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Einleitung.

Man hat den politischen Zustand Frankreichs unter einer früheren Regierung als einen »durch Lieder gemilderten Despotismus« bezeichnet. Mit Ausnahme der Gesänge Béranger's, sind wenige der originellen Chansons, in welchen der unterdrückte Volksgeist sich Luft machte, außerhalb ihrer Heimat bekannt geworden. Wir glauben, dass diese moderne Volkspoesie jedenfalls eine größere Beachtung verdient, als ihr seither zu Theil wurde, denn sie liefert, um uns eines in letzter Zeit beliebt gewordenen Ausdrucks zu bedienen, einen wichtigen Beitrag zur Naturgeschichte des französischen Proletariats. So gering im Allgemeinen der artistische Werth jener Produktionen anzuschlagen ist: sie geben einen zuverlässigen Maßstab für die Beurtheilung des Bildungsdranges, welcher die Arbeitermassen von Paris beseelt und sich, trotz aller Hemmnisse, Befriedigung zu verschaffen sucht. Wem ernstlich daran gelegen ist, die Wünsche und Hoffnungen der sogenannten unteren Volksklassen zu studieren, Der sollte nicht mit vornehmer Gleichgültigkeit die Lieder übersehen, in welchen das Volk selbst seine trüben Zustände geschildert, seine Forderungen mit klarer Bestimmtheit, Punkt für Punkt, entwickelt hat.

Die Menschheit bedarf frischer, thatkräftiger Elemente, wenn ihr ermattender Organismus sich nicht in innerem Kampfe zerstören soll, und das Proletariat ist der neue Faktor, dessen Eintritt in die Geschichte sich naht. Wer ist diese junge, bisher unverbrauchte Kraft, die so mächtig in den Tiefen unserer Gesellschaft gährt und des Tages harrt, da man sie entfesselt? Heros der Zukunft! taufen wir dich Engel des Lichts oder der Zerstörung? Wirst du Kultur und Sitte zertrümmern? fragen die Einen. Wirst du mit belebendem Hauch die Menschheit verjüngen? fragen die Andern. Wähle zwischen Segen und Fluch!

Doch, wie lange schon hast du gewählt! Spanntest du nicht den müden Arm an den Webstuhl und das sausende Triebwerk der Maschinen? Fügtest du nicht die bleierne Haft der Lettern, daraus das Wort, die Lerche der Freiheit, sich in die Lüfte schwang? Sahen wir dich nicht im Gewande des Paria auf der Barrikade, so oft es den Kampf um die Rechte der Menschheit galt? … O, sie haben dich verkannt und geschmäht, sie haben dich eingekettet in den Zwang einer greisen Gesellschaft, deren Verwesung schon begonnen hat, ehe sich das Grab der Geschichte über ihr schloss – und nun zittern sie vor der gefesselten Kraft, welche (sie wissen es!) sich morgen schon der ohnmächtigen Hand ihrer Kerkermeister entringt! Es quält sie das Bewusstsein ihrer Schuld; sie haben es längst erkannt, dass der Grund all' unserer Missverhältnisse nur in den socialen Einrichtungen, in der gepriesenen »Ordnung« liegt; aber, zu feig, jene vernunftwidrigen Institutionen dem Wohl der Gesammtheit zu opfern, vermehrt sich mit jedem Tag ihre Furcht vor der Rache des Betrogenen. Damit ein Zehntel der Menschheit die Früchte des Reichthums und der Bildung genieße, müssen neun Zehntel eigenthumslos, und – um eigenthumslos zu bleiben – der Segnungen der Bildung beraubt sein! … ist es noch ein Wunder, dass jenes erste Zehntel, das zum Theil diesen Zustand geduldet, zum Theil ihn geflissentlich heraufgeführt hat, nur mit Zittern der Sühne gedenkt? Doch, sie mögen sich beruhigen! Wie überall, liegt auch hier, außer dem seltnen Gericht des Zufalls, die Hauptstrafe in der peinigenden Selbstanklage des Gewissens. Nicht Hass, noch Rache leiten den Arm des Proletariers zum Werke der Zerstörung oder Neugestaltung unsrer socialen und politischen Verhältnisse; was ihn zum Kampf erregt, ist vielmehr das Gefühl der Unsittlichkeit und Ungerechtigkeit der heutigen Gesellschaftsform, und nur humane Forderungen sind es, deren Erfüllung er von der Zukunft verlangt.

Für diese Thatsache liefert die nachstehende Sammlung französischer Arbeitergedichte aufs Neue einen eklatanten Beweis. Das Proletariat stellt sich hier in den Liedern seiner eigenen, von ihm selbst geliebten und gefeierten Dichter vor das Tribunal der Geschichte und bringt seine Klagen wie seine Hoffnungen vor. Beide wägt Themis in ihrer ewigen Wage gegen die Sünden der Gesellschaft ab, und, mag die Schale des Armen sinken oder steigen: das Urtheil wird gerecht sein! –

Welche Stellung die französische Arbeiterpoesie in ihrer Heimat behauptet, sehen wir aus zahlreichen der nachfolgenden Lieder, und vielleicht klarer noch aus den Worten, mit welchen Auguste Loynel, einer dieser Volksdichter, die » Voix du peuple«, eine Sammlung republikanischer Gesänge aus dem Jahr 1848, La voix du peuple, ou Les républicaines de 1848. Recueil des chants populaires, démocratiques et sociaux, publiés depuis la révolution de février. Paris, à la librairie chansonnière de Durand, éditeur. Rue Rambuteau 32. einleitet:

»Es giebt in Frankreich, zumal in Paris, eine Klasse von Schriftstellern – wir meinen die Dichter aus dem Handwerkerstande, – die selten von den Freiherrn der ›höheren Literatur‹ eines Blickes gewürdigt werden. Oder wenn eine verlorene Stunde diesen Herren erlaubt, einen höhnischen Blick auf derartige Schöpfungen zu werfen, hervorgebracht unter den Mühen und Leiden, welche die Arbeit der Hände dem Proletariat auferlegt, so zerbrechen sie mitleidslos das begonnene Bildwerk, bevor der rüstige, verständige Meißel des Künstlers im Stande war, daraus ein Meisterstück zu erschaffen. Sie verschwenden auf nicht bloß alberne, sondern meist auch plumpe Kritiken die Kraft ihres Geistes, von dem sie ab und zu in fadenscheiniger und selbstunverstandener Sprache Zeugnis ablegen, sei es im untersten Geschoss bald urweltlich riesiger, bald fast unscheinbarer Journale, sei es in gewissen Romanen, Broschüren, Schmähschriften etc., die freilich unglücklich genug verfasst sind, um nur eine sehr winzige Zahl wohlwollender Leser zu finden.

»Man begreift es so leicht, wie man es hört: die großen Geister können sich nicht mit aller Welt einlassen! … Und doch – wir dürfen es sagen – giebt es auch hier glückliche Ausnahmen. Wenn verschiedene ›Arbeiter des Gedankens‹ (wie sich Herr Alexandre Dumas, Marquis von La Pailleterie und andern Besitzungen, elegant genug ausdrückt) übereingekommen sind, den Dichtern aus dem Arbeiterstande gar kein Verdienst zu lassen: so finden sich doch Einzelne, die – weit entfernt, den Stein auf Jene zu werfen – sie ermuthigen auf dem steilen Pfad, wenn sie Keime wahren Talents in den Kämpfern entdecken, die kühn in die Rennbahn eintreten, wo als Angriffs- und Vertheidigungswaffe die mit Geschick geführte Feder gilt. Victor Hugo, Béranger, Lamartine, George Sand, Eugène Sue, Balzac und andere Männer von unzweifelhaftem Genie oder Talent halten ihre Hand segnend über viele Proletariatsdichter ausgestreckt, um ihnen die ersten Stufen erklimmen zu helfen, die früh oder spät zum Ruhm oder zur Vergessenheit, zum Glück oder zum Elend führen.

»Weh Dem, welcher sich auf dem rechten Wege befand, aber nicht die Kraft besaß, gegen all' die aufgethürmten Hindernisse anzukämpfen! Nachdem er die Qualen des Hungers erlitt, harrt seiner das Hospital am Ende seiner Laufbahn! – Können wir ihn verdammen? Ach, wie manchem Versuch hat er sich unterwerfen müssen, bevor er zu solchem Loos sich entschied! Oft ward er das Opfer der Niedertracht oder des Egoismus seiner Umgebung. Bald quälten ihn eifersüchtige Nebenbuhler, bald die Forderungen grausamer Herren, thörichter und prosaischer Menschen, die nicht begreifen, dass Inspiration das Haupt des Proletarierdichters berühren kann inmitten des betäubenden Lärmens der Werkstatt.

»O, warum ihn seiner Träume willen tadeln? Warum seine Phantasien verspotten? Ist nicht die Dichtung die gütige Fee, welche Familienkummer, getäuschte Hoffnung, betrogene Freundschaft vergessen macht, indem sie aus ihrem Füllhorn einige duftende Blüthen hinstreut über den Weg, den der Proletarier zu gehen verdammt ist, ihn befeuchtend mit seinem Schweiß und seiner Thräne? …

»Doch wohin sind wir gerathen! Verzeiht uns – das Wort Elend floss uns in die Feder, und das ganze Leid der Vergangenheit stieg in der Erinnerung vor uns auf.

»Chatterton, Malfiâtre, Auguste Lebros, Victor Escousse, Hégésippe Moreau und zahlreiche Andere sind ebenso viel' gespenstische Schatten, welche nachdrücklich wider die affektierte Milde und Nachsicht protestieren, unter deren abgenutztem Mantel unser Zeitalter sich heuchlerisch verhüllt.

»Wir haben heute einfach die Aufgabe, den Lobredner der demokratischen Lieder zu machen, welche die Sonne des Februar ins Leben rief; ja, sie sind zum Theil schon entstanden, bevor das Gestirn der Revolution von 1848 jene zweifelhafte Freiheit erhellte, die uns heute zu beschützen scheint. – Weh Allen, die nicht begreifen wollen, dass das Volkslied der wahre Ausdruck der Gefühle eines aufgeklärten Volkes war und ist, – eines Volkes, das seit lange in der Herrschaft der socialen Demokratie das einzige Mittel erkennt, die Bande zu zerbrechen, darin das Elend uns Tag für Tag zu ersticken droht!«

Wir können uns diesem lebhaften und warmen Plaidoyer für die vorliegenden Dichtungen anschließen, soweit von der Bedeutsamkeit ihres Inhalts als einer zuverlässigen Quelle für die Erkenntnis der Zustände und Hoffnungen des französischen Proletariats die Rede ist. Fern aber sei es von uns, den Kunstwerth dieser meist grellen und einseitigen Lieder zu überschätzen, weil dieselben nicht im bleichen Glanz vergoldeter Säle, sondern zwischen vier kahlen Lehmwänden erdacht wurden. Nur der hochgebildete Mensch, dem die freie und naturgemäße Entfaltung aller Geisteskräfte vergönnt war, vermag sein Fühlen und Denken in Kunstwerken zu gestalten, denen nicht die flüchtige Parteiströmung des Tages, sondern die ewige Wahrheit ihren Stempel verlieh. Wer unausgesetzt inmitten feindseliger Zustände und barbarischer Widersprüche lebt, wird sich nicht aus dem Zwange befreien, der mit der Gesammtheit auch ihn danieder hält. Oder wenn er sich scheinbar befreite, stände er allein; er gehörte zu den Einsamen, man verstände ihn nicht mehr, und der Einsame ist vielleicht noch gefesselter, als die Ruderknechte unserer Staatsgaleere zwischen ihren Mitgefangenen. Diesen bleibt doch der Trost eines verstohlenen Gedankenaustausches, und wenn beim Takt der Ruderschläge der Eine dem Andern ein Wort ins Ohr flüstert von der Hartherzigkeit ihrer Peiniger, so hat Jener einen Fluch des Verständnisses, und zuletzt zerreißen doch ein paar kräftige Bursche die Ketten, oder ziehen den abgemagerten Fuß durch den Eisenring, und werfen den Kerkermeister sammt dem Steuermann und dem ganzen Matrosengesindel über Bord! –

Fast alle der in Rede stehenden Gedichte sind Chansons, d. h. Lieder mit regelmäßig wiederkehrender Schlusszeile, oder Chants, d. h. Lieder mit regelmäßig wiederkehrender Chorstrophe. Letztere Form ist im Ganzen seltener; nur dem Pierre Dupont ist sie die gewöhnliche. Was die Wahl der Versmaße betrifft, so giebt es hier wenig Abwechselung. Als die gebräuchlichste Form erscheint der fünffüßige Jambus mit wechselndem männlichen und weiblichen Reim; der vierfüßige Jambus ist ausschließlich Dupont eigen, und trochäische Versmaße finden sich nur ausnahmsweise vor. Die meisten dieser Proletariatsdichter haben sich – ähnlich den Meistersängern des Mittelalters – eine bestimmte Strophe gewählt, die selten mit einer andern vertauscht wird; höchstens daß die Anordnung der Reime sich einmal ändert, oder daß der Refrain um einen Fuß verkürzt oder verlängert wird.

Was den Refrain selber betrifft, so umfasst dieser meist den scharf ausgesprochenen Gedanken, welcher im übrigen Theil des Gedichtes zur Ausführung kommt. Es wäre möglich, die Weltansicht jedes einzelnen dieser Dichter ziemlich klar nachzuweisen, wenn man nur seine Refrains übersichtlich zusammenstellte und mit denen der andern Proletariatsdichter vergliche. Wir behalten uns eine derartige Arbeit vor; die Philosophie des Armen hat zur Lösung der socialen Frage für uns wenigstens keinen geringeren Werth, als die Philosophie der officiellen Systemerfinder in Presse und Kammerdebatte. Wenn man das Volk einmal als Kranken betrachtet, sollte man doch zuvor aus dessen eigener Rede seinen Zustand erforschen, statt ihm von oben herab die Universalmedicin zu dekretieren, als wäre nicht der Patient die Hauptsache, sondern das Heilmittel, das wissenschaftliche System. Wir protestieren freilich gegen den ganzen Vergleich. Das Volk ist weder krank noch schlecht, es bedurfte nicht der Ärzte, sondern die Ärzte bedurften des Volkes, um sich für ihre Quacksalbereien bezahlt zu machen; sie haben es verdummt und eingeschläfert, aber die gesunde Natur des Volkes stößt das eingeathmete Traumgift wieder zurück, und es könnte den unberufenen Heilkünstlern bei dieser Gelegenheit ergehen wie dem Doktor Strafford und seinem königlichen Patron …

Man wird gegen die vorliegenden Chansons mit dem ewig wiederkehrenden Refrain sicher den Vorwurf der Monotonie und Gedankenarmuth erheben. Wir vertheidigen die Verfasser gegen solchen Tadel nicht; das Volk ist einmal einseitig in seinem Verlangen und seinem Urtheil; wenn es die Gründe seiner Hilflosigkeit: die schlechten Institutionen, und den einzigen Rettungsanker: die Freiheit, erkannt hat, so variiert es diese zwei Grundtöne in hundert Weisen, aber das Thema bleibt dasselbe. Die Unsittlichkeit der heutigen Welt und die Durchsetzung einer socialen Reform gegen die Zwingherrschaft des Kapitals – Das ist der stillschweigends anerkannte Text jeder Melodie, und Belehrung oder Trost der einzige Zweck. Ich beziehe mich hier auf einen Brief, den ich 1851 von Gustave Leroy, einem der anerkanntesten dieser Volksdichter, empfing. »Mein Ziel,« schreibt er, »war niemals, eine höhere oder niedere Literaturstufe zu erklimmen; nein – ich sagte mir: die Wissenschaft ist unfruchtbar für Den, der Nichts weiß, und der seinen Tag um einen Bissen Brot einer mühsamen Arbeit zu opfern verdammt ist. Wohlan, diese Bücher voll hoher Philosophie, bei denen ich so oft bleich wurde, ich will sie jeder Vernunft klarmachen, ich will an die Herzensthür klopfen – der Verstand wird mir später antworten, wenn sie mich begriffen; sie werden ja lesen … Ich habe mein Ziel erreicht – mögen sie mich vergessen! Was kümmert mich Das? – habe ich nicht meine Bescheidenheit und meine Armuth?«

Der ausgesprochene Zweck dieser Chansons ist demnach ein didaktischer; der Poet sucht seine Leidensgenossen »klarzumachen« über ihre Stellung in der heutigen wie in der künftigen Gesellschaft, er beweist die Verworfenheit der jetzigen Lebensform, er revolutioniert überall durch den Gedanken der Sittlichkeit. Es ist kein Ruhmeskitzel, der ihn zum Schaffen treibt, er will das Lied, um »der Brüder Wunden zu heilen,« um den Armen zu versöhnen, wenn er im Kampf gegen das Unrecht des Schicksals erlag, ihn zu stählen, wenn ihn die Kraft zu jenem Kampfe noch durchglüht. Was soll ihm der Ruhm? Was ihm dieser bleiche Schatten, der fast nur um Gold sich an unsre Fersen heftet, der uns zum Sklaven der Menge macht in den Tagen der Kraft und Jugend, um dem müden Greis das Scepter einer Scheinherrschaft in die zitternde Hand zu legen? Er hasst die Reichen, – doch nicht, weil sie reich sind, sondern weil das Gold sie verblendet, weil es die Kluft zwischen Bildung und Unwissenheit, zwischen Besitz und Eigenthumslosigkeit, Genuss und Entbehrung tiefer und tiefer aufwühlt, weil jedes Stück schimmernden Metalls in ihren Händen zum Dämon wird, der sie noch trotziger der Milde verstockt! …

Welch ein schwieriges Loos ist dem Volksdichter gefallen! Sein Publikum ist der Arme, der von der Civilisation Ausgeschlossene; Alles, was vorausgesetzt werden kann, ist der sogenannte gesunde Menschenverstand – welch ein Hemmnis für den Dichter, in dessen Werken man zugleich ein Muster vollendeter Form begehrt! Und nicht bloß verständlich muss jene Poesie auch dem rohesten, verkümmertsten der Proletarier sein – sie muss ihn zugleich so energisch, so nachhaltig ergreifen, dass er sich von ihrem Einflusse nicht mehr losmachen kann. Darum diese Refrains, die gleichsam mit so viel' Widerhaken wie Strophen sich in das Herz einstechen, von denen sich zu befreien zur Unmöglichkeit wird; darum diese eintönige, meist klagende oder finstere Melodie, welche, einmal gehört, nicht wieder verklingt!

Die Entstehung der Chanson ist sehr alt. Schon aus dem Minnegesang der Provençalen tritt uns diese Form entgegen, als populärer Ton erhielt sie sich im Volksliede, und bis auf Piron und Béranger ist sie bei den Franzosen niemals ganz ausgestorben. Als den Vater derselben dürfen wir vielleicht Meister François Villon betrachten, den ersten französischen Dichter, welcher durch seine bald heitern, bald schwermüthigen Lieder seine Muttersprache, gegenüber der trocken lateinischen Mönchspoesie, zu Ehren brachte. Er war im Jahre 1431 zu Paris geboren und führte ein unstätes Wanderleben voll Noth und abenteuerlicher Zufälle. Bisweilen von Rittern und Fürsten protegiert, musste er zu andern Zeiten seinen Lebensunterhalt erbetteln oder stehlen und dafür ins Gefängnis wandern.

»Es zwingt die Noth uns oft, zu fehlen,
Der Hunger lockt den Wolf hervor,«

singt er in einem seiner Lieder, und ein andermal klagt er:

»Ach! hätte man mich einst belehrt
In meiner Jugend tollen Jahren,
So hätt' ich jetzt wohl Haus und Herd
Und würd' ein besser Loos gewahren.
Nun muss ich irr das Land durchfahren,
In keiner Schul' ein werther Gast,
Ihr zählt mich zu der Schlechten Scharen,
Und, o! Das bricht das Herz mir fast.«

Villon muss noch ziemlich jung gewesen sein, als ein Richterspruch des Parlamentes ihn zum Tod am Galgen verurtheilte. Ludwig XI. verwandelte dies Urtheil jedoch in die Strafe der Landesverweisung. Mit echtem Galgenhumor verfasste der Dichter zu jener Zeit sich und seinen, gleich ihm, der Strafe des Gehängtwerdens verfallenen Gefährten nachstehende Grabschrift:

»Der Regen wusch und spült' uns ab – o Graus!
Die Sonne dörrt' und schwärzt' uns immerzu;
Die Raben pickten uns die Augen aus,
Und zupften Bart und Brauen ab dazu.
Wir kommen nie und nimmerdar zur Ruh',
Bald hie, bald da, wie es der Wind begehrt,
Der je nach Lust durch unsre Glieder fährt,
Zerfetzt von Vögeln, dass sie nicht zu flicken.
Kein Spott, o Menschen, sei uns drob beschert,
Nein, fleht zu Gott: er woll' uns Gnade schicken!«

Über das Ende dieses originellen Poeten ist nichts Zuverlässiges bekannt. Er klagt vielfach in seinen Liedern, dass er besonders von den Pfaffen verfolgt worden sei. Rabelais erzählt, dass Villon später zu Saint-Maixent in Poitou gelebt und geistliche Schauspiele gedichtet habe, die er von den Bauern aufführen ließ.

Es kann indess nicht unsre Aufgabe sein, an dieser Stelle eine Geschichte des Ursprungs und der Fortentwicklung der Chanson zu geben. Wir haben es hier vorherrschend mit der socialen Chanson zu thun, als deren Begründer J. P. Béranger gelten darf. Wo dieselbe in der ersten französischen Revolution vereinzelt emportaucht, trägt sie noch einen beschränkten, fast ausschließlich politischen Charakter. Dem Einflusse Béranger's begegnet man seit der Julirevolution überall, wo sich das Volkslied erhebt. Herwegh hat hier seine Schule gemacht, und in Frankreich giebt es wohl kaum ein einziges Gedicht des großen Chansonniers, das nicht seine Nachahmer gefunden. Ich hörte in Paris im Winter 1850-1851 wenig' Lieder von ihm singen, aber jeder Volksdichter hat ihn als Muster der Form studiert, und sich dann gewöhnlich eine oder ein paar Strophen gebildet, in denen er es ziemlich leicht zu einer bedeutenden technischen Fertigkeit bringt. Und wirklich findet man selten Einen unter der Sängerschar, der nicht mindestens ein selbständiges, in seiner Art wirksames Gedicht geliefert hätte.

Überhaupt erstreckt sich die Abhängigkeit von Béranger mehr auf die Korrektheit der Form, und auch hier darf man nicht an sklavische Nachahmung denken. Der Fortschritt von Béranger zu der heutigen Proletariatspoesie ist dem Inhalte nach fast so bedeutend, wie bei uns Fortschritt von den »Gedichten eines Lebendigen« zu der neueren Poesie eines Freiligrath. Hier wie dort flüchtet sich das Lied vom abstrakt politischen auf das konkret sociale Gebiet; hier wie dort ist die Phrase der Allgemeinheit überwunden, nur das Besondere, Tatsächliche hat Werth; statt der nebelhaft philosophischen Träumerei, vertieft sich der Poet in die großen Leiden der Menschheit, in die brennenden Fragen seines Jahrhunderts. Die Entwicklung geht so schnell, dass man selbst an den Einzelnen oft Perioden nachweisen kann, deren äußerste Grenzen einander ferner liegen, als zuweilen in der Poesie ganzer Kulturepochen der Fall ist. Das ist erklärlich; denn jedes Ereignis im öffentlichen Leben findet sein Echo im Liede des Volksdichters, und wie haben sich die Ereignisse seit 1830 gedrängt! Vom Bürgerkönig bis zur Februarrevolution oder Junischlacht, von da bis zum Staatsstreich und der zweiten Auflage des Kaiserreichs – welch ein reicher Stoff für den Dichter, der als Kämpfer inmitten seines Volkes steht! Bedeutungsvoll ist namentlich der Rückhall, welchen die Junitage von 1848 in den Herzen der Volksdichter fanden. Die meisten Gedichte aus den ersten Monaten der Republik sind voreiligen Jubels, grundloser Hoffnungen voll; man glaubte mit einem Schlage verwirklicht, was lange Leidensjahre ersehnt hatten. Erst mit der Niederlage kam die Enttäuschung; so paradox es klingen mag: erst die Niederlage war der Sieg. Oder hat das Volk nicht schon heute gesiegt, trotz dem zeitweiligen Regime der kleinen, gemeinen Eskamoteurs? Hält nicht Alles, was groß, edel und tüchtig ist, zum Volke, während der Feind sich stützt auf Betrug und Meineid, List und Gewalt, Kanonenlogik und Junkerimpertinenz! Es ist ein sonderbares Schauspiel, das sich uns bietet – die schwarzen Flöhe suchen dem schlafenden Riesen noch einen Stich beizubringen, die feigen Hunde ihm noch in der Eile die letzte Wurst aus der Tasche zu ziehen … das Gesindel weiß ja, dass mit dem aufsteigenden Morgen der Schläfer erwacht! –

Wir ließen uns vorhin über den Zweck dieser Poesie als einen didaktischen aus und erklärten dadurch die Einseitigkeit der Chanson. Aus demselben Grunde kommt es, dass alles wahrhaft Tüchtige jener Dichtung einen ernsthaften Charakter trägt. Frivolität ist ein Erzeugnis der höheren Stände, sie liegt dem Volke zu fern; seine Schmerzen sind zu tief und echt, als dass es ihm möglich würde, sie zu ironisieren, und wo sich hin und wieder der Humor einmal lustig macht, erinnert sein unwillkürlich trübes Gesicht an die Sprünge des armen Bajazzos, der bei seinen plumpen Späßen jeden Augenblick an die bittere Noth seines Lebens gedenken muß. Solche Lieder stehen vereinzelt da; es sind rohe Nachahmungen Béranger's, ohne einen Hauch jener Grazie, welche Letzterem zu Gebote stand, und sie verdienen wenig Beachtung. Dasselbe gilt von der Romanzenpoesie. Die moralische Tendenz ist hier die unvermeidliche Klippe für den Poeten: weil aber jene Tendenz ihm das einzig Wesentliche war, führt er gewöhnlich zuerst den Helden oder die Heldin seiner Romanze redend ein, und hängt dann einen prosaischen Epilog an das Ende, in dem die eigentliche Katastrophe lakonisch berichtet wird. So in den Leroy'schen Gedichten: »Die Wahrsagerin,« »Eine Mutter,« »Der Tod einer Rose,« etc. Diese Geschmacksverletzung hat in der Regel noch den sehr triftigen Grund, dass, wie hier, Mademoiselle oder Madame mittlerweile gestorben ist und das eigene Begräbnis doch nicht selber erzählen kann. Schaurig sind all' diese Geschichten, und der Aberglaube spielt oft eine wichtige Rolle in den Erzeugnissen des Proletariats. Mit den Zigeunern hat es nicht Viel auf sich, der Glaube an sie existiert mehr in der Poesie, als in den Köpfen des Publikums; allein desto gedankenloser spukt meistens der religiöse Wahnglaube in diesen Chansons. Man hält in Frankreich seltsamerweise den Atheismus für einen überwundenen Standpunkt, und hat sich mit der Religion wieder auf freundschaftlichen Fuß gesetzt; doch ist diese Entente cordiale von den politischen Alliancen nicht gar zu verschieden, und wenn sich der »Herr der Heerscharen« bei der nächsten Kampfgelegenheit nicht besser zusammennimmt, als das vorige Mal, wenn er noch einmal die Partei der Soldatenwirthschaft ergreift, so wird es vielleicht mit dem Respekt zu Ende sein, und selbst eine Abdankung zu Gunsten des Sohnes oder der Mutter Maria wirkungslos bleiben. Ich habe statt des Ausdruckes »Gott« mir einzelne Male die Phrase »der Himmel«, »das Geschick«, »der Zufall«, »die Natur« u. Dergl. erlaubt, weil ich ein deutsches Publikum vor Augen hatte. Sonst bin ich mir, außer der Weglassung weniger allzu beschränkt französischer Strophen, die in Deutschland unverständlich wären, keiner wesentlichen Abänderung bewusst. Ich habe mich im Gegentheil bemüht, den Inhalt wie die Form überall möglichst treu wiederzugeben und den oftmals derben oder dürr prosaischen Charakter der Originale nirgends zu verwischen.

Was die historische Auffassung dieser Dichter betrifft, so mag »Die Fahrt des Verbannten« von Louis Voitelain ein Beispiel davon geben. Das Volk hängt mit der Geschichte seiner Vorfahren, mit der Vergangenheit und ihren Erinnerungen, überhaupt nur lose zusammen, und wo es sein Urtheil über geschichtliche Momente ausspricht, ist dasselbe gewöhnlich beschränkt und zur Hälfte ungerecht. Wenn Voitelain in dem erwähnten Liede gegen Washington den Vorwurf erhebt, Derselbe habe unter den bestehenden ungünstigen Verhältnissen die Sklaverei der Schwarzen nicht sofort aufgehoben, so ist Das gar nicht seltsam. Das Volk beurtheilt jede Thatsache, jeden Charakter nach dem einseitigen Standpunkte der Gegenwart, und gerade diese, in andrer Beziehung verwerfliche, gegen die Vergangenheit unbillige Kritik des gesunden Menschenverstandes ist der treueste Maßstab für den Fortschritt des Menschengeschlechts. Wandelten Christus oder Luther heut zu Tage unter uns einher und vernähmen den häufig ungerechten und geringschätzigen Ton, mit welchem das Volk und die Volksführer der Gegenwart sich die Unzulänglichkeit früherer Reformationslehren bekennen: – wahrlich, sie würden mit lächelnder Triumphatormiene sich der Erweiterung ihrer Ideale und des Vernunftsieges erfreuen, der gerade durch das Medium ihrer Lehre vermittelt ward! Der vollständige Sieg jedes neuen Ideals beginnt erst da, wo es veraltet und zu enge geworden, wo es nicht mehr die Fülle des menschlichen Lebens, seiner Sehnsucht und Hoffnung, zu umfassen im Stande ist. So mag auch Washington sich bei der Weltgeschichte bedanken, wenn er dem Volke des neunzehnten Jahrhunderts als herzlos erscheint, – eines Jahrhunderts, das jede Knechtschaft, jede Fessel als unmenschlich gesprengt wissen will.

Von dem mächtigen Einfluß, welchen diese Proletariats-Poesie in neuerer Zeit auf das Volk von Paris, ja von ganz Frankreich geübt, hat man in Deutschland schwerlich eine Vorstellung. Als ich mich im Winter 1850-51 in Paris aufhielt, war die Fluth der politischen Reaktion schon im Steigen. Klubsitzungen und Volksreden waren verboten, aber der Gedanke des Socialismus, die revolutionäre Kraft flüchtete sich in die Form des Liedes und zündete von hier aus in den Herzen der Menge. Es versteht sich, dass die Bourgeoisie in bleicher Furcht vor dem muthigen Feinde erbebte, dass die Regierung es an Maßregeln gegen die Verfasser jener stürmischen Weisen nicht fehlen ließ – aber was vermag alle Verfolgungswuth wider den Geist! Die Zahl jener Volksdichter ist Legion (ich allein besitze an 5000 dergleichen Chansons von mehr als 400 Proletariern) – wie will man da dem Gesang Einhalt thun? Jeder neue Gewaltstreich weckt neue Lieder, schafft junge Dichter, und wenn es allzu toll hergeht, bleibt die Waffe der Anonymität, da ihnen, wie gesagt, am Ruhme nicht Viel gelegen ist.

Indess, was ist nicht möglich in einem Staate, wo die Willkür der Polizei längst keine Grenzen mehr kennt? Schon zu Anfang der fünfziger Jahre wurde nicht selten das Absingen von Liedern bestraft, die niemals ein officielles Verbot erfahren hatten. Weh Dem, welcher den »Soldatengesang,« »Das Lied vom Brote« oder »Die Soldaten der Verzweiflung« Die beiden letzterwähnten Gedichte sind durch Freiligrath's und Meißner's Übersetzungen auch in Deutschland bekannt geworden. Im Übrigen sind meines Wissens von den nachstehenden Liedern nur der »Gesang der Arbeiter« und »Die Blonde« von Pierre Dupont, sowie »Der Arbeitsmann« von Alcide Reynard und der (Victor Hugo zugeschriebene) »Löwe vom Quartier latin« anderweitig ins Deutsche übertragen. auf den Straßen oder in einem öffentlichen Lokale anzustimmen wagte! Ich selbst wohnte zu Anfang des Jahres 1851 einer Scene bei, die mir bewies, dass ein Pariser Gendarm von seinem Bruder an der Spree oder Donau wenig unterschieden ist. Ein Trupp Arbeiter, der so eben seinen Wochenlohn erhalten, begab sich an einem Sonnabend, das »Lied vom Brote« singend, aus der Fabrik nach Hause. Kaum lenkten sie in die Rue St. Antoine, als ein Sergeant-de-Ville auf sie zuschritt und ihnen in barschem Tone das Absingen des Liedes verbot. Mit schmerzlichem Blick trat ein kleiner ältlicher Blousenmann aus der Reihe, und einige Franks aus der Tasche hervorlangend sprach er: »Mann! da – nehmt dies Geld – es ist mein ganzer Wochenlohn – Weib und Kind hungern daheim – aber ich weiß, auch ihnen ist das Lied vom Brote lieber, als das tägliche Brot!« Der Ouvrier wurde verhaftet, und einige Tage nachher las ich, dass ein Mensch, der unter versuchter Bestechung sich in der Rue St. Antoine einem Polizeisergeanten widersetzt habe, mit fünftägigem Gefängnis bei Wasser und Brot bestraft worden sei.

Nicht allein auf dem Kampfplatze der Poesie wetteifern diese Dichter-Proletarier mit ihren Todfeinden, den Champions der »guten Gesellschaft« – nein, auch auf anderem Felde sind sie ihnen begegnet. Die meisten von ihnen fochten auf den Barrikaden des Februar, und viele standen im mörderischen Feuer der Junischlacht. Diese hat, wie schon angedeutet ward, mächtig auf die Volkspoesie gewirkt. Zuerst schien alle Hoffnung niedergeschmettert, der Gesang verstummte in den Werkstätten, das Lächeln der Zuversicht entschwand von den trotzigen Gesichtern – aber schon nach wenigen Tagen der Verwirrung erhob die Dichtung ihr geächtetes Haupt, zuerst scheu und leise, mahnend um Milde und Menschlichkeit, dann aber stolz und glühend, Rachepfeile schleudernd auf die herzlosen Sieger. Schaurige Accorde zogen durch die Luft, es war ein Schwur der Sühne für die Gefallenen, ein Gelöbnis der Vergeltung für die erlittene Schmach, für die Beleidigung des Gefühls und der Menschlichkeit. Man empfand es klar: hier wäre Vergessen Feigheit, Verzeihen marklose Schwäche!

In der That begleitete diese originelle Poesie mit ihren zuerst hoffnungsfreudigen, bald aber düsteren und melancholischen Weisen Schritt für Schritt alle politischen Ereignisse seit dem Jahre 1848. Unter den Arbeiterdichtern war Gustave Leroy der Erste, welcher durch sein schwungvolles Lied »Gruß der jungen Republik!« den Sieg des Volkes verherrlichte und durch dasselbe direkt auf die Vorgänge in den Revolutionstagen einwirkte; denn in Folge dieses Liedes, das am 25. Februar jenes Jahres erschien, wurde der Julithron verbrannt. Dies (auf S. 132 und 133 abgedruckte) Gedicht enthält in charakteristischer und klar bestimmter Weise die Forderungen des französischen Arbeiterstandes; es ist, so zu sagen, ein Parteiprogramm in Versen. Aber während Leroy solchergestalt der Freude über den Sieg des Volkes Ausdruck verlieh, warnte er in andern Gedichten bald nachher energisch vor dem Wahne, als sei jetzt schon erreicht, was durch die gesetzgebende Versammlung und die erhoffte volksfreundliche Verfassung erst verwirklicht werden sollte. Die Junischlacht zeigte, dass sein Kampf gegen » die Alten von gestern« (S. 136-37), welche sich schnell genug wieder zu Herren des Heute gemacht haben, ein wohlbegründeter war. Mit ihm vereinte sich Pierre Dupont in zahlreichen geharnischten Liedern zur Befehdung jener schwachen provisorischen Regierung, welche den Arbeitern die ersehnten Reformen unter einem Schwall schönrednerischer Phrasen vorenthielt und den Ruf nach Brot schließlich mit Kartätschen beantwortete. Aus dieser Zeit eben stammt das »Lied vom Brote« (S. 145 ff.), dessen Popularität in ganz Frankreich eine fast unglaubliche war. Im Theater der Porte St. Martin gab man damals ein Stück unter dem Titel: » Misère«, welches die trostlosen Zustände des irischen Proletariats schilderte. Schon im dritten Akt sterben die meisten der auftretenden Charaktere den schauerlichsten aller Tode, den Hungertod. Als der Vorhang fiel, begann das ganze Publikum einstimmig das »Lied vom Brote« zu singen, und dämonisch durchscholl der furchtbare Refrain das Haus:

Man hält nicht von den Marmorstufen
Das Volk zurück mit seiner Noth.
Denn die Natur gebeut zu rufen:
Brot thut uns noth! wir fordern Brot!

Das Einschreiten der Sergeants-de-Ville vermochte diesmal dem Gesang keinen Einhalt zu thun, denn der entsetzliche Chor überbrauste wie ein grollendes Meer die lächerlichen Scheltworte der Gendarmen. Am folgenden Tage wurde jede Wiederholung des Stückes polizeilich untersagt.

Jüngere Dichter schlugen in jenen Tagen hoffnungsfreudigere Töne an, unter welchen namentlich das Gedicht von Hippolyte Demanet: »Der alte Demokrat« (S. 179 ff.) sich wegen seiner abgerundeten, wohlklingenden Form großen Beifall erwarb. Als aber die Hinrichtung jener Männer, die im Gemetzel der Junischlacht den feindlichen General Bréa getödtet hatten, den Beweis lieferte, dass Louis Napoleon allen Bitten um Milde sein Ohr verschloss; als das erste Todesurtheil der Republik am 17. März 1849, an demselben Tage vollstreckt ward, an welchem der Präsident in seinem Palaste ein glänzendes Fest gab: da nahm die Proletariatsdichtung einen unerhört finstern Charakter an, den sie seitdem nicht wieder ablegte. Leroy schrieb an diesem Tage sein berühmtes Gedicht: »Ball und Guillotine« (S. 188-189). Wilder noch sind die Gedichte: »Der Tag der Sühne« von Louis Ménard (S. 152-156) und der »Gesang der Jacques« von Raoul Bravard (S. 198-202). Das letzterwähnte Lied wurde Gegenstand einer gerichtlichen Verfolgung und bei dieser Gelegenheit als corpus delicti von Emile de Girardin in seinem Journal » La Presse« abgedruckt. Es erhielt eben hiedurch eine so allgemeine Verbreitung, dass ein neuer Process gegen das Journal erhoben ward, welches sich den Abdruck gestattet hatte. Der Verfasser des Liedes entfloh nach Belgien und entzog sich dadurch der über ihn verhängten Strafe. Das Schwurgericht von Paris hatte ihn nämlich am 26. Juni 1850 für »schuldig« erklärt, und der Urtheilsspruch lautete auf fünf Jahre Gefängnis und 6000 Franks Geldbuße! –

Betrachtet man das französische Proletariat nach dem Maßstabe deutscher Verhältnisse, so wird es Manchem auffallen, dass in jenem Lande so viel Begabung für Musik und Poesie existiert. Der Bildungstrieb des Pariser Arbeiters (nicht etwa des französischen Arbeiters überhaupt) überschreitet in der That den unseres Handwerkerstandes bei weitem, und es ist unglaublich, was ein Pariser Ouvrier Alles liest. Hiedurch wird es möglich, dass alle Volksschriften zu so billigen Preisen verkauft werden, und nicht allein die Quais waren zur Zeit meines Aufenthalts in der Seinestadt Tag für Tag mit der Waare »fliegender Buchhändler« besetzt, sondern auch in den Straßen der Vorstädte und Armenviertel wurden beständig Lieder und wohlfeile Broschüren feilgeboten. Es gab Buchhändler, die einzig von dem Verkauf solcher Volkslieder lebten, und nicht selten war ein Chansonnier, wie z. B. Charles Durand, Verleger seiner eigenen Gedichte oder der Erzeugnisse seiner Genossen. Der gewöhnliche Preis eines Heftes von 6 bis 8 neuen Liedern betrug 2 Sous; mit der Melodie wurde für jedes einzelne Lied derselbe Preis bezahlt. Zwanzig solcher Hefte bildeten in der Regel einen Band oder einen Jahrgang.

Dass auch die zum Theil schwierigen Melodien so große Verbreitung fanden, hatte noch einen besonderen Grund. Die Arbeiter von Paris hatten nämlich ihre eigenen Singschulen, in denen nach der mir unbekannten, aber vielgerühmten méthode Wilhem unterrichtet ward. Die besten Sänger dieser Schulen gaben unter dem Namen Enfants de Paris öffentliche Koncerte, meist in der Salle de la Fraternité des Faubourg St. Denis. Dieser »Saal der Brüderlichkeit« war ursprünglich ein Reitstall, der im Jahre 1848 von den Pariser Arbeitern angekauft und in einen schmucklosen Versammlungssaal umgewandelt wurde. Um die Kosten zu bestreiten, gab jene Sängerschar dem Proletariat von Paris seine Wochenkoncerte, und hier neben dem Bilde der barrikadenkämpfenden Freiheit feierte das Volk seine fröhlichen Feste unter der lächerlichen Kontrolle der Polizei. Hier sang Pierre Dupontjedes neue Lied, das ihm geworden, hier trug Lachambeaudie seine jüngsten Fabeldichtungen vor, hier war eine Waffenschmiede des Geistes für die gehoffte künftige Erhebung.

Die Associationen und volksthümlichen Wirthshäuser von Paris boten in den Jahren 1850 und 1851 ein bewegtes Schauspiel dar; sie fassten kaum die Menge der Arbeiter, welche sich Abends in ihnen versammelte, während die eleganten Cafés der Bourgeoisie nur von spärlichen, scheuen Gästen besucht waren. Wenn man in den Faubourgs das Lokal eines Marchand de vin betrat und sich mühsam in die Gaststube hineingedrängt hatte, traf man gewöhnlich sechs bis acht Männer, welche sich an der Ecke eines Holztisches das neueste Lied einübten, die Melodie leise vor sich hinsummend. Plötzlich erscholl ein » Silence!« und die Sänger trugen mit festem Ton ihre Chanson vor, während die Anwesenden laut in den Refrain oder die Chorstrophe mit einstimmten. So wurden diese Lieder bekannt und verbreiteten sich oft in einem oder zwei Tagen durch ganz Paris.

Wir verglichen schon einmal die französische Arbeiterpoesie mit dem deutschen Meistergesange des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts. War gleich jener Meistergesang Wenig mehr, als ein gedankenloses Formenspiel, so lässt sich dennoch ein fernerer Vergleichspunkt aufstellen. Wie nämlich die Meistersänger gleichsam in Dichterzünfte sich eintheilten, so hat auch die französische Volkspoesie namentlich durch eine Anzahl von Dichtergesellschaften sich entwickelt. Der Nutzen solcher Verbindungen lag vorherrschend darin, dass arme Talente ihre Lieder durch die Gesellschaft, welcher sie sich anschlossen, verbreitet sahn und häufig in Krankheit und Elend durch sie unterstützt wurden. Der Schaden war kaum geringer. Es bildete sich rasch ein organisiertes Klickenwesen aus, Kameraderie und Eifersucht erbitterten die verschiedenen Gesellschaften gegen einander, und der Zerwürfnisse war kein Ende. Selbst im Feldlager der eigenen Verbrüderung gab es selten einen dauerhaften Frieden; wie in den meisten Fällen, fühlten sich die Talentlosen und oft auch die Talentvollsten zurückgesetzt und schieden dann aus, um neue Gesellschaften zu begründen. »Der alte Keller,« »die Mutter Kneipe,« »der neue Keller,« »die Pflicht der Freiheit,« »die Mahlzeiten von Versailles,« »die Liederkampfbahn,« »die Hölle,« »die Höllengeister,« »die Dämonen,« »die Templer,« »die Troubadours,« »die Epikuräer,« »die Schäfer von Syrakus,« »die Phöbuskinder,« »die Kinder des Vaudeville,« »die Kneipfische,« »die Minnesänger von Paris« – le vieux caveau, la mère goguette, le caveau moderne, le devoir de la liberté, les dîners de Versailles, le devoir de la liberté, l'enfer, les infernaux, les démons, les templiers, les troubadours, les épicuriens, les bergers de Syracuse, les enfants de Phoebus, les enfants de vaudeville, les poissons goguettiers, les menestrels parisiens – sind Namen von Gesellschaften, die allein seit 1830 bestanden, und von deren einstiger Existenz jetzt kaum Einer mehr Etwas weiß. Und diese Namen sind zufällig an mich herangetreten, weil ich von gewesenen Mitgliedern all' dieser Gesellschaften Einzelnes besitze. Wer aber nennt uns nur die Namen all' der übrigen Sängerverbindungen, welche seit der Julirevolution sich Schlag auf Schlag bildeten und fast schneller sich wieder getrennt haben?

Am längsten bestand die Lice chansonnière, »die Liederkampfbahn,« welche 1835 von Charles Lepage gegründet ward. Sie umfasste jährlich etwa 60 Mitglieder und behauptete an geistigem Gehalt und sittlicher Würde den ersten Rang unter den Sängerverbindungen von Paris. – Bereits mit den Julitagen, und namentlich seit dem Unglückskampfe von St. Méry, hörte der frühere harmlose Charakter der Chanson, welche »Niemanden verletzte,« auf. Der Arbeiter sah durch die Leichtigkeit, mit welcher er die Wohlthaten der Bildung sich zu eigen machte, seine Produktionen bis in die Salons sich verbreiten; er benutzte diesen Umstand nicht selten zu dem Versuch, auch dort einer wärmeren Sprache und den neuen Ideen Geltung zu verschaffen, welche ihm theils durch die eigene Vernunft, theils durch die großen Denker des Jahrhunderts zugeführt wurden. Hiedurch kam mehr Ernst und Tiefe in den Geist der Proletariatsdichtung. Aber die naive Fröhlichkeit litt darunter nicht, sie verblieb dem Volke, dem sie gehört.

Als der Stifter jener Verbindung dieselbe vernachlässigte, übernahm der vieljährige Präsident Joseph Simon Blondel ihre Leitung. Am 25. März 1788 – im Jahre des großen Winters – wurde er an der Ecke der Straßen Phélippeaux und de la Croix von armen, aber arbeitsamen Eltern geboren. Sein Vater Simon und seine Mutter Catharina Lefébure konnten wenig zu seiner Ausbildung beitragen, und frühzeitig erwarb er sich durch Aufspielen zum Tanz und durch Musikstunden sein tägliches Brot. Mit außerordentlichem Formensinn und feinem Gehör begabt, versuchte er sich sehr jung in der Poesie und musikalischen Komposition. Erst in gereiftem Alter näherte er sich den verschiedenen Sängerverbindungen, und trat im 37sten Lebensjahr in den Bund der »Epikuräer.« Bald darauf ließ er sich in »die Mutter Kneipe« aufnehmen, und dichtete hier in Gesellschaft von Saint-Gilles, Festeau, Favart und anderen damals berühmten Volksdichtern seine beliebtesten Chansons. Nach der Reihe »Schäfer von Syrakus,« »Troubadour,« »Dämon« und »Liedeskämpfer,« blieb er beständig derselbe liebenswürdige Aufmunterer zu Fröhlichkeit und Gesang, immer bereit, wenn es dem Elend zu helfen galt, und hauptsächlich seiner Ausdauer, wie seiner Aufopferung als Präsident, verdankt es die »Liederkampfbahn,« dass sie lange Jahre hindurch den Ruf erhielt, welchen ihr geistiger Gründer ihr verschafft hatte.

Im letzten Jahr ihres Bestehens wurde jedoch auch diese Gesellschaft der Schauplatz ernster Kämpfe, welche die Auflösung herbeiführten. Jüngere, feurige Mitglieder suchten durch gehaltvollere Lieder die überhand nehmende Gleichgültigkeit der Chansons zu besiegen; ihnen missfiel der tändelnd schläfrige Ton ihrer Genossen – vielleicht ahnten sie am rascheren Pulsschlag ihres eigenen Herzens den beschleunigten Gang der Zeit. Als ihr Bestreben nur ein reaktionäres Angstfieber der Alten, höchstens ein achselzuckendes Bedauern hervorrief, reichten Charles Gille, Alexis Dalès von Metz, Alexandre Guérin, Christian Sailer u. A. ihre Entlassung ein, und begründeten mit Auguste Alais, L. Auguste Loynel, J. Baptiste Bernard dem Jüngeren, Georges Lecreux, Auguste Moreau, J. Triebel und vielen tüchtigen Volksdichtern den »Templerbund.« Die »Templer« veröffentlichten alle 14 Tage ein neues Liederheft, deren eines den kräftigen Abschied von Gille und Sailer an die »Liederkampfbahn« enthält. Die Letztere sandte während der 13 Jahre ihres Bestehens zwölf Jahrgänge ihres Albums auf den Büchermarkt von Paris. Das letzte Bändchen, vom Jahr 1847, ist mit dem Bildnisse Blondel's verziert, und enthält dürftige Notizen über ein paar verstorbene Mitglieder der Gesellschaft. Lesen wir die Schrift auf einem dieser Leichensteine – sie lautet:

» Jean Pierre Jest, geboren zu Paris den 6. November 1798, als Mitkämpfer aufgenommen den 15. Januar 1832, gestorben den 5. November 1846. Als Jest in ›die Liederkampfbahn‹ eintrat, sang er ein fröhliches Lied – er war damals heiter und gesund. Ein Jahr nachher schrieb er:

»Wenn heut der Lenz, mit seinen Lebensfluthen
Das All verjüngend, wandelt durch die Welt,
Schleicht kalter Tod in meines Herzens Gluthen,
Und meines Sommers Garbenkrone fällt.
Mir ist der Lenz, des Vogels Lied entschwunden,
Die Erde jauchzt, ob mich der Gram zerpresst,
Mich hat ein erzdurchstählter Arm gebunden –
Verkürzt, o Parzen, meiner Tage Rest!

»Der Schlag hatte ihn gelähmt … er war arm … und seine Mutter war toll … Jest flehte den Tod als Rettung herbei. Er sah eine Schar von Freunden an seinem Krankenlager, die zehn Leidensjahre hindurch ihn nicht verließen. Sie vermochten ihm freilich den Wunsch nicht zu erfüllen, den Gott einzig vollenden konnte; aber sie wussten die Welt für ihn zu interessieren von Denen an, die mit Gleichgültigkeit das Elend betrachten, bis hinauf zu Jenen, in deren Brust die heiligste Menschenliebe glüht; vom kleinsten Verskünstler bis zum unsterblichen Dichter der »Lisette,« welcher gleichfalls zu Fuße dem armen Gichtbrüchigen seine Opferspende zutrug. Solches geschah, bis endlich ein hochlöblicher Magistrat dem Adoptivkind aller Sängerverbrüderungen von Paris das Hospital der Unheilbaren erschloss.«

Mit recht glücklichem Erfolg wurde häufig von den »Liedeskämpfern« das Gebiet der Satire bebaut, besonders von Auguste Saint-Gilles, geboren zu Avignon den 31. März 1769, gestorben den 2. December 1845 in Paris. Zuerst Mitglied des » Gymnase lyrique« und der »Schäfer von Syrakus,« trat er am 22. Juni 1833 in die »Liederkampfbahn« und veröffentlichte bald darauf zwei Bände » Chansons et Poésies.« In seinem Nachlass befindet sich ein ungedrucktes Gedicht: »Die Christiade,« ein Werk, das gewissermaßen alle philosophischen Ideen des Baron Holbach umschließt. Saint-Gilles gilt als Schöpfer der von ihm gehandhabten Form; sein Stil ist beißend und scharf. An tiefes Denken gewöhnt, verlässt er nie seinen Gegenstand, bevor er alles Interesse oder alles Lächerliche desselben erschöpft hat. Von seinen Nachfolgern erwähnen wir Jules Leroy, (aufgenommen den 30. Mai 1839, gestorben im November 1840), der unter dem Namen »Lucifer« die »Hölle« und mehre andere Sängerverbindungen gegründet hat, und Jean André Perchelet, geboren zu Puiseaux (Loiret) den 29. September 1799, gestorben 1843 zu Paris. In »die Liederkampfbahn« ließ er sich aufnehmen am 3. December 1839. Nach dem jedenfalls allzu wohlwollenden Urtheil seiner Freunde verband er »mit der Zartheit Anakreon's den Witz eines Juvenal.« Seine meisten Gedichte finden sich in der » Ruche lyrique«.

Eins der beliebtesten Mitglieder all' jener Gesellschaften war Pierre Claudel, geboren den 22. März 1793 zu Paris, gestorben zu Belleville den 29. Januar 1845. Nach einander Mitglied des »alten Kellers,« der »Troubadours,« der »Epikuräer,« der »Kinder des Vaudeville,« Präsident der »Schäfer von Syrakus,« Vicepräsident der »Höllengeister,« Stifter der »Kinder des Phöbus,« trat er am 4. Juli 1839 in »die Liederkampfbahn.« Er war überall zu finden: hier eine Rede improvisierend vor einer Damengesellschaft, duftend von Blumen wie sein Stil; dort mit Wärme einen Toast erwidernd, dargebracht fröhlichen Sängern, seinen Freunden, inmitten einer Dampfwolke, aufgequalmt aus 100 brennenden Thonpfeifen; heute Präsident einer Versammlung von Präsidenten, morgen schlichter Besucher einer jungen Gesellschaft. Claudel hinterließ seinem Sohn eine voluminöse Sammlung ungedruckter Chansons. An zartem Gefühl und harmloser Lustigkeit wetteifern mit ihm Eugène Leclère, geboren den 26. April 1812, aufgenommen den 26. Februar 1841, gestorben den 25. April 1846, und Jules Germain, geboren den 4. Mai 1794, aufgenommen den 29. November 1832, gestorben 1837 zu Paris. Letzterem schrieb Blondel, sowie der Uhrmacher Louis Festeau einen tiefempfundenen Nachruf. Dieser Festeau ist ein Greis mit jugendlichem Herzen, ein warmer Freund Fourier's, ein unermüdlicher Beschirmer der Volksrechte, welchen κατ' ἐξοχην der Name » Chansonnier du peuple« ziert.

Von der Lebensstellung, der Geschichte jedes einzelnen dieser Volksdichter ist Wenig bekannt. »Sein Vater war ein armer Mann – seine Mutter war eine arme Frau – er selber ist ein armer Mann« … Das ist in der Regel Alles, was die Welt von den Verfassern jener Chansons erfährt; – glücklich, wenn wenigstens noch der Name hinzutritt! Von Einigen ist sogar das Gewerbe bekannt geworden, das sie ernährt.

Die »Liederkampfbahn« umschloss in den letzten vier Jahren ihres Bestehens – außer den Genannten – folgende Mitglieder: J. B. Aubin, J. F. Bailly, Benjamin Barbé, Barillot, Eugène Berthier, Bescherelle den Älteren, Boulanger, Edouard Felix Bouvier, V. Brisson, Justin Cabassol, Chanu, Louis Charles Chevallier, Charles Colmance, Alfred Cressonnier, Dalès den Älteren, Hippolyte Demanet, Victor Dollet, Louis Duclos, Edouard Dugas, Louis Charles Durand, Esprit, Madame Elisa Fleury, Jules Fréon, Edmond Gaconde, Gelin, J. B. Girard, Eugène Gnémied, Edouard Hachin, Gabriel Hauduc, Auguste Jolly, André Jourdain, Alfred de Lacaze, Pierre Lachambeaudie, Baptiste Lamome, Hippolyte Le Boullenger, Victor Leray, Louvet,Ältesten der »Liederkampfbahn« und Seekapitain unter der ersten Republik, Louvier, Alexandre Marie, Prosper Massé, Numa Mercier, J. D. Moinaux, Charles Morisset, Julien Morizot, Gustave Parroisse, Adolphe Pécatier, Eugène Petit, G. C. Picard, E. C. Piton, Charles Poncy aus Toulon, Adolphe Porte, Charles Ranson, Charles Regnard, Charles Rochet, Léonard Schneitz, Ferdinand Seré, Troisvallets, Charles Vallet, J. M. Vandael, Emile Varin, Ernest Vatinel, Gabriel Verry, J. Vezy, Armand Vigier, Vinçard und Ch. Virbès de Montvaillier. Hier wie an andern Orten sind die mit Sperrschrift gedruckten die Namen der vorzüglicheren Volksdichter.

Von all' diesen Mitgliedern der »Liederkampfbahn« seien uns nur über Guérin und Lachambeaudie einige Notizen vergönnt.

Alexandre Guérin aus Troyes gehörte anfänglich zu den »Kindern des Vaudeville,« und verließ später, wie gesagt, die »Liederkampfbahn« wegen politischer Differenzen. Er stand seitdem treu zu dem Volke, und litt Viel um sein muthiges Wort. Sein Gedicht »Den Frauen des Volkes!« (S. 203 ff.) wurde im Jahre 1849 mit Beschlag belegt, der Verleger verhaftet, der Verfasser angeklagt und verurtheilt. Während sich die Pforten von St. Pelagie vor ihm öffneten, schloss sich ihm die Thür des Hauses Hartmann & Sohn. Nach vergeblichen Versuchen, ihn von seiner Bahn abzulenken, hatten ihn diese Herren zur Forderung seiner Entlassung aus ihrem Geschäfte gezwungen. Guérin lebte nach überstandener Haft in einer Dachstube der Place Dauphine, und ließ bald nachher eine Sammlung seiner Gedichte erscheinen. Chansons et poésies d'Alexandre Guérin. Dépot à Paris: chez l'auteur, 13 Place Dauphine. 1851. Soviel uns bekannt, erschien nur das erste Heft.

Pierre Lachambeaudie hatte bis zum Jahre 1850 keinen Verleger für seine Fabeln gefunden, obgleich dieselben zweimal von der Académie française waren gekrönt worden. Durch einige Freunde unterstützt, veröffentlichte er zuerst 1839 ein kleines Bändchen, das sich nachher beträchtlich vergrößert hat. Er selbst machte den Kolporteur dieser Fabeln, lebend von dem spärlichen Gewinn, den ihm der Verkauf jedes Bändchens zuführte. Er dichtet meist unterweges, im Wandeln; Abends schreibt und überarbeitet er die Verse, die während seines Tagewerks entsprungen sind.

Lachambeaudie war schon lange vor der Februarrevolution bei allen Volksfesten eine bekannte Persönlichkeit; aber sein Name hat ihm zur Begründung seines Rufes nicht mehr genützt, als die erwähnte Anerkennung seiner Werke. Hass und Neid schmiedeten ihm vielfache Kabalen; die Reaktion verschrie den bescheidenen Dichter als einen tollen Demagogen, als einen Zeloten der Mordbrennerei. Und doch giebt es kaum etwas Zarteres und Lieblicheres, als die Gedichte des armen Kommunisten. Wie Béranger dem Volk entsprossen, hat er wie Jener für das Volk gesungen – ihm brachte er den Tribut seines Herzens wie seines Geistes.

In den ersten Monaten nach der Februarrevolution traf man ihn täglich in den Klubs. Redner folgten auf Redner; wenn der Zorn und die Ungeduld der Menge sich in wilden Fanatismus verlor, trat Lachambeaudie auf die Tribüne, und las mit ruhigem Ton eine seiner Fabeln, welche mit Ernst und Tiefe den Kern der Debatte erschloss. Nach der Junischlacht ward er plötzlich verhaftet und in eines jener Forts geführt, wo sich die gefangenen Volksmänner befanden. »Man hat sich geirrt,« sprach er, »man wird den Irrthum erkennen.« Und indem er die unerschütterliche Ruhe seines Charakters auf seine Umgebung ausdehnte, wusste er, selbst ein Angeklagter, seine Genossen zu erheitern im Ausblick auf den künftigen Sieg. Mittlerweile war Béranger von dieser Verhaftung unterrichtet worden. Besorgt um das Loos seines Liedgenossen, machte er sich auf, wandte sich an die Behörden, sprach mit hinreißendem Wort von der Charakterreinheit des Angeklagten, kurz, erlangte den Befehl seiner Loslassung, den er ihm persönlich überbrachte.

Béranger fand ihn ruhig und lächelnd. »Ich wusste ja,« rief ihm Lachambeaudie entgegen, »dass mein Stern und Sie mich nicht verlassen würden!« Und der berühmte Poet, dem unbekannten die Hand reichend, führte ihn zurück zu seinem bekümmerten Weibe. Am Morgen darauf empfing Béranger von unserm Fabeldichter folgende Zeilen:

»Poet, dem über Herz und Geist die Macht gegeben,
Wenn den Gefangnen du einführst zu neuem Leben:
So ist er, war er schuldig, rein,
Und war er's nicht, so kränzt sein Haupt der Glorie Schein!«

Nach dem Staatsstreiche vom 2. December soll Lachambeaudie, nebst vielen andern dieser Volksdichter, zur Deportation nach Cayenne verurtheilt, bald nachher jedoch begnadigt worden sein.

Was den Stil seiner Werke betrifft, so besitzen Wenige das Geheimnis aller Feinheiten der französischen Sprache in so hohem Grade, wie Lachambeaudie. Nicht allein hiedurch, sondern mehr noch durch die Originalität des Gedankens, den Geist der Erfindung und die Erhabenheit des Gefühls, müssten diese Fabeln das alte Buch von Lafontaine aus den Schulanstalten verdrängen, das mit ihnen kaum die Naivetät und die Eleganz des Ausdrucks gemein hat.

In den Fabeln von Lachambeaudie Fables de Pierre Lachambeaudie, couronnées deux fois par l'académie française. Neuvième édition. Paris, Pagnerre, éditeur, 18 Rue de Seine. 1851. Eine Auswahl von hundert dieser Fabeln ist von Ludwig Pfau (Dessau, Gebrüder Katz, 1856) ins Deutsche übersetzt worden. trägt in der That fast jeder Vers das Gepräge der Meisterhand, Form und Gedanke zeigen eine Originalität voller Reiz und Leben; der Moralist und der Poet – Beide sind inspiriert von den edelsten Elementen ihrer Zeit. Wenn es ewige Wahrheiten giebt, die seit Äsop und Lafontaine nicht gewechselt haben, so ist doch ihre Anwendung verschieden. In der Auffassung dieser Verschiedenheit, in ihrer Entwicklung an den Ideen des Jahrhunderts, in dem Auffinden einer Form, welche zu deren Verbreitung am meisten nützt – in dieser Thätigkeit beweist sich das Genie.

Man hat sich in Deutschland zuweilen gewundert, dass seit geraumer Zeit fast jeder wahre Poet in der Blüthe seiner schöpferischen Kraft revolutionär wurde. Die Thatsache erklärt sich leicht. Der wahre Dichter giebt ein treues Bild seines Volkes und seines Zeitalters; er empfindet das ganze Weh seiner Umgebung, und fasst den Unmuth der einzelnen Leidträger zu einer mächtigen Zorneswelle zusammen, die in gewaltigem Stoß gegen die Burg der Despoten schäumt. Er verkündet den Fluch und die Hoffnung, welche er auf den Stirnen der Dulder las, und entschleiert das Wort, welches durch ihn erst der Menge zum Bewusstsein kommt. Was die großen Geister gedacht, er macht es dem Volke klar, und was in der philosophischen Umhüllung das Eigenthum Weniger blieb, Das klingt in der Sprache des Liedes zu Allen hinaus und erschafft jene Begeisterung des Verstandes, welche zuletzt immer den Sieg erringt. Einer ähnlichen Erscheinung begegnen wir in der französischen Arbeiterpoesie auf dem Felde des Socialismus und selbst auf wissenschaftlichem Gebiet. Proudhon, Raspail, Barbès, Cabet, Louis Blanc, und namentlich Fourier, verdanken einen großen Theil ihrer Anhänger den Bestrebungen des Proletariats. Die Librairie phalanstèrienne am Quai Voltaire, welche jahrelang ausschließlich um die Popularisierung der fourieristischen Ideen sich mühte, hätte schwerlich für ihre Verlagsschriften so großen Absatz gefunden, wenn nicht Louis Festeau, Alphonse Constant und Jean Journet das Volk seit langen Jahren in diese Ideenkreise eingeführt hätten. Jean Journet ist ein närrischer Kauz, ein Phantast der edelsten Art. Von sanftem und träumerischem Gemüth, gab er sich trotz der bittersten Noth den Studien hin, und nachdem er sich in die Lehren Fourier's versenkt, hielt er sich endlich für berufen, als Jünger und Apostel die Lehre des Meisters zu verkünden. Unter dem Titel »Schrei der Angst,« »Schrei der Noth« u. s. w. Résurrection sociale universelle. Cris et soupirs par Jean Journet, disciple de Fourier. 3 Séries. Paris, librairie sociale, 49 Rue de Seine. 1841. verfasste er eine Menge von Chansons, in denen er der Welt sein Evangelium bot. Die Lehren Fourier's schienen ihm so überzeugend, so unumstößlich, dass er nur einem guten Willen glaubte begegnen zu dürfen, um den Sieg zu erfechten. Er wandte sich an den König, die Königin, an das ganze orleanistische Haus, an jeden Schriftsteller von Ruf und Talent, an Lamennais und Lamartine, und wunderte sich noch, als man ihn verlachte. »Was hilft's,« sprach er zu Letzterem,

»Was hilft es, deinen Geist auf Klagen zu verschwenden,
Im fernen Orient dich einsam zu erfreun?
Du müsstest Trost und Licht in unsre Brust entsenden,
In junger Liebe gilt's die Menschheit zu erneun!
Mag immer deine Stirn ein bleicher Kranz umflimmern,
Ein süßes Lächeln mag dein stolzer Blick erspähn: –
Doch wird die Zeit dein Saitenspiel zertrümmern,
Und deiner Fackel Glanz verwehn!«

»Ach!« ruft er dann aus, »dass er mir gelänge, dein Herz dem Volke zu gewinnen! Welch ein unsterblicher Ruhm würde deinen Namen der Nachwelt übertragen! Wie die Welle des Nils würde dein Lied alle Herzen überschwemmen, um sie zu befruchten – ich hätte die Thränen der Väter getrocknet, den Söhnen die Zukunft geweissagt!«

Als ihn die Großen nicht verstanden, ging Jean Journet zum Volke. Seine Reden waren von so großem Erfolg, dass er sich zu einer Wanderung durch die Provinzen entschloss, um auch hier das System der Universalharmonie zu verbreiten. Victor Considérant und seine Freunde, welche die natürliche Beredsamkeit ihres Parteigenossen erkannt hatten, setzten sich mit ihm in Beziehung und versprachen, seine Mission zu unterstützen. Journet begab sich auf den Weg. Spitzhut, Reisekamaschen, ein Tornister voll phalansterienner Broschüren und fourieristischer Chansons, ein knotiger Stab – Nichts fehlte zum Pilgerkostüm, und vertrauensvoll wie die ersten Apostel lenkte er seine Schritte gen Burgund.

In der Stadt Semur hielt er den ersten Vortrag. Zahlreiche Beifallsäußerungen lohnten seinen Eifer, und auf den Abend lud man ihn zu einem fröhlichen Bankett. Zufällig traf es sich, dass am selben Tage eine Gesellschaft beim Präfekten versammelt war. Als Journet von dieser Gesellschaft erfuhr, erwachte in ihm der alte Glaube an die Macht seiner Sendung, und nach kurzem Besinnen begab er sich auf die Präfektur. Die Lakaien, erstaunt über den seltsamen Mann, wiesen ihn ab; doch unbekümmert um ihre Vorstellungen trat er in den Saal und begann voll heiligen Unwillens seine Strafpredigt.

»Ihr tanzt!« rief er, »ihr tanzt, und zwei Schritte von hier ward das Wort des Meisters verkündet! Ihr beharrt in der Finsternis, und seit zwanzig Jahren erglänzt das Licht über der Welt! Ich bin gekommen, um vor euch leuchten zu lassen einen Strahl der Verheißung – weh euch, wenn ihr nicht höret meiner Stimme!«

Zweifelsohne hätte Journet noch lange fortgefahren in diesem Tone – aber der Präfekt schlug sich ins Mittel, und der Apostel wurde trotz des kraftvollsten Widerstandes vor die Thüre gesetzt. Wüthend eilte er zum Bankett, und machte seinem Zorn in Verwünschungen gegen die Halsstarrigen Luft. Vielleicht sprach er vernünftig genug; jedenfalls schlief er die Nacht im Gefängnis, und musste am folgenden Tage laut richterlichen Befehls die Stadt verlassen. Stoisch schüttelte er den Staub von seinen Füßen über die ungastliche Stadt.

Auf seinen Wanderungen widerfuhr ihm fast allerorten dasselbe Geschick; müde und verfolgt kam er wieder nach Paris, mehr als je überzeugt von der erlösenden Macht seiner Lehre und von der Heiligkeit seiner Sendung. Er war seitdem in allen Klubs, auf jeder Volksversammlung ein gefürchteter Feind der Aristokratie, und noch heut ist er des Sieges seiner Ideen so gewiss, dass er jede andre, als die geistige Waffe verschmäht.

Praktischer, aber minder begabt, als dieser sonderbare Schwärmer, ist A. Bourgeois, ein energischer Mann, der an großen Gedanken sich stählt, für große Thaten sich begeistert. Mit aufmerksamem Blick hat er die Schriften von Raspail, Barbès, Albert, Louis Blanc studiert und das Gelesene dem Liede vertraut. Im Jahr 1849 erließ er einen »Appell an das Volk,« die Idee des Luftschiffers Pétin zu verwirklichen. Dieser hatte das Modell eines lenkbaren Ballons konstruiert, bei welchem der Widerstand der Luft als Stützpunkt benutzt wird. Pétin koncentriert diesen Widerstand durch eine Art konischen Fallschirmes, dessen Spitze während des Aufsteigens gegen den Zenith, während des Herabsinkens erdwärts gerichtet ist. Der Hebel besteht aus mehren Ballons, welche, auf beiden Seiten placiert, durch ein Holzgerüst mit einander verbunden sind. Über den Ballons befindet sich eine Art Flügel, die sich zusammenfalten und ausspannen lassen, und durch eine Schraubenwelle inmitten des Trichters in Bewegung gesetzt werden. Diese Schraubenwelle lässt sich sowohl durch den Widerstand der Luft, wie durch den Luftschiffer selbst in Thätigkeit bringen, und beherrscht zugleich andere Zugwellen, mit deren Hilfe das Steuern des Fahrzeuges ermöglicht werden soll. Wenn man die Flügel der einen Seite verkleinert, so wird die Aufsteigungskraft auf dieser Seite größer, und das Schiff bewegt sich nun, als befände es sich auf einer schiefen Ebne. So kann man sich heben oder senken, sich nach rechts oder links bewegen, ohne Ballast auszuwerfen oder Gas zu verlieren, und dadurch ist ein längerer Aufenthalt in den Luftregionen möglich. Ein Apparat von vier Ballons, jeder von 90 Pariser Fuß, trägt nach Pétin's Berechnung auf einer Fläche von 360 Pariser Fuß Länge und 81 Fuß Breite eine Zahl von 500 Menschen mit einer Schnelligkeit von 10 bis 50 Pariser Meilen die Stunde. Da Pétin das Geld zur Ausführung seines Projektes nicht besaß, so ließ Bourgeois seinen erwähnten Aufruf zum Vortheil desselben verkaufen, und das Proletariat bewährte auch diesmal durch zahlreiche Spenden seinen Ruf der Intelligenz und Mildherzigkeit. Es ist mir nicht bekannt, ob die Pétin'sche Erfindung sich irgendwie als praktisch ausführbar bewiesen hat; ein kleines Modell der mehr fisch-, als vogelähnlichen Maschine sah ich im Winter 1850-51 in einem Laden der Rue Rambuteau ausgestellt. –

Im Frühling 1841 wurden die Wirthshäuser ( goguettes), in welchen das Volk damals hauptsächlich seine Lieder sang, plötzlich geschlossen, und mehre der freisinnigsten Chansonniers wurden verhaftet. Unter ihnen Gustave Mathieu von Epinal, der in der ungesunden Isolierzelle von Mont St. Michel zwei Jahre verbracht hat. Unter dem Titel »Meine Nächte« ließ er nach seiner Befreiung einen Band ernsthafter Gedichte erscheinen. Mes nuits au Mont Saint-Michel. Poésies par Mathieu (d'Épinal). Paris, Victor Bouton, éditeur, 26 Rue Saint-André-des-Arts. 1844. Sein Lied von »Hans Traubensaft« wurde im Jahre 1849 durch ganz Frankreich gesungen. – Auch Alcide Reynard saß längere Zeit im Gefängnisse La Force, und schrieb hier das Gedicht »Der Arbeitsmann,« dessen Refrain ich, beiläufig bemerkt, einer fremden Übersetzung entlehnt habe.

Die Zahl dieser Proletariatsdichter ist, wie gesagt, Legion. Wir begnügen uns desshalb, noch ein paar der bekanntesten zu nennen; aber vielleicht ergeht es uns wie mit den Sternen des Himmels, vielleicht glänzen im verborgenen Dunkel der Nacht noch hellere Lichter, von denen unser forschendes Auge Nichts erfuhr. Es ist in der That ein mühevolles Geschäft, diese Lieder zu erhalten, wenn man sie auch hundertmal in den Wirthshäusern oder auf der Straße singen hörte. Größere Sammlungen giebt es nur von Dupont, Festeau, Desaugiers und wenigen Anderen. Von bedeutendem Interesse ist namentlich die Sammlung von Arbeitergedichten, welche Olinde Rodrigues 1841 unter dem Titel: » Poésies sociales des ouvriers« (Paris, Paulin, libraire, Rue de Seine 33) herausgab. Dieselbe enthält Beiträge von Elisa Fleury, Stickerin; P. Caplain, Metalldrechsler; Claude Desbeaux, Hutmacher und Seidenhandlungskommis; Louis Festeau, Uhrmacher; Gauny, Parkett-Tischler; Piron, genannt Vendôme, la clef des coeurs, Sämischgerber; L. M. Ponty, Latrinenfeger; Michel Roly, Tischler; J. C. Sailer, Buchdrucker; Savinien Lapointe, Schuhmacher, dessen » Échos de la rue« Les échos de la rue. Poésies par Savinien Lapointe. Paris, Michel éditeur, 27 Rue St.-André-des-Arts. 1850. – In demselben Verlage erschien 1850 Une voix d'en bas, par Savinien Lapointe. 3e, édition, avec une notice biographique par Eugène Sue, et suivie de lettres adressées à l'auteur par MM. Béranger, Victor Hugo et Léon Gozlan. später eine besonders günstige Aufnahme fanden; Francis Tourte, Porzellanmaler und Handlungskommis, Verfasser der » Brises du matin,« und Vinçard, Linealfabrikant, Herausgeber der Arbeiterzeitung » La Ruche populaire.«

Außer dem genialen Victor Rabineau, dessen Chansons meistens von A. Marquerie komponiert wurden, heben wir endlich noch folgende Namen hervor: Eugène Baillet, Emile Barateau, Bonabot, J. Boursier, den 1849 verstorbenen Brazier, P. M. Chaplain, L. Courrier, Joseph Déjacque, gleichfalls eine Zeitlang, Gefangener in La Force, Horace Demadières, Adolphe Depierre, Victor Drappier, Ernest l'Epine, Achille Fosset von Dijon, Eugène de Fresne, Verfasser des » Credo républicain« Claude Genoux, Joseph Landragin, Eugène Lebeau, genannt Ruy Blas, Théodore Leclerc, Philippe Leroy, Michel, Noël Mouret, Verfasser der vielfach nachgeahmten » Charlotte la républicaine«, Frédéric Périn, Alexandre Pister, Antoine Remy, genannt Chavanon, und Urbain Serre.

Nicht selten vereinigen mehre Volksdichter ihre Kraft zu einem gemeinschaftlichen Werke. Sie verständigen sich über den Gedanken und den Refrain; Jeder arbeitet die ihm zugetheilten Strophen aus, und die Kritik einiger Kunstfreunde entscheidet dann über die Aufnahme. Dies Verfahren erwies sich namentlich bei humoristischen Produktionen manchmal von recht günstigem Erfolg; natürlich muss man bedenken, dass es sich dabei nicht um Kunstwerke in höherem Sinne handelt. So fand 1847 ein derartiges, von 37 verschiedenen Schriftstellern verfasstes Gedicht die außerordentlichste Verbreitung. Cent et une petites misères. Oeuvre sociale, rédigée par les meilleurs Chansonniers de l'époque, sous la directien de MM. Charles Gille, Adolphe Letac et Eugène Berthier, fondateurs. Deuxième édition. Paris, à la librairie Chansonnière de Durand, éditeur, 32 Rue Rambuteau. 1848. Gewöhnlich ist es hier die Bourgeoisie, auf deren Kosten man lacht. Diese fürchtet den Geist, der sich im Proletariat entfaltet, und hat einige feile Skribenten in Sold genommen, welche die Poesie der Arbeiter verhöhnen und ihre besten Chansons travestieren. Aber das Volk kennt seine Feinde, und die »Friedensmarseillaise« von J. Martin, dem zahmen Poeten von Angers, wurde tausendstimmig übertönt durch Loynel's » En avant, Républicains!« oder durch Rabineau's:

» La guerre!
La guerre!
C'est le cri des peuples souffrants;
La terre,
La terre
Ne veut plus de tyrans!
«

Die meisten Gedichte der vorliegenden Sammlung sind von Leroy und Dupont. Einige weitere Mittheilungen über diese beiden anerkanntesten Volksdichter mögen daher zum Schlusse noch am Platze sein. Gustave Leroy ist Nähkastenarbeiter. Ich lernte ihn auf der Straße kennen, und besuchte ihn an einem kalten, klaren Novembertage in seiner Wohnung, damals in der Rue Transnonain. Eine alte Kaldaunenhökerin öffnete mir das Haus, und wies mich im Hintergrunde in einen dunklen Gang, an dessen Ende eine Treppe befindlich sei. Tappend im Finstern, gelangte ich vorwärts, begann zu steigen, und brach mit dem Fuße plötzlich durch ein Loch in den vermorschten Stufen. Glücklich zuletzt bis in das zweite Stockwerk gelangt, stieß ich an einen Balken, der – ich weiß nicht, in welcher Absicht – dort aufgestellt war, krachend fiel er zur Erde … drei Thüren öffneten sich, und kreischende, zerlumpte Weiber überhäuften mich mit Schmähworten. Aber in der dritten Thüre stand ein schönes blasses Weib, mit edlem Stolz in den Zügen, und fragte mich sanft, wen ich suche.

»Gustave Leroy« … Doch schon hatte ich ihn erkannt. Ruhig saß er, seine Nähkasten leimend, in der kalten Stube, aus welcher ein erstickender Dunst sich mir entgegenwälzte. Auf dem Fußboden lag ein schreiendes Kind – es starb wenige Tage nachher, trotz der liebevollsten und aufopferndsten Pflege. Ein Tisch, ein Bett, ein hölzernes Gesims, drei Stühle – Das war das ganze Mobiliar.

Ich fragte nach seinen Gedichten. »Die sind meist lange aus dem Buchhandel verschwunden,« gab er zur Antwort. »Doch da Sie sich für dieselben interessieren, will ich zusehen, ob ich selbst noch einige besitze.« Dabei langte er von dem Gesims einen Holzkasten herab, in dem, außer zerbrochenen Scherben, Handwerksgeräth und allerlei Spänen, sich zuletzt auch die Gedichte vorfanden. Es war ein ungeordneter Haufen Papiere, theils von Mäusen zernagt, theils durch das Alter und den schlechten Aufbewahrungsort zerstört. Leroy suchte das Leserlichste heraus und vertraute es mir. Ich konnte nicht umhin, ihm Vorwürfe zu machen über die Sorglosigkeit, mit welcher er die letzten Exemplare seiner Chansons der Vernichtung anheim gäbe. Fast misstrauisch schüttelte er das Haupt, und sprach dann: »Ich verstehe Sie nicht. Jene Lieder hab' ich schreiben gemusst; sie haben zu ihrer Zeit genützt oder gefallen – ihr Zweck ist erreicht. Die guten Chansons mögen Sie noch heut auf der Gasse hören; dass man die schlechten vergisst, dagegen habe ich mich niemals gewehrt. Ich versuchte übrigens schon einmal, eine gesammelte Ausgabe meiner Gedichte dem Volk zu übergeben, aber beim sechsten Bogen konfiscierte die Polizei die ganze Auflage. Es soll also nicht sein. Was gehen mich überhaupt die alten Lieder an? Dürfte ich jetzt, wo ich noch junge zu dichten vermag, schon für die Eitelkeit des Greisenalters sorgen? Lachen Sie nicht über meine Bescheidenheit – nur diese schützt den Armen vor dem Fluche, der in seinen Verhältnissen ruht.«

Leroy zählt jetzt etwa fünfzig Jahre. Seit 1830 hat er rastlos gewirkt, und er stand Anfangs der fünfziger Jahre auf der Höhe seiner schöpferischen Kraft. Das größere Publikum wurde schon 1840 auf ihn aufmerksam, als sein Gedicht »Die Todten« aus den Werkstätten erscholl. Ein anderes Lied, »Der Eingang in die Tuilerien«, zog ihm die erste Verfolgung zu. Leroy betheiligte sich fortwährend an den Ereignissen der Zeit, und suchte durch das moralische Gewicht seiner Poesie mit Erfolg auf die Volksstimmung zu wirken. Er influierte auf die Wahlen, warnte vor Louis Napoleon, kritisierte die Maßnahmen der Regierung, verherrlichte die Verbannten – und das Alles durch sein schlichtes Lied! Als die häufigen Duellforderungen in der Kammer zu stetem Skandal Anlass wurden, mahnte er die Volksvertreter an die Würde ihres Berufes und verwies ihnen das Leichtsinnige ihres Thuns. Nach der verunglückten Junischlacht fand er zuerst das männliche Wort; er rief den blutdürstigen Siegern die Pflicht der Menschlichkeit zu, und warnte sie vor dem Tage der Sühne. Und dann – als sein Ruf machtlos verklang – griff er mit zürnender Hand in die Saiten, und sang den finstern Accord: »Die Soldaten der Verzweiflung.« Am 17. März 1849, als die Hinrichtung der sogenannten Mörder des Generals Bréa das Herz jedes Edlen durchschütterte, fasste Leroy den Grimm Tausender in ein zorniges Lied, das noch am Abende von den Gassen bis zu den Scheiben des Präsidentenschlosses emporklang. Die Staatsgewalt mochte wohl fühlen, dass eine solche Kritik das ganze künstliche System ihrer Unsittlichkeit untergrübe – sie verurtheilte, statt des Präsidenten, den Proletarier. Das Volk war edler: es ernährte Weib und Kind des Gefangenen, und sang ihm unter den Gittern von Madelonnettes als Zeichen der Treue und des Dankes sein eigenes Lied.

Vor 1848 gab es eine Zeit, in welcher Leroy seine Poesie verstummen ließ. Aber er sammelte nur junge Kraft, und erschien bald wieder auf dem Kampfplatze, muthiger als zuvor. Seine Poesie ist ein wunderbarer Streit zwischen Milde und Zorn, zwischen Versöhnung und Hass. Selten doch überschreitet er die Grenze der Leidenschaft, so nah er dieselbe zuweilen berührt. Auch verliert er sich nicht so oft auf das Gebiet der Prosa, wie Dupont, der ihn fast mit Unrecht an Popularität übertrifft.

Pierre Dupont ist der Poet des tendenziösesten Materialismus, und so bedeutend fast jedes einzelne seiner Lieder auf den ersten Blick erscheint, so monoton, so unkünstlerisch wird er oftmals in seinem Bestreben, rein praktisch zu sein. Die Verdeutschung dieses Schriftstellers ist eine peinliche Arbeit; denn während in Frankreich die Phrase auf der einen, der prosaische Ausdruck auf der andern Seite im Liede noch geduldet werden, sind beide für den deutschen Kunstgeschmack zum Glück überwunden.

Pierre Dupont, der Sohn eines Schmiedes, ist am 23. April 1821 zu Lyon am Quai du Rhône geboren. Nachdem seine Mutter bald nach dem Hinscheiden seines Vaters durch einen unglücklichen Sturz in ein Kellerloch ihren Tod gefunden, nahm sein Pathe, ein alter Landgeistlicher in Rochetaillée an der Saône, sich des verwaisten Knaben an und sandte ihn in seinem zehnten Jahre in das geistliche Seminar zu Largentières, woselbst er bis 1837 verblieb. Da sich der 16jährige Jüngling hartnäckig weigerte, den ihm aufgedrungenen Priesterstand zu ergreifen, verdang ihn sein Pflegevater auf fünf Jahre als Arbeiter an einen Lyoner Seidenfabrikanten. Pierre Dupont entfloh schon nach wenigen Tagen aus der Fabrik; sein erzürnter Pathe gab ihm eine kleine Geldsumme, zog aber von jetzt an seine Hand von dem eigenwilligen Schützling ab, der sich selbst sein Loos schaffen wollte und, nach kurzem Aufenthalt im Bureau eines Notars, eine Stelle als Kommis in einem Lyoner Bankiergeschäfte fand. Dort scheint er zwei Jahre geblieben zu sein, bis ein Gastspiel der Rachel den in ihm schlummernden Funken der Poesie zu so heißer Flamme erweckte, dass er fortan nur dem Dichterberufe zu leben beschloss. Er eilte nach Paris, ward dort aber von Schriftstellern und Verlegern mit bedauerndem Achselzucken empfangen, und sah sich bald in die bitterste Noth versetzt. Nachdem er eine Zeitlang durch Stundengeben in einer kleinen Lehranstalt sein Leben gefristet, kam es ihm eines Tages in den Sinn, nach der Stadt Provins zu reisen, wo noch einige Verwandte seines Vaters lebten, bei denen ihm die freundlichste Aufnahme zu Theil ward. Vor seiner Abreise machte er u. A. auch Victor Hugo einen Besuch, fand aber den Dichter nicht zu Hause. Er schrieb ihm auf die Rückseite seiner Visitenkarte die anmuthigen, auf S. 13 mitgetheilten Verse.

In Provins vollendete Pierre Dupont ein größeres Gedicht: »Die beiden Engel,« das er schon in Lyon begonnen hatte, und das ihm die lebhafte Zuneigung eines damals in jener Stadt anwesenden Akademikers, des Herrn Lebrun, erwarb. Unser Dichter trat jetzt in sein vierundzwanzigstes Jahr; die Konskription berief ihn zu siebenjährigem Militärdienst. Zu arm, sich einen Stellvertreter zu kaufen, begab er sich verzweiflungsvoll nach Hüningen, und ward dort einem Jägerregimente eingereiht. Einer seiner Verwandten, Emile Genisson, bat ihn bei seiner Abreise, ihm das Manuskript der »beiden Engel« anzuvertrauen. Der brave Mann (er lebt jetzt im Exile) ließ das Gedicht auf eigene Kosten drucken und beeilte sich, Subskribenten auf das Erstlingswerk des jungen Poeten zu sammeln, während er einen zweiten Subskriptionsbogen an Herrn Lebrun nach Paris schickte. Der Erfolg war ein so günstiger, dass sich nach Abzug aller Unkosten ein Reingewinn von 5000 Franks ergab, und nach sechswöchentlichem Dienste sah Dupont sich durch einen Stellvertreter von der lästigen Militärpflicht befreit. Herr Lebrun erwies sich aber auch ferner noch unserm Dichter als wohlwollenden Freund. Auf seine Empfehlung wurde das Gedicht »Die beiden Engel« 1842 mit dem Preis der Akademie gekrönt, und der Verfasser erhielt eine Anstellung unter den Mitarbeitern am Dictionnaire de l'Académie.

Zu dieser Zeit befreundete sich Dupont mit zwei jungen Musikern, Gounod und Parisot, deren Kompositionen später berühmt geworden sind. Eines Tages hörte Gounod seinen Freund singen und war erstaunt über Dessen wohlklingende Stimme, die den leidenschaftlichsten wie den sanftesten Rhythmen mit seelenvoller Wärme gerecht ward. »Wo hast du singen gelernt?« frug ihn Gounod. – »»Ich weiß es nicht.«« – »Du scherzest.« – »»Nein, wahrhaftig, ich habe niemals singen gelernt.«« – »Sonderbar! Und was ist Das für eine Melodie?« – »»Ich habe sie heut Morgen zu einem meiner Lieder erdacht.«« – »Unmöglich! Und du hättest nie Musikunterricht genossen?« – »»Niemals.«« – »Lieber Freund, du hast da ein wunderbares Motiv gefunden. Singe mir noch einmal das Lied.« Gounod ergriff eine Feder und notierte die Melodie, welche Dupont ihm vorsang. Dann spielte er dieselbe auf dem Klavier, und betrachtete seinen Freund mit erschrockener Miene. »Ohne Musikunterricht!« rief er aus; »wenn du den Generalbass studierst, wirst du uns Alle übertreffen.« – »»Beruhige dich,«« lächelte Dupont, »»ich werde niemals Generalbass studieren – ich würde doch nichts Tüchtiges leisten.«« – »Versprich mir wenigstens, wenn dir künftig eine musikalische Idee einfällt, sie dir zu merken, damit ich oder Parisot sie notiere.« – »»Gut, ich will Das thun.««

Einige Tage nachher schlenderte Dupont eines Morgens auf der Straße von Poissy, als ihm eine Herde feister Landochsen begegnete, die ohne Zweifel zum Schlachthause getrieben ward. Der Anblick der prächtigen Thiere inspirierte ihn zu einem Gedichte, dessen einfach trübe Melodie er sofort vor sich hinsummte. Getreu seinem Versprechen, besuchte er Gounod und sang ihm die Verse vor. Der Komponist war außer sich vor Entzücken. Wenige Tage nachher sang Hoffmann das Lied: »Die Ochsen« (S. 38-39) in den »Variétés.« Theophile Gautier wusste Text und Melodie des unbekannten Verfassers nicht hoch genug zu rühmen, und Pierre Duponts Stern war im Aufgang, um bald heller und heller zu leuchten.

Die Gedichte dieser ersten Periode sind, trotz mancher Schönheit im Detail und obgleich man sie in Frankreich fast am höchsten schätzt, doch von untergeordnetem Werthe. Auch entriss ihn die Hungersnoth von 1846 und der tägliche Anblick des Elends bald dem bukolisch-erotischen Stillleben und erschuf zunächst eine Übergangsform zu seiner späteren Richtung. Wir meinen die philosophisch-sociale Chanson, welche, mit dem »Belzebub« beginnend, in dem Gedicht »Der Wilde« ihren Abschluss gewann; Kompositionen voll großer, ungeordneter Gedanken bezeichnen den Charakter dieser Epoche. Berühmt wurde Dupont namentlich durch »Das Lied vom Brote,« den »Arbeitergesang« und den »Gesang der Völker,« welcher letztere zugleich mit einem Gedicht über Polen's Fall Fin de la Pologne, poème, suivi du chant des nations, par Pierre Dupont. Paris, Gabriel de Gonet, éditeur, 6 Rue des beaux arts. 1848. im Jahre 1847 erschien. Hier erst hat der Poet in der social-politischen Chanson das ihm zugemessene Feld erkannt. Wie gering man auch von künstlerischem Standpunkte aus über den Werth dieses Genres urtheilen muss: der Dichter versteht mit energischem Wort die politische Stimmung seiner Partei auszusprechen, und er schrieb seitdem kaum ein einziges Lied, das nicht in der Brust des Volkes einen mächtigen Wiederhall fand. Außer den von mir übertragenen, sind namentlich der »Bauerngesang,« der »Bankettgesang,« »Die Sibirienne,« »Frankreich an Pius IX.,« »Erhalte Gott die Republik!« und der » Chant du Vote« zu erwähnen. Viele der Dupont'schen Lieder gingen als prophetische Sturmvögel der Revolution vorauf. Letztere war überhaupt keine Überraschung; der neue Geist wirkte schon lebendig in den Massen, und von den »Dämmerungsgesängen« Victor Hugo's bis zur »Geschichte der Girondisten« begegnen wir überall denselben Weissagungen der Poesie. Der 24. Februar war nur eine Konsequenz, beschleunigt zum Theil durch dieselben Männer, welche ihn, wie Lamartine, heute verleugnen.

Die erste Sammlung seiner Gedichte Muse Populaire. Chants et poésies par Pierre Dupont. Paris, Garnier frères, libraires. 10 Rue Richelieu. 1851. veröffentlichte Dupont im Jahre 1851. Eine Prachtausgabe derselben mit allen Melodien, illustriert von Tony Johannot und Célestin Nanteuil, erschien bald nachher bei Houssiaux und ist später in den Besitz der Buchhändler Vialat, Gabriel Roux & Co. übergegangen. Wir wissen nicht, ob ein größeres Gedicht: »Jeannette, die Schneiderstochter,« an welchem Dupont nach Zeitungsnachrichten im Jahre 1854 arbeitete, seitdem publiciert worden ist.

Nach dem Staatsstreiche vom 2. December hielt Pierre Dupont sich ein halbes Jahr lang in einigen obskuren Landstädten verborgen, bis man endlich seinen Aufenthaltsort entdeckte und den gefürchteten Volksdichter verhaftete. Vor ein Kriegsgericht gestellt, ward er zu sechsjähriger Verbannung nach Lambessa verurtheilt; einflussreiche Gönner erwirkten indess seine Begnadigung. Die Notizen über Dupont's Lebensgeschichte sind meistens dem 12. Hefte der » Contemporains« des freilich nicht sehr zuverlässigen Pamphletisten Eugène de Mirecourt entnommen. Die übrigen Nachrichten verdanke ich zum Theil persönlichen Mittheilungen der Verfasser während meines Aufenthalts in Paris. Einige der Letzteren mögen inzwischen verstorben sein, oder in der Verbannung, vielleicht im Kerker, leben. Seitdem scheint Dupont sich wieder vorherrschend der bukolischen Lyrik zugewandt zu haben, und nur das spätere Gedicht »Der Goldwäger« erinnert an seine früheren socialistischen Chansons. –

Der tyrannische Feldzug Louis Napoleon's gegen die Presse Frankreichs hat natürlich auch die Produktionen dieser Dichter aus dem Arbeiterstande nicht verschont. Die unheimliche Stille jenes Landes wird heut zu Tage durch keinen Gesang unterbrochen, der Despotismus durch kein Wort, kein Lied mehr gemildert. Es ist bekannt, mit welchem Eifer die französische Polizei den »Proletariergesang der Marianne« (S. 210-212) und den »Löwen vom Quartier latin« (S. 212-214) verfolgte und jede Verbreitung dieser Chansons zu hindern suchte. Welches Urtheil die Weltgeschichte schließlich über die Politik des Abenteurers von Straßburg und Boulogne fällen möge, der jetzt auf dem französischen Kaiserthrone sitzt: er handelt sicher nicht klug daran, einer großen Nation das Aussprechen ihrer Klagen zu verwehren. So lange ein Volk noch seine Wünsche, seine Beschwerden offen vortragen darf, fühlt es sich nicht völlig geknechtet; aber es ist ein gefährlich Spiel, sich in seinem Volke einen stummen Gegner zu erschaffen, dessen Groll mit keinem Worte verkündet, was für drohende Thaten in der schweigsamen Seele schlummern. Die besprochenen Gedichte, deren künstlerischen Werth wir gering anschlagen, und die wir vorherrschend des kulturhistorischen Interesses halber mittheilen, geben uns den Beweis, dass der französische Arbeiterstand zum Nachdenken über seine Lage erwacht ist – diese Thatsache wird durch keine Zwangsmaßregel vernichtet, wenn auch das Wort oder Lied sich für eine Zeitlang ersticken lässt. Begrüßen wir einstweilen die französische Arbeiterdichtung als einen verheißungsvollen Boten der Zeit, wo der Proletarier, von dem Drucke der heutigen Gesellschaftsordnung erlöst, als gleichberechtigter Bewerber mit den edelsten Geistern der Menschheit um die Palme der Bildung ringen wird!



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