Willibald Alexis
Der Werwolf. Zweiter Band
Willibald Alexis

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Drittes Kapitel

In Berlin

Am 15. Juli 1525 sah es seltsam aus in den Städtchen Berlin und Kölln. Es war ein heißer Tag, und der Bischof Hieronymus mußte oft sein Pferd anhalten, um Luft zu schöpfen. Ein kalter Schweiß perlte ihm von der Stirn. Wenn sein Begleiter ihm zusprach, daß er doch die Reise aufschiebe und nach Brandenburg zurückkehre, wies der Bischof mit dem Arm nach Berlin, und wenn ihm die Sprache wiederkam schüttelte er den Kopf: »Es ist zu lang schon aufgehoben.«

Es war etwas in des Bischofs Art, was sein Begleiter nicht kannte; nicht von diesem Tage allein! Der Herr, welcher so gern tafelte, saß einsilbig bei Tisch, den Becher mit Ungarwein hatte er oft kaum berührt, wenn er aufsprang, seinen Lieblingsfisch, auch den Braten vergessen, den ihm der Koch doch zugerichtet, wie der Bischof es ihm selbst beschrieben, daß sie in Franken und Schwaben es täten, und an des Kaisers Hofhalt. Als der Bürgermeister ihn gefragt, ob er denn nun Ernst machen solle gegen die Prädikanten, die deutsche Lieder singen ließen, und er hatte ihn oft um seine Fahrlässigkeit und sträfliche Nachsicht gescholten, gestern hatte Hieronymus mit der Hand geweht: sie sollten es noch aufschieben, bis er in Berlin gewesen.

Der neben ihm ritt, war ein Mann in mittlern Jahren; wenn er den Hut lüftete, um mit dem Sacktuch den Schweiß zu trocknen, sah man die Tonsur; ohne die hätte man ihn eher für einen ritterbürtigen Schloßgesessenen gehalten, der über des Lebens Stürme hinaus ist und einen Hafen fand im Frieden der Seele. Beide, der Bischof und sein Begleiter, schauten ernst; es war aber ein gar verschiedener Ernst, wie einer, der vor dem Gericht steht, und den Spruch noch erwartet, und einer, der freigesprochen ist, und seinem Gott im stillen dafür dankt.

»Es sei nur etwas in der Luft,« sagte der zweite Reiter, als der Bischof abermals, da sie hinter Potsdam waren, inne hielt, und, mit beiden Händen auf der Brust, Atem zu schöpfen suchte. »Zersprengte Gewitter in der Atmosphäre, die sich nicht finden.«

»Es dampft nach Schwefel,« sprach der Bischof und richtete seine Blicke nach dem blauen Havelspiegel, der zu ihrer Linken sich weithin ausdehnte, von dunkelgrünen Hügelufern umsäumt. »Jesu Christi, ach wer auch so segelte wie der Schwan!«

»Zöge ich's doch vor, wie die Lerche dort in der Luft zu wirbeln,« meinte der andere.

»Wie fängt das Lied an,« sagte nach einer Weile der Bischof, »das Wittenberger Lied, meine ich, um das der Streit neulich in der Altstadt losging?«

»Eine feste Burg ist unser Gott! Hochwürdigster,«

»Die Weise klang schon gut.«

»Hochwürden äußerten sich auch an dem Abend, es klinge so feierlich, wie eine Säule von Gesang, die zum Himmel steigt.«

»Der Streit drum war vom Uebel.«

Der Domherr meinte, das Sprechen tue nicht gut; sein Begleiter solle sich nicht anstrengen, bis er der Ruhe des Zimmers pflege.

Der Prälat verfiel wieder in Gedanken; er sprach für sich bis es doch Worte wurden: »Wozu hätte uns der Herr auf die Welt gesetzt, als daß wir uns anstrengen sollen! Ist unser ganzes Leben doch ein Ringen und Anspannen und Ausdehnen unserer Kraft, über ihre Mächtigkeit hinaus.«

»Dann sollen wir ruhen.«

»Wer darf das, Mathias! Ach, wer darf sagen, nun tat ich genug? – Wer nur: Ich tat immer was ich mußte, ich –«

»Nur noch wenige Schritte, Hochwürdigster,« sprach der geängstigte Begleiter, als der Bischof nur noch mit den Armen die Rede fortsetzte. Sein Kopf hing auf der Brust. »Ich höre schon die Trommel wirbeln. – Das Gewitter verzieht sich noch.«

»O, wenn es losbräche!«

Die letzten Schritte hatte der Begleiter das Pferd des Bischofs an der Hand geführt, gewärtig, daß er den Reiter selbst in seinen Armen auffangen müsse. Zum Glück brach das Gewitter nicht los.

Ein Bischof von Brandenburg, der ohnmächtig vom Pferde sank und der Torwacht in die Arme, hätte zu anderer Zeit in Kölln großes Aufhebens gemacht. Heute war es anders. Es sah seltsam aus in den Städten Kölln und Berlin am 15. Juli des Jahres 1525. Wenn der Domherr nicht vorhin auf seinen Bischof allein die Augen gehabt, hätte er es schon am Wege gesehen, daß etwas Besonderes los war. Was liefen die Landleute nach der Stadt und von daher? Die standen in dichten Gruppen, die traten zu und spitzten die Ohren, wo einer sprach; die rangen die Arme, die knieten um ein Muttergottesbild und murmelten Gebete.

Und jetzt in der Stadt hätte er blind sein müssen, »Ist denn die Torheit auch hier los, wo der Hof und der Kurfürst den Leuten ein Exempel sein sollten!« dachte der verständige Mann, da er sich wieder Platz machte nach seinem Pferde, nachdem sie den Bischof in die nächste Herberge getragen. Aber sie machten ihm nicht Platz, ob er doch sagte, er müsse stracks zum Kurfürsten nach dem Schloß. Ein Gesicht lachte ihn grimmig an, ob er denn meine, der Kurfürst werde für ihn die Ohren spitzen, da er sie für seine getreue Bürgerschaft zugestopft? Ein anderer sagte mit betrübter Miene im Vorbeigehen: »Die Herrschaften sind ja nicht mehr im Schloß.«

Nur mit Mühe erfuhr er, was der Grund sei. Zwei Stunden etwa vor Mittag war es im Schloß an der Spree unruhig geworden. Sie liefen in die Ställe und Wagenschuppen, stürzten treppauf, treppab; die Marschälle, Kammerherren, die Stallmeister und Packmeister riefen und befahlen, und die Tore wurden zugeschlagen, daß das Volk nicht in die Höfe dringe. Dann waren die Bürgermeister der Städte zum Herrn beschieden worden, und als sie herauskamen, fast verstört und blaß, wurden auch die Tore schon wieder aufgerissen und die kurfürstlichen Vorreiter sprengten hinaus; dahinter die kurfürstliche Staatskarosse und andere mit den fürnehmsten Personen, einige Leiterwagen folgten, hochbeladen mit schweren Kisten und Koffern. Und dahinter und dazwischen Herren und Trabanten, und in Unordnung gingen Wagen und Rosse an der Schwarzen Brüderkirche vorbei zum Tore nach dem Teltow. Und von da sah man sie durch die köllnische Myrica fahren, was ein tiefer Elsenbruch war, darauf heut, aber viel höher, die große und schöne Friedrichsstadt steht. Damals schlängelte sich nur ein tiefer Weg durch den Moorgrund nach den Bergen hin, die mit uralten Bäumen und mit Weingärten bestanden und höher waren, als sie jetzt sind; denn später wurden von dem Sand und Lehm viel tausendmal tausend Fuhren und Karren abgefahren und auf den Sumpfboden der Myrica geschüttet, daß sie höher werde und gesunder; und als sich der Boden gesackt, ward die Stadt gebaut, die jetzt dort steht. Das dauerte indes noch mehrere Hunderte von Jahren, und man sieht noch heut in einer Straße, die nach den kurfürstlichen Tauben ihren Namen hat, nahe am Schauspielhaus, ein altes, graues Haus, von festen Eichenstämmen gezimmert, wie sie im Boden um Berlin nicht mehr wachsen; das war noch vor hundertundfünfzig Jahren ein kurfürstliches Jagdschloß.

Doch weit über das Jagdschloß hinaus, was zu jener Zeit noch nicht gebaut war, trabte und jagte der Zug; und durch die Bürgermeister wußte man es nun, der Kurfürst war mit seiner Gemahlin, der jungen Herrschaft und seinen fürnehmsten, geliebten Offizieren auf den Tempelhofschen Berg bei den köllnischen Weinbergen gefahren. – Weshalb? – Die Bürgermeister sagten nur: wegen des drohenden Wetters? aber die Bürger flüsterten, und einer sagte es dem andern: Der kurfürstliche Astrologus habe den Kurfürsten heimlich verwarnt, daß ein grausames Wetter ankommen würde, und stände zu besorgen, daß beide Städte, Berlin und Kölln, untergehen möchten. Sprachen sie das schon auf dem Schloßplatz, wo viele die Worte aus der Bürgermeister eigenem Munde gehört, was mußten sie erst sprechen drüben in den engen Gassen von Berlin, und noch weiter! Anfangs war es totenstill, dann schrie einer auf, ein zweiter, dritter; was, weiß ich nicht. Dann fingen die Weiber an zu weinen; vor ihrem Geschluchze und Geheul ward den Männern bange. Da schrieen die aus den Fenstern oben, was es gäbe? Die aber stürzten schon. Mann, Weib, Kinder, die Treppen hinunter; die nahmen die Kleinen auf den Kopf, als brausten die Fluten schon heran. Auf den Straßen stürzten sie, die von Abend nach Morgen, und die von Morgen nach Abend. Jene wußten, das Wasser komme vom Unterbaume, diese sagten ihnen, es komme vom Oberbaum, wo sie hinwollten. Hätte einer gesagt, daß gar kein Wasser komme, der wäre tot geschlagen worden von beiden.

Auch als man zur ersten Besinnung kam, war man nicht besser dran. Wenn eine große Gefahr uns über den Hals kommt, retten wir zuerst uns selbst; wenn aber das Haus nicht hinter uns einstürzt, besinnen wir uns, daß wir manches zurückließen, was uns auch lieb ist, und manchem noch lieber als das nackte Leben. Wir stürzen wohl in die wirkliche Gefahr zurück, vor deren Scheinbild wir geflohen waren. Da blieb ein Hausvater, der fast ohne Rock aus dem Haus gesprungen war, nur sein Jüngstes auf dem Arm, sein Weib mit den andern hinter ihm, an der Ecke stehen und besann sich, daß er ja ein wohlhabender Bürger gewesen, und was war er, wenn die Sündflut alles wegschwemmte? Er sah sich um, und sein Haus stand noch. Er eilte zurück, und während der Wagen aus dem Schuppen, die Rosse aus dem Stalle gezogen, und von den Böden und Treppen geschleppt ward, besann er sich wieder: wohin solle er denn, und was für Schaden hatte er doch dabei, und warum denn eigentlich alles das? Da fing er an, die Kisten bedächtiger aufzuladen, und endlich unterließ er's ganz, drückte den Hut auf die Stirn und sprach: Ich will doch erst aufs Rathaus.

So die Verständigen. Unsere Vorväter kamen immer klüger vom Rathaus zurück, als sie hingingen; aber der Schatz drinnen von Klugheit war leider nicht groß genug für alle. Die übrigen liefen und schrieen, Weiber und Kinder voran, und wer noch nicht den Verstand verloren, verlor ihn jetzt. Die wollten nach den Kirchtürmen und die Glocken läuten, nach den Rathäusern, daß Bürgermeister und Ratmänner von der Treppe herunter Rechenschaft gäben, warum sie nicht für die Stadt gesorgt. Man solle aus den Toren aufs Feld! Das waren die Klügsten. Wenn die Häuser einstürzten, ist's im Freien am sichersten. Andere aber sagten, die Stadt liege noch höher als das Weichbild; man solle auf die Berge hinaus. Der Kurfürst hatte ihnen ja den Weg gezeigt. Da sah man bald Kopf an Kopf auf den engen Brücken, bei Sankt Gertraud, nach dem Teltow und auf der, so von der Roßgasse in die Birkenheide bei Rixdorf führt; und wenn sie hinübergedrängt durch die Türme und Weichhäuser mit Aengsten und Not, ergossen sie sich in die Felder und Büsche. Maß man's nach ihrem Lärm und Geschrei, hättest Du glauben sollen, das sei die ganze Bürgerschaft; aber wenn der Domherr aus Brandenburg die nackten Arme, die Schurzfelle zählte, fragte er sich: wer sind denn die guten Leute? Wer etwas hat, und es lieb hat, und weil er es lieb hat, es nicht im Stich läßt und ins Weite läuft, den nannten die Vorfahren einen guten Mann; es war so in Deutschland und in Spanien; einige meinen, es sei allüberall noch heute so. Die guten Leute fingen an zu denken, wie der Bürgermeister von Wittenberg, und als es auf den Straßen leer war, ward es auf den Dächern voll.

Aber es war kaum eine Stunde nach Mittag, als der Strom zu stauen schien, und Brücken und Tore wieder in die schattenlosen Straßen die zurückspieen, welche vorhin nach dem Tempelhofschen Berge gezogen. Wer diese von Angst und Entsetzen wilden Gesichter, triefend von Schweiß, diese schreienden Weiber recht ansah, mochte selbst der Angst sein, daß es zu Aergernis komme. Die Trabanten hatten die Zugänge zum Berge besetzt. »Sie lassen keinen mehr rauf!« Die kurfürstlichen Reiter drängten die Haufen zurück. Da hatte man geballte Fäuste gesehen; sie hatten nach Steinen gegriffen, und wenn nicht gerade über den Müggelbergen ein ferner Donner gerollt, wer weiß, ob es nicht Steine gehagelt und die Klingen geblitzt hätten.

Nun wogte, taumelte es wieder durch die leeren Gassen, und mit höhnischen, grimmigen Blicken schaute das Volk nach den hohen Steinhäusern hinauf. So auch der Fürst des Landes ein Recht für sich hatte, daß er sich um des Landes willen rettete, was denn die reichen Bürger und schoßgesessenen Familien, die sich in der Stadt aufhielten!

Aber es kam nicht zum Aufstand. Das brandenburgische Volk ist ein gutes Volk; und auch wenn es sehr böse ist, läßt es sich leicht wieder fangen durch ein gutes Wort, bisweilen sonst geschah's auch durch ein böses; das ist aber nun vorbei. Der Bischof von Brandenburg ist tot! Er ist nach der Stadt gekommen. Er hat den Kurfürsten warnen, er hat ihn bitten wollen für das arme Volk. Da hat der Schlag ihn gerührt, als er sah, wie die armen Leute von ihren Obrigkeiten verlassen sind! So lief es durch die Menge. Nun war Hieronymus Scultetus zwar nicht tot; aber sehr krank ließ er sich in einer offenen Sänfte auf das Schloß tragen. Die Weiber, die sein blaß Gesicht sahen, huben ein Geheul an, sie folgten dem Zug des Sterbenden, sie baten ihn um seinen Segen. Der Bischof von Brandenburg war in Berlin nicht, was man nennt, ein beliebter Mann gewesen; es war nicht in seiner Art, mit dem Volke umgehen, wie das Volk es gern hat, und wer für die rechte Hand eines Fürsten gilt, dessen Regiment ein strenges ist, wird selten ein Mann des Volkes werden. Aber eine halbe Stunde, nachdem der kranke Hieronymus an der Ecke der schwarzen Brüdergasse ein paar Worte gesprochen, daß jeder sich in Gottes Willen fügen müsse, ob hoch oder niedrig, wir alle ständen in seiner Hand, und das Vertrauen auf ihn sei die sicherste Stütze für den Schwachen und Starken, da wiederholte man schon am Neuen Markte eine Rede, davon den Zuhörern das Herz brach; und am Ende der Stralower Gasse war der Bischof ein heiliger Mann geworden; er hatte es nicht länger mit ansehen können, die Unbilden gegen den gemeinen Mann, und hatte sich, krank schon, den langen Weg nach Berlin tragen lassen von seinen Domherren, um dem Herrn und seinen Räten zum Gewissen zu reden. Hier war's des Fürsten ärgerlich Leben mit seiner durchlauchtigsten Gemahlin, dort sein Treiben mit Sterndeutern. Hier, daß er es versehen, die neue Lehre mit Stumpf und Stiel auszureuten; dort, daß er der Kirchenbesserung ungnädig Aug' und Ohr verschlossen.

Nur das war gewiß, daß Hieronymus' traurig Erscheinen der Volksunruhe eine andere Richtung gab. Der Zorn ging über in religiöse Zerknirschung. Die Häuser der Reichen waren gesichert; sie strömten in die offenen Kirchen und Kapellen, sie knieten um die Heiligenbilder, sie zerschlugen sich die Brust. Was hat ein Priester Macht, wo das Volk von Fieberangst bebt. Wie lauschten sie offenen Mundes jenem Dominikaner, der alles Unheil der Welt von dem Treiben verbotener Künste herleitete. Mit lebendigen Strichen malte er die Umgebungen des Fürsten, welche als Nekromanten galten, und verweilte endlich bei einem kleinen, unterwachsenen Manne, dessen Konterfei einem jeden, welcher ihn nur einmal gesehen, in die Augen sprang. Er malte ihn, wie er in dunklem Gemache mit seinen roten Augen über großen Folianten lag, Kreise zog, Winkel und Zickzacke, und hustend die Wendeltreppe hinaufstieg auf den Turm. »Dort, seht ihn, richtet er Stangen und goldene Kugeln, schraubt und dreht und schaut durch lange Fernröhre in die Sterne, die Ihr nicht seht. Hat das der Herr gewollt? Warum gab er Dir, und Dir, und mir nicht auch so scharfe Augen? Was verbarg er den Teppich, darauf er die Sterne gesäet, unsern Augen, so lange er, sein Sonnenlicht leuchten läßt? – Es muß doch sein Wille gewesen sein, er muß seinen Grund dafür haben, und der Nekromant stahl sich wider Gottes Willen in Gottes Geheimnis, er riß den Vorhang nieder und las die Schrift, so uns verborgen bleiben sollte. Oder war's nicht gegen Gottes Willen? Hat sein allmächtiger Finger etwa selbst einen kleinen Riß in den Vorhang geschlitzt, damit der kleine Mann sein Auge dran lege? Wenn hat er denn die Schrift gelesen? – Heut? – Nein, gestern, ehegestern, vorgestern. Sein lebelang liest er schon daran, hat Schriften davon abgefaßt und Bücher drucken lassen. So mußte er ja schon gestern, ehegestern, vor Monden und Jahren schon mußte er wissen, was dieser Stadt bevorstand. Freilich wußte er's. Die Sterne wandeln nimmer. Was der Wassermann und der Skorpion heute sagen, das sagten sie seit die Welt steht, und bis die Welt untergeht. Er hat's gewußt; und was tat er den Mund nicht auf, was sprach er erst heut, da die Donner schon rollen in der Ferne, die Wolken den Himmel verdüstern, die Luft nach Schwefel dampft; was heut erst seine Warnung, da es zu spät ist? Kann das des Herrn Wille gewesen sein? – Hört Ihr nicht Satans Hohngelächter im Knarren des Wetterhahns. O es ist ein gräßlich Gelächter, wenn Satan lacht, daß er dem Herrn eine Menschenseele entrückt hat! Seht, Ihr Toren der Weisheit, ruft seine heisere Stimme, ich leite Euch an, des Himmels Wissenschaft zu stehlen, erstens damit Ihr sündigt gegen Gottes Gebot, und zweitens um Euch die Hoffnung zu verwirren, die Euch sein offenbartes Wort schenkt, und drittens, wenn der Abgrund sich öffnet, daß Ihr mit Verzweiflung und Pein in die Flammen stürzt. Dazu kauft Ihr Bücher und Instrumente, dazu ruft und bezahlt Ihr Gelehrte und Schwarzkünstler und speist sie an Eurem Tische und wärmt sie an Eurem Busen und nährt sie mit Eurem Vertrauen; ihnen öffnet Ihr das Ohr und verschließt es den Bitten und Vermahnungen Eurer andern getreuen Untertanen, damit sie Euch Wahrheit sagen, wenn sie Euch nicht mehr hilft. So, Ihr armen Verlorenen, herrscht Satan auf Erden.«

Wer hatte Ruhe, die Predigt zu hören, die nun über die drei Punkte folgte. Nur die Weiber und Schwachen; die übrigen wanderten von einer Kirche, von einem Prediger zum andern, wer den besten Trost gäbe? Die Ketzerei mußte im stillen weiter gefressen haben, als man denken sollen! Wie klein war die Zahl um die Eiferer, welche mit den Fäusten das Pult zerschlugen! Die Bürger flüsterten sich zu: Warum steht denn der auf der Kanzel, warum der nicht? Es waren Diakonen, fremde Mönche. Der Propst, der Hofprediger, die Prioren waren mit auf dem Berge! – Wie drängten sie dagegen Kopf an Kopf in dem abgelegenen Hofe und dort in der Scheune, wo ein junger Prädikant, aus der Fremde heimlich in der Stadt, seine Arme aus dem schwarzen Talar erhob, und wunderbar bewegende Worte unter die lautlos Horchenden ausgoß? Heute blickten sie nicht mehr besorgt, ob die Türe auch verschlossen, der Eingang bewacht sei? Ja, sie fielen beherzt in das deutsche Lied ein, das jetzt der Vorsänger anhub. Es war das erste Mal in Berlin.

Was blickten die aber an der Spree und auf der langen Brücke nicht nach den Kähnen unten, auf denen ganze Familien mit Sack und Pack saßen, sondern in die Höhe? Nicht nach den Wolken, die kamen und gingen, sondern nach dem Eckturm des alten Schlosses, das heut nicht mehr steht; auch dazumal stand es noch nicht volle hundert Jahre. Sie blickten nach den Stangen mit goldenen Kugeln, die in der Sonne blitzten, und dann und wann senkte und hob sich eine Stange. »Da sitzt er.« – »Da zaubert er.« – »Er ruft das Unwetter an.« – »Und wir dulden's!«

Wäre einer im Volke aufgetreten, der sie angeführt, hätte es zu Bösem kommen mögen. Der Kurfürst Joachim II. hätte später nicht nötig gehabt, die eng und schlecht gebaute Veste durch die Maurer niederzureißen, daß er Platz gewinne für das neue Schloß. Noch entsannen sich die Bürger aus der alten Zeit, wie Friedrich mit den eisernen Zähnen das feste Haus an der langen Brücke aufbauen ließ. Sie nannten es ein Zwing-Kölln und Berlin. Ihr steinerner Roland war damals gefallen, und mit der Städte Freiheiten waren die Mauern gekittet worden. Ihre Freiheiten wären wohl nicht wiedergekehrt, noch hatten sie ihren Roland aus dem Schutte aufgerichtet, wenn sie das Schloß zerstört; aber wann das Volk wild wird und anfängt niederzureißen, wo stört es der Gedanke, daß es nichts dafür aufbaut? Aber der eine war nicht da, der Funke in den Zunder; es war zu schwül, der Zugwind fehlte, der die Flamme anfacht.

Einer war wohl da, der schweißtriefenden Angesichts von rechts nach links ritt, hier zusprach, dort abredete: Der Kurfürst und seine Räte würden das Volk in seinen Nöten nicht verlassen; sie sollten nur Mut behalten und Vertrauen. Wenn es zum Aergsten käme, habe der durchlauchtigste Herr befohlen, daß alle kurfürstlichen Gebäude und Türme aufgeschlossen würden, damit die armen Leute, die keine steinernen Häuser hatten, auf den Böden Platz fänden. Auch werde den fürstlichen Schiffern befohlen werden, daß sie in den Kähnen durch die Straßen ruderten, damit sie die Ertrinkenden aufnähmen und Brot und Speise zutrügen, hatte Joachim seinen Marschall früher ausgeschickt, so wären die Leute vielleicht zufriedengestellt worden. Nun schwiegen sie zwar, wenn der redete; aber wenn er den Rücken gewandt, brach der Unmut aus in losen und bösen Reden: Wer im Trocknen sitzt, könne gut reden, wie man schwimmen solle! Guter Rat sei wohlfeil, wenn man ihn nicht mehr braucht. Erst das Uebel zulassen und dann sich ausreden! Das kenne man schon; vorher seien die Herren überklug und hörten niemand; nachher, wenn's Wasser über die Köpfe geht, solle jeder Vertrauen haben. Vertrauen mache keinen Sperling satt und rette keine Katze vorm Ersaufen. Weshalb sie denn nicht vorher aufgeschlossen? Die Schlüssel hätten sie in der Tasche mitgenommen; wenn das Wasser über die Türen ginge, würden sie sich besinnen und die Schlüssel herunterschicken. – Körnlein einer giftigen Saat, die nachher furchtbar im Moortale der Spree gewuchert hat. –

Der arme Herr von Bredow hatte schwere Arbeit; denn das ist die allersauerste für einen Diener, seinen Herrn verteidigen müssen und tun, als ob's aus dem Herzen käme, und kann doch seinen Herrn vor sich selbst nicht verteidigen! – Zu einigen von den Besseren hatte er's gewagt, im Vertrauen zu sagen, wer's denn bestimmt wisse, ob die Sündflut überhaupt kommen werde? Hans Jürgen meinte es gut; aber es ist nicht immer gut, daß man alles sagt, was man gut meint. Einige sahen ihn groß an. Es gibt Brandenburger, die das für nicht weniger halten als Rebellion, wenn ein Diener eine andere Meinung hat als sein Fürst. Andere dachten, er mag recht haben; aber als er den Rücken gewandt, sagte einer: »Er kann klug sprechen, er hat sein Weib auf dem Berg sitzen,« ein zweiter sagte: »Die schöne Eva!« und ein dritter: »Die wird unser gnädiger Herr nicht ertrinken lassen,« Da lächelten, die eben noch düster geschaut, und was der Marschall gesprochen, war in den Wind gesprochen,

Auf der Bank unter dem Lindenbaum vor der Schenke am Mühlendamm hatte Hans Jürgen sich niedergesetzt. Wer ihn aber sah, wie er den Arm nach der Kanne Bieres ausstreckte, den die zitternde Schenkerin ihm mit einem: »Gott bekomm's!« aus dem Keller brachte, sie meinte, es sei wohl zum letzten Mal – und wie er mit durstigen Lippen ihn bis auf die Hefen leerte, war überzeugt, daß der Ritter vor der Sündflut keine Angst hatte. Neben ihm saß der Domherr aus Brandenburg; auch er trug die Last des heißen Tages. Vergebens hatte er zweimal versucht, zum Kurfürsten auf den Berg durchzudringen, und war zweimal von den Trabanten zurückgewiesen. »Und Ihr wißt nicht, wie mein Bischof danach verlangt. Seine Durchlaucht zu sprechen.« Er wollte es nun mit dem Marschall versuchen.

»Begreif' es einer. Er sperrt sich ab und läßt seine Vertrautesten nicht vor, als schämte er sich ihres Anblicks.«

»Wenn man das erste begriffe, lieber Ritter, ist das zweite leicht zu begreifen.«

In dem Augenblicke spitzte der Domherr sein Ohr. Durch das Geklapper der Mühlräder schallten besondere Töne. Beide sahen sich an und verstanden den frommen Gesang, der aus dem Hinterhof der Mühle kam. Die Sänger mochten den geräuschvollen Ort schon oft gewählt haben, damit ihr Choral auf der Straße nicht gehört werde.

Hans Jürgen sah gutmütig auf den Domherrn und reichte ihm fragend die Stahlhand über den Tisch: »Gebt's nicht an, lieber Herr! 'S sind stille Leute, ich kenne sie. Entweder kommt die Sündflut, und dann ist's ein Aufwaschen von Ketzern und guten Christen; oder sie kommt nicht, und dann, glaubt mir, an Angebern fehlt's schon nicht bei uns.«

Freundlich schlug der Domherr ein: »Seh' ich denn wie einer aus?«

»Aber ich könnt's werden!« rief der Marschall und schüttelte aufstehend sein Kettenkleid zurecht und strich den nassen Bart. »An dem Fuchs von Pfaffen, der das Volk gegen die Sterngucker aufwiegelte! Dem Carrion gönnte ich's schon, bin nicht sein Freund, aber das darf nicht sein; er ist meines Herrn geheimster Rat und weiß um all sein Geheimes. Und der Pfaff tat's nicht für sich, da steckt ein anderer hinter.«

Der Domherr war nicht der Meinung. »Das ist ein wunderbar Geheimnis, lieber Ritter,« sprach er, als sie zum Tor hinaus waren, »warum der Herr es so gemacht, daß kein Aug' sieht wie das andere, sondern in den Dingen, die da sind, jeder heraussieht, nicht wie es ist, sondern als wie es ihm dünkt. Die wunderbaren Figuren und Farben in den Wolken, im schillernden Abendrot, sieht nicht jeder sie anders und deutet sie anders in seiner Weise, und das ist ihm eben Lust, und am Ende schwört er auf seine Deutung und verwettet seine Seligkeit, daß dem so ist. Und wenn ein großes, banges Wehen durch die Welt geht, daß die Gemüter erzittern einer Geburt entgegen, ist's nicht auch so? Taufen wir's, kleiden wir's nicht, das Neue, das Unaussprechliche, Unerklärte, in die Namen, Farben, Vorstellungen, so jeder aus seiner Gewerbsstube mitbringt? Wir eignen's uns an, wir drücken unsere Farben, unsere Wappen drauf; nun ward's unser Eigen; wir schwören drauf und wollen, daß die anderen auch so drauf schwören, so es ansehen, nennen, lieben, dafür ins Feuer gehen sollen. Das hat Gott so gefügt, muß also sein, notwendig, gut und heilsam, wir ändern's nicht. Wenn der in der Rute, die zum Himmel heraushängt, seinen Zorn sieht, weil die neue Lehre aufkommt, der, weil die alte Schaden bringt, der, weil die Steinsetzer ihm seine Geheimnisse stahlen; ist damit die Deutung zu Ende? Wer liest, was stille Wünsche, Aengste in jedes banger Brust schlummern, und die hängt er an den Kometen, an den Flug der Vögel, an die Zeichen in den Elementen; und die Zeichen antworten ihm, wie er fragt. Und Gott behielt sich's vor, in seinem Reichtum, er allein, daß er weiß, welche Seligkeit die seligste, welche Wahrheit die allerwahrhafteste ist.«


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