgelassenste Leben, als denke er gar nicht daran, den Frieden irgendwie zu stören. Bezeichnend für diese Art der Diplomatie ist ein Brief, den wir in der »Hohenzollernlegende« abgedruckt finden, Friedrich schrieb in jenen Tagen aus Rheinsberg an einen Freund:

»Es gibt nichts Leichtfertigeres als unsere Beschäftigungen. Wir quintessenzieren Oden, radebrechen Verse, treiben Gedankenanatomie, und bei alledem beobachten wir pünktlich die Nächstenliebe. Was tun wir noch? Wir tanzen bis uns der Atem ausgeht, schmausen, bis wir platzen, verlieren unser Geld im Spiel und kitzeln unsere Ohren durch weiche Harmonien, die, zur Liebe lockend, wieder andere Kitzel erregen. Ein Hundeleben! werden Sie sagen, nicht von dem Leben hier, sondern von dem, das Sie in Kummer und Leiden führen. Genesen Sie von den Wunden der Cythere (Göttin des Liebesgenusses), wenigstens lassen Sie uns von Ihrem Geiste Nutzen haben, wenn die Mädchen keinen von Ihrem Körper haben können.« –

Das war Ende November. Am 16. Dezember überschritten die Truppen die schlesische Grenze, am 3. Januar ergab sich Breslau, am 8. Januar Ohlau, am 9. März Glogau. Nur die Festungen Neiße und Brieg hielten sich noch. Und erst im März 1741 kam ein österreichisches Heer zum Entsatz herbei! Zu spät und zu schwach, um die Eroberung Schlesiens durch Friedrich verhindern zu können.

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Wieviel sichtbare Sterne gibt es?

In der Regel nimmt man rund 100 Millionen an. Nach einer neuen Zählung von Gore muß aber diese Zahl als das äußerste Maximum bezeichnet werden. Gore zählte die Sterne auf den Photographischen Sternkarten von Dr. Roberts und fand, daß auf einem Quadratgrad in der Milchstraße selbst durchschnittlich 4137 Sterne zu sehen sind, aber nur 1782 in der der Milchstraße benachbarten Region. Indem Gore diese Ergebnisse mit den früheren Schätzungen von Professor Pickering über die Sterndichtigkeiten in der Milchstraße im Verhältnis zum übrigen Firmament verglich, ergab sich die Zahl von 64 184 757 sichtbaren Sternen. Wahrscheinlich ist aber dieser Betrag etwas zu klein, da jedenfalls die Bilder einiger schwächerer Sterne bei der Reproduktion der Robertschen Photographien zum Verschwinden gekommen sind.

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Eine Flucht.

Dem »B. T.« wurde im Juni von seinem Petersburger Korrespondenten geschrieben:

Die gelungenen Fluchtversuche von Gerschuni und Deutsch aus Sibirien haben auch einen dritten wichtigen politischen Sträfling, Karpowitsch, den Mörder des Ministers der Volklaufklärung, Bogolepow, veranlaßt, trotz der strengsten Bewachung und aller getroffenen Maßnahmen aus Sibirien zu fliehen und seiner Gefangenschaft ein Ende zu machen. Nach der Flucht Gerschunis, dem die Regierung als Organisator vieler Attentate eine ganz besondere Bedeutung beilegte, war in den sibirischen Gefängnissen alles geschehen, um eine Wiederholung solcher Ueberraschungen zu verhindern. Das ohnehin strenge Gefängnisregime war noch weit strenger geworden, und die zur Ansiedelung Deportierten wurden mit doppelter Aufmerksamkeit überwacht. Auch war der strenge Befehl erlassen, jeden Gefangenen beim ersten Fluchtversuch unerbittlich niederzuschießen und die Mitwisser eines Fluchtversuches aufzuhängen.

Unter diesen Umständen war es nicht leicht, Helfershelfer zu finden, aber der bekannte russische Schlendrian und die Nachlässigkeit der Beamten taten das ihre, und auf sie wurde der ganze Fluchtplan gebaut. Am 22. März führte Karpowitsch seine Flucht aus Sibirien aus, und erst jetzt, nach drei vollen Monaten, dringen die ersten näheren Nachrichten über die Ausführung der Flucht nach Petersburg. Karpowitsch sollte mit einer Abteilung Sträflinge nach Norden in den Kreis Bargufiny, nördlich von Werchneudinsk, gebracht werden. Diesen Moment hatte er zur Flucht ausersehen, und er begann, unter Mithilfe einer ganzen Reihe von politischen Sträflingen, seinen Fluchtplan zu organisieren und zu verwirklichen, bis ihm eines Tages ein Zettel zugesteckt wurde, auf dem die vielverheißenden Worte standen: »Alles ist bereit! Glückliche Reise!« Der Plan war in folgender Weise entworfen: Die Gefangenen hatten berechnet, daß ihre Gruppe am 21. oder 22. März spät abends in Werchneudinsk eintreffen mußte, 15 – 20 Kilometer vor der Stadt mußte der Gefangenentransport durch einen dichten Wald, und in diesem Wald sollte die Entscheidung fallen. Um die Flucht wenigstens eine kurze Zeit zu verdecken, sollte folgendes Manöver ausgeführt werden: Ein politisch Verbannter sollte mit einem einfachen Wägelchen an einem Kreuzwege im Walde warten, während etwas weiter ein flottes Dreigespann mit Kleidern usw. bereitstand. Das Pferd, das den Wagen zog, in dem Karpowitsch saß, sollte von ihm oder irgendeinem der anderen Gefangenen künstlich zum Lahmen gebracht werden, damit man gezwungen wäre, den mit Pferd und Wagen wartenden angeblichen Fahrknecht zur Weiterfahrt anzunehmen.

Drei Wochen vor Beginn des Weitertransports nach Bargusiny begann Karpowitsch über große Schwäche in den Füßen zu klagen und reichte, als ihm mitgeteilt wurde, daß er in kurzer Zeit nach Bargusiny gebracht werden würde, ein Gesuch ein, ihm die Fahrt dorthin im Wagen zu gestatten, weil er sie zu Fuß nicht zurücklegen könne. Dieses Gesuch wurde ohne weiteres bewilligt, jedoch hieß es ausdrücklich, Karpowitsch müsse den Wagen mit anderen Sträflingen teilen. Diese Verfügung drohte seinen ganzen Fluchtplan über den Haufen zu werfen, und er mußte es um jeden Preis durchsetzen, allein fahren zu dürfen. Kurz vor dem Aufbruch des Gefangentransportes, zu dem Karpowitsch gehörte, nahm er eine ziemlich starke Dosis Brechweinstein ( Tartar emeticus) ein, die er sich durch den Gefängnisarzt zu verschaffen gewußt hatte, und bekam einen kaum zu stillenden Brechanfall. Nun wiederholte Karpowitsch seine Bitte um einen gesonderten Wagen, und diese Bitte wurde jetzt gewährt. Bis zum verabredeten Punkt im Walde verlief alles ohne jeden Zwischenfall. Am 22. März näherte man sich dem Walde, in dem die Flucht ausgeführt werden sollte. Einer der Gefangenen glaubte zu bemerken, daß das Pferd von Karpowitsch zu lahmen begänne und erbat sich, die Hufe zu besehen. Während dieser Besichtigung brachte der Gefangene dem Tiere mit seinem Messer einen Schnitt am Fuße bei, und rieb unbemerkt einige Körner Kampfer in die Wunde. Das Resultat dieses Kniffes war ein ganz wunderbares, denn das Pferd fing in kurzer Zeit derart an zu hinken, daß jeder eine Weiterstrapazierung des Tieres für überflüssig halten mußte. Der Leiter des Gefangenentransportes erklärte, daß er sofort einen anderen Wagen dingen würde, falls sich nur einer einfände, sonst müßte man bis zur nächsten Etappe warten.

Der Punkt, an dem der Helfershelfer Karpowitsch mit Pferd und Wagen erwarten sollte, war schon passiert, aber nichts war vom Fuhrknecht zu sehen gewesen. Da tönte der helle Ton eines Glöckchens durch den Wald, und ein Bäuerlein versuchte, den Gefangenentransport zu überholen. Der Offizier ritt selbst an den Bauern heran und dang ihn für den Weitertransport von Karpowitsch, worauf das Bäuerlein ohne viel zu handeln einging, Karpowitsch setzte sich auf das neue Gefährt und versank, indem er sich der Länge nach auf dem Stroh ausstreckte, scheinbar in einen tiefen Schlaf. Es begann zu dunkeln, und die übrigen Wagen schlugen ein schnelleres Tempo ein, um noch vor Einbruch der Nacht in Werchneudinsk einzutreffen. Der Offizier hatte im Hinblick auf die letzte lange Etappe alle Gefangenen in den Wagen fahren lassen. Bald war auch die Stelle erreicht, wo das Dreigespann in der Nähe warten sollte, da gerät am Geschirr des Wagens, in dem Karpowitsch fuhr, irgendetwas in Unordnung, und der Fuhrknecht verließ die Wagenzeile, um die Sache in Ordnung zu bringen und die anderen nicht aufzuhalten. Der Offizier ließ den Wagen ruhig passieren, warf einen Blick auf den scheinbaren Schaden und rief dem Knechte zu: »Komm nur nachgefahren!« Nach wenigen Augenblicken war der Gefangenentransport mit seinem Convoi hinter einer Biegung verschwunden, und Karpowitsch frug seinen Fahrknecht: »Kehren Sie nicht um? Haben Sie nichts bemerkt?« Der verkleidete Knecht erwiderte: »Verhalle Dich still, gleich wird Dein Wagen hier sein.« Auf einen Pfiff bog auch schon ein schmuckes Dreigespann aus dem Waldweg auf die Hauptstraße, Karpowitsch kleidete sich in fliegender Eile um, schüttelte seinen Rettern nur die Hand, und die kleinen, zähen sibirischen Pferde wurden angetrieben, um auf einem weiteren Umwege auf Werchneudinsk zuzufahren und es vor dem Gefangenentransport zu erreichen.

Eine weitere Aufgabe bestand darin, die Aufmerksamkeit des Transportoffiziers möglichst lange zu täuschen. Zu diesem Zweck hielt sich der Fuhrknecht, der Karpowitsch gefahren hatte, nachdem er aus dem Walde heraus war, immer in einer recht beträchtlichen Entfernung vom Transport. Auch der zweite Teil des Planes gelang, da der Offizier das Verschwinden des Karpowitsch tatsächlich nicht bemerkte. Kurz vor der Stadt wurde der Gefangenentransport von einem flüchtig dahineilenden Dreigespann überholt, in dem ein ganz in seinen Pelz versteckter Herr faß. Keiner der schläfrigen Convoisoldaten erkannte in diesem Reisenden Karpowitsch, dem aus den Reihen der eingeweihten Gefangenen die Worte nachtönten: »Glückliche Reise!« – »Danke herzlich!« gab der Kutscher zurück, und bald war der Wagen den Augen der ihm sehnsüchtig nachblickenden Kameraden entschwunden, Karpowitsch wurde in Werchneudinsk in einem Hause abgeliefert, in dem er vor allen Nachstellungen der Polizei ziemlich gesichert war. Als sein Dreigespann in einem Wirtshause einkehrte, wurde dort schon von der Flucht eines politischen Gefangenen gesprochen, und es wurden Pferde gemietet, um dem Flüchtling nachzujagen ...

Als das Bauernwäglein, dem Karpowitsch anvertraut worden, leer in Werchneudinsk eintraf, geriet der Convoioffizier in Wut, aber das Bäuerlein schwor, von dem Verschwundenen nichts zu wissen, bis der Offizier es ihm glaubte und ihn seiner Wege ziehen ließ. Natürlich wurde auf Karpowitsch sofort energisch Jagd gemacht, aber vergeblich, denn keinem fiel es ein, daß sich der entsprungene Sträfling in Werchneudinsk aufhalten könnte. Eine Woche blieb Karpowitsch in Werchneudinsk und verließ an einem regnerischen trüben Abend zu Fuß die Stadt, um fünf Kilometer außerhalb ein bereitstehendes Gefährt zu besteigen, das ihn nach der nächsten Stadt bringen sollte. Dort angekommen, erfuhr er sofort, daß die Polizei eifrig nach ihm fahnde und täglich Hausdurchsuchungen vornehme. Er konnte sich dort unmöglich aufhalten und machte sich mit einem anderen politischen Ansiedler sofort auf den Weg, um die sibirische Bahn zu erreichen. Auch dieser Teil der Flucht glückte, obgleich der Flüchtling unterwegs zweimal angehalten und durchsucht wurde; sein ihm in Werchneudinsk zugesteckter Reisepaß lautete auf den Namen eines großen Viehhändlers und half ihm aus der Klemme, In Wladiwostok begab sich Karpowitsch sofort zum Hasen, um das erste beste Schiff zu besteigen. Es war ein japanisches Schiff, und er gab sich zufrieden. Nach zweiwöchentlichem Aufenthalt in Japan reiste Karpowitsch nach Amerika, wo er gegenwärtig weilt. Die gute sibirische Polizei sucht ihn aber immer noch in Sibirien, denn sie ist von ihrer Unfehlbarkeit fest überzeugt. Möge sie so bleiben.

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Das Schwein in alter Zeit.

Die religiösen Vorstellungen der alten Völker gehen in bezug auf das Schwein in Liebe und Haß weit auseinander. Der Aegypter aß kein Schwein, ja er berührte es nicht. Aber trotzdem hielt eine zahlreiche Menschenklasse ganze Herden, hütete und aß sie. Kein Schweinehirt durfte in einen Tempel treten; die Hirten der Schweine galten für die Unreinen, die Ketzer im Lande und waren aller Rechte beraubt. Nur zu Ehren des Sonnengottes und der Mondgöttin wurde alljährlich ein Schweineopfer gebracht. Die Griechen opferten das Schwein beim Anfang der Ernte, beim Schließen der Bündnisse, wie auch bei Hochzeiten. Bei den Römern wurde das Schwein hoch geschätzt und geehrt. Wenn die Gnade der Götter feierlich für das römische Volk erfleht wurde, dann wurde neben einem Schafbock und einem Stier auch ein Eber in der Prozession mit herumgeführt. Im Mittelalter liefen die Schweine frei in den Straßen herum, selbst in den größten Städten. So mußte in Paris das Verbot, Schweine in den Straßen laufen zu lassen, mehrmals wiederholt werden.

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Pflanzen-Edelsteine.

Die Natur ist die größte Künstlerin, die es gibt, denn sie erzeugt nicht nur die farbenprächtigsten, sondern bringt auch gleicherweise mikroskopisch feine und sehr groteske Gebilde hervor. Eine staunenerregende Tatsache ist es auch, daß die Früchte mancher Bäume eine steinharte Hülle haben, wie beispielsweise die Nüsse. In dieselbe Gruppe wunderbarer Naturerscheinungen gehört es auch, daß Pflanzen edelsteinartige oder perlenähnliche Gebilde erzeugen. So enthält das Bambusrohr auf den Philippinen, wie die Zeitschrift »Kultur und Natur« berichtet, einen dem Opal sehr ähnlichen Stein, der aber viel kostbarer als der Opal ist, da man ihn nur höchst selten entdeckt. Unter mehreren tausend Rohrstämmen, die abgeschnitten und genau untersucht werden, dürfte sich vielleicht nur ein einziger befinden, in dessen Innern sich dieser schöne grünlich-rosa schillernde Stein gebildet hat. Diese Bambusrohrsteine nennt man Tabaschirs. Auch im Innern mancher Kokosnuß befindet sich eine steinharte Absonderung, die dem Glanze der schönen echten Perle nichts nachgibt.

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Pferdeverstand.

Ueber die geistige Befähigung des Pferdes ist schon viel geschrieben und gestritten worden. Daß es zu den intelligentesten Tieren gehört, wird niemand leugnen. Merkwürdig ist schon sein Erkennungsvermögen: es hört am Schritt, wann sein Herr naht, dem es entgegenwiehert, sich an ihn schmiegt, seine Hände leckt und ihn mit glänzend belebten Augen betrachtet, die seine Freude erkennen lassen. Aber auch Zeit- und Ortssinn sind dem Pferde in hohem Maße eigen. Häufig vermag es Ursache und Wirkung zu unterscheiden, sich Urteile und Schlüsse zu bilden. Wahrhafte Ueberlegung zeigte z. B. eine Herde Pferde, welche im April des Jahres 1794 auf der Elbinsel Krautsand plötzlich von der Springflut überrascht wurden und ihr nicht wie die Rinder durch Schwimmen entrinnen konnten, weil sie ihre Füllen bei sich hatten. In dieser kritischen Lage zogen sich die Pferde wiehernd in einen Kreis zusammen, und je zwei von den Alten drängten die Füllen zwischen sich hinaus über das Wasser. So standen sie mutvoll und unbeweglich, bis nach sechs Stunden die Ebbe eintrat.

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Ein Riesenbau.

In Newyork hat man ein neues Hotel eröffnet, das nicht weniger als 27 Stockwerke enthält. Diese erheben sich 368 Fuß in die Höhe, und 3 Stockwerke führen noch unter die Erde hinab. Die Grundmauern des Baues sind auf einem festen Felsboden ausgeführt, und für das Stahlgerüst des Wolkenkratzers sind fast 10 000 Tonnen Stahl verwandt worden. Granit, Kalkstein, Ziegel und Terrakotta sind das Material, das zur Verkleidung des Gerüstes gedient hat. Vier Jahre lang hat der Bau gedauert, und viele Millionen Dollar sind bis zu seiner Vollendung aufgewandt worden. Eine besondere Sehenswürdigkeit sind die Kühlräume, die größten der Welt, in ihrer Art ganz einzig. In ihnen lagern unter anderem eine Million Zigarren in den verschiedensten Sorten, von der Zigarre für 20 Cent an bis zu den feinen Havanas, die fünf Dollars das Stück kosten. Das Hotel enthält 1006 Zimmer und beschäftigt 1000 Angestellte

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Leuchtende Tiere.

Die elektrischen Bewegungen des Zitterrochens und des Zitteraals sind nach mühevollen Untersuchungen als die Effekte eines speziellen Organs erkannt worden, das mit dem Nervensystem dieser Fische verbunden ist. In der gleichen Weise haben die Forscher die phosphoreszierenden Organe des Leuchtkäfers und der Feuerfliege untersucht, doch hier war der Erfolg nicht vollständig befriedigend, obgleich länger als ein halbes Jahrhundert daran gearbeitet wurde, den Schleier dieses Mysteriums zu lüften. Die Ursache dieses teilweisen Mißerfolges liegt, in dem Umstände, daß das leuchtende Organ hier viel kleiner und schwerer zu unterscheiden ist, und das Licht nicht direkt vom Organe, sondern von einer Ausscheidung produziert wird, welche in der gleichen Weise wie die Galle von der Leber oder der Speichel von den Speicheldrüsen abgeschieden wird. Diese Ausscheidung wird » Noctilucin« genannt. Sie ist eine weiße, fettige Substanz, welche beim Trocknen dünne, weiße und glänzende Häutchen bildet und in dieser Gestalt dem Schleim der Gartenschnecke ähnelt. Hinsichtlich der chemischen Zusammensetzung ist sie wahrscheinlich ebenso kompliziert, wie alle übrigen Ausscheidungen der Drüsen der höheren Tiergattungen.

Das Noctilucin wird jedoch nicht nur vom Leuchtkäfer ( Lampyries) und der Feuerfliege ( Elater), sondern auch vom Tausendfuß, der in den Rosenbeeten und auf den Gartenwegen im Sommer häufig zu sehen ist, dann von einem Weichtier ( Pholas), welches sich in das Holzwerk der Schiffe und Hafenbauten einbohrt, ferner auch von dem winzigen Noctiluca miliaris, welches die Hauptursache des Leuchtens des Meerwassers ist, und noch von vielen anderen Schleimtieren und Polypen ausgeschieden. Es ist weiterhin mehr als wahrscheinlich, daß diese phosphoreszierende Substanz, welche im Dunkel ein seltsames Licht gibt, auch bei der Zersetzung vieler organischer Stoffe erzeugt wird, z. B. beim Faulen des Fleisches der Fische und anderer Tiere. Lamb Phipson, der sich ein ganzes Menschenalter mit diesem Gegenstände beschäftigt hat, fand sogar auf der Haut kranker Menschen das Noctilucin, und er nimmt ferner an, daß es auch aus vegetabilischen Produkten, z. B. auf den Kartoffeln, entsteht, welche ein phosphoreszierendes Licht ausstrahlen, wenn sie unter gewissen Feuchtigkeits- und Temperaturverhältnissen der Zersetzung zerfallen. In gleicher Weise soll die Phosphoreszenz einiger Schwämme, wie jene des Pilzes ( Agriaric), der in Italien am Fuße der Olivenbäume häufig zu finden ist, zustande kommen; das Noctilucin gibt in allen Formen seines Auftretens das gleiche Spektrum, d. h. wir es durch einen Spalt und ein Prisma betrachten, die sogenannte Spektralanalyse ausführen, nehmen wir immer das gleiche Lichtbild wahr, welches von den Spektrallinien E bis F reicht; nur das Spektrum des Noctilucins der Feuerfliege Westindiens geht zuweilen bis zur Linie O. Der Schein des Noctilucins wirkt auch auf eine photographische Platte ein.

Die chemische Zusammensetzung des Noctilucins ist sehr kompliziert. Lamb Phipson hat es im Jahre 1875 zum ersten Male beschrieben, nachdem er es 13 Jahre früher an faulenden Fischen vermutet hatte und es schließlich gewann, indem er mehrere große Tausendfüße ( Geolopendra electrica) in eine Porzellanschüssel mit steilen Wänden steckte und die Schüssel mit einer Glasplatte zudeckte. Wurden die Käfer gereizt, so schieden sie eine beträchtliche Menge Noctilucin aus, das im Dunkel durch eine lange Zeit nach der Entfernung der Käfer noch leuchtete. Die Ansicht, daß der Leuchtkäfer und die Feuerstiege imstande seien, das Leuchten zu beherrschen, indem sie ihr Licht auch verlöschen könnten, stützt sich auf die Annahme, daß das Organ, welches das Noctilucin ausscheidet, unter der Kontrolle des Nervensystems dieser Insekten steht. Vom Menschen und den höheren Tiergattungen ist dieser Einfluß der Nerven aus die Ausscheidung der Drüsen bekannt. Das winzige Tierchen, welches in Schwärmen von Millionen das Meeresleuchten produziert, dürste aller Wahrscheinlichkeit nach auch ein solches Organ haben, obgleich bis jetzt ein Nervensystem in ihm nicht entdeckt wurde. Gibt man mehrere dieser Insekten, die kleiner als ein Stecknadelkopf sind, in ein Glas Wasser, so werden sie, solange sie in Ruhe gelassen werden, ohne Phosphoreszenz auf der Oberfläche schwimmen; doch in dem Augenblicke, als ein leichter Schlag auf das Glas erfolgt, sinken sie hinunter und leuchten dabei wie Diamanten, wie wenn ihre Leuchtkraft von der Bewegung und Zusammenziehung ihres Körpers abhängig wäre. Die für das oben beschriebene Experiment mit dem Tausendfuß geeignetste Zeit sind die Monate September und Oktober.

In allen Fällen der tierischen Phosphoreszenz scheint das Licht von der Oxydation oder langsamen Verbrennung des Noctilucins infolge reichlichen Luftzutrittes herzurühren. Das Leuchten solcher Substanzen im Wasser dauert demnach so lange, bis die ganze in der Flüssigkeit enthaltene Luft durch diesen Prozeß aufgebraucht ist. Die Eier des Leuchtkäsers geben gleichfalls im Dunkel ein mattes Licht, welches einige Zeit nach dem Legen anhält. Die Drüsen, welche das Noctilucin ausscheiden, befinden sich unter schuppigen Ringen des Körpers und sind ähnlich den Honigdrüsen der Bienen situiert. Zu einer bestimmten Zeit des Jahres, Ende September oder Anfang Oktober, ist auch der gemeine Regenwurm stark phosphoreszierend, insbesondere, wenn er auf einem warmen Düngerhaufen liegt.

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Der Sonnentanz

ist eine indianische Sitte. Dorsey, ein Forscher, hatte neuerdings Gelegenheit, einen solchen Tanz bei den Ponca-Indianern aufführen zu sehen. Die Zeremonie wird im Juni oder Juli abgehalten. Die Priester, die zugleich Aerzte sind, wählen die Tänzer, die durch ihre Wahl eine Auszeichnung erfahren. Der Beginn der Zeremonie wird vorher bekannt gegeben und das Lager am Tage vor ihrer Abhaltung verlassen. Im ganzen dauert die Veranstaltung fünf Tage, der erste ist den Vorbereitungen gewidmet. Am Vormittag des zweiten Tages findet ein Scheinkampf statt. Darauf werden die vier für die Zeremonie bestimmten Hütten von den weiblichen Verwandten der Priester instand gesetzt; außerdem vier Altäre, für jede Hütte einer, hergerichtet. Unterdessen begeben sich einige Leute auf die Suche nach einem Pfahl, der außerhalb des Lagerplatzes quer zum Sonnenstand niedergelegt wird. Am dritten Tage begibt man sich zum Pfahl, der nun bemalt und aufgerichtet wird. Nachdem ein Altar zurecht gemacht worden ist, treten die Leute zum Tanze an, der mit kleinen Unterbrechungen den ganzen Tag und die ganze Nacht währt. Auch am vierten und fünften Tage wird der Sonnenaufgang mit Tänzen begrüßt. Zuweilen scheinen die Priester die Tänzer zu hypnotisieren. Bis zum letzten Tanz wird gefastet. Erst nach dessen Vollendung schaffen die Weiber Nahrung für die Tänzer herbei. Der Anführer spült seinen Mund aus und besprengt das Haupt jedes Tänzers mit Wasser. Zum Schluß der Zeremonie kommt der unangenehmste Teil des Festes; es wird nämlich jedem der Teilnehmer ein Hautstreifen von der Schulter gelöst und am Fuße des Pfahls als Sonnenopfer niedergelegt.

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Die Monatsnamen.

Unsere Monatsnamen stammen von den alten Römern. Ursprünglich gab es deren nur zehn; März, April, Mai, Juni, Quintilius (der fünfte), Sextilius (der sechste), September (der siebente), Oktober (der achte), November (der neunte) und Dezember (der zehnte). Der Januar und Februar kamen erst später hinzu. Der Januar, der an die Spitze des Jahres gestellt wurde, erhielt seinen Namen von Janus, dem Gotte der Zeit. Der Februar bekam seinen Namen von den in diesem Monat den Göttern dargebrachten Totenopfern: Februa. Der März war dem athletischen Kriegsgott, dem Mars, geweiht. Der April hat seinen Namen von Aperire, »öffnen«, weil durch die linden Lüfte in ihm sich die ganze Fülle der Natur erschließt. Der Mai (Majus) war der größten (Major, maximus) heidnischen Gottheit, dem Jupiter, geweiht, der Juni seinem Weibe, der Juno, der Juli aber hat seinen Namen zum Andenken an Julius Cäsar, der August seinen zum Andenken an den Kaiser Oktavianus Augustus.

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Bühnensorgen.

Die wenigsten Leute haben einen Begriff davon, was für Mühen, Sorgen und Kosten den großen Theatern durch die Aufführung eines neuen Stückes verursacht werden, André Antoine, der Direktor eines hervorragenden Pariser Theaters, hat über dieses Thema einiges in einer Zeitschrift veröffentlicht. Allerdings meint er, daß das Publikum recht habe, wenn es die Schwierigkeiten der Inszenierung nicht berücksichtige, sondern in seinem Urteil nur danach frage, was wirklich geleistet worden sei, »Was geht es den Zuschauer im »Julius Cäsar« (Drama von Shakespeare) an,« so schreibt er, »daß ich ganze Nächte mit dem Dekorationsmeister verhandelt habe; daß ich zweimal nach Rom gefahren bin; daß ich die Gefahren der Seekrankheit auf mich genommen habe, um in London eine Darstellung des »Julius Cäsar« durch Beerbohm-Tree zu sehen; daß ich schon vor 15 Jahren mich einen ganzen Juni lang, in Brüssel gelangweilt habe, weil ich die Vorstellungen der Meininger im Monnaie-Theater besuchen wollte; daß mein armer Freund de Gramont zehn Jahre an seiner fertigen Uebersetzung gearbeitet hat; daß der Dekorationsmeister während der Siedehitze des letzten Juni unter einem Glasdach geschwitzt hat, anstatt an dem Meeresstrande Erholung zu suchen; daß zwei meiner braven Maschinisten während der Kulissenproben fast einen Todessturz getan haben usw. All diese zahllosen Sorgen, Verdrießlichkeiten und verantwortungsvollen Aufgaben braucht das Publikum in der Tat nicht zu wissen. Das ist nun einmal unser Beruf ... Ob man sich wohl auch eine rechte Vorstellung davonmacht, wieviel Leute an einer Aufführung, wie der des »Julius Cäsar«, mitgearbeitet haben? An den Dekorationen haben 20 Tischler drei Monate lang gearbeitet, der Dekorationsmeister hat gleichfalls 20 Kunsthandwerker gut zwei Monate lang mit den Malerarbeiten beschäftigt. Der Leinwandhändler hat fast 4500 Meter Stoff geliefert, der Holzhandler 2000 Meter Balken. An den Kostümen haben in den Monaten Juli und September 25 Arbeiterinnen gearbeitet. Dazu kommen die Perückenarbeiter, die Schuhmacher, die Waffenarbeiter, die Stricker, die Friseure, kurz, es ist nicht zu hoch gegriffen, wenn man sagt, daß alle diese verschiedenen Lieferanten gegen 190 Arbeiter mehrere Wochen lang für die eine Aufführung beschäftigt haben. Für die täglichen Aufführungen des »Julius Cäsar« muß das Odéon-Theater ein Personal von 45 Schauspielern, 250 Statisten, 60 Musikern, 70 Maschinisten und etwa 100 Angestellten (Kontrolleure, Ankleider, Türschließerinnen usw.) aufbieten. Aus alledem wird man sich eine Vorstellung machen können, was für einen ungeheuren Apparat die Aufführung eines großen Stückes, wie des »Julius Cäsar«, erfordert.«

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Termiten.

In seinem Buche »Aus dem Geistesleben der Tiere« erzählt Dr. Ludwig Büchner von den Termiten oder weißen Ameisen der tropischen Regionen folgendes: »Das Staatswesen der Termiten, welche einer ganz anderen Ordnung der Insekten (als die Ameisen), jener der Netzflügler, angehören und am nächsten mit unsern Kakerlaken oder Schaben verwandt sind, scheint fast noch entwickelter zu sein, als das der Ameisen, wie z. B. der Umstand zeigt, daß sie ein wohlgeordnetes stehendes Heer unterhalten; ihr Bautalent aber übertrifft alles Aehnliche sie bauen förmliche Kastelle, Kanäle und leisten Fabelhaftes im Weg- und Brückenbau. Für den Naturbeobachter eines der Wunder der Schöpfung, sind sie aber für die Bewohner der Gegenden, in denen sie leben, eine wahre Geißel. Geborene Zerstörer, schonen sie nichts, was nicht von Eisen oder Stein ist. Namentlich ist alles, was von Holz ist, ihren Angriffen ausgesetzt, und die von ihnen angerichteten Zerstörungen sind um so unheimlicher, als sie dem Auge nicht sichtbar sind, und in der Regel erst bemerkt werden, wenn es zu spät ist, sie zu hindern. Sie haben nämlich die merkwürdige Gewohnheit, alle von ihnen angegriffenen Gegenstände von innen heraus zu zerstören oder anzunagen und die äußere Hülle stehen zu lassen, so daß deren äußerer Anblick den gefährlichen Zustand ihres Innern nicht ahnen oder erraten läßt. In solcher Weise werden auch ganze von Holz aufgeführte Gebäude, hölzerne Schiffe, Bäume usw. derart von ihnen zerstört, daß sie schließlich, und ohne daß man von der Zerstörung etwas merkt, zusammenstürzen. Nach Europa sind die Termiten wohl erst durch überseeische Schiffe eingeführt worden und haben sich auch hier sofort in Italien, Spanien, Frankreich, sowie in den Gewächshäusern von Schönbrunn bei Wien als äußerst gefährliche Feinde des Holzes bemerkbar gemacht. Nach Schönbrunn kamen sie wahrscheinlich mit Pflanzen aus Brasilien; sie zerstörten sowohl die hölzernen Pflanzenkübel als auch das Gebälke, so daß im Jahre 1839 eines der großen Gewächshäuser niedergerissen werden mußte. Sie vermehrten sich stark bei einer Temperatur von +24 Grad Reaumur im Innern der Gewächshäuser, sind aber jetzt gänzlich ausgetilgt. In Westafrika machten sie mehrere verlassene Wohnsitze der Eingeborenen dem Boden gleich, und in ganz Südamerika sind, wie Humboldt erzählt, Bücher, welche älter sind als 50 Jahre, eine Seltenheit, weil die Termiten die löbliche Gewohnheit haben, ihre Gänge in die Bibliotheken und quer durch die Bücherreihen zu führen. In den Seestädten Brasiliens und Ostindiens erliegen oft ganze Magazine ihrer Zerstörungswut.

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Ein merkwürdiges Dorf

befindet sich auf einer Insel an der Westküste Islands bei Carracröß. Es ist etwa 200 Jahre alt und hat alles in allem nur 17 Häuser. Von diesen 17 Häusern bestehen 16 aus Schiffsrümpfen, die von den Stürmen des Atlantischen Ozeans an die Küste getrieben und von den Bewohnern in das Innere der Insel geschleppt sind. Das einzige Haus, das nicht von einem alten Schiff herstammt, ist das Pfarrhaus. Dieses ist aus Holzstämmen gezimmert, die der Golfstrom aus Amerika hierher geführt hat. Aber diese einsame, von heftigen Stürmen heimgesuchte Insel hat noch eine andere Sehenswürdigkeit. Aus den angeschwemmten Holzladungen der im Meeresgründe zugrunde gegangenen Schiffe sind die Zäune für Gärten und Felder hergestellt. So findet sich auf dieser Insel eine Reihe von Zäunen, die aus kostbaren Mahagoniholz gezimmert sind.

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Ein Kinderkrankenhaus.

Ein französischer Schriftsteller, Octave Mirbeau, besichtigte vor kurzem das Kinderkrankenhaus der medizinischen Fakultät an der Sorbonne und machte dabei eigentümliche Erfahrungen. Er schrieb darüber in der Pariser Zeitung »Matin« (übersetzt im »B. T.«):

Zuerst war ich überrascht von dem freundlichen Anblick unseres Kinderkrankenhauses, Raum, Licht, weite Rasenflächen, Baumgruppen. Alte, aber sorgfältig geweißte Fassaden: aber schon die eingesunkenen Fensterrechtecke kamen mir merkwürdig vor.

Ueber die erste Abteilung, in die ich geführt wurde, ist wenig zu sagen. Frankreich ist eins der unsaubersten Länder der Erde, wo alles nach dem alten Schlendrian geht, man darf da nicht zu kritisch sein. Seiner ewig vergeblichen Eingaben müde, hatte der dirigierende Arzt selbst für die Saalausbesserung gesorgt. Er hatte getan, was er konnte; vor allem für die Illusion gesorgt, und das ist schon eine ganze Menge. Hier und da ein paar grüne Pflanzen, Spielzeug auf den Betten, überall lichte Farben ... das macht die Besucher sicher und tröstet die kleinen Kranken. Trotz der hellen Mauerfarbe sah man das Alter der Mauern, die eingesunkene, rissige Decke, die Unsauberkeit des Fußbodens. Am Eingang zu den Sälen befinden sich Isolierräume, die nichts isolieren, und von wo die Ansteckung hingehen kann, wohin sie will und wie sie will. Daß diese Räume nicht isolieren, ist der Verwaltung gleichgültig, daß sie so aussehen, als ob sie isolieren, das verlangt man von ihnen. Auf diese Weise bleibt das Reglement unverletzt.

Unwürdig einer Stadt wie Paris waren auch Trockenräume, Laboratorien, Milchkeller, Badestuben, die Säle für Photographie und Radiographie.

Ich ging durch die Säle für die Diphtherie-, Scharlach- und Masernkranken. Alles fast neue, gut eingerichtete, aber völlig überfüllte Räume.

Nun, in den Zeiten der Epidemie ist das unvermeidlich.

Weiter, weiter, sagte ich mir, das ist alles ganz gut so.

Aber im Pavillon für die Masernkranken sah ich den Todeskampf eines schönen zwölfjährigen Knaben. Er hatte nur Keuchhusten gehabt, hatte aber infolge der Verhältnisse hier Masern bekommen und dazu hatte sich eine Lungenentzündung gesellt, gegen die man machtlos war. Seine Händchen krallten sich in die Decke. Er röchelte, er phantasierte. Es war ein schöner Junge, außergewöhnlich kräftig gebaut, um ein starkes Mannesleben zu leben. Und er starb. Und dies Krankenhaus mußte erst kommen, damit der Tod über diesen Körper eines jungen Herkules Recht behielte.

Die Abteilung für Keuchhustenkranke liegt im dritten Stock eines alten Gebäudes. Die Treppe ist dunkel und schmutzig, das Geländer klebt an

den Fingern, die Stufen sind abgenutzt und faulig, alles ist durchlöchert, die Infektionskeime können sich überall aufhäufen. Der Kalk fällt von der Decke, Salpeter schwitzt aus wie Eiter aus einer Wunde. Ein furchtbarer Geruch herrscht. Der Geruch der Ansteckung, des Elends, des Verbrechens.

In den engen, niedrigen Sälen Bett an Bett, Atem an Atem, Tote bei den Sterbenden. Keine Ventilation, eine vergiftete Atmosphäre, ich atmete schwer wie in den Gängen der Untergrundbahn. Ich hörte nur erstickte oder röchelnde Atemzüge. Der schreckliche Husten hob die arme, kleine Brust unter der Bettdecke. Man sagte zu mir: »Ja, es ist ein Elend. Sie kommen hier mit einfachem Keuchhusten an, acht oder vierzehn Tage auf dem Lande, und alles wäre gut. Hier wird's gleich schlimmer, oder die Masern kommen dazu (ich dachte an den sterbenden Jungen unten) oder Scharlach, oder Diphtherie ..., denn hier ist alles infiziert ... und sehen Sie ...«

Man zeigte mir Decke und Wände.

»Sehen Sie, die kleinen Kranken haben nicht halb so viel Luft wie gesunde Kinder brauchen!«

»Wie viele sterben?« fragte ich.

»Vierundzwanzig Prozent, wobei wir, wohl gemerkt, nicht die Angesteckten rechnen, die in den anderen Abteilungen zugrunde gehen. –«

Noch eine Treppe höher liegt die Krippe. Da ist überall Verbrechen und Mord. Keine Badezimmer, nur drei Badewannen ohne Email, keine Heizung, bloß ein mikroskopisch kleiner Ofen. An kalten Tagen können die Kinder aus Furcht vor der Lungenentzündung überhaupt nicht gebadet werden. Keine Ammen sind dort, barmherzige Besucher werden aus Furcht vor Ansteckung nicht zugelassen. Denn die Ansteckung läuft von Bett zu Bett wie an elektrischen Drähten, und der Tod steht am Ende. Gesunde, schöne Babys kommen hierher, und nach einigen Tagen sind sie trotz der aufopfernden Pflege eines bewundernswerten Schwesternpersonals kleine Leichname, die man auf die Marmorplatten des Seziersaales wirft wie Fleischstücke ins Schaufenster einer Schlächterei; denn hier erhebt sich die Sterblichkeit auf die furchtbare Höhe von 65 Prozent. Ich möchte den Müttern zurufen, zuschreien: »Schickt eure Kinder nicht hierher. Tötet sie lieber!«

50 Meter weiter steht eine entzückende Halle, Alles ist leuchtend neu. Licht, Baumgruppen, Blumen. Dort breitet sie sich aus, dort triumphiert unsere ruhmreiche Fakultät.

Um sich diesen Palast zu errichten, hat die Fakultät wohl das für die Kranken bestimmte Geld verbraucht. Sie hat den besten Platz im Krankenhaus, sie hat wohl die Luft und das Licht für sich genommen, die eigentlich für die Masernkranken bestimmt waren. Und mögen sich die kleinen Sterbenden nur freuen! Geschützt vor der Ansteckung in einem entzückenden Amphitheater, wo übrigens niemand ihrem unnützen und verrufenen Unterricht folgt, in diesen zärtlich erwärmten, geräumigen, beständig leeren Sälen, da ist die Fakultät glücklich. Der Fakultät geht's gut!

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Temperatur-Extreme.

Als der heißeste Ort der Erde gilt das Tal des Todes in der Wüste Mohave in Amerika. Es hat nach keiner Seite einen Ausgang, sondern ist überall von Bergen eingeschlossen, die eine Höhe von 1500 bis 2700 Meter erreichen. Barometermessungen haben ergeben, daß die Talsohle 50 Meter unter dem Meeresniveau liegt. Der Name dieses Tales rührt von einer Katastrophe her, welche eine Schar Emigranten ereilte, indem dieselben dort verdursteten. Die Beobachtungen, welche während eines Sommers in jenem Tale durchgefühlt wurden, ergaben als mittlere Temperatur des Juli 39 Grad Celsius; das Maximum erreichte oft 50 Grad, und an einem Julitage erreichte das Tagesmittel 43 Grad. Alle diese Temperaturen sind im Schatten gemessen. Diesem heißesten Punkte der Erde steht Werchojansk in Sibirien als der kälteste gegenüber. Dort erreicht die mittlere Januartemperatur -50 Grad Celsius, und das Thermometer sinkt bis zu -70 Grad Celsius, wobei jedoch zu bemerken ist, daß die höchste Sommertemperatur -32 Grad Celsius erreicht.

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Höfische Sitten von ehemals.

Als der Baron v. Pölnitz auf seinen vielen Reisen auch zum Kurfürsten von der Pfalz nach Heidelberg kam, wurde er vor das bekannte riesige Faß, den Stolz des Kurfürsten, geführt und ihm ein großer Humpen Weins als Willkommen gereicht. Dem Baron ward bange, denn als Kavalier mehr in den Künsten der französischen Galanterie erfahren, verstand er sich nicht so auf das Trinken wie die Herren vom Rhein. Gleichwohl wollte er sich nicht beschämen lassen, sondern trank tapfer und erspähte zugleich den glücklichen Augenblick, wo der Kurfürst sich einmal umwandte und schüttete den größten Teil seines Pokals zu Boden. Immer stärker aber wurde ihm zugesetzt, die » dames« nippten auf sein Wohl, und der geängstigte Höfling, der seine Kräfte schwinden fühlte, entschlüpfte in einem unbewachten Moment unter das Faß. Der Kurfürst indessen Vermißte alsbald seinen Gast und befahl, ihn »tot oder lebendig« zurückzubringen. Ein Page entdeckte endlich den Baron, dieser wurde vorgezogen und im Triumphe vor den Kurfürsten geführt, welcher seine Tochter und deren weiblichen Hofstaat zu Richterinnen über den Ausreißer ernannte. Trotz seines Protestes ward er verurteilt, sich zu Tode trinken zu müssen. Dieses Urteil änderte der Kurfürst jedoch »im Gnadenwege« dahin ab, daß Pölnitz vier große Faßgläser Weines, jedes zu einem halben Maß, leeren solle. Also geschah es, und – wenn auch nicht das Leben – so verlor der Verurteilte doch Sprache und Besinnung. Als er nach geraumer Zeit wieder zu sich kam und seinen Rausch ausgeschlafen, erfuhr er zu seiner großen Genugtuung, daß es seinen Richtern und Klägern nicht besser ergangen sei als ihm selbst, »und der Kurfürst sambt seiner durchlauchtigsten Tochter und denen Hoffräuleyns in einem wesentlich andern Zustand das Gewölbe verlassen hatten, denn sie dasselbe betreten.«

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Zivilisation.

Als eine Ergänzung zu unserem Roman »Die Pilger der Wildnis« mögen unsere Leser die nachfolgenden Zitate aus den Werken der verschiedensten Schriftsteller betrachten:

Die Pilgerväter von 1820 waren die ersten, welche dem Widerwillen der englischen Bevölkerung gegen die Eingeborenen von Nordamerika eine bestimmte Form gegeben haben. Für sie waren die Indianer die Kanaaniter des Alten Testaments, welche weggefegt werden mußten von den Heiligen des Herrn und ausgerottet mit der Schärfe des Schwertes. »Wir lesen in ihren Berichten von Siegen der Weißen über die Heiden mit Hülfe des Herrn, und von Siegen der Heiden über die Christen mit Hülfe des Teufels,« »sie zählen mit Abscheu und Entrüstung jeden feindlichen Alt seitens der Heiden auf, mag er auch noch so gerechtfertigt nach dem Kriegsrecht gewesen sein, aber sie berichten mit Freude und Genugtuung von den Gewalttaten, welche von ihren eigenen Landsleuten an den Eingeborenen verübt wurden«.

In den Schriften der ersten Geschichtsschreiber, besonders der puritanischen Geistlichen Neu-Englands, finden wir die Indianer gewöhnlich als eine dem Teufel verschriebene Rasse, als wilde Bestien, Bluthunde und heidnische Dämonen beschrieben; kein Beiname schien zu schimpflich, keine Verwünschung zu gräßlich, um nicht gegen sie ausgestoßen zu werden. »Die Indianer werden im allgemeinen falsch beurteilt,« sagt der Missionar de Gmet, »und sind wenig bekannt in der zivilisierten Welt; man macht sich seine Meinung aus dem, was man in unseren Städten und an der Grenze sieht, wo das »Feuerwasser«, dieses unglückselige Getränk, und die herabwürdigensten Laster dieser Zivilisation ihnen großes Unglück gebracht haben. Je mehr man aber in die Wildnis vordringt, desto besser findet man den Charakter der Indianer.«

»Unsere Händler,« sagt die Botschaft des Gouverneurs von Pennsylvanien vom Jahre 1744, »bringen dem Gesetz zum Trotze geistige Getränke unter sie, machen sich ihre ausschweifende Gier nach Branntwein zunutze, betrügen sie um ihre Felle und ihr Wampum, welches ihr Geld ist, und verführen noch nebenbei ihre Weiber. Kann man sich dann wundern, wenn sie nach dem Erwachen aus ihrem Rausch bittere Rache nehmen?«

An anderer Stelle heißt es:

»Viele der englischen Händler und ihre Angestellten waren Lumpe der gemeinsten Art, die untereinander in Habgier, Gewalttätigkeit und Ausschweifungen wetteiferten. Sie betrogen, beschimpften und plünderten die Indianer und vergewaltigten ihre Familien. Verglichen mit den französischen Händlern, die unter besserer Aussicht standen, stellten sie den Charakter ihrer Nation von höchst ungünstiger Seite dar.« »Die Händler rekrutierten sich gewöhnlich aus dem Abschaum der eingeborenen Bevölkerung oder aus verbannten Verbrechern aus Großbritannien und Irland,« sie waren »zum größten Teil genau so wild, wie einige der wildesten Indianerstämme«, und ihre Unehrlichkeit war so allgemein, daß ein zufällig ehrliches Exemplar unter ihnen wie ein weißer Rabe angestaunt wurde. »Er wird von den Indianern geachtet und geliebt,« sagt Bartram von einem solchen Händler in Cowe, »wegen seiner Leutseligkeit, Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit beim Handeln und – um ehrlich und aufrichtig zu sein, muß ich es sagen und ich schäme mich hierbei für meine Landsleute – dies ist etwas wie ein Wunder.«

»Unser erster Grundsatz,« sagt ein altgedienter Händler in der Tragödie »Ponteach« zu einem Neuling im Geschäft, »ist der, daß es kein Verbrechen ist, einen Indianer zu betrügen und zu übertölpeln.« Whisky und Betrunkenmachen war der Hauptgeschäftskniff der »American Flur Company«, und ihren Kommis und Angestellten wurde als erste Geschäftsregel eingeschärft, »alle Mittel anzuwenden, um die größtmögliche Quantität von Pelzwerk zum niedrigsten Preise zu erhalten.«

»Franzosen und Engländer machten sich die Leidenschaft des Indianers für Schmucksachen und Feuerwasser zunutze und brachten kolossale Vermögen zusammen; ihre Nachkommen genießen diese jetzt, während der Wald und die Kinder des Waldes hinweggefegt sind.«

Die übrige Grenzbevölkerung war nicht besser: »Sie sind gemeiniglich die Hefen und der Auskehricht unserer Kolonien. Ihre Beschreibung ist so unangenehm, daß ich mich nicht lange dabei aufhalten, sondern nur anmerken will, daß der größere Teil derselben sich unter den größten Bösewichtern zu Land oder zur See auszeichnen würde.

Verurteilte Verbrecher wurden nicht selten von Großbritannien und besonders von Irland nach Amerika geschickt und in die Kolonialtruppen gesteckt, um sich an der Indianergrenze Begnadigung zu erdienen. Hier aber benutzten sie die günstigste Gelegenheit, desertierten in hellen Haufen und stellten einen nicht geringen Prozentsatz der rohen Grenzbevölkerung.«

Einige Beispiele mögen das Gesagte erläutern: Am 18. Juli 1810 trug Gouverneur De Witt Clinton bei einer Reise durch den Staat Newport folgendes in sein Tagebuch ein: »Während unserer Anwesenheit war in Upper Falls ein Ball, welchem ein Bootsmann dadurch ein Ende bereitete, daß er einem Hunde den Schwanz abschnitt und ihn unter die jungen Mädchen losließ, deren Kleider er mit Blut beschmierte. Dies gibt ein Bild barbarischer Sitten, wie man sie kaum in Kamschatka antreffen würde.«

»Die Jäger der Prärien sind oft wilder als die Indianer selbst. Sie essen häufig die Leber der erlegten Tiere roh, und man sieht sie das ungeborene Kalb aus dem Leibe der Mutter herausschneiden, und zugleich mit der Placenta und allen Häuten in einen Kessel werfen, kochen und essen.«

»Man hat geschätzt, daß in Idaho und in Montana, welch letzteres fast noch mehr heimgesucht war, in dem Zeitraum von 1861 bis 1866 nicht weniger als 200 Verbrecher von den Sicherheitsausschüssen hingerichtet worden sind. Wäre das Verbrechen auf die berufsmäßigen Verbrecher beschränkt geblieben, so wären vielleicht die Sicherheitsausschüsse seiner Herr geworden. Aber so groß waren die Versuchungen zur Unehrlichkeit, daß wenige von denen, welche mit öffentlichen Geldern zu tun hatten, mit reinen Händen aus ihrem Amte schieden.«

Die beiden Bände 31 und 32 von Bancrofts »Geschichte der Pacific-Staaten« enthalten 1600 Seiten, welche lediglich ausgefüllt sind mit der Aufzählung und Beschreibung von Verbrechen aller Art, wie sie in diesen Staaten während der kurzen Zeit ihres Bestehens verübt worden sind.

Die Gefühle der weißen Bevölkerung an der Grenze kennzeichnet am besten die viel gebrauchte Redensart: »Jeder lebende Indianer ist ein schlechter Indianer, jeder tote Indianer ist ein guter Indianer.« Getreu diesem schönen Grundsatze hielt man es im Hinterwald absolut nicht für strafbar, im Frieden eine Rothaut ohne weiteres niederzuschießen. Manche fluchwürdige Taten dieser Art sind überliefert worden; die Mörder gingen gewöhnlich straflos aus. Die allgemeine Meinung schützte sie, wurden sie wirklich einmal vor die Schranken des Gerichts gebracht, so wurden sie sicherlich freigesprochen. »Einen Indianer zu töten, ist ebensowenig ein Mord, wie das zerknacken einer Laus,« sagt ein Jäger in der bereits erwähnten Tragödie »Ponteach«.

»Die öffentliche Meinung in den Grenzgemeinden hält das heimtückische Töten eines Indianers nicht für einen Mord, noch die schamlosesten Plünderungen eines solchen für Diebstahl. Ich kenne kein Beispiel, wo ein weißer Mann für das Betrügen eines Indianers verurteilt und bestraft worden ist.«

»Nein, Kapitän,« sagt ein Mann der westlichen Grenzen zu General May, »es ist nicht der richtige Weg, den Burschen Geschenke zu geben, um sich Frieden zu erlaufen; sondern, wenn ich Gouverneur Eurer Vereinigten Staaten wäre, so will ich Euch sagen, was ich täte: ich würde die roten Schufte alle zu einem Feste einladen und ihnen weißmachen, ich wolle eine große Unterredung mit ihnen haben; aber sobald ich alle beieinander halte, würde ich über sie herfallen und die Hälfte von ihnen niederhauen und skalpieren, und dann würde die andere Hälfte mächtig froh sein, einen Frieden zu schließen, welcher dauerhaft sein würde. Das ist die Art und Weise, wie ich einen Vertrag mit dem hundsföttigen, rotbäuchigen Ungeziefer machen würde; und so wahr als Ihr geboren seid, Kapitän, das ist auch der einzige richtige Weg.«

Zu erwähnen sind nach Darlegung dieser edlen Kulturbestrebungen noch die Indianerkriege, die den Vereinigten Staaten mehr als 500 Millionen Dollar (über 2 Milliarden Mark) gekostet haben, und die Indianerverträge.

Von den Jahren 1776 bis 1869 sind gegen 360 Verträge von den Vereinigten Staaten mit den Indianern abgeschlossen worden und von dem ausführenden Organ der Regierung für alle Indianerangelegenheiten, dem »Bureau of Indian Affairs«, ebenso feierlich in das Landesgesetzbuch eingetragen worden, wie etwa ein Vertrag mit Preußen oder Großbritannien. Aber alle feierlich eingegangenen Verpflichtungen sind schamlos verletzt worden. Der Indianer hatte keine andere Abhülfe als den Krieg, in diesen Kriegen wurden, wie statistisch nachgewiesen ist, zehn weiße Leute für einen Indianer getötet, und von den getöteten Indianern hat ein jeder der Regierung 100 000 Dollar gekostet. Dann kam ein neuer Vertrag mit darauffolgenden neuen, gebrochenen Versicherungen; ein neuer Krieg brach aus, so daß wir nicht 100 Meilen zwischen dem Atlantischen und dem Stillen Ozean haben, die nicht der Schauplatz einer Indianermetzelei gewesen wären.

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Der Erfinder der Zündhölzer.

Anfangs der dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts, als man für Tabak und Zigarren den Zündschwamm, für den Küchenherd und den Ofen Zunder und Stahl und Stein und Schwefelspäne benützte, brummte auf dem Hohenasperg in Württemberg ein »gefährlicher Demagog und Revoluzzer«, Namens J.F. Kammerer, der daselbst wegen Beteiligung an der Hambacher Volksversammlung auf längere Zeit eingesperrt war. Kammerer war Chemiker und vertrieb sich die Langeweile mit chemischen Experimenten, wobei er auf den Gedanken kam, Zündhölzer herzustellen, die durch bloßes Reiben in Brand gerieten. Er wandte den Phosphor an und erfand die Reibzündhölzchen. Das war im Jahre 1833, zu einer Zeit, als ein Schutz für die Erfindungen in Deutschland noch nicht existierte. (Die ersten Vereinbarungen deutscher Regierungen über Patente datieren vom Jahre 1842.) Kammerer hätte also nur Nutzen von seiner Entdeckung ziehen können, wenn er im Stande gewesen wäre, eine Fabrik anzulegen. Er suchte sofort um eine Konzession nach, als er die Freiheit wieder erlangt hatte. Statt der Genehmigung sandte ihm die Regierung ein strenges Verbot. Der Bundestag in Frankfurt am Main erließ für alle 33 Staaten ein Gesetz, welches die Anwendung der »höchst feuergefährlichen« Reibzündhölzer strengstens verbot, dieses Verbot blieb volle sechs Jahre in Kraft. Inzwischen war eine Partie der neuen kleinen Lichtspender dennoch in die Welt gekommen und hatte, weil im Vaterland absolut nicht verwendbar, nach Frankreich und England den Weg gefunden. Nicht lange nachher maßte sich ein Sohn Albions, der Apotheker Walter in Stockton, das Verdienst der Erfindung an und begann die nachgemachten Reibzündhölzer zu versenden. Es entstanden nach und nach im Auslande zahlreiche Fabriken, die fremden Staaten bemächtigten sich der neuen Industrie, die Hölzchen fanden Absatz, wohin sie kamen, und zuletzt, als alle Welt sich der neuen Erfindung bediente, mußte auch die deutsche Polizei, weil sie nicht mehr anders konnte, die Anfertigung freigeben. Mittlerweile hatte Kammerer die Freiheit, zuzusehen, wie die Frucht seines Fleißes von fremden Leuten geerntet wurde. Niemand anerkannte sein Recht, und als er selbst in die Lage kam, fabrizieren zu dürfen, hatte er keinen Erfolg, denn jedermann konnte konkurrieren, die Art der Fabrikation war längst ein öffentliches Geheimnis, Johann Friedrich Kammerer, der durch seine Erfindung zu den größten Wohltätern der Menschheit zählt, starb 1857 in seiner Vaterstadt Ludwigsburg – im Irrenhause!

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Die Fledermaus.

Unter den einheimischen Säugetieren, welche Felder und Wälder schützen und behüten, verdienen die noch so vielfach verkannten Fledermäuse vor allen geschont zu werden. Trotzdem die etwa achtzehn in Deutschland einheimischen Arten derselben zu den eifrigsten Insektenvertilgern gehören, verfolgt und tötet man sie aus Aberglauben und Unverstand nur zu oft. Ist die Fledermaus doch ein Tier, das schon seit dem Altertum (z. B. auch in der Bibel) als unrein und verflucht gilt. Und zu diesem Vorurteil hat nur ihr unschönes Aussehen und ihr nächtliches Treiben Anlaß gegeben. Denn der kahle, mausartige Körper, die oft merkwürdig gestalteten Anhängsel von Nase und Ohr, die langen, mit großen Krallen versehenen Finger mit den dazwischen ausgespannten schwärzlichen, nackten Flughäuten, dazu das geheimnisvolle Flattern während der Dämmerung, ihr Aufenthalt an versteckten Orten usw. sind wirklich dazu geeignet, dem oberflächlichen Beobachter Widerwillen einzustutzen. Und doch braucht solch Tier zu seiner Lebensweise den abenteuerlich gestalteten Körper. Denn gerade die bewunderungswürdig zarte und nervenreiche, daher mit äußerst feinem Gefühl ausgestattete Flatterhaut, welche die vier sehr langen, krallenlosen Finger der Vorderfüße miteinander verbindet und sich ebenso zwischen ihren Vorder- und Hinterbeinen, wie zwischen letzteren und dem Schwanz ausspannt, dient jenen Dämmerungstieren nicht bloß zum Fliegen, sondern auch zum Erlangen und Packen ihrer Nahrung, welche hauptsächlich in allem des Nachts umherfliegenden Ungeziefer (Nachtschmetterlingen, Käfern und dergl.) besteht. Sie gebrauchen nämlich die Flughaut sehr oft als Fangnetz, um damit ihre Beute desto sicherer im Fluge zu erhaschen. Dann suchen sie dieselbe mit dem zum Insektenfang trefflich eingerichteten Maul aus den Falten der Flughaut hervor. Deshalb sieht man die Fledermäuse sehr oft, wenn auch nur für einen Augenblick, im Fluge innehalten und mit halb eingezogenem Flügel eine kleine Schwenkung machen. Ist man ihnen dann nahe genug, so hört man sie darauf, besonders wenn sie ein hartes Insekt gefangen haben, deutlich mit den nur zum Kerbtierfressen eingerichteten spitzen Zähnen knirschen, weil sie nun die Beute zerkauen.

Sehr notwendig ist ihnen bei der Jagd nach Insekten zugleich das höchst feine Gehör. Die Schärfe desselben richtet sich bei allen Tieren mit nach der Größe des Gehörganges und des äußeren Ohres (Ohrmuschel). Bei den Fledermäusen ist letzteres verhältnismäßig größer als bei allen übrigen Säugetieren, da es manchmal sogar die Länge des Kopfes übertrifft. Haben die Flattertiere auch sehr kleine Augen, so schadet ihnen das nichts; sie finden des Nachts, wenn ihnen überhaupt selbst große und scharfe Augen nicht viel nützen würden, mit Hülfe ihres feinen Gehörs und des ausgezeichneten Tastsinns genug jener kleinen Nachtfalter, Mücken, Motten und dergleichen. Und wer anders als die Fledermäuse sollte dieses nächtliche Ungeziefer vertilgen? Den insektenfressenden Vögeln entgeht es ja meist, weil es tagsüber wohlverborgen still sitzt. Daher würde selbst eine noch so große Anzahl solcher Vögel, auch wenn sie wirklich vorhanden wäre (während sie es schon seit langer Zeit nicht mehr ist), noch keineswegs imstande sein, die Tätigkeit der Fledermäuse entbehrlich zu machen.

Dabei ist die Gefräßigkeit dieser Tiere, ähnlich der der meisten insektenfressenden Räuber überhaupt, erstaunlich groß. Es wurde beobachtet, wie eine im Zimmer gehaltene größere Fledermaus zu einer Mahlzeit acht, zehn, zwölf und noch mehr Schmetterlinge oder eben so viele Mai- und andere Käfer bedurfte. Allerdings verzehrt sie, wie andere kleine Insektenfresser, nur die weichen Teile ihrer Beute und wirft Flügeldecken, Beine und dergl. weg. Aber eben diese Notwendigkeit erfordert bei allen solchen Tieren den Verbrauch einer desto größeren Masse von dem Ungeziefer, welches sie vernichten.

Wie bedeutend der Nahrungsverbrauch der Fledermäuse und daher ihr Nutzen ist, andererseits aber, welcher große Schaden namentlich in Waldungen, wo sie fehlen, entstehen kann – das zeigte sich zu Anfang des vorigen Jahrhunderts in Hanaus Umgebung. Dort wurden damals in einem harten Winter einige tausend alte Eichen niedergeschlagen. In den hohlen Stämmen und Aesten überwinterten die Fledertiere. Bei dem Zersägen und Spalten der Bäume kamen die Vögel teils vor Kälte um, teils wurden sie mutwillig umgebracht. Die Folge hiervon war eine rasche Zunahme der Raupen einer sehr berüchtigten Art von Nachtschmetterlingen, des Prozessions-Spinners. Vor dem Fällen der Eichen hatte man wenige von den Raupen bemerkt, weil die Fledermäuse die Mehrzahl der zur Nachtzeit umherschwärmenden Schmetterlinge weggefangen hatten, ehe die Weibchen derselben Eier hatten legen können. Nach dem Fällen aber nahmen sie in rascher Steigerung zu, so daß nach einigen Jahren meilenweit umher erst die Eichenwälder und nachher noch eine Menge anderer Wald- und Gartenbäume von ihnen kahl gefressen wurden und unzählige Bäume ganz zugrunde gerichtet waren.

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Ein gefährlicher Fisch.

Wenn man den Berichten aufmerksamer Reisenden glauben darf, dann besitzt Brasilien in der Piranha (nach einem Fluß so genannt) einen Sägefalmler (Serrasalmo Piranha), der trotz seiner Kleinheit, er wird nur etwa 12 Zoll lang, dem gefürchteten Hai an Gefährlichkeit nicht nachsteht. In den inneren Gegenden Brasiliens – so schreibt ein Forscher –, wo die Bewohner aller Rassen an die vielfältigsten Gefahren gewöhnt sind, welche das Leben der Waldläufer darbietet, ist die Tigerjagd ein Spiel, der Kampf mit den Alligatoren ein gewöhnlicher Zeitvertreib, das Zusammentreffen mit der Boa oder einer Klapperschlange ein häufiges Ereignis, so daß die Gewohnheit hier gelehrt hat, alle diese Gefahren kaum zu beachten. Spricht man ihnen aber von der Piranha, so steht man Entsetzen sich in ihren Gesichtern malen, weil in der Tat die Piranha das furchtbarste Tier dieser Wildnis ist. Selten hält ein angeschwollener Strom die Schritte des Jägers auf, aber selbst der Unerschrockenste wagt es nicht, das nur wenige Klafter entfernte jenseitige Ufer zu gewinnen, sobald er die Piranha in dem Wasser vermutet. Bevor er die Mitte des Flusses noch erreicht, würde in diesem Falle sein Körper durch Tausende der schrecklichen Tiere in wenigen Minuten zu einem Skelette gleich dem Präparate eines anatomischen Museums umgewandelt werden. Die Gier der Piranhas wurde denn auch in der Tat von den Indianern am Orinoco ehemals dazu benutzt, ihre Toten, deren Skelette sie aufbewahrten, präparieren zu lassen, indem sie die Leichname eine Nacht im Flusse aufhingen. Man hat erlebt, daß kühne Jäger in solchen Lagen sich dem Hungertod eher überließen, als sich einer Gefahr aussetzten, gegen welche weder Kraft noch Mut etwas ausrichten konnten. Selbst von Ochsen, Tapiren und anderen großen Tieren, welche an solchen Stellen ins Wasser gingen, wo die Piranha häufig ist, ließen deren messerscharfe Zähne nach wenigen Minuten nur Skelette übrig. Diese Fische fallen über alles Lebendige her, das in ihren Bereich kommt; selbst Unken und Krokodile erliegen ihnen regelmäßig; nur die Fischotter allein, die unter ihrem langen, dichten Haare durch eine filzartige Decke geschützt ist, soll die Piranhas in die Flucht treiben. Zum Glück für die Bewohner jener Gegenden lieben diese gefährlichen Fische nur stillere Gewässer, und wer nur einigermaßen mit ihrer Lebensweise vertraut ist, kann ihnen leicht aus dem Wege gehen. Trotz der Fährlichkeit, welche die von Piranhas bewohnten Gewässer bieten, scheuen sich die Eingeborenen nicht, ihnen als Nahrungsmittel nachzustellen, indem sie die blinde Gier, mit welcher diese Fische nach jedem Köder haschen, sofern derselbe nur ein fleischartiges Aussehen hat, als Mittel beim Angeln benutzen.

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Neues Leben.

Im Jahre 1883 wurde die in der Sundastraße gelegene Insel Krakatao durch ein gewaltiges Erdbeben zerstört. Sie wurde, soweit sie nicht überhaupt in der Meerestiefe versank, total von einer Aschen- und Bimsteinschicht bedeckt, die stellenweise bis 60 m dick war, nirgends aber weniger als einen Meter. So war das Eiland, vorher von einer üppigen tropischen Vegetation überwuchert, ein absolut totes Gestein geworden, aus dem jede Spur von Pflanzen- und Tierleben vernichtet, jeder Lebenskeim erloschen war. Das durch die alles überdeckende Staubschicht hindurch je ein einziger Keim wieder zum Lichte gelangen und neues Leben entwickeln könnte, war gänzlich ausgeschlossen, ganz abgesehen davon, daß die enorme Hitze der Lavamassen jedes organische Leben ertöten mußte. Aber schon drei Jahre später konnte der Botaniker Dr. Treub, der 1888 die Insel bereiste, feststellen, daß sich auf ihr die Anfänge einer neuen Flora zeigten. Und als er 1893 wieder zu der Insel kam, fand er bereits eine Menge Pflanzen vor, darunter den Schraubenbaum (Pandanus) mit seinem auf einem Gerüst von Luftwurzeln ruhenden Stamm und seinen wohlriechenden Blüten, sowie die nie fehlende Kokospalme. Wo war diese neue Lebewelt hergekommen, die nicht aus dem erstorbenen Felseneiland hervorsprießen konnte? Treub stellte fest, daß überall auf dem harten Steinboden die mikroskopisch kleinen Keime, die sogenannten Sporen, von Fadenalgen, namentlich der allgemein verbreiteten Gattung Lyngbya, sich befanden. Sie haben die Fähigkeit, den härtesten Stein zu durchsetzen und so den Boden zur Aufnahme weiterer Keime höher organisierter Pflanzen vorzubereiten, die ersten Anfänge einer Humusschicht zu bilden. Sie vermehren sich in erstaunlichem Maße, überziehen die ganze Fläche mit einem grünen, gelatinösen Häutchen, das bald einen genügenden Nährboden für die Sporen von Farnkräutern hergiebt. Treub fand 11 Arten Farne, darunter den überall heimischen Adlerfarn, die Farne wiederum bereiten den Boden für noch höher organisierte Gewächse vor; schon 1886 hatte Treub einige Blütenpflanzen ganz vereinzelt auf Krakatao beobachten können, und 1895 zählte er 15 Arten, davon 7 Arten tropischer Küstenpflanzen und 8 Arten verhältnismäßig wenig verbreiteter Binnenlandsgewächse. Die Algen und Farne sind von günstigem Winde über das Meer getragen worden, von Sumatra her, das 32 km entfernt liegt, von Java her, das 34 km weit ist, von dem zunächst gelegenen Inselchen Sibesie her, daß nur 16 km ab ist. Die Keime und Früchte der höheren Pflanzen müssen, sofern man nicht annehmen kann, daß Vögel sie verschleppt haben, von günstigen Meeresströmungen schwimmend hinübergelangt sein, die Brandung hat sie vielleicht bis auf die Höhe des Felsplateaus geworfen, das bis 800 m aufsteigt. Viele Samen, besonders aber die Kokosnüsse, können monatelang im Seewasser schwimmen, ohne zu verderben und ihre Keimfähigkeit einzubüßen, Regelmäßige Winde und regelmäßige Meeresströmungen herrschen überall in den Tropen vor und unterstützen die Wanderung solcher Pflanzenkeime. Darwin hat auf den Keeling-Inseln fast nur Pflanzen gefunden, die vom malayischen Archipel herstammten, und der ist 3-4000 km entfernt, so daß selbst auf eine so gewaltige Entfernung hin sich organisches Leben auf Eilanden zu entwickeln vermochte, die, wie etwa die Korallenriffe, als nackter, toter Stein aus dem Meere ausgestiegen sind.

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Gestohlene Schätze.

Eine ungefähre Vorstellung von der Größe der Plünderung, welche Pizarro, der rücksichtslose Eroberer, in Peru betrieb, erhält man aus den hinterlassenen Berichten eines Sekretärs Garcia de Heres. Er schreibt: »Am 5. Dezember traf in Sevilla das erste der vier Beuteschiffe ein. Auf ihm befand sich der Kapitän Christoval de Mena, welcher 8000 Pesos in Gold und 950 Mark Silber mitbrachte. Auch ein Geistlicher, ein Eingeborener Sevillas, namens Juan de Losa, befand sich an Bord und brachte 6000 Pesos in Gold und 80 Mark Silber mit. Außerdem enthielt das Schiff 38 948 Pesos. Im Jahre 1535, am 9. Januar, traf das zweite Schiff, die »Santa Maria de Campo«, mit dem Kapitän Hernando Pizarro, dem Bruder des Gouverneurs und General-Kapitäns von Neu-Castilien, ein, In diesem Schiffe kamen für Seine Majestät 150 000 Pesos in Gold und 5048 Mark Silber. Außerdem brachten verschiedene Passagiere und Privatpersonen 310 000 Pesos in Gold und 13 500 Mark Silber. Dieser Schatz kam in Barren und in Platten und in Stücken Gold und Silber in großen Kisten. Zu alle diesem brachte das Schiff für Seine Majestät 38 Vasen von Gold und 38 von Silber, darunter befand sich ein silberner Adler. In seinem Körper befanden sich zwei Vasen und zwei große Töpfe, der eine von Gold, der andere von Silber, und jeder war so groß, daß er eine in Stücke geschnittene Kuh zu fassen vermochte. Ferner befanden sich darunter zwei Fässer von Gold, von denen jedes zwei Fanegas Weizen fassen konnte; ein goldenes Götzenbild von der Größe eines vierjährigen Kindes und zwei kleine Trommeln. Die anderen Vasen waren von Gold und Silber und jede imstande, zwei Arrabas und mehr zu fassen. Am 3, Juli desselben Jahres kamen zwei andere Schiffe an. Der Kapitän des einen war Francisco Rodriguez, und der des anderen Francisco Pabon, Sie brachten 146 518 Pesos in Gold und 30 500 Mark Silber, den Passagieren und Privatpersonen gehörig. Ohne die zuvor erwähnten Vasen, Gold- und Silberstücke zu rechnen, betrug die Totalsumme des von diesen vier Schiffen nach Spanien gebrachten Goldes 708 580 Pesos,« In unserem Gelde etwa 54 Millionen Mark, das Geld fand schnell seinen Weg in die Schatzkammern der Großen. Heute ist Spanien ein unter der Pfaffenherrschaft blutendes, ein armes, von unzähligen Schmarotzern ausgesogenes Land.


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