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6

Zur Herbstzeit aber ist die Eisenbahnarbeit rings um Junnus Hütte in vollem Gange. Der Wald dröhnt auf beiden Seiten, Dynamitsprengungen donnern, ohne Aufenthalt klingen die Hammerschläge der Steinhauer, die Rufe der Fuhrleute und das »Ohoi! Ohoi!« der Pfahlrammer.

Junnus Hütte steht gerade zwischen zwei Städten, und auf ihrem Platz soll eine große Station gebaut werden, wo der Handel und Verkehr dreier Kirchspiele zusammentreffen sollen. Die Umgebung der Hütte muß geräumt, der Wald weggehauen, die Felder geebnet und alle Gebäude niedergerissen werden. Und Junnu hat Befehl erhalten, seine Wohnung zu räumen.

Aber Junnu hat sich nicht vom Fleck gerührt, und er hat auch nicht im Sinne, es zu tun. Er will nichts wissen, was um ihn her geschieht. Er weicht allem aus, umgeht die Arbeitsplätze und will niemand kennen. Obgleich man ihn darum bat, hat er sich geweigert, Milch zu verkaufen, und denjenigen, die ihn selbst um Nachtlager angingen, hat er geantwortet, daß die Hütte für ihn selbst nicht zu groß sei. Ja, selbst zur Benutzung der Badestube oder Bude will er niemand Erlaubnis erteilen.

Die Ingenieure haben ihm wiederholt sagen lassen, er müsse noch vor Allerheiligen seine Gebäude niederreißen, sie würden sonst auf seine Kosten von den Leuten des Staates niedergerissen werden. Junnu antwortete, daß er nicht gesonnen sei, sich zu rühren.

Aber das Wohnhaus muß jedenfalls fort, denn die Schienen sollen mittendurch gelegt werden.

»Dann mögen die Schienen einen Umweg um das Haus herum machen.«

»Das geht nicht an, Umwege zu machen.«

»Man hätte ja eine andere Stelle wählen können, wer hat gesagt, daß die Gleise hier liegen sollen?«

Man betrachtet ihn als närrisch und will nicht weiter in ihn dringen, bis es die höchste Zeit ist. Er würde wohl mit der Zeit auf bessere Gedanken kommen.

Aber Junnus Erbitterung steigt, je mehr sich die Schienen von beiden Seiten nähern.

Als er mit seiner Sommerarbeit zu Ende ist, fängt er an, große Balken heranzufahren, und als man ihn fragt, was damit sei, antwortet er, daß er die Absicht habe, noch vor Ankunft des Winters eine neue Kammer und eine Badestube zu bauen.

Die Ingenieure senden den Hofbesitzer, um ihm zuzureden.

»Will der Bauer alles bezahlen, was das Umziehen und Umlegen des Ackers kostet?« fragt Junnu voller Zorn.

»Was sollte mich wohl dazu nötigen?«

»Hält mich denn die Krone schadlos?« »Ich glaube nicht, daß der Staat deinen Knecht spielen wird.«

»Aber was hattet Ihr denn im Sinn, als Ihr mir erlaubtet, zehn Jahre ohne Bodenzins hier zu wohnen – und nun wollt Ihr mich aus dem Hause werfen?«

»Meinetwegen hättest du hier zwanzig Jahre wohnen können.«

Junnu fängt an, ein leises Mißtrauen gegen den Meister zu empfinden. Seine Augen blinzeln so unsicher, und sein Fuß bewegt sich unruhig hin und her während des Gesprächs. Er könnte wohl sicher die Schmach und den Schaden verhindern, wenn er nur wollte, aber er war wohl mit den anderen verbündet, er war ja immer gut Freund mit den Vornehmen gewesen, so wie jetzt mit diesen Ingenieuren, in deren Gesellschaft er auf dem Arbeitsplatz umherstrich, und seine Pferde hatte er auch zur Eisenbahnarbeit hergegeben.

Aber sie könnten gern alle gegen ihn sein, alle! Er habe das Recht auf seiner Seite, und an dem wolle er festhalten. Er wollte sie verscheuchen, sie zum Weichen zwingen, Rache an allen nehmen.

Weshalb kamen sie hierher und störten ihn, da er sie doch in Ruhe ließ!

Sie hätten ja seitwärts vorüberfahren können mit ihrer Eisenbahn, nein, seine Hütte sollten sie nicht niederreißen, solange er aufrecht stehen konnte.

Sie würden wohl auch schwerlich so viel Umstände mit ihm gemacht haben, wenn er das Recht nicht auf seiner Seite gehabt hätte. Auch hätten sie ihm kaum so eifrig Arbeit angeboten, wenn sie seiner hätten spotten können.

Und es war wohl nur eine leere Drohung, daß die Ingenieure ihm befohlen hatten, vor Allerheiligen alles zu räumen, weil sonst der Landvogt ihn mit Gewalt aussetzen würde.

Der Allerheiligentag kommt näher und näher, und das Legen der Schienenlinie und die Erdarbeiten rücken drohend vorwärts. Sie hacken schon die Wurzelpflöcke aus der Erde, sprengen Steinblöcke, daß die Balken des Hauses krachen und Stücke und Splitter gegen die Scheiben prasseln. Junnu kann seine Hütte nicht verlassen und irgendwohin gehen, ohne bei jedem Schritt mit Menschen zusammenzutreffen, die nach seiner Meinung ihn mit spöttischen Blicken betrachten. Sobald sie ihn erblicken, senden sie ihm aus der Ferne Spottworte und höhnende Rufe nach, sie fragen, ob er es versteht, seine Kuh rein zu melken, ob er wohl den ganzen Hof mit Viehbestand und sämtlichen Dienstboten allein regieren könne und ob er vielleicht die ganze Arbeit an dem neuen Stationsgebäude allein übernommen habe...

Er lebt wie im Belagerungszustand und wagt zuletzt gar nicht mehr, sein Haus aus den Augen zu lassen, weil er befürchtet, daß sie, während er fort ist, vielleicht kommen und alles umreißen könnten. In größter Eile und nur an Festtagen macht er sich auf nach dem Dorfe, um Mehl zu holen. Zuletzt verfällt er ganz seiner Erbitterung, er geht nicht aus, außer wenn er seine Tiere füttern muß, liegt und duselt auf der Bank oder lauert auf die Bewegungen des Feindes ringsum.

Am Abend vor Allerheiligen sieht er Tahvo über den Hofplatz kommen, und kurz darauf tritt er herein. Junnu sitzt beim Tabakschneiden in einer Ecke und tut, als wenn er ihn nicht sähe. Tahvo bleibt vor dem Ofen stehen, um die Hände zu wärmen.

»Sie haben mich gebeten, dir zu sagen, daß du deine Sachen wegräumen müssest, denn man will morgen zur Mittagszeit daran, dein Haus niederzureißen... und du tust am besten daran, zu gehorchen«, fährt er fort, als Junnu nicht antwortet. »Du würdest nur den kürzeren ziehen, wenn du es auf die Gewalt ankommen ließest.«

Junnu hackt nur noch eifriger, ohne zu antworten, und haut einmal so hart, daß das Brett knallt.

»Hättest du nicht vielleicht Lust, die Hütte hier zu verkaufen?« grinst Tahvo und dreht den Kopf ein wenig. »Ich kaufe sie, wenn du verkaufen willst; hundert Mark gebe ich gleich auf der Stelle. Gehst du darauf ein?«

»Nein.«

»Ja, einen besseren Preis erhältst du von niemand. Der Landvogt ist schon hier, und er schwor, daß er dich sofort austreiben würde, wenn du dich nicht gutwillig entferntest. Sie sagen, daß sie dich samt der Hütte in die Luft sprengen würden, wenn du halsstarrig seiest... Aber vielleicht gelüstet es dich, nochmals in die Klauen der Kronleute zu kommen?«

»Hinaus mit dir!« zischt Junnu und fährt in die Höhe.

»Ja, ich werde gehen, aber dir wird man auch bald hinaushelfen!«

Aber als er sieht, wie die schwere Schneidebank in Junnus Finger gleich einer leichten Schachtel in die Höhe fährt, huscht er schnell zur Tür hinaus und kann sie gerade noch zuwerfen, als die Bank krachend gegen die Türpfosten knallt und von da in die Vorstube fliegt, wo sie rasselnd gegen einen alten Eisentopf schlägt.

»Jawohl, solch ein Schweinekerl wollte meine Hütte haben! Er, der an allem Unglück schuld ist. Er, der sie hierhergeführt hat, all dieses Pack! Ohne ihn wären die fremden Herren nie hierhergekommen! Ah so, sie wollen also meine Hütte mit Gewalt abbrechen? Sie wollen mich mit Hilfe des Landvogts aus meiner eigenen Wohnung hinausjagen? Nun, nun, sie mögen es versuchen zu kommen, die...«

Aber er hat noch nicht die Tür schließen können, als auch schon der Landvogt und einer der Ingenieure hereintreten.

Er nimmt die Mütze nicht vom Kopf, geht nicht von der Bank herunter, auf die er gekrochen ist, und beantwortet ihren Gruß gar nicht.

»Nun, jetzt kommt man wohl, um mich hinauszuwerfen?« fragt er mit einem spöttischen Gelächter.

»Ja, man wird wohl genötigt sein, dich hinauszujagen, wenn du nicht gutwillig gehen willst. Aber wozu dich auf die Hinterbeine stellen, Junnu, du wirst doch einsehen, daß es nichts nützt, wenn die Obrigkeit befiehlt«, sagt der alte Landvogt freundlich.

»Mit welchem Recht befiehlt sie?«

»Der Staat hat den Grund gekauft, die Bahn soll hier durchgehen, und das läßt sich nun nicht ändern.«

»So, er hat es gekauft? Aber die Kaufbriefe sind mir nicht vor die Augen gekommen.«

»Das ist aber auch nicht nötig. Du wohnst auf dem Grund und Boden eines anderen.«

»Aber das Haus ist mein, und ich habe das Recht, das Land hier zehn Jahre lang zinsfrei zu benutzen.« »Woher hast du dies Recht?« fragte der Ingenieur.

»So wurde es mit meinem Hofbesitzer verabredet.«

»Hast du Papiere?«

»Nein, Papiere habe ich nicht; aber so war die Verabredung.«

»Ja, mein guter Mann, die Verabredung gilt gar nichts, wenn das Land einmal deinem Hofbesitzer gehört und er seine volle Bezahlung dafür erhalten hat.«

»Hat er Bezahlung erhalten? – Aber ich habe für mein Haus keinen Pfennig erhalten, auch hat er mir nichts angeboten.«

»Das geht uns nichts an, wenn dein Hofbesitzer, dem der Grund gesetzlich gehört, seine Bezahlung erhalten hat.«

»Der Bauer? Aber der kann doch nicht für mein Haus Bezahlung erhalten haben?«

»Ja, die hat er wirklich erhalten, wie ich es dir sage; das ist übrigens eine Angelegenheit für euch beide allein. Mit euren Verabredungen und Streitigkeiten hat der Staat gar nichts zu tun.«

Eine Weile sitzt Junnu, ohne ein Wort zu sprechen, dann richtet er sich auf und ruft: »Ist es wahr, daß er ein ebenso großer Schurke ist wie ihr anderen?«

»Weißt du, mit wem du sprichst?« sagt der Landvogt aufgeregt und stellt sich vor Junnu hin.

»Mit Fälschern, mit Räubern der Regierung! Hinaus aus meinem Haus, hinaus!«

»Junnu, ich warne dich zum letztenmal!«

»Ja, warne du nur, du Lügner, du Hund!« Die Worte bleiben ihm fast im Munde kleben, und seine Stimme röchelt.

»Der Mann ist toll. Es nützt nichts, mit ihm zu zanken und zu streiten.« Und sich an die Arbeiter wendend, die sich vor der Tür gesammelt haben, ruft der Ingenieur: »Anfassen und niederreißen! Wir haben keine Zeit mehr, uns zu zanken ...«

»Da siehst du nun, daß kein Schwatzen hilft«, versucht der Landvogt ein letztes Mal in begütigendem Tone zu sagen.

Aber ohne etwas zu begreifen, ohne etwas zu vernehmen als das eine, daß sie jetzt wirklich im Ernst ihn aus seinem Hause treiben wollen, daß sie ihm sein Recht und sein Eigentum entreißen wollen, fährt er an dem Landvogt vorüber, dem Ingenieur nach in den Hof hinaus, wo ihm die Arbeiter ausweichen, während Neugierige von allen Seiten herbeiströmen.

»Mein Haus reißt ihr nicht nieder!« brüllt er und erhascht einen Zaunpfahl von der Einhegung.

»Tut eure Pflicht!« kommandiert der Ingenieur. Aber die Leute bleiben unentschlossen stehen.

»Was, fürchtet ihr euch vor einem einzigen, ihr Kujons! Hinauf aufs Dach, oder ich entlasse euch allesamt aus dem Dienst!« ruft der Ingenieur.

»Und ich zerschmettere jedem den Schädel, der sich zu rühren wagt...«

»Damit schreckst du niemand ab!« sagt Tahvo und springt gerade neben Junnu die Leiter hinan.

Junnu schlägt nach ihm, trifft aber nicht, und da der Pfahl in seinen Händen zerspringt, faßt er krampfhaft die Leiter und schüttelt sie so rasend, daß sie auf die Erde fällt und Tahvo, der schon bis an die Dachrinne gekommen ist, mit sich reißt.

Tahvo stößt einen wilden Schrei aus und fällt in Ohnmacht. Im gleichen Moment wird Junnu von dem Landvogt und den Ingenieuren beim Nacken ergriffen, sie rufen andere zu Hilfe, man drückt Junnu gegen eine Wand, schlägt ihn zu Boden, schnürt ihm mit einem Strick die Arme zusammen und wirft ihn, machtlos, wie er ist, auf den Boden seines eigenen Schlittens.

»Ah so, du willst dich gegen die Obrigkeit auflehnen ... Ich werde dich lehren, du Esel!« brummt der Landvogt ganz außer Atem und zieht an dem Strick. »Bringt das Pferd aus dem Stall, Leute!«

Junnu liegt ausgestreckt auf dem Boden seines Schlittens und sieht, wie sie sein eigenes Pferd aus dem Stall ziehen und vor seinen Schlitten spannen. Er zieht ein paarmal rasend an den Stricken, versucht, sich auf die Beine zu stellen, aber da er merkt, daß es unmöglich ist, legt er sich zurück und bleibt unbeweglich liegen. Während er so daliegt und warten muß, bis der Landvogt zur Abreise bereit ist, sieht er, wie sie die umgeworfene Leiter wieder an seiner Hüttenwand aufstellen, und als der Schlitten unter Holpern und Klappern auf der nackten Erde davonfährt, rasseln die Bretter vom Dach herunter, und die Birkenrinde fliegt in langen Fetzen, vom Herbstwind getragen, über das Feld.

»So haben wir den Bären aus dem Loch!« höhnt man hinter ihm her, und spöttische Hurrarufe erreichen sein Ohr.


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