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Nachwort

»Portugiesische Briefe«: das war der Titel, unter dem diese Briefe zuerst an die Öffentlichkeit kamen – 1669 zu Paris, in französischer Sprache. Die Schlichtheit des Ausdrucks und die Natürlichkeit der Empfindung erregten Aufsehn: so konnten nur wirkliche Briefe einer Verlaßnen geschrieben sein. Einige Monate später erschien denn auch in Holland eine zweite Ausgabe, die den Adressaten und französischen Übersetzer namhaft machte. Allerdings wurde die Übersetzung sehr bald auch einem anderen zugeschrieben; aber der »Ritter von Chamilly«, dessen Verhältnis zu jener portugiesischen Nonne auch der Herzog von Saint-Simon in seinen Memoiren erwähnt, gilt noch heute für den Geliebten, an den jene Briefe gerichtet wurden.

Wer freilich die Nonne selbst war, die sich in den Briefen einmal Marianna nennt, sowie die Geschichte ihrer Liebe blieb noch lange verborgen. Das tat jedoch dem Erfolg der Veröffentlichung keinen Eintrag. Vor Ende des siebzehnten Jahrhunderts waren bereits mehr als vierzig Ausgaben erschienen und auch die üblichen Nachahmungen und Fortsetzungen fehlten nicht. »Briefe einer portugiesischen Dame« als Gegenstück und zugedichtete Antworten wurden sogar der ursprünglichen Sammlung einverleibt und führten so die Leser hinsichtlich der Echtheit und Unechtheit der einzelnen Stücke irre. Kein Wunder, daß die Kritik, dadurch herausgefordert, nun auch vor den Briefen Mariannas nicht Halt machte. Schon Rousseau hatte gelegentlich seine Zweifel geäußert, und französische Gelehrte des neunzehnten Jahrhunderts suchten die Unechtheit der portugiesischen Briefe auch zu erweisen.

Im selben Jahrhundert wurde aber von einem andern französischen Gelehrten die Persönlichkeit der portugiesischen Nonne festgestellt. 1810 nämlich fand Boissonade auf einem Buchdeckel der ersten Ausgabe den handschriftlichen Vermerk, daß die Briefe von der Nonne Marianna Alcoforado im Kloster zu Beja geschrieben seien. Die bloße Notiz war natürlich wenig beweiskräftig; aber die Bekanntgabe der Namen ermöglichte die Nachforschung in den Archiven, die der Portugiese Luciano Cordeiro als erster vornahm, und die Ergebnisse erwiesen die volle Wahrscheinlichkeit eines Verhältnisses zwischen jener Alcoforado und dem Marquis von Chamilly. Da erst durch die Ergebnisse dieser neuesten Forschung das Lebensbild der Schwester Marianna klargestellt worden ist, wird eine kurze Wiedergabe als Ergänzung zu den Briefen willkommen sein. Ausführlicher hat der dänische Schriftsteller Karl Larsen in seinem Buch »Schwester Marianna und ihre Liebesbriefe« die Lebens- und Liebesgeschichte dieser Nonne dargestellt.


Marianna Alcoforado wurde 1640 zu Beja, einem Städtchen der Provinz Alemtejo, geboren. Dorther stammte ihre Mutter Leonor Mendes, die Tochter eines Kaufmanns und Großgrundbesitzers, und auch ihr Vater Francisco Alcoforado, ein um die Selbständigmachung seines Vaterlandes verdienter Offizier und Beamter, hatte sich in Beja niedergelassen.

Gerade im Geburtsjahr Mariannas brach der Freiheitskampf der Portugiesen gegen die Spanier aus. Die Wechselfälle des Krieges, der schließlich mit der Unabhängigkeit Portugals endigen sollte, drangen bis in die Nähe des elterlichen Besitzes und erfüllten die Kindheit des Mädchens mit Angst und Unruhe. Denn ihr Vater, der an der militärischen wie der zivilen Verwaltung der Stadt beteiligt war und als geschworener Anhänger des Hauses Braganza einen glühenden Haß gegen Spanien hegte, setzte sich wiederholt den größten Gefahren aus; auch werden zwei ältere Brüder, die sich später als tapfere Offiziere auszeichneten, wohl schon damals mitgekämpft haben.

Aus solchen unruhvollen Verhältnissen wurde Marianna mit etwa zwölf Jahren in die Stille eines Klosters versetzt. Es gehörte dem Clarissenorden, lag über der Stadt und schaute mit seinen Spitzbogenfenstern weit auf die Landstraße, die von Beja nach Mertola führt. Die Unterbringung in einem Kloster wird das Mädchen kaum als ein Unrecht ihrer Eltern empfunden haben; wenigstens entsprach das einer in den bessern Kreisen des Landes verbreiteten Sitte und wurde auch durch die kriegerischen Zeiten nahegelegt. Nach ihren eigenen Worten verlebte Marianna in den Klostermauern zunächst ein ruhiges Leben. Gewiß in steter Fühlungnahme mit ihren Verwandten und Freunden, wie denn überhaupt das Klosterleben damals nicht mehr so abgeschlossen von der Außenwelt war, wie es die Regeln erfordert hätten. Außerdem teilte Marianna ihren klösterlichen Beruf mit einer fast gleichaltrigen Schwester, und als diese früh starb und ihr bald darauf die Mutter in den Tod folgte, durfte sie der jüngsten und zu früh verwaisten Schwester Peregrina Maria, die erst drei Jahre zählte, die Mutter vertreten. Die Aufnahme eines so kleinen Mädchens und seine Auferziehung durch eine Nonne war nur als ein Ausnahmefall vom Kloster gestattet worden, weil man sonst trübe Erfahrungen damit gemacht hatte –: wer will sagen, ob nicht auch Marianna bei der mütterlichen Wartung und Pflege zum ersten Mal weltlichere Wünsche im Herzen aufstiegen? Es ist eine feine Bemerkung von Larsen, daß damit die Zeit ihrer Reife zusammenfiel und daß so doppelt ihre Empfänglichkeit für sinnliche Reize gesteigert wurde. Zu dieser Zeit nun – es war Ende des Jahres 1665 oder Anfang des folgenden – hatte ein dem General Schomberg unterstelltes Regiment zu Beja sein Standquartier. Die erste Kompanie befehligte der im portugiesischen Sold stehende Oberst Noël Bouton, Marquis de Chamilly, ein französischer Offizier von noch nicht dreißig Jahren. Sooft er mit seinen Leuten die Straße nach Mertola am Kloster passierte, geschahs zur Freude der einsamen Nonnen, die von ihrem Balkon auf das seltene Schauspiel hinabsahen. Eine aber stand unter ihnen, der es bald mehr als nur Kurzweil war und die von allen Reitern nur auf den einen an ihrer Spitze sah: es war Marianna. Sie liebte, ehe sie den Geliebten kennen gelernt oder auch nur gesprochen hatte, und als dies endlich geschah, da kannte sie nur den einen Wunsch noch: ihm anzugehören und ihn zu besitzen.

Aus den Briefen wissen wir, daß Mariannas Wunsch erfüllt wurde. Durch ihren Bruder Balthasar, der damals im selben Regiment stand, wird der junge Oberst den ersten Zutritt zum Kloster erhalten haben; weitere Gelegenheit verschaffte ihm wohl die Betörte selbst. Sie vergaß Mit- und Umwelt, Gelübde und Nonnentum, gab sich ihm und hoffte, in seinem Besitz für alles Aufgeopferte Ersatz zu finden. Zu spät kam die Erkenntnis, lang war die Reue.

Dem jungen Franzosen, der daheim schon einer Geliebten untreu geworden, war das Verhältnis mit der Nonne kaum mehr als ein romantisches Abenteuer. Solange er in Beja stand, besuchte er sie; als sich aber die militärischen Aussichten in der Heimat besserten, trug er keine Bedenken, die Geliebte im Stich zu lassen. 1667 ist er nach Frankreich zurückgekehrt. Gewissensbisse scheinen ihn deswegen nicht geplagt zu haben. Mariannas rührende Klagen beantwortete er, soweit ers überhaupt tat, flüchtig und gleichgültig, zuletzt so taktlos, daß dies ihr endlich die Kraft gab, den Verkehr mit ihm abzubrechen. Das wird um die Mitte des Jahres 1668 gewesen sein. Zehn Jahre später war er glücklicher Ehemann. Seine kluge, aber häßliche Gattin schenkte ihm zwar keine Kinder, verschaffte ihm jedoch, was in seinen Augen gewiß von größerem Werte war, einen Kommandantenposten und später den Marschallstab. Erst 1715 starb er, geistig wie körperlich früh gealtert; für die Welt war ein Ehrenmann mit ihm dahingegangen.

Auch Marianna ist alt geworden. In denselben Mauern, in denen sie liebend gesündigt hatte, verbrachte sie auch ihr weiteres Leben, eine lange und stille Buße. In der Auferziehung der kleinen Maria, die ihr das noch in späteren Jahren mit kindlicher Liebe und treuer Fürsorge dankte, wird sie Vergessen gesucht und wenigstens Trost gefunden haben. Ehrenstellen des Klosters sind ihr nie zuteil geworden. Als sie aber 1725 im Alter von dreiundachtzig Jahren verschied, rühmte ihr auch das Klosterbuch nach, daß sie gestorben sei »wie eine, die das Zeichen der Gnade trägt«.

F. Bergemann


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