Alexis / Hitzig
Der neue Pitaval - Band 5
Alexis / Hitzig

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Warren Hastings

1786 – 1788 – 1795 – 1813.

Unter allen Criminalprocessen, die in das Gebiet der Politik überspielen, hat keiner ein so welthistorisches Aufsehen erregt, als der, welcher vor dem englischen Parlamente gegen Warren Hastings, den gewesenen Generalgouverneur von Indien, geführt wurde. Die lange Dauer, die Wichtigkeit des Gegenstandes, die Schwere der Anschuldigungen, das hohe Tribunal, die großen weltberühmten Namen seiner Ankläger, das Mitleid und die Bewunderung auf der einen, der Haß und der Abscheu auf der andern Seite gaben ihm diese historische Bedeutung; aber sie ist um so merkwürdiger, weil dieser Proceß nicht die Lücken einer matten, interesselosen Zeit ausfüllte, wo der Sinn des Menschen nach aufregender Nahrung sucht, und wenn es an großen Thaten fehlt, mit großen Verbrechen zufrieden ist. Nein, er spielte zu einer Zeit, wo ohnehin alle Gemüths- und Geisteskräfte angespannt wurden von Erscheinungen und Fragen, welche die alten Staaten und Königreiche in ihrem Innersten erschütterten und der Welt eine neue Gestalt gaben. Der Proceß, in seinem ersten Beginn, das ist in der üblen That selbst, hub an, als noch die europäische Politik in tiefem Gedankenfrieden schlummerte. Aber erst als Amerika aufgestanden war und die Ketten abschüttelte, die es an England banden, erhob sich die Anklage gegen den Mann, dessen Thaten oder Verbrechen so groß erschienen, daß, es ist nicht zu viel gesagt, das verlorene Amerika in England über Warren Hastings' Proceß vergessen wurde. Mit ungemeiner Bitterkeit ward er Jahre hindurch geführt, lange der einzige, wenigstens erste Gegenstand der öffentlichen Aufmerksamkeit, bis ein neues, gewaltigeres Weltdrama, die französische Revolution, sie nicht gerade von ihm ablenkte, aber durch ihre Erschütterungen doch verursachte, daß man den minder wichtigen Hader um Vergangenes wegen der Ungeheuern Fragen der Gegenwart und Zukunft schneller austrug, als es sonst der Fall gewesen wäre. Aber auch da, als man, bald nach der Schreckensherrschaft in Frankreich, um mit der Sache nur fertig zu werden, Warren Hastings freisprach, war der moralische Proceß nicht eigentlich zu Ende. Noch einmal, 1813, trat der Greis ins öffentliche Leben, und hier erst, als er zufällig im Parlament erschien, erfolgte durch eine allgemeine Acclamation die Ehrenerklärung der Nation als letzter Act der Untersuchung.

Und nicht England allein nahm diesen lebendigen Antheil. Der Proceß ward ein Gemeingut der gebildeten Welt; selbst damals, als der Sinn für öffentliches Leben tief begraben in den vergessenen Erinnerungen einer andern Vorzeit ruhte, waren Warren Hastings und seine Verfolger der Gegenstand der Neugier und Unterhaltung unter unsern Vätern. Man haßte ihn auch in Deutschland als den furchtbaren Tyrannen, und man bewunderte auch unter uns den großen Staatsmann und seufzte um seine Freisprechung.

Ein Proceß, welcher solche Wirkungen hervorbrachte, mußte einen Stoff haben, der das allgemein menschliche Interesse in höherm Grade als eine Criminalgeschichte in Anspruch nimmt, die nur das Gefühl und den Verstand anregt, aber wenn der Schauer vorüber und die ernsteren Fragen gelöst sind, ihre Anziehungskraft verliert. Processe dieser Art kannte eigentlich nur die alte Welt, und auch hier nur das alte welterobernde Rom, das seine Proconsuln in die unterworfenen Länder aussandte; und wenn sie zu arg wirtschafteten, wenn die Klagen der Unterdrückten zu laut schrieen, alsdann traten Ankläger wider sie auf, und das römische Volk entschied, nicht darüber, ob sie eigennützig und gewaltthatig gewirthschaftet, denn das ließ sich vom Begriff eines Proconsuls nicht trennen, wol aber darüber, ob ihr Regiment von solchem bösen Scheine gewesen, daß das römische Volk, seiner eigenen Majestät willen, dazu das Auge nicht zudrücken dürfe. Zeugen wurden dann vernommen, Reden und Gegenreden ertönten auf dem Forum, und das Volk entschied, je wie der Angeklagte unter den herrschenden Parteien mehr Freunde oder mehr Feinde hatte, gegen oder für ihn.

Hastings' Proceß war nicht der erste der Art in England; kurz vor ihm war ein ähnlicher gegen einen andern Gouverneur in Ostindien, gegen den Lord Clive, geführt worden. Aber ungleich wichtiger war dieser zweite, weil es sich um die Frage handelte: ob große Verdienste in der Politik einen Anspruch geben, daß die strafende Gerechtigkeit über große Versündigungen hinweggehen dürfe?

Warren Hastings war der eigentliche Schöpfer der heutigen Macht der Briten in Ostindien; er hatte sie mehr als einmal vor vernichtenden Angriffen gerettet, er hatte ihrer Herrschaft so viel Länder und Fürsten unterworfen, daß es ein Reich wurde, größer als das der vereinigten Inselreiche, größer als das Mutterland selbst, dies war seine That; sein Verbrechen waren die Mittel und Wege, die er dazu angewandt. Das Reich aufzugeben, das er für sie erworben, fiel keinem Engländer ein, aber die Art zu misbilligen, wie es erworben war, schien Vielen eine Pflicht der Pietät, vielleicht aus einer Art abergläubischer Eingebung, um den Fluch abzuwenden, der auf solcher Erwerbung lastet.

Der Proceß gegen Hastings war, gleich jenem auf dem römischen Forum, ein rein politischer Proceß. Weder die Satzungen, noch die Formen des bürgerlichen Rechts haben hier Gültigkeit. In diesen Regionen existirt weder ein Gesetzbuch, noch eine Proceßordnung; wer die Macht hat, entscheidet nach seinem Willen und Gewissen, unbeschränkt von den mehr oder mindern Rücksichten, die jede irdische Macht zu beobachten hat. Die allegirten Gesetze, die gewählten Formeln sind ein Spiel, womit die höchsten Richter das Publicum unterhalten, oder ihr eigen Gewissen beschwichtigen. Es ist, wie in der Politik und Geschichte selbst, wo auch kein Codex des Völker oder Naturrechts ausreicht, um festzusetzen, was dafür gelten soll; der Erfolg allein dictirt das Recht, die Machthaber wählen unter allen Formen und Satzungen; die ihnen beliebigste ist die gültigste. Nicht im Buchstaben des Gesetzes ruht daher für den Unschuldigen in diesen politischen Processen eine Bürgschaft, sie ist allein für ihn da, wo das Verfahren öffentlich ist, wo Richter und Machthaber unter der Controle der moralischen Macht stehen, welche den Spruch in letzter Instanz fällt. Wo die eine Rücksicht ihnen vor Augen steht, ihr Verdict darf nicht gegen das allgemeine Gefühl, gegen Sitte und Vernunft verstoßen. Darum ging Struensee unter, auch angeklagt um Verbrechen, für die es keine Gesetze gab, weil er im Verborgenen gerichtet wurde, und seine Feinde die Saat des Hasses ungestört unter dem Volke ausstreuen konnten. Glücklicher Warren Hastings, dessen Proceß vor den Augen des ganzen englischen Volkes, ja der ganzen Welt geführt wurde; und das Volk, das das Schlimmste von ihm erfuhr, daß er menschlich schwer gefehlt, erfuhr zugleich durch die Procedur, wo auch seine Verfolger menschlich fehlten in ihrem zu weit getriebenen, rücksichtslosen Grimm. Es compensirte endlich, als es durch die lange Dauer des Processes den Angeklagten für genug gestraft hielt, seine Fehler mit seinen Tugenden und seine Uebertretungen mit den Uebertretungen seiner Gegner. Erst als das ganze Publicum nach einer zehnjährigen Untersuchung ihn – ich sage nicht für unschuldig, aber – für straflos erklärte, sprach auch das Parlament das Urtheil aus, welches in seinem Wesen mehr einer Begnadigung, als einer Freisprechung gleichkam. Es war der Gerechtigkeit genügt, und die segensreichen Folgen hat die Nachwelt geerntet.

Ueber zehn Jahre im Wesentlichen und über sieben Jahre in der formalen Behandlung währte Hastings' Proceß. Unsere Aufgabe, den Fall in unsere causes celèbres einzureihen, würde weit die ihr gestellten Grenzen überschreiten, wollte sie, wie in andern Criminalfällen, den Hergang der Gerichtsverhandlungen, alle Acte, den Fortschritt der Ermittelungen und der Defensionalpunkte berichten. Dazu gehörten Bände, nicht ein Aufsatz. Auch den Richtern wuchs die Aufgabe so über den Kopf, daß sie zuletzt ein sinnreiches Verfahren einschlugen, um nur mit der Sache fertig zu werden. Sie ist fertig in der Geschichte, und über die Hauptthatsachen dürften wenig Zweifel mehr obwalten. Auch wir halten uns daher für berechtigt, hier sogleich mit dem historischen Zusammenhang anzufangen, wie er nach den glaubwürdigsten Zeugen feststeht, – er enthält die Haupt-Thatsachen der Anschuldigung und der Vertheidigung – und die formalen Proceßacte an ihrer Stelle nachzuschicken. Die Literatur über den Proceß Hastings' ist sehr reich; es bedarf aber kaum der vergessenen Werke, da ihr Inhalt bereits in der englischen Geschichte selbst lebt. Als unvergeßliche Zeugnisse werden die weltberühmten Reden der Ankläger für alle Zeiten Bedeutung haben. Sheridan's funkelnde Beredtsamkeit hat sich nie zu gleich kühnem Schwunge erhoben; aber Edmund Burke's Reden als Hastings' Ankläger sind die anerkanntesten Muster und Meisterwerke parlamentarischer und gerichtlicher Beredtsamkeit, Zeugnisse, wie auch Haß und Entrüstung begeistern können und Werke hervorbringen, welche an Vollkommenheit mit den Vorbildern der Classiker den Vergleich nicht zu scheuen haben. Auch Deutsche traten als Zeugen über den Proceß auf, und Georg Forster ist kein unbedeutender, was die letzten Acte desselben betrifft. Von einem Geistlichen, Gleig, sind vor Kurzem Memoiren über Hastings' Leben, aus Originalpapieren gesammelt, erschienen. Aus der Masse mehr oder minder wichtiger Documente geht indeß nicht mehr zur Aufklärung über Hastings' Thaten und Charakter hervor, als wir schon wissen, nur daß der Sammler sich gedrungen fühlt, in einen unmäßigen Lobeshymnus über den Verkannten auszubrechen. Ungleich wichtiger ist eine Abhandlung über Hastings' in einem neueren Hefte des Edinburgh review, von der Feder eines ausgezeichneten Schriftstellers, in dem man einen der ersten Gelehrten und Parlamentsredner Englands, der selbst einige Zeit als Generalgouverneur in Indien gelebt, zu erkennen glaubt. Unter der Form einer Kritik jenes Werkes gibt er die zusammenhängendste Geschichte Hastings' und seines Processes, aus Archiven, Druckschriften und eigener Anschauung des Schauplatzes seiner Thaten, und mit einer Deutlichkeit und Kritik, daß dem Leser kaum etwas zu wünschen übrig bleibt. Es ist dieser Aufsatz, dem wir im Ganzen bei unserer Darstellung folgen werden.


In der Dorfschule zu Daylesford in Worcestershire saß, etwa um die Zeit, als Friedrich der Große den Thron seiner Väter bestieg, ein Knabe auf der Bank, wo die andern Bauersöhne saßen, in derselben groben Jacke, oft wol auch barfuß, wie sie. Er aß mit ihnen dasselbe Brot, lernte dieselbe Wissenschaft und spielte dieselben Spiele. Nur fleißiger war er als die Meisten, und mancher Bauer schüttelte den Kopf über den kleinen Warren, was der zusammenlese! Aber daß dem armen Kinde, welches das Gnadenbrot seiner Verwandten zehrte, große Dinge bevorständen, konnte Niemand in den Sinn kommen.

Daß er von besserer Abkunft war, wußte man wol, aber sie war längst verdunkelt durch Armuth und Unglück. Das alte graue Herrenhaus von Daylesford hatte seinen Vorfahren gehört. Die Erinnerung mochte aber eher zum Spott Anlaß geben, denn es war nicht die geringste Aussicht für die Familie, ihr ehemaliges Besitzthum wieder zu gewinnen, vielmehr ging sie schon seit Jahrhunderten und mit immer raschern Schritten der Zeit entgegen, wo sie sich, wie so viele jüngere Zweige alter Häuser, im Volke verlieren mußte.

Der junge Warren war der Sohn eines Taugenichts, Pynaston Hastings, der sich schon in seinem sechzehnten Jahre verheirathet hatte. Vater und Mutter waren, vermuthlich zu ihrem Glücke, schon gestorben, als ihr Kind noch in der Wiege lag, und dieses war seinem armen alten Großvater zur Erziehung anheimgefallen. Dieser Großvater hatte die Pfarrei in Daylesford; eine letzte Verleihung, welche der letzte Hastings, der das wüste Herrenhaus von Daylesford besaß, zu Gunsten seines Sohnes gemacht, ehe er, von Schulden gedrängt, das Haus und was noch daran hing, einem Kaufmann aus London verkaufen mußte. Der reiche neue Eigenthümer plagte den armen Pfarrer, dessen Stelle an und für sich schlecht war, dem er aber auch noch aus Uebermuth die Zehenten vorenthielt. Warren's Großvater starb später als völlig ruinirter Mann durch die Processe mit seinem Gutsherrn.

Vielleicht auch an gebrochenem Herzen, wenn er der ehemaligen Größe seines Hauses gedachte; denn die Erinnerung und der Stammbaum waren nicht mit dem Reichthume verwischt. Die Hastings rühmten sich uralter Abkunft, sogar von einem dänischen Seekönige wollten sie abstammen, der durch lange Jahre das Schrecken der englischen Küsten gewesen war. Doch auch in der beglaubigten Geschichte Englands werden verschiedene ihrer Mitglieder mit Ruhm genannt und trugen hohe Ehren und Würden. Die Tudor's, deren treue Anhänger sie gewesen, verliehen ihnen die Grafschaft Huntingdon. Die Hastings von Daylesford galten als das Haupt dieser in viele Zweige zersplitterten Familie. Sie waren bis zu den Bürgerkriegen sehr reich und in hohem Ansehen, obgleich, wie das häufig bei den großen Familien der Gentry zutrifft, ihnen keine aristokratischen Titel und Kronen zugefallen waren. Möglich auch, daß sie diese neuern Ehren aus altem Adelsstolze verschmäht hatten. Aber im Bürgerkriege hatte sich der damalige Besitzer von Daylesford als ein zu eifriger Cavalier gezeigt; er hatte sein Silbergeschirr zu Geld für die königliche Armee münzen lassen, und nachdem er sein halbes Vermögen für die Sache der Stuart's geopfert, war er froh, mit der andern Hälfte durch Bestechung sein Leben zu erkaufen, als das Parlament gesiegt hatte.

Von da ab datirte der Verfall der Hastings von Daylesford; aber der Knabe Warren dachte in seinen Holzschuhen und bei seinem Trockenbrot, wenn er an den Mauern des Herrenhauses vorüberging, nur an die Zeiten, als in den Hallen unter Herrlichkeit und Feudalglanz seine Väter auf ihrem Rechte saßen. Träumerisch ging er auf den Feldern umher und maß die Grenzen mit seinen Schritten, auf denen sie einst geherrscht, und nichts hörte er lieber, als die Erzählungen alter Leute von der vergangenen Zeit. An einem schönen Sommerabend 1740, er war etwa sieben Jahre alt (Warren Hastings wurde am 6. December 1732 geboren), lag er am Ufer des Baches, welcher durch die Besitzungen seiner Väter sich windet. Da stieg in seinen Phantasien ein Traumbild auf, ein riesenhafter Gedanke des armen Knaben: sein Leben solle bestimmt sein, diese Besitzungen wieder zu sammeln; er wolle als Hastings von Daylesford sterben. Siebenzig Jahre später erzählte Warren Hastings mit Wohlgefallen Allen, die es hören wollten, seinen damaligen Vorsatz, und das Merkwürdige ist nicht sowol, daß er durch Noth und Kümmerniß daran festhielt, sondern daß er diesem Traume noch lebte, als Glück und Verdienst ihn schon weit über diese bescheidenen Wünsche hinausgetragen hatten. Als Herr von Indien, als ein anderer Alexander, als ein König oder Sultan über 50 Millionen Menschen, die sich vor ihm in den Staub warfen, blieb es noch immer sein schönstes Lebensziel, Herr und Gebieter der Herrschaft von Daylesford zu werden. In diesem kleinen Vorfall spiegelt sich doch schon ein Zug seines Charakters, der ihn sein Leben hindurch begleitet: seine ruhige und durch Nichts zu überwindende Willenskraft.

Sein Oheim, Howard Hastings, der eine Anstellung in London hatte, nahm Warren in dessen achtem Jahre dahin, um ihm auf seine Kosten eine gelehrtere Erziehung zu geben. In der Schule von Newington lernte er ziemlich, aber bekam – sie war zugleich Pensionat – zu wenig zu essen. Hastings schrieb seine magere Statur auf Rechnung dieser magern Beköstigung. Mit dem zehnten Jahre in die Westminsterschule gebracht, schloß er mit dem nachmals berühmten Dichter Cowper die innigste Freundschaft, die weder die Zeit, noch ihre verschiedenen Ansichten trennen konnte. Cowper schwor so zuversichtlich auf seinen Freund, daß, als später das allgemeine Geschrei gegen den blutdürstigen, habsüchtigen Tyrannen sich erhob, der scheue und verschlossene Poet zu Jedem sagte, das sei ganz unmöglich, denn seinen Warren Hastings kenne er von außen und innen, und er sei der gutmüthigste Bursch, der keinem Wurm ein Leids anthun könne! So hatte Cowper unter Beten, Singen und Dichten in seiner kindlichen Zurückgezogenheit die Unschuld seiner Kinderjahre sich erhalten, daß er, dem das Gespenst der Erbsünde beständig als ein Schreckbild vor Augen schwebte, es doch nicht faßte, daß der Drang der Umstände einen edlen Geist vom Pfade des Rechten forttreiben könne.

Die nachmals in der Literatur berühmt gewordenen Churchill, Colman, Lloyd und Cumberland waren ebenfalls seine Schulcameraden; auch ein gewisser Elijah Impey, bestimmt, später eine bedeutende, aber verderbliche, Rolle in seinem Leben zu spielen.

Warren war ein vortrefflicher Schwimmer, Schiffer und Schüler. Bei allen Prüfungen war er der Erste und der Liebling des ausgezeichneten Rectors der Schule, Dr. Richots. Sein Name glänzte schon mit goldenen Buchstaben, als Prämie seiner Verdienste, an der Mauer des Schlafzimmers, und eben wollte er, was wir nennen, zur Universität abgehen, als sein Oheim Howard starb, und mit diesem alle seine Aussichten auf eine gelehrte Laufbahn. Zwar hatte der Oheim die Sorge für den Neffen einem Mstr. Chiswick zur Pflicht gemacht, der sich auch derselben in soweit unterzog, daß er ihm eine Anstellung als Schreiber bei der ostindischen Compagnie verschaffte, aber durch Nichts zu bewegen war, ihn länger bei seinen Studien zu lassen. Umsonst bot sich Dr. Richots an, er wolle auf seine eigenen Kosten Warren in Oxford studiren lassen; Mstr. Chiswick war froh, durch einen Dienst, der ihm nichts als ein Wort gekostet, seiner Last überhoben zu werden, und schickte im Januar 1750 sein kaum 17jähriges Mündel nach Kalkutta, gleichviel, ob aus ihm etwas dort werde, oder das Fieber ihn fortraffe. Er war ihn losgeworden.

Im October des nämlichen Jahres kam der Jüngling in dem heißen Lande an, ohne an seiner Gesundheit zu leiden. Man stellte ihn an ein Pult, und er mußte zwei Jahre hindurch im Dienste der Compagnie Posten ein- und umschreiben und Frachtbriefe ausfertigen. Dies die Schulstudien, durch welche die Compagnie ihre Staatsmänner bildet; denn Fort William bei Kalkutta war dazumal eine bloße Kaufmannsniederlassung und die Beamten lebten im tiefen Frieden, während auf der westlichen Halbinsel, im Süden Indiens, die englischen Factoreien in Reibungen und im Kampfe mit den Franzosen waren, ein Umstand, der die jungen Kaufmannsdiener in Diplomaten und Offiziere, ja in Generale verwandelte.

Nachdem er zwei Jahre in Kalkutta Rechnungen geschrieben, mußte er den Huglystrom hinauf in eine andere Factorei der Engländer, Kossimbazar, am Ganges, wo viel Betriebsfleiß der Eingeborenen und Handel mit den Briten war. Der Ort hatte in jener Zeit einige Bedeutung, indem er eine Art Vorstadt der größern Fürstenstadt Murschedabad bildete, wo der Nabob von Bengalen, dem Namen nach vom Großmogul abhängig, in Wirklichkeit aber souverain, seine Residenz hatte und über die drei großen Provinzen, Bengalen, Orissa und Bahar, herrschte. Warren Hastings mußte hier die Seideneinkäufe für die Compagnie besorgen und Contracte mit den Producenten schließen, ein Geschäft, welches ihm, da er mehre Jahre darauf zubrachte, die Gelegenheit verschaffte, Charakter, Sitten und Verhältnisse der Eingeborenen näher zu studiren.

Hier sollte sich für ihn auch die erste Gelegenheit zeigen, seine diplomatischen Talente zu entwickeln. Der neue Fürst von Murschedabad, Suradscha Daula, erklärte den Engländern den Krieg. Die kleine, vertheidigungslose Factorei von Kossimbazar ward im ersten Augenblicke genommen und Hastings gefangen nach Murschedabad geschleppt. Der Nabob marschirte gerade auf Kalkutta los, wo der Gouverneur und der Commandant entflohen. Stadt und Citadelle wurden genommen und die Mehrzahl der englischen Gefangenen verschmachteten in der bekannten schwarzen Höhle.

Der Gouverneur und sein flüchtiger Anhang hatten sich auf die Insel Fulda in der Mündung des Hugly zurückgezogen. Von hier war einstweilen durch offene Gewalt Nichts, aber viel durch geheime Unterhandlungen zu bewirken. Hastings hatte in Murschedabad, durch Verwendung der Beamten der holländischen Compagnie, ein sehr erträgliches Gefängniß; er konnte nicht allein frei umhergehen, sondern Ohr und Auge wurden ihm nicht verstopft und verbunden, um nicht die innern Verhältnisse des Nabobstaates zu belauschen. Die Herrschaft des mächtigen Tyrannen stand auf so hohlem Grunde, wie die meisten Herrschaften asiatischer Despoten. Während derselbe einen siegreichen Feldzug gegen die äußern Feinde geführt, wurde an seinem eigenen Hofe eine Mine gegraben, um ihn in die Luft zu sprengen. Hastings hatte Zutritt zu den Versammlungen der Verschwörer; er berichtete darüber dem Gouverneur auf der Insel, er empfing dessen geheime Botschaften und agirte als der geschickteste Diplomat. Indessen kam das Complott zu früh an den Tag und Hastings mußte eiligst entfliehen.

Das Häuflein Engländer auf der Insel Fulda erhielt jedoch jetzt Hülfe von außen durch den jungen Robert Clive, welcher mit Schiffen und Mannschaft von Madras ankam. Hastings ergriff, gleich den andern jungen Männern im Dienste der Compagnie, die Muskete. Clive, der, jetzt ein tüchtiger und glücklicher Feldherr, auch als ostindischer Kaufmannsdiener seine Laufbahn begonnen hatte, erkannte in Hastings bald einen Mann, der mit seinem Kopfe der Compagnie bessere Dienste leisten würde, als mit seinem Arme. Nach der Schlacht von Plassey erfolgte der schon längst vorbereitete Sturz des Suradscha Daula, und als Mir Jaffier zum Nabob von Bengalen erhoben war, wurde Hastings als diplomatischer Agent an dem Hofe desselben bestellt.

Bis 1761 blieb er auf diesem Posten, worauf er ein Mitglied des Rathes von Indien ward. Ueber seine Wirksamkeit hier ist wenig bekannt; desto mehr leider über die traurigen allgemeinen Verhältnisse des Landes unter dem Vansittart'schen Gouvernement, welches dem Robert Clive's folgte. Der wohl von Indiens Verhältnissen unterrichtete Brite entwirft uns darüber in kurzen schlagenden Zügen folgendes Schreckensbild:

»Vansittart, an der Spitze eines neuen Reiches, für das noch keine Ordnung, keine Satzungen bestanden, hatte die besten Absichten; aber für die Aufgabe war er zu schwach. Auf der einen Seite fand er eine Bande englischer Beamten, kühn, frech, kenntnißreich und alle begierig, reich zu werden; auf der andern eine ungeheure einheimische Bevölkerung, scheu, furchtsam, hülflos und gewohnt, unter jeden Druck sich zu schmiegen. Die stärkere fremde Partei davon abzuhalten, daß sie sich nicht über die schwächere warf, um sie auszusaugen, bedurfte es der ganzen Energie eines Clive. Vansittart war dazu nicht der Mann. Die Kaste der Herrscher war von allem Zwange befreit und eines der entsetzlichsten Schauspiele zeigte sich, die physische und geistige Macht der Civilisation, losgelassen auf ein unterdrücktes Volk, ohne ihre Milde. Gegen jeden andern Despotismus gibt es einen Widerstand, der seine volle Kraft hemmt; ein unvollkommener allerdings, einer so ungestümer Art, daß er oft das Uebel schlimmer macht, aber dennoch schützt er die menschliche Gesellschaft vor dem letzten Elend. Es kommt eine Zeit, wo Jeder einsieht, daß die Uebel des Druckes größer sind, als die, welche der Widerstand mit sich bringt, wo die Furcht selbst muthig wird; wenn der convulsivische Ausbruch der Wuth und Verzweiflung die Tyrannen warnt, nicht allzusehr auf die Geduld eines Volkes zu bauen. Aber gegen die Leiden von oben, welche Bengalen damals drückten, war es unmöglich, zu kämpfen. Ihre überragende Intelligenz und ihre größere Kraft machte die herrschende Classe unwiderstehlich. Ein Krieg der Bengalesen gegen die Engländer wäre ein Krieg von Schafen gegen Wölfe, von Menschen gegen Dämonen gewesen. Der einzige Schutz der Armen war in dem Maße zu suchen, welches ihre Herren sich selbst setzten, in einer christlichen Milde, einer erleuchteten Politik. Dieser Schutz ward ihnen erst in der Folge. Wie sie die englische Macht kennen lernten, war es eine nackte, rohe, furchtbare Macht, ohne die englische Sittlichkeit. Erst spät kamen wir zu der Besinnung, daß wir gegen diese Völker nicht allein Rechte, sondern auch Pflichten hätten, die Pflichten, von denen keine Regierung sich lossagen darf. Bis wir zu dieser Ueberzeugung gelangt, war es die Aufgabe jedes Dieners der ostindischen Compagnie, so rasch als möglich durch Erpressungen gegen die Eingeborenen sich ein Vermögen von hundert oder einigen hunderttausend Pfund Sterling zu erwerben, um nach England zurückzukehren, ehe das gefährliche Klima die Gesundheit angegriffen hatte, alsdann eine Pairstochter zu heirathen, einen verrotteten Wahlflecken in Cornwallis zu kaufen und Bälle in St. James Square zu geben.«

Daß man von Hastings' Aufführung als Rath unter Vansittart's Gouvernement nichts weiß, spricht nur für ihn; denn die Anklage, welche nachmals Alles aufgriff, was nur einen Schatten von Vorwurf auf ihn werfen konnte, schweigt über diese Zeit. Mit moralischer Sicherheit darf man daher annehmen, daß Hastings in dieser Zeit Nichts gethan, was seinen Ruf beflecken konnte.

Der Grund seiner Integrität wird in seinem Charakter gesucht. Er war nicht gleichgültig gegen das Geld, aber er betrachtete es aus höherm Gesichtspunkte als ein Geizhals oder Räuber. Er handelte immer als Staatsmann und wußte die Vortheile des Geldes wohl zu schätzen, aber es war nirgend sein letzter Zweck. Wenn er es auch zu seinen Zwecken zu erwerben und Großes damit zu bewirken wußte, so verstand er doch nicht, als Oekonom es im Kleinen zu nutzen. Seine Leidenschaften und sein Ehrgeiz waren anderer Art.

Im Jahre 1764 kehrte Hastings das erste Mal nach England zurück. Sein erspartes Vermögen war für einen ostindischen Nabob sehr gering. Den Theil, welchen er mitbrachte, verschwendete er bald, zum Theil in lobenswerther Freigebigkeit gegen seine Verwandten; der andere Theil, welchen er auf hohe Zinsen in Indien zurückgelassen, ging verloren, weil auch dort der Satz gilt, daß hohe Zinsen keine große Sicherheit verrathen.

Hastings brachte ein Jahr in England zu; auch von diesem Zeitraume in seinem Leben weiß man wenig; doch ist es wahrscheinlich, daß er seine Muße fast ganz allein mit literarischen Studien verbrachte, namentlich denen der orientalischen Sprachen. Die Beamten der Compagnie pflegten nur so viel von denselben zu erlernen, als nothwendig ist, sich mit den eingeborenen Webern und Geldwechslern zu unterhalten. Er trieb die Sache mit wissenschaftlicher Vorliebe. Besonders war sein Sinn auf die persische Literatur und Sprache gerichtet, welche letztere noch jetzt im indischen Orient als die feinere Geschäfts- und die Sprache der gebildeten Welt gilt. Sein Bemühen ging sogar dahin, einen neuen und besondern Lehrstuhl für dieselbe auf der Universität Oxford zu errichten. Er conferirte deshalb mit dem berühmten Johnson, welcher aus den mit ihm gepflogenen Verhandlungen eine große Achtung für Hastings mitbrachte, wie aus Briefen hervorgeht, die er an den spätem Generalgouverneur nach Kalkutta richtete.

Hastings fand in England Nichts, was ihn anzog. Er war noch in voller Jugendkraft und verlangte nach einer angemessenen Thätigkeit. Ueberdem waren seine Mittel völlig erschöpft, geschweige denn, daß er damit eine Rolle hätte spielen können, welche seinem Ehrgeiz entsprach. Er kam deshalb bei den Secretairen der Compagnie um eine neue Anstellung ein, und diese, denen Nichts willkommener sein konnte, als einen so fähigen Mann wieder zu gewinnen, beeilten sich, ihm eine Anstellung als Mitglied des Rathes von Madras zu ertheilen.

Er schiffte sich im Frühjahre 1769 dahin ein, und zwar, dermaßen vom Gelde entblößt, daß er zur nöthigsten Equipirung eine Schuld aufnehmen mußte. Die Ueberfahrt war von Wichtigkeit für sein ganzes Leben. Es befand sich auf dem Schiffe ein deutscher Maler, ein Baron Imhoff, den die englischen Berichterstatter als einen armen Schlucker, trotz seiner Familienansprüche, darstellen. Er wollte nach Indien, um durch Ankauf von Götzenbildern und Skizzirung indischer Seltenheiten ein Geschäft in Europa zu machen. Er war verheirathet und führte seine Gattin mit sich, die, wie es hieß, in Archangel geboren, ein Kind der arktischen Zone, sich schwerlich in ihrer Wiege vorsingen lassen, daß sie dereinst als machtige Königin im indischen Orient in abgöttischer Verehrung Millionen von Asiaten zu ihren Füßen sehen sollte. Sie hatte einen gebildeten Geist und ihre Gestalt und ihr Wesen waren gleich einnehmend. Sie verachtete ihren Mann, und Hastings' Aufmerksamkeit für sie, sowie seine lebhafte, geistvolle und würdige Unterhaltung verfehlte nicht bald einen tiefen Eindruck auf ihr weibliches Herz zu machen. Der Aufenthalt auf einem Indienfahrer soll die beste Gelegenheit sein, um sich hassen oder lieben zu lernen. Die Langeweile wird unerträglich; bei der Hitze, dem Mangel an Raum und Bewegung weiß der Geistreichste sich nicht selbst zu beschäftigen. Jeder Fisch, jeder Vogel, jedes Segel, jede Wolke am Horizont ist ein Schauspiel, eine willkommene Abwechselung. Einige tödten die Zeit mit doppelten Mahlzeiten; wer nach geistigerer Nahrung sucht, zankt sich oder macht den Damen den Hof. Viele ernsthafte Feindschaften und viele ernsthafte Liebesverhältnisse sollen an Bord der Ostindienfahrer entsprungen sein. Gemeinschaftliche Noth und Gefahr rufen oft schlummernde Tugenden und Laster in ihrer ursprünglichen Gestalt, in ihrer vollen Schönheit und in ihrer vollen Häßlichkeit hervor, und beim Mangel der Ceremonien lernt der Mensch den Menschen hier in Wochen genauer kennen, als es beim ruhigen Laufe des gesellschaftlichen Lebens oft in Jahren geschieht.

Warren Hastings und die Baronin Imhoff wurden durch geistige Bande bald aufs Innigste zu einander gezogen; er der vollkommenste Gentleman, sie eine Dame, die durch Anmuth und Geist an jedem Hofe geglänzt haben würde. Er war durch keine andern Bande gefesselt, sie nur durch die an einen Mann, den sie verachtete, und der selbst es mit den Ehrengesetzen (wie der Engländer sagt) leicht nahm. Um das Verhältniß der Liebenden noch fester zu schlingen, wurde Hastings auf dem Schiffe krank. Die Baronin pflegte ihn mit unermüdlicher Sorgfalt und wachte in seiner Cajüte, wenn er schlief.

Hastings liebte die Baronin mit aller Gluth, deren er fähig war. Auch in diesem Verhältnisse spricht sich sein Charakter aus. Wie sein Haß, sein Ehrgeiz und seine übrigen Leidenschaften, war auch seine Liebe stark, aber nicht heftig. Sie war ruhig, ernst, geduldig, aber fest gegen alle Stürme und fest gegen die Einflüsse der Zeit. Beide Liebende und der Ehemann der Geliebten verstanden sich bald zu einem friedlichen Uebereinkommen. Mariane von Imhoff sollte auf Scheidung gegen ihren Gatten vor dem Gerichtshofe des fränkischen Kreises klagen, Hastings sollte die Kosten dazu vorschießen. Bis dahin, es konnten Jahre darüber vergehen, sollten die Imhoff's mit ihm leben. Wenn die Scheidung ausgesprochen wäre, würde Hastings Marianen heirathen, ihre Kinder von Imhoff adoptiren und – den Ehegatten mit reichlichen Geschenken für seinen Verlust abfinden. Als Verbrechen ward ihm dieser Pact nicht angerechnet, aber er gab Hastings' Feinden nachmals unerschöpflichen Stoff, seine Moralität anzugreifen.

In Madras fand Hastings die Handelsangelegenheiten im schlimmsten Zustande, wie sich das erwarten ließ, wo die Kaufmannsdiener Soldaten und Politiker geworden. Seine eigene Neigung zog ihn ebenfalls mehr zu großartigen politischen, als zu kaufmännischen Unternehmungen; wenn er indessen den Beifall seiner Machtgeber, der ostindischen Directoren, sich erhalten wollte, mußte er Hand anlegen, die Handelsgeschäfte zu verbessern, denn der Werth eines Beamten stieg und fiel in ihrer Ansicht nach den Zusendungen aus Indien an Geld und Waaren, und demnächst nach den Dividenden, welche sie den Actionairen auszahlen konnten. Auch auf diesem Felde verfuhr er mit Energie und Geschick. Er ward aus London höchlich belobt und zur Belohnung schon nach zwei Jahren (1772) an die Spitze des Gouvernements von Bengalen berufen. Die Imhoff's, noch immer nicht geschieden, begleiteten ihn nach Kalkutta.

Die Verfassung Indiens, wenn dieser Name auf die dortigen verworrenen Verhältnisse überhaupt paßt, war damals eine völlig anomale, welche für die Dauer nicht bestehen konnte. Es gab eine doppelte Macht, eine wirkliche und eine, welche den Schein hatte. Die wirkliche war in den Händen der Compagnie, eine der aller despotischsten, die nur gedacht werden mag. Gar kein Hemmniß war da für die englischen Gebieter, wenn nicht ihr eigenes Rechtsgefühl und ihre eigene Humanität. Von verfassungsmäßigen Rechten war keine Rede; ein gesetzlicher Widerstand gegen ihre Willkür war unmöglich.

Aber trotz dieser unumschränkten Macht, hatte die Compagnie es doch noch nicht gewagt, den Titel der Souverainetät anzunehmen. Das Gefühl der Orientalen mußte geschont werden. Noch saß der Mogul auf seinem Throne zu Delhi, dem Namen nach der Herrscher über die vielen Reiche, deren keines ihm mehr gehorchte. Die Compagnie besaß ihre Länder als Vasallen von ihm, ihrem Lehnsherrn; die Steuern trieb sie ein als seine Commissarien, und die Münzen, welche sie prägte, trugen seinen Stempel.

Außerdem residirte in Murschedabad noch immer ein Nabob von Bengalen, zu dem die Compagnie sich in ein Verhältniß gesetzt hatte, wie die Hausmeier der Franken zu den letzten merowingischen Königen. Fürstlicher Glanz umgab ihn, sein Name prangte in allen Verordnungen; in Wirklichkeit aber hatte er weniger Einfluß, als der letzte Schreiber der Compagnie. Diese, als eine moralische Person im juristischen Sinne, war des Nabobs Major-Domus; in allen auswärtigen Angelegenheiten, in den Verhandlungen mit Fürsten und Völkern handelte sie selbst unmittelbar von Kalkutta aus, ohne der Sache einen andern Mantel umzugeben, als den Namen des Schattenfürsten. Dahingegen mochte sie zu jener Zeit sich mit der innern Verwaltung noch nicht abgeben. Diese überließ man dem Nabob, das heißt jetzt auch nur noch dem Namen nach; denn man bestellte dem Fürsten einen Premierminister aus der Zahl der Eingeborenen, der zu Murschedabad seinen Sitz und, außer der Administration, alle ceremonielle Angelegenheiten und das Hausministerium unter sich hatte.

Dieser Unter-Major-Domus war indessen eine wichtige Person, und das Amt wurde von den Eingeborenen, so Hindu als Muselmännern, mit Eifer gesucht, denn sein eigener Gehalt erreichte beinahe die Summe von 100,000 Pf. Sterling; außerdem aber ging die ganze Civilliste des Nabob, die von der Compagnie auf 300,000 Pf. Sterling festgesetzt war, durch seine Hände. Und für die Verwendung dieser großen Summen, für die Eintreibung der Steuern, für die Administration der Justiz und Policei war er keinem Andern verantwortlich, als den Engländern!

Hastings' Vorgänger im Generalgouvernement von Kalkutta, Clive, hatte vor sieben Jahren zwischen zwei Rivalen zu diesem Amte zu entscheiden gehabt, und die Auswahl war ihm nicht leicht geworden. Die beiden Bewerber waren zugleich die Vertreter der zwei Religionen und Stämme, welche vor der Zeit der Engländer um die Herrschaft in Indien stritten, ein Mohammedaner und ein Hindu, Beide von hohem Ansehen unter den Ihrigen.

Der Mohammedaner war Mohammed Reza Khan, von persischer Abkunft, ein sehr geschickter, thätiger Mann, vollkommen für den Posten geeignet. Als sehr fromm im Sinne seiner Landsleute, erfreute er sich der größten Achtung unter denselben. »In England würde er vielleicht für einen verderbten, habsüchtigen, politischen Charakter gegolten haben; nach dem Maßstabe der indischen Moralität mußte man ihn für einen Mann von Unbescholtenheit und Ehrgefühl anerkennen.«

Der Hindubewerber war ein Brahmine, der Maharadscha Nuncomar; ein Mann, bei allen Revolutionen betheiligt, welche seit des Nabob Suradscha Daula Zeiten in Bengalen stattgefunden. Auch er stand in hohem Ansehen bei den Seinen, weil seine Kaste eine der ersten und reinsten war, und er mit dieser hohen Geburt Reichthum, Talente und eine große Erfahrung verband. Ueber seinen moralischen Charakter gibt uns unser Gewährsmann eine eigene Schilderung, aber er bevorwortet sie, daß man an keinen Orientalen den Maßstab europäischer Tugenden legen darf. Unter allen Hindu ist der Bengalese der weichlichste, schwächlichste, verachtetste, zu dem man am wenigsten Vertrauen hat. Schon seine physische Constitution ist mehr als weichlich, weibisch. Er lebt eigentlich in einem beständigen Dampfbade. Von den zartesten Gliedmaßen, ist sein ganzes Wesen der Ruhe hingegeben, jede Bewegung ist ihm eine Anstrengung. So lange Jahre hindurch ist er von Stämmen kräftigerer Natur mit Füßen getreten worden. Daher sind Muth, Unabhängigkeitssinn, Wahrheitsgefühl ihm fremde Eigenschaften geworden. Sein Geist ist seinem Körper ganz analog geworden. Er ist bis zur Hülflosigkeit schwach bei allen Dingen, die einige Anstrengung erfordern; aber er ist dabei so feinfühlend und von so richtigem Tact, daß der Europäer ihn oft bewundern muß, während er ihn verachtet. Alle die kleinen Künste, welche die Waffen der Schwachen und Getretenen gegen die Starken sind, kennt er aus dem Grunde. Was die Hörner dem Büffel, was die Klaue dem Tiger, was der Stachel der Biene, was die Schönheit, nach der griechischen Mythe, dem Weibe ist, das ist dem Bengalesen der Betrug. Ungemessene Versprechungen, süße Ausreden, die ausgearbeitetsten Gewebe von Lügen und Intriguen, Chicanen jeder Art, falsche Eide, falsche Zeugen, falsche Documente, das sind die Waffen, deren sich das Volk am untern Ganges zum Angriff und zur Vertheidigung bedient. Alle diese Millionen liefern der Armee der Compagnie nicht einen Sipoy. Aber als Geldwechsler, Wucherer und raffinirte Ausleger des Gesetzes vor den Gerichten suchen sie ihres Gleichen.

Bei aller seiner Sanftmuth ist der Hindu doch nichts weniger als zur Versöhnlichkeit gestimmt, noch zum Mitleid geneigt. Er ist ausdauernd in allen seinen Vorsätzen; er weicht nur der Furcht, und auch da nur der unmittelbaren Drohung. Bei alle Dem hat er eine gewisse Art von Muth, worin er sogar seine Meister und Herren hinter sich zurückläßt. Bei einem unvermeidlichen Uebel unterwirft er sich mit einem stoischen Gleichmuthe Dem, was nicht zu vermeiden ist. Ein europäischer Krieger stürmt mit lautem Hurrah auf die Batterie, welche ihm den sichern Tod droht, aber er mag unter dem Messer des Wundarztes aufschreien und vielleicht in Agonie verfallen, wenn ihm der Tod angekündigt wird. Der Bengalese wird gelassen zusehen, daß sein Vaterland erobert, sein Haus in Asche gelegt wird, daß man seine Kinder ermordet und entehrt, ohne in den meisten Fällen den Muth zu haben, nur seinen Arm aufzuheben. Aber viele Beispiele beweisen, daß er die Torturen wie ein Mucius Scävola erträgt, und diese Geschichte selbst bekundet, wie er mit festen Schritten und dem ruhigsten Pulse auf das Schaffot zu steigen und dem Tode mit der Ruhe, würdig eines Helden des Alterthums und eines Christen, ins Auge sehen kann.

Wie der Bengalese sich zu den übrigen Hindu verhält, so verhielt sich Nuncomar zu seinen Landsleuten. Der Nationalcharakter hatte sich in ihm bis zur Uebertreibung ausgeprägt. Von den Beamten der Compagnie war er mehre Mal auf den allerabscheulichsten Intriguen und Betrügereien ertappt worden. Einst hatte er eine falsche Anklage gegen einen andern Hindu vor Gericht gebracht und suchte sie durch verfälschte Documente zu beweisen. Ein andermal konnte man ihm nachweisen, daß, während er die innigste Treue und Hingebung gegen das englische Interesse heuchelte, er sich in die verschiedensten Verschwörungen gegen die Compagnie eingelassen und sie befördert hatte. Er war der ermittelte Unterhändler zwischen dem Hofe von Delhi und den französischen Behörden in Pondichery gewesen, welche die Bekriegung und Vertreibung der Engländer zum Zwecke hatte. Dafür und um anderer Vergehungen willen hatte er lange im Gefangniß gesessen; aber bei seinen vielfachen Verbindungen war es ihm gelungen, wieder loszukommen, und er hatte nicht allein seine Freiheit, sondern auch eine Art Ansehen bei den englischen Behörden wieder gewonnen, als ein Mann von außerordentlichen Talenten und einem Einfluß und Kenntnissen, die man bei andern Gelegenheiten wieder brauchen könnte.

Danach sollte man meinen, daß dem Gouverneur Clive die Wahl zwischen ihm und Reza Khan nicht hätte schwer fallen sollen. Wie konnte er einem notorischen Verräther und Verbrecher und einem Charakter von solcher Unzuverlässigkeit ein so wichtiges Amt anvertrauen! Aber auf der andern Seite war und ist es noch heut die Politik der Engländer in Indien – man denke an Lord Ellenborough's Proclamation über die Thore von Somnauth – die Hindu vor den Mohammedanern zu begünstigen. Die Briten wollen als Rächer alter Unbill, als Wiederhersteller früherer Zustände, ihrem eignen Interesse ein moralisches Siegel aufdrücken. Aber einen Mann von so notorischer Schlechtigkeit zum Premierminister einzusetzen, konnte Clive nicht über sich gewinnen. Nach langem Widerstreben hatte er daher, rechtlich und klug handelnd, Mohammed Reza Khan die wichtige Stellung übertragen.

Der Mohammedaner also war Minister und bereits sieben Jahr im Amte, als Hastings Gouverneur wurde. Zugleich war er Vormund des unmündigen Kindes, welches damals, ein Sohn Mir Jaffiers, die Nabobwürde geerbt hatte. Aber in diesen sieben Jahren hatte Nuncomar nicht nachgelassen seinen Gegner zu unterminiren; seinen Künsten war es endlich gelungen, Clive's Administration kam ihm zu Hülfe. Der Gouverneur konnte nicht so viel Rimessen nach London schicken, als die Directoren der Compagnie erwartet, die Dividenden fielen schmaler aus, die Actionaire machten böse Gesichter. Noch galt in London der mystische Glaube an den unerschöpflichen Reichthum Indiens, wo die Häuser lauter Porphyrpaläste waren, mit Perlen und Edelgesteinen von oben bis unten geschmückt und Schatzgewölben, in denen die Goldmünzen in Scheffeln aufgehäuft ständen und mit der Kelle geschöpft würden. Die Kenntniß, daß Indien verhältnißmäßig ein ärmeres Land sei, als Irland und Schweden, findet selbst jetzt noch wenig Glauben unter dem Volke, während zu Hastings' Zeit selbst das Parlament und die Minister jenem anhingen. Nuncomar hatte überall Verbindungen, auch in London, auch in den Bureaus der Compagnie. Er ließ Winke fallen, mit scheinbaren Beweisen unterstützt, wie nur Reza Khans Verwaltung daran Schuld sei, daß Clive nicht mehr einsende. Die Winke wurden willig aufgenommen, die Directoren glaubten und beschlossen, und an Hastings erging ein Befehl des Inhalts: Reza Khan augenblicklich zu verhaften und zwar mit seiner ganzen Familie und allen seinen Anhängern; demnächst aber eine strenge Untersuchung der Verwaltung des Landes zu veranlassen. Dabei ward ihm gesagt: er würde gut thun, wenn er bei dieser Operation sich der Dienste Nuncomar's bediene. Zwar sei seine Schlechtigkeit bekannt, aber auch aus seinen Untugenden könne man Vortheil ziehen, wenn man mit Vorsicht dabei zu Werke gehe, und dürfe man ihm auch kein vollkommenes Vertrauen schenken, so sei es doch rathsam, ihn durch die Aussicht auf Belohnung aufzumuntern.

Wenn Jemand Nuncomar genau kannte, so war es Hastings. Er war bei seinem frühern Aufenthalt in Murschedabad nicht allein mit ihm in Verkehr gewesen, sondern auch in bitterem Hader, der kaum durch die Obern friedlich ausgeglichen worden. In einem Punkte waren Hastings und Nuncomar Geistesverwandte, sie trugen Beide Kränkungen lange nach. Gegen Reza Khan hegte Hastings keine feindlichen Gesinnungen. Und dennoch empfing er mit Freuden den Befehl und führte ihn mit einer Raschheit und, man kann sagen, mit einer Lust aus, welche er sonst nur bei Unternehmungen bewies, die in seinem, nicht in Anderer Kopfe entsprungen waren.

Der Grund lag nahe. Es galt ihm, mit diesem einen Streiche die Scheinherrschaft des Nabob vernichten und die nicht mehr zu duldende Doppelherrschaft zu Grabe zu tragen. Wie sie überhaupt, wenn Ordnung im Regiment hergestellt werden sollte, aufhören mußte, so war dieser Zwiespalt zwischen Schein und Wesen für einen thätigen und ehrgeizigen Charakter wie Hastings auch persönlich unerträglich. Sein Ehrgeiz erhielt aber dabei noch eine andere Nahrung. Der Befehl der Directoren war an ihn allein ergangen, während er, nach der bisherigen Ordnung an den Rath von Kalkutta hätte gerichtet werden müssen.

Nach der Verfassung, wie sie jetzt für Indien gilt, ist der Gouverneur von Kalkutta in allen executiven Maßregeln absolut. Er kann Krieg erklären, Frieden schließen, Beamte anstellen und entlassen, auch gegen den einstimmigen Widerspruch aller Beisitzer des Raths. Sie sind berechtigt, über Alles, was er gethan, Erklärung zu fordern, darüber zu discutiren, ihm Rathschläge zu ertheilen, zu remonstriren und nach Hause Proteste zu senden; aber in der Person des Gouverneurs ruht die höchste Gewalt und die alleinige Verantwortlichkeit. Dieses quasi monarchische System ward unter Pitt's Ministerium, von dem Colonialminister Dundas unterstützt, eingeführt, nicht ohne heftige Opposition, besonders von Seiten Burke's, und hat sich bei Indiens entfernter und eigenthümlicher Lage, als das angemessenste bewährt. Zu Hastings' Zeiten aber war es anders. Damals hatte der Gouverneur nur eine Stimme im Rathe, und nur bei gleicher Theilung war sie die entscheidende. Es traf daher nicht selten zu, daß der Gouverneur bei den wichtigsten Fragen überstimmt wurde, und es mochte kommen, daß er, obgleich Gouverneur, ganze Jahre hindurch auf diese Weise von der Leitung der Angelegenheiten ganz ausgeschlossen wurde, oder nur ein Instrument blieb, um den Willen Derer, die seines Gleichen waren, ausführen.

Hastings konnte diesmal also ganz allein handeln, und er that es mit der ihm eigenen Kraft und Geschicklichkeit. Um Mitternacht wurde Reza Khan's Palast zu Murschadabad von einem Bataillon Sipoys umringt, der Minister aus seinem Schlafe aufgestört und ihm erklärt, daß er ein Gefangener sei. Mit der Gravität eines Muselmanns beugte er sein Haupt und fügte sich in Allah's Willen. Mit ihm zugleich wurde ein Häuptling, Schitab Roy, dem man das Gouvernement von Bahar anvertraut hatte, abgesetzt und gefangen genommen; ein Krieger, welcher im Dienste der Compagnie sich so ausgezeichnet hatte, daß ihm einst ein englischer Heerführer das Zeugniß vor allen Würdenträgern gegeben: er habe nie einen tapferern Asiaten gesehen! – Der Rath zu Kalkutta erfuhr von der ganzen Expedition erst, als die Gefangenen dahin transportirt wurden.

Aber nachdem der Schlag geschehen, ließ Hastings Das ruhen, um was er eigentlich verordnet war, die Untersuchung gegen Reza Khan, der nur einige Monate in anständiger Haft verblieb, bis das dem Gouverneur Wichtigere ins Werk gesetzt war. Der ganze Premierministerposten des Nabob von Bengalen ward aufgehoben. Die Compagnie selbst übernahm die innere Verwaltung des Landes, das Kind, der Nabob, erhielt keinen Antheil mehr daran. Er ward abgefunden mit einer Pension und mit dem äußern fürstlichen Staat, den man ihm ließ, und zu seiner Vormünderin bestellte man eine der Frauen aus seines Vaters Harem, die Munny Begum. Als Schatzmeister des fürstlichen Hauses wurde Nuncomar's Sohn, Gurdas, eingesetzt. Hastings glaubte hier sehr klug zu handeln, indem er die etwaigen Verdienste des Vaters bei der Sache, durch eine Gunstbezeigung für seinen unschuldigen Sohn belohnte, und der kitzlichen Aufgabe sich überhoben wähnte, einen Schurken selbst in ein wichtiges Amt zu bringen.

Erst nachdem diese Veränderung in Ordnung war, schritt Hastings zur Untersuchung. Er hatte jetzt keinen Beweggrund, gegen die Diener des Nabob mit Härte zu verfahren. Schitab Roy ward zuerst vernommen und nach wenigen Verhören völlig freigesprochen; ja um einen so ausgezeichneten Diener der Compagnie für die erlittene Unbill zu entschädigen, wurden ihm bei dieser feierlichen Freisprechung alle die Auszeichnungen erwiesen, auf welche die Orientalen so vielen Werth legen. Ihm ward ein Ehrenkleid umgethan, kostbare Edelsteine wurden ihm in der Audienz geschenkt, und auf einem mit Purpur behangenen Elephanten ward er in seine Statthalterschaft zurückgesandt. Aber sein stolzes Herz war durch die Kränkung in der Gefangenschaft gebrochen und er starb bald nachher. – Gegen Reza Khan war die Sache nicht ganz so klar, aber Hastings hatte keine Lust, gegen ihn streng zu sein. Nachdem Runcomar als Ankläger alle seine Künste gegen den ehemaligen Minister vorgebracht, erklärte der Gouverneur, als Präsident des Untersuchungscomités, daß die Belastungspunkte nicht erwiesen wären, und ließ ihn frei.

Runcomar sah sich getäuscht, er war eine Puppe, ein Werkzeug in Hastings' Händen gewesen. Nichts von Dem, was er beabsichtigt, war in Erfüllung gegangen. Als eifriger Hindu wollte er das Regiment der Mohammedaner gestürzt; es war gestürzt, aber nicht, um in die Hände seiner Glaubensgenossen überzugehen. Er wollte Minister werden, darum seine langjährigen Intriguen; statt dessen bemächtigten sich die Fremden der Verwaltung und verlegten deren Sitz von Murschedabad nach Kalkutta. Ueberall durch einen schlimmen Gegner aus dem Sattel gehoben, ging sein ganzer Ingrimm auf diesen neuen Feind über. Ihm widmete er die volle Thätigkeit seines Hasses und lauerte von nun ab mit der Geduld und Verstellungskunst eines Hindu auf den günstigen Augenblick.

Hastings mußte seine Sorge auf einen andern Gegenstand richten, auf Geld! – Jener Ueberfall und die Gefangennehmung Reza Khan's ist ihm nicht zum Verbrechen gemacht, noch konnte sie es werden, da er nur auf Befehl seiner Obern gehandelt hatte. Aber die Art, wie er das Geld schaffte, gab viele, eigentlich die Hauptpunkte in seiner Anklage ab. Er brauchte Geld und viel Geld zum Dienste seiner Verwaltung, und mehr noch für die Directoren in London. Geld mußte geschafft werden, über das Wie machte er sich keine Sorgen. »Ehe ich darbe, sollst du darben« war der Wahlspruch einer der großen Räuberfamilien an der Grenze zwischen Schottland und England. Hastings scheint ihn auch zum seinen gemacht zu haben. Bedurfte er so und so viel Lak Rupien, so schaute er sich um, von wem er sie zu nehmen habe.

Etwas kann zu seiner Entschuldigung angeführt werden. Durch seine Stellung zu den Directoren war er zu diesem System gezwungen. Von London her wurde er so arg und wiederholentlich gedrängt, Geld zu schaffen, daß eine heroische Kraft dazu gehört hätte, den Anforderungen zu widerstehen. Er mußte erpressen – denn auf andere Weise ließen sich die geforderten Summen nicht mehr schaffen – oder sein Amt niederlegen, und damit alle seine kühnen, ehrgeizigen Hoffnungen aufgeben. Die Mahnbriefe der Directoren liefern dafür den Beweis.

Freilich empfahlen oder billigten sie niemals eine Gewaltthat, eine offenbare Erpressung. Im Gegentheil sprachen sie in ihren Schreiben die vortrefflichsten, humansten Grundsätze aus, wahrhafte Musterstücke einer edlen und gerechten Regierungskunst sind in diesen Directorialschreiben enthalten. Aber jedes schloß mit einer andern drängenden Aufforderung. »Regiere mit Gelindigkeit, aber sende mehr Geld.« – »Strenge Gerechtigkeit gegen Alle und besonders Mäßigung gegen die benachbarten Mächte, aber sende mehr Geld.« – »Sei der Vater des armen Volkes, aber schaffe mehr Geld.« – Das ist der wahre, eigentliche Inhalt fast aller Briefe. Es ist sehr möglich, daß die Directoren selbst, so viele tausend Meilen entfernt von dem Orte, wo ihre Befehle ausgeführt werden sollten, den offenbaren Widerspruch in denselben nicht fühlten. Aber der Widerspruch lag in der Sache selbst und Hastings erkannte ihn vollkommen. Bei einem leeren Schatze, einer unbesoldeten Armee, wo er oft kaum seinen eigenen Gehalt erheben konnte, wo die Pächter der Gouvernementsländereien aus Armuth auf und davon liefen, wie sollte er da auf gerechte und milde Weise die Millionen beschaffen, welche von ihm gefordert wurden? Hastings sah mit klarem Blicke, daß von den beiden Vorschriften der Directoren: Sei gelind und gerecht und schaffe Geld, nur die eine in Ausführung gebracht werden könne, und er war bei der Wahl in keinem Zweifel. Wenn er nicht gelind und gerecht war, schrieen nur die armen Indier, und ihr Geschrei verhallte beim Wege übers Meer. Wenn er nicht Geld schaffte, schrieen dagegen die Directoren und er setzte seine Stellung aufs Spiel. Mit vollkommener Klugheit zog er den Schluß, daß es für ihn am sichersten und für die Directoren am besten wäre, wenn er die Predigten ad acta legte, und die Rupien eintrieb.

Hastings' Geist war so reich an Erfindungskraft als sein Gewissen wenig scrupulös, wo es einen bestimmten Zweck erreichen galt. Die Pension des Nabobengalen wurde durch einen Federzug von 320,000 Pf. St. auf die Hälfte herabgesetzt. Der Groß-Mogul zu Delhi erhält als ihr sogenannter Lehnsherr von der Compagnie jährlich 300,000 Pf. St.; auch hatte sie ihm die Provinzen Cora und Allahabad, weil diese ihm zu entfernt lagen, abgetreten. Hastings strich ohne weiteres die ganzen 300,000 Pf. St., weil er die Fortdauer des Scheins von Abhängigkeit vom Mogul für überflüssig und hinderlich hielt, und zugleich erklärte er, die abgetretenen Provinzen wieder zurücknehmen zu wollen. Da ihm indeß am Besitz derselben wenig gelegen war, auch diese Provinzen wenig eingebracht, ihre Verwaltung und die Besetzung mit Truppen der Compagnie aber zu viel gekostet hätte, so verkaufte er sie wieder. Im Fürsten von Aude, Sudscha Daula, fand sich auch sogleich ein annehmlicher Käufer. Das Reich von Aude war eines der vielen, in welche sich bei der Zersplitterung der Macht des Mogulreiches, dieses aufgelöst hatte. Es besteht noch heute; aber erst nach Anfang dieses Jahrhunderts haben die Prinzen von Aude den ihnen von den Engländern angebotenen Königstitel angenommen. In jenen Tagen verbot es ihnen die orientalische Etikette, die noch mächtige Ehrfurcht vor dem Mogulthrone. Auch die Fürsten von Aude, obgleich vollkommen unabhängig, nannten sich nur Nabob-Veziere des Reichs von Delhi. Dies hinderte aber den Nabob Sudscha Daula nicht im geringsten, die ihm angebotenen fetten Erbstücke der Mogulmonarchie mit beiden Händen zu ergreifen. Sein Schatz war gefüllt, und er zahlte Hastings für beide Provinzen, die zum Arrondiren seines eigenen Reiches ihm sehr gelegen waren, die Summe von einer halben Million Pfund Sterling.

Auch dieser Act ward zu keinem Verbrechen. Die Politik, welche England anerkannt hatte, gebot ihm so zu handeln. Seine nächste darauf folgende Handlung nahm diesen Charakter an, eine Handlung der äußersten gefühllosen Barbarei, welche einen unauslöschbaren Fleck auf seinem Ruf und dem seines Landes zurückließ.

Der Zug der Eroberer Indiens kam immer von Nordwesten, von den Höhen Mittelasiens herab, durch die furchtbaren Pässe, welche in der neuesten Geschichte wieder zu einer weltberühmten Bedeutung gelangt sind. Die kräftigern, muskulösern Racen der Hochebenen und Gebirge unterwarfen sich die weichlichen Stamme zwischen den Mündungen der Flüsse. Ob in grauer Vorzeit, von daher auch, wenigstens von jenseits des Hyphasis und Hystaspis, die Stämme herabkamen, welche das Sanskrit sprachen, ist nur ein Gegenstand der Vermuthung, aber seit zehn Jahrhunderten folgten sich Eroberer- auf Erobererzüge, die von den nordwestlichen Bergen in die Ebenen der Flüsse herabstiegen und die Völker, welche sie vorfanden, unterjochten. Mit Stolz rühmt sich der Brite, daß erst vor wenigen Jahren der Strom der Eroberung sich vom Ost nach Westen umwandte, als die britischen Fahnen auf den Mauern von Ghizni und Kabul wehten.

Unter den hindostanischen Kaisern, selbst überbergischen Ursprungs, hatten sich Abenteurer aus der Nachbarschaft von Kabul und Kandahar eingefunden, die unter dem Namen der Rohilla als eine kühne Kriegsschar von ritterlichen Eigenschaften weit und breit berühmt waren. Die Mogul wiesen ihnen als eine Art Kriegslehne, weite fruchtbare Striche in den Ebenen an, welche der Ramgunga, ehe er in den Ganges fließt, bewässert. Hier waren sie in der allgemeinen Verwirrung, welche Aurengzeb's Tode folgte, vollkommen unabhängig geworden und hatten eine Art Republik gestiftet. Geschützt durch den Ruf ihrer großen Tapferkeit, geehrt durch adelige Sitten, eine vorzügliche Körperschönheit, selbst durch einigen Sinn für Poesie und Redekunst, blühte ihr Reich inmitten der allgemeinen Zerwürfniß und Unordnung der übrigen Staaten zu Macht und Reichthum auf. Es war eine goldene Zeit in Rohilcund, und Ackerbau und Handel blühten mitten im Kriege umher, wie im tiefen Frieden.

Der Nabob von Aude, der schon erwähnte Sudscha Daula, hatte sein Auge auf dieses schöne, reiche Land geworfen. Recht darauf hatte er durchaus keines, nicht einmal einen scheinbaren Anspruch. Er besaß sein eigen Reich aus keinem bessern Titel als die Rohilla das ihre. Beim großen Schiffbruch des Mongolenreiches hatte Jeder das für sich gerettet, was er fassen und halten konnte. Auf Rechtstitel kommt es indessen im Orient nicht an. Aber ein anderes Hinderniß stand ihm bei seinem Eroberungsplan im Wege. Es war keine leichte Sache, die Rohilla angreifen. Ihr Land war eben und offen, aber ihre Tapferkeit eine unüberwindliche Festung für einen orientalischen Despoten, der nur Sklaven gegen die freien Männer zu führen hatte. Ihr stolzes afghanistanisches Blut sträubte sich gegen jede Unterwerfung, und ihre Häuptlinge konnten in Zeiten der allgemeinen Gefahr gegen 80,000 Krieger stellen.

Sudscha Daula kannte die Verhältnisse sehr wohl und wußte, daß in ganz Indien nur eine Armee war, welche diesen stolzen kaukasischen Stämmen die Spitze bieten konnte, die Armee der Briten. Er hatte ihnen eine Gefälligkeit erwiesen und ein Land ihnen für schweres Geld abgekauft; er hoffte dafür von ihnen eine andere Gefälligkeit, daß auch ihre thätige Hülfe sich erkaufen lassen würde, und – täuschte sich nicht. Der Nabob klopfte scheu an, und Hastings rief ein deutliches: Herein! Ein Handel wurde abgeschlossen. Jeder von beiden Kaufleuten hatte, was dem andern fehlte. Hastings brauchte Geld, um Bengalen zu regieren und Rimessen nach London zu schicken, und Sudscha Daula hatte ein reiches Einkommen. Sudscha Daula wollte die Rohilla unterjochen, und Hastings hatte die einzige Macht zu freier Verfügung, durch welche die Rohilla überwunden werden konnten. Der Miethscontract wurde schnell abgeschlossen; der Gouverneur von Bengalen vermiethete die englische Armee an den Nabob von Aude für 400000 Pf. St. während des Feldzugs. Außerdem übernahm der Miether für diese Zeit die Besoldung und Verpflegung der Truppen.

Eine infame Handlung nennt man in England diese That Hastings'. Der Zweck des Krieges war, ein glückliches, freies Volk seines Wohlstandes, seiner Unabhängigkeit und Freiheit zu berauben, Sudscha Daula war in seinem Rechte, im Rechte eines orientalischen Despoten. Der Stärkere beraubt und knechtet den Schwächern. Das ist die Sitte des Orients. Allah's Wille geschieht, der Tyrann und Eroberer ist nur der Executor dieses Willens. Wenn der Gouverneur von Bengalen die Rohilla mit Krieg überzogen, besiegt und der Compagnie unterworfen hätte, so würde man den Krieg einen ungerechten genannt haben, denn die Rohilla hatten den Briten nicht den geringsten Anlaß zu Feindseligkeiten gegeben. Aber der Erfolg hätte auf die That ein beschönigendes Licht geworfen; man hätte von einer Nothwendigkeit gesprochen und nur die Politik des Gouverneurs getadelt; nicht weil er ungerecht, sondern weil er so unbesonnen und ungeschickt verfahren, für seine ungerechte Sache keinen scheinbar gerechten Grund hinzustellen. Es wäre vielleicht um seinen Ruf als Politiker, nicht aber um seinen Charakter geschehen gewesen. Aber Hastings hatte weder einen Grund, noch den Schein eines Grundes, weder einen Haß, noch eine Abneigung gegen die Rohilla; sie waren der englischen Compagnie in keiner Art gefährlich; er überließ die Truppen der Compagnie, bestimmt, die Besitzungen derselben zu schützen und wo es sich thun ließ, durch Eroberungen zu erweitern, für baares Geld einem fremden, barbarischen Fürsten, um mit ihren Waffen, ihrem Blut und ihrer Ehre ein freies, harmloses Volk, eins, dessen Vorzüge selbst die Achtung der verderbten Orientalen sich erzwang, zu bekriegen, eine gute Regierung, unter der sie zufrieden waren, ihnen zu rauben und sie einer verderbten, abscheulichen, despotischen zu unterwerfen. Diese Handlung bezeichnete man in England als infam, und auch heute ist das Urtheil kein anderes. In diesem Lande, wo die Stimmen der ersten, größten Redner und Staatsmänner in edler Entrüstung nicht Schmähworte genug gegen die deutschen Fürsten des vorigen Jahrhunderts, gegen die Schlächter und Fleischhändler von Hessen und Ansbach, wie Burke sie nannte, aushauchen konnten, ist man dahin gekommen, Hastings' Handel für einen noch abscheulichern zu erklären. Die deutschen Fürsten, welche ihre Unterthanen als Waare betrachteten, hatten wenigstens die Zusicherung, daß ihre Soldaten nur in einem nach dem Völker- und Kriegsrechte menschlich geführten Kriege dienen sollten. Hastings dagegen wußte, wie ein asiatischer Despot Kriege führt. Er kannte des Nabobs blutgierigen, grausamen Charakter, und doch überließ er ihm seine Engländer ohne Stipulation, ohne nur ein Versprechen zu menschlicher Kriegsführung zu fordern; er vermiethete sie als Henkersknechte einem Tyrannen. Selbst Hastings' Vertheidiger haben keinen andern Entschuldigungsgrund, als den albernen: daß die Rohilla kein indischer Stamm, sondern fremde Eindringlinge gewesen. Was waren die Engländer Anderes?

Eine Brigade der britischen Armee ward zur Disposition des Nabobs gestellt. Die Rohilla wußten, welchen Feind sie vor sich hatten; sie baten um Frieden und boten ein großes Lösegeld. Es ward nicht angenommen. In einer blutigen Schlacht floh der Nabob Sudscha mit seinen Indiern; er ließ seine Bundesgenossen allein auf dem Schlachtfelde. Ihrer Disciplin, ihrem unerschütterlichen Muthe und ihrer Artillerie gelang es, den wüthenden Angriff der Feinde zurückzuschlagen. Aber erst, nachdem die Mehrzahl ihrer Häuptlinge in den Vorderreihen gefallen waren, wichen die Rohilla. Sobald der Nabob und seine Truppen diesen glücklichen Ausgang sahen, machten sie Kehrt und fielen mit Ungestüm auf das verlassene Lager von Feinden, denen sie ins Auge zu blicken nicht gewagt. Die englischen Truppen, durch ihre strenge Disciplin gefesselt, mußten der Plünderung ruhig zusehen. »Wir haben fechten müssen, riefen die Soldaten, und die Schufte da nehmen den Lohn dafür!«

Alle Schrecken eines indischen Krieges brachen über das unglückliche Rohilcund los. Die schönen Thaler, die reichen Städte waren ein Feuerbrand, eine Dampfwolke. Was fliehen konnte, floh vor der unmenschlichen Wuth solcher Krieger. Hunderttausende zogen es vor, in der pestilenzialischen Luft der Dschunglsümpfe dem Hunger, dem Fieber und den Klauen der Tiger als Opfer zu fallen, als in die Hände von Sudscha's Kriegern. Im übrigen Lande wurde gesengt, gebrannt, fortgeschleppt, gemordet, geschändet, und die englischen Soldaten und ihre Offiziere mußten Zuschauer abgeben. Umsonst protestirte der Befehlshaber, Obrist Champion, umsonst schrieb er dringende Briefe nach Kalkutta, daß man den Greueln Einhalt thun möge. Hastings konnte Nichts thun, höchstens einen freundlichen Rath ertheilen; denn bei der Stipulation hatte er für Nichts gesorgt, als für seine 400,000 Pf. Sterling.

Der grausame Krieg war beendet und eins der edelsten Völker unter Indiens Himmel einem grausamen Tyrannen unterworfen, unter dessen Regierung Ackerbau, Handel und die Künste des Friedens schnell aufhörten. Das Land ward eine halbe Wüste, seine Bewohner die unglücklichsten unter den unglücklichen Unterthanen von Aude, was viel sagen will. Von den kühnen, stolzen Rohilla, den einzigen Gentlemen Indiens, wie die Engländer sagen, sind zwar noch Reste geblieben; aber in ihnen lebt unauslöschlicher Haß gegen England, dem sie ihr Unglück, ihre Sklaverei, ihre Vernichtung allein zuschreiben; doch dienen mehre von ihnen unter den Sipoy's und sie werden als die besten orientalischen Soldaten von den Offizieren der Compagnie geschätzt.


Wie man auch über seinen moralischen Charakter dachte, so mußte man doch Hastings' besondere administrative Talente anerkennen. Binnen zwei Jahren hatte er die Revenuen der Compagnie um 450,000 Pf. Sterling vermehrt; außer der Summe von beinahe einer Million, die er baar durch politische Handelsgeschäfte ihr zugewandt; und – den eigentlichen Untertanen der Briten war keine mehre Schätzung darum auferlegt worden! Ueberdem waren 250,000 Pf. Sterling für Unterhalt der Truppen erspart, den er dem Nabob von Aude in jenem Vertrage aufgebürdet hatte.

Inzwischen war in England, unter dem Ministerium des Lord North, im Jahre 1773 eine Parlamentsacte durchgegangen, welche die ganze bisherige indische Verwaltung umwarf. In dieser Regulating act wurde festgesetzt: daß die Präsidentschaft von Bengalen den Vorrang über die andern Präsidentschaften erhalten und zugleich eine Controle über dieselben führen solle. Der dortige Gouverneur sollte von nun an Generalgouverneur heißen. Ihm zur Seite sollte ein Rath von vier Mitgliedern stehen. Nebenbei und ganz unabhängig vom Gouverneur und dem Rathe ward aber ein oberster Gerichtshof ernannt, aus einem Oberrichter und drei Beisitzern bestehend, welcher zu Kalkutta residiren und die volle, unumschränkte, leider aber auch vom Gesetz unbegrenzte Criminal- und Civiljurisdiction haben sollte.

Der Generalgouverneur und sein Rath wurden auf fünf Jahre und als erster Generalgouverneur Indiens Warren Hastmgs ernannt. Die vier ihm beigegebenen Räthe waren ein Mstr. Barwella, ein Beamter der Compagnie, welcher sich schon durch langjährige Dienste in Indien bewährt hatte. Neu hinzugesandt aber wurden aus England ein Mstr. Monsona, der General Clavering und ein in der neuern englischen Parlamentsgeschichte viel genannter öffentlicher Charakter, der nachmalige Sir Philipp Francis, der erst vor wenigen Jahren als hoher Achtziger in England gestorben ist.

Der Letztere war unbedenklich der bedeutendste Kopf im Rath. Ein Mann von Kenntnissen, ziemlicher Beredtsamkeit, Uebung in administrativer Thätigkeit, einer gewandten und scharfen Feder und einem furchtlosen und männlichen Geiste; aber er selbst kannte und schätzte vielleicht diese Eigenschaften zu hoch. Dabei war er reizbar, oft rauh, anmaßend und sein Haß war bitter und dauerte lange. Die neueste Kritik gibt diesem Manne noch mehr Bedeutung, indem sie mit scharfen, äußern und innern Gründen beweist, daß Philipp Francis der Verfasser der berühmten Juniusbriefe gewesen, einer Reihe Schriften, voll der bittersten Satire und des bittersten Hasses gegen verschiedene Staatsmänner und öffentliche Charaktere, welche, die Parteien aneinanderhetzend und Gift und Galle aussprühend, bis zum 19. Januar 1773 in den londoner Zeitungen erschienen und über ein halbes Jahrhundert der Neugier und den angestrengtesten Nachforschungen ein Räthsel blieben. Der pseudonyme Junius (der übrigens sein Geheimniß ins Grab mit hinübergenommen) haderte mit allen Parteien im Staate, keine machte es ihm Recht; er legte seine Feder mit jenem letzten Schreiben in bitterm Aerger nieder und – ein Jahr darauf segelte Philipp Francis nach Ostindien, dort, wie wir bald sehen werden, in derselben bittern Opposition gegen die regierende Macht, als Junius es gegen das Ministerium in England gewesen war.

Zugleich mit den drei neuen Mitgliedern des Rathes war auch der neue Oberrichter, Sir Elijah Impey, mit seinen Beisitzern herübergekommen. Impey war Hastings' alter Schulcamerad. Der Generalgouverneur konnte unter allen Juristen Englands sich keinen willfährigem Oberrichter wünschen. Ganz anders stellte sich aber sein Verhältniß zum Verwaltungsrathe. Die ganze Form gefiel Hastings nicht, noch konnte sie ihm gefallen; von seinen Collegen hatte er keine besonders hohe Meinung und sie wußten es. Statt mit 21 Kanonenschüssen von den Batterien des Fort William begrüßt zu werden, gönnte Hastings den Ankommenden nur eine Salve von 16 Schüssen. Verdrießlich landeten die Räthe; der erste Empfang war kühl, und schon am nächstfolgenden Morgen entspann sich der Streit, welcher durch lange Jahre die Regierung in Indien hemmte und später in England zur Lawine wurde, die alle Notabilitäten des Staates mit sich fortriß und zwang, Partei zu ergreifen, für oder gegen Hastings.

Auf Hastings' Seite stand nur Barwell, früher nicht sein Freund, aber die Ankunft der neuen Räthe vereinigte unwillkürlich alle älteren Diener der Compagnie; doch im Rathe blieben sie der schwächere, der unterliegende Theil, da die drei Räthe aus England, für einen Mann stehend, die Majorität für sich hatten.

Das ärgerlichste Schauspiel, und unter andern Umständen ein für England sehr gefährliches, trat ein. Der Rath unterwarf Hastings' bisheriges Verfahren einer strengen Controle und mißbilligte fast alle seine Handlungen. Entschieden verdammt, und gewiß nicht mit Unrecht, wurden seine Verträge mit dem Nabob von Aude. Sie riefen Hastings' Agenten vom dortigen Hofe zurück und sandten dafür einen ihrem Interesse ganz ergebenen dahin. Desgleichen ward die englische Brigade zurückberufen und eine strenge Untersuchung über die Führung des Krieges angeordnet. Man prüfte, tadelte, schalt, was er in den jetzt Kalkutta unterworfenen Präsidentschaften gethan, und warf so ziemlich Alles um, was er in der äußern Politik und mehr noch, was er in der innern Verwaltung und Rechtspflege gethan. Vieles davon war gewiß falsch, aber drei Räthe, welche kaum noch frisch und unerfahren nach Indien gekommen, waren am wenigsten geeignet, durch einige Federzüge das Unrecht zu Recht und das Schlechte zum Guten zu machen. Manche unvollkommene Einrichtungen, z.B. einige Localgerichte, die schlecht die Justiz und Policei geübt, wurden ohne Weiteres aufgehoben, dafür aber streiften bald Räuberbanden durchs Land, und Leben und Eigenthum wurden unsicher. Dazu erfolgten diese Umänderungen in so rascher, das Ansehen des Gouverneurs schonungslos antastender Weise, daß es um seine Autorität wäre geschehen gewesen, wenn er nicht Mittel fand, Dem zu begegnen. Er präsidirte zwar noch dem Rath, aber in jeder wichtigen Angelegenheit überstimmt, war er bald eine gesetzliche Null; und nur die minder wichtigen Verwaltungsangelegenheiten überließ man ihm, weil er eine nicht wegzustreitende Geschicklichkeit und Kenntniß darin erlangt hatte.

Wer im Orient gefallen ist, hat keine Freunde mehr. Ueber den kranken Geier fallen die Krähen her. Man schilt Den für thöricht, sinnenberaubt, wer sich einem Minister nach seinem Sturze noch nähert, wenn man ihn gleich ebenfalls am Tage vorher für thöricht erachtet hätte, wo er sich nicht vor ihm in den Staub warf und seine Sohlen küßte. Die Indier haben dann ein eigenes Witterungsvermögen, ähnlich dem Talleyrand's, wo eine Größe fallen wird; aber daß sie trotz Dem eine Größe bleiben mag, die sich wieder aufrichten kann, liegt außer ihrem moralischen Horizont. Im Augenblicke, wo ein Machthaber gestürzt ist, stehen alle seine Schmeichler und Schmarotzer, die bereit waren, für ihn zu lügen, zu betrügen, falsche Eide zu leisten, falsche Documente zu schmieden, zu kuppeln, ermorden, vergiften, vor der Thüre seines siegreichen Rivalen und bieten sich an, wenn man es verlange, gegen ihn zu zeugen. Ein Machthaber in Indien braucht nur anzudeuten, daß ihm Jemand im Wege ist, und in 24 Stunden wird er die schwersten Anklagen gegen denselben in Händen haben, und mehr als Das, die vollständigsten Beweise dafür werden ihm geschafft. Man bringt ihm eigenhändige Unterschriften des zum Untergange bestimmten Opfers unter irgend einer verrätherischen Schrift, und in seinem eigenen Hause wird man Documente versteckt finden, die ihn verderben müssen. Für einen europäischen Richter ist es daher Pflicht, mit der äußersten Sorgsamkeit, oder vielmehr mit völligem Mistrauen, in jedem, besonders aber in politischen Processen, die Zeugnisse und Documente der Eingeborenen zu prüfen.

Hastings galt für eine gefallene Größe. Er stand, für das Augenmaß der Eingeborenen, als hülflos, verloren da, und augenblicklich reichte man Anklagen der schwersten Art gegen ihn beim Rathe ein. Sie wurden willig aufgenommen und die Willigkeit, mit der man sie aufnahm, vermehrte die Lust, immer mehr einzureichen. Zur Entschuldigung von Francis, Clavering und Manson kann nur angeführt werden, daß sie den indischen Charakter noch nicht kannten. Ihnen aufzubürden, daß sie wissentlich falsche Anschuldigungen begünstigt, wäre ungerecht.

Für Nuncomar war die Zeit gekommen, sich zu rächen. Noch mehr der glänzenden Aussichten; er hoffte durch Hastings' Sturz der erste, angesehenste, mächtigste und reichste Mann in Bengalen zu werden. Vom Tage ihrer Ankunft an hatte er den drei Räthen den Hof gemacht, da sein schlauer Blick den Gang der nächsten Entwickelung voraussah. Verächtlich hatte Hastings ihm darauf die Thür des Gouvernementspalastes verschließen lassen. Nuncomar bedurfte nicht mehr. Eine vollständige Anklageacte war fertig, welche er in aller Form dem Rath überreichte. Die Anklagepunkte waren: daß Hastings die öffentlichen Aemter verkaufe und die Verbrecher gegen Summen, die in seine Privatcasse gingen, frei von Strafe lasse. So habe er den schwer verdächtigen Reza Khan gegen eine große Abfindungssumme seiner wohlverdienten Strafe enthoben.

Philipp Francis las diese Anklageacte im versammelten Rath ab. Es entspann sich ein heftiger Streit, indem Hastings dem Collegium das Recht abstritt, über seinen Präsidenten zu richten; aber daß es auf Angeben eines Menschen, wie Nuncomar, geschehe, für eine baare Infamie erklärte. In der nächsten Rathssitzung ward eine zweite Eingabe Nuncomar's verlesen. Er bat, daß man ihn vor die Schranken des Kollegiums lade, um seine Anklage durch mündlichen Vortrag zu unterstützen. Die Debatte wurde stürmisch. Hastings erklärte, der Saal des Kollegiums sei nicht der Ort, um darüber eine Untersuchung anzustellen. Von Personen, welche, voreingenommen, täglich mit ihm in Streit und Hader lägen, könne er keine Gerechtigkeit erwarten. Auch könne er, ohne seiner Würde zu vergeben, es nicht zulassen, daß man ihn mit einer Creatur, wie Nuncomar, confrontire. Die Majorität überstimmte ihn natürlich; man beschloß, die Untersuchung einzuleiten. Empört sprang Hastings auf, erklärte die Sitzung für geschlossen und verließ mit Barwell den Saal.

Aber die andern Drei blieben sitzen, erklärten sich als Rath constituirt, wählten den General Clavering zu ihrem Präsidenten und verordneten, daß Nuncomar als Ankläger vorgeführt werde. Nuncomar blieb nicht allein bei seinen Anklagepunkten, sondern vermehrte sie in echt orientalischer Art, als er sah, daß er so geneigtes Gehör fand, auf der Stelle noch um ein Beträchtliches. Sein eigener Sohn, Gurdas, war, wie wir wissen, von Hastings zum Schatzmeister des Nabob von Bengalen bestellt worden und die Prinzessin Munny Begum zur Vormünderin des kleinen Nabob. Er behauptete jetzt, beide Ernennungen wären nur dadurch bei Hastings durchgesetzt worden, daß man ihn durch eine große Summe Geldes bestochen habe. Zum Beweise dafür brachte er einen Brief, mit dem Siegel der Munny Begum darunter, vor. Einige behaupteten später, das Siegel sei ein falsches; es ist aber ebenso wahrscheinlich, daß es ein echtes gewesen; denn man brauchte nur der indischen Dame die Versicherung zu geben, daß sie durch ihre Siegel dem hohen Rath eine Gefälligkeit erweise, so konnte man gewiß sein, daß sie es unter jede Anklage mit Vergnügen drücken würde. Der Rath der Drei entschied, die Anklage sei erwiesen, Hastings sei schuldig, 30–40,000 Pf. Sterling im Wege der Bestechung erhalten zu haben, und verurtheilte ihn zu deren Wiedererstattung.

Unter den englischen Dienern der Compagnie herrschte, wie sich denken läßt, die größte Aufregung. Dies war ein Attentat, wenngleich ein legales, gegen die Autorität der englischen Herrschaft in Indien. Der Rath verurtheilte seinen eigenen Präsidenten, den Generalgouverneur, wegen Bestechung! Mit welchen Augen mußten die Eingeborenen dies ansehen; welche Folgen konnte es haben! Für die Briten war keine Wahl: auf der einen Seite ein Gouverneur, welcher, thätig, kräftig, entschlossen, das Land und seine Bewohner kannte, ihre Sprache redete, durch seine Persönlichkeit gewann und in Augenblicken der Gefahr der Mann war, das Rechte zu treffen. Auf der andern Seite ein Mann, der nicht die Sprache, die Sitten, das Land kannte, das er regieren sollte; der, mit unserer Sprache zu reden, als ein Theoretiker ins Land geschneit kam und Alles besser wissen wollte, Alles änderte, umwarf und Nichts besser machte. Die Beamten der Compagnie, sage ich, wären, alle für einen Mann, für Warren Hastings aufgestanden gegen den unpopulairen, unpraktischen, verdrießlichen Philipp Francis, der bis da nur eine Schreiberstelle im Kriegsministerium bekleidet hatte.

Aber Hastings sah die Sache in einem andern Lichte an. Francis und seine Partei konnte nicht so entschieden auftreten, wenn sie nicht in London, im Ostindienhause, auf starke Unterstützung rechnen durften. In Indien wußte er Alles zu reguliren, sein Einfluß auf die europäischen Lenker schien ihm bedenklicher. Eine Klage dort gegen ihn, eine unglückliche Abstimmung der Actionaire konnte ihn stürzen und seinen Ruf untergraben. Um im schlimmsten Falle sich einen ehrenvollen Rückzug zu sichern, sandte er deshalb seinem londoner Agenten, Obrist Macleane, seine Resignation ein; jedoch mir der Erklärung: daß er sie nur für den Fall einreiche, wenn er im Ostindienhause eine gegen ihn entschieden ungünstige Stimmung wahrnehme. In Indien selbst operiete er anders und mit der Sicherheit und Entschlossenheit, die er in allen Fällen bekundete, und welche die Mittel nicht scheuten, wo es ein Ziel galt, das er bestimmt erreichen mußte.

Nuncomar war jetzt ein für ihn höchst gefahrlicher Mann geworden; der Einzige, den er zu fürchten hatte, der durch einen Intriguenkampf nicht mehr zu überwältigen war. Er mußte ihn mit starker Faust angreifen und vernichten, oder selbst als Opfer fallen. Der Brahmine hielt sich seines Sieges bereits für gewiß; er ging wie ein Triumphator umher. Jeden Morgen hielt er in seinem Palast ein glänzendes Lever, zu dem seine angesehenen Landsleute sich drängten. Selbst die drei Räthe vergaßen so weit ihre Stellung, daß sie, wenigstens an einem Morgen, ihm ihre Aufwartung machten. Sein Haus war zum Bureau geworden, wo Jedermann seine Anklagen gegen den Generalgouverneur anbrachte. Auch soll er mehre der reichsten und angesehensten Einwohner durch Drohungen und Intriguen bewogen haben, ihm Klagepunkte einzusenden. Aber er spielte ein gewagtes Spiel, einen Mann von Hastings' Ausdauer und Entschlossenheit anzugreifen. Bei aller seiner erworbenen Kenntniß europäischer Verhältnisse, wußte er nicht, daß in einem geordneten Staate die Justiz eine von der Regierung völlig getrennte, selbständige Macht ist. Was konnte ihm fehlen, da die Macht aus seiner Seite stand, die über das Geschick von Millionen Eingeborenen zu entscheiden hatte, die alle Stellen nach Willkür vergab, Beamte entsetzte, Steuern auflegte und als politische Regierung auch über das Leben der Millionen gebot? Er wußte nicht, daß der Gerichtshof, der mit den drei Räthen über das Meer geschwommen war, aber seine Wirksamkeit bis dahin vermuthlich noch nicht öffentlich gezeigt hatte, auch eine Macht war, in deren Hand Leben und Tod lag, und es gab in Indien keine andere Macht, welche sie ihr entwinden konnte.

Auf diese Macht, auf den obersten Gerichtshof, hatte Hastings seine Blicke gerichtet, und der Oberrichter Impey war sein Freund, wenigstens ein willfähriges Werkzeug, dessen sich der Generalgouverneur bedienen mochte. Er war außerdem, gleichwie seine Gerichtsbeisitzer, der Majorität im Rathe feindlich gesinnt. Hastings forderte keine Ungerechtigkeit von ihm, er brachte keine falsche Anklage vor, stellte keine bestochenen Zeugen auf, brachte keine selbstgeschmiedeten Documente vor; er forderte nur, daß er dem Rechte seinen Lauf lasse, ein gerechtes Urtheil spräche, gerecht nach dem Gesetze, gerecht nach europäischen Begriffen, und daß Impey Das sei, worauf er einen heiligen Eid geleistet, als er sein Amt antrat, unerschütterlich, ein eisernes Werkzeug der strafenden Gerechtigkeit.

Der Maharadscha Nuncomar war in unserm Sinne ein ausgemachter Schuft und Schurke, und hatte nach den Gesetzen aller europäischen Länder für Das, was er schon verbrochen und dessen er überführt war, Gefängniß, Ketten oder den Galgen zehnmal verdient. Aber er war ein Brahmine aus der reinsten, edelsten Kaste; mit heiliger Scheu und Bewunderung schaute der Hindu auf ihn. Jetzt war er der mächtigste Mann seines Volkes, die Sonne des Glückes beschien seinen Scheitel, der hohe Rath von Indien hatte ihm aufgewartet; er war im Begriff, den gefürchteten Gouverneur zu stürzen und sein Ansehen zu vernichten. Welcher Eingeborene hätte da gewagt, gegen den Maharadscha Nuncomar klagend aufzutreten?

Aber der Eingeborene fand sich. Sein Name ist gleichgültig. Er trat vor das hohe Gericht, klagte gegen den Gefeierten, und ganz Kalkutta vernahm mit Erstaunen und Entsetzen eines Tages die Kunde, daß der hohe Gerichtshof Nuncomar arretiren und in das Gefängniß der gemeinen Verbrecher habe werfen lassen. Er war angeschuldigt, vor sechs Jahren einen falschen Schuldschein ausgestellt zu haben. Niemand hat gezweifelt und Niemand zweifelt heut, daß Hastings Der war, der den Maharadscha verklagen ließ, wenn auch sein Name in dem Processe kaum genannt wurde.

Die Majorität des Rathes spie Feuer und Flamme gegen das Vermessen des Gerichtshofes. Sendungen über Sendungen an das Obergericht, mit dem Verfahren innezuhalten und Nuncomar gegen Bürgschaft zu entlassen. Das Gericht antwortete hochmüthig und entschlossen: es wisse, was es zu thun habe, und der hohe Rath sei nicht sein Vorgesetzter. Die Wuth des letztern blieb ohnmächtig. Um sich zu rächen, oder um vor den Eingeborenen und dem Angeklagten darzuthun, daß er, der Rath, an dem Verfahren unschuldig sei, häufte er Ehren und Auszeichnungen höchst unpassender Weise in dem Augenblicke auf Nuncomar's Familie, wo deren Oberhaupt eines gemeinen Criminalverbrechens bezüchtigt war.

Der Rechtsgang ging regelmäßig fort; nur über das gewöhnliche Maß verzögert durch eine Unzahl von Gegenzeugen und dadurch, daß alle Aussagen und Documente durch Dolmetscher vor den aus Engländern bestehenden Geschworenen übersetzt werden mußten. Endlich sprach die Jury das Schuldig! aus, und der Oberrichter verurtheilte Nuncomar zum Tode.

Wahrscheinlich ein gerechtes Urtheil; nur daß, wenn jeder Hindu um dieses Nuncomar überwiesenen Verbrechens willen hätte hangen müssen, es an Bäumen in Bengalen gefehlt hätte. Der Rath von Kalkutta hatte nach der letzten Parlamentsacte ebenso wenig ein Begnadigungerecht, als der Generalgouverneur; wohl aber stand dem Oberrichter das Recht zu, die Execution zu verschieben, bis er darüber an die Krone berichtet und deren Willen in Erfahrung gebracht. Dies hatte Impey unter den obwaltenden Verhältnissen thun müssen. Wie gerecht auch der Spruch nach englischem Recht und Sitten gewesen, so war es doch ungerecht, eines Falsums wegen einen Hindu an den Galgen zu schicken. Das Gesetz, welches die Fälschung in England zu einem Capitalverbrechen machte, war ohne alle Berücksichtigung der socialen Verhältnisse in Indien gegeben worden. Es war niemals dort in Ausübung gebracht worden, obwohl es an Delinquenten niemals gefehlt hatte; es war, aller Wahrscheinlichkeit nach, den Hindu nicht einmal bekannt, und es verstieß aufs Aeußerste gegen ihre Sitten und Gefühle. Die Nachbildung von Siegeln galt bei ihnen von Alters her als eine gewöhnliche Art von Schwindelei, und daß es so bestraft werden solle, wie Straßenraub und Meuchelmord, schien ihnen eine furchtbare Barbarei. Um deshalb würde jeder andere Richter mit der Hinrichtung Abstand genommen und die letzte Entscheidung dem Ermessen des Königs überlassen haben. Impey kannte Nichts von Gnade und Verzug.

Philipp Francis und seine Partei schrien auf; sie nannten den Gouverneur und den Oberrichter abscheuliche Mörder. General Clavering schwor, Nuncomar noch unter dem Galgen zu befreien. Auf der andern Seite erschrak aber auch die große Zahl geborener Engländer, welche sich zum Gouverneur hielt. Die Execution eines so bedeutenden Mannes, um einen nach den Landesbegriffen so geringen Fehltritt, schien ihnen nicht allein grausam, sondern auch gefährlich. So lange hatte dieser Mann die ersten Ehrenstellen unter den Eingeborenen eingenommen; ja man erinnerte sich der Zeit, als die englische Niederlassung nur eine Factorei war, und ihre Vorsteher demüthig sich um Nuncomar's Gunst beworben hatten! Ungleich größer war das Entsetzen bei den Hindu. Selbst nach ihrer Moral galt Nuncomar für einen schlechten Mann; aber er war das Haupt ihrer ersten Kaste, der Protobrahmin; das allerreinste Blut floß in seinen Adern. Alle Waschungen, Reinigungen, Opfer, Gebete hatte er, sein langes Leben hindurch, pünktlicher als sonst Jemand verrichtet; und das war mehr werth, als wenn er nicht gestohlen und betrogen hätte. Der eifrigste Katholik im Mittelalter hätte kaum ein gleiches Entsetzen gefühlt, wenn ein weltliches Gericht sich unterfangen, einen Prälaten zum Strange zu verurtheilen. Und der erste Brahmine, wo nach ihren Satzungen kein Brahmine überhaupt zum Tode verurtheilt werden konnte, er gerade sollte um ein Verbrechen am Galgen hängen, welches in den Augen der Hindu nicht ärger war, als etwa in unsern Augen das des Roßtäuschers, der ein krankes Pferd als gesund verkauft.

Nur die Mohammedaner jauchzten auf. Der mächtigste ihrer götzendienerischen Feinde, die sie mehr verachten, als sie die Christen hassen, war von seiner ihnen gefährlichen Höhe gestürzt, derselbe, welcher ihren Reza Khan gestürzt hatte. Ein mohammedanischer Historiker, der über jene Zeiten geschrieben, findet noch ein Vergnügen darin, Nuncomar's Verbrechen zu vergrößern. Er erzählt, in dem Hause des Maharadscha sei eine ganze Kiste gefunden worden voll nachgemachter Siegel der reichsten Leute in der Provinz. Die Thatsache wäre, nach andern Beispielen, nicht unmöglich; doch findet sie sich nirgend sonst wo verzeichnet.

Wo Alle in Aufregung waren, war nur Einer ganz ruhig – Nuncomar selbst. Mit der Ergebung eines Hindu in das Unvermeidliche, bereitete er sich zum Tode vor. Der Sherif, der ihn am Abende vor der Hinrichtung im Kerker besuchte, versicherte ihm, daß ihm alle mit den Gesetzen verträgliche Nachsicht geschenkt werden solle. Nuncomar dankte mit Höflichkeit, doch ohne eine Miene zu verziehen. Kein Seufzer machte sich Luft. Er legte den Finger an die Stirn und sagte: dem Schicksal sei nicht zu widerstreben und gegen den Willen Gottes kein Widerstand. Er bat den Sherif, seine besten Empfehlungen an Philipp Francis, Gavering und Monson auszurichten und sie zu bitten, seinen Sohn, den Radscha Gurdas, zu beschützen, der nun das Haupt der Brahminen in Bengalen werde. Nur der Sherif war beim Fortgehen erschüttert: Nuncomar setzte sich ruhig nieder, schrieb Briefe und Notizen auf und prüfte Rechnungen!

Eine ungeheure Menschenmasse versammelte sich am nächsten Morgen um den Hinrichtungsplatz. Schmerz und Entsetzen auf allen Gesichtern, und doch noch Etwas von Hoffnung; denn man konnte es sich nicht möglich denken, daß die Engländer wirklich wagen würden, dem großen Brahminen ans Leben zu gehen. Endlich kam der Trauerzug an, Nuncomar auf seinem Palanquin, mit der größten Heiterkeit im Gesichte. Eben hatte er von seinen nächsten Verwandten und Freunden Abschied genommen. Ihr Heulen und Schreien und ihre convulsivischen Krümmungen hatten die europäischen Beamten erblassen gemacht, der Verurtheilte selbst aber zeigte einen eisernen Stoicismus. Nur um Etwas schien er zu sorgen, daß Priester aus seiner eigenen Kaste zugegen wären, um für seinen Körper Sorge zu tragen. Noch einmal grüßte er seine Freunde im Rathe, stieg mit sichern Tritten auf das Schaffot und gab dem Henker das Zeichen. Im Augenblicke, wo der Körper herabsank, erfüllte ein entsetzliches Geschrei die Lüfte. Hunderte machten augenblicklich Kehrt und stürzten fort nach dem Hugly, in den sie hineinsprangen, um sich die Sünde abzuwaschen, einem solchen Schauspiele zugesehen zu haben. Diese allgemeine Trauer und Zerknirschung beschränkte sich nicht allein auf Kalkutta, sondern dröhnte auch durch die Nachbarprovinzen wieder.

Daß Impey, um Hastings zu gefallen, mit dieser unverzeihlichen Raschheit handelte, ist keinem Zweifel unterworfen; es wird aber noch durch ein später bekannt gewordenes Schreiben Hastings' dargethan, in welchem es heißt: zu einer Zeit sei er ihm schwer verpflichtet worden, indem derselbe ihm sein Glück, seine Ehre und seine Ruhe gerettet habe.

Wer möchte Impey, einen Richter, entschuldigen! Aber Hastings war Partei. Von einer Partei fordert man nicht die unbeugsame Gerechtigkeit und Billigkeit, wie von einem Richter. Er war, der hart Angegriffene, im Act der Selbstvertheidigung. Seine Autorität, seine ganzen Aussichten, aber mehr noch als seine eigene Zukunft, auch die der britischen Obergewalt in Indien, waren durch den Sieg des hinterlistigen Brahminen so gefährdet, daß er sich und sie nur retten zu können glaubte, wenn er den Gegner verderbe. Er brauchte gesetzliche Mittel; an ihm war es nicht, oder er vielmehr, der so heftig und fälschlich Beschuldigte, ist nicht so streng darum zu tadeln, daß er die Buchstabenmacht der Gesetze bis zum äußersten Grade des Erlaubten trieb. Die moralische Schuld fällt allein auf Den zurück, der so sein heiliges Richteramt mißbrauchte.

Nuncomar's Tod zählt daher nicht unter Hastings eigentliche Verbrechen. Es ist augenscheinlich, daß ernste und große politische Rücksichten ebenso die Motive seiner Handlungsweise waren, als persönliche Gefühle. Er war im Rath in der Minorität; es hatte den Anschein, er werde es noch lange bleiben. Wem die höchste Macht übel will, gegen den strömen von allen Seiten Klagen ein; so ist der Charakter des Volkes dort. Vom Höchsten bis zum Geringsten würde Jeder gedacht haben, er könne seinen Zustand nur verbessern, wenn auch er den Gouverneur anschuldige. Unter diesen Umständen, wenn er nicht Alles aufgeben wollte, war es für ihn nothwendig, der ganzen elenden Masse von Angebern und Zeugen davon einen Beweis zu geben, daß er der Mann sei, den man fürchten müsse. Die Lehre war furchtbar, aber sie wirkte.

Von dem Augenblick an hielt sich jeder Eingeborene für überzeugt, daß es rathsamer wäre, sich an Hastings anzuschließen, obgleich er in der Minorität war, als an eine Majorität, welche nicht einmal im Stande gewesen, ihren Freund, einen so mächtigen Mann, vor dem Tode am Galgen zu schützen. Wer das Reh im Busch jagt, dem springt der Tiger entgegen, heißt es in einem orientalischen Gedichte; so konnte Hastings den Delatoren begegnen, und die Begegnung war fürchterlich. Um deshalb verstummten mit einem Male alle Stimmen der Ankläger, und nie wieder, auch in spätern Krisen, wagten Angeber wider Hastings aufzutreten.

Einen merkwürdigen Umstand haben uns Hastings Biographen aufbewahrt. An seinen gelehrten Freund, den Dr. Johnson, existirt ein Brief des Generalgouverneurs von Indien, in welchem er ihm seine Ansicht über dessen bekanntes Werk: die Tour durch die Hebriden, mittheilt, und sich gelehrt und weitläufig über Jenes persische Grammatik und die Geschichte, Traditionen und Künste Indiens ausläßt. Der Brief ist, nach dem Datum, wenige Stunden nach Nuncomar's Tode geschrieben. War dies ein Zeichen seiner Kraft und Selbstüberwindung? Ganz Indien in Aufruhr und allein Hastings in Ruhe und gelehrten Gedanken!

Inzwischen war die Nachricht vom Rohillakriege nach London gedrungen, und zugleich von dem Zwiespalt zwischen der Majorität und Minorität des Rathes. Jener ward von den freien Briten allgemein gemisbilligt, und auch die Directoren der Compagnie geriethen in einen tugendhaften Eifer. Sie nahmen die Geldrimessen, die Hastings als Frucht des Krieges einsandte, ohne ein Wort zu sagen, und ohne daran zu denken, sie unwillig wieder zurückzusenden. Aber in ihren öffentlichen Reden und in ihren Schreiben tadelten sie laut und entschieden den Generalgouverneur, und konnten nicht Ausdrücke stark genug finden, um ihren Abscheu über einen Angriffskrieg auszudrücken, der nur um Geldvortheile unternommen war.

Nach der letzten Parlamentsacte, welche die indischen Verhältnisse regulirte, konnte der Generalgouverneur, obgleich auf fünf Jahre ernannt, von der Krone abberufen werden, wenn die Compagnie deshalb eine Adresse erließ. Lord North, welcher damals noch an der Spitze der Verwaltung stand, drang in die Compagnie, eine solche Adresse zu erlassen; die drei Mitglieder des Rathes in Kalkutta waren Männer seiner Wahl. Das Ministerium wollte Hastings absetzen und statt seiner Clavering ernennen, einen Mann von bedeutendem Anhang im Parlament. Im Rathe der Directoren waren die Stimmen fast gleich getheilt; 11 gegen 10 für Hastings. Also ward die Generalversammlung der Actionaire berufen. Selten sah man eine so glänzende, vollzählige Versammlung in der großen Halle des Ostindiahauses. Auch war das selten vorgekommen, daß Seitens des Ministeriums an alle Anhänger desselben, welche Stockinhaber waren, Aufforderungen ergingen, ja bei dieser entscheidenden Versammlung nicht zu fehlen. Man zählte auf den Bänken 50 Pairs und Geheimräthe, und die lebhaft geführte Debatte dauerte bis Mitternacht. Bei der ersten Probe durch Aufstehen und Sitzenbleiben schienen Hastings' Gegner eine kleine Majorität zu haben; als aber das Ballottement gefordert wurde, siegten seine Freunde, die gegen die Adresse waren, durch über hundert Stimmen mehr, als das mit den Directoren vereinigte Ministerium aufbringen konnte. Das Ministerium war über diesen Ausfall sehr erbittert, und Lord North drohte noch vor Weihnachten eine Bill einzubringen, daß der Compagnie alle ihre politischen Rechte genommen werden sollten, und sie sich mit ihrem alten Geschäfte begnügen solle, Thee und Seide zu kaufen.

›Hastings‹ schon vorhin erwähntem Agenten schien nach diesem Ausgange der Debatte die Angelegenheit seines Machtgebers dennoch mislich zu stehen. Das Ministerium hatte schon die Kronjuristen über ihre Meinung befragt. Er fürchtete, daß sein Freund abgesetzt werden, daß das Parlament einen Act votiren und er vielleicht könne zur Untersuchung gezogen werden. Es schien ihm die höchste Zeit, auf einen ehrenvollen Rücktritt bedacht zu sein, und Macleane hielt sich unter diesen Umständen für berechtigt, Hastings Resignationsgesuch einzureichen. Obgleich mangelhaft in der Form, wurde es von den Directoren mit beiden Händen ergriffen, und augenblicklich erwählten sie eines ihrer eigenen Mitglieder, Wheeler, zu seinem Nachfolger, und sandten eine Botschaft nach Kalkutta voraus, daß bis zu dessen Ankunft der General Clavering dem Rath als Gouverneur präsidiren solle.

Während in Europa das Glück auf diese Weise zu ›Hastings‹ Ungunsten umschlug, war in Asien gerade das Widerspiel erfolgt. Warren Hastings hatte nicht allein Nuncomar besiegt, sondern stand wieder als unumschränkter Herrscher an der Spitze der innern und äußern Verwaltung. Die Majorität gegen ihn war keine Majorität mehr. Der Rath Monson war gestorben. Die Parteien standen sich 2 gegen 2 gegenüber, und die Stimme des Generalgouverneurs gab den Ausschlag. Mit seiner gewohnten Schnelligkeit und Geschicklichkeit benutzte Hastings die Gunst des Augenblicks. Der Rath, d. h. Barwell und er, decretirte, daß der Generalgouverneur wieder alle executive Macht in Händen haben solle, und umgeworfen wurde auf der Stelle Alles, was die Majorität bis da angeordnet: die Ländereien in Bengalen sollten neu abgeschätzt werden, um die Steuern danach zu reguliren, und der Gouverneur dieses Geschäft allein ausführen, auch alle Verordnungen deshalb in seinem Namen allein erlassen werden.

Sein elastischer Geist schnellte, kaum daß er seinen Gegner überwunden, zu den kühnsten Unternehmungen auf. Er entwarf weit aussehende Pläne zu Eroberungen und einem großen Reiche der Briten in Indien; Pläne, welche noch zu seinen Lebzeiten in Erfüllung gingen, aber nicht durch ihn. Er wollte mit den eingeborenen Fürsten Bündnisse schließen, in der Art, wie Napoleon mit den Mitgliedern des Rheinbundes, und England sollte eine Art oberlehnsherrlicher Macht über ganz Indien ausüben.

In diesen großen Gedanken schwelgend, ward er durch ein Schiff aus Europa überrascht, welches ihm die Nachricht brachte, daß er abdicirt habe, daß seine Abdankung angenommen worden, daß Wheeler sein Nachfolger sei und inzwischen Clavering seine Stelle einnehmen solle!

Es war ein unerwarteter Donnerschlag; aber Hastings war nicht der Mann, der sich davon so leicht treffen ließ. Wäre Monson noch am Leben gewesen, würde er wahrscheinlich ohne Weiteres vor der Übermacht gewichen sein. Aber jetzt war er durch die That Herr von Indien, und hatte nicht die geringste Lust, seinen hohen Posten aufzugeben. Er erklärte, daß er seinem Agenten keine Anweisungen gegeben, welche dessen Schritte rechtfertigten. Genau könne er sich nicht aller Aufträge besinnen, die er ihm geschickt, da er die Copie verloren; sicher und gewiß aber sei er, daß er wiederholentlich den Directoren erklärt, er wolle nicht resigniren. Uebrigens sei die Resignation auf einen so wichtigen und verantwortlichen Posten ein so wichtiger Actus selbst, daß sie in bestimmter, formeller Weise erfolgen müsse, und die Erklärung eines Agenten ohne vollgültige Vollmacht gar Nichts bewirke. Da nun der Act selbst null sei, wären auch alle Folgerungen null, er also nach wie vor Generalgouverneur von Indien.

Seltsame Demonstrationen erfolgten darauf. General Clavering forderte von Hastings, kraft des Directorialbeschlusses, die Schlüssel zum Fort William und zum Schatz. Hastings verweigerte sie ihm kraft Dessen, daß der Beschluß des Directoriums auf einem falschen Fundamente beruhe, also nichtig sei. Clavering und Philipp Francis setzten sich in einem Zimmer nieder und hielten einen Rath ab, und in einem andern Zimmer setzte sich Hastings mit Barwell und hielt auch Rath. Jeder von beiden Theilen behauptete, sein Rathscollegium sei das echte. Wer sollte darüber entscheiden, welches das rechte und echte war, mitten in einem barbarischen Lande, funfzehnhundert Meilen von der Heimath?

Fast schien es, als könne da nur die Gewalt der Waffen entscheiden, und Hastings schien gar nicht abgeneigt, an diese zu appelliren; er wußte, daß er vor diesem Forum nicht verlieren könne. Er instruirte die Offiziere im Fort William, sowie die in den benachbarten Stationen, daß sie keinen andern Befehlen, als seinen eigenen, zu gehorchen hätten.

Aber sein Sieg sollte noch weit entschiedener werden. Plötzlich begab er sich der Gewalt, welche er de facto besaß, und erklärte, er wolle sein Recht der richterlichen Entscheidung allein überlassen. Der höchste Gerichtshof, den die Directoren, unabhängig vom Rath und Gouverneur, eingesetzt, möge entscheiden, auf welcher Seite das Recht sei; willig werde er sich dem Ausspruch unterwerfen. Wie begreiflich, wagte Hastings dabei Nichts, wo an der Spitze dieser Behörden ein Sir Elijah Impey stand. Dennoch konnten auch seine Gegner diesen Ausweg nicht zurückweisen. Was dies unabhängige Gericht für Recht erklärte, mußte doch Recht sein, da es nach der Verfassung keine höhere Behörde gab; wem es zu gehorchen befahl, dem konnte Jeder ohne Gefahr gehorchen. Wenn es den Gehorsam verweigern hieß, welcher Verwegene hätte fürder das Schwert zu ziehen gewagt! Wie ungern es auch ihrerseits geschah, Clavering und Francis mußten sich doch am Ende dem Ausspruche des Gerichtshofes unterwerfen. Dieser entschied: Hastings' Amtsniederlegung sei ungültig, und Hastings sei demnach, dem Sinne der Parlamentsacte nach, nach wie vor Generalgouverneur. Die Gegenpartei des Rathes sah sich geschlagen; sie hielt es aber für das Klügste, sich jetzt ohne Widerspruch der Entscheidung zu fügen.

Lange Jahre waren vergangen, seit die Baronin Imhoff vor den Gerichten des fränkischen Kreises gegen ihren Gatten auf Ehescheidung geklagt hatte. Der Proceß ging den langsamen Gang deutscher Reichsjustiz. Es war um diese Zeit, als endlich das Trennungsurtheil, wahrscheinlich mit geschmolzenem Siegel, nach Kalkutta kam. Der Baron Imhoff verließ Indien, ausgestattet mit allen Mitteln, um sich in seinem Vaterlande anzukaufen. Die Baronin Imhoff aber wurde nunmehr gesetzlich Mistreß Hastings. Hastings' Neigung oder Leidenschaft war durch den Verlauf so vieler Jahre nicht geschwächt; er betrachtete den Tag als einen äußerst glücklichen in seinem Leben, und feierte ihn durch allen Luxus und alle Pracht, welche einem Generalgouverneur Indiens zu Gebote steht. Ohne Unterschied der Parteien, der Abstammung und des Glaubens waren alle Notabilitäten Kalkutta's zur Vermählungsfeier geladen. Auch Hastings' entschiedene Gegner. Der mohammedanische Geschichtschreiber jener Tage, der oben schon erwähnt wurde, berührt hier eine Geschichte, welche, in die Kleinkrämereien des europäischen Gesellschaftslebens gehörig, seltsam in den Notizen eines Asiaten sich ausnimmt. Clavering hatte die Einladung ausgeschlagen. Er war krank, an Leib und Seele; aber Hastings setzte etwas darein, daß sein Hauptgegner durch seine Gegenwart seinen Ehrentag mitfeiere. Er war in der besten, übermüthigsten Laune aus Liebe und Stolz, und wollte Clavering's Entschuldigung, daß er bei seiner Stimmung in eine so glänzende und heitere Gesellschaft nicht passe, nicht gelten lassen. Er machte sich selbst auf den Weg nach des Generals Hause, und brachte endlich, als Executor in eigener Angelegenheit, seinen überwundenen Gegner im Triumph in die frohen Kreise, welche seine Braut umgaben. Für Clavering's stolzen Geist war diese Demüthigung zu viel. Er wurde krank und starb bald darauf am gebrochenen Herzen. Es war der Schmach für ihn zu viel.

Wheeler kam nun auch an. Statt aber Generalgouverneur zu werden, mußte er sich damit begnügen, einen Platz an der Rathstafel einzunehmen. Hastings war, nach wie vor, mit Barwell's Beihülfe, Herr, unumschränkter Herr und Gebieter. Die Gesinnungen änderten sich allmälig; man ließ die starre Opposition gegen Hastings fallen, und wählte ihn, als die ursprünglichen fünf Jahre verstrichen, ruhig und stillschweigend wieder. Der Grund aber ist freilich anderswo zu suchen, in den Gefahren, welche jetzt von außen her drohten, und Lord North und das ostindische Directorium gleich abgeneigt machten, einen Gouverneur zu entlassen, dessen Fähigkeit, Entschlossenheit und Erfahrung der Neid selbst anerkennen mußte.

Das Mutterland selbst war, wenn nicht an dem Rande des Abgrundes, doch in eine der bedenklichsten Krisen gerathen, welche Großbritannien jemals betroffen haben. Der amerikanische Freiheitskrieg war ausgebrochen, und während der Staat alle seine Kräfte gegen die Millionen aufgestandener Brüder verwenden mußte, gährte es in dem gedrückten Irland; Frankreich regte sich, Spanien, Holland. Selbst die baltischen Seemächte machten feindliche Miene gegen den mächtigen Inselstaat. Unter solchen Umständen war ein Mann von Energie, wenn auch mit vielen Fehlern, an der Spitze von Ostindien von großer Wichtigkeit.

Man fürchtete nicht gerade, daß eine der feindlichen Seemächte eine Diversion nach Indien machen werde; aber Geld, Waffen, Unterhändler konnten die indischen Nachbarstaaten zur Schilderhebung gegen die Engländer aufwiegeln. Und die Furcht war nicht unbegründet; denn Hastings erfuhr, daß ein französischer Abenteurer, der freilich für einen bedeutendern Mann sich ausgab, als er war, in einem der Mahrattenstaaten mit Briefen von Ludwig XVI. angelangt sei, und daß ein, England feindlicher, Vertrag zwischen dem Peschwa in Punah und den Franzosen abgeschlossen worden.

Mit den muthigen und weit im Westen der Halbinsel ausgedehnten Mahrattenstaaten war die Compagnie bis da wenig in Berührung gekommen. Auch diese Staaten hatten sich erst nach dem Verfall des Mogulreiches gebildet. Auch hier war der Schein der Oberherrschaft von der wirklichen Macht, wie bei den mohammedanischen Nabobreichen, getrennt. Die Mahratten waren unter ihrem großen Fürsten Sewadschi von ihren Bergen einst herabgestiegen und hatten durch Wildheit, Kraft und Schlauheit die andern kriegerischen Bewohner des Ostens unterworfen; ein Stamm, ursprünglich von Räubern und aus sehr niedrigen Kasten, hatten sie große und mächtige Reiche in Berar, Guzerat, Malwa und Tandschore gebildet. Aber die Nachkommen des großen Sewadschi waren auch schon zu Scheinkönigen herabgesunken, wie die Merovinger, die Mogul in Delhi, die Nabobs von Bengalen. Ihr Palast in Sattara war ein großes Staatsgefängniß, wo die in Dumpfheit und Dummheit erzogenen legitimen Fürsten mit Tand und Tänzerinnen sich die Zeit vertrieben, während in Punah ihr Major-Domus, der Peschwa, residirte und regierte, selbst schon ein erblicher Fürst, zu dem die Radscha's der andern Mahrattenstaaten in sehr zweifelhafter Abhängigkeit standen.

Rasch griff auch hier Hastings zu und wartete nicht den drohenden Angriff ab. Dem gegenwärtigen Peschwa wurde sein Titel von einem Nebenbuhler bestritten. Viele Mahrattenstämme neigten sich diesem zu; unter ihnen das mächtige Radschahaus, das in Berar regierte. Mit diesem schloß Hastings ein Bündniß, zu Gunsten des Prätendenten, und schickte eine Armee quer über die Halbinsel zu seinem Beistande.

Während dessen erfuhr er durch den englischen Consul in Kairo, daß der Krieg zwischen Frankreich und England erklärt worden. Er säumte keinen Augenblick, ihn in Ostindien zu beginnen. Alle Factoreien der Franzosen in Bengalen wurden genommen. Er schickte Ordres nach Madras, Pondichery zu besetzen, und verschanzte die Ufer um Kalkutta gegen jeden möglichen Angriff einer französischen Flotte. Er hob neun neue Bataillone Sipoys aus und bildete aus den kraftvollen Lascars der Bai von Bengalen ein Corps Artillerie. So gerüstet erklärte er die Präsidentschaft für gesichert gegen jeden Feind; es wäre denn, daß die Mahratten mit den Franzosen ihn angriffen.

Dies geschah zwar nicht, doch aber gewann dieser Krieg der Engländer gegen die Ersteren nicht den Fortgang, den Hastings' andere Unternehmungen hatten. Nicht durch seine Schuld. Einige Schlappen wurden durch glänzende Siege wieder gut gemacht, und die englischen Fahnen wehten in Gegenden, wo europäische Soldaten niemals hingedrungen waren. Ja möglicherweise hätte Hastings seine Plane gegen das Mahrattenreich damals ausgeführt, wenn er nicht durch andere Gefahren im Innern und Aeußern zu sehr wäre beschäftigt worden.

Aus England war ein alter Held, Sir Eyre Coote, als Befehlshaber der Truppen nach Indien gesandt worden, der vor 20 Jahren den englischen Waffen entscheidende Siege dort erfochten, und dessen Name, damals groß, noch jetzt bei den einheimischen Truppen nicht erloschen ist. Er war um 20 Jahre älter geworden, verdrossen, eigensinnig und – geldgierig. Hastings hatte alle Mühe, ihn bei guter Laune zu erhalten, und mußte nicht allein alle Formen der Höflichkeit aufbieten, sondern auch zu seinen ungeheuern Foderungen nur zu oft ein Auge zudrücken, damit der alte Krieger nicht zu seinen entschiedenen Feinden überging. Bei allen seinen Fehlern war er übrigens doch der tüchtigste General, den die englische Armee in jener Zeit haben konnte.

Der Friede im Innern, d.h. im Rathe, wurde durch die Noth im Aeußern geboten. Francis allein stand noch als entschiedener Opponent gegen Hastings; aber sein Haß verleitete ihn doch nicht zu unpatriotischer Widersetzlichkeit gegen die nothwendigen Maßregeln dem Feinde gegenüber. Wheeler war des alten Haders müde und überdrüssig, Coote war kein Politiker und nicht Hastings' Feind, und Barwell, reich zur eigenen Genüge geworden, und mit dem Verlangen, nach England zurückzukehren, that sein Möglichstes, um die Parteien zu versöhnen. Es gelang ihm. Francis versprach, von seiner Opposition abzulassen, und Hastings dagegen, daß er Francis Freunden Ehren und Anstellungen zuwenden wolle. Einige Monate dauerte dieser Friede im Rathe, es war aber nur ein Waffenstillstand.

Dieser Waffenstillstand war niemals nöthiger als jetzt, denn es brach ein neuer Krieg im Innern aus, der von schlimmern Folgen für die englische Herrschaft zu werden drohte, als der Krieg mit den Mahratten und den Franzosen.

Die regulirende Parlamentsacte von 1773 hatte für Indien zwei von einander völlig unabhängige Gewalten creirt, eine politisch-administrative, den Rath, und eine richterliche, das Obergericht, ohne die Grenzen beider zu bestimmen. Wie dieses Gericht seine Macht zu behaupten gewußt, erfuhren wir aus dem Falle mit Nuncomar. Impey und sein Beisitzer hatten aber Lust, ihre Autorität so weit auszudehnen, als es nur immer ging. Die englische Justiz ist gerecht, aber, wie die Engländer selbst eingestehen, weder wohlfeil, noch schnell. An ihre Mängel hat sich der Brite gewöhnt, weil er ihre Vorzüge kennt. Das altgewordene Kind seiner freien Institutionen ist ihm lieb geworden. Das englische Gesetz und Gerichtsverfahren plötzlich auf Hindu und Muselmänner angewandt, hatte dort die Wirkung, wie auf unsere deutschen Vorfahren die Gerichte der Römer und die ihnen verhaßten Advocaten. Es erzeugte Entrüstung und Abscheu, und der Indier, an den Druck aller Art unter seinen bisherigen Ueberwindern aus den verschiedensten Stämmen gewöhnt, hielt diesen Druck der Gerechtigkeit für den allerhärtesten und empörendsten. Es waren nicht die Mängel allein, welche auch der Engländer fühlt, und die ihn doppelt treffen: – die Verzögerung; hier um so größer, da jede Rede, jedes Instrument den der Landessprache unkundigen Richtern übersetzt werden mußte, – die theuren Sporteln; in Indien doppelt theuer, da der Engländer sein mildes Klima mit dem kupferbrennenden Firmament Indiens nur für ungeheure Bezahlung vertauscht. Alles ist in Kalkutta theurer, als in London: und der englische Jurist will nicht, 1500 Meilen von seinen Freunden entfernt, und bei einem Thermometer von 96° im Schatten, für dieselben Gebühren arbeiten, als am kühlen Gestade der Themse. Diese gerade sind daher in Bengalen drei Mal so theuer, als in England, und das Volk in Bengalen ist unverhältnißmäßig ärmer, als das englische.

Und doch waren diese beiden Misverhältnisse nur die geringern, verglichen mit der moralischen Beleidigung, die das Gefühl, selbst eines Hindu, bis zur Empörung reizte. Die Sequestrationen und Personalarreste widerstritten ihrer Sitte; namentlich erschien ihnen der letztere als die tiefste Kränkung ihrer persönlichen Ehre. Die bei jeder Gelegenheit geforderten Eidesableistungen waren ihnen nach ihrer Religion noch anstößiger, als den Quäkern. Daß fremde Männer, Gerichtsbeamte in die Zimmer der Frauen eindringen, daß sie es wagen durften, ihnen ins Gesicht zu blicken, ist im ganzen Orient eine Beleidigung, ärger als der Todschlag, und läßt sich nur durch Blut sühnen. Solchen Beleidigungen wurden die angesehensten Familien ausgesetzt. Kurz, die heiligsten Gefühle unserer Natur, das persönliche Ehrgefühl, die weibliche Schamhaftigkeit, die Religion, wurden durch die Neuerung aufs Allertiefste verletzt.

Den Hindu dünkte die unerhörte Anmaßung der englischen Gerichte eine wahre Schreckenregierung. Die Wohlthat der Oeffentlichkeit erschien ihnen im Zauberlichte einer Beschwörung. Und was mochte noch im Hintergrunde lauern? Ueber das schwarze Wasser, wie das Volk in Indien mit geheimem Schauer den Ocean nennt, waren diese fremden Richter herübergeschwommen. Keiner von ihnen sprach die Sprache des Landes; Keiner kannte die Sitten und Gebräuche der Millionen, die ihrer schrankenlosen Autorität preisgegeben schienen. In fremden, unbekannten Charakteren wurden die Verhandlungen niedergeschrieben, in Tönen die Urteilssprüche ausgerufen, die Keiner verstand. Dazu lockten diese Gerichtshöfe bald einen ganzen Schwarm des nichtsnutzigsten Gesindels von Angebern und falschen Zeugen um sich; eine Menschenclasse, welche in Indien, wie wir bereits wissen, mehr als in irgend einem andern Lande gedeiht. Die Gefängnisse füllten sich von schuldig und unschuldig Angeklagten; ja man schleppte angesehene Personen aus den Provinzen dahin, um sich ihrer für den Fall zu versichern, daß eine nur angemeldete Anklage zur wirklichen Untersuchung würde. Den Leidenschaften rachgieriger und habsüchtiger Personen wurde dadurch Thor und Thür geöffnet. Man denuncirte, um zu erpressen. Männer vom höchsten Ansehen, auf diese Weise in den gemeinen Kerker der Verbrecher geworfen, starben dort vor Wuth und Scham, bevor noch ihre Sache zur Untersuchung kam. Die Gerichtsbeamten drangen in die Harems der Mohammedaner; eine Gewaltthat, welche selbst die ärgsten Despoten des Orients, die sich jeden Frevel erlaubt, nicht gewagt. Die Mohammedaner, entschlossener und kräftiger als die Hindu, setzten sich oft gegen diesen unerhörten Frevel zur Wehr, und in mehren Fällen wurde Blut vergossen auf der Schwelle selbst des Heiligthums, ohne doch dasselbe zu schützen.

Ja, es schien, als ob sogar die weichlichen, muthlosen Hindu zur Verzweiflung erwachten. So etwas war nicht geschehen, selbst während der maßlosen Erpressungen unter Vansittart's Gouvernement; die blutigsten Despoten, die grausamsten und wollüstigsten Tyrannen erschienen den tief Gekränkten dagegen als sanfte, humane Regenten. Hindu und Mohammedaner, geschworene, unversöhnliche Feinde, waren in diesem Punkte einig. Beide waren aufs Aeußerste gebracht, und die furchtbaren Mahratten dünkten dem friedlichen Volke von Bengalen minder schrecklich, als die englischen Juristen.

Der Schrei des Entsetzens hallte überall wider. Auch die ältern Beamten der Compagnie, ja alle Engländer als Masse erschraken, protestirten und widersetzten sich. Umsonst: Impey und sein Gericht setzte einen Stolz darein, sich furchtbar zu machen. Wo ein Brite die Eingeborenen vor der willkürlichen Gewalt schützen wollte, ward auch gegen ihn ein Verhaftsbefehl erlassen und er der Widersetzlichkeit gegen die Obrigkeit angeklagt. Vieles ist seitdem in Indien besser geworden, das Regiment ist verhältnißmaßig sanft, die Justiz gut und den Sitten der Orientalen entsprechend verwaltet; auch vergißt der Morgenländer leicht; aber die Erinnerung des Schreckenregiments unter Impey und seinen Richtern durchrieselt noch heut wie eine furchtbare Gespenstererscheinung so Hindu als Mohammedaner.

Dies durfte nicht ferner geduldet werden. Alles stand auf dem Spiel: Ansehen und Autorität der Regierung, das Wohl des Volkes, in der Folge vielleicht die Herrschaft der Briten in Indien. Hastings war in diesem Punkte ganz einig mit dem Rathe. Er hatte das Obergericht zu seinen Zwecken gebraucht und es als ein willfähriges Werkzeug erfunden; er war aber nicht der Mann, der dulden konnte, daß das Werkzeug sich zu seinem Herrscher machte. Mit voller Kenntniß Indiens und der Sitten des Volkes, wußte er, was man ihnen bieten durfte, zu einem bestimmten Zwecke; aber ohne Zweck aus Muthwillen sollte man das Volk nicht reizen, das Freundschaftsband mit Impey war zerrissen. Der Rath operirte offen gegen die Anmaßungen des Gerichts. Er setzte mehre von demselben Gefangene in Freiheit: aber Impey ließ sich dadurch nicht abschrecken. Auch er hatte Lust, einen Hastings zu spielen. In seinem Uebermuthe lud er den Generalgouverneur und den Rath vor seine Schranken, sich zu vertheidigen wegen der eigenmächtigen Freilassung der Verhafteten und anderer Widersetzlichkeiten halber.

Das war zu viel, und es war nahe daran, daß die Gewalt der Waffen zwischen der Regierung und der Justiz aufgerufen wäre. In solchen Krisen aber war Hastings der Mann, der immer mit schneller Entschlossenheit ein Auskunftsmittel an der Hand hatte, welches aus der Verlegenheit half, ohne gerade mit der Moral zu Harmoniren. Er kannte seinen Freund, Sir Elijah Impey, und brauchte statt des Schwerts sanftere Mittel – er bestach ihn.

Durch die Parlamentsacte war der Oberrichter von Bengalen unabhängig von dem Gouvernement, und bezog einen Gehalt von 8000 Pf. Sterling. Hastings machte Impey den Vorschlag, er wolle ihn auch zugleich zum Oberrichter in Diensten der Compagnie ernennen, gleichfalls mit 8000 Pf. Gehalt. Die stillschweigende Bedingung dabei war, daß ihn die Compagnie wieder absetzen könne, wenn er nicht zu ihrer Zufriedenheit verfuhr. Impey griff rasch zu; der Handel war fertig: »Bengalen war gerettet, die Appellation an die Gewalt unnöthig und Sir Elijah Impey reich, zufriedengestellt, willfährig und infam.«

Ueber die Moralität in Impey's Verfahren ist nie ein Zweifel gewesen; seit Jefferies, dem Blutrichter Jacob II., sagen die Engländer, gab es keinen zweiten Oberrichter des vereinigten Königreiches, welcher so schmählich die Würde seines hohen Amtes verrathen hat. Hinsichts Hastings Verfahren sind die Stimmen getheilt. Er handelte als ein kluger, entschlossener Mann, sagen seine Vertheidiger, der eine große Summe einem Unwürdigen hinwarf, um Millionen Menschen vor Unterdrückung und das Land vor einem Bürgerkriege zu bewahren. Der Capitain einer Fregatte, bestimmt zur Verfolgung von Seeräubern, soll sie freilich bekriegen, nicht mit ihnen handeln. Wenn er aber einen Unglücklichen an den Mastbaum gebunden sieht und der wilde Pirat droht ihn zu schlachten, wenn nicht augenblicklich das Lösegeld bezahlt wird, so begeht er um deshalb noch kein Verbrechen, wenn er, um ein Menschenleben zu retten, das Geld zahlt, wo ein offener Angriff von zweifelhaftem Erfolge, das Leben des Gefangenen aber in jedem Falle verloren gewesen wäre.

Anders dachte Philipp Francis. Seinem verbitterten Gemüthe schien es ehrenhafter, ein ganzes Land der Gewalt seiner Unterdrücker zu überlassen, als sich mit ihnen zu verständigen und sie noch für ihre Schlechtigkeit zu bereichern. Er mochte auch nicht mit Unrecht denken, daß es in Hastings Privatinteresse gelegen, einen Mann, wie Impey, dem er so vielen Dank schuldig war, durch Bestechung zum Schweigen zu bringen.

Aber von dem Augenblick an brach der Hader zwischen Francis und Hastings aufs Neue aus und heftiger als zuvor. In jeder Rathssitzung, geriethen sie in Wortwechsel, ohne daß sich immer bestimmen ließe, auf wessen Seite das Recht gewesen. Sie zankten über mündliche Verabredungen, die Jeder von ihnen anders auslegte. In steigender Erbitterung warfen sie sich gegenseitig Schurkerei und Niederträchtigkeit vor. »Ich traue nicht Master Francis Versicherungen, die voll wohlmeinender Gesinnung (candour) duften, rief Hastings einst im Rathe aus – denn er ist wohlmeinender Gesinnung unfähig. Seine Aufführung als Staatsmann beurtheile ich nach seiner Aufführung als Privatmann, und die habe ich ohne Treu und Ehre gefunden.«

Nach Aufbruch der Sitzung erhielt Hastings eine Herausforderung. Der Rath und der Generalgouverneur schossen sich und eine Kugel ging durch Francis Leib. Er ward besinnungslos in ein nächstes Haus getragen; doch war die Wunde nur schwer, nicht tödtlich. Hastings beobachtete alle Formen der Ehre und des Anstandes. Er ließ sich mehre Male nach dem Befinden des Gegners erkundigen und wollte ihn besuchen. Francis lehnte es ab. Er erkenne die Höflichkeit seines Gegners, aber fortan könnten sie nur in der Rathssitzung sich noch persönlich begegnen.


Zwei furchtbare Jahre brachen für die Engländer in Ostindien mit 1781 an. Ohne einen Mann wie Hastings hätte es mit ihrer Herrschaft schlimm ausgesehen. Er hatte durch das Duell sein Vaterland in Gefahr gebracht, Dasselbe in Ostindien zu verlieren, was England in Amerika einbüßte; denn nur sein heller Kopf, seine Thätigkeit konnten es retten.

Und doch kam die Gefahr nicht von daher, wo er sie erwartet, wo er den schlummernden Löwen geweckt hatte, ohne ihn zu überwinden. Die Mahratten waren nicht überwunden, als ein neuer unerwarteter Feind aufstand.

Etwa 30 Jahre vor dieser Zeit hatte ein mohammedanischer Krieger in den Kriegen im Süden von Indien sich einen Namen zu machen angefangen. Er war von niederer Herkunft und seine Erziehung war sehr vernachlässigt. Der Sohn eines Offiziers, der Enkel eines wandernden Derwisch, war er nicht sobald an die Spitze eines Truppencorps gekommen, als er sich als einen Mann erwies, der zum Befehlen und Erobern wie geboren war. Unter allen Häuptlingen Indiens, die dort um Macht und Besitz stritten, war keiner, weder als Feldherr, noch als Staatsmann, ihm zu vergleichen. Er wurde General und Fürst, wie das in den ewigen Revolutionen des Orients so leicht möglich ist, ohne daß es einer gesellschaftlichen Revolution bedarf, die, wie die französische und ihre Folgen, die Grundfesten der Staatenverbände erschüttert. In dem allgemeinen Schiffbruche, der dem Falle des Mogulreiches folgte, hatte er sich aus den Theilen aller möglichen Fürstenthümer und Staaten im Süden Indiens ein Reich erobert und gebildet, das stark und fest war. Er regierte es mit der Strenge, Geschicklichkeit und Wachsamkeit eines Ludwig XI. Unversöhnlich und wollüstig wie ein Despot, hatte er doch mehr Erkenntniß, als der weit unterrichtetere Ali Pascha von Aegypten: er wußte, daß das Glück der Unterthanen die Macht der Fürsten vermehrt. Seine Herrschaft war Willkür und Druck; aber er hatte doch das Verdienst, sein Volk gegen jede andere Unterdrückung, als seine eigene, zu schützen. Er war jetzt sehr alt, aber sein Verstand war noch so klar und sein Geist so kühn, als wäre er noch in der Blüte seiner männlichen Jahre. Dies war der große Hyder Ali, der Gründer des mohammedanischen Königreichs von Mysore. Er war der furchtbarste Feind, den die Engländer jemals in Indien zu bekämpfen hatten.

Die Befehlshaber in der englischen Präsidentschaft Madras waren weder von Hastings' Einsicht, noch Entschlossenheit. Er hätte die Bedeutung eines solchen Mannes erkannt und entweder seine Freundschaft zu gewinnen, oder ihn zu vernichten gesucht. Sie reizten ihn, ohne auf ernsten Angriff vorbereitet zu sein. Plötzlich stürzte der alte Löwe von der Hochebene von Mysore mit einer Armee von 90,000 Mann durch die Schluchten, von wilden Bergströmen gerissen und mit Dschungel überwuchert, in das Seeland herab. Eine Armee, wie kein indischer Fürst eine ähnliche besaß, wohldisciplinirt, mit allem Nöthigen versehen, begleitet von einem Park von hundert Kanonen und von französischen, gut unterrichteten Offizieren geleitet.

Wo Hyder Ali erschien, war er Sieger. Die Sipoys streckten in den britischen Garnisonen vor dem Unwiderstehlichen die Waffen. Einige Forts wurden durch Verrath übergeben, andere öffneten die Thore aus Furcht und Verzweiflung. Schon sahen die Bewohner von Madras am nächtlichen Himmel einen Feuerschein fern im Halbkreis um ihre Stadt. Die schön leuchtenden Villen, in anmuthigen Hainen versteckt, wohin die reichen Bewohner sich nach der Tagesarbeit zurückziehen, wenn der erfrischende Abendwind von der Bai weht, waren von ihren Bewohnern verlassen, denn man hatte schon die schnellen Reiter von Mysore bis an diese Lusthäuser sprengen gesehen. Selbst die Stadt schien Vielen nicht ganz sicher mehr, und die reichen Kaufleute und Beamten zogen sich hinter die Kanonen des Forts St. George zurück.

Ein Schnellsegler brachte diese böse Botschaft in wenigen Tagen nach Kalkutta. In solchen Krisen entwickelte sich Hastings' ganzes Genie. Alle geringen Sorgen mußten zurückstehen, alle kleinen Streitigkeiten wurden vergessen, selbst der Mahrattenkrieg war, so gut es ging, ausgeglichen; denn mit Hyder Ali galt es einen Kampf auf Leben und Tod. Truppen und Munition wurden eiligst nach Madras geschickt. Doch das genügte nicht, so lange ein der Sache nicht gewachsener Offizier dort commandirte. Hastings schritt dictatorisch ein; er setzte den Gouverneur des Forts St. George, der den Krieg so schlecht geführt, ab und sandte den tüchtigen Sir Eyre Coote dahin, indem er ihm die ganze Führung des Krieges übertrug.

Nur Francis, jetzt von seinen Wunden genesen, widersetzte sich im Rathe; die Uebrigen stimmten dem Gouverneur bei, und die Hülfstruppen kamen noch zu rechter Zeit an, ehe die französische Flotte in den indischen Gewässern sich zeigte. Coote war alt und krank, aber noch immer ein geschickter und entschlossener Feldherr. Er hemmte Hyder Ali's Fortschritte, und nach wenigen Monaten sicherte der glänzende Sieg bei Porto Novo auf dieser Küste die britische Herrschaft.

Hastings' Macht und Ansehen stand nun auf dem Gipfelpunkte. Francis war nach Europa zurückgekehrt. Wheeler, schon längst der Opposition müde, stimmte jetzt herzlich gern mit dem gewaltigen Staatsmann. Dieser herrschte unumschränkt im Rathe, von keinen innern Feinden mehr belästigt, aber doch nicht ohne Sorgen. Er mußte einen kostspieligen Krieg im Karnatik gegen die Franzosen und gegen Hyder Ali unterhalten; er mußte Bengalen, das erschöpfte, regieren und doch große Dividenden nach London senden. Woher das außerordentliche Geld nehmen? Den Mogul hatte er geplündert, Glück, Freiheit und Habe der Rohilla verkauft. Woher wieder neues Geld?

Hastings war in diesen Fragen nie in Verlegenheit. Sein Augenmerk war auf das reiche Benares, die heilige Stadt der Hindu, gerichtet. Noch jetzt ist es reich, heilig und sehr bevölkert. Unser englischer Gewährsmann gibt uns aus jenen Zeiten folgende lebhafte Schilderung:

»Man glaubte, daß eine halbe Million menschlicher Geschöpfe in diesem Labyrinth hoher und enger Straßenalleen sich kreuze und winde, die so überreich sind an Heiligenschreinen, Balconen, Minareten und kunstvoll ausgeschnitzten Pfeilern, an denen die heiligen Affen bei Hunderten hingen. Der Fußgänger konnte sich kaum hindurchwinden durch diese verschlungenen Massen heiliger Bettler und nicht minder heiliger Stiere. Auf den breiten und stattlichen Treppenfluchten, die am Ganges zu den heiligen Badeplätzen führten, knieten, rutschten und gingen täglich unzählige Andächtige. Fromme Hindu pilgerten in großen Scharen aus allen Provinzen, wo der Glaube der Brahminen gilt, in die Tempel und Schulen von Benares. Auch kamen Hunderte von Andächtigen in jedem Monat dahin, um zu sterben – denn man glaubte, das Jenseits müsse von besonderer Seligkeit voll sein für Den, der aus der heiligen Stadt in den heiligen Strom sich stürze. Aber nicht Glaube oder Aberglaube allein trieben so Viele in die ungeheure Stadt. Hier blühte ebenso wie die Religion der Handel. Reich beladene Schiffe, ganze Flotten mit Kaufmannsgütern lagen hier vor Anker. Von den Webereien von Benares kam die kostbarste Seide, welche auf den Bällen von St.James und Petit Trianon glänzte. In den Bazars lagen aufgehäuft die Mousseline von Bengalen, die Stahlwaffen von Aude, die Juwelen von Golconda und die Shawls von Kaschemir.«

Ein Hinduprinz war längere Zeit der Besitzer dieser reichen Stadt und deren Umgegend, unter der Botmäßigkeit des zum Schattenkaiser herabgesunkenen Großmoguls. Nach mancherlei Wechsel hatte er sich freiwillig dem Schütze der Engländer unterworfen und zahlte dafür einen bestimmten jährlichen Tribut. Der gegenwärtige Fürst, Scheyte Sing, hatte diesen Tribut immer regelmäßig abgeführt und die Regierung hatte gegen ihn in keiner Art zu klagen.

Aber er war reich und hatte eine sehr reiche Stadt im Besitze, die für ihren Besitzer zur unerschöpflichen Quelle werden konnte; und dies wußte Hastings. In England ist zu jener Zeit mit großer Spitzfindigkeit darüber gestritten worden: in wieweit die Compagnie ein Recht gehabt, den Radscha von Benares noch über seinen contractmäßigen Tribut zu besteuern? Einige betrachteten ihn als einen unabhängigen Fürsten, der sich nur in ein freiwilliges Schutzverhältniß zur Compagnie gesetzt, und von dem man nie mehr hätte fordern können, als wozu er sich im Vertrage verpflichtet. Andere wollten den Vertrag als Unterwerfung betrachten, und die Radscha von Benares wären zur Compagnie in dasselbe Rechtsverhältniß getreten gewesen, als früher zur Dynastie des Tamerlan. Der Großmogul aber konnte von seinen Unterthanen fordern, nicht was Recht war, sondern als orientalischer Despot, was er Lust hatte. Der Streit über den Rechtstitel der Compagnie ist ein sehr müßiger in Anbetracht der damaligen indischen Zustände. Es gab in ganz Indien seit dem Falle des Mogulreiches keine politischen Rechtszustände, keine auf Rechtstitel begründete Verfassung. Die alte Ordnung der Dinge war aufgelöst, eine andere noch nicht gebildet. Es war eine dunkle, verwirrte Uebergangsperiode, wo von Eigenthum nicht die Rede sein konnte, nur vom Besitze. Legitim war Nichts, jede Macht war nur eine ältere oder jüngere, eine schwächere oder festere Usurpation. Jeder hielt sich fest, so gut er konnte, und fühlte er sich stark, riß er noch mehr an sich. Auch war kaum eine Provinz in dem ungeheuern Lande, wie schon erwähnt, wo die wirkliche Herrschaft mit der nominellen vereinigt war. Nur die leeren Rechtsformeln der alten Zustände des Mongolenreiches waren beibehalten worden, wonach die wahrhaft unabhängigen Nabobs sich Statthalter des Moguls nannten; in andern Provinzen waren auch diese Statthalter schon wieder Schattenherrscher geworden, und hier regierte in Wirklichkeit die Compagnie, dort ein erblicher Premierminister, der auch schon wieder zu einer Schattenpuissance zu werden anfing. Ja, vom Himalaya bis nach Mysore hinab war keine einzige Regierung, die es de facto und de jure zugleich gewesen wäre, keine, welche zugleich die physische Macht besessen hätte, sich von ihren Nachbarn geachtet und gefürchtet zu machen, und eine Autorität, die auf Gesetz oder nur einer langen Verjährung beruhte.

Ein solcher Zustand der Dinge war wie eigens geschaffen für einen thätigen Geist, der bei vielem Talente wenig Gewissensskrupel hatte. Bei jedem Zwiste zwischen den ewig in Streit begriffenen Nachbarstaaten hatte Hastings die Wahl, ob er für die de facto- oder de jure- Regierung Partei nehmen wollte, und konnte auf dem Grunde des einen oder andern Rechtes Ansprüche machen und zurückweisen. Welches Princip ihm am meisten Vortheile versprach, welches ihm am bequemsten zu seinem Zwecke war, das ergriff er, ohne sich Sorgen wegen des Vorwurfs der Inconsequenz zu machen. Bald ist in seinen Verhandlungen der Nabob von Bengalen ein bloßer Schatten, bald ein Monarch, dessen geheiligte Rechte er vertreten muß. Wenn die Compagnie eines legalen Titels bedarf, um Einnahmen in Bengalen zu fordern, so wird die Urkunde des Großmoguls mit seinem Siegel darunter zur unverbrüchlichen Autorität; wenn aber der Mogul seine ihm vertragsmäßig reservirte Rente fordert, so sagt man ihm, daß er nur eine Pagode sei, daß die englische Macht auf einem weit andern Grunde beruhe, als auf einer Verleihung von ihm; daß er, so lange es ihm beliebe, seine königliche Rolle fortspielen dürfe, daß er aber keinen Tribut von Denen fordern dürfe, welche die wahren Herren Indiens wären. Wo politische Fragen zweifelhaft sind, entscheidet allein die Gewalt. Alles war zweifelhaft in Indien und nur Das gewiß, daß die Engländer die Gewalt in Händen hatten, ihre Auslegung zur gültigen zu machen.

Scheyte Sing war reich, man vermuthete einen großen Reichthum bei ihm; er sollte zahlen. Man hatte ihn bis da als souverainen Fürsten behandelt; zu diesem Zwecke war es angemessen, ihn jetzt als Vasallen zu behandeln. Ueberdem hatte er während der innern Rechtsstreitigkeiten in Kalkutta dem General Clavering und Francis den Hof gemacht. Hastings ließ keine Beleidigung ungestraft; wenn auch nicht aus angeborener Rachsucht, doch aus Politik. Auch hier konnte den einheimischen Fürsten eine Fortsetzung der Lehre gegeben werden, die schon durch Nuncomar's Beispiel so wohlthätig gewirkt hatte.

Schon 1778 hatte Scheyte Sing beim Ausbruche des Krieges mit Frankreich eine außerordentliche Contribution von 50,000 Pf. Sterling zahlen müssen. Im Jahre 1779 desgleichen. Im folgenden Jahre 1780 wurde die Forderung zum dritten Male gestellt. Er remonstrirte öffentlich, heimlich aber bot er Hastings 20,000 Pf. Sterling für seine Person, damit er von der Forderung ablasse. Hastings nahm sie wirklich und verbarg diese Unterhandlung vor dem Rathe und vor den Directoren; auch hat er niemals einen genügenden Grund für diese Verheimlichung anzugeben gewußt. Nichtsdestoweniger hat er die 20,000 Pf. Sterling, wie erwiesen, in den Schatz der Compagnie gethan und darauf die alte Forderung von 50,000 Pf. Sterling erneuert. Scheyte Sing legte sich nun aufs Bitten und schützte seine Armuth vor. Für den Aufschub dictirte ihm Hastings eine Strafe von noch 10,000 Pf. Sterling und schickte Executionstruppen, das Geld einzuziehen.

Der bedrängte Fürst hatte damals gezahlt; aber jetzt bedurfte es mehr Geldes. Hastings suchte einen Gegenstand zum Streit. Er legte ihm auf, ein Corps Cavaliere zum Dienste der Compagnie zu stellen. Der Fürst weigerte sich; das wünschte gerade der Generalgouverneur. Er konnte ihn nun als einen aufsässigen Vasallen behandeln. Hastings selbst gesteht: »Ich entschloß mich, aus seiner Schuld die Mittel zu schöpfen, um den Verlegenheiten der Compagnie abzuhelfen. Er sollte für seine Person bezahlen und noch schwerer für seine früheren Versündigungen.« Der Plan war einfach der: ihm immer größere Contributionen abzufordern, bis ihm die Geduld ausginge; alsdann dies zu einem Verbrechen zu machen und ihn endlich durch die Confiscation aller seiner Besitzungen zu strafen.

Scheyte Sing fühlte sehr wohl seine üble Lage. Er bot freiwillig 200,000 Pf. Sterling, um Hastings zu versöhnen. Dieser aber forderte 500,000 Pf. Sterling; ja, er dachte daran, auch Benares an Aude zu verkaufen, wie er früher mit Allahabad und Rohilcund gethan. Dies auszuführen, mußte er indeß in der Nähe sein, und begab sich daher selbst nach der heiligen Stadt.

Sechzig englische Meilen kam ihm Scheyte Sing, an der Spitze aller seiner Ehrengarden, entgegen, und verfehlte keine der orientalischen Unterwürfigkeitsbezeigungen, um seine ungeheure Freude an den Tag zu legen, daß er seinen gnädigen Lehnsherrn als Gast empfangen solle. Er nahm sogar seinen Turban ab und legte ihn in Hastings' Schoß, das höchste Zeichen einer exaltirten Servilität. Hastings empfing kühl und verdrossen alle diese Ehrenbezeigungen. Als sie nach Benares gekommen waren, ließ er dem Fürsten eine Schrift mit den Beschwerden und Forderungen der Compagnie zustellen. Scheyte Sing eilte, sich mit allen Ausflüchten eines Orientalen zu rechtfertigen; aber Hastings wollte keine Ausflüchte, sondern Geld. Er ließ den Fürsten in seiner eigenen heiligen Stadt, mitten in seiner bigotten Bevölkerung, einsperren.

Dieses eine Mal scheint es, als habe der kühne Staatsmann nicht mit seiner gewohnten Umsicht gehandelt. Er schätzte entweder die Autorität seines Namens zu hoch, oder das Gefühl der Hindu zu gering. Er hatte die kräftigen Stämme, welche den obern Ganges bewohnen, für dieselben schwächlichen und entnervten Geschöpfe gehalten, wie er sie am Delta des Ganges kennen gelernt. Aus diesen Stämmen aber wurden später die Bataillone der besten Sipoys rekrutirt, und das Volk von Benares liebte seinen Fürsten. Seine Regierung war eine milde gewesen; sein Land blühte und stach vortheilhaft ab gegen das benachbarte Berar unter englischer Herrschaft, noch mehr gegen das Gebiet von Aude unter seinem grausamen Herrscher. Der religiöse Widerwille, mit dem der Engländer durch ganz Indien betrachtet wird, mußte in der Hauptstadt des Brahminenreiches noch um ein Bedeutendes gesteigert sein. Es war daher die erste Regel der Klugheit, daß Hastings, wenn er den geliebten Fürsten eines glücklichen Volkes mitten unter demselben gefangen nehmen wollte, sich mit einer gehörigen Militairmacht versah. Aber die Hand voll Sipoys, die er bei sich hatte, konnten es unmöglich mit der ganzen ergrimmten Bevölkerung von Benares aufnehmen.

Eine unzählige Menschenmenge, die Mehrzahl, wie es dort Sitte ist, bewaffnet, drängte sich um den Palast. Geschrei, Verwünschungen; aus dem Auflaufe ward ein Aufstand, aus dem Aufstand eine blutige Revolution. Ein Gefecht entspann sich und aus dem Gefechte ward eine Metzelei. Die englischen Offiziere fielen, den Degen in der Hand, in der Vertheidigung ihres Gouverneurs; die Sipoys, treu ihrer Pflicht, wurden sämmtlich niedergehauen. Während die Thore von den Tumultuanten gesprengt wurden, gelang es dem Fürsten, seinen Wächtern zu entkommen bis an den hohen Rand des Ganges. Hier knüpften ihm seine Getreuen aus ihren Turbanen eine Strickleiter und er ließ sich zum Fluß hinab, wo ein Boot seiner wartete und ihn an das jenseitige Ufer des Ganges brachte.

Hastings machte den Fehler, welchen er begangen, als er ohne gehörige Macht ein so gewagtes Unternehmen begann, durch die Entschlossenheit und das Geschick wieder gut, mit welchen er sich in seiner verzweifelten Lage benahm. Mit nur etwa 50 Mann vertheidigte er sich in dem steinernen Gebäude, wo ihn die Tumultuanten eingeschlossen hatten, gegen alle Angriffe, ohne nur einen Augenblick den Muth zu verlieren. Der Radscha von Benares, weit entfernt, auf das augenblickliche Gelingen des Volksaufstandes zu trotzen, an dem er so unschuldig war, beeilte sich sogar, bei dem Generalgouverneur deshalb um Entschuldigung zu bitten, und versprach alles Mögliche, er, der Sieger, dem Gefangenen. Aber Hastings gab nicht einmal darauf eine Antwort. Einige kühne und in dergleichen Dingen gewandte Eingeborene, vermuthlich mitgebrachte Bengalesen, unternahmen es, sich durch die Belagerer zu schleichen und Botschaften von ihm an die Seinigen zu bringen. Der Hindu trägt in der Regel große, goldene Ohrringe; aber auf Reisen nimmt man sie, aus Besorgniß vor Räubern, aus und steckt dafür, damit die Ohrlöcher nicht zusammenschließen, Papierrollen hinein. Hastings ließ die Boten seine Briefe auf diese Weise transportiren. Dreierlei Botschaften und Schreiben sandte er fort; die einen an die Befehlshaber der Truppen, mit der Anweisung, wie sie operiren sollten; die andern an seine Gattin, mit der Versicherung, daß er wohl und guten Muthes sei, sie sich deshalb nicht um ihn ängstigen solle; die dritten an seine Geschäftsträger und Unterhändler bei den Mahratten, mit den allergenauesten Instructionen, so bestimmt, fein und diplomatisch abgefaßt, als sei dieser Krieg seine einzige und Hauptfrage gewesen und er in vollkommener Freiheit und Muße, um über die wichtige Frage nachzudenken.

Dennoch wollten seine Angelegenheiten noch keine glückliche Wendung nehmen. Ein mehr beherzter als erfahrener englischer Offizier drang unbesonnen auf dem jenseitigen Ufer des Ganges in die Stadt ein, und fiel mit einem großen Theile seiner Leute im Gemetzel in den engen Straßen. Die übrigen Truppen mußten die Flucht ergreifen.

Das unbedeutende Scharmützel wirkte elektrisch auf die Bevölkerung im weitesten Umkreise. Die Macht des Gerüchtes, überall groß, ist furchtbar in Indien. Das alte Gleichniß hinkt, um seine Schnelligkeit dort zu beschreiben. Nicht allein Benares, auch die Nachbarländer standen auf; in Bahar erhob sich das Volk in Masse; das von Aude rüstete sich, die Fesseln seines tyrannischen Nabob abzuschütteln. Die Bauern verließen den Pflug und ein großes Kriegsheer sammelte sich um Scheyte Sing, den so viel Glück, so viel Jubelruf aus seiner verzagten Sanftmuth aufrüttelten. Statt noch als ein demüthiger Vasall um Gnade zu bitten, redete er jetzt die Sprache eines Siegers und drohte, wie man behauptet vor seinen Getreuen, die weißen Eroberer ganz aus dem Lande zu treiben. Es war ein kurzer Siegesrausch. Die Engländer waren bald gesammelt; auch in ihnen glühte die Begeisterung, ihren hochgeehrten Befehlshaber – Hastings war bei den Offizieren, wie bei den Gemeinen beliebt, ein seltener Fall für einen Civilbeamten und Staatsmann – zu befreien und die Schmach zu rächen. Ein wackerer Offizier, der Major Popham, der sich schon im Mahrattenkriege ausgezeichnet, befehligte die Armee. Es bedurfte nur einer Schlacht, wo europaische Taktik das orientalische Feuer der zahlreichen Feinde überwältigte, um das ganze Heer auseinander zu sprengen und damit der Revolte ein Ende zu machen. Die Soldaten des Radscha waren verschwunden und ackerten wieder auf den Feldern. Der unglückliche Fürst floh aus dem Lande, um nie wieder zurückzukehren, und Benares ward englische Provinz; nur daß man einen Seitenverwandten Scheyte Sing's dem Namen nach als Radscha einsetzte. Er ward ein Pensionair der Compagnie, wie der Nabob von Bengalen.

Der britische Staat in Ostindien gewann dadurch eine Jahresrevenue von 200,000 Pf. Sterling; aber die Beute war nicht so groß, als man gehofft. Der Schatz des Nabob betrug, statt einer Million, nur 250,000 Pf. Sterling, die noch dazu als Beutegelder unter die Armee vertheilt werden mußten.

Aber Hastings brauchte mehr Geld. Er wußte, wo es zu finden war. In Aude war dem Nabob Sudscha Daula sein Sohn, Asaph-ul-Daula, gefolgt, einer der schwächsten und lasterhaftesten Regenten, selbst unter orientalischen Fürsten. Sein Hof war ein großer Sündenpfuhl, sein Reich eine Aneinanderhäufung von Elend und Unordnung. Unter den geschickten Manoeuvres der englischen Gewalthaber war er aus einem freien Fürsten allmälig ein abhängiger Vasall geworden. Er selbst hatte die Englander um eine Brigade bitten müssen, um sich vor seinen Nachbarn und seinen eigenen, getretenen und ausgesogenen, Unterthanen zu schützen. Jetzt waren ihm die fremden Soldaten zur Last; er mußte sie beköstigen und bezahlen; auch fühlte selbst er, daß es mit seiner Unabhängigkeit aus war. Er klagte über die Last; er könne seine eigenen Diener nicht mehr bezahlen, so viel zehrten die fremden Söldlinge. Hastings erwiderte, er selbst habe ja die Truppen gefordert, er habe sich also auch nicht über ihre Anwesenheit zu beklagen; er selbst habe sie zu bezahlen sich erboten; was er denn wolle? Wie lange die Truppen im Lande bleiben sollten, sei freilich nicht ausgemacht; das müsse nun zwischen beiden Theilen entschieden werden; aber die beiden Theile waren verschiedener Meinung, und in diesem Conflict hatte – der Stärkere zu entscheiden. Hastings' Grund für Belassung der Truppen war, daß Aude, wenn er sie zurückziehe, eine Beute der Mahratten werden müsse.

Er beschloß, selbst einen Besuch in Luknow, der Hauptstadt von Aude, zu machen. Die Besuche des Generalgouverneurs waren gefährlich. Eiligst kam ihm der Nabob, an der Grenze seines Reiches schon, mit allen Ehren entgegen. Sie trafen auf einer der hohen Felsburgen des Ganges zusammen.

Hier ward unterhandelt. Wer konnte absehen, daß sie zu einer Einigung kommen würden? Hastings kam, um noch mehr Geld zu fordern, Asaph-ul-Daula, um Erlaß von den schon schweren Geldleistungen sich zu erbitten. Und dennoch einigten sie sich. Ein erfinderischer Genius, man weiß nicht wessen, fand ein Auskunftsmittel, was beide Theile zufriedenstellte. Beide nämlich kamen überein, Dritte zu berauben.

Diese Dritte warm zwei hülflose Weiber, die nächsten Verwandten des einen der beiden Theile. Sudscha Daula, der Vater des jetzigen Regenten, hatte eine Witwe und eine Mutter hinterlassen, die Begum's oder Prinzessinnen von Aude, welche bei seinen Lebzeiten großen Einfluß auf ihn geübt. Der Nabob hatte ihnen große Besitzungen, um fürstlich zu leben, hinterlassen. Auch war der ganze Schatz, den er bei Lebzeiten gehäuft, in ihren Händen – nach der Sage betrug er gegen drei Millionen Pfund Sterling, und sie waren in dem anmuthigen Fyzabad, seiner ältern Residenz, wohnen geblieben.

Asaph-ul-Daula war der Sohn und Enkel beider Frauen. Schon hatte er seiner Mutter beträchtliche Summen abgepreßt; ja sie hatte sich, um Schutz vor ihrem Sohn zu erlangen, an die Engländer wenden müssen, und durch deren Vermittelung war damals festgesetzt, daß sie ihm jährlich eine Pension zahlen solle, er dagegen verspreche, nie mehr seine Mutter mit ähnlichen Erpressungen zu behelligen. Dieser seltsame Vertrag war feierlich durch das Gouvernement von Bengalen garantirt worden; aber das Gouvernement brauchte jetzt selbst Geld, und die Prinzessinnen hatten Geld – viel Geld.

Der Beschluß war kurz gefaßt: Mutter und Großmutter sollten das Geld hergeben, welches Hastings vom Sohne forderte, und der Sohn war damit völlig einverstanden. Nur bedurfte es eines scheinbaren Vorwandes, um confisciren zu können; denn daß der Sohn eine Mutter und Großmutter verräth und plündert, gilt selbst unter den Despoten des Orients für eine ruchlose Handlung. An einem Vorwande fehlte es Hastings niemals. Der Aufstand in Benares hatte auch in Aude Unruhen hervorgerufen. Man schrieb die Veranlassung und Begünstigung den beiden Prinzessinnen zu. Beweise gab es nicht dafür, nur vague Gerüchte, die man aber in Indien auch machen kann. Die beiden hohen Damen wurden weder förmlich angeklagt, noch erlaubte man ihnen, sich zu vertheidigen; denn Hastings schloß sehr weise, wenn er eine ordentliche Untersuchung über sie verhänge, würde er keinen Grund finden, sie zu plündern. Man war vielmehr zu einem summarischen Verfahren übereingekommen: Hastings confiscirte die Ländereien und den Schatz der Prinzessinnen, und zur Vergeltung für diese Gefälligkeit Seitens des Fürsten, Sohnes und Enkels, entließ ihn der Gouverneur aller Verbindlichkeit gegen die Compagnie.

Oben auf der Felsenburg war Asaph-ul-Daula mit diesem Arrangement ganz zufrieden. Hastings' klarer Geist, sein durchdringendes Auge hielt ihn beherrscht. Nach Luknow unter die Seinen zurückgekehrt, schlug selbst diesem verwüsteten Despoten das Gewissen. Er wagte Gegenvorstellungen zu machen. Als Executor gegen die eigene Mutter und Großmutter aufzutreten, war doch zu viel gefordert; auch mochte er sich besinnen, daß, was er den beiden Prinzessinnen abpresse, ihm selbst verloren gehe. Der englische Resident am Hofe von Luknow, Hastings' treuer Diener, fühlte sich gedrungen, ebenfalls seine Bedenken zu äußern. Der Gouverneur verwies ihn kurz und kalt auf seine Pflicht. Er drohte, wenn ihm der Auftrag misfiele, werde er selbst nach Luknow kommen und ihm zeigen, wie man Befehle auszuführen habe, vor denen nur ein weibisches Gemüth sich entsetze. Der Resident mußte nun vor dem schwankenden Fürsten eine Sprache führen, gegen die sein Herz sich sträubte. Assaph mußte nachgeben; aber er legte zugleich einen feierlichen Protest ein gegen die Handlungsweise; nur gezwungen willige er ein.

Die Güter der Prinzessinnen wurden augenblicklich besetzt; aber ihren Schatz konnte man nicht auf so leichte Weise erhalten. Man schritt zur Gewalt. Truppen der Compagnie marschirten nach Fyzabad, belagerten den Palast, brachen die Thore ein und nahmen die edlen Damen gefangen. Sie wußten Nichts von einem Schatze; sie wollten schon Alles hergegeben haben.

Hastings mußte Geld haben. Er scheute das Aergste nicht. Das Aergste war der Nachruf der That, welche noch heute den britischen Namen in Indien verunglimpft.

Die Prinzessinnen waren Frauen; gegen ihre Person konnte man, auch mit Hastings' Grundsätzen, nicht wie die Eroberer Perus und Chiles gegen die Könige und deren Minister verfahren. Aber sie hatten Vertraute, getreue Rathgeber, die wahrscheinlich mehr wußten, als ihre Herrinnen. Es waren zwei Verschnittene, alte treue Diener des Hauses, eingeweiht in alle Geheimnisse der Politik, des Harems, des Schatzes. Diese beiden Männer wurden, auf Befehl des Gouverneurs, ergriffen, ins Gefängniß geworfen, in Ketten gelegt und – starben in ihren Kerkermauern beinahe des Hungertodes, um keiner andern Anschuldigung willen, als weil sie nicht angeben wollten, wo der Schatz lag. Zwei Monate schmachteten sie schon; ihre Gesundheit schwand dahin. Sie baten, daß man sie nur im Garten des Gefängnisses etwas frische Luft schöpfen lasse. Der englische Offizier, welchem ihre Bewachung anvertraut war, verbürgte sich dafür, daß sie nicht entfliehen könnten; er stellte auch vor, daß die Eisen an den wunden Armen und Füßen der Unglücklichen ganz unnütz wären. Er hatte schlecht den Willen seiner Obern verstanden. Es kam nicht darauf an, die Gefangenen zu sichern, sondern sie durch lange Qualen zum Geständniß zu bringen. Alle Vorschläge, ihre Lage zu mildern, wurden kurz abgeschlagen.

Und doch war dies noch nicht das Aergste. Der englische Gouverneur übernahm die Rolle der spanischen Eroberer in Amerika. Beschlossen ward vom englischen Gouvernement, beide schwache, alte Männer sollten der Tortur überliefert werden. Sie wurden deshalb nach Luknow gebracht. Was ihnen dort widerfuhr, ist, bei der Art, wie der spätere Criminalproceß gegen Hastings geführt und entschieden worden, nicht mit Gewißheit ermittelt. Aber ein schriftliches Document existirt in den Parlamentsacten, das Schreiben eines britischen Residenten an einen britischen Offizier. Sein Inhalt spricht für sich selbst:

»Mein Herr! da der Nabob entschlossen ist, eine körperliche Züchtigung gegen die in Ihrer Obhut befindlichen Gefangenen zu verhängen, ist es wünschenswerth, daß man seinen Offizieren, wenn sie sich melden, freien Zutritt zu den Gefangenen gestatte und sie Das thun lasse, was ihnen angemessen scheint.«

Hier fällt der Vorhang; aber nicht allein in Luknow, auch in Fyzabad wurde gefoltert; nur in feinerer Weise. Die eingesperrten Prinzessinnen und ihr Haushalt erhielten die nothdürftigsten Lebensmittel in so geringer Quantität, daß die Hofdamen, selbst bei der bekannten orientalischen Mäßigkeit im Essen, beinahe verhungerten, um nur ihre Fürstinnen satt zu machen! Diese Hungercur in Fyzabad scheint mehr angeschlagen zu haben, als die schärfere Tortur in den Folterkammern zu Luknow. Die unglücklichen Prinzessinnen ließen sich ein Lak Rupien nach dem andern erpressen. Als sie endlich 1,200,000 Pf. Stelling von sich gegeben, schien Hastings der Meinung, er sei bis auf den Grund ihres Schatzes gedrungen. Ihr Gefängniß wurde geöffnet, und auch die noch unglücklichen Geschöpfe in Luknow erhielten ihre Freiheit wieder. »Als die Eisen ihnen abgenommen wurden und sie, hager, blaß, mit zitternden Gliedern, Thränen im Auge, niederstürzten, dem Gott der Moslem und der Christen zu danken, konnten sich die rauhesten englischen Soldaten selbst der Thränen nicht erwehren.«

Der oben erwähnte Biograph des Menschen und Staatsmannes Hastings, ein anglikanischer Geistlicher, Mr. Gleig, nennt »die Sentimentalität überaus lächerlich und elend, welche die Erhaltung des britischen Indiens mit diesem bischen körperlicher Leiden in Vergleich bringen kann; Schmerzen, die doch nur so lange dauerten, als die Dulder sich eigensinnig weigerten, die Schätze herauszugeben, welche ihre Fürstinnen verwirkt hatten«! Also auch die Folter findet noch im heutigen England Vertheidiger, und unter den Geistlichen der vollkommensten Form der protestantischen Kirche, die uns zum Muster dienen soll, der anglikanischen! – Andere Engländer nennen diese That Warren Hastings' einfach ein Verbrechen gegen das Völkerrecht, die Politik, die Humanität, eine infame That des großen Staatsmannes. Doch verbrachte er sie nicht ganz allein.

Sir Elijah Impey war, wie angelockt vom Geruch der Foltern und Erpressungen, nach Luknow geeilt und hatte unterweges alle möglichen Denunciationen der Eingeborenen gegen die Begum's mit beiden Händen in Empfang genommen, ohne sie zu lesen; er verstand weder Persisch, noch Hindostanisch. Er nahm nun in Hast den Denuncianten den Eid ab, und nachdem dies Geschäft vollbracht war, kehrte er eiligst nach Kalkutta zurück. Weder hatte der Oberrichter von Bengalen ein Recht, über angebliche Kriminalfälle in Aude zu sprechen, noch waren diese Zeugnisse gültig, noch maßgebend, da man weiß, was Zeugnisse der Eingeborenen bedeuten, die von den Mächtigen gewünscht werden, noch benutzte sie Hastings beim Gericht, da gar kein Gericht gehalten wurde; es war nur eine Demonstration, welche der bösen That einigermaßen einen Schein vor dem großen Haufen geben sollte, wenn es hieße: der Oberrichter selbst ist hingereist und hat die Zeugen verhört und vereidet; wer darf noch zweifeln, daß es in der Sache mit Rechten zugegangen? Hastings selbst hütete sich aber, die Sache mit dem Recht, auch nur den leeren Formen desselben, in Berührung zu bringen.

Es war Impey's letzter Act. Er wurde von der Compagnie zurückgerufen. Er sollte auf einen Antrag der Gemeinen Rechenschaft über seine Vergehen ablegen. Ob und welche Strafe über ihn verhängt worden, ist uns unbekannt. Dem letzten Gerichte auf dieser Welt ist er indeß verfallen und verurtheilt, ohne sich vertheidigen zu können. Nie, sagt der Engländer, ist seit der glorwürdigen Revolution der Richtertalar so entwürdigt worden, als durch ihn.


Auch Hastings' thatenreiche Laufbahn in Ostindien nahte sich ihrem Ende. Im Parlamente war seine willkürliche, tyrannische Handlungsweise mehrfach zur Sprache gekommen und hatte zu lebhaften Debatten Anlaß gegeben. Seit der Beendigung des amerikanischen Krieges fand man im Unterhause mehr Muße, die indischen Angelegenheiten wieder in Erwägung zu ziehen, und zwei Committee's, an deren Spitze Edmund Burke und Henry Dundas, damals Lordadvocat von Schottland, standen, untersuchten mit unparteilicher Strenge.

Das Ministerium stand in dieser Sache ganz parteilos da. Die Minister hatten keine Ursache, die Misbräuche in Ostindien, die nicht von ihnen ausgingen, noch von ihnen unterstützt waren, zu vertheidigen. Im Gegentheile lag es eher in ihrem Interesse, wenn die schlechte Verwaltung durch die Beamten der Compagnie in grelles Licht gestellt werde, um die Möglichkeit vorzubahnen, das ungeheure orientalische Reich unter ihre eigene Controle zu bringen. Auf Antrag beider Committee's waren daher Vota im Hause durchgegangen, welche die ganze ernste Entrüstung einer gesitteten Nation über schreiende Unbill athmeten. Namentlich wurde der Rohillakrieg aufs Bitterste getadelt. Auf Dundas' speciellen Antrag wurde die Compagnie aufgefordert: einen Generalgouverneur zurückzuberufen, welcher solches Elend über Indien gebracht und dem britischen Namen im Orient solche Unehre. Zugleich ging ein Gesetz durch, welches die Gerichtsbarkeit des obersten Gerichtshofes beschränkte, und bei den Verhandlungen erfolgten die bittersten Ausfälle gegen den zwischen Impey und Hastings getroffenen Pact.

Aber die Stockinhaber der ostindischen Compagnie wollten ihren Hastings nicht zurückrufen. Sie beriefen sich auf ihr allerdings unbestreitbares Recht, daß nur sie berechtigt waren, ihren Gouverneur ein- und abzusetzen, und kein anderer Zweig der gesetzgebenden Gewalt.

So blieb denn Hastings noch bis zum Frühjahre 1785 an der Spitze der Geschäfte. Seine Verwaltung, welche so stürmisch angefangen, ging vollkommen ruhig aus. Die Opposition im Rathe war längst verstummt. In Indien war Friede. Der Mahrattenkrieg hatte aufgehört, ohne eigentlich beendet zu sein. Hyder Ali war todt; mit seinem Sohne Tippu Saib hatte die Compagnie einen Vertrag geschlossen. Aus dem Karnatik waren die Truppen des Herrschers von Mysore vertrieben, und England hatte seit dem Schluß des amerikanischen Krieges keinen europäischen Feind und Nebenbuhler mehr im Orient.

Nach einer dreizehnjährigen Regierung, von einer Wirksamkeit, umgeben von einem Glanze, wie kein englischer König sich einer ähnlichen rühmen können, kehrte der Regent des Orients nach England zurück, wohin er die geliebte und von ihm hochverehrte Gattin, deren Gesundheit sich nicht mehr mit dem Klima vertragen wollte, einige Monate vorausgesandt hatte. Als seine Abreise ruchbar wurde, beeilte sich Alles in Bengalen, ihm Zeichen seiner Hochachtung zu geben. Der Palast wurde mit Adressen überhäuft, von Europäern und Asiaten, von Civilbeamten, Militairs und Kaufleuten. Am Tage seiner Abreise bildeten seine Verehrer zwei lange Gassen, vom Palast bis zum Quai, viele Barken folgten dem Schiffe im Hugly, und einige Freunde wollten ihn erst mit dem Lootsen verlassen, der nach der Küste zurückfuhr.

Hastings ahnete nicht, nach diesem glänzenden Abschiede, was seiner in England warte. Wohl wußte er von den Anträgen im Parlamente, von Feinden, daß aber ein Proceß erfolgen werde, bestimmt, seinen Namen noch berühmter zu machen, als seine Thaten, der das gerade Widerspiel werden sollte seiner glänzenden Regierung, das konnte er nicht ahnen, noch ahnete es irgend Jemand; auch seine Ankläger selbst nicht. Ein Reich hatte er den Briten erobert, gefestigt, größer als ihres, Talente des Regiments entwickelt, die seine Feinde selbst in Erstaunen setzten, seine mächtigen, beredtsamen, eigensinnigen Feinde niedergeschlagen und Schätze nach Europa gesandt, so viele, als selbst die Habgier der Compagnie nicht zu fordern gewagt. Er war ein Mann im Anfange der Fünfziger, in seiner vollen physischen und moralischen Kraft, sein Name glänzend, seine Abkunft edel, sein Beitritt mußte jeder Partei in einem constitutionellen Staate willkommen sein. Was durfte er Anderes erwarten, als einen Baronentitel, Aufnahme in die Pairie, Eintritt ins Ministerium, selbst vielleicht berufen zu werden, eins zu bilden? In voller Seelenruhe machte er die besonders kurze Ueberfahrtsreise von Kalkutta nach Plymouth, mit Uebersetzung Horazischer Oden sich beschäftigend.

Auch schien sein erster Empfang seine Erwartungen zu rechtfertigen. Bei Hofe, von den Directoren der Compagnie ward er mit Auszeichnung aufgenommen. Der König war besonders gnädig, noch gnädiger die Königin, welche, sonst von großer, fast prüder Sittenstrenge gegen Damen, denen der Ruf irgend etwas nachsagte, Hastings' Gattin mit zuvorkommender Gnade aufgenommen hatte und bei sich sah. Die Directoren empfingen ihn in einer feierlichen Sitzung; der Präsident las ihm eine Dankvote, die einstimmig angenommen war, und noch ein Vierteljahr nach seiner Ankunft konnte Hastings an seine Freunde schreiben: alle Anzeichen sagen mir, daß ich die Stimme des ganzen Publicums für mich habe. Und doch hatte Burke schon acht Tage nach seiner Landung im Unterhause angekündigt, daß er eine Motion beabsichtige, welche sehr ernsthaft einen kürzlich aus Indien zurückgekehrten Gentleman betreffe.

Hastings war, wie gesagt, noch in voller männlicher Kraft, im Besitz seiner ganzen geistigen Thätigkeit, seiner Klarheit, Schlauheit und Energie; aber Jemand sagte von ihm, eine Eiche dürfe nicht mehr im fünfzigsten Jahre verpflanzt werden. England war ihm fremd geworden. Das repräsentative System, der Kampf der Parteien, die Macht der Presse waren ihm, der an eine despotische Macht gewohnt war, wieder neue Dinge geworden. Er konnte sich nicht hineinfinden. Wohl wußte er, daß er hier nicht zuschlagen und hineingreifen dürfe, wie in Indien, wo der Erfolg jede gewaltsame Maßregel rechtfertigte; aber auch seine Schlauheit betrog ihn. Mit guten Karten spielte er ein schlechtes Spiel, und seinen eigenen Irrthümern konnte er es zum guten Theil mit beimessen, daß er an den Rand des Verderbens gerieth. Sein erster und größter Fehler war die Wahl seines Advocaten. Statt unter den juristischen Notabilitäten des Parlaments zu wählen, hatte er einen Major Scott, der in der bengalischen Armee gedient, schon früher zu seinem Agenten ernannt. Dieser leitete auch späterhin seine Angelegenheiten und seine Verteidigung, Das Publicum glaubte zu wissen, daß Scott außerordentlich gut dafür bezahlt werde, mit größern Summen, als Hastings füglich zurücklegen konnte, was seinen Credit schwächte; dann aber sprach dieser Vertheidiger stets mit vollen Backen, in den Zeitungen, den ins Publimm geschleuderten Brochuren und vor dem Parlament. Er verteidigte Alles, lobte Alles, wollte gar Nichts zugeben, um mehr Glauben für das zu finden, was er bestritt, und – war mit seiner Aufdringlichkeit, mit der Art, wie er jedes Gespräch auf Hastings zu wenden wußte, bald lästig, ja lächerlich geworden.

Und doch hatte Hastings die günstigsten Aussichten für sich. Der König, der Hof, die Directoren und Beamten der Compagnie waren für ihn; im Publicum viele der ausgezeichnetsten und angesehensten Männer und zum großen Theil auch das Ministerium, an dessen Spitze der junge William Pitt stand. Diese Gunst war gerade keine persönliche; sie hatte vielmehr in der Sachlage ihren Grund und eigene Bewandtniß. Das Ministerium, unter dem Namen der Coalition, dessen Seele Charles Fox, Pitt's großer Gegner, gewesen, hatte bekanntlich eine Ostindienbill eingebracht, welche eine ganz eigene ministerielle Zwischenmacht zwischen Volk und König gegründet hatte, indem sie den Ministern allein die Gewalt über die indischen Angelegenheiten zuwenden wollte. Publicum, Compagnie und König waren auf gleiche Weise dagegen aufgestanden, und obgleich sie schon im Unterhause durchgegangen war, fiel sie im Oberhause, vermöge der directen Intervention Georg III. In Folge Dessen mußte das Ministerium abdanken und das gegenwärtige war zur Macht gelangt. Fox und die Seinen hatten als Hauptgrund für die Ostindienbill die Greuel in Indien unter Hastings hervorgehoben. Die Bekämpfer der Bill hatten das natürliche Interesse, diese Greuel geringer darzustellen. So durfte Pitt, welcher damals gesagt, es sieht nicht so arg dort aus, daß die Ostindienbill nöthig wäre, nicht jetzt sagen, es sieht so arg aus, also ist eine Untersuchung nöthig. Andere Mitglieder des Ministeriums waren noch entschiedener gegen eine Anklage. Durch einen sonderbaren Zufall befand sich aber in demselben jetzt einer Derjenigen, welche am heftigsten die Resolutionen gegen Hastings durchgesetzt hatten, Henry Dundas; aber unter neuen Alliirten hatte er neue Ansichten gewonnen, oder bequemte sich zu ihnen. Auch er war Hastings nicht mehr entgegen.

Nur die Beschlüsse des Unterhauses, welche sein Verfahren einem Tadel unterwarfen, bestanden noch in Gültigkeit, und diese waren es allein, wie Pitt gegen den Major Scott versicherte, welche die Regierung hinderten, dem großen indischen Staatsmann einen Platz unter der Pairie des Landes einzuräumen.

Vom Ministerium also hatte Hastings im Ganzen sich nur Gutes zu versehen, und das Ministerium war sehr mächtig. Nur die Opposition war gegen ihn; sie hatte die ersten Talente, die reichsten, ausgezeichnetsten Männer in ihren Reihen – eine Opposition, wie sie England nicht wieder gesehen – aber sie war immer in der Minorität und im Lande nicht beliebt. Auch war sie nicht so ganz besonders zu einer Klage gegen den Generalgouverneur von Indien aufgelegt, weil der Proceß Jahre währen durfte und auf die Schultern ihrer Führer eine ungeheure Last bürdete, ein Sieg darin aber noch kein politischer Sieg war. Die Opposition hatte wohl Lust, den tyrannischen Mann mit Schmach und Tadel zu überhäufen, aber nicht gerade ihn gerichtlich zu verfolgen. Der Witz ergoß sich in reicher Fülle gegen ihn, unter Andern auch über die reichen Geschenke, welche er dem König und der Königin überreicht. Ein muthwilliger Dichter schlug vor, die unsterblichen Thaten des gegenwärtigen Gemahls der schönen Mariane sollten durch den Pinsel des früheren Besitzers derselben verewigt werden. Baron Imhoff möge den Auftrag erhalten, das Haus der Gemeinen mit Wandgemälden zu zieren, darstellend die Metzelei unter den Rohilla, Nuncomar am Galgen hängend, und wie Scheyte Sing sich in den Ganges herabläßt. Ein Anderer schilderte die furchtbare Diamanten- und Juwelenpracht, in welcher Mistreß Hastings bei Hofe erschienen, Geschmeide, was sämmtlich den Prinzessinnen von Aude vom Nacken, Arm und Füßen gerissen worden. Solcherlei satirische Angriffe hatten der Mehrzahl in der Opposition genügt; vielleicht daß sie noch eine erneute Note des Tadels gegen den ehemaligen Gouverneur erfordert haben würden, um die Sache abzuthun. Aber zwei Männer waren damit nicht zu befriedigen, Philipp Francis und Edmund Burke. Sie Beide waren die Seele der durch ihre Heftigkeit und Hartnäckigkeit beispiellosen Verfolgung.

Man hat oft nach den Motiven gefragt; Francis' Charakter antwortet für sich selbst. Er war vor Kurzem erst ins Parlament getreten; er hatte bereits durch seinen Fleiß und sein Talent Beachtung erweckt, obwol er kein Redner war, dem die Worte flossen und der mit sich hinriß; aber bei Gelegenheiten sprach er mit Würde und Kraft. Er war ein häßlicher, verbitterter Charakter und hielt seinen Haß gegen das Schlechte für Tugend; ihn dünkte es Pflicht, den Ingrimm gegen Den, welchen er hassen zu müssen glaubte, statt zu unterdrücken, noch zu pflegen, und, um seiner verbitterten Stimmung noch mehr Nahrung zu geben, war er von Pitt verächtlich im Parlamente behandelt worden.

Anders war es mit Burke. Auch bei ihm hat man sich Mühe gegeben, für den Feuereifer, mit dem er Hastings verfolgte, nach besondern, persönlichen Motiven zu suchen. Er habe früher einen Privatstreit mit ihm gehabt; die Sache ist völlig widerlegt. Er habe aus Parteienwuth gehandelt, weil Fox' Coalitionsministerium durch die Anstrengungen der Compagnie gestürzt worden. Er habe es aus Eitelkeit gethan, um, ein anderer Cicero, durch neue Berrinische Reden die Welt in Erstaunen zu setzen.

Diese Gründe sinken in ihr Nichts zusammen, wenn man Burke's Charakter und Leben verfolgt. Das Parteiinteresse wich zurück, wenn ein großer Gedanke, die Ueberzeugung für Recht und Tugend in ihm aufloderte. So trennte er sich von den Freuden seines ganzen Lebens, als er die Ueberzeugung gewann, daß die französische Revolution ein Werk des Satans sei. Die Alltagsmenschen jener Zeit, die einen solchen Umschwung nicht begreifen konnten, erklärten ihn für von der Krone bestochen.

Wo waren die Schätze der Erde, um einen Burke zu bestechen? Es gab nur eine Potenz, die diesen großen, tugendhaften Mann bestach, – seine Phantasie. Schlug sie zur Flamme in ihm auf, so verzehrte sie in dem großen Dichterredner – denn das war er mehr als ein großer Staatsmann – die andern Kräfte, die in geringerm Maße da waren, die Umsicht, Ueberlegung, die klare Erwägung der Verhältnisse.

Seine Seele wurde ein Feuerstrom, der Alles mit sich fortriß, auch ihn selbst. Er war zum Ankläger geboren, nicht zum Angeber; aber zum Ankläger aller Schlechtigkeiten, die Staat und Nationen in seinem Sinne an den Rand des Abgrundes führten. In allen diesen Anklagen ging er zu weit; aber er konnte nicht anders.

Sein ganzes politisches Leben ist eigentlich ein fortgesetzter Anklageproceß, nur mit drei großen, verschiedenen Momenten. Er verklagte vor der Nation und der Welt das britische Ministerium, welches durch falsche, engherzige Maßregeln den Abfall Amerikas bewirkt, und sein Feuereifer erhob sein Rednertalent zu einer im Parlamente nicht gesehenen Höhe.

Er galt für den wahren, begeisterten Vorkämpfer der Freiheit. Und doch verirrte er sich in diesem Eifer weit hinaus über den Begriff der Freiheit, welcher in ihm selbst, wenn er bei ruhigem Zustande sich befragt hätte, zum Bewußtsein geworden; und ebenso hat schon die nächste Zeit anerkannt, daß er in diesem Eifer gegen das damalige Ministerium weit über das Maß zu rechtfertigender Anschuldigungen hinausging.

So riß ihn seine Phantasie hin, entzündet von den pariser Blutbildern, welche seine tugendhafte Seele erschütterten, zu einer Anklage gegen die französische Reoulution, die auch alles Maß eines Politikers und besonnenen Mannes überschritt, ihn feindlich von Allen trennte, die ihm die Liebsten und Theuersten gewesen, ihn trennte von seiner schönen Jugenderinnerung, von seinem früberen Leben, ihn wie im Fieberwahn fortriß zu Behauptungen, zur Aufstellung von Principien, die seinen früheren geradezu widersprachen und den menschenfreundlichsten, edelsten Mann zu einem inhumanen Verfolger Leidender machte.

So, in gespensterhafter Entrüstung und Angst vor dem Untergange der alten Weltordnung, warf er, blind vor Zorn, Alles über einen Haufen, in eine Verdammung zusammen, was dem neuen Lichte entgegenstrebte, und lobte in eben solcher Verblendung Alles, was der alten Ordnung anklebte.

So ward er der Ritter für Maria Antomette's unbefleckte Tugend, für die 39 Artikel der anglikanischen Kirche, für die Perücken und den Staub der englischen Konstitution; so der Vertheidiger der grausamen Gefangenschaft Lafayette's, so der Gegner von Allem und Jedem, was aus der Revolution Heilsames für die Menschheit hervorging.

Nur, um ein Beispiel der Verblendung Burke's anzufühlen, und wie der hoch- und durchgebildete Mann in seinem Eifer selbst gegen die historischen Studien verbrach, erklärte er, um gegen die Einführung der Geschworenengerichte irgendwo anderwärts zu fechten, daß die Jury in England nur eine Imitation des Parlaments sei, daß also, wo kein englisches Parlament sei, auch keine Jury zu eristiren das Recht habe.

Um Dem oder Jenem die Institution nicht zu gönnen, weil sie dort neu war, übersah er, daß es eine uralte Institution aller germanischen Völker war, längst zu Recht beständig, ehe noch an ein Parlament zu politischen Debatten, oder an ein Oberhaus, als höchstes Gericht, gedacht wurde.

Aus derselben edlen Quelle ging seine Verfolgung gegen Hastings hervor. Die Gewaltthaten hatten sein Rechtsgefühl beleidigt; der Gedanke an die Grausamkeiten machte sein Blut in den Adern kochen; sein Herz schlug für die unglücklichen Opfer. Seine Phantasie malte beide mit brennenden Farben aus, bis sein Gemüth ein Feuerstrom des Unwillens wurde. Mochte auch er Hastings' Talent, Größe und Verdienste um das Vaterland erkennen; sein Vaterland schien ihm groß genug, um nicht nöthig zu haben, durch Verbrechen noch größer zu werden. Das Fiat justitia et pereat mundus begeisterte ihn zu einer Ausdauer im Haß, welcher allerdings beispiellos ist; ein Haß, der ihn über alle Klüfte forttrug, welche das moralische Erdleben gerissen, der ihn endlich in die wunderbare Lage versetzte, allein stehen zu müssen in der Reihe Derer, die jetzt seine bittern Feinde geworden, und gegenüber Denen, welche jetzt, in einem ungleich wichtigem Kampfe, seine Freunde waren; ein Haß, der ihn bis an sein Lebensende erfüllte, der nicht schwächer wurde, als Alle von ihm abfielen, Alle ihn tadelten, verspotteten. Vielleicht konnte er nicht mehr anders; der nunmehr verbitterte, alte Mann, angefeindet von allen Seiten, unpopulair beim Volke, vom Hofe nur kalt unterstützt, weil Burke nie zum Höfling herabsinken konnte, von jungen Laffen im Parlament, er, dessen größter Genius, einst sein bewunderter Lenker, verhöhnt, oft unterbrochen, er sah keinen Rückweg, oder er wollte ihn nicht ergreifen. Auch war es ihm unmöglich, zu einer ruhigen Würdigung der Dinge sich noch zu bequemen. Sein immer reizbarer Geist war durch die bitteren Erfahrungen, die ewigen Kränkungen in eine solche Aufregung versetzt, daß er, dem jungen Geschlecht gegenüber, zu keiner Discussion, zu keiner Belehrung sich herabließ. Der alte Löwe brüllte in seinem Zorn; er that es für sich, nicht für die Andern. Um den Ruhm eines Cicero brauchte er nicht den neuen Verres anzufechten. Burke war längst größer als Cicero.

Es kam noch ein Motiv hinzu, weshalb er jahrelange Arbeit dem Dienst eines Volks widmete, an das ihn weder Blutsbande, noch Religion, noch Sprache knüpften und von dem er keinen Dank zu erwarten hatte. Er kannte Indien besser, als viele Engländer, welche lange Zeit dort gelebt haben. Er hatte die Geschichte, Gesetze und Gebräuche des Orients mit einer Gründlichkeit studirt, die man bei einem so feurigen Genius nicht voraussetzt. Sein philosophischer und zugleich poetischer Geist hatte in den Massen von Wust und todter Gelehrsamkeit den lebendigen Faden herausgefunden. Aus der Dunkelheit und Unordnung hatte er geistvolle Theorien und lebendige Bilder gezogen. So waren Indien und seine Bewohner für ihn nicht, wie für die meisten Englander, nur Namen und Begriffe, es war ihm vielmehr ein wirkliches Volk und ein wirkliches Land. Er sah die brennende Sonne, die tropische Vegetation vor seinen Augen, die Palme und den Cocos; er sah die großen Bäume, älter als das Mogulreich, unter deren Schatten eine ganze Dorfschaft sich versammelte; die Moscheen und Götzentempel, die Mädchen, die, den Krug auf dem Kopfe, zum heiligen Ganges niederstiegen, die heiligen Märtyrer, die anmuthigen Tänzerinnen, die schwarzen, braunen, olivenfarbenen Menschen, die Staatselephanten, die Palankine der Fürsten; alles Das stand so klar vor seinen Augen, als geschehe es in der Mitte von London. Er war in Benares zu Hause, wie in der City, und Nuncomar's Hinrichtung schwebte ihm so deutlich vor, wie die des letzten Verbrechers, der er beigewohnt. So war ihm denn auch die Unterdrückung in Bengalen so gegenwärtig und furchtbar, als wenn ein Toryministerium sie in seinem England versucht hätte.

Trotz Philipp Francis' und Edmund Burke's Feuereifer, bleibt es mehr als zweifelhaft, ob die Opposition zu ernstem Einschreiten sich bewogen gefühlt hatte, wenn nicht Hastings und die Seinen die Sache selbst aufgeregt hätten. Der Tadel des Parlaments haftete auf Hastings; dieser Tadel war es, welcher die Minister angeblich hinderte, ihm die Pairie zu ertheilen. Hastings wollte ihn gelöscht haben, und sein allezeit eifriger Champion, Major Scott, stellte im Unterhause am ersten Tage der Sitzung von 1786 die unkluge Anfrage an Burke: ob es sein ernstlicher Wille sei, eine Anklage gegen den vorigen Generalgouverneur von Indien einzubringen? Dies hieß die Gegner zwingen, entweder zu bekennen, daß sie Verleumder gewesen, oder mit der Anklage vorzutreten. Sie wählten das Letztere; sie konnten nicht anders wählen. Hastings hätte, bei einiger Ueberlegung, zufrieden sein müssen, daß man ihn in Ruhe ließ, und nicht begierig sein nach Triumphen, wo er, bei allem Selbstgefühl, sich bekennen mußte, wenigstens nicht fehlerfrei dazustehen. Eine Partei, an deren Spitze Fox, Burke, Sheridan standen, und die über die Kräfte so vieler reicher und einflußreicher Familien gebot, zu reizen, war eine That, welche nicht an seine in Indien bewiesene Klugheit erinnert.

Burke trug auf Vorlegung der nöthigen Papiere an. Das Ministerium verweigerte mehre derselben. Man schloß daraus, daß es schon im Stillen die Partei des Angeschuldigten ergriffen habe. Inzwischen legte Burke schon im Anfang April die Anklagepunkte auf den Tisch, welche, mit seiner gewöhnlichen Geschicklichkeit entworfen, doch für ein Actenstück zu pamphletartig gehalten schienen.

Hastings ward eine Abschrift zugefertigt und ihm eröffnet, daß man ihn vor der Schranke des Hauses darüber vernehmen wolle, wenn er es angemessen fände, persönlich zu erscheinen. Er benutzte diese Gunst, unglücklicherweise aber in einer Art, die ihm statt Vortheil Nachtheil brachte, wie denn fast jeder seiner Schritte, seit er den englischen Boden betreten, ein Fehltritt war. Eine kräftige, feurige, freie Rede des Gouverneurs von Indien an die Gesetzgeber Englands hätte sie vielleicht für ihn günstig gestimmt. War er dieser Gabe sich nicht bewußt, so mußte er mit einer kurzen, bündigen, vielleicht vornehmen schriftlichen Erklärung auftreten und das Uebrige seinen Sachwaltern überlassen. Statt dessen zog er eine lange Defension aus der Tasche, die auf alle einzelnen Punkte einging und bis auf Nebensachen sich verlor. Statt zu imponiren, langweilte er eine Versammlung, welche gewohnt war, täglich die Meister der Redekunst, einen Pitt und Fox, im lebhaften, geistvollen Wechselgespräch anzuhören. Sie gähnten und gingen, nachdem sie ihre erste Neugier, den vielbesprochenen Mann des Orients zu sehen, befriedigt, zum Mittagessen, und gegen Mitternacht noch las Hastings vor leeren Wänden und den Beamten des Hauses, die ihr Dienst bis zum Schluß dort fesselte.

Im Juni darauf brachte Burke den ersten Anklagepunkt vor: den Rohillakrieg. Die Sache sprach für sich selbst. Auch war dieser Punkt mit Klugheit in den Vordergrund geschoben, weil das Haus bereits ein Mal und zwar in den allerstärksten Ausdrücken, seine Verdammung über Hasting's schändliche Politik ausgesprochen hatte. Noch mehr, der jetzige Minister Dundas hatte damals selbst den Antrag gemacht und er war durchgedrungen. Von seiner Seite durfte man daher doch keinen Widerspruch erwarten. Aber Dundas fürchtete nicht den Vorwurf der Inconsequenz. Er sprach jetzt gegen die Anklage: wiewol er den Rohillakrieg noch immer für unrechtmäßig halte, seien die Dienste, welche Hastings später dem Staate geleistet, doch groß genug, um jene Verschuldung aufzuwiegen. Pitt sprach gar nicht. Bei der Abstimmung fiel der Klageantrag mit 67 Stimmen gegen 119 durch.

Hastings triumphirte. Er hielt seine Sache für vollständig gewonnen, und nicht ohne Grund. Denn, wenn diese seine abscheulichste That kaltherziger Berechnung, eine Politik, welche um elender Bezahlung willen, die Freiheit, Selbständigkeit, das Glück, die Ehre und das Leben eines ansehnlichen, edlen Volkes einem blutdürstigen, verrätherischen Barbaren verkaufte, straflos ausging und durch das Votum für gerechtfertigt erklärt war, um wie leichter war alsdann die Freisprechung für die andern Vergehen, welche, im Vergleich zu diesem Völkermord, nur als Erpressungen gegen Einzelne erschienen.

Schon lief durch alle Clubs das Gerücht, die Opposition werde noch etwa zwei Punkte vorbringen. Wenn auch diese, wie zu erwarten, durchgefallen wären, wollte sie die ganze Sache fallen lassen; dann werde Hastings zum Pair erhoben, mit den Bathorden bekleidet und in den Geheimrath berufen werden. Der Lordkanzler Thurlow war ganz entschieden dafür und hielt Pitt's Bedenken für unbegründet. Ja Hastings neuer Titel als Lord Daylesford, das Stammschloß seiner Vater, lag schon in Bereitschaft. Aber es kam anders.

Am 13. Juni brachte Charles Fox in einer seiner glücklichsten Reden die Anklage wegen des Radscha von Benares, Scheyte Sing, vor. Francis unterstützte ihn. Aller Augen waren auf Pitt gerichtet, der sich erhob. Dieser mächtige Lenker des Parlamentes mußte den Ausschlag geben. Er sprach ausführlich und schön. Seiner Meinung nach hatte der Generalgouverneur ein Recht, dem Radscha von Benares eine außerordentliche Steuer aufzulegen, auch ihn mit einer Geldsumme zu strafen, wenn er der Aufforderung nachzukommen zauderte. Auch lobte er den Generalgouverneur wegen seines geschickten und entschlossenen Benehmens während des Aufstandes, und bezeichnete dagegen Philipp Francis' Benehmen, sowol in Indien als hier, mit großer Bitterkeit als unehrenwerth und boshaft. Nach diesem Eingange erwartete Niemand etwas Anderes, als daß der Minister für Hastings' ehrenvolle Freisprechung stimmen werde. Aber er schloß anders: zwar habe Hastings vollkommen Recht gehabt, den Radscha mit einer Geldsumme zu strafen; die ihm auferlegte sei indessen zu hoch gewesen für die Umstände. Darin, und darin allein, habe der Generalgouverneur gefehlt, und deshalb stimme er für den Klageantrag!

Das ganze Haus starrte auf die Lippen, welche dieses Votum aussprachen; das ganze Haus war wie vom Donner gerührt. Das hatte nicht Freund, nicht Feind, das hatte Niemand erwartet. Um den Rohillakrieg sprach er ihn frei, um die grausame, verrätherische Art, wie er den gutmüthigen und getreuen Radscha behandelt, sprach er ihn frei; er erkannte das Recht an, ihn zu beschatzen, ihn zu strafen, aber – er hatte ihn zu stark beschatzt! Wenn jenes Recht zugegeben war, Strafen aufzuerlegen, und zugleich zugegeben werden mußte, daß keine Taxe dafür existirte, wie konnte das ein Verbrechen sein, daß er ihm mehr zu zahlen auferlegt, als William Pitt für das rechte Maß hielt? Und dennoch dafür – dafür allein hielt er ihn so strafwidrig, daß eine schwere Criminaluntersuchung gegen ihn versucht werden sollte!

Das Erstaunen im Hause war um so größer, als die Mitglieder, auf deren Stimmung das Ministerium rechnen konnte, erst 24 Stunden vorher die herkömmlichen schriftlichen Zusendungen erhalten hatten, mit der Bitte, ja an ihrem Platze zu sein und gegen Fox Antrag zu stimmen. Man erzählte sich nachher, am frühen Morgen dieses Tages wäre Dundas zu Pitt gekommen, hatte ihn geweckt, sich mit ihm mehre Stunden eingeschlossen, und das Resultat ihrer Unterredung wäre der Entschluß gewesen, Hastings der Rache der Opposition preiszugeben. Bei der Abstimmung votirten mehre der angesehensten Anhänger des Ministeriums nicht mit Pitt; die Zahl seiner unbedingten Anhänger war indeß groß genug, den Ausschlag zu geben. Für Fox Motion waren diesmal 119 Stimmen; dagegen 79. Dundas votirte, ohne ein Wort zu sprechen, auf Pitt's Seite.

Die plötzliche Sinnesumänderung des Ministers ist bis heute ein Räthsel geblieben, obwol eine für Pitt nicht sehr ehrenvolle Auslegung dafür versucht worden ist. Hastings' Freunde behaupteten, es sei Eifersucht von Seiten Pitt's und Dundas gewesen. Hastings war bei Hofe beliebt, ja fast ein Liebling des Königs zu nennen. Er war der Abgott der Ostindia Compagnie und der gebieterische Lordkanzler Thurlow, ihm gewogen, hatte selbst, hinter Pitt's Rücken, ihm die Versicherung gegeben, er wolle ihn, trotz Pitt's Einreden, zum Pair machen. Wäre er nun freigesprochen worden, hätte er unter den Lords gesessen, er, der angesehene, herrschsüchtige Mann, im Geheimrath des Königs, konnte er nicht für Pitt ein furchtbarer Rival werden? Pitt duldete keine Eingriffe in seine Macht, und wenn der junge Minister eine Leidenschaft hatte, so war es die nach Macht, Er wollte Hastings nicht verderben, aber wenn die Klage ihren Weg ging, so konnte der Proceß mehre Jahre dauern, der König durfte ihm schicklicher Weise keine Ehren erzeigen, ja eigentlich ihn auch nicht einmal bei Hofe empfangen.

Die Geschichte hat keine Beweise für diese schwere Anklage eines großen Staatsmannes. Einen Gegenbeweis wollen Vertraute des edlen Menschenfreundes Wilberforce aus einer mündlichen Mittheilung desselben schöpfen, Wilberforce sprach gern von dem außerordentlichen Eindruck, welchen Pitt's Erklärung an jenem Abende hervorgebracht. Unter den Anhängern des Premierministers habe man sich bittere Vermuthungen zugeflüstert.

Da verließ Pitt, wie im Gefühl, daß seine Handlung einer Aufklärung bedürfe, die Ministerbank, und setzte sich eine Zeit lang neben Wilberforce und erklärte ihm sehr ernsthaft: sein Gewissen habe ihm länger nicht erlaubt, bei Hastings zu stehen. »Seine Handlungsweise war zu schlecht.« Wilberforce glaubte vollen Ernstes, daß sein großer Freund aus reinem Herzen gesprochen.

Bald nach dieser merkwürdigen Sitzung wurde das Parlament prorogirt. Erst im folgenden Jahre 1787 trat Sheridan, der dritte Ankläger, mit der Anklage wegen der Beraubungen der Prinzessinnen von Aude hervor. Der Eindruck dieser Rede war ohne Gleichen. Sheridan setzte sich nieder unter lautem Jubelruf, ein Händeklatschen schallte durch den Saal, die Zuhörer oben, die Lords an den Schranken stimmten hingerissen damit ein. Die Aufregung war so groß, daß kein anderer Redner nach ihm gehört wurde und die Sitzung vertagt werden mußte. Windham erklärte sie, noch zwanzig Jahre später, für die bedeutendste Rede, welche seit Menschengedenken im Parlamente gehalten worden, und auch Fox, von seinem Neffen, Lord Holland befragt, sagte, so lange er sich zu erinnern wisse, habe kein Redner im Hause der Gemeinen Sheridan übertroffen, als er die Klage wegen Aude vorgebracht. Gerade diese merkwürdige Gerichtsrede ist von den Reportern nur unvollkommen aufnotirt und so der Nachwelt verloren gegangen. Ihre Wirkung war ein großer Abfall der Hastings'schen Freunde; Pitt erklärte sich für Sheridan's Antrag, und derselbe wurde schon mit 175 Stimmen gegen 68 angenommen.

Von nun an hatte die Opposition gewonnen Spiel, gleich dem Strome, der einen Gebirgspaß überwältigt hat, gleich einem Heere nach gewonnener Schlacht. Die öffentliche Meinung war für sie; Hastings' Freunde, das Unvermeidliche vor Augen sehend, wurden schwächer in ihren Anstrengungen. Von einem Anklagepunkte ging man zum andern über, und endlich, nachdem 22 Klagepunkte angenommen waren, die einzelne minder bedeutende Geldverhandlungen und Erpressungen betrafen, trug das Haus seinem Mitgliede Edmund Burke auf, gegen den grausamen Generalgouverneur von Indien Warren Hastings vor dem Hause der Lords eine Klage wegen High crimes und Misdemeanour (schwere Verbrechen und Vergehungen) anzubringen. Zugleich wurde Hastings von dem Sergeant-at-Armes verhaftet und vor die Schranken der Pairs geführt. Eine weitere Verhandlung war indessen während dieser Session nicht mehr zulässig, da sie in 10 Tagen geschlossen werden sollte, und Hastings ward gegen Bürgschaft freigelassen.

In der nächsten Wintersitzung des Unterhauses wurde das Committee zur Leitung und Führung der Anklage erwählt. Die ersten Sterne der Opposition, und darunter mehre talentvolle junge Männer, wurden ohne Bedenken erwählt. Dagegen erhob sich eine lebhafte Opposition gegen die Wahl Philipp Francis'. Die Einen sagten, es sei die äußerste Unschicklichkeit, zum öffentlichen Verfolger Jemand zu ernennen, der des Angeklagten entschiedenster Gegner sei und ihm sogar in einem Duelle nach dem Leben getrachtet habe. Von der andern Seite wurde entgegnet: Dies wären unbedingt vollgültige Gründe, um ihn nicht zum Richter und Geschworenen, aber nicht, um ihn nicht zum Ankläger zu wählen. Vielmehr fordere man von einem Solchen keine andere Eigenschaft mehr, als die des größten Eifers für die Sache, die er vertreten solle. Diese Ansicht blieb aber in der Minorität, mit der Dundas stimmte. Mit der Majorität stimmte Pitt, und Francis kam demnach nicht in das Anklagecommittee.

Am 13. Februar 1788 begannen die Sitzungen des hohen Gerichtshofes. Nie mochte es ein großartigeres Schauspiel einer Gerichtssitzung in einem freien Lande gegeben haben, als diese Eröffnung des Gerichtes über Hastings; wenn man die großen Bluttribunale über Karl I. und Ludwig XVI. abrechnet, die doch aber als reinpolitische Acte einer siegreichen Partei, auf freie, unparteiische Beurtheilung keinen Anspruch machten, und auch im Aeußern ernst und düster, des glänzenden Scheins von Freiheit entbehrten, welcher diesem Proceß vor dem englischen Oberhause einen ganz eigenthümlichen Anstrich lieh. Niemand wußte hier zu dieser Zeit, wie der Proceß enden werde, und das freie England umringte in gespannter Neugier die Vertreter des Gesetzes, selbst vertreten durch alle Notabilitäten der Geburt, Macht, Intelligenz, Wissenschaft, Kunst und Schönheit.

Nicht Hastings' Schuld oder Unschuld allein sollte hier entschieden werden, es galt ernste Principfragen, für die ferne Zukunft entscheidend. Englands Geschichte trat vor diese Gerichtsschranken, der Stolz des Briten erhob sich, wenn er die Möglichkeit dieses orientalischen Processes mit den demüthigen Anfängen der britischen Factoreien in Indien verglich. Der Gerichtshof des Parlamentes sollte nach Formen, die von den Plantagenets herab geerbt waren, ein gerechtes Urtheil finden über die Tyrannei, welche ein Engländer angeschuldigt war gegen den Herrn der heiligen Stadt Benares und die Prinzessinnen aus dem fürstlichen Hause von Aude verübt zu haben. Das Gefühl der römischen Weltherrschaft war vielleicht nicht berauschender als das, welches hier des britischen Zuhörers sich bemächtigte.

In der altberühmten Halle des William Rufus wurde die Sitzung abgehalten. An ihren Wänden war die halbe englische Geschichte zu lesen. Hier wurden dreißig Könige ausgerufen und kaum weniger Staatsverbrechen abgeurtheilt. Hier empfing Baco sein Verdammungsurtheil und Karl I. stand vor seinen Richtern.

Alle althergebrachten Feierlichkeiten und Pracht hatte man angewandt. In den Vorhallen standen lange Reihen von Grenadieren in Parade, in den Straßen nach dem Parlamente die Cavalerie der Hauptstadt. Etwa hundert und siebenzig Lords traten in feierlichen Reihen, alle in ihren Hermelinmänteln mit Gold verbrämt, in den Saal, voran der jüngste Baron, Lord Heathsield, zum Pair erhoben wegen seiner tapfern Vertheidigung Gibraltars, und den Zug schlossen die Brüder und Söhne des Königs, zu allerletzt der Prinz von Wales, damals ein schöner Jüngling, das Vorbild aller Gentlemen, nachmals – König Georg IV.! Die Richter sämmtlich in ihren feierlichen Roben, die altersgrauen Mauern des Saales mit Scharlach verhangen. Nie saß auf den Galerien der Zuhörer eine so illustre Versammlung; die Königin mit allen ihren Prinzessinnen, alle Schönheiten der Aristokratie, voran Georgina, Herzogin von Devonshire, welche die berühmte Westminsterwahl zu Gunsten ihres Freundes Fox gegen alle Anstrengungen des Hofes durchgesetzt hatte, bis zu den Schönheiten und Notabilitäten des Theaters, als dessen Repräsentantin die majestätische Siddons, die mit innerer Bewegung Auftritten zusah, gegen welche die theatralische Kunst lahmte. Englands erste Geister sah man hier, seine Gelehrten, Künstler, einen Gibbon, Hogarth, Reynolds, und aus der Fremde die Gesandten von Königen und Republiken, die – sagt der Engländer mit Stolz – mit Staunen ein solches Schauspiel erblickten, das ihnen wie ein halbes Wunder vorkam.

Die Sergeants des Hauses riefen die Eröffnung der Sitzung aus und den Angeschuldigten vor. Hastings trat vor die Schranken und beugte sein Knie. Er war ein Mann nicht unwürdig einer solchen Versammlung. Selbst seine heftigsten Gegner konnten ihm den Anspruch auf Ruhm und Größe nicht absprechen, wenn schon den auf Tugend. Sein Aeußeres war das eines ausgezeichneten Mannes. Seine Gestalt freilich war klein und abgemagert, aber Würde strahlte von seiner Stirn, aus seiner ganzen Haltung. Seine Augenbrauen waren ernst, nachdenklich zusammengezogen, aber nicht finster, sein Mund fest, aber nicht herbe; auf seinem blassen, von Arbeit und der tropischen Sonne tief gefurchten Antlitz schienen die Worte geschrieben, welche unter seinem Bilde in dem Rathssaal von Kalkutta stehen: Mens aequa in arduis. Ehrfurchtsvoll gegen den Hof geneigt, sprach sich doch in seinem ganzen Wesen das Selbstgefühl eines Mannes aus, der einst ein Königreich unumschränkt beherrschte und vor der Gefahr, die jetzt ihm drohte, nicht erbebte.

Hastings ward von den Räthen seiner Vertheidigung begleitet, talentvollen Juristen, welche sämmtlich später zu hohen gerichtlichen Würden gelangten. Aber Aller Augen waren auf den Rath der Ankläger gerichtet, die auf grünen Bänken in einer abgeschlagenen Schranke saßen, und in deren Mitte die ersten Geister, Redner und Staatsmänner der Nation, von europäischem Rufe sich befanden Dort saß Burke in vollem Costüm; auch Fox, der immer sehr nachlässig gekleidet erschien, trug, eine Nachricht von Wichtigkeit für das ganze Königreich, diesmal Haarbeutel und Degen. Pitt hatte die persönliche Theilnahme an der Anklage abgelehnt. Aber, obgleich er und Lord North (wegen Alters und Blindheit) fehlten, umfaßte die Loge der Ankläger doch eine Zahl Redner, welche es mit der blühendsten Periode der atheniensischen Beredtsamkeit aufnehmen konnte: Burke, Fox, Sheridan, der geistreiche, chevalereske, hochherzige Windham und unter den jüngsten ein 23 jähriger Mann, der, Alle überlebend, berufen war in unserer Zeit einer der ersten Staatsmänner und Redner Englands zu werden, Lord Grey, der Vater der Reform. Zwei volle Tage verstrichen allein mit Vorlesung der Anklage und der schriftlichen Beantwortung. Das Ermüdende des Zuhörens dieser Aktenstücke ward durch die wohltönende Stimme des Clerks des Hofes, eines Master Cowper, eines Verwandten des Dichters, gemindert. Am dritten Tage erhob sich Burke; aber seine Einleitungsrede dauerte vier Tage, ohne den Zuhörer zu ermüden, oder die hochgespannten Erwartungen zu mindern, welche man bei seinem Rufe machte. In einer glänzenden Diction und mit einer Ueberfülle von Gedanken gab er den Zuhörern ein vollständiges Bild vom Charakter und den Institutionen der Eingeborenen Indiens; er erzählte ihnen, wie das britische Reich dort entstanden, die Verfassungen und Berechtigungen der einzelnen Präsidentschaften. Nachdem er der Versammlung das Bild so lebendig vorgeführt als es vor seinem eignen Geiste lebte, entwickelte er die Geschichte von Hastings' Verwaltung, die von Anbeginn an aller sittlichen Würde und des Rechtsgefühls entbehrt habe. Die Energie und der Pathos des Redners entlockten selbst dem ihm feindlich gesinnten Lordkanzler Zeichen der Bewunderung. Aus Augenblicke schien sogar der Angeklagte selbst erschüttert. Die Rührung auf den Sitzen der Damen, die ein solches Trauerspiel nicht erwartet hatten, machte sich aber unverkennbar, sogar störend Luft. Die Taschentücher wurden in Bewegung gesetzt, die Riechflaschen gingen umher, Seufzer, lautes Aufschreien der Angst und des Mitleids, und Sheridan's Gattin mußte selbst ohnmächtig hinausgetragen werden. Mit einer nie vernommenen Kraft der Stimme schloß der Redner so: »Um deswillen ist es mit gutem Vorbedacht verordnet, abseiten der Gemeinen von Großbritannien, daß ich anklage Warren Hastings wegen schwerer Verbrechen und arger Vergehungen. Ich klage ihn an im Namen des Hauses der Gemeinen dieses Parlaments, dessen Vertrauen er betrogen hat. Ich klage ihn an im Namen der englischen Nation, deren alte Ehre er befleckt hat. Ich klage ihn an im Namen des Volkes von Indien, dessen Rechte er mit Füßen getreten und dessen Land er in eine Wüste umgewandelt. Letztlich im Namen der menschlichen Natur selbst, im Namen beider Geschlechter, im Namen jedes Alters, im Namen jedes Standes; ich klage ihn an als den allgemeinen Feind und Unterdrücker Aller.«

Fox trug nunmehr darauf an, daß jeder Punkt für sich untersucht und abgeurtheilt, und erst, wenn der eine abgethan, mit dem andern angefangen werde. Hastings und seine Freunde dagegen verlangten, daß die Ankläger sogleich mit allen ihren Anklagepunkten nach einander vortreten und die Beweise angeben sollten, worauf dann erst die Vertheidigung Stück für Stück folgen könne. Die Lords zogen sich zur Berathung zurück und entschieden mit einer Majorität von beinahe ⅔ Stimmen, daß die Untersuchung nach Antrag des Angeschuldigten erfolgen solle. Man nahm dieses als einen Wink an, wohin die Meinung des Gerichtshofes sich neige.

Fox mußte also den zweiten Klagepunkt, betreffend die Beraubung des Radscha von Benares, vorbringen, wobei der junge Grey ihn unterstützte. Darauf wurden durch mehre Tage verschiedene Papiere verlesen und Zeugen abgehört. Sheridan übernahm dann auch im Oberhause den Vortrag in Betreff der Prinzessinnen von Aude. Der Ruf seiner Rede im Unterhause über diesen Punkt hatte einen noch nicht dagewesenen Andrang von Solchen, die ihn hören und sehen wollten, veranlaßt. Es wird erzählt, daß für einen einzelnen Platz 50 Guineen bezahlt wurden, und die Halle war zum Ersticken voll. Sein glänzender Vortrag dauerte zwei Tage. Am Schluße desselben sank er, wie völlig erschöpft, in Burke's Arme, der ihn mit Bewunderung ans Herz drückte.

Schon war es tief im Juni, Hastings hatte bereits ein Jahr lang Bürgschaft gestellt, und erst zwei Anklagepunkte waren vorgebracht; noch 20 blieben zu erledigen, und schon fing die Aufmerksamkeit an zu erlahmen. An und für sich war es schwer, bei den interessantesten Gegenständen, dieselbe auf deren fieberhaftem Höhenpunkte zu erhalten; wie aber war dies möglich, nachdem die interessantesten und wichtigsten Punkte von den größten Rednern ihrer Zeit vorweg genommen waren und nur trockene Rechnungspunkte mit einem Wust fremder Details und unverständlicher Worte den minder großen Rednern zu erörtern blieben? Der Gipfelpunkt des Processes war Sheridan's Rede über die Begum's gewesen. Die Gelehrten, Künstler, Staatsmänner hatten jetzt wichtigere Dinge zu thun, und die vornehmen Damen, welche bis Morgens um 2 Uhr getanzt, fanden es unbequem, vor 8 Uhr aufzustehen, um indische Rechnungen und Wechsel sich vorlesen zu hören. Außerdem ward die Sitzung ungebührlich oft und störend unterbrochen durch die Lords selbst, welche, so oft eine Gesetzfrage zu berathen war, aufstanden und sich in ihr Berathungszimmer begaben.

Ein witziger Lord sagte: Die Richter marschiren, aber der Proceß bleibt stehen.

Dazu kam, daß im Jahre 1789 die Aufmerksamkeit des Publicums schon auf ganz andere, wichtige Fragen gelenkt war, als im vorhergehenden, wo Hastings' Proceß der alleinige Gegenstand gewesen. Die Krankheit des Königs, die Debatten über die Regentschaft, die Frage wegen einer Veränderung des Ministeriums und der Zusammentritt der Generalstaaten von Frankreich beschäftigte die Gemüther mehr, als die ostindische Angelegenheit.

So ging denn auch im Oberhause der Proceß nur langsam vorwärts. Während die Lords 1788, wo nichts anderes Wichtiges zu thun war, in der ganzen Session doch nur 36 Tage demselben gewidmet hatten, konnten sie 1789, wo die wichtige Regentschaftsfrage sie beschäftigte, nur 17 Tage dafür erübrigen. Auf diese Weise war eine endlose Länge des Processes vorauszusehen.

Hastings' Proceß hat eine Frage angeregt, welche seitdem mehrfach zur Sprache gekommen ist: ob denn das Oberhaus ein zweckmäßiges Institut als oberster Gerichtshof sei? In früheren Jahrhunderten, wo Englands freie Institutionen noch nicht so gefestigt standen, wie jetzt, mochte ein solches höchstes Gericht, aus unabhängigen fürstlichen Vasallen bestehend, als Bollwerk gelten gegen Tyrannei und Willkür. Vor diesen Gefahren ist man jetzt – nämlich in England – sicher. Die Lords sämmtlich sind Politiker; in politischen Fällen wird ein Jeder nach seiner politischen Meinung urtheilen. Man kann die Abstimmung eines Jeden ziemlich im Voraus wissen, ehe noch die Zeugen vernommen, die Verhandlungen geschlossen sind. In gewöhnlichen Jurisdictionsfällen aber ist die Zeit ihrer Sitzungen zu kurz, sie sind zu beschäftigt mit legislatorischen Arbeiten, die Rechtsgelehrten unter ihnen sind anderweitig in Anspruch genommen, um die ungelehrte Menge auf die Rechtspunkte aufmerksam zu machen, und es stehen nicht allein Verzögerungen, sondern zuweilen auch Urtheile zu fürchten, welche von zufälligen Einflüssen dictirt sind. Das Urtheil in Hastings' Falle, kein ungerechtes, aus dem Standpunkte der Politik betrachtet, hat doch zur Genüge bewiesen, daß hier nur politische Überzeugungen mitsprachen; denn außerdem wäre der siebenjährige Proceß von jedem andern wohlbesetzten Gerichte in weniger als drei Monaten gründlicher geführt und beendet worden.

Es war ein politischer Proceß; andere großartigere Rücksichten mußten bei der letzten Beurtheilung zur Sprache kommen, als die des Privatrechts. Aber die Lords, in der überwiegenden Mehrzahl schon für den Angeklagten gestimmt, nahmen ihre Zuflucht zu einem kleinlichen Mittel. Aus ihren höchsten legislatorischen Regionen stiegen sie plötzlich ins Privatrecht hinab. Sie erklärten, bei der Beweisaufnahme wollten sie sich lediglich von den Regeln leiten lassen, welche bei den unteren Gerichtshöfen galten. Diese Regeln schützen Hunderte von Angeklagten, welche der Richter, die Jury und das Publicum bestimmt für schuldig halten. Wo aber die Verbrechen vor Jahren und Tausende von Meilen entfernt begangen worden, ließ sich in den meisten Fällen ein juridischer Beweis gar nicht führen. Aber wo die Richter schon bestimmt waren, nach dem ungeschriebenen Codex der Politik Recht zu sprechen, als historische Richter über Thatsachen, die aus dem gewöhnlichen Kreise menschlicher Handlungen hinausgehend, nur dem Gerichte der Geschichte verfallen, forderten sie juridisch formelle Beweise für Dinge, die schon als historische Wahrheiten im allgemeinen Bewußtsein lebten. Dieser auffällige Widerspruch verrieth zu deutlich dem Publicum, wie die endliche Entscheidung ausfallen müsse.

Dennoch versuchten Hastings' Freunde, statt dem Proceß seinen Lauf zu lassen und in einer völligen Freisprechung einen wahren Sieg zu feiern, den Fortgang zu hindern und zu unterbrechen. So trugen sie 1789 im Unterhause auf ein Votum des Tadels gegen Burke an, weil er, in Bezug auf Nuncomar's Tod und Hastings' und Impey's Verbindung, eine zu heftige Sprache geführt hatte. Burke war damals höchst inpopulair, im Parlamente selbst, wie bei der Nation. Rauhe und unschickliche Aeußerungen, welche ihm bei der Regentschaftsbill entfahren waren, haben selbst seine wärmsten Freunde verletzt. Die Tadelsvote ging durch. Die Hastings'sche Partei jubelte auf; sie hoffte, dies werde die Ankläger bewegen, von ihrem Antrage abzustehen. Burke selbst war tief verletzt; aber er unterdrückte den persönlichen Schmerz um der Sache willen, die ihm als Sache der Gerechtigkeit und Menschlichkeit galt. Würdig und sanft nahm er den Tadel hin, und erklärte, keine persönliche Kränkung oder Demüthigung solle ihn von der heiligen Pflicht, die er einmal übernommen, zurückschrecken.

Das Parlament wurde im folgenden Jahre (1790) aufgelöst. Dies gab Hastings' Partei neuen Muth. In der Hoffnung, daß das neue Parlament keine Lust haben werde, den langwierigen Proceß fortzuführen, behauptete sie, daß das ganze Verfahren durch die erfolgte Auflösung geschlossen sei. Ueberstimmt darin, brachte sie eine neue bestimmte Motion ein: daß die Klage aufgegeben werden solle. Auch hierin wurden sie geschlagen, indem das Ministerium mit der Opposition stimmte. Doch kam man dahin überein, daß, um der Sache doch endlich ein Ende zu machen, einige Klagepunkte zurückgezogen werden sollten. Ohne diese Maßregel hätte der Proceß bis tief in dieses Jahrhundert hinein fortdauern können.

Aber noch vergingen vier Jahre! Und welche Jahre voll politischer Processe, Tragödien, wogegen Hastings' Hochmuth, Fall und Untergang zur trockenen Staatsaction herabsank. Die Aristokratie, die Kirche, das Königthum in Frankreich waren gestürzt, Ludwig XVI. blutiges Haupt war von der Guillotine gefallen, und die entsetzliche Dröhnung vibrirte durch die Welt, nirgend erschütternder, nirgend mehr gefühlt, als in England, das die Grundmauern seiner eigenen alten Institutionen wanken fühlte. Ein moralischer Umschwung war erfolgt, die Visionen vom Untergange alles Ehrwürdigen und Erhabenen erschreckten die Freigesinntesten unter der Aristokratie und den Besitzenden; jene Caricatur, wo der Scharfrichter, als allein übriggeblieben von allen Lebendigen, sich zuletzt selbst köpft, war nur der bildliche Ausdruck eines Gefühls, welches noch beredter von den Tribünen widerhallte; es war ein allgemeines Gefühl des Entsetzens. Da hörten die alten Parteien auf; in der neuen Mischung wurden die liebsten Freunde die bittersten Feinde; was bis da groß und wichtig erschienen, Streitpunkte, die das Blut erhitzt, traten als gleichgültig, unerheblich am Rande des allgemeinen Unterganges in den Hintergrund.

Wer konnte noch mit der alten Lebhaftigkeit an Hastings' Proceß Theil nehmen? Was bedeutete Nuncomar's Galgen gegen die Schafote, auf denen Könige, Prinzen, Prälaten, Generale, der Adel Frankreichs, aus denen Royalisten und Girondisten geblutet? Was die Erpressungen, was die Verjagung des Radscha von Benares, wo Fürstenhäuser, deren Recht von Jahrhunderten besiegelt schien, von ihren Thronen und Ländern durch einen Federzug, durch einen Handstreich vertrieben wurden? Was die Leiden der Prinzessinnen von Aude und ihrer Getreuen gegen die Niedermetzelung der Prinzessin von Lamballe, den Kerker und das Schafot Marie Antoinette's? – Und wer mochte noch auf die Untersuchung der kleinen Anschuldigungspunkte hören, wo es sich nur um Rupien und Pfunde Sterling handelte? Aus Ostindien wurden Zeugen gerufen, aber wenn sie nach Jahren ankamen, hatten die richtenden Lords selbst beinahe die Thatsache vergessen, um die es sich handelte. Tod und Erbschaft hatten die Beisitzer des Gerichts verändert; noch mehr die veränderten Ansichten, das Alter. Zwischen Klägern und Vertheidigern waren eben solche Wechsel eingetreten; nur daß die Zahl der Erstern immer mehr abnahm, die der Letztern aber in jedem Jahre durch die Zahl Derjenigen anwuchs, denen die Sache gleichgültig war, die diesen schleppenden Proceß über verjährte Dinge abgemacht wünschten.

Im großen Publicum war gegen den Ausgang des Processes eine völlig veränderte Stimmung eingetreten. Sie war Hastings durchaus günstig. Die politische Ansicht entschied: Was auch Hastings im Einzelnen verbrochen, er hat durch seine Entschlossenheit und Energie Ostindien für England erhalten, und zu einer Zeit, als der Abfall Amerikas den Colonien ein so verlockendes, gefährliches Beispiel gab. Hastings allein verdankt England den Besitz der indischen Reiche. Durch dieses große Verdienst hat er seine kleineren Verbrechen gut gemacht. Es kamen hinzu Adressen über Adressen, welche aus Ostindien zu seinen Gunsten einliefen, von Hindu und Mohammedanern. Welche Bedeutung solche Adressen haben, ist oben angedeutet; aber sie wirkten doch auf das Publicum. Man erzählte, daß die Hindu in dem Benares, wo Hastmgs' Arm so furchtbar gewüthet, ihm einen Tempel errichtet und ihn anbeteten. Burke erwiderte darauf mit bitterm Witz: Das wolle er gern glauben; denn die Hindu errichteten nicht allein aus Liebe den guten, sondern aus Furcht auch den bösen Mächten Pagoden; und wie sie den schwarzen Pocken, der Pest und dem Raubmord Tempel erbaut aus abergläubischer Furcht, warum nicht auch Hastings, der für sie weit furchtbarer gewesen als Pocken, Pest und Raubmord. Aber jedes Schiff aus Madras und Kalkutta brachte ganze Scharen Bewunderer für ihn aus Indien. Wer dort gewesen und Reichthümer mitgebracht hatte, rühmte den letzten Gouverneur, und erzählte, er habe ein besseres Schicksal verdient. Die ehemaligen Diener der Compagnie, die sich zurückgezogen aufs Land, galten in ihren Kreisen als Orakel hinsichts der orientalischen Angelegenheiten, und sie Alle waren die eifrigsten Advocaten für Hastings. Den Ausschlag auf die öffentliche Meinung scheint indeß Lord Cornwall gegeben zu haben, der, aus Indien zurückkehrend, versicherte, daß er, nach seinen eifrigsten Nachforschungen im Lande, nur günstig über Hastings' Verwaltung urtheilen könnte; denn er allein sei es, dem England verdanke, daß es dort noch regiere.

Endlich ward man der Sache so überdrüssig, daß Alle einig waren, sie solle und müsse, wie es auch sei, zu Ende gebracht werden, und ein Verfahren ward eingeschlagen, welches in unserer populair-juristischen Sprache heißt: die Sache übers Knie brechen. Noch weit über hundert Sitzungen, und nachdem fast acht Jahre nur seit dem Augenblick vergangen waren, wo Hastings zur Bürgschaftsstellung zugelassen wurde, ward, im Frühjahre 1795, auf des Lordkanzlers Thurlov Antrag beschlossen, daß jedes Mitglied des Oberhauses auf Pflicht und Gewissen sein Schuldig oder Unschuldig über die einzelnen Anklagepunkte sprechen solle.

Dieser Tag des Gerichts war der 13. April 1795. Noch ein Mal erweckte der lange Proceß die ganze Aufmerksamkeit des Publicums. Es war nicht Neugier, nicht gespannte Erwartung auf den Spruch; wie dieser ausfallen werde, war Allen bekannt. Aber man wollte, schon ein neues Geschlecht von Zuschauern, den Mann sehen, der so lange Zeit der Götze der Bewunderung und des Abscheus gewesen, und der Andrang zum Oberhause war fast so groß, als bei der Eröffnung des Processes.

Welche Veränderungen waren auch auf den Bänken der Richter und der Ankläger vorgegangen! Hastings selbst sagte: eine Generation hat mich angeklagt und eine andere richtet mich! Da war reicher Stoff, über die Unbeständigkeit der menschlichen Dinge nachzudenken. Glieder der heftigsten Opposition damals saßen jetzt im Ministerium, und der zu seiner Zeit wenn nicht die Seele, doch das stolze Haupt des Pitt'schen Ministeriums gewesen, der alte Lordkanzler Thurlow, saß, befeindet mit allen seinen altern Freunden, jetzt grollend und allein unter den jungem Lords. Von den 160 Lords im Hermelinmantel, welche damals feierlich in den Richtssaal zogen, lagen jetzt 60 in ihren Familiengrüften.

Ergreifender noch war der Hinblick auf den umschrankten Raum der Ankläger. Die großen Häupter der Opposition, welche dort traulich beisammen saßen, durch die innigsten Bande der Freundschaft an einander geknüpft, lebten zwar alle noch und in der vollen Kraft ihres Geistes; aber ihre Freundschaft war zu Ende. Unter Thränen und heftigen Vorwürfen, im Angesicht von England und der Welt, hatten sie die langjährigen Bande zerrissen. Wenn sie sich hier noch begegneten, geschah es wie Fremde, welche ein öffentliches Geschäft zusammenführt, mit kalter, fremder Höflichkeit. Auf Fox's Seite stand damals noch Sheridan und Grey; auf Burke's Seite Windham. Aber Burke, von der Opposition ein Abtrünniger gescholten, war in dieser Sache von einer unerschütterlichen Festigkeit: Noch in der letzten Rede, welche er vor den Lords hielt, beugte er seine Knie und beschwor die hohen Richter um ein gerechtes Urtheil für so ungeheure Verbrechen, die durch keine Rücksichten ausgeglichen worden. Er beschwor sie bei der Liebe und Anhänglichkeit für ihre Constitution, er beschwor sie, gerade jetzt streng und gerecht zu sprechen, um zu beweisen, daß, wo alle Grundvesten der alten Welt wankten, die Gerechtigkeit wenigstens in England unerschüttert sei, damit, wenn das alte England und seine Verfassung zertrümmere, noch unter den Ruinen sie das stolze Bewußtsein tröste, ihre letzte Pflicht als Richter gegen die Frechheit und den Hochmuth geübt zu haben.

So ungefähr sprach Burke, selbst tief erschüttert über die Lüge, die er sprach, denn er, wie Jedermann, wußte, welches Urtheil der Pairshof fällen werde.

Nur 29 Pairs waren zugegen und stimmten! Von diesen fanden nur 6 Warren Hastings schuldig in Betreff der zwei Hauptanklagepunkte: die Beraubung Scheyte Sing's und der Begums von Aude; die andern sprachen ihn frei. In den übrigen untergeordneten Fragen ward er mit einer noch überwiegendern Mehrheit, in einigen einstimmig, von der Anklage losgesprochen. Vor die Schranken gefordert, ward ihm sein Urtheil vom Wollsack herab eröffnet, Er verbeugte sich ehrfurchtsvoll und entfernte sich.

Die allgemeine Stimme billigte dieses Urtheil, gleich wie sie die Verfolgung gebilligt hatte. Hastings war vorhin der Gegenstand des Abscheus gewesen, jetzt war er der Gegenstand der allgemeinen Theilnahme und des Mitleids. Das liegt in der menschlichen Natur; einer unnatürlichen Aufregung folgt Erschlaffung oder geradezu eine Reaction. Was wir über die Maßen erhoben haben, sind wir später, vielleicht aus Schamgefühl, geneigt, sogar unter Verdienst zu verkleinern, und die wir verfolgt haben über Gebühr, deren nehmen wir uns wol später aus Reue auch über ihr Verdienst an. Man bedachte, daß, wenn Hastings schuldig war, er durch den langen Proceß schon hinlänglich dafür gestraft sei. Denn außerdem, daß er um seine Hoffnungen betrogen worden, zur Pairie erhoben, im Staatsdienst seines Vaterlandes seine glanzende Laufbahn in England fortzusetzen, hatte der Proceß ihn ruinirt. Dies war Factum; obgleich er ihn gewonnen, hatte der Proceß alle seine aus Indien mitgebrachten Reichthümer, sein ganzes Vermögen verzehrt.

Noch eine furchtbare Macht hatte das Publicum günstig für Hastings gestimmt – die Presse. Seine Ankläger, auf ihre gute Sache, ihren Ruhm und ihr Rednertalent vertrauend, hatten es, wie dies auch wol anderswo vorkommt, versäumt oder verschmäht, sie zu benutzen. Hastings und die Seinen waren dagegen mehr als thätig gewesen, sie zu ihren Gunsten in Bewegung zu setzen. Viele Zeitungen waren bestochen, oder wie man das nennen will; die ernstesten Gelehrten und die leichtsinnigsten und leichtfertigsten Publicisten schrieben und ließen drucken für Hastings. Witzige Poeten mußten die Reden der Ankläger versificiren, etwa wie Blumauer die Aeneide; und Hastings ließ sich so tief herab, daß er die verächtlichsten Pamphletisten und Redactoren von Schandblättern in seinen Sold nahm. Es wird nicht behauptet, daß diese, noch daß die Presse allein ihn gerettet habe, aber mitbeigetragen hat sie, das öffentliche Urtheil über einen Mann, dessen Handlungen ziemlich klar zur Beurtheilung eines Jeden vorliegen, umzustimmen.

Hastings' Verdienste und das Urtheil über seine Persönlichkeit wird sich so feststellen lassen. Zu einer Zeit, wo England, von innern und äußern Feinden angegriffen, in allen Welttheilen, auf allen Meeren Verluste erlitt und das Verlorene in dem darauf folgenden Frieden schwinden lassen mußte, wo es an Spanien, Minorca und Florida, an Frankreich Besitzungen in Afrika und Inseln in den westindischen Meeren verlor, wo es genöthigt ward, die Unabhängigkeit von 13 Colonien, bevölkert von seinen eigenen Kindern, anzuerkennen, war das Hastings' Regierung übergebene Land das einzige, wo es nicht allein nichts verlor, sondern ein ungeheures Reich dazu gewann. Seine innere Verwaltung war, trotz allen ruchbar gewordenen Gewaltthaten, eine, die seinen gewaltigen Administrationsgeist verräth. Er zerstörte das Scheinregiment in Indien und brachte die Leitung aller Angelegenheiten in die Hände der Engländer. Statt einer schrecklichen Anarchie führte er eine Ordnung ein, wenn gleich nach heutigen Begriffen eine sehr unvollkommene, doch immer eine Ordnung. Die ganze Organisation der Justiz, Policei und des Steuerwesens war sein Werk, und er konnte sich rühmen, daß jedes öffentliche Amt in Bengalen von ihm erst geschaffen war. Freilich ist dies System noch jetzt fehlerhaft und war es damals noch weit mehr, aber es aus Nichts zu schaffen, oder schlimmer als aus Nichts, aus einem Chaos widerstrebender Stoffe und Rechte, ist, was Bewunderung verdient. Dazu kommt, daß er nicht zum Staatsmann geboren und erzogen war. Aus der Schule genommen, ward er in ein Bureau geschickt, und von dort in eine fremde Welt, wo ihm alle Mittel zur Erziehung fehlten, als die er aus sich selbst schöpfte. Ein neuer Minister in Europa findet einen geregelten Geschäftsgang vor, officielle Traditionen, Collegen und längst geübte Subalternen, bei denen er sich Raths erholen kann. Hastings hatte von alle Dem nichts; er mußte erst selbst lernen, um Andere zu unterrichten, er mußte sich Instrumente schaffen, nicht in einem, sondern in allen Zweigen der Verwaltung, und um die Instrumente zu schaffen, mußte er sich oft zuvor, wie Robinson Krusoe, erst die Handwerkszeuge dazu machen.

Und hätte er noch frei gestanden! Aber von der einen Seite ward er durch die Anweisungen seiner Obern, die, fast ein Jahr alt, zu ihm gelangten, auf der andern durch die Majorität des Rathes gehemmt, gestört, controlirt. Jenen mußte er immer Geld schaffen, diesen immer Rechenschaft geben, Männern, die weit weniger, wo nicht gar nicht vom Zustande der indischen Angelegenheiten unterrichtet waren. Und unter diesen ununterbrochenen Zurechtweisungen und Rügen, die jedes Schiff ihm brachte, unter den täglichen Häkeleien mit seinen Collegen, deren er sogar, mit der Waffe in der Hand, sich erwehren mußte, rettete er das große Reich gegen die Angriffe der Franzosen und einen Hyder Ali, und schuf jene innere Verwaltung. »Nie vielleicht war ein Staatsmann oder Feldherr – sagt ein Englander – der so gegängelt, dessen Temperament so schwer auf die Probe gestellt wurde, nicht Marlborough, nicht Wellington, dem auf der einen Seite die portugiesische Regentschaft, auf der andern die spanischen Juntas und von Hause das Ministerium Percival vorschrieben, was er thun sollte und doch nicht thun durfte.« – Nur Hastings' immer ruhiges Temperament konnte dies ertragen und doch die geistige Energie und Elasticität sich erhalten. Er trug Kränkungen lange nach, aber selten oder nie verleiteten sie ihn zu einem übereilten Streich, so daß man zweifeln darf, ob seine Rache nicht auch Politik war.

Sein Geist war einer der fruchtbarsten, den ein Staatsmann bewährt hat. Kein noch so verworrener Knäuel von Gefahren und Verwickelungen konnte ihn außer Fassung bringen. Bei jeder Schwierigkeit hatte er sogleich ein Mittel zur Hand, und, was man auch über ihre Moralität urtheilen möge, sie bewahrten sich immer so, daß sie ihn zu dem vorgesetzten Ziele führten. Zugleich besaß er die Gabe, welche einem ostindischen Staatsmann nicht fehlen darf, mit der Feder seine Ansichten geschickt und fließend auseinander zu setzen, und durch Advocatengründe die Widersacher zu betäuben. Selbst Francis mußte verdrießlich zugeben, gegen Hastings' Feder sei nicht auszukommen.

Als Regent Indiens munterte er wissenschaftliche Studien und Untersuchungen auf. Er leitete und unterstützte Reisen, Experimente und die Publication orientalischer Werke. Zwar that er Nichts, was die Aufgabe späterer Generalgouverneure wurde, die Wissenschaften Europas nach Indien überzubürgern, aber er förderte zuerst das Studium des Sanskrit unter den Europäern, und, mitten in seinen drängenden Regierungsgeschäften, machte er selbst die ernstesten Forschungen im Arabischen und Persischen. Unter ihm wurde in Kalkutta die Asiatische Gesellschaft gestiftet, deren Präsidentschaft er indeß weise ablehnte, indem er die Mitglieder auf Sir William Jones hinwies, den großen Kenner orientalischer Sprachen und Weisheit. Sein größtes Verdienst in dieser Beziehung bleibt indessen, daß er den europäischen Gelehrten zu den bis da verschlossenen und sorgsam gehüteten Schätzen der Brahminen-Weisheit den Zugang eröffnete, indem er durch Klugheit und Milde die Furcht der Brahminen zu verscheuchen wußte, eine Furcht, welche nur zu begründet war, wenn sie an die Verfolgungen der Mohammedaner dachten, und die christliche Toleranz nach dem Maßstabe maßen, welchen die Portugiesen sie kennen gelehrt.

Sein größtes Geschick bewies er aber darin, daß er so verschiedenen Völkern Vertrauen und Zuneigung gegen seine Person einzuflößen gewußt. Ein Anderer würde sich populair gemacht haben, entweder bei seinen Engländern, indem er sie ihrer Raublust an den Eingeborenen fröhnen ließ, oder bei den Eingeborenen, indem er sie gegen die Bedrückungen schützte. Hastings, an der Spitze einer kleinen Schar von Fremden, die schrankenlose Gewalt bis da gegen die widerstandlosen Eingeborenen geübt, verstand die besondere Kunst, die große Masse der Unterdrückten zufrieden zu stellen und die geringe Zahl der Herren und Meister sich geneigt zu machen. In der festesten Treue standen ihm die ostindischen Engländer in allen Krisen, bei allen Gefahren zur Seite, selbst die Militairbefehlshaber fügten sich willig seinem Geiste. Popularität bei den Eingeborenen mögen andere Gouverneure, um ihrer Verdienste willen vielleicht mehr als er verdient haben; aber keiner besaß sie in ähnlichem Grade als er. Er sprach geläufig ihre Sprache, er kannte genau ihre Sitten und Gefühle. Selbst wo er gerade gegen ihre Ansichten zu großen Zwecken handelte, erwarb er sich ihre Achtung. Seine Verwaltunq galt den Bengalesen für musterhaft. Sie konnten ruhig ihre Reisernten vollenden, während sie, unter den Nabobs, den plündernden Einfällen der wie ein Sturm über das Land kommenden Mahratten ausgesetzt waren. Auch waren der Druck und die Abgaben unter Hastings lange nicht so arg, als es die Erpressungen der ersten Engländer gewesen; der älteste Mann in Bengalen konnte sich eigentlich keiner glücklichem Zeit erinnern. Außerdem hatte der beständige Erfolg aller seiner Unternehmungen und die Art, wie er sich aus jeder Schwierigkeit zog, für die Orientalen etwas Wunderbares, und sein mehr als königlicher Glanz, den er dann und wann zeigte, verblendete diese Kindesmenschen. Noch jetzt halten ihn die Hindu für den größten aller Engländer und die Ammen singen den Kindern vor von den fliegenden Rossen und den goldgezäumten Elephanten des »Sahib Warren Hostein«.

Hastings war kein Räuber und Gelderpresser aus Geiz und Eigennutz. Zwar nicht gleichgültig gegen Geld und Gewinn, mag er in manchen Handlungen nicht nach den strengen Regeln verfahren sein, welche gegenwärtig die englischen Regierungsbeamten in Ostindien leiten, ja welche den Einzelnen die Annahme des geringsten Geschenkes für sich verbieten; aber es ist ausgerechnet, daß er, ohne Jemand zu drücken, von den Geschenken allein, welche ihm geboten wurden, und die er allenfalls nach damaligen Begriffen hatte annehmen können, innerhalb der 13 Jahre seines Regiments drei Millionen Pfund Sterling hatte zurücklegen, daß er also als einer der reichsten Männer Englands mit seinem Glanze den des königlichen Hofes ausstechen können. Aber er brachte nicht mehr zurück, als jeder Gouverneur, der, wie er, nicht ökonomisch im eignen Haushalte verfuhr, billigerweise von seinem ersparten Gehalte erübrigen mußte. Seine Gattin soll nicht so scrupulös gewesen sein, vielmehr recht gern Geschenke angenommen und sich davon ein ansehnliches Privatvermögen gesammelt haben.

So erscheint Hastings' Persönlichkeit vor dem Tribunale der richtenden Nachwelt; es ist anzunehmen, daß auch seine Zeitgenossen ihn so beurtheilt haben, und daß dieses moralische Urtheil auf das officielle von Einfluß gewesen. Ein Mann von Grundsätzen und einer Handlungsweise, welche im Privatleben Niemand vertheidigen wird; aber wo er sündigte, trat er aus den Privatleben heraus und nahm auf sich den Fluch der That, während deren Vortheile dem Staate zu Gute kamen. Nur der Staat hatte ein Recht gehabt, ihn zu verdammen, welcher die moralische Kraft besaß, auch die Vortheile wieder herauszugeben, welche diese Handlungsweise ihm verschafft hatte. Das wollte kein Engländer; England hatte daher nicht das Recht, ihn zu strafen.

Dennoch, wer möchte seine Grundsätze billigen, auch auf dem Gebiete der Staatskunst! Die der Gerechtigkeit, die Gefühle der Humanität, Treue und Glaube in Verträgen, galten ihm Nichts, wenn die unmittelbaren Interessen des Staates stürmisch anpochten. Nicht allein eine Versündigung gegen die Moral in ihren weiteren Grenzen, sondern es war auch eine gegen die Politik, welche weiter blickt als auf die nächste Zukunft. Aber gerade in dieser Beziehung ist der Proceß von segensreichen Folgen gewesen. War der Spruch nun gerecht oder ungerecht nach dem Codex, der nicht geschrieben ist, der große Proceß selbst ist segensreich für alle Zeiten geworden. Die Oeffentlichkeit der Verhandlungen, vor den Augen der Welt war ein großes Gericht, in welchem, wenn gleich die Person frei davon ging, ihre Handlungen für alle Ewigkeit mit dem Fluche der Ungerechtigkeit und Unsittlichkeit gebrandmarkt wurden. Burke erlag als Ankläger des einen Mannes, als Ankläger seines tyrannischen Verfahrens hat er gesiegt. Seine im Brande heiliger Entrüstung gestählten Worte stehen für alle Zeiten in den Tafeln der Geschichte, im Codex der Humanität. In der Verwaltung Indiens geschahen und geschehen noch Misgriffe und Ungerechtigkeiten, bedingt von der Unvollkommenheit aller menschlichen Einrichtungen, mehr noch von der besondern Lage des weit vom Mutterland entfernten Staates, wo eine willkürliche Herrschaft nothwendig ist; aber Hastings' Verfahren ist heut unmöglich. Was damals nur gegen die Sitte verstieß, würde heut zum Verbrechen gegen positive Gesetze.

Und doch beschleicht uns ein geheimes Grauen, ein Zweifel an den Grundvesten menschlicher Gerechtigkeit, nicht wenn wir das Urtheil, sondern wenn wir den Gang des Processes näher betrachten. An welchem dünnen Haare, auf welcher äußersten Spitze einer Messerschneide schwebte, nicht die Entscheidung, sondern die Vorfrage! Der heilige Zorn, der in ganz England gegen den Tyrannen später aufbrauste, wäre kein Strom geworden, er wäre ein Seufzer des Unwillens geblieben, ein Zähneknirschen ohnmächtiger Wuth, wenn ein einziger Mann nicht, vom Impuls des Augenblicks fortgerissen, sein entscheidendes Wort in die Wagschale geworfen hätte. Ob aus Gewissensskrupeln, oder aus politischem Egoismus, so viel ist gewiß, William Pitt's Votum im Unterhause allein hat den Ausschlag gegeben und den siebenjährigen Proceß zur Wirklichkeit gerufen. Ohne ihn wäre er unterblieben, und Hastings' Name zählte unter den gewöhnlichen gewaltthätigen Gouverneurs einer Colonie, gegen und für deren Verwaltung Vieles spricht, die aber keinen Anspruch auf weltgeschichtliche Berühmtheit haben.


Hastings hatte den Proceß gewonnen, sagten seine Freunde. Aber die Folgen des gewonnenen Processes waren schlimmer, als wenn er ihn verloren. Hatte er zu Anfang sich für schuldig erklart, so wäre er mit einer Geldstrafe von 50,000 Pf. St. davongekommen. Jetzt war er durch die Kosten des Processes und die ungeheuren Summen Geldes, welche er unter der Hand ausgegeben, besonders an und durch den Major Scott, ein ruinirter Mann. Burke berechnete schon 1790, daß Hastings mehr als 20,000 Pf. darauf verwandt, die Presse zu bestechen. Die Träume seiner Knabenjahre hatte er verwirklicht und das Stammgut seiner Väter endlich nach vieler Mühe in demselben Jahre, wo sein Proceß begann, wieder gekauft; er war jetzt der Lord von Daylesford, nachdem das Gut durch 70 Jahre in fremden Händen gewesen. Aber es war verwüstet und verwildert; er baute, pflanzte, höhlte Grotten aus und schuf Wasserfälle, und als der Proceß zu Ende ging, hatte er auch dafür bereits 40,000 Pf. St. aufgewandt. Ein ausgezeichneter Verwalter des Staatsgutes, war er immer ein sehr schlechter Oekonom seines eigenen Vermögens. Auch seine Gattin hatte das ihrige verloren. Der Herr von Indien war so weit heruntergekommen, daß er nicht einmal seine Wochenrechnungen bezahlen konnte. Die Compagnie, welche niemals seine Dienste vergessen hat, wollte ihm zu Hülfe kommen, und setzte ihm endlich, trotz der Widersprüche des Ministers Dundas, eine Pension von 4000 Pf. St. jährlich aus. Aber, um ihm zu helfen, schoß sie ihm die Pension auf 10 Jahre vor. Da auch dies seinen Bedürfnissen nicht entsprach, lieh sie ihm 50,000 Pf. St. ohne Zinsen. Hastings hätte nun ohne Sorgen, und sogar im Luxus leben können, aber er war während seines Lebens noch oft genöthigt, bittweise seine ehemaligen gütigen Herren anzugehen.

Hastings hatte gesiegt. Er war wieder in Sicherheit und gewissermaßen in Ueberfluß; aber zehn Jahre seines Lebens, die Kraft seines Mannesalters waren verstrichen in einem bösen Proceß und dessen Vorbereitungen. Alle seine Hoffnungen, die er aus Indien herübergebracht, waren gescheitert; statt als Mann von Einfluß das Loos Anderer zu bestimmen, hatte er mit äußerster Anstrengung einen traurigen Vertheidigungskrieg führen müssen, um sich selbst vor einem schlimmen Loose zu bewahren. Auch jetzt war er nur losgesprochen von der Anklage. Er besaß weder Macht noch Würde. Sollte er noch ein Mal, als angehender Sechziger, zu neuen Studien sich wenden, um Aemter und Ehren werben, er, der erwartet, daß man sie ihm auf beiden Armen entgegen tragen werde! So lange Pitt lebte, fehlte ihm jede Aussicht, und als Pitt starb, war Hastings ein Siebziger.

Er verlebte die folgenden 22 Jahre seines Lebens meist in ländlicher Ruhe auf Daylesford, wenig oder gar nicht in die Politik sich mischend; wo es geschah, nicht mit besonderm Glück. Die Ausschmückung seines Gutes und Parks, so wie mannichfache, doch meist verunglückte Versuche, indische Pflanzen, Fruchtbäume und Thierarten in England heimisch zu machen, nahm einen großen Theil seiner Zeit hinweg. Einen andern widmete er literarischen Beschäftigungen; Bücher waren ihm unter allen Verhältnissen nothwendige Begleiter gewesen; aber jetzt, obgleich kein Poet, auch in dem bescheidenern Sinne des Engländers, fühlte er sich gedrängt, täglich Gedichte zu verfertigen. Sie waren von der sanft elegischen Art, welche man gerade von dem Besieger Hyder Ali's, dem Zerstörer der Rohilla und dem Executor des Maharadscha Nuncomar nicht erwarten sollte, und flossen ihm in zierlichen Versen aus der Feder. An jedem Morgen brachte er eins dieser Gedichte zum Frühstück mit und würzte dasselbe seiner Familie und seinen Gästen durch die Recitirung.

Hastings hatte schon die gewöhnliche Dauer des menschlichen Lebens weit überschritten, als er noch ein Mal aus seiner Vergessenheit hervorgerufen wurde. Im Jahre 1813 wurde im Parlament über die Erneuerung des Privilegiums der Ostindischen Compagnie debattirt, und man beschloß, Zeugen vor den Schranken zu vernehmen. Unter ihnen ward auch Hastings citirt. Als der ein und achtzigjährige Greis vor denselben Schranken erschien, vor denen er einst auf Burke's Anklage seine Antwort verlesen, hatte die Nation längst alle seine Fehler vergessen und dachte nur an seine Verdienste. Die Erscheinung eines Mannes, der bereits der Geschichte angehörte und jetzt wie aus dem Grabe auferstanden schien, machte einen wunderbar feierlichen Eindruck. Die Parlamentsglieder empfingen ihn mit lautem Zuruf, befahlen, ihm einen Sessel hinzustellen und erhoben sich alle, den Kopf entblößend, als er ging. Das war eigentlich das Ende des Processes. Im Jahre 1795 war er nur von der Strafe losgesprochen, dies 1813 war das Fahnenschwenken; das Parlament strich seinen Namen aus den Registern der Angeschuldigten.

Nur einige wenige Mitglieder erhoben sich damals nicht, noch lüfteten sie den Hut. Es waren die, welche noch bei der Anklage mit beschäftigt gewesen; sie wollten nicht einräumen, daß sie einige Jahre ihrer besten Lebenszeit damit vergeudet, einen Unschuldigen zu verfolgen. Auch die Lords empfingen den Greis mit ähnlichen Zeichen von Achtung und die Universität Oxford creirte ihn zum Doctor der Rechte.

Jetzt erinnerte sich auch die Krone seiner Verdienste, und man ernannte ihn zum Mitgliede des Geheimen Rathes. Der Prinz-Regent gewährte ihm eine lange und sehr gnädige Audienz, und als Kaiser Alexander und Friedrich Wilhelm III. nach London kamen, stellte er selbst Hastings beiden Monarchen mit der Aeußerung vor, daß diesem ausgezeichneten Manne höhere Ehren gebührten, als ein Sitz im Geheimenrath, und bald ihm werden sollten; denn er habe die britischen Besitzungen in Indien gerettet.

Der Zweiundachtziger erwartete nun doch bestimmt die Aufnahme in die Pairie. Auch diese Hoffnung schlug ihm fehl; man weiß nicht den Grund.

Warren Hastings überlebte noch vier Jahre diese letzte Täuschung in vollkommener Gesundheit und beim vollen Gebrauch seiner Sinne und Geisteskräfte. Endlich als am 22. August 1818, im 86sten Jahre seines Alters, der Tod ihm nahte, sah er ihm mit derselben Ruhe und Festigkeit entgegen, die er in allen Versuchungen seines vielgeprüften, reichen Lebens bewährt hatte. – Er ruht nicht in der Westminsterabtei, sondern in der Erbgruft seines Hauses in Daylesford, wo die Gebeine manches Häuptlings des berühmten Geschlechtes Hastings modern.


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