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5

Zwei Jahre hat Junnu in seiner Hütte hinter Einöden und Sümpfen gelebt, und niemand hat ihn gestört.

Aber als er im dritten Frühling am Ufer des Sees sitzt und fischt, hört er einen fremden Laut drinnen aus der tiefen Wildnis. Es ist wie der ferne Klang einer Axt und dann wie das Krachen eines fallenden Baumes. ›Aber wer wird doch zu dieser Jahreszeit Holz fällen?‹ fragt er sich ein wenig seltsam berührt. Er lauscht schärfer und ist nun sicher, daß da drüben viele Männer mit dem Fällen von Bäumen beschäftigt sind. Der Wald widerhallt den ganzen Tag, und am folgenden Morgen vernimmt er ganz deutlich, daß der Lärm sich ihm genähert hat. Am Morgen des dritten Tages schleicht er sich hinter der Hütte hinauf auf den Felsrücken und sieht eine große Fichte über dem Wipfel des Waldes wanken und fallen. Und kaum hat er einen Atemzug getan, da fällt schon wieder ein anderer neben der vorigen. Er überlegt lange, ob er hingehen und sich Klarheit darüber holen soll, was dort vorgeht und wer ihm von dieser Seite sich nähert.

Er grübelt darüber, während er über den Hofplatz geht, während seiner Arbeit, während er ißt, und grübelt noch, als er sich zur Ruhe niederlegt. Und weil aus diesem Grunde kein Schlaf über seine Augen kommt, steht er auf und begibt sich auf den Weg dorthin, woher er die Axtschläge und Männerstimmen vernommen hat.

In dem Walde ist keine einzige Seele; aber die Bäume sind gefällt, ein Baum liegt neben dem anderen in schnurgeraden Reihen, und abgeschälte Stöcke sind als Merkmale in den Boden gesteckt.

Aber die Lichtung lief ja gar nicht neben der Losgrenze seines Bauern! Dieser Wald gehört doch wohl seinem Hofbesitzer? Ob er wohl das Waldland verkauft hatte? Würde Junnu vielleicht einen Nachbarn bekommen?

Aber wie er eine kleine Strecke längs des Aushaues dahingeht, sieht er, daß derselbe, den Felsvorsprung umgehend, sich dem Rand des Sumpfes entlang weiter hinauszieht, in einer immer schnurgeraden Linie so weit, als der Blick reicht. Junnu kehrt in seine Hütte zurück, liegt lange wach in bangem Zweifel, bis die Sonne aufgeht, kann aber keine Klarheit erlangen. Die Arbeit geht schlecht, stets will er horchen, und immer hört er den Lärm sich nähern, bis er am Sonnabendmittag aufhört.

Am Sonntag geht er wieder bis an die Linie heran. Sie ist ein großes Stück näher gekommen und scheint sich nach dem Tal zu ziehen, die Mündung gerade seiner Hütte zugekehrt.

Und als er Montag morgen zur Frühstückszeit von dem Einzäunen der Waldwiese zurückkommt, hört er die Axtschläge ganz in der Nähe, hinter dem Feld am Waldvorsprung.

Es wird gesprochen, die Äxte fällen, und plötzlich stürzt eine große Tanne über die Waldgrenze heraus, und im gleichen Augenblick treten zwei Männer über diese hervor. Als sie die Feldgrenze entlang gegen den Hof zugelaufen kommen, verzieht Junnu, der bisher unbeweglich an einer Ecke der Hütte saß, das Gesicht, verbirgt sich in seiner Stube und schlägt die Tür zu. Aber als er sich nicht enthalten kann, durchs Fenster zu gucken, sieht er die Herren mitten auf dem Felde beschäftigt, ein sonderbares dreibeiniges Ding aufzustellen, mit dem sie zuerst nach dem Walde und dann gerade nach seiner Hütte zielen, gleich als wollten sie ihm quer durch die Scheibe ins Auge schießen.

In diesem Augenblick geht jemand am Fenster vorüber, faßt die Türklinke, und Tahvo tritt ein. Er reicht Junnu freundlich die Hand, setzt sich auf die Bank und sagt: »Ich bringe dir heute seltene Gäste, Junnu!«

»Was für Leute sind denn das?« fragte Junnu.

»Es sind Ingenieure.«

»Was haben sie hier zu tun?«

»Wir wollen eine Eisenbahnlinie eröffnen.«

In diesem Augenblick traten die Herren in die Stube.

»... Tag ... Tag«, sagten sie überlegen. »Na, hier ist wohl ein kleines Bauernwesen, obschon wir keine Ahnung davon gehabt haben. Seid Ihr der Hausherr?«

»Ja, er ist beides, Hausherr und Hausfrau, er baut das Feld und sorgt zugleich auch für das Vieh«, erklärt Tahvo, während Junnu steht und sich an dem Ofen zusammenduckt und die Fremden anstarrt, ohne zu wissen, was er davon denken soll oder was das für Leute sind und was sie hier wollen, und dennoch dünkt es ihn, als ob er die Gesichter von früher her kennen müsse.

Die Herren, zwei junge Ingenieure, nehmen die Hütte in Besitz, als gehöre sie ihnen, werfen die Überröcke ab, legen ihre Sachen auf Bänke und Bretter, und Tahvo stellt den Korb mit Mundvorrat auf den Tisch.

»Können wir hier etwas Milch bekommen?« fragen sie.

»Geh hinaus und schaffe etwas Milch für die Herren«, fordert Tahvo auf.

Junnu gehorcht instinktmäßig. Er gießt mechanisch die Milch aus dem Kübel in die Kanne, und als er damit aus der Bude zurückkehrt, wirft er einen Blick hinüber, nach dem gefallenen Baumriesen und nach dem seltsamen dreibeinigen Ding auf seinem Felde, das noch immer dasteht und nach seinem Haus zielt – und bringt dann die Milch in die Hütte zu den Herren.

Wieder stellt er sich neben die Ofenbank, betrachtet seine Gäste und raucht krampfhaft aus seiner Pfeife.

Als die Herren gegessen haben, erzählt ihm Tahvo, daß eine Eisenbahnlinie hier durch die Gegend gelegt werden solle, daß man daran sei, sie zu öffnen, und daß zum Herbst die Arbeit beginnen solle.

»Sie wird hier durchführen diesen Weg, gerade in dieser Richtung, wie durch die Hütte geschossen.«

»Durch die Hütte?« preßt Junnu endlich hervor.

»Ja, Ihr werdet ein wenig Platz machen müssen«, sagt einer der Herren.

»Dein Feld und deine Wiese mußt du anderswo anlegen.«

»Anderswo anlegen?«

»Ja, ja, eben, hier hilft kein Maulspitzen, wenn der Staat befiehlt.«

»Der Staat befiehlt?«

»Ja, wenn er befiehlt, so hat man nur zu gehorchen.«

Tahvo sieht aus, als ob er spotten wolle, seine Augen leuchten vor Schadenfreude, und ratlos betrachtet Junnu abwechselnd ihn und die Herren. Ja, sicher waren das die gleichen Herren, die im vergangenen Winter sein Pferd gepeitscht hatten. Wenn sie nur nicht mit anderen Absichten gekommen waren, wenn sie nur nicht mit Tahvo im Bunde steckten.

Ohne daß ihn Junnu fragt, erzählt Tahvo, daß er als Gehilfe dieser Herren gerade aus dem Städtchen gekommen sei. Es seien mehr Leute, etwa zwanzig, die an der Eröffnung dieser Linie weiter entfernt im Walde drüben arbeiten, und die Arbeit wird gut bezahlt, drei Mark täglich bei eigener Kost – und wenn erst richtig die Arbeit beginnt, hat man ihm für die ganze Dauer Beschäftigung versprochen. Es sei doch keine Arbeit so reell wie diejenige des Staates. Ja, und wenn man ein Pferd hätte, so könnte man erst recht Geld verdienen.

»Aber du hast ja ein Pferd? Du kauftest ja den alten Wallach ...« Junnu antwortet nicht.

»Und eine Kuh hast du noch obendrein. Für ihre Milch kannst du tüchtig Geld bekommen, wenn die Arbeit hier drinnen im Ödwald einmal beginnt ... und sie dauert wohl lange. Vielleicht gehst du auch in den Dienst des Staates?«

»Nein, dazu habe ich keine Lust.«

»Es könnte doch sein, daß du dazu gezwungen würdest, wenn sie dir das beste Land nehmen und dein Gebäude der Eisenbahn wegen niederreißen lassen.«

»Aber wenn ich es nun nicht niederreißen lasse?«

»Sie müssen es niederreißen; denn sie dürfen von der einmal festgesetzten Richtung nicht abweichen. Sie haben größere Höfe als den deinigen niedergerissen. Sie weichen niemals aus, außer vor Kirchen.«

Junnu will sich auf keinen Streit einlassen. Man weiß ja doch nicht, welcher Art die sind ...

Als die Herren gegessen haben, machen sie sich zum Gehen bereit; sie werfen einige Geldstücke für die Milch auf den Tisch und gehen aufs Feld zu ihrem Apparat, den sie jetzt mitten auf dem umzäunten Platz aufstellen. Tahvo steckt einen Pflock an jener Stelle in die Erde, wo die Maschine gestanden hat, einen anderen in den Hof und einen dritten neben den Wald am anderen Ende des Feldes. Die Herren rufen Junnu zu, als sie gehen, daß es unter Strafe verboten sei, diese Pflöcke auszureißen, und verschwinden im Walde.

Als sie fort sind, kommen andere Männer mit Äxten, auch sie gehen quer über das Feld und über den Hofplatz. Sie sehen Junnu nicht, der in seinem Hause wie gelähmt sitzt und ihnen nachstarrt, und bald fangen sie an, im Wald auf der anderen Seite Bäume zu fällen.

Erst als sie alle verschwunden sind, fängt Junnu nach und nach an zu begreifen, was geschehen ist.

Spaßeshalber könnten sie nicht so zahlreich gekommen sein. Vielleicht waren sie doch Eisenbahnarbeiter ... vielleicht war die Drohung war, daß man die Bahn hier durch und gerade mitten durch sein Haus führen ... alle seine Gebäude niederreißen und seine Felder verderben würde ... vielleicht kamen Hunderte von Arbeitern hierher, er und alles, was er besaß, würde unter die Füße getreten – er würde wie mitten in einem Dorfe stehen.

Die Wahrheit wird ihm plötzlich wie mit einem Donnerschlage klar, eins nach dem anderen versteht er, es ist ihm, als ob Stein um Stein auf seinen Kopf fiele.

Er soll also fort? Wieder hinaus und bei fremden Leuten die Erde treten? – Aber er räumt den Platz nicht! Er rührt sich nicht von der Stelle! Sie sollen nur wagen zu kommen, sein Birkenknüttel soll krachend auf den Schädel eines jeden niederfallen.

Das Blut steigt ihm zu Kopfe. Ohne ihn um Erlaubnis zu fragen, haben sie seinen Wald gefällt und seinen besäten Acker zerstampft. Und als sie an seinem Tische saßen, wie prahlten sie so tölpelhaft und hochmütig damit, die Hütte über seinem Kopfe niederreißen zu wollen. Warum hatte er ihnen nicht das Schüreisen um die Köpfe gehauen? Warum hatte er ihnen nicht einen Abschiedsgruß gegeben, daß ihnen die Lust am Wiederkommen vergehen sollte? Aber er kann sie noch einholen... Er ist schon im Begriff, ihnen nachzusetzen, hält aber wieder inne...

»Nein, nicht auf diese Weise... nicht durch Faustkampf oder Gewalt. Das war ja gar nicht nötig. Er hatte ja das Recht auf seiner Seite. So sollten sie sich nur heranwagen! Sie konnten ja den Kampf beginnen. Er fürchtete sich nicht vor der Regierung oder deren Handlangern.

Er geht hinaus zu den Stäben, die sie eingesteckt haben, reißt sie aus der Erde und wirft sie in den flammenden Ofen.


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