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Also spricht Zarathustra

Käthe! rief Graf Kirchwald, indem er mit einem Briefe in der Hand in das Zimmer seiner Frau trat. »Na, wo steckt sie denn nur?« setzte er hinzu, als er das Zimmer leer fand, doch ahnte er wohl, wo sie »steckte,« denn ohne wieder zu rufen, durchschritt er die folgenden Räume und öffnete vorsichtig die Thür zu einem geräumigen Zimmer, in dessen Mitte ein winziges, spitzenverhangenes, schleifengeschmücktes Bettchen stand, darin ein wenig Monate altes Menschenkind mit rosigen, geballten Fäustchen und noch rosigeren Bäckchen den Schlaf der Gerechten schlief. Und um dieses Bettchen standen bewundernd drei Frauengestalten –: eine kräftige Spreewälderin in der bunten, kleidsamen Tracht ihrer Heimat, deren junges, gesundheitstrotzendes, rundes Gesicht das weiße Kopftuch wohl kleidete; die Mutter des kleinen Weltbürgers, Käthe Hellberg, Gräfin Kirchwald in der ganzen, alten, siegreichen Schönheit ihrer herrlichen Walkürengestalt und endlich noch eine alte Bekannte, lang, dürr, pedantisch, aber gutmütig aussehend wie immer, kurz. Miß Knickerbocker, Käthes ehemalige, vielduldende Gouvernante.

Graf Kirchwald sah, in der Thür stehend, lächelnd die Gruppe an, freundlich weilte sein Auge auf der guten Miß und der strammen Amme, aber stolz und glücklich auf seiner schönen jungen Frau und fast noch stolzer aus den ruhevollen Zügen seines Sohnes und Erben. Der junge Mann und Kriegsheld in spe hatte es sich einfallen lassen zur Welt zu kommen, als eben Graf Kirchwald von Berlin abberufen wurde, um als Generalstabsoffizier dem Generalkommando in einer süddeutschen Stadt attachiert zu werden – man hatte daher den Buben bald und ohne besondere Festlichkeiten taufen lassen und Miß Knickerbocker war berufen worden, der jungen Mutter beim Umzuge nach der neuen Garnison beizustehen und das neue Heim einrichten zu helfen. Das war vor dem letzten Weihnachtsfest geschehen, an welchem Kirchwald junior den zweiten Monat seines irdischen Lebenslaufes vollendet hatte, und nun war es Faschingszeit und die gute Miß war noch da, sich nützlich machend und bedingungslos vor dem Schreine dieses neuen Hausgottes anbetend. Die durch das fühl- und erbarmungslose Militärkabinett gestörte Tauffeierlichkeit sollte nämlich nachträglich gefeiert werden und Graf Hellberg, der glückliche Großvater, wurde mit seiner Tochter Felicitas und deren Gatten, Herrn von Wendenburg, dazu erwartet und sollte die Miß dann wieder mitnehmen, um dem Hellberger Schloß seinen dirigierenden ersten Hausminister in ihr zurückzugeben – auch Cousine Theone und ihr Gatte, Baron Tiefenthal, wurden erwartet, da dieses würdige Muster-Landwirtspaar sowieso nach Frankfurt reisen wollte, um eine neue landwirtschaftliche Maschine zu besichtigen und eventuell anzukaufen. Daß man die Winterszeit zu diesem Besuche und zur Nachfeier gewählt, hatte seine guten Gründe in dem Umstande, daß Wendenburgs eine Reise nach der Riviera vorhatten und diese jetzt blühenden Gestade leicht von hier mit der Gotthardsbahn erreichen konnten; da war es gewissermaßen gegeben, daß Hellberg sich ihnen anschloß und sich dabei 'mal den süddeutschen Karneval ansah, der als extra Anziehungskraft auch Tiefenthals von Frankfurt herüberlockte.

Kirchwalds hatten sich bald in der fremden Umgebung eingelebt, die »Gesellschaft« hatte das junge Paar mit offenen Armen aufgenommen, die Garnison lag huldigend zu Käthes Füßen, ebenso auch die Künstlerschar, welche einerseits hierorts angesessen den Ruhm der bewährten Künstlerstadt vertrat, anderseits noch auf der Akademie studierte. Käthe fühlte sich ganz in ihrem Element in diesen harmlos-fröhlichen Kreisen und betrachtete mit ihrem Gatten die Versetzung von Berlin nicht als ein Mißgeschick, sondern als eine höchst angenehme Abwechslung.

»Immer an der Scholle kleben,
Trübt den Blick, wenn noch so klar –
Fremdes Land und fremdes Leben
Stechen dir allein den Star«

citierte sie gern, den sinnigen Spruch eines der Gelehrten der »Fliegenden Blätter«, wenn sie angeregt, amüsiert und seelenvergnügt aus einem der gastfreien Künstlerhäuser heimkehrte, die ihre Pforten gern den Kreisen öffneten, welche den ihrigen homogen und sympathisch gegenüberstanden. Käthes ganze Natur mußte sich selbstredend wohlfühlen inmitten dieses Künstlervölkchens, das bei allem eifrigen Ringen, Streben und ernsthaftem Arbeiten so harmlos vergnügt und nie um besonders lustige Intermezzi verlegen ist; ihr in dieser Richtung allzeit thätiger Kopf schaute nicht nur belustigt zu, sondern half mit fördern – was Wunder also, wenn sie bei Künstlern und Akademikern allseitig beliebt und begehrt war wie ein guter Kamerad, der sie natürlich vor allem denen blieb, die des Königs Rock trugen und nur zu gern das Kirchwaldsche Haus besuchten, das keinen Kommißton kannte, sondern allen die gleichen Rechte einräumte.

»Du, Horst, komm nur und schau dir den Jungen an!« rief Käthe sotta voce ihrem Manne zu. »Wir haben ihn nach dem Bade heute wieder gewogen – er hat letzte Woche fast ein Pfund zugenommen. Großartig, nicht? Selbst die Miß sagte, er sähe schon gar nicht mehr aus wie eine Kaulquappe.«

»O!« machte die Miß abwehrend. »Ich habe nur ausgedruckt, wie sehr ich ent–verzückt bin von die kleine Gentleman. Ich weiß gar nicht, was das ist, eine Quappenkaul.«

»Kaulquappe, Knickerchen,« korrigierte Käthe lachend. »Sie wissen, Papa behauptete immer, daß kleine Kinder so aussähen! Aber Heinz sieht nun schon wirklich wie ein Mensch aus, nicht?«

»Jedenfalls wie das Leben,« konstatierte Graf Kirchwald stolz.

»Unberufen, unberufen, unberufen!« murmelte die Spreewälderin, indem sie dreimal rechts und dreimal links das Ausspucken markierte – in dem Glauben Vieler, auch Gebildeter, heute noch ein ganz sicher wirkendes Mittel gegen den Umschlag des Bestehenden.

» Oh yes, unberufen!« imitierte die Miß umgehend das ländliche Vorbild, ohne eigentlich eine rechte Ahnung davon zu haben, was nicht »berufen« werden sollte.

»Mit einem Worte: ein Wunderkind,« lächelte Graf Kirchwald. »Aber wenn du jetzt hier abkömmlich bist, Käthe – ich habe nämlich einen Brief erhalten –«

»Ich – natürlich komme ich gleich mit dir. Heinz schläft und Mißchen hütet, eine Jacke für ihn strickend, seinen Schlummer.«

» Yes, von weißer Wolle,« nickte die Miß strahlend und Käthe folgte ihrem Gatten in dessen Zimmer.

»Horst,« sagte sie unterwegs, »du machst solch' ein Gesicht – ich hoffe nicht, daß wir wieder versetzt sind oder daß die Bank verkracht ist, die unsre irdischen Schätze in Verwahrung hat. Viel ist's ja nicht, aber dumm wär's doch!«

»Nein, so schlimm ist's nicht, Käthe. Der Brief ist nur vom Onkel Diestelcamp –«

»Onkel Hofmarschall, bitte! Ehre, wem Ehre gebührt!«

»Vollkommen einverstanden. Also, Onkel Hofmarschall hat eine ›diplomatische‹ Mission am Hofe zu H. – es handelt sich um eine Einladung der dortigen Herrschaften zur Taufe in Nordland – und da beabsichtigt er unterwegs bei uns Station zu machen zur Überreichung eines Patengeschenkes des Prinzen an unsern Jungen. Riesig nett von dem Prinzen, daran zu denken, nicht?« erzählte Kirchwald.

»Der Prinz ist immer nett,« sagte Käthe leichthin. »Den Rest des Briefes kannst du dir schenken, mir tropfenweise beizubringen,« fügte sie mit zurückgeworfenem Kopfe hinzu, »denn es gehört nicht viel Clairvoyance dazu, ihn durch das Couvert zu lesen. Tante Kuki bringt es natürlich nicht über sich, ihren Habakuk 'mal von der Strippe zu lassen und begleitet ihn selbstredend. Hab' ich's erraten?«

Graf Kirchwald sah seine Frau lächelnd an.

»Käthe, wenn du Anno dazumal in Theben gelebt hättest, dann wäre die Sphinx bald ein überwundener Standpunkt gewesen,« sagte er lobend. »Du hast es in der That erraten. Tante Kuki kommt unter dem Vorwande, ihr Patchen sehen zu müssen, weil ihre Seele in Sehnen nach ihm sich verzehrt und um auch ihrerseits dem Knaben ein kleines Angebinde zu überreichen.«

»Wird was Nettes sein,« brummte Käthe. »Ich taxiere sie auf eine tombakene Uhr oder einen dünnen silbernen Becher, der bis zum Nimmermehrstage im Silberschrank ›zur ewigen Erinnerung‹ aufbewahrt wird. Bah!«

»Nun, das ist ja schließlich egal –«

»Gar nicht egal ist es!« behauptete Käthe. »Heute, wo ich die Interessen unsres Sohnes zu vertreten habe, kann ich mich gar nicht genug wundern, mit welcher unverhältnismäßigen Seelenruhe wir damals das lockend vorgehaltene Hochzeitsgeschenk der Tante Kuki uns vor der Nase fortnehmen ließen. Heutzutage könnte das einen netten Tanz geben, wenn sie ein Patengeschenk für Heinz wieder kalt lächelnd entführen wollte! Wie ein Löwe würde ich selbst 'ne tombakene Uhr verteidigen, darauf kannst du dich verlassen!«

»Ich bin davon überzeugt, Herz!« nickte Graf Kirchwald und fügte mit einem unterdrückten Seufzer hinzu: »Hm, die in so lockender Nähe gezeigte Herrschaft würde freilich ein recht solider Hintergrund für Heinzens Zukunft sein – na, aber was hilft's, daran zu denken? Hin ist hin!«

»Noch lange nicht,« behauptete Käthe. »Wer weiß, ob mir nicht noch 'mal ein genialer Gedanke kommt, mittels dessen ich von Tante Kuki das schnöde entrissene Geschenk wieder erobere?«

»Ist ohne Gewalt kaum möglich, Käthe,« entgegnete Graf Kirchwald lachend, »und Gewalt ist in unsern Kulturstaaten ungesetzlich.«

»Hab' ich die Gesetze gemacht?« fragte Käthe verächtlich. »Was ich nicht gemacht habe, dafür bin ich nicht verantwortlich!«

»Aber, um des Himmels willen, Käthe –«

»Und für Heinz bin ich zu allem fähig, selbst zu einem Kampfe mit dem R.-Str.-G.-B.« schloß sie triumphierend. »Aber,« fügte sie dann nachdenklich hinzu, »aber so 'was kann man nicht ausgrübeln, das muß wie der Blitz über einen kommen – vielleicht kommt's, vielleicht auch nicht. Also die Tante Kuki kommt. Na, jedenfalls beehrt sie diesmal nicht unser Haus, denn Papa wohnt natürlich in dem einen unserer Fremdenzimmer und in dem andern hat Miß Knickerbocker ihren Wigwam. Da werden Onkel und Tante Hofmarschall wohl mit Wendenburgs und Tiefenthals ins Hotel müssen!«

Graf Kirchwald räusperte sich.

»Hm – Käthe, du weißt, welches Vorurteil Tante Kuki gegen Hotels hat,« versuchte er einzulenken. »Wenn wir es der Miß plausibel machen, für die kurze Zeit, sagen wir mit dem Kinderzimmer oder mit meinem Ankleidezimmer fürlieb zu nehmen, damit auch meine nächste Verwandte bei uns wohnen kann –«

»So thut sie's gern. Selbstredend,« fiel Käthe trocken ein. »Nur, siehst du, Horst, ich hab's gar nicht vor, der guten Knickerchen solch' einen Vorschlag plausibel zu machen.«

»Das glaub' ich nicht,« sagte Graf Kirchwald liebenswürdig.

Mit den Worten »Nein? Na, da wirst du wohl recht haben, Horst!« ergab Käthe sich seufzend in ihr »Schicksal,« das heißt in den Wunsch ihres Gebieters, wie immer, wenn sie sah, daß er wirklichen Wert darauf legte. Und wie immer, versuchte sie noch einen stürmischen Appell zu Gunsten ihres Wunsches: »Ach Horst, das hättest du mir wirklich ersparen können!«

Graf Kirchwald sah sie lächelnd an, doch ehe er etwas sagen konnte, war sie aufgesprungen.

»Na ja, ich weiß schon, was du sagen willst: es hat gar keinen Zweck, auch noch Tante Kukis Jammern über gestörte Hotelnächte anzuhören nebst einigen Seitenhieben über herzlose Verwandte, die es über sich bringen, die arme Märtyrerin zu foltern. Hat es auch nicht. Also denn man tau!«

Miß Knickerbockers Dislozierung ging sogleich ohne Schwierigkeit von statten, da es die gute Seele ganz begreiflich fand, den nächsten Verwandten des Hausherrn Platz zu machen, was Käthe zu dem innerlichen Kommentar veranlaßte, daß die Miß wie der Blinde von der Farbe redete, indem ihr eine nähere Bekanntschaft mit Tante Kuki eben noch fehle. Käthe wäre selig gewesen, wenn die Miß die Pikierte gespielt hätte, und der Wahrheit die Ehre zu geben, hatte sie ihr den Vorschlag einer Übersiedlung ins Kinderzimmer so gemacht, daß eine weniger harmlose Person gestutzt hätte. Aber das that die Miß ganz und gar nicht und Käthes kleine List fiel elend ins Wasser – der Tante Kuki war eben nicht zu entrinnen.

Am folgenden Tage trafen die vorher erwarteten Gäste in corpore ein – Graf Hellberg, etwas grauer geworden, aber sonst frisch und liebenswürdig wie immer, der Kavalier vom Scheitel bis zur Sohle – Frau Fee von Wendenburg schöner, liebreizender denn je, ihr Gatte auch ganz der alte. Baronin Theone von Tiefenthal war noch runder geworden als zu der Zeit, da wir in »Quarks Lieblingsname« ihre Bekanntschaft machten und strickte nun, statt für Käthe, Strümpfe für Frau Fees Kinder, wenn Baron Tiefenthal nicht gerade Mangel an Socken hatte. Dieser Würdige war unverändert im Aussehen und im Wesen – laut, taktlos, ungeniert seinen schlesischen Dialekt redend, aber der goldene Kern in der rauhen Schale sorgte dafür, daß seine Verwandten ihm manches nachsahen, was sie bei einem andern kaum vertragen hätten.

»Na, was machste denn, altes Mädel?« begrüßte er seinen Liebling Käthe laut auf dem Perron des Bahnhofes. »Siehst ja ganz lampern aus! Dunnerkiel noch eens – die Krabbe wird jedes Jahr hübscher!«

»Aber Onkel, schrei doch nicht so!« sagte Käthe rot werdend.

»Schreien? Jekersch nee, ich pischbere ja bloß!« erwiderte der Mustergutsherr mit einem Stimmaufwande, daß alles sich nach ihm umsah. »Man wird doch hier noch reden dürfen! Na, Gott sei Dank, daß wir da sind! Das Eisenbahngezumple ist nicht meine Sache. Zwar von Zumpeln war nicht die Rede, der Zug fuhr wie verbrannt, daß man kaum Zeit hatte, irgendwo Einen hinter die Halsbinde zu gießen und meine Kehle ist so trocken wie 'n wollener Strumpf!«

Käthe versicherte lachend, daß man diesem Übel schon abhelfen wollte, was Tiefenthal sichtlich beruhigte und nachdem er mit einem Dienstmann noch einen lebhaften Strauß ausgefochten, bei dem beide Streitenden nur sich selbst verstanden, da sie sich beide ihrer respektiven Dialekte bedienten, wurden die Ankömmlinge in Droschken »verladen« und in die für sie reservierten Zimmer im Hotel gebracht, während Graf Hellberg bei seinen Kindern abstieg und dort zum erstenmal seinen jüngsten Enkelsohn umarmte.

Bald trafen auch die beiden andern Paare ein und nachdem der kleine Heinz eine Weile der Mittelpunkt dieses Familienkreises gewesen, versammelte sich alles um den Theetisch und man war so heiter und vergnügt, als man eben nur in vollster Harmonie sein kann.

Inmitten dieses lustigen Geplauders hörte niemand, wie unten auf der Straße vor dem Hause eine Droschke vorfuhr; es achtete auch keiner darauf, daß draußen im Korridor die elektrische Klingel ertönte, aber gleich darauf wurde die Thür des Speisezimmers geöffnet und in ihrem Rahmen erschien, wohlverhüllt in kostbare Pelze, als wollte es eine Spritzfahrt an den Nordpol unternehmen, ein älteres Paar –: Hofmarschall von Diestelcamp mit Gemahlin.

Käthe ließ vor Schreck ein Stück Kuchen fallen, das sie gerade verspeisen wollte.

»Tante Kuki!« schrie sie auf, wie gestochen. »Ich denke, ihr wolltet erst morgen kommen!«

»Ein gedankenloser Gedanke, wie gewöhnlich, meine Liebe,« kam es scharf über die schmalen, zusammengekniffenen Lippen der pelzumhüllten Dame, »denn wir haben uns durch ein Billet von mir nachträglich für heute angemeldet. Wenn du uns aber durch diesen Empfang andeuten willst, daß wir heute unwillkommen find, dann können wir uns ja wieder empfehlen!«

»Hab' ich das gesagt?« wandte sich Käthe empört an die Anwesenden, doch Graf Kirchwald hatte sich rasch gefaßt und führte seine Tante vollends in das Zimmer, indem er versicherte, keinen solchen Brief erhalten zu haben.

»Ich habe ihn meinem Gemahl selbst zur Beförderung übergeben,« erwiderte Tante Kuki, immer noch voll Mißtrauen mit einem Seitenblick auf Käthe, die mit zurückgeworfenem Kopfe aus ihrer Entrüstung keinen Hehl machte.

»Gewiß, meine Teure, gewiß – ich habe ihn doch auch selbst mit den anderen Briefen in den Postkasten geworfen,« versicherte der Hofmarschall. »Ich hatte sie alle in meinem Portefeuille« – hier produzierte er diesen nützlichen Gegenstand – »hier hatte ich ihn gestern noch, und – ja – wie konnte mir denn das passieren – hier ist er noch!«

Und mit konsterniertem Gesicht brachte er das fragliche Schreiben heil und unberührt von jeglichem Poststempel ans Licht.

Ein geräuschvoller Heiterkeitsanfall Tiefenthals machte der folgenden verlegenen Pause ein jähes Ende.

»So was passiert in den besten Familien!« lachte er ungeniert heraus. »Machen Sie kein solch' betrippstes Gesicht, oller Schwede, und lassen Sie sich 'nen Kuß von mir aufbrummen – ich bin in der Beziehung genau solch 'n tapriger Konfusionsrat wie Sie!«

Tante Kuki machte ein Gesicht, als ob sie unversehens in eine Citrone gebissen hätte, erstens weil ein Mensch, den sie nur oberflächlich kannte, es wagte zu lachen, ehe er ihr unterthänigst die Hand geküßt und dann, weil eben dieser selbe Mensch, den ihr Gatte noch gar nicht kannte, ihn in einem Atem kurzweg mit »oller Schwede« anredete und ihm einen Kuß anbietend einen »taprigen Konfusionsrat« nannte. Aber da ihr Gatte alles das scheinbar ganz vergnügt in seiner Verwirrung entgegennahm und sie über aller Gesichter ein Lächeln huschen sah, machte sie gute Miene zum bösen Spiel.

»Nun, ich sehe, daß hier ein Irrtum sich schnell genug aufgeklärt hat,« sagte sie gezwungen lächelnd. »Liebe Nichte, ich finde dein Erstaunen über unser plötzliches Erscheinen jetzt ganz erklärlich und würde dir dankbar sein, wenn du uns unser Zimmer anwiesest!«

»Das soll nämlich eine Entschuldigung sein,« raunte Käthe ihrer Schwester ins Ohr und setzte laut hinzu: »Na, lege nur einstweilen ab, Tante, und erwärme deine Seele mit einer Tasse Thee, denn das Zimmer muß erst geheizt werden –«

»O! Das Zimmer muß erst geheizt werden?« wiederholte Tante Kuki gedehnt. »Du hättest besser gethan, dies schon früher thun zu lassen – man erkältet sich so leicht in frisch geheizten Räumen.«

Käthe zuckte mit den Achseln – sie war es gewohnt, immer von Tante Kuki getadelt zu werden und machte sich wenig genug daraus, aber die Miß sah chokiert aus und fühlte sich verpflichtet, sich ihrer ehemaligen Schülerin anzunehmen.

» I beg your pardon,« wandte sie sich an Frau von Diestelcamp. »In unsere nordische Klimate sein das eine andere matter. Dort, man muß tagelang keep up a fire, um eine unbewohnte Zimmer warm zu machen. Hier im Süden braucht man dazu nur eine kurze Zeit.«

»So? Wie interessant!« ließ Tante Kuki sich herbei zu erwidern, indem sie ihre Reisehüllen ablegte, und bald hatten die Ankömmlinge am Theetisch Platz genommen und Graf Hellberg sorgte dafür, daß die neben ihm placierte Frau von Diestelcamp bald behaglich genug aussah, die Schleusen ihrer bedingungsreichen Liebenswürdigkeit öffnete und die Sonne ihrer Gnade über die Gerechten und Ungerechten dieser kleinen Runde aufgehen ließ. Ja, bei der dritten Tasse und einem besonders delikaten Stückchen Kuchen ließ sie sich sogar herbei, Käthe huldreich anzulächeln, indem sie sagte: »Du ahnst nicht, liebe Nichte, wie sehr ich mich schon danach sehne, unsern lieben, süßen Habakuk an mein Herz zu drücken!«

Käthe machte erst ein erstauntes Gesicht, dann lachte sie lustig auf.

»Aber Tante,« sagte sie heiter, »das kannst du doch alle Tage haben! Na, euer Zimmer ist ja bald soweit bereit, wenn du's aber gar nicht mehr aushalten kannst – wir haben nichts dagegen, wenn du den Onkel auch hier schon ans Herz drücken willst, vorausgesetzt, daß es ihm nicht genierlich ist!«

»Ich verstehe nicht!« replizierte Tante Kuki. »Wer spricht von dem Onkel? Ich meine den kleinen Habakuk!«

Käthe sah sich hilflos um.

»Das verstehe ich wieder nicht,« gestand sie. »Wo ist denn ein kleiner Habakuk?«

Tante Kuki faltete ergeben ihre Hände.

»Sie kennt ihren eigenen Sohn nicht!« hauchte sie mit einem Blick um die Tafelrunde.

»Mein Sohn?« wiederholte Käthe. »Ja, der heißt aber doch nicht Habakuk!«

»Wie?« rief Tante Kuki blaß werdend und sich kampfbereit aufrichtend. »Höre ich denn recht? Ich, seine Pate, habe ihm ausdrücklich diesen teuern Namen gegeben! Sollte da nicht ein Irrtum obwalten?«

»Ich glaube kaum, liebe Tante,« fiel Graf Kirchwald ein. »Unser Junge hat unter andern Namen auch ganz richtig den deinen, der zugleich auch der Name deines Gatten ist, in der Taufe erhalten – sein Rufname ist aber Heinrich – nach Papa und dem Prinzen – wir nennen ihn aber kurz nur Heinz!«

Tante Kuki verfärbte sich noch mehr.

»Ich traue meinen Ohren nicht!« rief sie mit bebender Stimme und zitternden Nasenflügeln. »Natürlich – Graf Hellberg hier ist ja freilich der Großvater – indes – das Kind ist ein Kirchwald und ich bin seine nächste Anverwandte von väterlicher Seite und spiele als solche wohl hier die erste Rolle. Wie ist es daher möglich, dem Knaben einen andern Rufnamen zu geben, als den, welchen ich ihm bestimmt habe?«

»Den Rufnamen bestimmen die Eltern!« grunzte Tiefenthal dazwischen.

Tante Kuki ignorierte den Einwurf vollständig.

»Die Abänderung eines Rufnamens ist eine Sache, die keine Schwierigkeit macht,« fuhr sie fort. »Wenn man mir also – trotzdem ich es nur ungern glauben möchte, den Affront angethan hat, dem Kinde einen andern Namen zu geben, so wird diese Abänderung am besten sogleich vorgenommen werden –«

»Aber Tante –« fiel Graf Kirchwald ein, doch Frau von Diestelcamp erhob abwehrend ihre Hand.

»Bitte,« sagte sie spitz. »Wenn das Kind überhaupt Habakuk getauft wurde, so wird es auch so genannt!«

»Heinz heißt er und wird er genannt,« rief Käthe mit blitzenden Augen. »Der Name Habakuk mag ja sehr ehrwürdig sein – schön ist er aber nicht! Hab' ich nicht recht, Onkelchen?«

»In der That,« lächelte der Hofmarschall verlegen. »Ich habe mich zwar mit der Zeit an ihn gewöhnt und finde die Abkürzung ›Kuki‹ in der weiblichen Anwendung ganz reizend sogar« – dies mit einem Kompliment gegen seine »liebe Frau« – »aber offen gestanden – ich habe in jungen Jahren oft gegen das Geschick gehadert, das mich mit diesem – hm – reichlich ungewöhnlichen Namen fürs Leben bedacht hat.«

»Habakuk! Du wirst frivol!« rief Tante Kuki streng. »Ich bin erstaunt und empört, dich also deiner Nichte nach dem Munde reden zu hören! Mein Gott, kehrt sie denn das Herz meines eigenen Gatten gegen mich? Doch davon ein anderes Mal. Ich frage jetzt nur: wird das Kind Habakuk gerufen werden, oder nicht?«

»Natürlich nicht, da es schon Heinz heißt,« gab Käthe prompt zurück.

»Horst – und du hast die unsägliche Schwäche, dich in diesem heiligen, ernsten, pflichtenreichen Falle dem Willen dieses Geschöpfes unterzuordnen?« wandte sich die Tante bebend vor Zorn an ihren Neffen.

»Dies Geschöpf ist meine Frau und die Mutter meines Sohnes,« gab Graf Kirchwald vollständig beherrscht zurück. »Wir haben den Rufnamen des Kindes in absolutem, gleichberechtigtem Übereinkommen gewählt. Das ist unser gutes Recht, nicht wahr, liebe Tante?«

»Ich habe aber ausdrücklich gewünscht, daß der Knabe auf den Namen Habakuk getauft werde!«

»Ist auch geschehen, verehrte Tante. Ich werde mir erlauben, dir den Taufschein vorzulegen, aus dem du ersehen kannst, daß der Junge Heinrich, Johannes, Albert, Habakuk heißt!«

»Ist dies die richtige Reihenfolge der Namen, wie sie im Taufregister eingetragen sind?«

»Ganz wohl! Du kannst dir denken, daß wir sie mit Stolz auswendig wissen!«

Tante Kuki erhob sich.

»Man erlaube mir, mich zurückziehen zu dürfen,« sagte sie mit zitternder Stimme. »Also nicht allein, daß man so herzlos war, meinen Namen dem Kinde als Rufnamen nicht zu geben – nein, man hat mir die Schmach angethan, diesen Namen auch zuletzt zu nennen. Ich sehe darin eine beabsichtigte Kränkung, die nur von diesem schlechten Geschöpf dort, das den Namen Kirchwald unwürdig führt, ausgegangen sein kann. Ich ziehe mich zurück, um einsam in der Stille meines Zimmers zu weinen!«

Und in ein krampfhaftes Schluchzen ausbrechend, rauschte sie hinaus, von der Miß gefolgt, die sich verpflichtet fühlte, ihr wenigstens die richtige Thür zu zeigen.

Die Zurückbleibenden sahen sich stumm einen Augenblick an.

»Na, da schlag' doch gleich der Popelmann drein!« brach Tiefenthal zuerst los.

»Gott,« rief Käthe seelenruhig. »Unwürdiges und schlechtes Geschöpf war noch Tante Kukis schlimmste Injurie nicht. Da hab' ich noch ganz andere auf ihrem Kerbholz. Das ist ihr Lieblingsname für mich!«

»Aber lieber Herr von Diestelcamp,« wandte sich Graf Hellberg an den Hofmarschall, »meinen Sie nicht, daß Ihre Frau Gemahlin zu weit gegangen ist? Verzeihen Sie, wenn ich mir erlaube daran zu erinnern, daß meine Tochter doch hier Hausfrau ist und –«

»Bester Graf – Sie haben tausendmal recht!« entgegnete der Hofmarschall. »Meine liebe Frau besitzt ein so leicht erregbares Temperament und überlegt ihre Worte dann nicht. Ich eile zu ihr und werde die Angelegenheit sogleich in Ordnung bringen!«

»Auch wieder einer, der mehr verspricht, als er halten kann,« sagte Käthe, als Herr von Diestelcamp das Zimmer verlassen hatte. »Reg' dich nicht auf, Papa, und du, Horst, mach' kein solch wütendes Gesicht. Ich bin nun 'mal für Tante Kuki das rote Tuch, das sie zu blinder Wut reizt, sobald sie es sieht. Beruht, wie alle Gefühle, auf Gegenseitigkeit. Wer trinkt noch eine Tasse Thee?«

»Nee, 'nen Cognac auf den Schrecken!« schrie Tiefenthal. »Haste noch viele solche liebe Tanten, mei Herzepünktel? Die laden wir uns ein, Theone, und machen sie zahm und lassen sie auf Kandare gehen, bis sie vor dem roten Tuch nicht mehr scheut! So'n altes Besteck!«

Käthe lachte.

»Horst ist an dem ganzen Salat schuld,« erklärte sie. »Er kannte Tante Kuki länger als ich und läßt sich von Satanas verleiten, ihr die Taufnamen des Jungen in der richtigen Reihenfolge vorzutragen! So 'n unvorsichtiger Jüngling! Horst, an dir ist ein Diplomat verloren!«

Kirchwald mußte unwillkürlich lachen.

»Na ja, ich hätte gleich hinter Heinrich Habakuk sagen können,« gestand er.

»Denn also spricht Zarathustra: ›Man muß sich der Menschen Schwäche zu nutze machen,‹« citierte Wendenburg.

»Hat er das wirklich gesagt?« erkundigte sich Käthe.

»Unmöglich ist es nicht – Zarathustra hat soviel gesprochen, daß er das auch ganz gut gesagt haben kann,« erklärte Wendenburg, von dem die Sage ging, daß er 'mal einen Blick in Nietzsches Werke geworfen.

»Zarathustra muß eine ganz vernünftige alte Tante gewesen sein,« sagte Tiefenthal im Protektorenton, aber mit Überzeugung.

»Höchstens ein Onkel,« erklärte Frau von Wendenburg lächelnd. »Zarathustra ist keine Dame, sondern ein Herr.«

»I wo?« sagte Tiefenthal erstaunt. »Ist mir auf alle Fälle noch nicht vorgestellt. Jedenfalls ein Kerl, der seine Pappenheimer kennt, denn wenn man eines Menschen schwache Seite bekomplimentiert, dann hat man ihn auch in der Tasche. Kolossal vernünftig, weeß der Deibel!«

»Meinst du wirklich?« fragte Käthe zweifelnd. »Da gehört doch aber Heuchelei dazu?«

»I woher denn?« wehrte Tiefenthal ab. »Meine schwache Seite zum Beispiel ist ein guter, alter Cognac und wenn du mich mal gelegentlich auf einen stoßen willst, so zur rechten Zeit, da denke ich noch lange nicht, daß du bei mir erbschleichen willst. Er thut mir lampern im Magen, hält mich warm an deiner grünen Seite und macht, daß ich liebreich deiner gedenke. Das ist folgerichtig von mir und klug von dir. Jedes Menschen Cognac hat einen anderen Namen – vielleicht steht auf der Tante Kuki ihrer Etikette Marasquino oder Zuckerplätzel. Gieb ihr doch Zuckerplätzel – Jekersch nee! Wenn sie weiter nischt will!«

Käthe sah den sonderbaren Philosophen nachdenklich an, ehe sie aber seiner Weisheit näher treten konnte, öffnete sich die Thür und beide Diestelcamps erschienen auf der Bildfläche – er etwas erhitzt, aber Befriedigung auf dem glattrasierten, gutmütigen Diplomatengesicht, sie mit verschwollenen Augen und der Miene einer geknickten Lilie.

»Meine liebe Frau,« begann der Hofmarschall unter umständlichem Räuspern, »meine liebe Frau hat eingesehen, daß ihre momentane Enttäuschung – hm – über den veränderten Rufnamen ihres Patchens sie – hm – zu einer Erregung hingerissen hat, welche – hm, hm – gar nicht im Verhältnis zu der Sache stand. Wir bitten noch um eine Tasse Thee, gnädigste Nichte!«

Aber die gnädigste Nichte stand stocksteif vor ihrem Platze und sah ihren Gatten an, der seiner Tante nun den Arm reichte, und sie an ihren Platz zurückführte.

»Ich freue mich unendlich,« sagte er mit tadelloser Höflichkeit, »daß der kleine Zwischenfall so befriedigend erledigt ist, und Käthe ist darüber nicht minder froh. Wenn du, verehrte Tante, nun noch die Gnade haben wolltest, meiner Frau ein verbindliches Wort zu widmen, so wird sie dir einen Thee reichen, mit welchem du in Ermangelung eines anderen Getränkes inzwischen mit ihr auf Heinzens Wohl trinken kannst!«

Die Aufforderung war fein, die Brücke glänzend geschlagen, unglücklicherweise aber waren diese festen, bedeutungsvollen Worte in Tante Kukis Ohr nur ein feuerfangender Stoff.

»Wünscht Käthe, daß ich diese Worte auf den Knieen vor ihr spreche?« fragte sie scharf und leider so hohnvoll, daß Käthe sofort vergaß, was Zarathustra sprach und mit rotem Kopf wie gestochen auffuhr.

»Ich betrachte die Worte für genossen und quittiere dankend,« sagte sie mit erhobenem Kopfe. »Hier hast du deinen Thee, Tante, und schone deine Kniee, damit sie recht geschmeidig sind, wenn du 'mal in die Verlegenheit kommen solltest, sie freiwillig vor mir zu beugen!«

»In der That, sehr gütig!« höhnte Tante Kuki. »Was sie doch immer für originelle Einfälle hat, diese liebe Käthe. Eine Tante, die vor ihrer Nichte freiwillig in die Kniee sinkt –! Das wäre ein Unikum, nicht wahr, lieber Graf?«

»Na, man darf nichts verreden,« meinte Käthe schon wieder beruhigt.

»Gewisse Dinge doch,« replizierte Tante Kuki, ihren Thee mit zitternder Hand umrührend. »Und dieses mit tödlicher Sicherheit!«

»Nichts soll man verreden!« behauptete Käthe, zum vollsten Widerspruch gereizt. »Alles ist möglich in der Welt.«

»Nur dieses Eine nicht,« rief Tante Kuki schon erregter, indem sie aber ihr hohnvolles Lächeln behauptete.

»Kommst du mir so, dann komm ich dir so,« entgegnete Käthe eifrig. »Ich habe bis jetzt nur gesagt, alles ist möglich, aber nun spreche ich's geradezu aus: Du wirst noch eines Tages freiwillig vor mir auf den Knieen rutschen! Ich bin hellsehend in diesem Momente und sehe das ganze Tableau vor mir!«

Tante Kuki brach in ein krampfhaftes Lachen aus.

»Es sollte ein Gesetz geben, das Tanten vor hellsehenden Nichten schützt,« rief sie schrill.

»Na, wollen wir wetten?« proponierte Käthe zum Gaudium aller, Herrn von Diestelcamp ausgenommen.

»Ja ja, wetten – ich schlage durch!« schrie Tiefenthal. »Das heißt,« fügte er vorsichtig hinzu, »man muß erst wissen, um was die Wette gilt!«

Tante Kuki sah ihn indigniert an.

»Ich weiß nicht – soll ich hier wieder insultiert werden?« fragte sie mit bebender Stimme.

»O nicht doch – ein Scherz unserer Nichte, weiter nichts!« beeilte sich der Hofmarschall einzufallen.

»Als was ihr's auffaßt, ist ganz egal, vorausgesetzt, daß der Verlierende zahlt,« nahm Käthe den kapitalen Spaß voll Eifer auf, ohne zu bedenken, daß dem Hausfrieden dadurch eine neue Scene drohen konnte. Alle lachten und erklärten die Wette für eine absolut originelle, noch nie dagewesene. Tante Kuki wußte nicht recht, ob sie beleidigt sein sollte oder besser thäte, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, und Tiefenthal versicherte ihr, daß sie ruhig »eine Million gegen einen faulen Appel« einsetzen könnte, wenn sie ihrer Sache doch so sicher sei.

»Na, Tante, das wäre schneidig von dir,« ermunterte Käthe ihre mißvergnügte Verwandte. »Nun zeig' 'mal, daß du nobel bist, und setze deine Million ein! Vetter Tiefenthal schlägt durch, da ich's ihm an der Nase ansehe, daß er meinen faulen Apfel zu riskieren geneigt ist, sintemalen er von dieser Sorte sicher viel auf Lager hat!«

Tante Kuki sah sich zweifelnd im Kreise um – man schien die Sache nicht so aufzufassen, als wollte man ihr eine Demütigung wünschen, sondern behandelte diese eigentlich unerhörte Wette als einen harmlosen Spaß. Tante Kuki hatte, trotz ihrer Arroganz und trotz ihres in vieler Hinsicht stark beschränkten Unterthanenverstandes, auf die Vorstellung ihres Gatten eingesehen, daß sie vorhin zu weit gegangen, aber sie war zu stolz, das einzugestehen, und überließ es ihm, ihre Entschuldigung zu stammeln. Eine solche vor Käthe auszusprechen, hätte sie in ihrer tantlichen Würde nie über die Lippen gebracht und der Ernst in ihres Neffen Gesicht und in seinen Worten berührte sie nur oberflächlich. Auch was die andern dachten, war ihr insofern einerlei, als sie sich weit erhaben über Leute wie Waldenburgs und Tiefenthals wähnte, nur die ernste Mißbilligung und kühle Reserve Graf Hellbergs waren ihr nicht gleichgültig, denn sie hatte einen entschiedenen Respekt vor dem vornehmen alten Herrn, der sie bei ihrer Ankunft so chevaleresk, jetzt so höflich kühl behandelte. Sich also die Zuneigung dieses einen zurückzuerobern, war für Tante Kuki entschieden von größtem Wert – sie wandte sich also süß lächelnd zu ihm und flötete ihm zu:

»Mein lieber Graf, was meinen Sie zu dieser höchst ungewöhnlichen Sache? Ist es nicht gegen meine Würde als Tante, selbst nur im Scherz aus eine solche Wette einzugehen?«

»Meine gnädigste Frau,« erwiderte Graf Hellberg kühl, »die Wette ist eine jener tollen Ideen, an denen das Köpfchen meiner Jüngsten immer so reich ist. Käthe ist aber ein so harmloses Geschöpf, daß sie eine Kränkung damit sicher nicht bezweckt hat und wenn Sie an Ihr Herz schlagen und an Ihr Gerechtigkeitsgefühl appellieren, so werden Sie sich zugestehen müssen, daß Sie den Geist des Widerspruchs und den eines natürlichen Revanchegefühls doch in ihr hervorgerufen haben durch sehr, sehr harte Worte, die Käthe nicht verdient hat. Und wenn sie statt eines freundlichen Blickes, für den Käthe zu jeder Zeit zugänglich ist, Ihrer Rede noch ein Tröpflein bittern Hohnes zuzusetzen für gut fanden, so dürfen Sie sich nicht wundern, wenn die menschliche Natur dagegen Widerspruch erhebt. Daß dieses letztere drastische Form annahm, ist eben eine Eigentümlichkeit meiner Tochter, deren Charakter Ihnen leider so wenig homogen und sympathisch scheint!«

Käthe hätte ihren Vater für diese »herrliche Standpauke« am liebsten umarmt, trotzdem sie die feinen Pointen lieber mit stärkerem Geschütz vertauscht gesehen hätte – sie warf ihm nur einen blitzenden, dankbaren Blick zu und Graf Kirchwald lächelte, denn ihm schien es, als hätte Tante Kuki in seinem Schwiegervater ihren Meister gefunden. Und so war es in der That. Frau von Diestelcamps Herz schlug entschieden beunruhigt – nicht aus Reue, sondern aus Furcht, die gute Meinung dieses überlegenen Kavaliers aus der alten Schule verloren zu haben.

»Mein teurer Graf, darin thun Sie mir sicher unrecht,« rief sie mit noch süßerem Lächeln, »und zum Beweise dafür will ich zeigen, daß ich auch einen Spaß verstehe und selbst einem bizarren Übermut der Jugend verständnisvoll gegenüberstehe. Meine liebe Käthe« – dies mit sichtlicher Überwindung – »ich bin wirklich nicht so schlimm, als ich mich selbst oft malen mag – gut denn, ich acceptiere dein Propos mit der Auffassung deines teuern Vaters und nehme deine Wette an!«

»Bravo!« schrie Tiefenthal.

»Ist das dein Ernst?« fragte Käthe mißtrauisch über diese Wandlung.

»Soweit ein Spaß überhaupt Ernst sein kann – sicherlich,« beeilte sich Tante Kuki zu versichern.

»Na, da fällt der Mond 'runter!« rief Käthe in ehrlichem Staunen, welche Bemerkung Frau von Diestelcamp mit neckisch sein sollendem Kopfnicken hinnahm.

Tiefenthal streckte seine riesengroße Rechte über den Tisch und versicherte, daß er bereit zum Durchschlagen sei, wenn die Bedingungen perfekt wären, die er nochmals als eine Million gegen einen faulen Apfel proponierte.

»Nicht doch – eine Million wäre denn doch zuviel,« opponierte Tante Kuki und Theone Tiefenthal, die längst schon den Strickstrumpf vorgezogen hatte, bemerkte lachend: »Na, na, Frau von Diestelcamp, so sicher sind Sie Ihrer Sache wohl doch nicht!«

»Wie können Sie das denken!« flammte Tante Kuki auf, fügte aber in scherzhaftem Ton hinzu: »Man darf doch nur einsetzen, was man wirklich geben kann!«

»Die Sage geht aber, daß Sie ein paar Milliönchen schwer sind,« bemerkte Tiefenthal harmlos, aber da Tante Kuki nicht gern hörte, wenn man die Tiefe ihres Säckels taxierte, den sie gern etwas fest zusammenschnürte, so fiel Kirchwald ein: »So laßt meine Tante doch selbst ihren Einsatz bestimmen!«

»Nun denn – vielleicht zwei faule Äpfel,« beeilte sich Frau von Diestelcamp nicht ohne Hohn vorzuschlagen, was einen Sturm von Gelächter hervorrief, in das auch Graf Hellberg so herzlich einstimmte, daß Tante Kuki es bereute, durch den Sturm der Gefühle in ihrem Herzen zu solch glänzendem Propos hingerissen worden zu sein, das den wahren Stand ihrer geheuchelten Anteilnahme bloßlegte. Ehe sie noch wußte, wie sie das wieder gutmachen sollte, trat wiederum ihr Gatte vermittelnd ein.

»Laßt uns doch Käthes Vorschlag hören,« meinte er schmunzelnd und diese erhob sich sogleich mit funkelnden Augen.

»Was thue ich mit einer Million – ich bin zufrieden mit dem, was ich habe,« rief sie im Volksrednerton. »Darum, meine verehrten Damen und Herren, hochgeachtete Anwesende, erkläre ich, daß ich um der Sache willen auch mit zwei faulen Äppeln zufrieden gewesen wäre, wenn es mir nur um den Triumph der Genugthuung zu thun wäre. Indes erfüllen jetzt heiligere Pflichten meinen Busen, nämlich die Zukunft unseres Sohnes und Erben. Darum schlage ich folgendes vor: Tante Kuki verhieß uns einstens ein splendides Hochzeitsgeschenk unter gewissen Bedingungen, welche Horst leider nahe daran war zu erfüllen, als Tante Kuki durch das Ereignis ihrer eigenen Vermählung besagtes Geschenk wieder zurückzog und durch einen höchst seltenen Papageien ersetzte – einen merkwürdigen Vogel, der das Wort ›Rhinoceros‹ tadelfrei aussprechen konnte. Da dieses sonderbare Vieh indes infolge eines Diätfehlers leider das Zeitliche gesegnet hat – er fühlte sich nämlich gezwungen, ein schlangenledernes Portemonnaie mit grünem Futter zu stehlen und aufzufressen samt einem etwas schmutzigen Zwanzigmarkschein darin, der jedenfalls mit Bacillen durchsetzt war – so hat sich in meinem Herzen die Sehnsucht nach dem erstverheißenen Hochzeitsgeschenk wieder geregt. Ich proponiere daher, daß Tante Kuki dieses als Einsatz für unsere Wette bestimmt und im Falle des Verlierens uns für unsern Sohn bedingungslos sogleich überläßt!«

Tante Kuki war während dieser Rede rot und blaß geworden und vermied den Blick ihres Gatten, der indes, ganz auf den Ton Käthes eingehend, lächelnd sagte: »Ich meine, das läßt sich hören. Meine liebe Frau ist ja doch der Meinung, daß sie nichts zu riskieren hat, und wenn ihre bewundernswerte Gewissenhaftigkeit gegen die proponierte Million Einspruch erhob, so hat sie damit ihre Sicherheit noch nicht in Frage stellen wollen.«

Tante Kuki kämpfte noch einen schweren Kampf, dann wandte sie sich wieder an Graf Hellberg mit der süß lächelnden Frage, was er dazu sage.

»Gnädige Frau,« erwiderte er heiter, »Käthes thätiger Kopf spinnt den luftigen Faden lustig weiter. Da ich indes, was den Ausweg dieser bizarren Wette betrifft, ganz Ihrer Meinung bin und alle Chancen des Gewinnens auf Ihrer Seite mit tödlicher Sicherheit sehe, so denke ich, daß Sie ruhig alle Schätze Golcondas auf Ihre Karte setzen können, ohne auch nur einen Moment der Unruhe über ihren Verlust zu empfinden. Ich kann Ihnen nur die Versicherung geben, daß Käthe ihre Kosten an der Wette mit unendlichem Vergnügen entrichten wird – das Exemplar eines faulen Apfels, das Sie erhalten, wird sicher seinesgleichen suchen!«

Diese Rede gab Tante Kuki ihre ganze Sicherheit, ihre ganzen Nerven wieder und fast übermütig erklärte sie sich mit Käthes Vorschlag einverstanden. Unter dem Lachen und Scherzen der andern zog Tiefenthal sein Taschenbuch hervor, riß ein Blatt daraus und schrieb mit Tintenstift folgenden Vertrag darauf:

Zwischen den beiden unterzeichneten Kontrahenten einerseits und dem dito unterzeichneten Zeugen andrerseits ist folgende Wette vereinbart worden: Gräfin Käthe Kirchwald wettet, daß Frau von Diestelcamp freiwillig vor ihr auf die Kniee fallen wird, während die letztere darauf wettet, daß das nie und unter keinen Umständen erfolgen kann. Die Dauer für den Bestand der Wette bis zu ihrem Austrage läuft ein Jahr und muß dieser Vertrag dann erneuert werden. Verliert Gräfin Käthe die Wette, dann zahlt sie an Frau von Diestelcamp einen faulen Apfel, verliert die letztere, so tritt sie an Gräfin Käthe ihre Herrschaft Steinbach mit allem lebenden und toten Inventar, allen Einkünften und Lasten bedingungslos ab.

Die Kontrahenten:

Katharina Gräfin Kirchwald
geb. Gräfin Hellberg.

Habakukine von Diestelcamp
geb. Gräfin Kirchwald.

Der Zeuge:

Konrad Freiherr von Tiefenthal.

N. N. am 25. Februar 189...

»Bitte,« sagte Herr von Diestelcamp lächelnd, als dieser sonderbare Vertrag unter dem Jubel der andern vollzogen war. »Nach dem Gesetz ist die Unterschrift meiner Frau ohne meine Gegenzeichnung ungültig!«

Er nahm daher ruhig das Blatt und den Stift und schrieb darunter: »Vorgelesen, genehmigt und unterschrieben: Habakuk von Diestelcamp, Hofmarschall Sr. Hoheit des Prinzen Heinrich von Nordland.« Nun mußte auch Graf Kirchwald seinen Namen daruntersetzen und nachdem das sonderbare Dokument also vollzogen war, reichten die Wettenden sich die Hände und Tiefenthal schlug durch. Käthe, die über dem Ulk natürlich längst ihren Zorn hatte verrauchen lassen, lief um den Tisch, legte der Tante beide Hände auf die Schultern und sagte in ehrlicher, naiver Anerkennung: »Tante Kuki, du hast famosen Schneid bewiesen! Ich hätte gar nicht gedacht, daß du so nett sein kannst, wenn du 'mal willst!«

Frau von Diestelcamp nahm mit säuerlichem Lächeln dieses zweifelhafte Kompliment hin – Kompliment war aber Kompliment für sie und ihre Seele dafür allzeit empfänglich.

»Mein liebes Kind,« sagte sie sententiös, »man muß einen Menschen nie nach seinem eigenen Maße messen – über dieses hinaus zu gehen, müssen wir bei Beurteilung anderer bestrebt sein!«

Käthe schnitt hinter dem Rücken der Tante ein Gesicht über diese Herabdrückung ihrer selbst unter das Piedestal ihrer Antipathie, aber um des lieben Friedens willen begehrte sie nicht über die ihr gezogene Linie hinaus – die Grimasse, die sie sich dazu genehmigte, genügte ihrem Selbstgefühl. Frau von Diestelcamp aber wandte sich wieder dem Grafen zu und reichte ihm die Hand.

Mit den Worten: »Bin ich nicht tapfer?« forderte sie sein Lob heraus. »Und nun: soyons amis, Cinna!«

Graf Hellberg küßte chevaleresk diese Hand, die sich ihm gewissermaßen abbittend bot, und hörte geduldig den lieben langen Abend zu, was ihm Tante Kuki von ihrer philanthropischen Thätigkeit in Nordland vorkolkte, er ließ eine genaue Beschreibung ihres Mägdeheims über sich ergehen, nach dessen Muster so und so viele Königinnen, Fürstinnen und sonstige Potentatinnen gleiche Anstalten eingerichtet, er mußte ein Exemplar der Statuten entgegennehmen und kaufte sich endlich durch Zeichnung eines Beitrages für den letzten Rest des Abends von seiner übereifrigen Peinigerin los, die nun, beruhigt darüber, ganz das Herz dieses Kavaliers erobert zu haben und felsenfest in seiner guten Meinung zu stehen, ihr Schlafgemach aufsuchte, wo die Gardinenpredigt des armen Diestelcamp noch gnädig genug ablief und nur die Frivolität beanstandet wurde, mit der der eigene Gatte zum Eingehen einer Wette zugeredet hatte, deren Erfolg zwar auf der Seite seiner Gattin stand, die aber nichtsdestoweniger ihrer Würde zu nahe trat, ganz abgesehen davon, daß diese Wette an sich respektlos, dumm und kindisch zugleich war.

Herr von Diestelcamp aber war noch weiser als sein berühmter, durch Schaden klug gemachter Vorgänger, Herr Kaudel. Denn während dieser laut der hinterlassenen Gardinenpredigten seiner unsterblichen Gattin doch stellenweise Einwände machte, schwieg er gänzlich still, froh, daß seine Autorität wenigstens einen unheilbaren Bruch verhütet, und in seiner Seele geheimstem Schrein die zwar schwache, aber doch lebendige Ansicht hegend, daß seiner oft recht gewaltigen bessern Hälfte ein ungünstiger Austrag der »frivolen« Wette gar nichts schaden und ihr ein ganz heilsamer Denkzettel sein könnte.

Käthe ihrerseits begab sich in übermütiger Laune zur Ruhe.

»Du, Horst,« meinte sie, sich mitten in einem sehr kunstreich gepfiffenen Musikstück unterbrechend, »wenn wir erst Steinbach wieder haben werden, das wird nicht dumm sein, was?«

»Steinbach?« wiederholte Kirchwald gähnend. »Ach so, du spielst auf deine verrückte Wette an!«

»Verrückt? Na höre, das ist Tusch!« rief Käthe empört.

»Wie man nur auf so etwas kommen kann!« erwiderte Kirchwald lachend. »Solch eine unglaubliche Idee kannst nur du allein haben. Ich wundre mich nur, daß Tante Kuki darauf eingegangen ist!«

»Weil sie Angst vor Papa hatte,« sagte Käthe, die oft merkwürdig tief und klar sah.

»Möglich,« gab Graf Kirchwald zu. »Eigentlich aber war's doch die reine Komödie – eine Scene fürs Kasperletheater. Jedenfalls hast du damit die Situation glänzend gerettet!«

»Und Steinbach dazu!« triumphierte Käthe.

Graf Kirchwald sah seine Frau starr an.

»Aber Käthe!« rief er dann lachend, »du thust ja, als ob Tante Kuki die unsinnige Wette wirklich verlieren könnte!«

»Wird sie auch!« war die vergnügte Antwort.

Graf Kirchwald schüttelte mit dem Kopf.

»Du vergißt, scheint mir, daß Tante Kuli freiwillig vor dir auf den Knieen liegen muß – – rohe Gewalt wäre also ungültig,« sagte er langsam.

»Weiß ich, wird sie auch,« tönte es noch vergnügter zurück.

»Na, wenn du dir darüber klar bist –« meinte Kirchwald achselzuckend.

»Ganz klar, Horst! Gute Nacht!«

»Gute Nacht! Käthe, du brütest doch nicht etwa über einem entsetzlichen Streich? Gieb mir dein Wort, daß du keinen Gewaltakt vorhast!«

»Ich brüte nicht, Horst, und gebe dir mein Wort. Aber du weißt, mein kleiner Finger ist ein famoser Prophet, und der sagt mir immerzu: ›Steinbach! Steinbach!‹ Gott verläßt die Seinen nicht und die Gerechtigkeit siegt immer zuletzt. Gute Nacht!«

»Gute Nacht,« wiederholte Graf Kirchwald mechanisch, aber noch in seinen Träumen plagte ihn der Gedanke, daß Käthe etwas auf der Pfanne haben mußte. Ihre zahllosen Streiche zogen wild als Alpdrücken an seiner schlummernden Seele vorüber – er sah die Miß eingeschlossen in Käthes Zimmer auf Hellberg; er sah Herrn von Diestelcamp angeklebt wieder in Käthes Zimmer im Schlosse zu Nordland, er sah, wie sie der Kammerfrau die Bettdecke nächtlicherweile durchs Schlüsselloch vom Leibe zog, sah Tante Kuki in seinem Hause mit einem Erbsenregen überschüttet und hörte Tiefenthal entsetzt aufschreien, als er sich auf eine Sammlung grüner Gurken und stacheliger Möbelbürsten in sein Bett warf. Er sah endlich, wie Käthe die Tante an den Schultern faßte und in die Kniee zwang, aber er konnte bei alldem nicht ahnen, daß sie im Einschlafen murmelte: »Gewalt? I, wo werde ich denn! Überhaupt weiß ich noch soviel wie nichts, aber da kennt ihr Käthe schlecht, wenn ihr glaubt, daß sie in solchen erhabenen Momenten nicht auf der Höhe der Situation stehen wird. Was sagt der alte Nachtwächter, der Zarathustra? Man soll sich des Menschen Schwäche zu nutze machen? Zwar, Wendenburg weiß nicht genau, ob Zarathustra das wirklich gesagt hat. Aber darauf kommt's ja gar nicht an. Vielleicht giebt Zarathustra mir im Traum einen kleinen Wink.«

Ob der Nietzschesche Weise wirklich so freundlich war, das zu thun, werden die folgenden Seiten lehren – jedenfalls hatte Graf Kirchwald am folgenden Morgen die ganze Sache vergessen und wenn er noch daran dachte – er hatte ja Käthes Wort darauf, daß sie keine Gewalt ausüben wollte!

* * *

Wenn in Graf Kirchwalds Seele der schwarze Gedanke aufgedämmert war, daß es Käthe darauf anlegen wollte, Tante Kuki so zu reizen, daß ihr die Zunge derartig durchging, um sie schließlich zu einer fußfälligen Abbitte zu zwingen, so hatte er seiner Frau sichtlich unrecht damit gethan; denn letztere begrüßte Frau von Diestelcamp am folgenden Morgen in einer Weise, als wäre sie immer nur ein Herz und eine Seele mit ihr gewesen, und da Graf Hellberg zugegen war, so vergalt Tante Kuki den herzlichen Empfang sogar dadurch, daß sie ihr einen Kuß gab. »Das heißt,« erklärte Käthe später, »sie hat ihre Nasenspitze im Zickzack an meiner Backe abgewetzt!« – Tante Kuki schien diese Manipulation indes durchaus als Kuß aufzufassen und Käthe that, als hätte sie desgleichen gethan nach dem Grundsatze:

»A bißerl Lieb und a bißerl Treu,
Und a bißerl Falschheit sind allweil dabei.« –

»Tante,« sagte sie heiter, »laß' uns noch einen Kontrakt machen: Ich nehme dich, wie du bist, und du nimmst mich, wie ich bin, und über die Klippen setzen wir, bildlich geredet, im langen Sprunge hinüber. Mit diesem Vorschlag setze ich zwar für mich den Erfolg unserer Wette aufs Spiel, garantiere dir dafür aber den deinigen. Und nun sag' noch einmal, daß ich kein guter Kerl bin!«

Tante Kuki schloß die Augen halb und runzelte die Stirn, aber sie sah Graf Hellbergs Augen auf sich gerichtet und zwang sich zu einem Lächeln.

»An dem Ausgang der – der sogenannten Wette für mich zweifle ich auf keinen Fall,« sagte sie, »aber du scheinst es ehrlich zu meinen. Daher sehe ich über den Ausdruck dafür hinweg und werde gleichfalls bemüht sein, dich so zu nehmen, wie du bist!«

»Na, das ist vernünftig,« meinte Käthe ernsthaft, was Tante Kuki nur einen resignierten Seufzer entlockte ob solch' ausgesprochener Unverbesserlichkeit. Aber abgesehen von diesem kleinen Intermezzo war Käthe heut' doch nicht so in ihrer Umgebung aufgehend wie sonst. Sie, die sonst thätig und rastlos überall und nirgends und immer auf dem » Qui vive?« war, schien stiller und nachdenklicher, ja sie war stellenweise sogar so tief in Gedanken versunken, daß man ihr oft eine Frage oder Anrede zweimal wiederholen mußte, ehe sie den Sinn erfaßte. Den Verwandten, die sie lange nicht gesehen, fiel dies wieder nicht auf – sie nahmen's für ein Stadium von Gesetztheit und für eine Folge ihrer noch so neuen Mutterwürde und meinten, die Gedanken der jungen Frau ganz auf die Kinderstube konzentriert. Nur Tiefenthal vermißte lebhaft Käthes frühere Schlagfertigkeit und als sie ihn dreimal ganz geistesabwesend nach derselben Sache gefragt, da platzte er ungeniert mit seiner Meinung heraus.

»Käthe, du thust ja heute ganz tälsch!« versicherte er ihr mehr deutlich als höflich. »So trübe timplich warste doch im Leben nicht! Was ist dir denn über die Leber gefahren? An was denkste denn?«

»Ich denke an Zarathustra,« antwortete Käthe zerstreut.

»An wen?« fragte Tiefenthal erstaunt. »Wer ist denn das? Ein Pferd? Nee, wart' e Bißel, das ist ja der Kerl, von dem Wendenburg immer quatscht. Du, laß dir 'n guten Rat geben und denk' lieber an was anderes – man soll riesig leicht über den ollen Onkel überschnappen können. Na, ich dachte mindestens, daß du über der ulkigen Wette von gestern simulierst und wie du das alte Reff, die Diestelcampen, auf die Kniee kriegen könntest. Unter uns, Käthe – das würde ich ihr gönnen!«

»Ich ihr auch!« versicherte Käthe aus vollem Herzen.

»Ich glaub's nicht, daß sie's thut,« meinte Tiefenthal kopfschüttelnd. »Die alte Diestelcampen, siehste, die ist so von der Sorte, die lieber auf'm Ziegenbock reiten würde, ehe sie sich ›herabläßt.‹ Ich kenne mich auf die Art aus! Scheint außerdem auch höllisch fest auf ihren Knöppen zu sitzen, der alte Geizhammel der, und wenn's der an den Kragen ginge, die kniete nicht, schon um bloß nicht rausrücken zu müssen. Wie du die Papageiengeschichte erzähltest, hat sie 'n Gesicht gemacht, wie die Katze, wenn's blitzt – nee, es war dir zum Schreien! Na, wie gesagt die Wette war ein kostbarer Ulk, aber leider wird dabei für dich nischt 'raus kommen, denn eh' die vor dir kniet, da müßtest du mindestens schon vorher Kaiserin von China werden!«

Käthe sah den guten Tiefenthal an, als hätte er statt schlechtes Deutsch chinesisch gesprochen.

»Waaas?« stammelte sie erstaunt.

»Nanu? Geht das Gefrage wieder los? Ich wette, die kleene Krabate hat nicht 'n Sterbenswort gehört, während ich mir's Maul fußlig rede,« lachte Tiefenthal neckend. »Mädel, ist denn der Popelmann in dich gefahren?«

»Nee, ganz was andres!« rief Käthe wie elektrisiert, und dem verblüfften Tiefenthal unversehens um den Hals fallend, gab sie ihm einen höchst verwandtschaftlichen Kuß. »Vetter, Freund und Kupferstecher – du bist die kostbarste Perle und wenn ich dich in Gold fassen könnte, ich thäte es auf dem Fleck!«

»Dunnerkiel!« rief der erstaunte Mustergutsherr. »Sie ist wahrhaftig übergeschnappt!«

»Na, Kinder, bei solchen Liebesscenen muß ich doch gefragt werden!« rief Theone vom Sofa herüber, indem sie mit der Stricknadel drohte. Aber Käthe hatte das Opfer ihrer plötzlichen Zärtlichkeit schon losgelassen und chassierte im Galopptempo durch das Zimmer, indem sie sang:

»Und wenn du denkst, du hast'n,
Dann springt er aus dem Kasten!«

»Bei dir scheint auch was aus dem Kasten gesprungen zu sein,« lachte Wendenburg seiner Schwägerin zu. »Da bilde ich harmloser Europäer mir ein, daß die Ankunft des Kronprinzen von Kirchwald eine enorm gesetzte zurückhaltende Dame aus dir gemacht hatte – ja Proste Mahlzeit – mit einem Mal hopst die alte Käthe herum wie in jenen schönen Tagen, da sie mit langem Zopfe und roten Strümpfen im Hellberger Schlosse herumsauste und sich umsah, an wem sie ihr Mütchen kühlen konnte! Käthe, ich fühle mich enttäuscht in dir!«

»Und ich fühle wieder mich selbst!« rief Käthe mit einem übermütigen Knicks.

»Das heißt, du fühlst Thatendurst in dir,« meinte Graf Hellberg mit stolzem Blick auf seine »Jüngste,« die mit blitzenden Augen und eingestemmten Armen siegreich wie eine Walküre in dem Kreise stand.

»Recht geraten, Papa!« erwiderte sie. »Und wenn ich Thatendurst spüre, dann bin ich einfach großartig!«

»Ich verstehe nicht – was ist der Grund dieser lebhaften Demonstration?« fragte die wieder eintretende Tante Kuki achselzuckend.

»Der Grund?« wiederholte Käthe, sich mit einer Pirouette zu Frau von Diestelcamp wendend. »Eine Gegenfrage, Tante; bist du schon mal auf dem Holzwege gewesen? Ich nehme an, ja! Denn jeder Mensch kennt diesen berühmten Weg, auf dem er gründlich schief gewickelt ist. Na, siehst du, wenn du nun so darauf herum wandelst in der festen Überzeugung, daß du ganz richtig gehst, und es kommt plötzlich ein elektrisches Licht, das dir zeigt, wo du eigentlich bist, nämlich auf dem Holzwege, was thust du da? Du machst, daß du herunter kommst und freust dir 'nen Ast, daß du plötzlich im richtigen Fahrwasser bist. Ist dir das klar?«

»Eigentlich nicht,« gestand Tante Kuki spitz. »Ganz abgesehen davon, daß es mir unklar ist, wie man sich über einen Ast freuen kann!«

»O – dies sein nur slang!« sagte die Miß, um auch ihren Senf dazuzugeben.

Käthe ließ eine nähere Erklärung auf sich beruhen – aber sie war wie ausgewechselt; sie lachte, schwatzte den größten Unsinn, neckte alle Welt und überhäufte den guten Tiefenthal mit Zärtlichkeiten, daß er schon fast grob werden wollte.

»Entweder, du willst mich anpumpen, dann sag's nur gleich, oder ich hab' dir ohne es zu wissen, ein Rittergut geschenkt,« behauptete er.

»Du ahnungsvoller Engel, du!« erwiderte Käthe neckend. »Was dein Alter heut' hellsehend ist, Theone! Rein zum Abküssen!« – zu welcher Behauptung Theone zwar den Kopf schüttelte, Tiefenthal aber einen Seitenblick in den Spiegel riskierte, um sich von der Unwiderstehlichkeit seiner Person besser überzeugen zu können.

Das Programm des im Kirchwaldschen Hause versammelten Verwandtenkreises war heute beim Mittagessen dahin geregelt worden, daß die offizielle Taufnachfeier unter Hinzuziehung diverser anderer Gäste am folgenden Tage statthaben sollte. Kirchwalds hohe und höchste Vorgesetzte hatten zugesagt, das Familienfest durch ihre Gegenwart zu verherrlichen und ein paar inoffizielle, aber dafür um so amüsantere Persönlichkeiten waren in den feierlichen Kreis mit eingeschmuggelt worden. Den Tag darauf beabsichtigte Herr von Diestelcamp seine diplomatische Sendung nach der Nachbarresidenz auszuführen und war sein Verweilen dort auf zwei bis drei Tage berechnet. Gleichzeitig mit ihm mußte leider Graf Kirchwald auch in dienstlichen Angelegenheiten verreisen und Käthe sollte während der Zeit ihrer Strohwitwenschaft von ihren Verwandten getröstet werden, die erst nach Zurückkunft der beiden Herren ihre Heimreise antreten wollten. Für den heutigen Abend hatten Kirchwalds eine Einladung zu einem Künstlerfest in den Räumen der Kunstschule erhalten, doch ihrer Gäste wegen abgesagt. Indes bei der Beliebtheit des Kirchwaldschen Paares in den Kreisen der Malerakademie hatte man sich damit nicht begnügt, sondern die Einladung auch auf die Gäste des jungen Paares ausgedehnt, was gern und mit Begeisterung angenommen wurde, da Wendenburgs sowohl wie Tiefenthals noch nie ein derartiges Fest gesehen. Was Tante Kuki sich darunter in ihrem beschränkten Unterthanenverstande hinter den Palissaden ihrer Vorurteile vorstellte, gab sie leider zum allgemeinen Bedauern nicht zum besten, aber sie wies das Ansinnen, dieses Fest mit ihrer Gegenwart zu beehren, entsetzt von sich und gab nur an, daß ihre Person in den Rahmen »derartiger frivoler Belustigungen« nicht passe, wodurch sie fast zum Spielverderber für die andern geworden wäre, wenn der allzeit vermittelnde, besänftigende und friedenstiftende Hofmarschall nicht den Vorschlag gemacht hätte, ihn und seine bessere Hälfte »zum Ausruhen« ohne Sorge daheim zu lassen. Nach einigen schwachen und durchaus nicht ernst gemeinten Protesten wurde der Vorschlag denn auch dankend angenommen und als die ganze Gesellschaft dann abends wohlvermummt zu dem Feste abzog und Diestelcamps an einem reichbesetzten Theetisch zurückließ, da war es zu spät für Tante Kukis Reue, die sie nur schlecht hinter ihren scheinbar unerschütterlichen Prinzipien verbarg und die sich am folgenden Morgen heftiger nagend einstellte, als sie den Erzählungen der andern von dem reizenden Feste und seinen ebenso glänzenden wie ergötzlichen Veranstaltungen lauschte. Und in der That hatten sich Kirchwalds mit ihren Gästen herrlich amüsiert. Die Kunstakademiker hatten die großen Räume mit der nur ihnen eigenen Erfindungsgabe zu einem Zauberpalast umgewandelt, in welchem es mehr zu sehen gab, als man schier an einem Abend erfassen konnte. In der zu einem Tannenwalde verwandelten Vorhalle wurden die Gäste feierlich empfangen und die Damen von tadellos befrackten Künstlern und Akademikern nach oben geleitet zu den in verschiedenen Stilen ausgeschmückten Sälen und Zimmern. In dem Hauptraume verhieß eine kleine Bühne Darstellungen, deren Programm die wunderbarsten Nummern vom Klavier-Orchestervirtuosen bis zum nie dagewesensten Akrobaten aufwies, ein anderer Raum enthielt eine Kunstausstellung von Secessionisten, zu deren Persiflage die größten Künstler, gleichviel ob sie selbst zu den Secessionisten zählten oder nicht, ihren Beitrag geliefert. Eine mitten darin aufgestellte »Malmaschine« war zu dem Zwecke aufgerichtet, die neue Kunstrichtung in staunenswerter Weise unter Entwicklung enormer Reden und noch enormeren Dampfes zu demonstrieren. Ein Raritätenkabinett, in welchem sogar das Haar zu sehen war, das Napoleon III. im Kriege 1870/71 gefunden, lockte Staunende ohne Ende an und ein Boudoir im »Zopfstil« – hergestellt aus vom Bäcker knusperig und appetitlich gebackenen Zopfsemmeln, Hörnchen und Brezeln, sollte gar zur Verlosung kommen und den glücklichen Gewinner mit einem Semmelvorrat überschütten, an dem ein ganzes Kadettencorps sich hätte satt essen können. Da fehlten die »Puffs,« gebildet aus enormen süddeutschen sogenannten Dampfnudeln, nicht, der Rahmen eines Trumeau wurde kühn aus Weckzöpfen und Hörnchen gebildet, gebackene Kissen lagen auf dem zierlichen Sofa und zwischen den barocken Rahmen riesiger Brezeln erschienen kokette kleine Bildchen. Ein furchtbar »echt« aussehendes Zigeunerlager mit wahrsagenden alten Hexen und einem Bärenführer, der von gemaltem Schmutz zu starren schien, hatte sich in dem breiten Korridor etabliert; Bänkelsänger und sonstig »Fahrendes Volk,« ja sogar eine Rotte Cowboys machten ihn sonst unsicher – kurz, man wußte nicht, was man zuerst sehen sollte. Den geladenen Damen war aber zur besseren Übersicht je ein cavaliere servente attachiert worden und Käthe wandelte vergnüglich dahin am Arme eines Kunstschülers, der sogleich Theones angelegentliche Aufmerksamkeit erregt hatte.

Nicht etwa, daß sein Anzug dazu berechtigt hätte – seines schwarzen Frackes mit der Gardenia im Knopfloch hätte sich kein Gesandtschaftsattaché zu schämen brauchen; er trug den Chapeau claque mit derselben Grazie unterm Arm wie ein Gigerl comme il faut seine strohgelben Glacéhandschuhe wie jeder andere Sterbliche, dennoch aber war man versucht zu fragen wie jene biedere Leipzigerin den Mohr: »Ei Herrcheses, mei kutestes Herrchen, Sie sinn wohl nich von hier?« – denn sein Kopf, der auf dem kleinen, spärlichen Körper saß, war das Fremdartige an ihm. Die kohlschwarzen Haare waren wohl nach europäischem Muster geschnitten, aber sie hingen seltsam straff herab, seine Gesichtsfarbe war braungelb, seine Backenknochen hoch, die Nase stumpf, die Augenbrauen über den schwarzen, blitzenden Äuglein von der Nasenwurzel hochgezogen – er gehörte der kaukasischen Menschenrasse evident nicht an. In der That war dieser als hochbegabt geltende Kunstakademiker ein Asiate, seine engere Heimat war Japan, sein wohlklingender Name Hei-Tsu-Sing. Wie er zum Studium der Kunst in dieses ferne Land geraten, erzählte er in tadellosem Deutsch, das sich nur gern in Superlativen erging, gern jedem, der's wissen wollte; da es aber heutzutage grade nicht mehr ungewöhnlich ist, daß Asiaten in Europa ihre Kulturbedürfnisse befriedigen, so können wir getrost darüber zur Tagesordnung übergehen – uns genügt, daß Herr Hei-Tsu-Sing zu den glühendsten Verehrern Käthes gehörte und vermöge seiner originellen Grandezza, seines Talentes und seiner guten Manieren ein gern gesehener Gast im Kirchwaldschen Hause war. »Dieses Fest wäre ohne Sonne gewesen, wenn Sie gefehlt hätten, allergnädigste Frau Gräfin,« versicherte er Käthe schon beim Empfang ganz harmlos vor allen, und da Käthe ebenso harmlos und fremd jeder Koketterie war, wie ihr unbezopfter Verehrer, so nahm sie's auch ebenso hin, wenn sie auch lachend meinte:

»Gut gebrüllt, Löwe! Sie sind schuld, wenn ich das nun für Ernst nehme!«

»Als ob ich es anders gemeint hätte!« war die eifrige Gegenrede. »Sie wissen, herrlichste Frau Gräfin, daß ich, wir alle hier, zu Ihren Füßen liegen und für Sie durchs Feuer gehen würden!«

»Das ist reizend – so viel würde ich aber gar nicht verlangen,« erklärte Käthe ganz bei der Sache.

»So sagen Sie, was Sie verlangen zum Beweise meiner – unserer – Ergebenheit und es soll geschehen!«

Käthe sah sich um – sie war längst von den Ihrigen durch den Menschenstrom getrennt, der durch die Räume wogte, aber sie that das nicht aus Schüchternheit oder gar Furcht vor ihrem Kavalier – im Gegenteil, ein befriedigtes Lächeln huschte über ihr schönes, junges Gesicht und sie begann dem Japaner etwas zu erzählen, wozu sie die Stimme dämpfte, weshalb wir auch kein Recht haben, das Gesagte wieder zu erzählen, sonst hätte sie ja wohl laut gesprochen. Indes spiegelte sich doch manches davon in Hei-Tsu-Sings gelber Physiognomie ab: erst der Ausdruck eines Menschen, der nicht recht begreift, dann dämmerndes Verständnis, zuletzt völliges Begreifen, das in einem breiten, aber doch nicht unschönen Lächeln gipfelte, weil es viel Intelligenz, Sinn für Humor und jugendlichen Übermut verriet, welch' letzterer ja gottlob in allen Völkerstämmen sich als ganz entwicklungsfähig erwiesen hat.

Zwar darf nicht verschwiegen werden, daß Herr Hei-Tsu-Sing auch mit dem Kopfe schüttelte, aber aus seinen schwarzen Äuglein blitzte es doch sehr lustig dabei, während Käthes blaue Augen förmlich zu sprühen schienen. Es währte auch gar nicht lange, so stand sie, ihr Kavalier und der Bärenführer samt seinem Bären in scheinbar höchst animiertem Gespräch zusammen, wobei der Bär mit inbegriffen ist, da er aus seinem Rachen heraus in ganz verständlichem Deutsch versichern konnte, es sei »niederträchtig heiß in dem blödsinnigen Felle.« Nach einer Weile ergänzte der Japaner den Kreis noch durch ein herbeigeholtes, fürchterlich verwahrlost aussehendes Zigeunerweib mit Baßstimme und schließlich wurde noch ein smart aussehender Herr im tadellosen Smoking herangerufen. Wendenburgs, die zufällig des Weges kamen, blieben starr vor Staunen vor dieser Gruppe stehen, die höchst grotesk aussah: Käthe in eleganter weißer Abendtoilette, die beiden chic aussehenden Gentlemen im Verein mit dem schmutzigen Bärenführer, dem mit den Vordertatzen herumfuchtelnden Bären und endlich mit dem unglaublich »echt« aussehenden Zigeunerweibe, das war ein Anblick, vor dem man schon Halt machen konnte. Der das Wendenburgsche Paar begleitende Professor beruhigte seine Gäste aber, indem er ihnen zuflüsterte, daß hinter den Masken der beiden Proletarier und hinter dem Felle der wilden Bestie ganz gesittete Jünger Apelles' steckten und der Herr im Smoking sei der Chefredakteur einer höchst angesehenen politischen Zeitung allhier. Trotz der Verschiedenheit der Gewandung sah das Sextett in der Korridorecke indes ganz d'accord aus, ja mißtrauischen Menschen hätte es sogar scheinen können, als ob sich zwischen ihnen unter dem Deckmantel einer lustigen Maskerade eine Verschwörung entwickelte, so eifrig steckten sie die Köpfe zusammen. Wendenburg gab diesem Gedanken auch lächelnd Worte, und der Professor meinte heiter, so ganz unmöglich wäre das nicht, denn wenn ein lustiger Streich ausgeführt würde, dann dürfte man den Herd sicher bei den vier Kunstschülern vermuten, die in der Erfindung dergleichen ihren Meister suchten.

»Gott bewahre uns, wenn auch Käthe werkthätig in diesen Kreis tritt,« meinte Wendenburg. »Denn wenn meine Schwägerin verwandte Seelen findet, dann hebt sie die Welt aus ihren Achsen und löscht die Sterne mit einem Blasebalg aus.«

»Nun, meine vier Schüler dort wären ganz geeignet, ihr zu helfen,« war die tröstliche Erwiderung, »und das um so mehr, als Gräfin Kirchwald es verstanden hat, sich unsere Akademiker durch ihr fröhliches und reizendes Eingehen auf all ihre Schwänke zu Sklaven zu machen, die ihr durch Dick und Dünn folgen würden.«

»Das glaub' ich gern,« sagte Frau von Wendenburg mit einem Seufzer. »Aber die Gegenwart dieses politischen Chefredakteurs beruhigt mich einigermaßen über ein zu planendes Komplott. Er steht mit seinem Vollbart und seinen Brillengläsern ganz onkelhaft aus, patriarchalisch fast!«

»Ich danke Ihnen für die gute Meinung, denn er ist mein Bruder,« sagte der Professor, sichtlich belustigt. »Hoffentlich schade ich ihm nicht, wenn ich verrate, daß er den patriarchalischen Onkel gern auf der Redaktion zurückläßt und es außerhalb derselben versteht, jung mir der Jugend zu sein.«

Über dem vielen Schauen, Hören und Genießen vergaßen Wendenburgs bald die groteske Gruppe, die sich um Käthe gebildet hatte, und Mitternacht war längst vorüber, als man sich endlich verabschiedete und unter der chevaleresken Hilfe liebenswürdiger Maler unten in der Vorhalle in die Abendmäntel schlüpfte zur Heimfahrt. Im letzten Moment fanden sich dazu auch noch der Chefredakteur im Smoking und der Japaner ein, die beflissen Käthes Spitzentuch, das sie sich um den Kopf schlang, herumrissen, und Frau von Wendenburg, welche der kleinen Scene lächelnd zusah, hörte dabei, wie Hei-Tsu-Sing mit strahlendem Gesichte sagte: »Allerherrlichste Frau Gräfin, die Sache ist in vollem Schwunge, der Stab ist gebildet. Um militärisch zu sprechen: die Generalidee ist ausgearbeitet und findet bei allen große Begeisterung, während die Specialidee noch einer Beratung bedarf. Sie ahnen aber nicht, welcher Lungengymnastik es bedurft hat, diesen tintenschwarzen Doktor hier zu überzeugen.«

»Ja, so wie Hei-Tsu-Sing es wollte, ging's auch wirklich nicht,« sagte der Chefredakteur. »Denn sehen Sie, gnädige Gräfin, meine Zeitung ist doch kein Ulkblatt, und wenn mir's auch nicht so schwer fallen würde, meine Abonnenten 'mal zu nasführen, so fürchte ich, könnten es die Abonnenten doch übelnehmen und falsch auffassen.«

»Na, und?« fragte Käthe gespannt.

»Man muß es eben anders anfassen,« war die lächelnde Antwort.

»Damit ist aber nicht geholfen,« meinte Käthe.

»Nein und ich gestehe auch, daß mein philiströser, europäischer Dickkopf nicht recht wußte, wie er es thuen solle. Aber Hei-Tsu-Sings leichtdenkendes, erfinderisches asiatisches Gehirn hat für mich gearbeitet – kurz, er hat die Idee gehabt und ich leihe ihr die Werkzeuge. Sie sollen zufrieden mit uns sein. Ehe Sie vierundzwanzig Stunden älter sind, meine Gnädige, werden Sie die Beweise davon haben!«

»Sie sind ein reizender Mensch und Herr Hei-Tsu-Sing ist einfach ein Engel!« rief Käthe begeistert.

»Aber einer, den sich nur ein Ultra-Realist als Modell dafür nehmen würde,« entgegnete Hei-Tsu-Sing lachend mit der ihm eignen liebenswürdigen Selbstkritik.

»Na ich danke,« sagte der Chefredakteur heiter. »Ich sehe Sie schon auf dem Titelblatte der ›Jugend‹ in gekringelten Wolken mit grünen Flügeln über einer Sonnenblume schweben. Möglich ist es auf alle Fälle!«

Als man dann nach Hause fuhr, war Frau von Wendenburg merkwürdig still.

»Bist du sehr müde. Lieb?« fragte ihr Gatte über die schlafenden Tiefenthals herüber.

»Auch das,« gestand Frau Fee, »aber,« fügte sie gepreßt hinzu, »ich dachte eigentlich an Käthe. Sie führt wieder etwas im Schilde, und zwar hat sie sich diesmal Verbündete genommen.«

»Nun, das hat etwas Beruhigendes,« meinte Wendenburg heiter. »Mir bangt nur vor dem, was Käthe allein ausführt – unter Verbündeten aber findet sich immer ein Kopf, der besonnener ist als die andern. Übrigens geht's uns nichts an – Kirchwald hat die Kosten zu tragen und trägt sie anscheinend ganz getrost.«

Und damit gab sich Frau Fee auch zufrieden.

Der folgende Festtag verlief harmonisch und glänzend dazu. Ehe die fremden Gäste zum Diner erschienen, erhielt Käthe einen dicken Stadtpostbrief, den sie für eine Rechnung erklärte, gelassen in die Tasche steckte und sich damit bald unter einem Vorwande entfernte. Wir dürfen auch nicht verschweigen, daß sie sich zur Lektüre dieser »Rechnung« in ihr Zimmer einschloß, indes mußte die Höhe der Summe sie sehr erleichtert haben, denn als sie nach einer Weile wieder erschien, strahlte sie förmlich vor Übermut und Heiterkeit, welch frohe Laune auch bei ihr für den Rest des Tages zum größten Vorteil ihrer Gäste anhielt. Daß man sich immer herrlich bei Kirchwalds amüsierte, war längst eine bekannte und ausgemachte Sache, aber das heutige Fest übertraf darin alle seine Vorgänger und es war schon spät, als die letzten Gäste sich endlich verabschiedeten.

Am nächsten Morgen reisten Herr von Diestelcamp und Graf Kirchwald verabredetermaßen gleichzeitig ab und etwas später nahm Käthe mit ihrem Vater und Tante Kuki allein Platz am Frühstückstisch. Wendenburgs und Tiefenthals wollten in etwa einer Stunde eintreffen zu einem gemeinsamen Besuch der Museen und sonstigen Sehenswürdigkeiten der Stadt, woran sich ein Mittagbrot bei Bekannten anschließen sollte. Da Tante Kuki diesen aber fremd war, so hatte sie ein »Mitbringen« ihrer selbst für unstatthaft und ihrer Würde nicht entsprechend mit gewohnter Steifheit abgelehnt und Käthe hatte es für ganz selbstredend erklärt, Tante Kuki nicht verlassen zu wollen, und Gegeneinwände nicht gelten lassen, wie es sich für sie als Hausfrau natürlich schickte und gebührte.

Als sie sich nun mit ihrem Vater und Frau von Diestelcamp zum Frühstück setzte, erschien der Diener mit der neuesten Lokalzeitung, Käthe ließ ihn damit aber nicht bis zum Tisch kommen, sondern sprang auf und lief ihm entgegen, nahm ihm die Zeitung ab und trat damit an einen Seitentisch und niemand bemerkte es, wie sie dort das Blatt unter ein großes Buch schob und unter demselben ein anderes hervorzog, mit welchem sie wieder an den Frühstückstisch trat.

»Hier ist die neueste Zeitung, Papa,« sagte sie, Graf Hellberg das Blatt reichend, »und nun lies uns vor, was sich seit gestern Neues in der Welt zugetragen hat.«

Graf Hellberg setzte sich den Kneifer auf und da er ein sehr gewissenhafter Zeitungsleser war, so vergewisserte er sich erst des Datums und begann dann beim Leitartikel.

»Die Engländer im Sudan,« las er den Titel desselben ab, aber Käthe erhob abwehrend die Hände.

»Um Gottes willen, Papa, verschone uns mit Dr. Müllers politischer Weisheit,« rief sie lachend. »Er ist zwar mein Freund und auch sonst ein riesig netter Mensch, aber wenn er Leitartikel schreibt, ist er einfach gräßlich. Bitte, trag' uns zuerst wenigstens das Lokale und die Depeschen vor!«

»Die Leitartikel, liebes Kind, sind aber der bildende Teil der Zeitungen,« warf Tante Kuki mit sanftem Tadel ein.

»Wenn sie nur nicht so sträflich langweilig wären,« sagte Käthe treuherzig.

Graf Hellberg schlug lächelnd das erste Blatt um.

»Aha, etwas Fettgedrucktes,« rief er. »Hört: ›Es dürfte nicht allgemein bekannt sein, daß die Kaiserin von Japan, eine sehr einsichtsvolle, gebildete und reformfreundliche Dame, im strengsten Inkognito seit einigen Wochen Europa bereist, um sich mit den Wohlthätigkeitsanstalten der europäischen Kulturstaaten bekannt zu machen, da die hohe Frau beabsichtigt, in ihrem Reiche ähnliche Institute zu errichten. Namentlich sind es die Kleinkinderbewahranstalten, Mägdeheime und dergleichen, welchen sie ihre besondere Aufmerksamkeit widmet und sich darüber Vortrag von den einschlägigen Vorständen halten läßt –‹«

»Na, das ist doch nichts Interessantes!« fiel Käthe mit einem Seitenblick auf Tante Kuki ein.

»Doch,« nickte diese sehr bestimmt. »Es ist vom höchsten, menschlichen Interesse zu erfahren, wie unsere philanthropischen Bemühungen sich Bahn brechen in andern, unkultivierten Weltteilen.«

»– – halten läßt,« fuhr Graf Hellberg in seiner Vorlesung fort. »Wie man uns aus Paris schreibt, wird die Kaiserin auf ihrem Wege von dort nach Wien auch unsere Stadt berühren und sich daselbst, einem noch unverbürgten Gerücht zufolge, kurze Zeit aufhalten. (Siehe auch die Telegraphischen Nachrichten.) – Wo stehen die Telegramme? Hm – folgende Seite. Aha – richtig: »Die Kaiserin von Japan trifft im strengsten Inkognito heute Nacht in X. ein. (Anmerkung der Redaktion: Wie wir hören, sind für die Kaiserin und deren Gefolge Zimmer im Hotel ›Kronprinz‹ bestellt.)«

»Meinetwegen!« sagte Käthe gähnend. »Man bekommt sie ja doch nicht zu sehen!«

»O,« meinte Tante Kuki nachdenklich, »wenn sie nach Nordland gekommen wäre – – aber freilich, es ist nur eine kleine Residenz und die Kaiserin weicht wohl von der großen Route nicht ab.«

»Ja, es ist ja wahr – du hättest dann dein Mägdeheim präsentieren können!« rief Käthe mit einem Blick auf ihren Vater, dessen Kopf schleunigst hinter der Zeitung verschwand – er hatte sichtlich genug von Tante Kukis Mägdeheim. »Das ist aber wirklich schade,« fuhr Käthe bedauernd fort, »es wäre doch ein Triumph für dich gewesen, dein Institut – denn es ist doch das deinige, da du es begründet hast und an der Spitze der Verwaltung stehst – also dein Institut als Muster für ein ähnliches, im fernen Asien einzuführendes hinstellen zu können. Und vielleicht gar auch unter dem Namen ›Habakukinenstift!‹«

»Ja, das wäre in der That eine Gelegenheit gewesen,« meinte Tante Kuki mit niedergeschlagenen Augen. »Nicht um meinen Ruhm in ferne Weltteile zu tragen – es sei ferne von mir, das zu wollen – sondern um der Sache willen.«

»Hm! Die Mägdefrage soll in Japan noch höllisch im argen liegen,« bestätigte Käthe mit einem Gesichte, als wären die japanischen Kulturzustände der Gegenstand ihres täglichen Studiums.

»Wie interessant! Wer sagte dir das?« fragte Tante Kuki lebhaft.

»Ach, ich hab's irgendwo 'mal in einer Zeitung gelesen,« erwiderte Käthe. »Schauderhaft werden die Mägde dort behandelt und wenn sie ausgedient haben, einfach auf die Straße geworfen!«

»Empörend!« rief Tante Kuki. »Man sollte gegen solche Zustände rücksichtslos von uns aus einschreiten!«

»Das sollte man wirklich!« ereiferte sich Käthe mit merkwürdiger Energie. »Tante, das wäre etwas für dich! Du müßtest ein Komitee bilden zu einer Gesellschaft zur Einführung von Mägdeheimen in Japan! Das wäre etwas für dich!«

»In der That – ich weiß nicht – man müßte der Sache wirklich näher treten,« erwiderte Frau von Diestelcamp nachdenklich. »Jedenfalls freue ich mich von Herzen, diesen Eifer bei dir zu entdecken, liebe Nichte – ich hatte, offen gestanden, solche ernsthafte Regungen gar nicht in dir vermutet.«

Käthe ging mit einer großartigen Handbewegung über diese persönliche Bemerkung hinweg.

»Man möchte heulen, wenn man an die maltraitierten japanischen Mägde denkt,« fuhr sie mit schöner Begeisterung fort. »Denke nur, Tante, die armen Wesen einfach auf die Straße zu werfen, wenn sie nicht mehr schaffen können. Mit einem Fußtritt obendrein! O Tante, dagegen mußt du was thun! Freilich, leichter wäre es ja geworden, wenn du der Kaiserin dein Institut selbst hättest zeigen können, aber – – na, da falle doch gleich der Mond wie'n Plumpsack herunter! Ich habe eine Idee, Tante, eine Idee – –«

Käthe sprang mit blitzenden Augen auf, warf ihre Theetasse um und fiel ihrer erstaunten Verwandten um den Hals.

»Ich muß dir einen Kuß geben!« rief sie stürmisch. »Weißt du, was mir eingefallen ist? Na, rate 'mal!«

»Aber wie kann ich wissen –«

»Natürlich, gar nischt kannste wissen,« jubelte Käthe. »Auf so was kann ein vernünftiger Mensch auch gar nicht kommen! Merkst du das Kompliment, Tante? Na, da höre 'mal zu: Da die Kaiserin von Japan doch 'mal hier ist und du zufällig oder vielmehr absichtlich auch, da ist doch die Sache so einfach, daß sie einfacher gar nicht sein kann, so einfach ist die Sache! Du gehst zu der Kaiserin hin und sprichst mit ihr, setzest ihr die Geschichte auseinander – basta!«

»Aber liebe Käthe – –« brachte Tante Kuki endlich hervor.

»Da ist gar nichts zu ›abern‹ dabei,« behauptete Käthe in vollstem Eifer. »Natürlich, ich kenne ja die Hofregeln und weiß sehr gut, daß du dich nicht bloß vom Zimmerkellner bei der Kaiserin anmelden lassen kannst. Aber schriftlich kannst du's. Bittest kalt lächelnd um eine Audienz, erklärst, wer du bist und was du thust – Mägdeheim etc. etc. etc. und die Geschichte ist im Gange und kommt zum Klappen. Und schließlich: mehr wie ›nee‹ sagen kann die Kaiserin doch auch nicht; wir sind hier in Europa und Kopfabschlagen und Bauchaufschlitzen giebt's hier nicht. Na, was sagste nu dazu?«

Tante Kuki strich sich mit bebenden Händen ihren Scheitel glatt.

»Eine ganz wilde Idee von dir, liebe Nichte,« sagte sie unsicher. »Aber ich erkenne deine gute Absicht an – wirklich, das thue ich. Welch' erfinderischen Kopf du hast! Was sagen Sie dazu, lieber Graf?«

Graf Hellberg warf über die Zeitung einen Blick auf seine Tochter und dann einen zweiten auf Tante Kuki.

»Ja, meine gnädige Frau, was soll man denn dazu sagen?« fragte er ziemlich orakelhaft zurück und verschwand wieder hinter seiner papiernen Schutzmauer.

»Papa ist ganz meiner Ansicht, ich weiß es,« behauptete Käthe kühn.

»Ich müßte doch erst mit meinem Gemahl Rücksprache nehmen,« wandte Tante Kuki ein.

»Jawohl, so lange wird die Kaiserin gerade hier warten – wer weiß, ob sie morgen noch da ist,« entgegnete Käthe. »Wenn ich wie du wäre, ich setzte mich gleich hin und schriebe – denk' doch 'mal bloß: ein Mägdeheim nach deinem Muster in Japan! Was sag' ich denn: eins! Aus einem würden bald zwei, drei, ein Dutzend! Und die armen Mägde brauchten nicht mehr auf der Straße herumzukrabbeln!«

Tante Kuki neigte sinnend ihr Haupt.

»Dieser Gedanke wäre ja wohl des Versuches wert,« meinte sie zögernd, »und, wie du sehr richtig bemerktest: mehr als einen Refus hätte ich dabei nicht zu fürchten. Ich liebe es nicht, abgewiesen zu werden, aber um der guten Sache willen darf man keiner persönlichen Empfindlichkeit Raum geben. Indes weiß ich doch nicht, wie mein guter Mann über die Sache denken würde.«

»Ach, für den Onkel sag' ich gut,« rief Käthe leichtsinnig, »der will doch immer, was du willst,« verbesserte sie indes prompt ihre leichtfertige Behauptung. »Und nun, frische Fische, gute Fische! Schreib' 'mal rasch, ehe die andern kommen – wenn wir mittags heimkehren, hast du vielleicht schon deine Antwort.«

»O – aber ich kann doch nicht Japanisch –«

»Aber Französisch kannst du und Englisch. Ja, ja, Englisch sprechen alle Japaner! Natürlich, Englisch! Na, komm nur rasch und schreibe – ich kann dir 'nen Bogen Papier, Fürstenformat, geben – Horst hat welches –«

Und ehe Tante Kuki es sich versah, hatte Käthe die nur schwach Widerstrebende vom Stuhle in die Höhe gezogen und sie mit sanfter Gewalt in das Arbeitszimmer ihres Gatten gedrängt. Als sie allein ins Eßzimmer zurückkehrte, fand sie ihren Vater noch am Frühstückstisch vor.

»Nun sag' 'mal bloß, was das heißen soll?« fragte er heiter.

»Sie schreibt,« sagte Käthe lakonisch.

»Vermutlich. Ich begreife nur deinen Eifer für diese Geschichte nicht!«

»Ach, weißt du, Papa,« erwiderte Käthe, sich eine neue Tasse Thee einschenkend, »Tante Kuki gehört zu den Leuten, die man beschäftigen muß, wenn man Ruhe vor ihnen haben will. Warum soll man sich zu diesem Zweck nicht ihre Schwäche zu nutze machen? Wendenburg behauptet ja, daß Zarathustra dieses Mittel rekommandiert hat.«

»Und wenn die alte Diestelcampen sich unsterblich damit blamiert?«

»Das ist ihre Sache, Papa, das geht keinen Menschen was an.«

»Außer dich selbst, Tochter, denn einen Mißerfolg wirst du auszubaden haben.«

»Was ich mir davor koofe! Ich bade sowieso alles aus, was Tante Kuki über die Leber läuft.«

»Nun, dann thue, was du nicht lassen kannst. Aber wenn sie selbst den andern nichts davon sagt, dann laß uns auch still davon sein – die Geschichte ist ja zu thöricht!«

Und Tante Kuki sagte, wenigstens vorläufig, wirklich nichts davon. Noch ehe Wendenburgs und Tiefenthals erschienen, hatte sie ihren Brief abgefaßt und Käthe mit seiner Beförderung betraut, die das Schreiben zunächst, wahrscheinlich um den Umschlag vom dicksten Elfenbeinpapier nicht der Gefahr auszusetzen, von des Burschen Händen befleckt zu werden, in ein zweites Couvert steckte, den Burschen persönlich aufsuchte und ihn mit seiner Mission vertraut machte.

Nachdem noch der kleine Heinz Miß Knickerbockers Fürsorge anvertraut war, machte die Karawane sich auf den Weg und genoß gemeinsam alle Sehenswürdigkeiten, die auf dem Programm standen.

Wie verabredet trennte sich Käthe mit Tante Kuki zur festgesetzten Zeit von der übrigen Gesellschaft unter dem Versprechen, den Abend gemeinsam im Theater zuzubringen, und während Graf Hellberg mit Wendenburgs und Tiefenthals den gastlichen Tisch ihres Freundes aufsuchten, fuhr Käthe die todmüde Frau von Diestelcamp in einer Droschke zurück an den eignen Herd.

»Ein Brief für die gnädige Frau gekommen?« war ihre erste Frage, als die Entreethür sich hinter den beiden Damen geschlossen.

»Zu Befehl, nein,« war die prompte Antwort des Dieners. »Aber ein – ein komischer Herr ist eben gekommen und verlangte die gnädige Frau zu sprechen. Ich wollte ihn erst nicht hereinlassen, aber er meinte, es wäre schon recht und da hab' ich ihn einstweilen in den Salon geführt.«

»Ein komischer Herr?« fragte Käthe anscheinend sehr erstaunt. »Wieso denn komisch?«

»Befehl – ich dachte, weil es eine Maske wäre. Morgen ist ja Faschingssonntag und da laufen die Masken doch so auf der Straße 'rum und kommen in die Häuser. Aber er sagt, er ist keine, sondern ein wirklicher und ginge immer so.«

»Das ist spaßig. Na komm nur Tante und laß uns sehen, wer es ist!«

Frau von Diestelcamp, die mit hochgezogenen Brauen zugehört hatte, betrat mit ihrer Nichte den Salon, in dessen Mitte eine Figur stand, welche allerdings einen für europäische Augen ungewohnten Anblick bot – kurz ein Asiate in der ebenso kostbaren wie imposanten Tracht eines japanischen Großen. Das Untergewand von schwerem, blauem Damast fiel ihm in reichen Falten bis an die Knöchel seiner Schnabelschuhe, das geschlitzte Oberkleid von schwarzem Atlas zeigte prächtige Goldstickerei, den Kopf bedeckte die barettartige schwarze Mütze. Beim Anblick der beiden Damen verbeugte er sich würdevoll und trat ihnen mit sicherm Anstand entgegen.

»Verzeihen Sie mein Eindringen in dieses hochherrliche Haus,« sagte er in fließendem Deutsch mit leiser, melodischer Stimme. »Mein Name ist Marquis Tsing-Tsu-Hei, meine Würde Oberhofmeister Ihrer Majestät der Kaiserin von Japan. An welche der Damen habe ich mich zu wenden?«

»Jedenfalls wohl an meine Tante, Frau von Diestelcamp. Ich bin die Gräfin Kirchwald,« erklärte Käthe liebenswürdig.

Der Marquis verbeugte sich erst tief vor ihr, dann zweimal ebenso tief vor Tante Kuki, welche beide Komplimente unwillkürlich ebenso tief erwiderte, ohne natürlich eine Ahnung davon zu haben, welch groteskes Schauspiel sie damit gab, dessen Wirkung hinter ihrem Rücken sich in Käthes Gesicht nur zu deutlich widerspiegelte, während dem Japaner die Ceremonie durchaus natürlich und selbstverständlich zu sein schien. Nachdem die Komplimente erledigt waren, nahm man Platz.

»Meine gnädigste und glorreichste Herrin, die Kaiserin hat den Brief Eurer Excellenz in Gnaden angenommen und höchst interessant zu finden geruht,« begann der Marquis, sich abermals sitzend vor Tante Kuki verneigend.

»O, in der That –« murmelte diese, vor Freude und Stolz errötend.

»Die Kaiserin,« fuhr der Marquis mit wiederholten Komplimenten fort, »die Kaiserin hatte schon von dem von Eurer Excellenz begründeten Institute gehört und es in allerhöchster Gnade bedauert, dasselbe nicht besichtigen zu können. Der Reiseplan meiner glorreichen Herrin berührte indessen nur die großen Städte – um so mehr ist meine Gebieterin erfreut, bei ihrem durch eine Ruhepause notwendig gewordenen Aufenthalte hier die großherzige Begründerin des Habakukinenheims zu finden. Meine erhabene Herrin hat mich beauftragt, Euer Excellenz zu sagen, daß sie die Gnade haben wollte, Eure Herrlichkeit zu empfangen, um aus Ihren Händen die Beschreibung und Statuten der Anstalt entgegenzunehmen!«

Tante Kuki war überwältigt.

»O – diese Gnade – ich hätte darauf nie gerechnet,« stammelte sie ganz konfus. »Aber die Broschüre ist deutsch verfaßt – und – und – ja, mein Himmel, es fällt mir jetzt erst auf, daß auch Sie Deutsch sprechen, Herr Marquis.«

Der Oberhofmeister verbeugte sich wieder.

»Wir gebildeten Japaner beherrschen fast alle europäischen Umgangssprachen,« erwiderte er. »Die Kaiserin, meine glorreiche Gebieterin, liest das Deutsche, spricht es aber nicht und wird sich zweifellos meiner als Dolmetsch bedienen. Ihre Majestät haben die Gnade gehabt, für den Empfang Euer Excellenz in Allerhöchstihren Gemächern die vierte Stunde mitteleuropäischer Zeitrechnung am morgigen Tage zu bestimmen.«

Tante Kuki, rot wie eine Puthenne vor Stolz und Freude, verbeugte sich so tief auf ihrem Sessel, daß sie mit der Nasenspitze ihre Kniee berührte.

»Ich werde nicht verfehlen, pünktlich zur Stelle zu sein,« versicherte sie. »Indes, Herr Marquis – meine Erfahrung im Hofceremoniell beschränkt sich auf die europäische Etikette – dieselbe wird doch bei Ihrer Majestät keinen Anstoß erregen?«

»Die europäischen Hofgebräuche weichen von den unsern allerdings in Einigem ab,« erklärte der Japaner, »und es dürfte unerläßlich erscheinen, sich unserer Etikette zu unterziehen. Euer Excellenz mögen indes ganz ohne Sorge sein – ich werde die hohe Ehre und das ausgezeichnete Vergnügen haben, Euer Excellenz eine Viertelstunde vor der festgesetzten Zeit im Vorzimmer Ihrer Majestät zu empfangen und mir dort die Freiheit nehmen, Eurer Excellenz die allernotwendigsten Anweisungen zu erteilen, die so einfach wie möglich sind. Es wird meine Sorge und Verantwortung sein, daß das Ceremoniell absolut richtig beobachtet wird.«

»O – ich bin Ihnen sehr dankbar für Ihre Güte und Mühe,« murmelte Tante Kuki. »Doch noch eine Frage, Herr Marquis! In welcher Toilette habe ich zu erscheinen?«

Der Marquis legte den Zeigefinger seiner Rechten an die Nase und runzelte die Stirn.

»Hm –« murmelte er. »Diese wichtige Frage scheint ganz übersehen worden zu sein –« seine funkelnden Äuglein streiften Käthe, welche stumm und unbeweglich, aber mit sonderbar zitternden Nasenflügeln dasaß. »Thatsache ist, daß man bei uns vor der Majestät nur in seinem besten Gewande erscheint, respektive ein allerbestes dafür in Bereitschaft hält – – indes haben wir hier mit europäischen Begriffen zu rechnen – ja – hm – Euer Excellenz werden daher wohl Courtoilette anzulegen haben!«

»Mein Gott – und ich habe keine Courrobe mitgenommen,« jammerte Tante Kuki in Agonie. »Aber – halt! Wenn ich nach Hause telegraphierte, könnte das Kleid morgen früh hier sein – meinst du nicht, liebe Käthe?«

»Aber sicherlich,« krächzte die liebe Käthe mit ganz rotem Gesicht in ihr Taschentuch hinein, das einen plötzlichen Ausbruch, der wie ein schlecht unterdrücktes Niesen klang, nur unvollkommen der Aufmerksamkeit entzog.

»Ihre hochherrliche, glorreiche Gesundheit!« beeilte sich der Japaner mit unerschütterlichem Ernst unter einem tiefen Kompliment der Dame des Hauses zu wünschen.

»O, hast du dich erkältet?« fragte Tante Kuki mit auffallend mäßigem Interesse.

Käthe krächzte wieder etwas und bearbeitete ihre hübsche Nase unbarmherzig mit dem Taschentuche, doch der Marquis erhob sich und begann sich rückwärts unter Komplimenten zur Thür zu bewegen, indem er sich unter gewählten Ausdrücken empfahl und die Hoffnung aussprach, Frau von Diestelcamps Angesicht morgen, ein Viertel vor vier Uhr, wieder erblicken zu dürfen. Überwältigt von dieser großartigen, orientalischen Höflichkeit, knickste und verbeugte sich Tante Kuki wie ein aufgezogener Automat, bis die Thür sich hinter dem Oberhofmeister geschlossen, dann erst gönnte sie ihren Knieen wieder die wohlthätige europäische Ruhe und wandte sich triumphierend nach Käthe um, die mit thränenden Augen hinter ihr stand.

»Nun, liebes Kind, siehst du deutlich, in welchem Ansehen ich stehe,« rief sie mit berechtigtem Stolz. »Mein Name, meine Werke öffnen mir wie durch Zauber selbst die Pforte zum Gemache orientalischer Herrscher. Ich –«

Hier öffnete sich noch einmal die Pforte des Salons und der Marquis erschien auf der Schwelle.

»Möge die Gnade Eurer Excellenz mir dieses wiederholte Eindringen in diesen erhabenen Raum verzeihen,« sagte er. »Möge Ihr unterthänigster Knecht wegen Vergeßlichkeit nicht eine schlechte Meinung Eurer Excellenz verdient haben. Indes, da Ihre Majestät, meine glorreiche Gebieterin, inkognito hier weilt, habe ich die Pflicht, Euer Excellenz zu bitten, diese Audienz so lange geheim zu halten, bis die Kaiserin das Weichbild dieser Stadt wieder verlassen hat.«

»Natürlich, bester Herr Marquis, natürlich,« beeilte Tante Kuki sich liebenswürdig zu erwidern. »Ich hatte auch nur die Absicht, meinen Gemahl von der mir bevorstehenden Ehre zu unterrichten!«

»Wollen Euer Excellenz die Gnade haben, dies nachträglich zu thun,« entgegnete der Marquis eindringlich. »Ihre Majestät würde sich sehr peinlich berührt fühlen, wenn der beabsichtigte Empfang, bevor er stattgefunden, schriftlich in eine andere Stadt mitgeteilt würde.«

»O dann – natürlich ist der Wunsch Ihrer Majestät mir Befehl,« erklärte Tante Kuki und der Marquis empfahl sich definitiv.

»Seltsam sind sie doch, diese fremdländischen Monarchen,« meinte Tante Kuki achselzuckend, als er gegangen. »Als ob eine Silbe von dem, was ich meinem Gatten schreibe, in die Welt dringen könnte, wenn dies nicht der Fall sein soll. Doch mag es sein – ich kann morgen nach der Audienz telegraphieren. Doch nun die Depesche um meine Courrobe. Man denke nur: eine Audienz in Courrobe! Doch es ist eben ein Ausnahmefall, und ich werde zeit meines Lebens von der Erinnerung an ihn zehren!«

»Ich denke auch,« murmelte Käthe ihrer schleunigst nach ihrem Zimmer entschwebenden Tante nach.

Vor den Hausgenossen konnte indes kein Geheimnis aus der Sache gemacht werden, soviel wurde von Tante Kuki festgestellt und darum wurden sowohl Graf Hellberg als auch Tiefenthals und Wendenburgs unter dem Siegel tiefster Verschwiegenheit in die hochwichtige Sache von Tante Kuki höchstselbst eingeweiht.

»Na, da schlag' doch gleich das Donnerwetter in die frische Milch!« schrie Tiefenthal im ersten Staunen aus. »Was man hier nicht alles erlebt! Aber ich hab' die Zeitung doch auch gelesen – Hans will ich heißen, wenn was von der Kaiserin von Japan drin stand!«

»Hast es übersehen, weil's dich nicht interessierte,« meinte Graf Hellberg, »hier liegt die Zeitung noch.«

Kopfschüttelnd las der brave Tiefenthal die fettgedruckten Stellen.

»Muß ich rein den Hühnerplinz gehabt haben, das nicht zu sehen,« meinte er verblüfft. »Datum stimmt. Sollt' ich schon solch ein alter Tapermichel sein?«

»Scheint so,« meinte Theone trocken.

Tante Kuki war den ganzen Abend in sehr gehobener Stimmung und ganz geneigt, Gnaden auszuteilen. Sie hatte indes eine schlechte Nacht, teils aus Aufregung, teils aus Furcht, das Kleid möchte nicht ankommen und der folgende Morgen wurde Käthe förmlich verbittert durch das unablässige Fragen der Tante, ob der Eilbote immer und wirklich noch nicht erschienen sei und ob sie sich aufhängen oder erschießen sollte, wenn das Kleid nicht käme. Höchst erbittert und verdrießlich gab Käthe ihr den guten Rat, beides zu thun, was ein Zetergeschrei über herzlose Verwandte zur Folge hatte, in eine etwas warme Scene überging und in einem Weinkrampfe gipfelte, der indes auf der Stelle aufhörte, als mitten darin wirklich der Eilbote mit dem mächtigen Pappkarton erschien.

Völlig beruhigt und voll überströmender Gnade verzieh Tante Kuki ihrer Nichte die voreilige Rede und breitete vor ihren staunenden Augen das Festgewand aus: eine silberbroschierte, zartlila Damastrobe, dekolletiert und mit Spitzen geputzt und dazu eine meterlange Courschleppe von violettem Sammet mit Garnitur von lila Straußenfedern – nein, Tante Kuki war nicht knickrig, wenn es galt, ihren sündigen Leib zu schmücken, wie Käthe, gottlob nur inwendig, konstatierte.

Gleich nach dem zeitigen Mittagessen begann Tante Kuki die Toilette und gewährte den versammelten Verwandten die Gnade, sie in ihrem Glanze bewundern zu dürfen. Käthe hatte sich dienstfertig erboten, die Tante im Wagen bis zu dem Hotel zu begleiten, sie half ihr, den kostbaren, zobelbesetzten grünsamtnen Abendmantel umlegen und fuhr mit ihrem geputzten Gaste davon, während die andern ausgingen, um das heute schon herrschende bunte Maskentreiben auf den Straßen in nächster Nähe zu sehen.

Mit dem Schlage ¾ Uhr rollte der Wagen mit Tante Kuki und Käthe vor der Einfahrt des Hotel Kronprinz vor – ein evident bereitstehender junger Herr in europäischer Tracht riß den Schlag auf und reichte Frau von Diestelcamp den Arm, um sie die Treppe hinaufzuführen – was aus Käthe geworden und wohin sie gekommen, fiel Tante Kuki gar nicht ein, sich zu erkundigen – sie hatte an anderes zu denken, als an ihre unbedeutende Nichte.

Ein kleiner Salon im ersten Stock nahm sie zuerst auf – hier nahm ihr ein japanischer Diener den Mantel ab, hier empfing sie der Marquis mit einem solchen Strome japanischer Höflichkeitsphrasen, daß sie beim besten Willen nicht dazu kam, auch nur etwas anderes, als: »Ja, ja,« »Gewiß!« »Sehr, sehr gütig« zwischendurch zu murmeln. Der Marquis bewunderte in unablässig dahingleitendem Redestrom die kostbare Toilette, das blühende Aussehen der Trägerin dieses Glanzes, erzählte von dem Interesse seiner glorreichen Herrin für sie, kam aufs Wetter zu reden, konstatierte, daß es hier bedeutend kälter sei, als bei ihm daheim, enthusiasmierte sich für europäische Kultur – kurz er redete, redete und redete, daß das Zimmer sich anfing, um Tante Kuki zu drehen, indem sie vergeblich versuchte, einige ihr am Herzen liegende Fragen anzubringen. Und dabei hörte sie's draußen vier Uhr schlagen, sie hörte es ein Viertel nach schlagen und lauschte gespannt auf den Glockenschlag der halben Stunde und immer noch sprach der Marquis weiter in ungehemmtem, unhemmbarem, unversieglichem Redestrom.

»Wahrscheinlich ist das japanische Etikette,« dachte Tante Kuki halbverzweifelt und total mürbe gemacht.

Da ertönte der ohrenzerreißende Schlag eines japanischen Gong dreimal dröhnend im Nebenzimmer, die Thür öffnete sich und ein pompös kostümierter Würdenträger erschien, strotzend von goldgestickten Gewändern, und schrie in einem Tante Kuki unverständlichen Idiom etwas ins Zimmer hinein.

»Die Kaiserin ist bereit,« übersetzte der Marquis die Botschaft und erhob sich.

»Aber das Ceremoniell – was habe ich zu thun?« gapste Tante Kuki kreidebleich vor Aufregung und Angst.

»O, haben Sie keine Sorge,« versicherte der Marquis lächelnd, wenn auch sichtlich etwas erschöpft von seinen oratorischen Anstrengungen. »Machen Sie nur jede Bewegung nach, die ich mache – Sie wissen ja, daß man vor unsrer Majestät nur knieend spricht, ihr nur auf den Knieen nahen darf – kommen Sie, kommen Sie schnell, der Gong ruft wieder – wir dürfen die Kaiserin nicht warten lassen!«

Schon war die Thür von zwei bunt gekleideten Dienern aufgerissen worden und auf der Schwelle stehend, sah Tante Kuki in dem großen Salon, der sich vor ihr öffnete, ein ebenso farbenreiches wie prächtiges Bild. Der ganze Raum war mit japanischen Schirmen, Fächern, bunten Ampeln, Makartbouquets und Guirlanden von künstlichen Blumen feenhaft dekoriert; auf einem erhöhten Thronsessel unter einem seidnen Baldachin mit Pfauenfederbouquets gerafft, saß die Kaiserin im goldgestickten, gelben Sammetgewande, einen Fächer von Pfauenfedern in der Hand, hinter ihr hockten auf niedern Taburetts prächtig geschmückte Würdenträger, vor ihr, im Halbkreise, lagen wohl ein Dutzend andrer Personen auf den Knieen, das Gesicht zur Erde geneigt. Es war ein ebenso fremdartiger, wie prächtiger und etwas beklemmender Anblick.

Tante Kuki bemerkte zur Not, daß die Kaiserin ein gelbes, wenn auch noch ziemlich junges Gesicht hatte, daß ihre Augenbrauen von der Nasenwurzel hochgezogen waren und in ihrem schwarzen, kunstreich frisierten Haar eine Masse glitzernder Pfeile und Nadeln schwankten, dann fühlte sie sich mit sanfter Gewalt zu Boden gezogen.

»Knieen Sie, Unglückliche, knieen Sie,« tuschelte der Marquis ihr ins Ohr. Er selbst lag der Länge nach schon auf dem Teppich.

Entsetzt von der Bezeichnung »Unglückliche,« sank Tante Kuki auf die Kniee und neigte ihr federngeschmücktes Haupt bis zur Erde.

»Nun rutschen Sie mit mir vorwärts, bis ich ›Halt‹ sage,« flüsterte der Marquis und begann sich auf Händen und Knieen vorwärts zu bewegen. Aber das war leichter gesagt, wie gethan, denn Tante Kukis Kleid hinderte sie so erfolgreich an der ersten Bewegung, daß sie unsanft mit der Nase den Teppich berührte.

»Ziehen Sie Ihr Kleid etwas vor und kommen Sie! Was zögern Sie, Unglückliche? Man zaudert nicht vor der Kaiserin von Japan,« tuschelte der Marquis dicht an ihrem Ohr.

Tante Kuki stöhnte und versuchte, ihre Füße von dem Kleide zu befreien.

»Es geht nicht, es sitzt fest,« hauchte sie in den Teppich, aus dem der Staub ihr in der Nase zu kitzeln anfing.

Aber es ging doch, denn ein auf dem Bauche herankriechender Diener löste den widerspenstigen Kleidersaum von ihrem Fuße und hielt den Stoff so, daß ein Vorwärtsrutschen dadurch wenigstens nicht zur Unmöglichkeit wurde.

»Halt,« gebot der Marquis nach einigen qualvollen Momenten ungewohnter Fortbewegungsweise und tief aufatmend stellte Tante Kuki nur zu gern ihre Kriechversuche ein.

»Tscheitschun hakischtschun kischstunsch hei, hei!« ertönte nun eine näselnde, etwas entfernt klingende Stimme.

»Ihre Majestät die Kaiserin heißt Euer Excellenz willkommen,« übersetzte der Marquis laut.

»Ich ersterbe in Dankbarkeit und Ergebenheit vor Ihrer Majestät,« antwortete Tante Kuki in den Teppich herein.

»Li Hung Tschang, Ite, wei-hei-wei!« klang es wieder wie aus der Ferne herab.

»Ihre Majestät die Kaiserin wünscht Ihnen Frieden, Glück und langes Leben,« übersetzte der Marquis.

Tante Kuki dachte, es wäre ihr lieber, wenn die Kaiserin ihr Aufstehen wünschte, aber damit war es leider nichts, denn noch eine ganze Weile lang mußte sie ähnliche Wohlfahrtswünsche über sich ergehen lassen und gebührend beantworten. So viel gute Sachen hatte man Tante Kuki noch niemals in einem Atem gewünscht und es hätte sie sicher auch ganz anders beseligt, wenn ihre Stellung auf den Knieen mit der Nase in dem schrecklich nach Staub riechenden Teppich nicht so verzweifelt unbequem gewesen wäre. Indes erhielt sie keine Order, sich zu erheben, nur die leisen Ermahnungen des Marquis, unter keinen Umständen die Stellung zu verändern. Sie erfuhr dann nach den vielen Heils- und Segenswünschen der scheinbar sehr gnädigen Monarchin, daß dieselbe Beschreibung und Statuten des Mägdeheims entgegennähme und beides eingehend prüfen wollte, hörte, daß sie zur Belohnung für ihre unendlichen Verdienste auf dem Gebiete der Humanität den japanischen Orden der aufgehenden Sonne erhalten sollte, und dann kam eine Pause, in der es klang, als ob jemand mit rauschenden Gewändern einherginge.

»Bitten Sie noch um eine Gnade,« tuschelte der Marquis.

»Ich – o – ach! Darf ich der Kaiserin die Hand küssen?« fragte Tante Kuki.

»Ich werde versuchen, den Wunsch in passende Worte zu kleiden,« versicherte der Marquis. Es erfolgte dann wieder ein japanisches Kolloquium, dann faßte jemand Tante Kuki an den Schultern und hob sie mit dem Oberkörper empor, eine kräftige, weiße Hand wurde ihr vorgehalten, auf die sie halb blind von ihrer langen, gebücktem Lage, halbwegs einen Kuß hauchte, dann wurde ihr Kopf wieder herabgedrückt, schwere Stoffe rauschten, eine Thür ging – –

»Die Kaiserin hat sich entfernt, Sie dürfen sich aufrichten,« sagte der Marquis.

Ganz betäubt, mit schmerzendem Rücken und Genick sah Tante Kuki auf – richtig, der Thron war leer, die Kaiserin mit der Hälfte ihrer Suite verschwunden. Zwei dienstfertige Herren des Hofes halfen freundlich lächelnd der Knieenden wieder auf die eingeschlafenen Füße, der Marquis empfahl sich unter tausend Komplimenten, und ehe Tante Kuki noch ein Wort reden konnte, hatte ihr der Herr im europäischen Civil schon den Mantel umgehängt, sie sorglich die Treppe herabgeleitet, in den bereitstehenden Wagen verladen und war dann verschwunden, ehe sie noch »danke« gesagt hatte.

* * *

Es war kurz nach sechs Uhr abends an diesem für Tante Kuki so denkwürdigen Tage, als Käthe nach Hause zurückkehrte. Ob sie sich das Maskentreiben auf den Straßen auf eigene Faust angesehen, war schwer zu entscheiden, jedenfalls schien sie außerordentlich vergnügt zu sein, denn sie sprang die Treppen, nach altgewohnter Art immer zwei Stufen auf einmal nehmend, empor und pfiff dazu die bekannte Melodie aus »Carmen«:

»Auf in den Kampf, Torero!
Mut in der Brust, siegesbewußt!«

Und in der That sah sie auch ganz aus, als ob ihr ein großer Coup schon gelungen wäre und ein noch größerer so gut wie gelungen. Oben an ihrer Entreethür angelangt, klingelte sie nicht, sondern öffnete sich mit eignem Drücker, fuhr in ihrer gleichfalls sattsam bekannten Wirbelwindmanier hinein in das Entree und – stand Herrn von Diestelcamp gegenüber, der sich, anscheinend stark erhitzt, im kühlen Korridor mit dem Taschentuch größere Kühlung zufächelte.

»Nanu, Onkel, wo kommst du denn her?« fragte Käthe endlich mit merkwürdig langem Gesicht.

»Guten Abend, liebe Nichte – dein untertänigster Diener,« erwiderte der Hofmarschall den unceremoniellen Gruß mit nie versagender Höflichkeit. »Meine Geschäfte haben sich schneller erledigen lassen, als ich gemeint und ich kam daher, kurz entschlossen, eher zurück, ohne mich vorher anzumelden, wofür ich deine gnädige Entschuldigung erbitte.«

»O,« stotterte Käthe zerstreut – die Melodie vom siegesbewußten Torero schien ihr auf den Lippen erstorben.

»Ja – hm!« räusperte sich Herr von Diestelcamp, sein Taschentuch wie eine Parlamentärsflagge schwenkend, »ich kam hier so gegen fünf Uhr an und fand das ganze Nest leer – total ausgestorben und hörte von der Dienerschaft einen höchst konfusen Bericht über einen komischen Besuch, den meine liebe Frau empfangen hätte, und daß sie um halb vier Uhr mit dir ausgefahren sei. Nun gut, ich warte also, da ich nicht weiß, wo ich sie suchen soll. Gegen halb sechs Uhr kommt sie dann allein an – hm – ich denke, der Schlag soll mich rühren – in Courtoilette und überstürzt mich mit einer Erzählung von einer Audienz, die sie bei der Kaiserin von Japan gehabt haben will. Unter uns, gnädigste Nichte – ich habe fest geglaubt, der Verstand meiner lieben Frau habe sich ein wenig derangiert, wahrhaftig, das habe ich geglaubt – der Himmel verzeihe mir den schändlichen Verdacht!«

»Natürlich!« gab Käthe zu. »Die Sache ist ganz in Richtigkeit!«

»Hm!« sagte der Hofmarschall nachdenklich und fuhr lebhafter fort: »Ja, und dann kam dein verehrter Vater mit den Tiefenthalschen und Wendenburgschen Herrschaften zurück, und nun sitzt meine liebe Frau immer noch in Courtoilette mitten unter ihnen und schwatzt, pardon, erzählt von der Audienz, von dem scharmanten Marquis, der gnädigen Kaiserin und dem ganzen japanischen Prunk und Ceremoniell, daß mir's endlich siedend heiß geworden ist und ich hinausgelaufen bin –«

»Warum denn, wenn Tante Kuki doch so begeistert von der Audienz ist?« fragte Käthe leicht.

»Warum?« wiederholte Herr von Diestelcamp, sein Taschentuch schwenkend. »Gnädigste Nichte, du bist eine sehr kluge kleine Frau und wirst es begreifen, daß es deprimierend ist, wenn man die einem sehr nahe Stehenden – hm – hm – weniger klug finden muß. Hm! Ich möchte um nichts in der Welt mit der Affaire von der Kaiserin von Japan etwas zu thun haben – nicht um eine Milliarde. Ich weiß von nichts und will von nichts wissen, aber verdenken wirst du es mir nicht, wenn ich trotzdem den Wunsch hege, die Situation zu retten. Und als ich dich eben die Treppe hinaufkommen hörte – ›Mut in der Brust, siegesbewußt!‹ – Da kam mir der Gedanke, daß du ein gutes Wort zu guter Zeit nicht verschmähen wirst, denn du bist, wie gesagt, eine kluge kleine Frau.«

»Na, und der langen Rede kurzer Sinn ist –? Schieß' los, Onkelchen, schieß' ungeniert los,« ermunterte Käthe, deren Gesicht sich wieder aufzuhellen begann.

»Ja, liebe Nichte, siehst du, eitle Menschen, deren Horizont eben seine Grenzen hat – ohne Namen nennen zu wollen – siehst du – hm! Solche Menschen vertragen es positiv nicht, wenn man sie exponiert. Das ist nun einmal nicht anders! Wenn man von solchen Menschen etwas erlangen will, muß man sich eben in sie schicken und sich ihre Schwächen zu nutze machen –«

»Also spricht Zarathustra, Onkelchen!«

»In der That? Nun, er hat damit eine höchst alte, abgenutzte Weisheit ausgesprochen und hätte hinzufügen müssen: so zu nutze machen, daß es den Anschein hat, als wären sie die Schiebenden gewesen statt der Geschobenen. Ich weiß nicht, ob du mich verstehst.«

»Es dämmert wenigstens, Onkelchen. Fahr nur fort!« nickte Käthe heiter.

»Ich habe gesprochen, gnädige Nichte!«

»Nur halb, wie ein echter Diplomat,« erwiderte Käthe. »Aber es genügt – die andere Hälfte kann ich mir schon allein dazu denken.«

»Ah!« flötete der Hofmarschall mit feinem Lächeln. »Ich habe es ja immer gesagt, daß du eine kluge, sehr kluge kleine Frau bist!«

»Und ich,« fiel Käthe ein, »ich habe es mir hundertmal gedacht, daß du ein sehr lieber, kluger, vortrefflicher Onkel bist, der, wo andere Leute – ohne Namen nennen zu wollen – mit einem Zaunpfahl dreinschlagen wollen, ihnen geschickt ein goldenes Zauberstäbchen dafür in die Hand drückt! Also schönen Dank, Onkelchen – ich werde mich schon vorsehen, daß ich über den Zaunpfahl, der kurzer Hand über Bord geworfen ist, nicht noch stolpere. Geh' du nur inzwischen wieder hinein – ich lege bloß ab und sehe 'mal nach Heinz und komme dann in den Salon – ›Mut in der Brust, siegesbewußt.‹ Nur das eine laß mich noch aus vollster Überzeugung konstatieren: Zarathustra war ein Waisenknabe gegen dich! Er hat gesprochen, du hast's ergänzt! Auf Wiedersehen!«

Und Käthe verschwand in ihre Gemächer, wo sie erst einen Moment sinnend stand mit gerunzelter Stirn. Dann lachte sie leise vor sich hin, warf ihre Straßenhüllen ab, applizierte Heinz einen Kuß und ging dann geradeswegs mit erhobenem Kopfe in den Salon, wo Tante Kuki graziös im vollen Courstaate in einem Fauteuil lehnte, eine Tasse Thee in der Hand, umringt von dem Kreise der Verwandten, die ihrem leicht dahinfließenden Vortrage mit Gesichtern zuhörten, denen man ansah, daß sie nur widerwillig einen Zaunkönig für einen Kolibri acceptierten.

»Da bist du ja endlich!« rief Tante Kuki ihrer Nichte entgegen. »Wo bist du denn nur geblieben?«

»Ich habe die Masken gesehen – 's ist ja heut' Faschingssonntag,« erwiderte Käthe, den Kreis mit einem Knicks begrüßend. »Guten Abend, ihr edlen Damen und Herren! Giebt's noch eine Tasse Thee für mich? Ja? Na, das ist schön! Danke, danke, liebe Fee! Kuchen, Theone? Natürlich viel Kuchen! So was macht Hunger. Na, hat euch Tante Kuki ihre Erlebnisse erzählt? Alles?«

»Haarklein,« bestätigte Theone trocken.

»Wirklich? Was der Marquis gesagt, was die Kaiserin gesprochen? Auch das Ceremoniell hat sie beschrieben?«

»Na, ich danke,« lachte Tiefenthal. »Ich freue mich bloß, daß ich nie in die Lage kommen werde, einem außereuropäischen Monarchen meinen Kratzfuß machen zu müssen. Auf die Kniee käme ich zur Not noch, aber mit dem Kopfe runter, daß man aussieht wie eine Ente, die im Dorftümpel taucht – Donner Wachsstock noch eins! Da könnte mich einer jagen!«

»Ah – das hat Tante Kuki auch genau beschrieben?« erkundigte sich Käthe interessiert.

»Beschrieben! Vorgemacht hat sie's eben auf allgemeines Verlangen!« schrie Tiefenthal, enorm belustigt.

Da sprang Käthe empor und fiel Tante Kuki mit einer Vehemenz um den Hals, daß die ganze Coiffure der würdigen Dame sofort eine Linksschwenkung machte.

»Küssen muß ich dich, küssen, du liebe, goldne, einzige Tante,« jubelte sie und applizierte der vor Überraschung wehrlos Dasitzenden hintereinander ein Dutzend geräuschvoller Küsse, von denen die Wangen ihres Opfers zu brennen anfingen, als hätte sie sich mit Zinnober geschminkt.

»Aber Käthe – bist du übergeschnappt?« rief Graf Hellberg entsetzt.

»Total – vor Freude und Seligkeit,« jauchzte Käthe weiter, den Kußprozeß fortsetzend. Dann richtete sie sich auf und setzte sich, den rechten Arm um den magern Hals der Tante schlingend, auf die Seitenlehne des Fauteuils neben sie. »Seht sie an,« rief sie, sich im Kreise umsehend. »Seht sie hier, die beste, klügste, reizendste Tante von der Welt. Tante, heute hast du mich dir zur Sklavin gemacht – durch Dick und Dünn gehe ich für dich und wer mir auf Tante Kuki etwas sagt, der kriegt's mit mir zu thun!«

»Aber Käthe!« erhob Graf Hellberg nochmals seine Stimme, während die andern total verblüfft dreinschauten und nicht wußten, was sie denken sollten, ausgenommen den Hofmarschall, der mit einem fragenden Diplomatenlächeln auf dem glattrasierten Gesicht dasaß.

»Da giebt's kein Aber, Papa,« rief Käthe entschieden. »Tante Kuki ist das liebste, beste, klügste Tantelchen der Welt. Ja, ahnt ihr alle denn gar nicht, was sie gethan hat? Meine Wette hat sie mich gewinnen lassen und dabei noch gethan, als durchschaute sie nichts, so daß ich fast irre an ihr wurde. O Tante Kukerle, du goldiger Liebling du!«

Und wieder regnete es Küsse auf das brennende Gesicht der Frau von Diestelcamp und die Coiffure mußte sich eine Rechtsschwenkung gefallen lassen. Die Attackierte erhob beide Hände, doch ehe noch ein Wort über ihre Lippen kommen konnte, schwatzte Käthe schon wieder weiter, als wäre sie bei dem liebenswürdigen Marquis in der Lehre gewesen, während es vielleicht umgekehrt der Fall war.

»Jawohl, da sitzt ihr und staunt, aber wir sind die Wissenden, Tante Kuki, was?« strömte es hastig und fließend von ihren Lippen. »Die gestrige Zeitung mit der Notiz über die Kaiserin von Japan, das war der erste Streich! Ihr natürlich seid darauf hereingefallen, aber ich hab's Tante Kuki sofort angemerkt an ihrem gewissen schlauen Augenblinzeln – (notabene, Tante Kuki hatte noch nie in ihrem ganzen Leben schlau mit den Augen geblinzelt. Anm. d. V.) daß sie's durchschaute, daß mein Freund, der Chefredakteur, diese Extranummer nur für mich hatte abziehen lassen. Mehr noch, Tante Kuki hat gesehen, wie ich die wirkliche Nummer rasch mit der falschen vertauschte – ja, ja, Tante Kuki, ich hab's im Spiegel gesehen, wie du die Manipulation beobachtet hast! Na, dachte ich mir, nun sind wir perdu, aber den Kopf konnte es nicht kosten und da wagte ich kühn meinen Vorschlag mit dem Briefe an die Kaiserin! Die gute Tante, sie wollte mir den Spaß nicht verderben, sie wollte mich gewinnen lassen, sie schrieb den Brief, sie empfing meinen andern Freund, den Maler Hei-Tsu-Sing als Oberhofmarschall, sie heuchelte mir ihre Verzweiflung vor, daß das Kleid nicht kam – nein, Tante, daß du den Spaß durch das Kleid auch noch so urnett vervollkommnet hast! Zu lieb war's von dir! Und als ich so als Kaiserin von Japan mit aller aus den Requisiten zum »Mikado« geborgten Pracht auf dem Thron saß, wo sie mich ja natürlich auf dem Fleck erkannte, da vollendete sie ihr reizendes Werk und beugte die Kniee vor mir, küßte mir zum Überfluß noch die Hand und wartete hier, bis ich zurückkam, um mich die Geschichte selbst erzählen zu lassen, um mir die Freude darüber nicht zu verderben und ihre eigene, einzig dastehende Liebenswürdigkeit so grundbescheiden nicht selbst zu verkünden. Dafür liege ich auch jetzt zu deinen Füßen, du liebes, kluges Tantchen – wahrhaftig! So viel Humor hab' ich dir im Leben nicht zugetraut!«

Und mit einem Ruck lag Käthe wirklich auf den Knieen vor Tante Kuki und sah ihr lachend ins Angesicht.

»Na, Tante, nun sag' 'mal selbst – ist nicht alles so, wie ich sagte?« fragte sie heiter.

Tante Kuki saß in ihrem Courkleide, mit von Käthes Küssen brennenden Wangen und schiefer Coiffure da und sah sich mit, gelinde gesagt, sanft blödsinnigem Ausdruck im Kreise um. Sie sah da lauter gespannt nach ihr gerichtete Augenpaare, sie fühlte vage das noch größere Spannung ausdrückende Schweigen aller – denn selbst dem guten Tiefenthal war die Sprache ausgegangen vor dem furchtbaren Gelächter, das ihm in der Kehle aufzusteigen anfing. Da stand der Hofmarschall in seiner geräuschlosen Weise auf, trat hinter seine Frau und drückte einen Kuß auf ihre Stirn.

»Käthe hat recht,« sagte er heiter, »das war sehr lieb und nett von dir, teures Weib! Da sehe man aber an, wie solch' junges Frauchen in Abwesenheit ihres Gatten übermütig werden kann. Nun, nun, liebste Kuki, mich freut's von Herzen, daß du bewiesen hast, wie liebenswürdig du zu geben verstehst und was mich betrifft, so zahle ich froh und vergnügt an Käthe den Einsatz ihrer Wette mit aus.«

Tante Kuki ließ ihre Augen mit einem Ausdruck über ihren Gatten schweifen, als wollte sie sagen: »Auch du, Brutus?« Aber wenn sie auch arrogant, eitel und beschränkt war – für sich selbst die Situation zu retten und statt als genasführte Komödientante als großmütige Spenderin dazustehen, dazu war sie doch klug genug, dafür besaß sie schon die sogenannte »Bauernklugheit,« die den Säckel im gegebenen Momente, wenn auch widerwillig, aufschnürt. Und Herr von Diestelcamp schien fest von Käthes Version überzeugt zu sein!

Etwas mühsam zwar, aber doch scheinbar gefaßt erhob sie sich.

»Natürlich ist es genau so, wie du gesagt hast, du Wildfang,« sagte sie zu Käthe. »Wie hättest du auch anders diese Wette gewinnen können, als durch meine wissentliche Mithilfe? Steinbach ist dein – war es schon, als ich beschloß, an deinem Fastnachtsschwank mitzuwirken. Nun, lieber Graf, werden Sie einsehen, wie gut ich mich auf Ihre Tochter verstehe. Aber nun es ausgedient, will ich doch das Kleid ablegen – o, keine Küsse mehr, Käthe – ich glaube auch ohne sie an deine Dankbarkeit!«

Und Tante Kuki rauschte an ihres Gatten Arm unter dem »Hoch« der Anwesenden, das Tiefenthal natürlich ausgebracht, mit einem vortrefflich gespielten Lächeln zur Thür. Dort drehte sie sich aber noch einmal um.

»Eins ist mir nur unklar,« sagte sie wie benommen. »Wo hast du die vielen Menschen hergehabt, Käthe, und wie kam es, daß ich deine Stimme nicht wiedererkannte, als du – die Kaiserin von Japan so vortrefflich mimtest?«

»Die vielen Leute,« lachte Käthe, »das waren natürlich alles Kunstschüler, die Hei-Tsu-Sing geworben und denen die Sache ein exquisiter Ulk war. Und meine Stimme? Ja, ich habe den Mund überhaupt nicht aufgemacht, denn Hei-Tsu-Sing ist Bauchredner und hat die Konversation ganz allein besorgt!«

»Ein enorm vielseitiger Mann, dieser Herr Hei-Tsu-Sing, oder wie er heißt,« sagte Tante Kuki trocken. »So, so, also so war es. Nun denn, auf Wiedersehen!«

Kaum hatte sich die Thür hinter Diestelcamps geschlossen, als sich Käthe auch von ihren Verwandten umringt sah, die ihr Glück wünschten.

»Aber nu 'mal ehrlich, altes Mädel,« tuschelte Tiefenthal im Theaterflüsterton. »Hat sie wirklich alles gewußt und mitgespielt, oder hast du's ihr nur so weiß gemacht!«

Käthe erhob beschwörend beide Hände.

»Kinder,« sagte sie lachend und mit blitzenden Augen, »wenn ich euch etwas gelte und ihr mich lieb habt, so beschwöre ich euch bei der Nase eurer Ahnen im allgemeinen und bei der der Tiefenthals im besonderen: glaubt, was man euch sagt. Wenigstens glaubt's so lange, bis ich Steinbach verbrieft und besiegelt besitze!«

»Wir schwören!« sagte Graf Hellberg mit leisem Lächeln und einem tiefen, prüfenden Blicke auf seine Jüngste. »Mehr noch: wir geloben, überhaupt nie etwas anderes zu glauben!«

» Never,« sagte die Miß, die überhaupt nur die Hälfte von allem verstanden hatte.

»So ziemt sich's für Käthe Hellbergs Tafelrunde,« nickte Käthe befriedigt. »Aber jetzt laßt mich 'mal rasch eine Zeile per express an Horst schreiben. Der arme Mensch ahnt nicht einmal, was ich für seinen Erben eingesetzt, gewagt und gewonnen habe!«

Und sie eilte zum Schreibtisch und schrieb folgendes:

»Liebster Horst, Gatte und Gebieter! In Eile melde ich dir nur, daß Tante Kuki ihre Wette an mich verloren hat – nach offiziell ausgegebener Parole auf eignen Wunsch und Willen, um mich gewinnen zu lassen. Wonach du dich zu richten hast. Details gebe ich dir nach deiner Rückkehr unter vier Augen im verschlossenen Zimmer. Thue mir aber den einzigen Gefallen und platze nicht vor Lachen.

In Liebe deine Käthe.

P. S. Apropos, übermorgen, zum Faschingsabend habe ich ein paar nette Kerls eingeladen, Dr. Müller, Hei-Tsu-Sing und noch eine Zaspel junger Maler. Wir wollen eine Champagnerbowle machen. Natürlich alles in Maske. Wir werden den Hofstaat der Kaiserin von Japan repräsentieren. Spielverderber gibt's ja nicht, denn Tante Kuki wollte doch übermorgen Vormittag abreisen. Zur Darstellung gelangt: Eine Audienz bei der Kaiserin von Japan. Schneidige Idee, was?

P. S. Nr. 2. Apropos, Onkel Diestelcamp ist ein mordsschlaues altes Huhn! Du wirst dich biegen, wenn ich dir's erzähle! Kolossal nett etc. etc. Aber doch mehr zu seinem eignen, häuslichen Vorteil. Ob er's ahnt, daß ich ihn durchschaue?

P. S. Nr. 3. Du, hat das Schmeicheleien heute Abend hier geregnet. Das muß auf fünfzig Jahre vorhalten! Pardon für die Kleckse!«

* * *

»Ich kann den Brief mitnehmen und auf die Post bringen, denn ich gehe noch einmal in unser Hotel,« sagte Wendenburg, als Käthe ihre Epistel beendet hatte.

»Schön,« meinte sie, ihrem Schwager den Brief reichend. Der sah sie lächelnd an und wandte sich dann zu den andern.

»Käthe ist doch ein Blitzmädel,« sagte er nicht ohne einen gewissen verwandtschaftlichen Stolz. »Was die zuwege bringt, grenzt geradezu ans Wunderbare. Wenn ich bloß wüßte, wie du das nur eigentlich gemacht hast.«

»Das geht keinen Menschen was an,« behauptete Käthe mit einer Pirouette.

»Aber die Idee! Wie bist du nur auf die Idee gekommen?«

»Man bildet sich, Schwager Hans, und aus der Wissenschaft entspringen die Gedanken,« meinte Käthe stolz. »Seitdem ich mir Zarathustra mit seiner Weisheit, daß man sich die Schwächen der Menschen zu nutze machen soll, zum Vorbilde genommen, dürft ihr euch auf unsterbliche Thaten von mir gefaßt machen!«

»Na,« entgegnete Wendenburg, »das kann ja noch nett werden. Aber auf alle Fälle scheinst du dich zur Virtuosin im Kampfe mit Drachen und ähnlichen Ungetümen auszubilden. Zwar, siegreich war Käthe auf diesem Felde immer – meinen Sie nicht auch, liebe Miß?«

» Yes,« sagte Miß Knickerbocker, trotzdem sie natürlich nicht hingehört, sondern wie gewöhnlich gedöst hatte, und womit wir Käthe mit dem Lorbeer einer Pallas vixtrix geschmückt dem freundlichen Wohlwollen des Lesers ein für allemal empfehlen.


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