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Die Anna

Ja, das Chrysanthemum ist eine sehr haltbare und dauerhafte Blume – schade, daß man dasselbe von der Männertreue nicht sagen kann, meinte Frau von Diestelcamp, alias Tante Kuki, indem sie ihre lange, spitze Nase höchst überflüssigerweise in einen vielfarbigen aber duftlosen Strauß der japanischen Astern versenkte und ihrer Nichte, der Gräfin Käthe Kirchwald, dabei einen vielsagenden Blick zuwarf.

Die Scene war, was die Möbel betraf, genau dieselbe wie in der Erzählung von Tante Kukis Hochzeitsgeschenk, nur die Außenwelt war eine andere, denn Graf Kirchwald war längst beim Generalstab in Berlin und sein Haus hatte abermals die Ehre und Freude, Tante Kuki und ihren Gatten Gäste zu nennen, denn das »junge« Paar war zur Besorgung von Weihnachtsgeschenken nach Berlin gekommen und da Frau von Diestelcamps Haupteigenschaft entschieden die ökonomische Ader war, so zog sie vor, statt in ein teures Hotel zu gehen, ihren Lieblingsneffen heimzusuchen, in dessen Hause sie ja das Glück ihres Lebens, ihren späten Liebesfrühling gefunden, wie sie sich poetisch auszudrücken beliebte.

Käthe hatte sich gegen diesen Besuch energisch gesträubt – sie war sogar, wie sie sich selbst gestehen mußte, in eine »feine Wut« bei der höchst peremtorischen Ansage desselben geraten, kräftig unterstützt von ihrem Gatten, aber was half das alles? Die Faust mußte im Sack geballt und der saure Apfel süß gefunden werden.

»Das sage ich dir,« gelobte Käthe ihrem Gatten mit blitzenden Augen, »bei dem ersten Versuch deiner kostbaren Tante, in meine Rechte einzugreifen oder sonstwie unverschämt zu sein, räuchre ich sie zum Tempel 'naus, daß sie das Wiederkommen auf immer vergißt!«

»Sehr richtig!« stimmte Graf Kirchwald lobend zu mit einem Seitenblick auf den Papageien im silbernen Käfig, dem Hochzeitsgeschenk der Tante, unvergeßlichen Angedenkens.

Und es kam, das Diestelcampsche junge Ehepaar – er in einer ganz frivol jungen Perücke, im übrigen ganz der Alte mit seinem ewigen Schnupfen, seinen tadellosen Hofmanieren und seiner altmodischen Galanterie, sie entschieden verjüngt durch ihre späte Frauenwürde und bedeutend weniger gallig und zu Übergriffen geneigt, ja ausgesprochen liebenswürdig und in Gnade überfließend gegen die Nichte, deren Hausfrauenrechte sie zu wahren geneigt war, vielleicht weil sie diese jetzt besser zu würdigen verstand. Kurz, die ersten Tage verflossen in eitel Sonnenschein, Besorgungen und Theaterbesuchen, bis heut' beim Frühstück ein Wölkchen am Himmel erschien, gar nicht sichtbar für Unbefangene, aber heraufbeschworen von der armen Käthe in ihrer unverbesserlichen Harmlosigkeit. Graf Kirchwald hatte nämlich für den Abend das Opernhaus vorgeschlagen, doch Tante Kuki sich zu ermüdet erklärt, um täglich das Theater zu besuchen. Da hatte Herr von Diestelcamp gemeint, es sei vielleicht angezeigt, den Damen ganz ihre Ruhe zu gönnen, und er nebst seinem Neffen und Gastgeber könnten einmal die Reichshallen oder den Wintergarten besuchen. Dazu hatte Käthe gelacht und zu Tante Kuki neckend gesagt: »Dahin darfst du dem Onkel keinen Urlaub geben, denn was dort vom ewig Weiblichen auf Trapez, rollenden Kugeln und Seilen herumgaukelt, dürfte ihm doch etwas zu gefährlich werden!«

Damit hatte sich Käthe natürlich gar nichts Böses gedacht, ebensowenig wie der schmunzelnde Kammerherr oder Kirchwald diese Worte für Ernst nahmen, doch Tante Kuki war dennoch verstummt, hatte die zweite Tasse Thee verweigert und die Lippen ominös zusammengekniffen, welche Zeichen der Wolkenbildung die andern gar nicht bemerkten. Nach dem Frühstück war Graf Kirchwald in sein Bureau gegangen, begleitet von Herrn von Diestelcamp, der schäkernd seiner Frau versicherte, das Christkind auch 'mal allein besuchen zu wollen, und die beiden Damen waren allein geblieben.

Käthe hatte dann allerlei erzählt, ohne damit Tante Kukis Interesse erwecken zu können und zuletzt den Strauß Chrysanthemen gelobt, den Onkel Diestelcamp ihr vor ein paar Tagen galant überreicht und der heut' noch so frisch war, wie damals, worauf dann Tante Kuki jene Worte gesprochen, mit denen unsere Geschichte eröffnet wurde.

»Chrysanthemum riecht nicht,« bemerkte Käthe trocken, als Tante Kukis Nase einen verlängerten Aufenthalt in den farbenprächtigen herrlichen Blumen nahm.

»Auch der Männertreue fehlt – sehr bezeichnend – der Duft,« erwiderte Frau von Diestelcamp spitz.

»Männertreue?« fragte Käthe verwundert. »Wie kommst du denn auf die, Tante? Es ist ja gar keine hier.«

»Das weiß ich,« entgegnete Frau von Diestelcamp mit einem Blick gen Himmel. »Und doch – es giebt noch Männertreue, trotzdem sie von dir angezweifelt wird!«

»Von mir?« sagte Käthe erstaunt. »I Gott bewahre – in Hellberg wuchs sie massenhaft!«

Tante Kuki richtete sich kerzengerade auf.

»Du willst mir entschlüpfen, liebes Kind,« flötete sie.

»Entschlüpfen?« wiederholte Käthe ratlos.

»Ja, entschlüpfen,« rief Tante Kuki scharf. »Im übrigen – es ist nun zum drittenmal, daß du mir das Wort aus dem Munde nimmst und es wiederholst und ich erlaube mir, dir zu bemerken, daß das weder wohlerzogen noch höflich ist!«

»Na, da schlage 'ne scheckige Pudelmütze drein,« sagte Käthe, sich rückwärts überlehnend in ihrem Stuhl. »Du bist wohl heut' mit dem linken Bein zuerst aus dem Bette gestiegen, Tante? Was?«

»Ich wüßte nicht, was dich zu dieser frivolen Bemerkung veranlaßt haben könnte,« gab Frau von Diestelcamp zurück. »Ich stehe auch nicht auf der Höhe der Zeit, welche derartige Redewendungen toleriert und begreift. Doch ich sollte nun nachgerade daran in diesem Hause gewöhnt sein. Kehren wir daher zu unserem Thema zurück. Wir sprachen von der Männertreue!«

Käthe schüttelte resigniert den Kopf.

»Ich begreife gar nicht, warum du heut' fortwährend auf der Männertreue herumreitest,« sagte sie mit einem Seufzer, der einem unterdrückten Gähnen verzweifelt ähnlich sah.

Tante Kuki fuhr mit gemachter Nervosität mit beiden Händen an ihre Ohren.

»O Gott, diese Ausdrücke,« murmelte sie, wie unter einem physischen Schmerze.

»Also – Männertreue!« sagte Käthe nun wirklich gähnend. »Was ist's damit, schieß los!«

Tante Kuki sprang gereizt auf.

»Willst du mich durchaus aus diesem Hause vertreiben?« rief sie zornbebend. Doch auch Käthe erhob sich.

»Na hör' 'mal, Tante, ich werde dir jetzt was sagen,« meinte sie ganz ruhig. »Wenn du in der Laune bist, Streit vom Zaune zu brechen, dann werde ich dich 'mal 'n Bissel allein lassen, dann zanke dich hübsch mit dem Papagei da aus. Da kriegst du wenigstens bloß eine Antwort, die dich wohl bald beruhigen wird, denn weißt du, für mich stehe ich nun nicht länger und kann dir nicht versprechen, deine Attacken immerzu ruhig hinzunehmen, wenn du auch mein Gast bist. Denn siehst du, man ist immerhin ein Mensch, und menschlich ist's schließlich doch, heftig zu werden, wenn einem plötzlich aus heiler Haut Redensarten an den Kopf geworfen werden. Wenn du also was auf der Seele hast, da sag's doch ohne Ziererei, oder laß mich heraus gehen, bis dir wieder besser ist!«

Tante Kuki warf sich wieder in ihren Lieblingslehnsessel zurück und zog ein Taschentuch hervor, das sie an ihre Augen drückte.

»Warum hast du auch meines Gatten Treue angezweifelt,« rief sie jammernd aus.

Käthe sah sie verdutzt an.

»Na, da hört sich doch Verschiedenes auf!« sagte sie dann halb lachend.

»Ja, du!« brach Tante Kuki nun los. »Du hast mir gesagt, ich solle meinen Gatten nicht in das Variété-Theater gehen lassen, weil die Tänzerinnen und Akrobatinnen – – o, es ist schändlich!«

Käthe machte ein Gesicht, als ob sie nicht wüßte, ob sie lachen oder böse werden sollte, aber sie entschied sich für die Mittelstraße.

»Blech!« sagte sie mit den Achseln zuckend.

»Bitte, meinst du dich oder mich?« fuhr die gekränkte Gattin auf, was Käthe nun zur offenen Heiterkeit führte.

»Wir teilen uns redlich darein,« lachte sie hell auf. »Meine Redensart war doch auch nur Blech, denn wenn ich's wirklich gemeint hätte, dann hätte ich's sicherlich nicht gesagt. So – also darauf bezog sich deine blumenreiche Wendung von der Männertreue? Na, dann kannst du ruhig schlafen gehen, Tante!«

Frau von Diestelcamp war aber dazu gar nicht geneigt.

»Nun,« rief sie scharf, »wenn deine Worte nichts waren, als eine jener gedankenlosen Phrasen, welche charakteristisch für dich sind –«

»Dankend quittiert,« knickste Käthe mit gefährlich blitzenden Augen.

»Charakteristisch für dich sind, sage ich,« fuhr Tante Kuki mit erhobener Stimme fort, »so muß ich darin doch eine Anspielung sehen, welche mich verletzen sollte.«

Käthe machte noch einen Knicks.

»Tante,« meinte sie dann mit künstlicher Ruhe, »man hat Exempel von Beispielen, daß aus Mücken Elefanten gemacht wurden. Du scheinst in dieser interessanten zoologischen Operation Virtuosin zu sein. Bon! Den Elefanten hätten wir glücklich, aber die Mücke kann ich positiv nicht sehen. Setz' mir mal vorher deine Brille zu diesem Zwecke auf, eh' ich dir antworte.«

Frau von Diestelcamp tupfte nervös mit ihrem Taschentuch über ihre Stirn.

»Ich bin nicht so schwer von Begriffen, wie du anzunehmen scheinst,« sagte sie mit einem Blick gen Himmel, der wahrscheinlich ein Flehen um Geduld markieren sollte, »ebensowenig bin ich so im Dunkeln wandelnd, wie du glauben müßtest, wenn deine Worte für mich wirklich beziehungslos sein sollten, was sie aber nicht waren. Gut denn, ich will so klar werden, wie du es scheinbar haben willst. Ich weiß, daß mein Gatte, lange bevor er mich kennen lernte, eine Hofdame, ein junges, frivoles und gewissenloses Geschöpf, verehrte und sie sogar heiraten wollte, und nur das unwürdige Betragen dieser Person hat Herrn von Diestelcamp verhindert, sie zum Altar zu führen.«

Käthe setzte sich wieder.

»Wer hat dir denn das erzählt?« platzte sie, puterrot werdend, heraus.

»Das werde ich nicht sagen – es finden sich immer Leute, welche sich zu solchen Mitteilungen berufen fühlen,« erwiderte Tante Kuki, ihre Nichte scharf beobachtend.

»Und wie hieß diese Hofdame?« fragte Käthe etwas unsicher.

»Ich habe es bisher nicht erfahren können,« war die gemessene Antwort.

Käthe atmete tief auf und ärgerte sich zugleich über ihr dummes Rotwerden, aber die Syndetikonaffaire war eben ein dunkler Punkt in ihrem Leben, an die sie, wenn auch nicht gerade reuevoll, doch mit einem kleinen Zwicken ihres Gewissens zurückdachte.

»Du aber scheinst den Namen dieses Geschöpfes zu kennen,« fuhr Tante Kuki nach einer Pause fort.

»Ich?« fragte Käthe, wieder ganz auf der Höhe der Situation. »Vielleicht,« gab sie übermütig werdend, zu.

»Dachte ich's doch,« rief Tante Kuki sich aufrichtend. »So war denn meine Annahme, daß du auf diese Epoche im Leben meines Gatten anspielen wolltest, richtig!«

»Ist ein bißchen weit hergeholt, Tante!«

»Nicht doch, ich kenne dich und deine Bosheit – Tücke, wollte ich sagen –«

»Ist gehupft wie gesprungen, Tante, aber ich rate dir nun meinerseits, mit deinen Ausdrücken etwas gewählter zu werden,« rief Käthe in ehrlichem und gerechtem Zorn aufflammend. »Ich habe die Anspielung, deren du mich beschuldigst, nicht machen wollen – ist mir nicht im Traume eingefallen – das muß dir genügen. Und nun dächt' ich, wären wir fertig mit diesem Kapitel und du wirst die eben gefallenen Ausdrücke sofort zurücknehmen!«

Frau von Diestelcamp fühlte, daß sie zu weit gegangen war – für ihre Zwecke nämlich, denn sonst huldigte sie der weitverbreiteten Ansicht, daß der Titel einer Tante sie auch zu den unqualifizierbarsten Ausfällen gegen die inferiore Kaste der Nichten und Neffen berechtigte.

»Man legt Worte, in der Erregung gesprochen, nicht auf die Goldwage,« ließ sie sich herab zu sagen.

Jetzt konnte Käthe schon wieder lachen.

»Soll das eine Entschuldigung sein?« fragte sie heiter.

»Ich habe es als Tante nicht nötig, mich zu entschuldigen,« wurde sie mit der sichtlichen Anstrengung ruhig zu bleiben, belehrt.

»So?« machte Käthe, wieder kriegerisch werdend. »Darüber wollen wir meinen Mann entscheiden lassen, wenn es dir recht ist.«

»Ich unterwerfe mich keiner Entscheidung meiner Neffen, denn ich stehe über ihnen,« war die stolze Erwiderung. »Doch ich habe gesprochen. Nun noch eine Frage: kanntest du jene Hofdame, von der wir vor deiner nicht sehr respektvollen Unterbrechung sprachen?«

Käthe erhob sich abermals, machte Tante Kuki eine Verbeugung und wandte sich der Thür zu.

»Die Unterbrechung kam von dir,« sagte sie zornbebend. »Das wollte ich, um Irrtümer zu vermeiden, nur konstatiert haben, und da du mir keinen Respekt schuldest, so habe ich eine andere Benennung dafür. Ich habe aber nicht nötig, mich in meinem Hause boshaft und tückisch nennen zu lassen, selbst nicht von einer Tante meines Mannes, die gottlob aber nicht meine Tante ist. Was deine Frage betrifft – ja, ich habe diese Hofdame gekannt!«

Und damit schritt sie nun, den Kopf hoch, dem Ausgange zu, aber mit einem Satz, der jeder Hauskatze Ehre gemacht hätte, war Tante Kuki aufgesprungen und hinter ihrer Nichte her.

»Der Name, der Name dieses Geschöpfes!« schrie sie, Käthe beim Arme fassend.

»Mhm! Jawohl! So frägt man die Bauern aus,« sagte diese sehr überlegen.

»Käthe, liebe Käthe, sag' mir, wie sie hieß,« verlegte sich Tante Kuki nun aufs Bitten, aber Käthe bekam dadurch nur Oberwasser.

»Fällt mir ja gar nicht im Traume ein,« erwiderte sie mit blitzenden Augen. »Aber nur soviel sage ich dir: du brauchst gar nicht so verächtlich von ihr zu sprechen, denn ich weiß, ich, daß nicht sie den Onkel Diestelcamp heiraten wollte, sondern er sie, und wenn das junge Ding so thöricht war, diese verlockende Offerte nicht mit beiden Händen und mit Dank gegen ihren Schöpfer in Demut anzunehmen, sondern –«

»Sondern sie unter ganz besonders unwürdigen Umständen abzuweisen, wie man mir sagte –« zischte Tante Kuki dazwischen.

»Hm – kennst du diese Umstände?« sagte Käthe, wieder rot werdend.

»Ich kenne sie nicht, man munkelte nur so, als ob dieses Geschöpf sich dabei krummer Wege bedient hätte –«

»Von krumm weiß ich nichts – sie mochte ihn eben nicht und damit basta,« entgegnete Käthe aufatmend, indem sie ihren Weg fortsetzte, mit Tante Kuki an ihrem Arm.

»Käthe, den Namen! Wie hieß sie?« flötete die letztere mit einem zuckersüß sein sollenden Lächeln, das aber mordssauer ausfiel, weil Zorn, Neugierde und das Bewußtsein, sich etwas zu vergeben, in ihrem Busen kämpften.

Doch auch in Käthe kämpfte es, denn ein Gedanke durchzuckte sie wie ein Blitz: »Wenn ich ihr sage, daß ich's bin, dann reist sie umgehend ab auf Nimmerwiedersehen, dann bin ich sie los ein für allemal, denn nie läßt sie ihren Habakuk unterm Dache seiner alten Flamme!« Aber noch ehe sie Gebrauch machte von dieser kostbaren Waffe, sagte ihr der Verstand: »Man sachte! Damit kannst du losschießen, wenn die Not größer wird, denn schließlich ist die Waffe zweischneidig!« – Deshalb erwiderte sie nur ganz vergnügt: »Diskretion ist Ehrensache, Tante!«

»O ja, gewiß, sicher! Aber es giebt Fälle, in denen die Diskretion ein Verbrechen ist,« plädierte Tante Kuki noch süßer.

»Das Verbrechen nehm' ich auf mich,« meinte Käthe kaltblütig.

Doch Frau von Diestelcamp ließ sich nicht abschrecken.

»Ich habe aber meine besondern Gründe, den Namen zu erfahren,« flehte sie jetzt mit einem honigsüßen Lächeln.

»Jawohl, um den armen Kammerherrn fester an die Strippe zu kriegen,« dachte Käthe, sagte aber nur achselzuckend: »Und ich habe meine Gründe, ihn nicht zu nennen!«

»O du böses Kind!« schmollte die Tante, indem Zornesröte auf ihre schmalen Wangen trat.

»Frag' doch deinen Mann,« schlug Käthe vor.

Tante Kuki hustete – sie konnte diesem jungen Dinge doch nicht sagen, daß ihr Gatte trotz aller Bohrversuche von einer merkwürdigen, aber unerschütterlichen Diskretion war.

»Ach,« sagte sie deshalb mit einer naiven Schelmerei, die ihr gar nicht stand, »ach, wir jungen Frauen dürfen, wie Elsa ihren Lohengrin, nicht zu viel fragen – gewisse Dinge über ihre Vergangenheit erfährt man besser aus zweiter Hand.«

»So?« meinte Käthe trocken. »Würde ich nie thun. Und nun laß mich gehen, Tante, ich muß 'mal mit der Köchin reden!«

»Nicht eher, bis du mir den Namen gesagt hast!«

»Da kannst du lange warten,« versicherte Käthe lachend.

»Du wirst ihn mir sagen, Käthe, ich als Tante befehle es dir!«

Aber da kam sie schlecht an.

»Na dann befiehl 'mal immerzu,« rief Käthe erbost, »ich kann's aushalten – nun schon gerade nicht!«

Tante Kuki ließ den Arm ihrer Nichte los.

»Soll ich etwa auf den Knieen bitten?« fragte sie mit fliegendem Atem.

»Und wenn du auf allen Vieren bittest,« hyperbelte Käthe, »ich sag' den Namen nicht

»So geh', du ungeratenes Geschöpf,« rief Frau von Diestelcamp bebend vor Zorn, »geh' und verharre in deiner Verstocktheit. Ich aber im Grunde meines vergebenden Gemütes, ich wünschte dir, daß dein Horizont nur solches Gewölk aufzuweisen hätte, wie die Werbung meines Gatten, ehe er mich gekannt, für unsere Ehe sein kann! Mein Gatte wird mir makellos die Treue halten und niemals wie der deine – gewisse grüne Billets erhalten, die er vor den Augen seiner Frau verbergen muß!«

Käthe warf den Kopf zurück und ihre schlanke Gestalt wuchs förmlich, so hoch richtete sie sich auf.

»Was soll das heißen?« fragte sie scharf.

»Diskretion ist Ehrensache,« erwiderte Tante Kuki mit einem triumphierenden Achselzucken. »Auch ich kann schweigen.«

»Aber schlecht,« sagte Käthe verächtlich, drehte sich auf dem Absatz um und verließ das Zimmer.

»Olle Giftbolle,« brummte sie mehr wahrheitsgetreu, als höflich, als sie die Thür geschlossen und in gewissem Sinne als Sieger das Feld geräumt. Dann ging sie aber nicht zu der Köchin, sondern in ihres Gatten Zimmer und warf sich mit einem: »Uff! Das war ja ein recht heitrer Morgen!« in den Sessel vor dem Schreibtisch.

»Ich wußte 's ja im voraus, daß das alte Besteck nicht Frieden halten kann,« brach sie dann los. »Aber das gelobe ich: das war Tante Kukis letzter Besuch! Das könnte mir gerade passen, mich in meinem Hause knechten zu lassen – – erst purer Honig, dann Krallen, dann Injurien, dann nochmal Honig ums Maul, und zuletzt beißt die alte Klapperschlange auch noch und spritzt Gift um sich. Unnötig verschossenes Pulver, Madame! Grüne Billets? Ja, warum soll er denn keine grünen Billets kriegen – – wenn sie rosa wären, wär's ihr wahrscheinlich auch nicht recht. Ist grün 'ne verdächtige Farbe? Wieso denn?«

Und Käthe versank in tiefes, zorniges Brüten, und gerechterweise muß man sagen, daß sie Grund dazu hatte. Aber durch all' ihre innerlichen Anklagen gegen das Schicksal, das ihr eine Tante Kuki mit als Hochzeitsgabe geben mußte, spukte es in grünen Nuancen vom schreienden Giftgrün bis zum allermodernsten Moos- und Chartreusegrün vor ihren Augen – der Stich hatte ihr, wenn er sich auch nicht gerade tief in ihr Herz gebohrt, doch die Haut geritzt, wie solche Stichs, die im Moment des Zornes, in der Rache versetzt werden, leider gern zu thun pflegen. Moosgrün, hell moosgrün waren die zwei oder drei Billets im eleganten länglichen Format gewesen, welche Graf Kirchwald erhalten hatte. Käthe war durch die merkwürdig auffallende, merkwürdig geschmacklose Farbe – für eine Korrespondenz nämlich – aufmerksam gemacht worden darauf. Doch da Graf Kirchwald diese Billets ohne Kommentar entgegen nahm, sehr rasch las und sie dann in den Ärmelaufschlag seines Überrockes steckte, ohne ein Wort darüber zu verlieren, so war es Käthe auch nicht in den Sinn gekommen, ihren Gatten darüber auszufragen – was er ihr sagen wollte, sagte er ihr ungefragt, und was er nicht sagte, darüber machte sie sich keine Kopfschmerzen, denn sie hatte zuviel Vertrauen zu ihm, um gleich und ohne Grund an Unrechtes zu denken und neugierig war sie überhaupt nicht. Vor allem aber war sie nicht feige und darum empörte sie Tante Kukis Attacke aus dem gesicherten Hinterhalt besonders – das war schon gerade das rechte, solche niederträchtige Andeutungen zu machen, ohne eine Begründung dazu zu geben, bloß um Mißtrauen und Unfrieden zu stiften. Mißtrauen! Als ob sie, Käthe Hellberg, ihrem Gatten mißtrauen könnte, und wenn er alle Tage seines Lebens grüne Billets erhielte.

Käthe lachte verächtlich auf bei diesem Gedanken und dabei schweifte ihr Auge über den großen Papierkorb neben dem Schreibtisch ihres Gatten und – blieb darauf haften, denn zwischen dem durchbrochenen Flechtwerk schimmerte es tief unten grün – hell moosgrün durch.

»Eine schöne Farbe für Samt und Seide – aber einfach gräßlich für Papier,« murmelte Käthe und zog den Papierkorb neben ihren Stuhl – nicht etwa, um ihres Gatten Korrespondenz einer Kontrolle zu unterziehen, Gott bewahre, nein, nur um das grüne Papier in der Nähe zu betrachten! Aber der kleine grüngelbe Teufel, den Tante Kuki mit ihrem Pfeil abgeschossen, der Käthe zwar nicht verwundet, aber doch getroffen hatte, freute sich, wie sich eben nur Dämone seines Schlages freuen, als Käthe anfing, in dem fast gefüllten Korbe zu stöbern. Und siehe da, ganz oben, nur verdeckt durch ein paar zerknüllte Papiere lag auch solch grünes Couvert, bedeckt durch die mit großer, kühner Hand geschriebene Adresse, beklebt mit zwei 5-Pfennigmarken, deren helles Giftgrün gräßlich mit dem Moosgrün des Papiers disharmonierte. Der Brief war ein Stadtbrief und kam aus Berlin – das Papier war dick und von bester Güte, und auf der Rückseite, über dem Verschluß war ein roter Johanniskäfer eingeprägt.

»Natürlich, der fehlte auch noch drauf,« murmelte Käthe mißbilligend. Aber was war das? In dem Umschlage steckte ja noch der Bogen! Sie legte das Billet, als ob es brennte, auf den Schreibtisch und begann ihre Razzia nach dem grünen Couvert, das unten durch das Flechtwerk leuchtete, von neuem, doch ehe sie bis dahin gelangte, hatte sie ein zweites grünes Billet in der Hand und wieder steckte in diesem der Bogen Papier! Merkwürdig! Sie legte Nr. 2 auf Nr. 1 und fischte nach einiger Mühe Nr. 3 aus dem Papierchaos hervor – genau dieselbe Geschichte wie mit den beiden andern Briefen. Erhitzt vom Bücken stieß Käthe den Papierkorb nun an seine Stelle zurück und betrachtete mit hochgezogenen Brauen die drei kleinen grünen Ungeheuer, die sie nun in den Händen hielt.

»Scheußlicher Geschmack!« konstatierte sie zunächst. Dann überlegte sie. Warum hatte ihr Gatte diese Couverts samt Inhalt in den Papierkorb geworfen? Wahrscheinlich weil der Inhalt eben ganz unwichtig war. Natürlich – das war doch klar wie Kloßbrühe. Das Geschäft, den Korb auszuleeren und die Papiere entweder zu verbrennen oder sonstwie ins Gemülle zu befördern, lag dem Burschen ob, und dieser konnte, wenn er sonst wollte, alle die Schriftstücke lesen, welche in den Korb als überflüssig und unwichtig geworfen wurden. Folglich konnte er, wenn der Papierkorb heute endlich mal geleert wurde, auch diese drei Billets lesen, und es war doch hundert gegen eins zu wetten, daß die grüne Farbe dieser Billets ihn dazu reizen mußte – noch folglicher also durfte sie, Käthe, diese Briefe erst recht lesen. Es lagen soviel Briefe dort im Korbe, welche zerrissen worden waren, damit der Bursche sie beim Räumen nicht las – warum also waren diese drei ganz? Weil es egal war, ob der Bursche sie las oder nicht. Also –!

O Käthe, Käthe – der Teufel ist ja nie um Gründe verlegen, wenn es ihm gilt, Versuchungen zu erfinden. Käthe aber dachte natürlich nicht an den Teufel, sie war nun ihres Rechtes ganz sicher – was dem Burschen recht war, konnte ihr doch schon lange billig sein. Aber sie ging damit nach einer Methode vor, indem sie die Briefe nach dem Datum des Poststempels ordnete, dann zog sie aus dem Couvert, welches das entfernteste Datum auswies, den Bogen vor. Er war grün wie sein Mantel und trug in der oberen linken Ecke den geprägten roten Johanniskäfer und hatte nur eine Zeile Inhalt nebst Unterschrift:

Tgkskuvt, nfsltu Ev xbt?

Anna.

»Das ist ja reiner Blödsinn, bis auf die ›Anna‹,« sagte Käthe laut, nachdem sie sich vergeblich bemüht, die geschriebenen Worte auszusprechen. »Sollte es am Ende polnisch sein? Papa sagte immer, daß die polnische Sprache meist aus Konsonanten besteht, die für sich ausgesprochen werden. Er kann zwar nicht polnisch, aber er hat's gesagt. Tegekaskuvt, enefesltu ev xbete? Ja, aussprechen läßt sich's so schon, schlecht aber doch. Aber was heißt's auf deutsch? Ob ich rasch polnisch lerne?«

Kopfschüttelnd zog Käthe den zweiten Bogen aus dem Couvert mittleren Datums, und was stand darin? Zwei Zeilen des Inhalts:

Fcn luv flg byglvg Ogvkgfg wputgt Igkglouektlhv.

Cqqc.

»Hm,« machte Käthe verblüfft, »hier sind mehr Vokale drin. Hauptworte auch, weil diese beiden groß geschrieben sind. Ob's auch polnisch ist? Oder hindostanisch? Ich möchte doch nicht gern die falsche Sprache lernen. Das Papier ist dasselbe, die Schrift ist dieselbe – warum schrieb das Wesen nicht auch ihre kühngeschwungene ›Anna‹ darunter?«

Unter diesen Betrachtungen zog Käthe den dritten Bogen aus dem dritten Couvert, und da stand das dritte Rätsel:

Ghdq Mq. Cqch. Gds Zadmc xbgs Tgq adhl
kbgxdgdm Vzfmdq.

Znnz.

»I, da schlag doch der Kuckuck drein,« schimpfte Käthe los, »was soll man denn aus dem Geschmiere machen? Das muß ja die Sprache irgend eines wilden Völkerstammes sein – da konnte Horst natürlich diese kostbaren grünen Wische in den Papierkorb werfen, wie sie gebacken sind, das kann der Bursche nicht lesen, und wenn er drei Jahre darüber sitzt. Ich kann's auch nicht lesen. Ob Horst es überhaupt selbst versteht? Ach was, ich werde ihn einfach danach fragen. Punktum!«

Wenn Käthe bei diesem guten und richtigen Entschluß geblieben wäre, so mußte diese Geschichte ungeschrieben bleiben; zum Glück für den Schriftsteller aber thun die Leute nicht immer, was sie sollen und liefern dadurch den Stoff, daraus Romane, Novellen und – Humoresken entstehen. Der kleine grüngelbe Teufel aber, der in Tante Kukis Rachepfeil verborgen gesessen, jener Teufel, den die Menschen Eifersucht nennen und der ein besonders guter Freund der Schriftsteller sein muß, weil er nicht müde wird, sie mit dem alten, ewig neuen Stoff zu versehen, ihm machte es besondern Spaß, die guten Vorsätze, welche Käthe ihre Vernunft eingab, wie ein Kartenhaus über den Haufen zu werfen.

»Aber die Anna!« raunte der Teufel ihr ins Ohr.

»Potzblitz – die Anna hätte ich über dem blödsinnigen Geschreibsel fast vergessen,« nahm Käthe sofort diesen blitzähnlichen Gedanken aus. »Wer ist sie überhaupt? Anna kann jede heißen. Ich könnte ja Horst auch danach fragen, aber – – aber nach dem dummen Gerede von Tante Kuki – – und es ist ein dummes Gerede! Wenn er mir hätte von dieser Anna erzählen wollen, hätte er's ja sicher gethan – Horst hat keine Geheimnisse vor mir, ich keine vor ihm. Wenn ich ihn so, wie aus der Pistole geschossen, frage, dann geniert es ihn vielleicht – vielleicht auch nicht, aber er hält mich am Ende für neugierig! Zu dumm wär's. Aber um Tante Kuki zu beweisen, was für Kohl sie gequatscht hat, muß ich wissen, was in diesen Briefen steht, muß ich erfahren, wer diese Anna ist. Ich bin nicht etwa eifersüchtig auf sie – i, wo werde ich denn, aber Tante Kuki muß ich diese Briefe unter die Nase reiben, daß ihr die Augen übergehen, die olle Giftbolle, die!«

Und mit diesem schönen Eifer, Tante Kuki eines Besseren belehren zu müssen, betrog die gute Käthe sich selbst mit Erfolg, und wer ihr gesagt hätte, daß im Grunde ihres tapferen Herzens auch nur ein Funke von Eifersucht schlummerte, daß sie auch nur ganz von weitem an der Treue ihres Gatten zweifelte, der hätte es mit ihr zu thun bekommen, daß er das Wiederkommen für immer vergaß. Zunächst hieß es handeln. Sie stopfte die leeren grünen Couverts zurück in den Papierkorb und die grünen Bogen in ihre Kleidertasche und während sie dann stand und sann, was sie zuerst thun müßte, kam ihr ein Gedanke.

»Ob die Briefe am Ende chiffriert, in Geheimschrift geschrieben waren!« Das mußte zuerst festgestellt werden. In tiefem Sinnen verließ sie ihr Zimmer und traf im Korridor mit Tante Kuki zusammen, welche zum Ausgehen angekleidet war.

»Nun,« sagte diese spitz, »hast du dich besonnen, mein Kind?«

»Besonnen?« fragte Käthe, die mit ihren Gedanken ganz wo anders war. »Worauf denn?«

»Immer Ausflüchte!« rief Frau von Diestelcamp ungeduldig. »Ich meine, hast du dich besonnen, daß du dich unmanierlich gegen mich betragen und willst du mir den Namen der Hofdame nun nennen?«

»I Gott bewahre,« erwiderte Käthe sehr ruhig.

»Ah – du hast also nur über die gewissen grünen Billets nachgedacht,« fauchte Tante Kuki maliziös.

»Die grünen Billets kenne ich besser wie du,« gab Käthe prompt zurück, »aber ich habe darüber nachgedacht, wie schön es doch ist, wenn ältere Leute gegen Jüngere Rache üben, indem sie ihnen feig hinter den gesicherten Palissaden ihrer sogenannten Würde hervor ein Kuckucksei ins Nest legen. Ich nenne das ruppig und bin sicher, daß Onkel Diestelcamp es sogar poplig nennen wird.«

Käthe kannte, so jung wie sie war, ihre Leute per Instinkt, denn Tante Kuki erbleichte.

»Poplig!« wiederholte sie ein Wort, das sonst nie über ihre hochdeutschen Lippen gekommen wäre. »Willst du damit sagen, daß du gedenkst meinem Gatten unsere Konversation zu wiederholen?« stammelte sie.

»Wenn du unter Konversation deine injurienreichen Ausfälle auf mich verstehst, so habe ich allerdings im Sinne, sie Onkel Diestelcamp und meinem Manne zur gefälligen Kenntnisnahme vorzulegen,« entgegnete Käthe pompös. »Ich muß mich gegen deine tantlichen Übergriffe schützen, denn die nächste Nummer ist ja Keile!«

Wenn Tante Kukis Aufenthalt am nächsten Tage abgelaufen gewesen wäre, so hätte sie's sicher auf Käthes Drohung ankommen lassen, so aber gedachte sie noch vierzehn Tage zu bleiben und hatte durchaus nicht die Absicht, durch einen Krach mit diesem nolens volens gastfreien Hause in ein teures Hotel verpflanzt zu werden.

»Liebes Kind,« sagte sie deshalb süß, »ich sagte dir schon vorher, daß man nicht jedes Wort auf die Goldwage legen muß, das in der begreiflichen Erregung gesprochen wird –«

»Und ich sagte dir schon vorher,« fiel Käthe ein, »daß das keine Entschuldigung ist. Was mein Mann darüber denkt, weiß ich im voraus und wir werden ja hören, was Onkel Diestelcamps Meinung ist.«

Tante Kuki schien ihrerseits darüber nicht im unklaren zu sein, denn nach kurzem Kampfe sagte sie: »Nun wohl – wenn du darauf bestehst – – es ist nicht richtig, weder von dir noch von mir, aber keine Regel ohne Ausnahme – – ich bitte dich, meine Worte zu entschuldigen, wenn sie hart gewesen sein sollten!«

»Na, ich danke,« gab Käthe trocken zurück. »Aber es schad't nischt. Ich entschuldige, das heißt ich acceptiere deine Entschuldigung mit dem Vorbehalt, daß ich sofort die große Glocke läuten werde, sobald du einen Rückfall hast. Injurien sind nicht, gnädige Frau, und ich gebe dir mein Wort: die heutigen waren deine letzten!«

Was kein Mensch für möglich gehalten hätte, geschah – Tante Kuki acceptierte stumm den energischen Protest und ging ganz demütig ab, um ihrerseits mal allein mit dem »Christkind zu sprechen.« Aber so geht's häufig, daß die insolentesten Leute die Segel streichen vor einem festen Wort.

»Jeder Wurm krümmt sich, wenn er getreten wird,« murmelte Käthe indigniert, als die Entreethüre hinter ihrer prinzipiellen Widersacherin zuklappte, dann aber zog sie sich in ihr Zimmer zurück und vertiefte sich in den rätselhaften Inhalt der drei grünen Briefe, bis es ihr ganz wirr im Kopfe wurde.

Herr von Diestelcamp kehrte an diesem Tage früher zurück, als seine Frau und Graf Kirchwald, und nachdem er seine diversen Einkäufe in seinem Zimmer deponiert, begab er sich in den Salon, um sich damit zu beschäftigen, dem Papagei Coco einen Satz reden zu lehren – eine Sisyphusarbeit, denn das edle Tier – Tante Kukis Hochzeitsgeschenk, wie wir wissen, huldigte dem Grundsatz, daß der Weise sich in Schweigen hüllen muß, um noch weiser zu scheinen und beharrte eigensinnig auf dem einzigen Worte, das seinen Sprachschatz bildete.

»Will Coco Zucker?« girrte der Kammerherr den exotischen Vogel an. »Wenn Coco Zuckerchen will, muß Coco erst sagen: ›Schön' guten Morgen!‹«

»Rhinoceros,« kreischte der Vogel mit gesträubten Federn.

»O, pfui, baba,« redete Herr von Diestelcamp dem Tiere zu, wie einem kleinen Kinde. »Coco muß nicht eigensinnig sein. Sieht Coco das schöne Zuckerchen hier? Ein Bonbon, ein süßer Fondantbonbon, den Coco so gern ißt. Also: ›Schönen – guten – Morgen‹ –«

»Rhinoceros!« murmelte der Vogel im Tone sanften Vorwurfs.

»Geben Sie sich keine Mühe, Onkelchen,« lachte Käthe eintretend, »es ist bei Coco alles umsonst. Ich habe mich schon geplagt, ihm die Worte: ›Olles Kamel‹ beizubringen, aber er thut's absolut nicht. Apropos, Onkelchen, ich hätte eine Frage an Sie.«

»Stehe ganz zu Ihren Diensten, Nichtchen,« versicherte der Kammerherr mit seiner exquisiten Höflichkeit.

»Gut. Ich stelle Sie auf die Probe,« rief Käthe eifrig. »Also zunächst die Frage: Können Sie ein Geheimnis bewahren?«

Herr von Diestelcamp lächelte fein.

»Ich sollte es meinen,« sagte er, Coco den Bonbon bedingungslos überlassend.

»Ja natürlich,« beeilte sich Käthe zu sagen, »ich meine auch nur: würde selbst Tante Kuki nichts davon erfahren?«

»Wenn ein Geheimnis mir nur für mich selbst anvertraut wird, dann erfährt es selbst meine liebe Frau nicht,« versicherte der Kammerherr feierlich.

»Großartig,« rief Käthe enthusiastisch. »Ich würde mit Horst unter allen Umständen davon reden, aber das steht natürlich auf einem andern Blatte, weil Horst eben ein Mann ist und Tante Kuki – nicht wahr, Onkel, Sie glauben auch nicht, daß Tante Kuki den Mund halten kann, was?«

Herr von Diestelcamp nieste und schneuzte sich umständlich.

»Sprachen wir eigentlich davon?« fragte er dann mit thränenden Augen, die Antwort diplomatisch umgehend.

»Nein,« erwiderte Käthe ehrlich. »Das war nur so ein Seitensprung, der überflüssig war, weil Sie mir ja versicherten, daß Tante Kuki nichts von dem Geheimnis, das ich Ihnen allein – hören Sie, allein anvertraue, erfahren wird.«

» C'est entendu,« nickte der Kammerherr mit der Hand auf dem Herzen.

»Na, das ist schön,« versicherte Käthe, indem sie einen Zettel aus der Tasche zog. »Also seien Sie so gut, lesen Sie mal, was hier geschrieben ist und übersetzen Sie's mir ins Deutsche.«

Damit reichte sie ihm das Blatt Papier, auf das sie den Inhalt des dritten und längsten der grünen Briefe sorgsam kopiert hatte. Herr von Diestelcamp zog seinen Kneifer vor, hauchte die Gläser an, putzte sie umständlich rein und sah dann lange mit hochgezogenen Brauen auf das Schriftstück herab.

»Hm!« machte er endlich, »wenn dies nicht ein gnädiger Scherz von Ihnen ist, verehrte Nichte, so möchte ich sagen: das kann nur ein Verrückter geschrieben haben.«

»Aha, also polnisch scheint's nicht zu sein,« rief Käthe enttäuscht.

»Polnisch?« wiederholte Herr von Diestelcamp. »Nein, polnisch ist es sicherlich nicht, das darf ich wohl sagen, so wenig ich auch von dieser Sprache verstehe. Aber – da kommt mir ein Gedanke: ob es wohl eine Geheimschrift ist?«

»Onkel Habakuk!« rief Käthe gerührt. »Zwischen uns beiden besteht sicher eine Seelenharmonie. Denken Sie, ich habe selbst diesen Gedanken schon gehabt. Ist das nicht verblüffend?

»Fabelhaft!« gab der Kammerherr zu.

»Nun?« fragte Käthe atemlos.

»Nun?« wiederholte Herr von Diestelcamp.

»Na, zum Kuckuck,« rief Käthe, ihre ohnehin kurze Geduld verlierend, »was es heißt, frage ich!«

»Ja so! Was es heißt? Aber teure Nichte, wie soll ich das wissen? Ich verstehe mich nicht auf Geheimschriften,« war die hilflose Erwiderung. »Ich dachte, Sie selbst wüßten es und wollten mich erleuchten.«

»Ach, Stuß! Onkel Habakuk, sehen Sie denn nicht, was ich will? Ich will wissen, was auf diesem Papier steht und muß es wissen,« rief Käthe außer sich. »Wenn ich's lesen könnte, würde ich Sie doch nicht danach fragen. Ist das klar?«

»Vollkommen,« gab Herr von Diestelcamp zu. »Da ich aber ebenso unwissend bin, wie Sie – das heißt natürlich nur in dieser Sache, gnädigste Nichte –«

»Der Kuckuck ist Ihre gnädige Nichte,« rief Käthe verzweifelt, »das heißt nur in dieser Sache, gnädigster Onkel,« setzte sie mit unwiderstehlicher Parodierlust hinzu. »Ja, aber wer soll mir denn nur sagen, was dieses konfuse Zeug bedeutet, wenn Sie's nicht können?« schloß sie in der zuerst angeschlagenen Tonart.

Herr von Diestelcamp räusperte sich.

»Vielleicht weiß Horst Rat,« schlug er vor.

»Warum nicht gar der Kaiser von China,« jammerte Käthe. »Horst! Aber Menschenkind, Onkel und Gönner, Horst soll ja nichts davon wissen, nicht ein Sterbenswort!«

»Nein –?!«

»Keinen Schimmer! Eine Überraschung für ihn – verstehen Sie? Ein Weihnachtsgeschenk!«

»Weihnachts – – –«

»Na ja natürlich, was denn sonst?« rief Käthe, mit merkwürdig rotem Kopfe den Salon auf- und abrennend, das heißt mit merkwürdiger Geschicklichkeit um die Möbelfülle darin balancierend! »Haben Sie das nicht gleich gemerkt, Onkel Habakuk? Horst zerbricht sich seit Jahrhunderten den Kopf über diese Hieroglyphen, ich schenke ihm den Schlüssel dazu zu Weihnachten – – na, das ist doch einfach wie – wie, wie irgendwas. Lösung jedenfalls höchst wichtig, staatsrettend, epochemachend etc. Darum muß der den Mund halten können, der mir dazu verhilft. Auch klar, was? Na, Onkelchen, nu mal raus mit Ihrer Weisheit!«

Herr von Diestelcamp hatte mit einem Erstaunen zugehört, das sich unverhohlen ausprägte. Klar war ihm die Sache nicht, sie wurde ihm, die Wahrheit zu sagen, durch Käthes sichtliche Erregung immer dunkler. Aber in solchen Momenten tappt der Blinde mitunter doch gerade auf die richtige Stelle.

»Hm,« sagte er sinnend, »wenn man Horst nicht fragen darf und wir beide es doch nicht wissen, so müßte man sich eben an einen Experten wenden!«

»An einen – was?« sagte Käthe, still stehend.

» Experto credite, wie der Lateiner sagt,« nickte der Kammerherr.

»Ganz meine Meinung,« lobte Käthe ermutigend. »Fragen wir also den Ex– Ex– Ex–, wie hieß der Kerl?«

»Einen Sachverständigen,« half Herr von Diestelcamp ein. »Es giebt Sachverständige in allen Fächern, warum sollte es nicht auch solche in Geheimschriften geben?«

»Tadelloser Gedanke!« rief Käthe, für den Vorschlag enthusiasmiert. »Kennen Sie solch' ein Gewächs, Onkelchen?«

»Das nicht, dürfte aber im großen, vielseitigen Berlin unschwer zu finden sein!«

»Ganz einfach – wir gehen rasch den Adreßkalender durch und suchen den Menschen,« rief Käthe und war schon unterwegs, den Folianten zu holen, in dessen Millionen Namen sie den Gesuchten »leicht« zu finden hoffte, doch Herr von Diestelcamp erhob mit entsetztem Blick beide Hände empor.

»Um Gottes willen,« rief er, »so lange können wir beide gar nicht mehr leben, bis wir das Berliner Adreßbuch durchgesucht haben. Faktische Unmöglichkeit, und dann fragt sich's noch, ob ein Mann unter dem Titel: Sachverständiger für Geheimschriften überhaupt existiert!«

Käthe schlug die Hände zusammen.

»Ja, warum schlagen Sie denn dann solch' ein halb unmögliches Wesen vor?« jammerte sie.

»Weil es einen näheren und sicheren Weg giebt, nämlich ein Auskunftsbureau,« erwiderte der Kammerherr schmunzelnd ob der eignen Findigkeit.

Mit einem Satze war Käthe an seiner Seite.

»O Sie Perle von einem Onkel,« jubelte sie. »Und Sie werden gehen, nicht wahr? Gleich nach dem Essen werden Sie gehen und in dem bewußten Auskunftsbureau nach solchem Sachverständigen fragen, ja? 's wäre auch jetzt noch Zeit – vor einer halben Stunde essen wir doch nicht. Onkelchen, ich gebe Ihnen einen Kuß, wenn Sie das für mich thun, zwei, wenn Sie wollen – oder soll ich Ihnen einen schon vorher applizieren?«

Der Kammerherr schmunzelte.

»Ihrer Großmut setze ich für den geringen Dienst keine Schranken, gnädigste Nichte,« sagte er mit altmodischer Galanterie. »Indes, bedenken Sie die Berliner Entfernungen und damit die Grenzen, die meinem Eifer für Sie gesetzt sind. Zunächst müßte ich die Adresse eines Auskunftsbureaus erfahren und dazu wäre das Adreßbuch die rechte Schmiede!«

Wie ein Sturmwind raste Käthe von dannen und kehrte alsbald mit dem dickleibigen Buche zurück, in dessen Inhalt sie sich mit dem Kammerherrn vertiefte, indem beide, die Köpfe zusammengesteckt, sich über die rätselreichen Seiten neigten und darin methodisch zu suchen begannen. Ein bestimmteres Ziel im Auge, war es nicht allzuschwer, das Gesuchte zu finden und ohne ihre Stellung zu verändern, diskutierten die beiden Verschworenen über den Inhalt der zu verlangenden Auskunft, Käthe glühend vor Ungeduld, Erwartung und Freude über eine bald zu erreichende Gewißheit, der Kammerherr sich liebenswürdig, gefällig und schmunzelnd in der Sonne der Augen seiner reizenden Nichte labend. Und während die beiden so halblaut redeten und berieten, da ging die Thüre auf und in ihrem Rahmen erschien – Tante Kuki, gefolgt von ihrem Neffen Graf Kirchwald. Wie gestochen fuhr die erstere einen Schritt zurück, errötete, erblaßte und warf letzterem einen Blick zu, welcher zu flehen schien: »Schieße ihn, meinen Gatten, nicht gleich nieder – nicht vor meinen Augen!«

Aber Graf Kirchwald schien das Furchtbare der kleinen Scene gar nicht zu erfassen, denn er lächelte ganz vergnügt und rief: »Guten Tag, meine Herrschaften – melde mich ganz gehorsamst vom Dienst zurück nebst einem fabelhaften Hunger!«

Hui – fuhren die beiden Köpfe über dem Adreßbuch auseinander – »schuldbewußt,« wie es Tante Kuki deuchte, deren ältliches Herz alle Qualen der Eifersucht durchzuckten, und dazu beging Käthe noch die Unvorsichtigkeit, den Zeigefinger ihrer rechten Hand, Stillschweigen heischend auf die Lippen zu legen und Herr von Diestelcamp war leichtsinnig genug, devot zurückzulächeln – –!

»Schon zurück?« fragte er, sich die Hände reibend – aus Verlegenheit, meinte Tante Kuki in der Tiefe ihres geplagten Herzens.

»Schon?« wiederholte sie mit einem Blick gen Himmel, wie um diesen zum Zeugen anzurufen wider ihr Unrecht. »Wir kommen nach der Zeit – die euch sehr rasch vergangen sein muß – –«

»In der That,« versicherte der Kammerherr verbindlich, aber Graf Kirchwald schien in seiner Blindheit auch dieses Schuldzugeständnis nicht zu sehen und zu hören, denn er sagte heiter: »Na, da giebt's wenigstens keine Standpauke wegen übertretener Zeit. Komm, Tante, wir wollen uns rasch ausschälen aus unsern Straßenhüllen, indes bestellt Käthe die Suppe, was?«

»Mit dem größten Frachtwagen!« versicherte Käthe und Tante und Neffe verschwanden wieder im Korridor, wo Graf Kirchwald der Tante, die er aus dem Heimwege getroffen, galant aus ihrem eleganten Pelze verhalf.

»Hast du's gesehen, Horst?« flüsterte sie ihm dabei mit fliegendem Atem zu.

»Was gesehen?« fragte er seelenruhig.

»O – diese – diese unziemliche Vertraulichkeit meines Gatten mit deiner Frau?« hauchte sie.

»Waaas?«

»Doch er ist unschuldig – ich versichere es dir,« kam es in beschwörendem Tone zurück.

»Natürlich, natürlich,« beruhigte Graf Kirchwald, ohne zu wissen warum, nur um des lieben Friedens willen.

»Sie ist es, die ihn in ihrem Netze fangen will,« drohte Tante Kukis Stimme in Angst und Entrüstung überzuschnappen.

Jetzt erst ging Graf Kirchwald das nötige Licht aus und er lachte nolens volens hell auf bei dem bloßen Gedanken.

»Ach, Tante, das ist ja zum Begraben,« versicherte er, geschüttelt von einer nicht zu unterdrückenden Heiterkeit.

»Das ist es, aber zum Begraben vor Entsetzen,« gab Tante Kuki empört zurück. »Und du kannst lachen! O, ich verstehe sie nicht, diese heutige Zeit, die solche Dinge mit Lachen auffaßt.«

»Na siehst du, Tantchen, und ich verstehe deine Zeit wieder nicht, die jede harmlose Zufälligkeit zum Verbrechen macht,« entgegnete Graf Kirchwald, mühsam seine Lachlust bekämpfend. »Wir sind also quitt.«

Frau von Diestelcamp stülpte wütend ihren eleganten Hut auf den Kleiderrechen.

»Gut, lache du und stürze dich und deinen ehelichen Frieden mit sehenden Augen ins Verderben,« schnaubte sie im Flüstertone. »Ich aber werde meine Augen geöffnet halten und meinen armen Mann vor der Sirene warnen, die ihn mit ihrer Jugend zu bethören versucht!«

»Thue, was du nicht lassen kannst,« erwiderte Graf Kirchwald ärgerlich, aber doch sehr ruhig. »Es ist mein Grundsatz, keinen Menschen in seinem Vergnügen zu hindern. Was du mit deinem Manne thust, ist mir egal, aber Käthe wirst du dabei besser aus dem Spiele lassen – ich bitte darum. Und nun zum Essen. Deinen Arm, liebe Tante!«

Etwas eingeschüchtert, aber doch noch zornbebend ließ Tante Kuki sich in das Speisezimmer führen, wo die beiden »Schuldigen« ihrer schon warteten, und das Mahl begann. Käthe, gehoben von der Aussicht, den Schleier des Geheimnisses von den grünen Briefen bald gelüftet zu sehen, schwatzte in bester Laune das Blaue vom Himmel, der Kammerherr strahlte, und Graf Kirchwalds Heiterkeit kehrte beim Anblick der beiden unwiderstehlich zurück, denn er kannte ja die Epoche im Leben seiner Gattin, die wir in der Geschichte »Syndetikon« annährend zu schildern versuchten und seine Lachmuskeln wurden durch die Erinnerung daran und Tante Kukis evidente Eifersucht mächtig gereizt. Nur diese würdige Dame verhielt sich still und in melancholischer Laune, wobei sie ihrerseits Gatten und Nichte scharf im Auge behielt, was Käthe natürlich sehr gut merkte und mit ihrem Gatten darob einen verständnisvollen Blick wechselte, der das junge Paar zu einer Lachsalve veranlaßt«, zu welcher sie mühsam eine halbwegs glaubhafte Erklärung erfinden mußten.

»Apropos,« knüpfte Kirchwald daran an, »heut' Abend gehen wir nicht aus, denn Boob hat sich bei uns zum Thee angesagt.«

»Boob – o charmant,« rief Käthe, »da muß ich sein Leibgericht rüsten: Schinken und Bratkartoffeln, denn darin ist er einfach groß. Groß, sage ich!«

»Boob? Wer ist Boob?« Mit dieser Frage geruhte Tante Kuki ihr Schweigen zu brechen. »Nicht, daß ich mich für einen Menschen interessierte, der eine so vulgäre Geschmacksrichtung hat –«

»Boob vulgär!« lachte Käthe, »na, ich danke! Piekfein ist er, Tante, er ist sogar eine Hyperbel der Feinheit, trotzdem ihm Schinken mit Bratkartoffeln schmecken!«

»Ich verstehe nicht –« sagte Tante Kuki gekniffen.

»Jonkheer van Boob ist Attaché bei der Niederländischen Gesandtschaft,« erklärte Kirchwald, »ein lieber, netter Mensch und unser Hausfreund.«

Tante Kuki acceptierte denselben stumm, doch ihr Gatte sagte: »Ich kenne ihn, er hat einmal den Botschafter nach Nordland begleitet. In der That, sein äußerer Mensch ist das Muster tadelloser Feinheit, dabei sein Benehmen natürlich, sicher und gewinnend.«

»Boob ist eine Perle,« nickte Käthe und Tante Kuki zog die Augenbrauen hoch.

»Es hört sich eigentümlich an, wenn eine junge Frau in Gegenwart ihres Mannes einen andern Mann eine Perle nennt,« sagte sie scharf.

»Nun,« erwiderte Kirchwald prompt, »das ist doch besser, als wenn sie es in meiner Abwesenheit thäte – was im übrigen auch nichts schadete. Außerdem giebt's doch auch sehr verschiedene Perlen, selbst unter den echten, und es bleibt mir meine superiore Stellung darunter unbenommen.«

»Es war nur meine ganz unmaßgebliche Meinung,« sagte Tante Kuki mit jener demütigen, resignierten Bescheidenheit, die imstande ist, rasend zu machen, wenn man weiß, daß das genaue Gegenteil damit gemeint ist.

Zum Glück wurde aber niemand rasend, nicht einmal die mit etwas kurzer Geduld ausgerüstete Käthe, denn die Gewohnheit stumpft ab, und niemand widersprach, was ja eigentlich unhöflich, aber trotzdem Thatsache war.

Nach Tisch zog sich das Diestelcampsche »junge« Paar zum gewohnten Nachmittagsschläfchen zurück, aber zwischen Thür und Angel erhielt der Kammerherr von Käthe noch die hastig getuschelte Ermahnung, um vier Uhr prompt zur Stelle zu sein.

Das geschah denn zwar auch, aber nicht zum Ausgang gerüstet erschien der Gute, sondern er schlich sich mit höchst verlegenem Gesicht in den Salon, in welchem ihm Käthe glühend vor Erwartung entgegentrat.

»So, also nun kann's losgehen!« Mit diesem Zuruf deponierte sie ihre Ansicht von der Lage der Dinge.

Der Kammerherr hustete, nieste dreimal und schneuzte sich dann.

»Jawohl,« krächzte er, »das heißt ich wäre ungemein glücklich, Ihnen, teure Nichte, dienen zu können. Indes – ja – hm – meine liebe Frau ist der Ansicht, daß ich diesen Gang besser nicht unternehme –«

»Was?« schrie Käthe wütend. »Sie haben gepetzt?«

»Ge – –« stammelte der Kammerherr.

»Jawohl, gepetzt, geplappert, was weiß ich!« war die stürmische Erwiderung.

Herr von Diestelcamp setzte seine würdigste Miene auf.

»Gnädigste Nichte, wenn mir ein Ding unterm Siegel der Verschwiegenheit mitgeteilt wird, dann würde es mir selbst die Folter nicht entreißen,« sagte er gemessen. »Indes hatte ich doch meiner lieben Frau mitzuteilen, daß ich für Sie eine Kommission übernommen. Welcher Art diese wäre, habe ich nicht gesagt, trotz des Drängens meiner lieben Frau, welche sich aber der Ausführung mit einer Entschiedenheit widersetzte, der gegenüber mir nur das Nachgeben blieb. Als Hauptgrund führte meine liebe Frau an, daß Horst meine Mittlerrolle falsch auffassen könnte –«

»Den Kuckuck hat sie gethan,« schnob Käthe ihren neuen Onkel an, daß dieser unwillkürlich einen Schritt zurücktrat. »Wenn Tante Kuki ihren leiblichen Neffen für einen so ausgewachsenen Esel hält, so ist doch noch immer nicht die Folge, daß Sie derselben Ansicht sein müssen.«

»Nein, das folgt nicht daraus,« bestätigte der Kammerherr. »Trotzdem ist es aber doch am Ende wohl angezeigt, wenn ich mich dem Wunsche meiner lieben Frau füge, und – – –«

»Und so weiter,« schloß Käthe verächtlich und setzte unwillkürlich lachend hinzu: »Das gab wohl eine feste Gardinenpredigt, Onkelchen, was? Na, verdauen Sie die nur mit Genuß und küssen Sie hübsch demütig den Pantoffel, den sie Ihnen aufs Genick gesetzt. Das Joch ist ja so süß, was?«

Der Kammerherr wand sich unbehaglich unter Käthes Sarkasmus, halb froh, daß er so leichten Kaufs losgekommen, halb sich schämend wie ein Pudel, daß er also durchschaut wurde.

»Verfügen Sie ein anderes Mal über mich,« sagte er, eine direkte Antwort vermeidend, »und seien Sie überzeugt, daß ich nur schweren Herzens in diesem einen Falle mich meinem gegebenen Versprechen entziehe –«

»Der Not gehorchend, nicht dem eignen Triebe,« citierte Käthe, indem sie zur Thür ging, diese öffnete, hinaussah, und ihrem verlegnen Verwandten über die Achsel die tröstliche Versicherung gab: »Sie hat diesen schönen Satz nicht gehört, Onkelchen, Sie können sich also ohne Sorge zurück in die Höhle des – ich wollte sagen in die Nähe der verehrten Tante verfügen!«

Das war eine prompte Rache – Käthe bediente in solchen Fällen immer prompt – Onkel Diestelcamp räumte das Feld mit einer tiefen Verbeugung und Käthe blieb als Siegerin, aber eine etwas geknickte, zurück.

»Na, wenn das so fortgeht, dann, Habakuk, freue dir,« dachte sie nicht ohne Schadenfreude. »Was nun thun? Selbst in das olle Auskunftsbureau gondeln? Wird wohl nichts andres übrigbleiben. Denn wer könnte sonst für mich gehen? Wer? Ach –!« Käthe schlug sich mit der Hand vor die Stirn.

»Boob muß es thun!« rief sie laut. »Natürlich Boob! Wie konnte ich auch nicht gleich an Boob denken, statt gemeinsame Sache machen mit dem alten Pantoffelhelden drüben! Boob! Kein andrer als Boob!«

Dieser erleuchtende Gedanke machte Käthe wieder ganz vergnügt und wenn Tante Kuki gehofft hatte, die mißliebige Nichte mürrisch, schlechter Laune oder gar aggressiv vorzufinden, als sie zur Theestunde herübergerauscht kam, so irrte sie sich glänzend, denn Käthe sprühte vor guter Laune und schwatzte solch' entsetzlichen Slang, daß Tante Kuki es zuletzt aufgab, zu korrigieren und nur noch resigniert zuhörte. Gegen acht Uhr erschien dann Graf Kirchwald mit dem angesagten Hausfreunde und Käthe stellte der Tante mit sichtlichem Stolz den Gesandtschaftsattaché Jonkheer van Boob vor, der es in wenig Minuten vermochte, das gekniffene Gesicht der Frau von Diestelcamp trotz ihrer vorgefaßten schlechten Meinung über einen Sprossen der Aristokratie, dessen Lieblingsgericht Schinken, Bratkartoffeln und saure Gurken war, in ein gnädiges Lächeln zu verwandeln. Herr van Boob war zwar entschieden dem Äußern nach ein junger Mann fin de siècle, der seine kleine, geschmeidige Gestalt in den chiksten Smoking der Welt hüllte, die tadelloseste Wäsche und Krawatte, die frischeste Gardenia im Knopfloch aufwies und einen Scheitel zur Schau trug, der mit einer Accuratesse gezogen war, welche es in allen Sprachen verkündete, daß sein Besitzer mit sonstigen Geschäften nicht überbürdet sein konnte. Aber in seinem frischen, runden Gesichte mit dem bestgepflegten, kühn aufgezogenen Schnurrbart leuchteten ein Paar kindgute, lustige Augen, die im Verein mit seiner schon angedeuteten kulinarischen Geschmacksrichtung die ganze giggerlhafte Erscheinung zu einer liebenswürdigen, harmlosen machten, und dem alten Spruch, daß man den Menschen nicht nach seinem Äußern beurteilen soll, recht gab.

Käthe begrüßte den Gast mit jener stürmischen Freude, die allemal der schlagendste Beweis für ein geschwisterliches Verhältnis ist, um so mehr, als die gleiche Begrüßung auch von der andern Seite erfolgte. Graf Kirchwald fing dabei einen Blick und ein säuerliches Lächeln seiner Tante auf, das ihn höchlich amüsierte, und er konnte nicht umhin, ihr zuzuflüstern: »Siehst du nun, Tante, wie zärtlich wir hier unsern guten, alten Boob lieben?«

»Ich sehe und bewundere es,« gab sie zurück. »Meine Augen sind offen, liebster Horst.«

»Desto besser,« meinte Kirchwald gut gelaunt.

Das Abendessen verging äußerst heiter und vergnügt. Zwar, Herr von Diestelcamp war etwas gedrückt, aber stürmisch war seine Konversation ja nie und fiel deshalb nicht auf, doch Tante Kuki konnte sich dem heitern Ton nicht verschließen, denn Boob kannte eine Menge von ihren Bekannten und erschöpfte sich in Diensteifer für sie. Die Masse drolliger Geschichten, die er wußte und ungebeten zum besten gab, waren auch nicht dazu angethan, eine »gekniffene« Stimmung aufkommen zu lassen, Kirchwalds sekundierten ihm dabei brav und ohne Reserve, und trotzdem Boob neben aller Unterhaltung einen Appetit entwickelte, den unsere heutige Zeit gottlob für gesund hält, der aber von früheren Generationen für »vulgär« und »unschicklich« erklärt wurde, so stand er, das heißt Boob, doch hoch in Tante Kulis Gnade, als die Tafel aufgehoben wurde und man in den Salon zurückkehrte.

Jetzt war aber Käthes Augenblick gekommen und in ihrem Eifer, dem Geheimnis der grünen Billets auf den Grund zu kommen, opferte sie herzlos den eigenen Gatten, das heißt sie arrangierte mit Blitzesschnelle einen Spieltisch und ehe es sich nur einer versah, hatte sie die beiden Diestelcamps mit ihrem Manne an denselben bugsiert und zu einem Rubber Whist mit Strohmann überredet.

»So 'n Rubberchen nach dem Abendbrot, das ist Tante Kuki ihrer Gesundheit schuldig,« erklärte sie liebenswürdig, aber mit merkwürdiger Hast und Volubilität. »Horst wäre unglücklich, wenn er Tante darum bringen müßte und Herr van Boob wird schon ein Viertelstündchen mit mir allein fürlieb nehmen, nicht wahr, Herr van Boob?«

Dieser versicherte natürlich, daß es ihn selig mache, mit seiner gnädigen Wirtin plaudern zu dürfen, aber Tante Kuki lud ihn süß lächelnd ein, als Vierter einzutreten – Käthe könnte ja zusehen. Aber das war gar nicht nach Käthes Geschmack und lag auch überhaupt nicht in ihrem Plan.

»I bewahre,« protestierte sie für ihren Gast, ehe dieser nur den Mund ausmachen konnte. »Herr van Boob spielt gar nicht Whist – oder doch? Na, jedenfalls spielt er nicht so gut, wie du, Tante! Ihr spielt ja doch alle lieber mit dem Strohmann – fangt nur rasch an, damit wir uns bald alle zusammen unterhalten können. Davor hätte ich Sie glänzend gerettet mit Verleugnung Ihrer Whistbegabung,« raunte sie Boob lachend zu, indem sie ihn einer entfernten Ecke zuzog. »Aber was wollen Sie? In solchen Fällen gelten alle Finten!«

Während Tante Kuki die Karten austeilte, stand Kirchwald aber noch einmal auf, eine Lampe zu holen und kam damit an dem Paar vorüber, das sich in einer Ecke etablierte.

»Käthe, das war schändlich von dir,« flüsterte er seiner Frau zu. »Konntest du mir das heut' nicht mal schenken?«

Käthe sah ihren Gatten nicht ohne Reue und Gewissensbisse an, denn Tante Kuki gehörte zu den furchtbaren Whistspielern, die ihre Zeit am Spieltische hauptsächlich damit ausfüllen, daß sie weitschweifig auseinandersetzen, wie es hätte kommen können, wenn der und der diese oder jene Karte gezogen hätte, die nie wissen, was Atout ist, wer ausspielt und was gespielt ist, und die positiv und grundsätzlich auf die Inviten ihres Aide nicht eingehen. Alles das wußte Käthe, sie wußte, welche Geduldsprobe für ihren Gatten ein Rubber mit Tante Kuki war, aber die Billete und die geheimnisvolle Anna darin hatten Besitz ergriffen von ihrer besseren Erkenntnis und die Reue wurde im Keime erstickt.

»Ach, hab' dich doch nicht so,« machte sie leichthin. »Ein Rubber ist schnell vorbei!«

»Jawohl, und wenn der Löwe Blut geleckt hat, folgt der zweite und der dritte,« murrte Kirchwald hinter seiner Lampe, während er diese zum Spieltisch trug.

Tante Kuki, die so saß, daß sie Käthe und Boob beobachten konnte, hielt sich moralisch für verpflichtet, das Tete-a-tete zu stören.

»Vielleicht sieht Herr van Boob doch lieber zu,« schlug sie vor.

»I bewahre, Herr van Boob haßt die Kiebitze und will auch selbst keiner sein,« antwortete Käthe. »Was du nicht willst, das man dir thu', das füg' auch keinem andern zu. Ja! Das ist einmal Herrn van Boobs Grundsatz!«

»Horst, willst du Käthe dort sitzen lassen?« tuschelte Tante Kuki nun ihrem Neffen über den Tisch zu.

»Käthe? O, die sitzt dort sehr gut,« erwiderte Kirchwald ruhig, und das Spiel begann.

Kaum fing aber Tante Kuki dort an, eine Predigt über Inviten zu halten, als auch Käthe mit vollen Segeln auf ihr Ziel steuerte.

»Sagen Sie mal, Herr van Boob,« unterbrach sie ihr Visavis mitten in einer Schilderung des letzten Hofballs. »Ehe ich's vergesse: interessieren Sie sich für Chiffreschriften?«

Boob machte ein erstauntes Gesicht.

»Ich, Gräfin? I bewahre, gar nicht,« gestand er offen ein. »Sehen Sie – wenn man's lesen soll, ist's gräßlich mühsam und langweilig, und soll man's schreiben, da muß man wie der Teufel aufpassen, daß man's richtig macht. Sonst setzt's Nasen!«

»Na, ich danke,« machte Käthe teilnahmsvoll, aber doch nicht ganz bei der Sache, denn sie überlegte, ob es nicht kürzer wäre, sich die Billets von Boob übersetzen zu lassen, weil er's nun doch einmal verstand. Aber nein, das ging nicht – wer weiß, was in den Billets stand, und die Anna überhaupt – nein, dieser Weg war ausgeschlossen. »Ich frage nämlich deshalb,« fuhr sie fort, indem ihr thätiges Gehirn sich eine plausible Erklärung ausdachte. »Ich bin von – von einer Freundin gefragt worden, ob's hier in Berlin nicht einen Menschen giebt, der die Chiffreschrift lehrt oder liest, oder so was. Nein, ein Gutachten über ein chiffriertes Dokument will man haben. Woher soll ich denn aber solch einen Menschen kennen? Und da kam mir die Idee, ob Sie vielleicht einen wissen!«

»Hm – ja – warten Sie mal, Gräfin – – mir ist so, als wenn mir jemand gesagt hätte, es gäbe einen Mann hier, den man in zweifelhaften Fällen um sein Gutachten befrägt – wenn ich nur wüßte, wer mir das erzählt hat –«

»Ach, das ist ja Schnuppe, wer's war,« unterbrach ihn Käthe. »Die Hauptsache ist, wie der Mann heißt. Ich meine den Chiffre-Menschen.«

»Ja, natürlich, Gräfin, darauf kommt's an. Es war ein spaßiger Name –«

»Schulze? Müller?« schlug Käthe vor.

»Nein, ein Sammelname war's nicht,« durchstöberte Boob sichtlich sein Gedächtnis. »Wenn ich nur wüßte, wer mir's erzählt hat –«

»Aber Herr van Boob –«

»Ja, dann könnte ich den doch fragen. Am Engelufer wohnt er, das weiß ich –«

»Wer?«

»Na, der Chiffre-Experte. Aber die Nummer hab' ich vergessen.«

»Und den Namen auch,« seufzte Käthe. »Was nutzt mir das Engelufer, wenn ich den Engel nicht habe! Es ist leicht gesagt, für'n Sechser Käse, aber welche Sorte.«

»Schimpfkäse!« schrie Boob aus mit strahlendem Gesicht, daß Käthe ordentlich einen Satz machte vor Schrecken und drei paar erstaunte Augen sich vom Spieltisch herüberwandten.

»Was?« machte Käthe. »Warum schimpfen Sie denn auf den Käse? Ich habe ja nur eine bekannte schnoddrige Berliner Redensart citiert!«

»Ich kenne sie, jawohl, ich kenne sie,« strahlte Boob weiter, »aber eben Ihr Citat, Gräfin, hat mich ja auf den Namen gebracht! Der Mann heißt Schimpfkäse. Scheußlich, nicht? Wenn ich das Pech hätte, so zu heißen, ich reichte ein Immediatgesuch um Namensänderung ein!«

»Ich auch,« stimmte Käthe bei. »So, das wäre also erledigt, und Sie brauchen auch nicht weiter darüber zu reden, denn meine Freundin thut furchtbar geheimnisvoll damit. Na, und nun erzählen Sie mir die Geschichte vom Hofball weiter, Herr van Boob.«

Und Boob that, wie ihm geheißen und hatte Käthes Zwischenfrage auch glücklich in fünf Minuten vergessen.

Der Rubber hatte sein Ende und der Abend endlich auch, da die drei Herren sich beizeiten empfahlen, um noch ein Stündchen beim Schweren Wagner zuzubringen, wozu der Kammerherr wider sein eignes Erwarten unter ausdrücklicher Zeitlimitierung auch gnädigen Urlaub erhielt, und nachdem Käthe die Tante summarisch, wenn auch sehr liebenswürdig in ihrem eignen Zimmer kalt gestellt, das heißt sich auf gute Manier ihrer und des mit ihr drohenden Plauderstündchens entledigt hatte, stürzte sie sich mit ein paar wilden Sprüngen in ihres Gatten Zimmer, verbrannte eine halbe Schachtel Schwedenstreichhölzer, bis in der Hast eines endlich Feuer fing und schlug beim Schein der entzündeten Kerze das Adreßbuch auf.

»O, P, Q, R, S« – – murmelte sie, den gewünschten Buchstaben suchend. »S, c, h, Schulze – nee, Schi – – – Schiller – Herrgott, was giebt's für 'ne Masse Schillers hier – Schimpf, Schimpff mit zwei f – ha! Schimpfkäse! Natürlich, der Name steht einzig, selbst im Berliner Adreßbuch. Schimpfkäse, Daniel, Dr., Engelufer 177, vierter Stock. Der vierte Stock ist hart – na, aber was thut man nicht alles, um so 'ner alten Giftunke von Tante zu beweisen, daß grüne Billets mit Johanneskäfern darauf das allerunschuldigste Papier der Welt sind.«

Und mit dieser glücklichen Selbsttäuschung ging Käthe zu Bett – morgen war das Rätsel der Anna gelöst, Gott sei Dank! Merkwürdigerweise war ihr bei dem Gedanken aber gar nicht so leicht ums Herz, wie sie erwartet hatte. Die Geschichte war und blieb nun einmal ein Spiel hinter Horsts Rücken und wenn die Billets auch zehnmal nichts waren als weggeworfenes Papierkorbfutter – – sie blieben nun einmal, zu diesem Zweck ausgenutzt, stibitztes Gut. Freilich, die »Anna« rechtfertigte auch das, mußte es rechtfertigen notabene! Direkt nach der »Anna« fragen mochte Käthe ihren Mann nicht, aber den Schatten dieser verflixten »Anna« wollte sie auch nicht zwischen sich und ihm stehen lassen. Eifersüchtig? Und auf diese »Anna«? Na, was denn noch, aber – aber – aber – – –

Am nächsten Morgen nach dem Frühstück trödelte und nöhlte Tante Kuki, wie's Käthe schien, dreimal so lange als sonst, ehe sie zum verabredeten Ausgange mit dem Kammerherrn fertig war, aber kaum war sie »zum Tempel 'naus,« als Käthe wie der Blitz in ihre Sachen fuhr – Horst war längst auf dem Bureau – zum Hause heraussauste und in die nächste Pferdebahn sprang. Nach einigen Irrfahrten gelangte sie auch glücklich bis ans Engelufer – eine ihr bisher total unbekannte Gegend, und suchte nun das Haus Nr. 177, das sich ihr als ein höchst wenig verlockender, verräucherter und unfashionabler Steinkasten vorstellte. Einen Moment zauderte sie, als der schwarze, aufwärts strebende Schlund der stockdunkeln, steilen, verwahrlosten Treppenflucht sich vor ihr aufthat, aber wer A gesagt hat, muß auch B sagen und ihre Nase gegen die Mißdüfte dieses Palastes wappnend, begann sie den Aufstieg. Ein paar schlumpigen Weibern und sonstigen Bassermannschen Gestalten, die ihr auf den verschiedenen Etagen begegneten, bot sie einen »Guten Morgen,« der nur notdürftig und wie es schien, widerwillig und mißtrauisch erwidert wurde, und endlich war der vierte Stock erreicht, d. h. sie war damit glücklich unterm Dach angelangt. Der Treppe gerade gegenüber war auf einer Thür mit vier Reißnägeln eine schmutzige Visitenkarte angeheftet, auf der zu lesen stand: » Dr. phil. Daniel Schimpfkäse,« und Käthe, die sonst naturgemäß wenig Weltkenntnis besaß, dachte unwillkürlich, daß die Wissenschaft diesen Dr. phil. zwar sehr hoch, nämlich in den vierten Stock einer Spelunke, aber nicht weit gebracht haben mußte. Eine andere junge Dame wäre vielleicht noch vor dieser Thür umgekehrt wegen plötzlich versagenden Mutes, aber Käthe versagte der Mut nie. In ihrer souveränen Unkenntnis und Verachtung etwaiger persönlicher Gefahren dachte sie gar nicht daran, in welche Räuberhöhle sie vielleicht fallen könnte; wenn ihr etwas Unbehagen verursachte, dann war's nur der Gedanke, daß der gute Boob ihr eine falsche Adresse gegeben haben könnte – na, aber dann sagte man »pardon« und »schrammte« wieder ab. Sie klopfte also ganz energisch an und auf ein dröhnendes »Immer 'rin in die jute Stube« von einer enormen, wenn auch etwas belegten Baßstimme betrat sie das Zimmer.

Zunächst sah sie vor Tabaksdampf – sehr übel duftendem Dampf von einer grausigen »Knäller«-Sorte, nichts; dann unterschied sie in dem zwiefachen Dämmer des Rauches und des Lichtes, das durch ein seit Jahrzehnten nicht mehr geputztes Fenster fiel, ein entsetzlich unordentliches Gemach mit schräg abfallenden Mansardenwänden, ein ungemachtes Bett, einen eisernen Waschständer mit schmutzigem Wasser in dem spucknapfgroßen Becken, ein mit Papieren und Büchern vollgestopftes Regal und endlich einen eisernen Ofen, gegen den sich zwei mit Filzparisern bekleidete Füße stemmten und zu diesen unförmigen Extremitäten gehörig den Körper eines so fabelhaft dicken Mannes, wie Käthe ihn in ihrem Leben noch nicht gesehen. Dieser Koloß saß, Pfeife rauchend, in einem Lehnstuhl mit zerfetztem Überzug, gehüllt in einen Schlafrock, von dem die Lumpen geradezu herabhingen, auf dem Kopf einen türkischen Fes, und auf den schmierigen Kragen seines ehemals türkischen Schlafrocks quollen eine Genickfalte, zwei Hängebacken und ein doppelter sogenannter Kehlbraten höchst dekorativ über.

»Dr. Schimpfkäse?« fragte Käthe, nachdem sie sich von ihrem ersten Erstaunen über den merkwürdigen Anblick gefaßt hatte.

Der Koloß, welcher durch die dicke Atmosphäre nun wohl auch erkannt hatte, daß eine Dame – eine vornehme Dame sein Tuskulum betreten, erhob sich schwerfällig, stellte die Pfeife zur Seite, versuchte seine mangelhafte Unterkleidung mit seinem Schlafrock zu verbergen und legte sein glattrasiertes Gesicht (mit mindestens dreitägigen Bartstoppeln darauf) in verbindliche Falten und verbeugte sich sogar.

»Der bin ich. Womit kann ich dienen?« fragte er mit seinem Baß, um den jeder Darsteller des »Sarastro« ihn beneidet hätte.

»Ich habe gehört, daß Sie ein Sachverständiger in Geheimschriften sind,« erklärte Käthe ihren Besuch, »und da bin ich gekommen, Sie um die Dechiffrierung dreier Billets zu bitten.«

»Man hat Sie richtig gewiesen,« erwiderte Dr. Schimpfkäse pompös. »Wenn einer solch' eine Schrift lösen kann, so bin ich's. Es ist meine Specialität. Zunächst bitte Platz zu nehmen.«

Käthe dachte, das wäre leichter gesagt, wie gethan, denn außer dem Lehnstuhl an dem Ofen, in den sie sich nicht um die Welt hätte setzen wollen, sah sie keine andere Sitzgelegenheit. Der Koloß aber wandte sich um, wobei Käthe zu ihrem entsetzten Staunen bemerkte, daß auf der Stelle, wo der Mensch zu sitzen pflegt, der Schlafrock in seiner ganzen Tiefe fehlte, d. h. weggesessen war und das Unterzeug wie durch einen Rahmen sehen ließ – der Koloß also die Schäden seiner Garderobe enthüllend, zog einen wackligen Stuhl aus einer Ecke, warf die darauf liegenden Kleidungsstücke einfach auf den ungefegten Boden und bot die Sitzgelegenheit mit imposanter Handbewegung seinem Besuche an.

»Danke schön,« sagte Käthe, den Stuhl mißtrauisch betrachtend. »Ich stehe ganz gern. Hier sind die drei Billets und nun sagen Sie mir, bitte, auf deutsch, was drauf steht!«

Dr. Schimpfkäse streckte seine fette Rechte nach den drei grünen Bogen aus, nahm wieder auf seinem Lehnsessel Platz, klemmte einen Kneifer auf seine kartoffelförmige Nase und betrachtete stirnrunzelnd die Schrift.

»Augenscheinlich drei verschiedene Systeme,« sagte er dann aufsehend.

»Aber es ist doch Chiffreschrift?« fragte Käthe. »Nicht etwa Botokudisch oder Polnisch oder sonst was?«

»Natürlich ist es Geheimschrift, aber wie gesagt, es sind drei verschiedene Systeme,« nickte der Koloß. »Aber wir werden ihnen schon auf den Grund kommen. Daniel Schimpfkäse kann sich rühmen, daß er bisher noch jedes Chiffresystem gelöst hat. Jedes, sage ich Ihnen.«

»Na, dann los,« kommandierte Käthe, vor Ungeduld zitternd.

Dr. Schimpfkäse ließ den Kneifer von der Nase fallen.

»Meine verehrte junge Dame,« sagte er gönnerhaft, »selbst ein Expert wie ich es bin, löst solche Rätsel nicht, wie man reife Pflaumen vom Baume schüttelt. Dazu braucht man Zeit.«

»Wie lange?«

»Das hängt von der Schwierigkeit der Aufgabe ab. Ich habe für eine Zeile Chiffreschrift schon Wochen zur Lösung gebraucht, mehr denn hundert Systeme probieren müssen, bis eines stimmte. Aber vertrauen Sie mir diese Zettel nur ruhig an – sie ruhen bei mir unter dem Siegel des Amtsgeheimnisses!«

Käthe seufzte tief auf.

»Das heißt, es bleibt mir nichts weiter übrig, wenn ich die Lösung haben will,« sagte sie. »Na, dann gut, ich lasse Ihnen die Billete zurück. Kann ich morgen wieder mal nachfragen kommen?«

»Das können Sie – ob mit Erfolg, dafür kann ich nicht gutsagen,« war die herablassende Antwort.

»Also auf Wiedersehen,« sagte Käthe kurz und wandte sich zur Thür.

»Pardon, noch eins, meine Gnädigste,« rief Dr. Schimpfkäse. »Es ist Geschäftsprinzip von mir, eine kleine Anzahlung auf meine Mühewaltung zu erheben. Dieselbe wird natürlich bei der Liquidation in Abrechnung gebracht!«

»Aha,« sagte Käthe, der es bisher gar nicht eingefallen war, daß die Sache auch etwas kosten könnte. »Was verstehen Sie unter einer kleinen Anzahlung?«

Dr. Schimpfkäse zuckte mit den Achseln.

»Eine Lappalie – des Prinzips wegen,« entgegnete er wegwerfend. »Sagen wir – hm – zehn Mark.«

Käthe zog stumm ihr Portemonnaie und legte das verlangte Geldstück in die ausgestreckte Rechte des Schriftgelehrten.

»Sonst noch was?« fragte sie dann trocken.

»Gewiß, meine verehrte Dame,« war die verbindliche Erwiderung. »Eine Hauptsache sogar –: mit wem habe ich die Ehre zu sprechen?«

Käthe trat mißtrauisch einen Schritt zurück.

»Meinen Namen wollen Sie wissen?« fragte sie. »Aber das ist doch ganz überflüssig! Ich hole mir die Auflösung der Schrift, und zahle, was ich Ihnen schuldig bin, aber ob ich Müller oder Schulze heiße, kann Ihnen doch ganz egal sein.«

Mit einer grandiosen Handbewegung hielt der Koloß Käthe die drei grünen Zettel hin.

»In diesem Falle kann ich den Auftrag nicht übernehmen,« sagte er kühl. »Daniel Schimpfkäse ist kein Pirat, kein dunkler Ehrenmann, der im Trüben fischt – er arbeitet nur für Klienten, die ihm ihren Namen nennen. Wer damit hinterm Berge halten muß, für den bin ich nicht zu haben!«

Käthe hatte, wie gesagt, naturgemäß keine Welt- und Menschenkenntnis, sonst hätte sie ihre drei grünen Briefe sicherlich eingesteckt und wäre ruhig gegangen mit Hinterlassung vielleicht der zehn Mark, die Daniel Schimpfkäse jedenfalls vergessen hatte, mit den Briefen zurückzugeben. Aber da sie den Koloß infolge dieser mangelnden Menschenkenntnis nicht durchschaute, so ging sie richtig auf den Leim.

»Ich muß ganz und gar nicht mit meinem Namen hinterm Berge halten,« sagte sie empört. »Ich heiße Gräfin Kirchwald und wohne Potsdamer Straße Nr. 1, und wenn Sie sonst noch was wissen wollen, dann sagen Sie's rasch, denn in dem verflixten Tabaksrauch hält's ja keine Katze länger aus.«

»Aber meine gnädigste Gräfin,« grinste Dr. Schimpfkäse über sein ganzes, fettes Gesicht, »verzeihen Sie mir, doch seinen Grundsätzen darf kein ehrlicher Mann untreu werden! Nein, ich habe keine Frage weiter – darf ich Sie herab zu Ihrem Wagen führen?«

»Danke,« sagte Käthe kurz mit einem entsetzten Blick auf diesen Kavalier in dem durchgesessenen Schlafrock. »Ich gehe schon ganz allein – Sie – Sie könnten sich erkälten!«

Dr. Schimpfkäse murmelte etwas, das sie gar nicht mehr verstand, so eilig flog sie die winkligen Treppen herab. Und hierher sollte sie wieder kommen, wer weiß wie oft noch, um nachzufragen, ob der schreckliche Mensch die Lösung gefunden hatte! Entsetzlicher Gedanke! Keine zehn Pferde hätten sie wieder in den Salon Dr. Schimpfkäses zurückgebracht, wenn – wenn nicht eben die mysteriöse »Anna« gewesen wäre. Ja, diese Anna! Na, nur getrost, arme Käthe, bis morgen Abend macht sie dir keine Kopfschmerzen mehr!

Käthe mußte sich, zu Hause angelangt, total umziehen, so vollgezogen waren ihre Kleider von dem Rauch des furchtbaren Krautes, das Dr. Schimpfkäse zu seiner Erbauung rauchte und wahrscheinlich unter dem Namen Tabak kaufte.

»Wahrscheinlich raucht er das Seegras aus seiner Matratze,« murmelte sie, als sie unter Zeichen des Ekels ihre Garderobe wechselte. »So hat ja nicht mal die Pfeife gestunken, die unser Kutscher daheim qualmte!«

Aber wahrscheinlich war auch der Hellberger Kutscher ein Kapitalist gegen den verlumpten Dr. phil. im vierten Stock des Engelufers Nr. 177 und in der Not frißt der Teufel nicht nur Fliegen, sondern er raucht sogar Seegras.

Für Käthe verging der Tag mit tödlicher Langsamkeit. Es schauderte ihr vor dem erneuten Gange zu dem Geheimschrift-Experten und doch brannte sie vor Ungeduld auf das, was sie von ihm hören sollte. Unter Predigten von Tante Kuki und Weisheiten aus dem Munde dieser lobwürdigen Verwandten schlichen die Stunden hin. Unbegriffen dröhnte der Strom der Worte an Käthes Ohr, denn ihre Gedanken weilten in dem schmutzigen Gemache am Engelufer, wo Dr. Schimpfkäse vielleicht jetzt saß und über dem Rätsel der grünen Briefe grübelte.

Und um den Kelch voll zu machen, brachte die Post am Abend wiederum solch einen grünen Brief für ihren Gatten! Wahrhaftig, genau dieselbe Farbe, genau das Format, genau denselben roten Johanniskäfer auf dem Verschluß des Couverts. Es rieselte kalt über Käthens Rücken, als sie ihren Gatten diesen grünen Brief aufnehmen und ruhig in die Klappe seines Überrockärmels schieben sah – kälter noch wurde ihr's, als sie Tante Kuki maliziös lächeln sah mit einem Blick auf sie, der Bände sprach. Warum mußte diese verwünschte Anna auch solch greulich auffallendes Briefpapier benutzen – konnte sie nicht auf Weiß schreiben wie andere vernünftige Leute? Hundertmal kam es Käthe auf die Lippen zu fragen, von wem denn ihr Gatte diesen »herzigen« grünen Brief erhalten, aber immer wieder drängte sie die Frage zurück, weil sie sich bewußt war, daß es keine harmlose war, und weil sie sich scheute, ihre Gedanken damit zu verraten.

Überhaupt, es war alles wie verhext, denn am nächsten Morgen war keine Idee daran, fortzukommen. Graf Kirchwald blieb zu Hause, Diestelcamps hatten keine Lust auszugehen – unter welchem Vorwande hätte Käthe sich zu solch langer Reise bis ans Engelufer entfernen können? Also hieß es, die Zähne zusammenbeißen, irgendwo Geduld hernehmen und warten. Zum Abend erwartete man Gäste, und als Käthe das Menu zum Abendessen entwarf und dabei zum Dessert eine »Himmelstorte« von Josty proponierte, da kam ihr ein Gedanke: sie konnte die süße Labe selbst bestellen und dabei ein bißchen lange ausbleiben, d. h. nach dem Engelufer per Droschke »erster Güte« eilen. Aber das Unglück wollte, daß Tante Kuki dem jungen Kirchwaldschen Paare kurz vorher ein Gastgeschenk gemacht hatte in Gestalt einer silbernen Tortenplatte und als sie hörte, was Käthe vorhatte, bestand sie, d. h. die Tante, sofort darauf, daß die Platte heute eingeweiht würde. Da mußte nun der Diener mit besagtem Objekt sofort die Bestellung machen, denn solch ein fragiles Ding wie eine Himmelstorte verträgt keine Dislozierung und muß gleich auf das zum Servieren bestimmte Gefäß gebracht werden, und Käthe mußte sich mit heimlichem Zähneknirschen in ihr Geschick finden. O, warum hatte sie nur mit ihrer Vorliebe für »Himmelstorten« gerade eine solche vorgeschlagen, die auch Tante Kukis Lieblingsdelice war! Zu Nutz und Frommen meiner verehrten Leser, die nicht wissen, woraus eine Himmelstorte besteht, und dann auch, weil es hierher gehört, sei verraten, daß dies köstliche Gebäck aus vier ganz dünnen, knusprigen Platten von mürbem Teig besteht, zwischen die Lagen von Himbeergelee, Vanillecreme, Aprikosenmarmelade und Croquante-Sahnenschaum gestrichen werden. Die letzte, oberste Teigplatte deckt ein kunstvoll gespritztes Gebäude dicken Sahnenschaums, das der Konditor erst aufrichtet, wenn die Torte zum Gebrauch abgeschickt wird.

Käthe verwünschte die Kuchenplatte, die ihr überhaupt nicht gefiel, sie verwünschte die Torte sogar im voraus und das sollte ihr teuer zu stehen kommen.

Aber ahnungslos des kommenden Unheils verlebte sie den Tag. Als die frühe Dämmerung anbrach, entschlossen sich Diestelcamps noch zu einem kurzen Ausgange, an dem teil zu nehmen Käthe sich mit der Entschuldigung drückte, daß sie für den Abend noch zu thun hätte. Graf Kirchwald war auf seinem Bureau seit dem Essen – sie war also allein zu Haus und berechnete, ob die Zeit noch reichen würde, um zum Engelufer hin und zurück zu kommen, ehe ihr Gatte heimkehren konnte. Wenn keine Hindernisse eintraten, konnte es gehen, aber wer bürgt dafür, daß alles glatt ging? Während Käthe noch so im Entree stand und das Für und Wider ihrer Expedition überlegte, hörte sie einen schweren Tritt die Treppe heraufkommen und da sie dicht neben der Glasthür stand, schob sie die Scheibengardine ein wenig zurück, um nachzusehen, welch' Mammut wohl da heraufstampfe. Aber ein Blick genügte, um in dem geräuschvoll emporpustenden Individuum den Dr. Schimpfkäse zu erkennen. Käthe wäre vor Schreck fast in die Kniee gesunken – da hörte denn doch alles auf, daß dieser Mensch sie hier in ihrem Hause aufsuchte! Und ehe er draußen noch die Hand ausstreckte, um auf den Knopf der elektrischen Klingel zu drücken, riß sie die Thür von innen mit einer Vehemenz auf, daß der also unerwartet Attackierte vor Schrecken einen Satz nach rückwärts machte, der ihm um ein Haar das Gleichgewicht raubte und ihn fast kopfkegel die Treppe herabbefördert hätte.

»Warum kommen Sie hierher? Hab' ich Ihnen nicht gesagt, daß ich bei Ihnen nachfragen würde?« fuhr Käthe auf den Erschrockenen los.

»Nun, das muß man sagen,« entgegnete er jedoch schnell gefaßt, »das ist eine nette Begrüßung für Daniel Schimpfkäse! Ich scheue den Weg nicht, um Ihnen, gnädige Gräfin denselben zu mir zu ersparen, um Ihrer aristokratischen Nase nicht zum zweitenmal den mir so lieben Tabaksrauch zuzumuten, von dem Sie sagten, daß keine Katze ihn aushalten könnte, und statt eines mit Europas Höflichkeit übertünchten Grußes werde ich von Ihnen angefahren, noch ehe ich Ihre Klingel berührt?«

Käthe hatte sich während dieses mit dröhnender Baßstimme dahinrollenden Redestromes zunächst überzeugt, daß ihr Besuch den berüchtigten Schlafrock daheim gelassen hatte und einen Anzug wie andere Menschen trug, wenn auch einen sehr schäbigen, sehr wenig weiße Wäsche zeigenden: aber eine Art Leibrock, den kein Winterpaletot deckte, umhüllte doch seinen enormen Körper mit einer schwachen Prätension von gentlemanliken Anstand. In ihrer nicht ganz ungerechtfertigten Angst, daß die andern Stockwerke des Hauses herbeieilen dürften, der dröhnenden Baßstimme zu lauschen, die einen die vornehme Ruhe unliebsam unterbrechenden Lärm verursachte, fand sie, daß es geraten sei, höflicher mit dem ungebetenen Gaste zu reden.

»Jawohl, Sie haben vollständig recht,« rief sie hastig. »Bitte, wollen Sie nicht eintreten? Guten Tag, Herr Doktor – es ist wirklich sehr freundlich von Ihnen, sich hierher zu bemühen – – na, zum Kuckuck, Sie müssen doch gesehen haben, daß mir nur der Schreck so in die Glieder gefahren war.«

»Schreck vor mir, vor Daniel Schimpfkäse?« lächelte der Koloß nun schon hinter der glücklich geschlossenen Vorsaalthür. »Gnädige Gräfin, Daniel Schimpfkäse hat in seinem Leben noch keinem Wurm etwas zuleide gethan.«

»Na, das ist nett von Daniel Schimpfkäse,« gab Käthe wütend zurück, indem sie überlegte, wohin sie den Menschen führen sollte. Denn hier im Korridor konnte sie doch nicht mit ihm stehen bleiben. In ihr Zimmer? Der Kerl stank so nach kaltem Tabakrauch, daß er ihr's für Stunden hinaus verpesten würde. In den Salon? Damit Tante Kuki ihn vielleicht dort fand, wenn sie unerwartet zurückkehrte? Halt, neben dem Schlafzimmer lag Horsts Ankleidezimmer, dort konnte man noch vor Abend die Fenster aufmachen. Ja, das war eine Idee. »Bitte hier einzutreten,« sagte sie, die betreffende Thür öffnend, indem sie voranging und die Gasflamme über dem Tisch in der Mitte entzündete. Das Zimmer war nur mäßig groß, aber ganz nett eingerichtet. An dem Tisch, der mit Toilettengegenständen und Militäreffekten zwar etwas wild überhäuft war, weil der Bursche noch nicht aufgeräumt hatte, standen zwei bequeme, ältere Fauteuils, an den Wänden hatte ein dito älteres Schlafsofa Platz gefunden, eine Waschtoilette, ein Toilettenspiegel zwischen den Fenstern, und ein enorm großer, zweiteiliger Kleiderschrank barg die Militär- und die Civilanzüge Graf Kirchwalds.

Käthe deutete aus einen der Fauteuils und setzte sich selbst auf die Lehne des andern.

»Sie sind wegen der chiffrierten Billets gekommen, nicht?« fragte sie, zitternd vor Ungeduld.

»So ist es – und ich habe die Lösung der Chiffren mitgebracht,« bestätigte Dr. Schimpfkäse mit würdevollem Triumph.

Käthe fuhr wie gestochen empor.

»Wo? Geben Sie her – schnell doch!« rief sie atemlos, mit blitzenden Augen.

»Sogleich, meine Gnädigste,« winkte Dr. Schimpfkäse graziös mit seiner fetten Rechten ab. »Lassen Sie mich der Auslieferung nur vorausschicken, daß die Chiffren in der That, wie ich vermutet hatte, nach drei verschiedenen Systemen angewendet sind. Dennoch werden Sie es begreiflich finden, wenn ich sage, daß meine Aufgabe keine ganz leichte war, und nur ein Experte von meinen Kenntnissen und Erfahrungen konnte es ermöglichen, den Schlüssel zu finden. Infolgedessen –«

Hier fuhr Käthe, die nur mit Mühe einen Ausbruch ihrer Ungeduld unterdrückt hatte, sichtlich zusammen, denn ihr für alle Nebengeräusche trotzdem weit geöffnetes Ohr hatte gehört, wie die Entreethür von Außen durch einen Drücker geöffnet wurde und ein spornklirrender Schritt das Entree betrat und jetzt hörte sie gar die Stimme ihres Gatten, der den Diener fragte, ob die Herrschaften zu Hause seien.

»Mein Mann!« unterbrach sie die Rede des Doktors im Flüsterton. »Still, kein Wort weiter, er darf nicht wissen, daß Sie hier sind!«

Dem Dr. Schimpfkäse blieb thatsächlich der Mund offen stehen vor Erstaunen.

»Aber –,« brachte er endlich, selbst unwillkürlich flüsternd, hervor.

Käthe fuhr sich mit beiden Händen in die Haare.

»Er darf Sie hier nicht finden und wird wahrscheinlich gleich hereinkommen,« tuschelte sie mit wildem Blick. »Sie müssen verschwinden, verduften, zum Fenster hinausspringen –«

»Und mir alle Knochen brechen?« flüsterte Dr. Schimpfkäse entrüstet zurück. »Lassen Sie ihn doch kommen, was soll er mir denn thun? Bin ich zu einem Rendezvous mit Ihnen hier?«

»Er darf Sie hier nicht finden,« gapste Käthe verzweifelt. »Fort mit Ihnen, oder er massakriert Sie! Kriechen Sie unter das Sofa –«

»Machen Sie mich erst dünn genug dazu,« schnob der Doktor, den nun eine sichtliche Angst ergriff und der sich, aufspringend, wild umsah.

»Er mordet Sie, wenn er Sie hier findet,« versicherte Käthe in höchster Aufregung. »Halt – ich hab's! Schnell hier in den Kleiderschrank, aber fix – ich lasse Sie dann wieder heraus!«

Damit hatte sie auch schon die Civilabteilung des großen tiefen Möbels geöffnet, der Doktor kletterte pustend vor Angst und Aufregung hinein und Käthe hatte auch eben nur die Doppelthür wieder geschlossen und drehte gerade den Schlüssel um, als auch die Thür aufging und Graf Kirchwald in ihrem Rahmen erschien.

»Ach, hier bist du, Käthe?« sagte er gemütlich. »Ich habe dich schon in allen Zimmern gesucht – bin heut' mal etwas früher heimgekehrt. Was machst du denn da?«

»Ich?« fragte Käthe puterrot im Gesicht. »O, ich habe doch heut' früh auf deinen Wunsch deinen großen Jagdpelz aus der Mottenkiste geholt, und da hab' ich bloß nachgesehen, ob ihn der Bursche auch in den Schrank gehängt hat!«

»O, ich danke dir,« sagte Graf Kirchwald herzlich. »Das ist mir sehr lieb, denn die Jagd im Grunewald ist schon für morgen früh angesagt, und Boob hat mir gestern Abend noch geschrieben, daß das Rendezvous eine Stunde früher ist, als sonst. Um sieben Uhr – das heißt ich denke doch!«

Damit zog er aus dem Ärmelaufschlag seines Überrockes – den grünen Brief mit dem Johanniskäfer darauf, den die Post ihm gestern Abend gebracht, und aus dem Couvert vor Käthes sichtigen Augen das gleiche grüne Blatt!!!!

»Dieser – dieser Brief ist von Boob?« stotterte sie ganz entgeistert.

»Ja – 's ist richtig, Rendezvous zur Jagd um sieben Uhr,« las Graf Kirchwald ohne Käthes Aufregung zu bemerken und warf das Briefblatt auf den Tisch.

»Der – grüne – Brief – von – Boob?« wiederholte Käthe mit merkwürdig langem Gesicht.

Graf Kirchwald lachte.

»Ja, der gute Boob bedient sich immer solch' excentrischen Modepapiers, genau wie ein Backfisch,« meinte er. »Ich muß jedesmal lachen, wenn unter den Postsachen solch' eine grüne Raupe ankommt, die förmlich um Beachtung schreit. Na, jedes Tierchen hat eben sein Pläsirchen!«

»Aber die Anna –,« stotterte Käthe unbedacht, doch ehe noch Graf Kirchwald fragen konnte, was sie gesagt, klopfte es an die Thür und der Bursche erschien, eine silberne Platte, mit Schlagsahne-überdeckter Torte darauf, in beiden Fäusten haltend.

»Der Konditor läßt sich scheen empfehlen und hier wäre die Himmelstorte,« meldete er strahlend.

Auch das noch! Kaum wissend, was sie that, nahm sie dem Burschen, der umgehend wieder verschwand, die Torte ab und sah sich nach einem Plätzchen dafür um. Der Tisch war voll und die Gegenstände darauf durften auch nicht mit der Schlagsahne in zu nahe Nachbarschaft gebracht werden. Der Waschtisch war kein geeigneter Platz für eine Torte, aber Horst konnte am Ende damit aus dem Zimmer gelockt werden. In diesem Augenblicke ereignete sich etwas Unerwartetes, Sonderbares – es nieste nämlich jemand wie aus weiter Ferne und doch so stark, so entsetzlich, daß der Kleiderschrank davon zu zittern schien.

»Nanu?« sagte Graf Kirchwald aufhorchend und Käthe fühlte eine solche Schwäche über sich kommen, daß sie die Platte mit der Torte rasch auf den nächststehenden Fauteuil stellen mußte, denn ihr ahnte das Was, Wer und Warum dieses Ausbruches! In dem Schrank hing wirklich der Jagdpelz, von dem sie gesprochen, und der war mit weißem Pfeffer eingemottet gewesen und wahrscheinlich nur ungenügend ausgeklopft worden und der unselige Schimpfkäse mußte den feinen, beißenden, kitzelnden Staub einarmen, und – – – »Hapschi! Atsch! Hatschuh! Abschick! – –!« dröhnte es in dem Schrank in unaufhaltsamer, ununterdrückbarer Reihenfolge los, daß das ganze schwere Möbel hin- und herschwankte, als wäre ein Erdbeben unter ihm losgebrochen.

Mit einem Schritt stand Graf Kirchwald vor dem Schrank und schloß ihn auf, doch wäre er fast hinten über gestürzt, denn aus der geöffneten Thür flog ihm die Gestalt eines ungeheuer dicken Mannes in die Arme, das fette, glattrasierte Gesicht blau von der Anstrengung des unterdrückten Niesens und des Luftmangels in dem geschlossenen Raum, die kleinen Schweinsaugen verschwollen und überströmend von unfreiwilligen Thränen, die Weste nur noch unvollkommen geschlossen mit einem einzigen Knopf, der bei der Wucht der Körpererschütterung nicht abgeplatzt war, wie seine sechs Kollegen. Zum Glück indes hielt Graf Kirchwald den Anprall noch halbwegs auf und brachte den Mann auf seine Beine.

»Herr!« begann er, aber der Fremde wehrte mit beiden Armen fuchtelnd ab, indem er von neuem zu niesen begann, zehn-, zwanzigmal hintereinander. Dabei torkelte er kraft und willenlos umher und sank zuletzt ächzend und stöhnend in den einen Fauteuil.

Stumm hatten Käthe und Kirchwald den Paroxismus abgewartet; nun der Ausbruch scheinbar vorüber war und der bei alledem doch arme Mensch seine zur doppelten Größe aufgelaufene Nase mit einem höchst zweifelhaft reinem, rotem Taschentuche zu bearbeiten begann, da hielt Kirchwald den Moment für gekommen, Aufklärung zu heischen.

»Herr,« rief er, »wollen Sie mir jetzt sagen, wer Sie sind und was Sie dort in meinem Schranke zu suchen haben?«

»Fragen Sie Ihre Frau,« krächzte Dr. Schimpfkäse, in welchem sich nun auch der getretene Wurm zu krümmen begann. »Unter Drohungen hat sie mich dort hinein gezwungen und Pfeffer atmen lassen! Im übrigen sitze ich hier auf etwas,« fügte er mit zurückkehrendem Gefühl für sonstige äußere Einwirkungen hinzu, und sich mühsam erhebend enthüllte er den entsetzten Blicken des Paares das von ihm empfundene Etwas: nämlich die Himmelstorte, die sich in ihren ganzen köstlichen Bestandteilen aus Schlagsahne, Himbeergelee, Aprikosenmarmelade, Vanille- und Croquantecreme samt den zu Atomen zerquetschten Kuchenteigscheiben auf seiner Kehrseite befand, während die stark verbogene silberne Platte mit einem Knall auf den Boden fiel, dem Gesetze der Schwere gehorchend.

»Donnerwetter,« schrie Dr. Schimpfkäse, über seine Schulter rückwärts blickend. »Bin ich denn hier in eine Räuberhöhle geraten, daß man mir Fallen legt, mich in einen Schrank mit Pfeffer einsperrt und dann mit klebrigen Massen besudelt? Herr, dafür werde ich Genugthuung fordern,« brüllte er in ehrlicher Entrüstung los.

Käthe war längst halb ohnmächtig in den andern Sessel gefallen und sah mit Entsetzen, daß sich ihres Gatten Gesicht nun mit dunkler Röte bedeckte. Doch was sie für Zorn annehmen mußte, dessen Ausbruch unmittelbar bevorstand, war nur die gewaltsame Unterdrückung einer krampfhaften Lachsalve. Kirchwald hat später oft erklärt, daß er nicht wußte, wie er es gemacht, ihrer Herr zu werden, doch Thatsache war's, daß es ihm gelang, den Ausbruch zu unterdrücken und statt aller Antwort rief er den Burschen herbei, dem er befahl, den Fremden von dem zu reinigen, was noch vor fünf Minuten eine Himmelstorte gewesen. Mittels eines Lappens und anderer feuchter Tücher gelang das Werk zwar unvollkommen, aber doch einigermaßen unter dem Schweigen des Kirchwaldschen Ehepaars, während der Bursche eins ums andere Mal rief: »Nee ak, nee ak über die scheene Torte,« und Dr. Schimpfkäse grunzende, drohende und stöhnende Töne aus seinem Brustkasten heraufholte.

Als der Bursche sich dann endlich kopfschüttelnd mit seinen Lappen, der verbogenen Platte und dem lieblich mit Himmelstorte verziertem Fauteuil entfernte, da fand Dr. Schimpfkäse Worte.

»Mein Anzug ist unrettbar ruiniert,« wetterte er los.

»O nicht doch,« erwiderte Kirchwald höflich. »Spindler reinigt das ausgezeichnet!«

»So? Und bis der Anzug von Spindler zurück ist, soll ich wohl im Bett liegen bleiben?« fragte Dr. Schimpfkäse ironisch. »Armut ist keine Schande und darum erniedrigt es mich nicht zu gestehen, daß ich nur diesen einen Anzug besitze!«

Käthe stöhnte leise auf, aber Graf Kirchwald verstand den Wink mit dem Zaunpfahl.

»Nun, die ›Goldene 110‹ kann in solchen Fällen aushelfen,« sagte er, das Portemonnaie ziehend, »und wenn ich Ihnen hierfür einen kleinen Schadenersatz –«

»Ein kleiner wird bei meiner Figur nicht weit reichen,« fiel der Koloß ein.

Kirchwald zog unbewegt einen Fünfzigmarkschein aus seinem Portemonnaie, wozu ihn weniger die Torte, als der Pfeffer im Schranke veranlaßte.

»Das dürfte genügen,« meinte Dr. Schimpfkäse nachlässig, indem er den Schein an sich nahm und in eine fettige Brieftasche praktizierte, in der Käthe die grünen Billets leuchten sah. Und er nahm diese, wog sie einen Moment mit wichtiger Miene in der Hand und legte sie auf den Tisch.

»Hier,« sagte er, »sind die drei Billets, Frau Gräfin! Ich habe mir erlaubt, die Lösung mit Blei direkt unter die Chiffren zu schreiben. Mein Honorar beträgt à 20 Mark, also abzüglich des mir vorausgezahlten Vorschusses 50 Mark!«

Kirchwald sah kopfschüttelnd erst die grünen Zettel an, dann den wie ein antiker Imperator dastehenden Schimpfkäse und zuletzt seine Frau.

»Stimmt es, Käthe?« fragte er ruhig.

Aber Käthe befand sich in einer geistigen Verfassung, welche sprachraubend wirkt. Sie nickte nur bejahend.

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, nahm er einen zweiten Fünfzigmarkschein aus dem Portemonnaie und reichte ihn dem gierig zugreifenden Schimpfkäse hin.

»Haben Sie noch sonstige Forderungen?« fragte er mit jener Höflichkeit, hinter der sich die Lust verbirgt, die Muskeln des rechten Armes zu einer kräftigen Ohrfeige in Bewegung zu setzen.

»Vorausgesetzt, daß die Erschütterung meines Systems keine ärztliche Behandlung nach sich zieht, nein,« war die unverfrorene Antwort und Dr. Schimpfkäse spielte mit dem einzigen Knopf seiner Weste.

»Ah!« machte Kirchwald, »ich vergaß, daß Sie außer Spindler noch den Schneider werden für Ihren Anzug gebrauchen müssen. Meinen Sie, daß für beide Instanzen fünf Mark genügen dürften?«

Der Koloß hob sein fettes Haupt empor, schloß die Augen und rechnete. »Sagen wir sieben Mark, dann reicht es bestimmt,« meinte er dann wohlwollend.

Kirchwalds Gesicht überzog sich wiederum mit einer tiefen Röte, aber er blieb vollkommen ruhig und zog ein Zehnmarkstück aus dem Portemonnaie. »Da Sie mir indes jedenfalls noch Abnützung Ihres Schuhmaterials in Anrechnung bringen werden für Ihren Weg hierher, so erlaube ich mir Ihnen zehn Mark zu überreichen,« sagte er mit überwältigender Höflichkeit und setzte plötzlich mit einem enorm scharfen Ton hinzu: »Und nun habe ich die Ehre, Ihnen einen guten Abend zu wünschen, ehe es mir einfällt, bei unsrer genauen Abrechnung nun auch meinerseits die zersessene Torte und die Reparaturkosten für die Platte in Abzug zu bringen!«

Dr. Schimpfkäse riß seine kleinen Schweinsaugen zu unnatürlicher Größe auf, aber er begriff, daß es nun Zeit für ihn sei, zum Rückzug zu blasen, trotzdem wappnete er sich noch einmal mit seiner ganzen Würde, das heißt mit dem, was er dafür hielt.

»Ich habe mich in Ihnen getäuscht, mein Herr,« sagte er mit Pathos, »denn ich sehe, daß Sie einen von Pfefferdunst halb erblindeten Menschen auch noch dafür verantwortlich machen wollen, wohin er sich setzt. Ob nun gerade ein Sessel der passende Ort zur Aufbewahrung einer Torte ist –«

Weiter kam er nicht, denn Kirchwald hatte die Thür geöffnet und Dr. Schimpfkäse verstand diesen stummen Einwand doch so gut, daß er plötzlich verstummte und mit einer Verbeugung vor Käthe schnell das Zimmer verließ, dem voranschreitenden Herrn des Hauses über den Korridor folgte und ohne weiteres seine enorme Gestalt durch die geöffnete Glasthür zur Treppe schob. Hier, wo ihm das Terrain öffentlich, mithin auch sicherer schien, kam ihm seine ganze Unverschämtheit zurück.

»Ich habe im Drange der Ereignisse ganz verfehlt, mich Ihnen vorzustellen,« sagte er großartig. »Mein Name ist Schimpfkäse – Dr. Daniel Schimpfkäse! Vielleicht haben Sie die Güte, mich dem Kreise Ihrer Bekannten als Experten für Geheimschriften, zum Aufsetzen von gerichtlichen Klagen und zur Verfassung von Flugschriften jeglicher politischen Richtung in empfehlende Erinnerung zu bringen.«

Die großartige Unverschämtheit des Kerls machte, daß Kirchwalds gerechter Zorn verrauchte und einer unwiderstehlichen Lachlust Platz machte.

»Ich werde nicht verfehlen, Sie rühmend ob solcher Vielseitigkeit zu nennen,« sagte er. »Nur zweifle ich, daß meine Bekannten sich als eine ebenso lukrative Kundschaft erweisen dürften, als ich es bin. Guten Abend.«

Damit klappte er kurz die Entreethür zu und kehrte in sein Ankleidezimmer zurück, wo er Käthe noch in ihrem Sessel sitzend fand in einem Zustand gänzlicher Verstummung und geistigen Stumpfsinns, der beredt ihre völlige Geknicktheit verkündete.

»Den Kerl wären wir glücklich los,« sagte er, die Uhr ziehend. »Onkel und Tante Diestelcamp müssen jeden Augenblick zurückkommen und es dürfte Zeit werden, uns für unsere Gäste fein zu machen. Na, Käthe, mach' kein solches zerknirschtes Gesicht – du hast in deinem Leben schon so viel gute Streiche geliefert, daß man schon 'mal was Bares für einen weniger gelungenen bezahlen kann. Soweit ich bisher klug aus der Geschichte geworden bin, hast du dir von dem schmierigen Kerl mit dem unästhetischen Namen etwas dechiffrieren lassen, das, wie ich sehe, dort auf den grünen Zetteln steht. Wie du dazu gekommen bist, ahne ich nicht, außer du müßtest denn meinen Papierkorb danach ausbaldovert haben. Du wirst rot? Na, der Papierkorb ist schließlich ein öffentliches Lokal und was da hinein kommt, hat man vogelfrei gemacht!«

Käthe stöhnte auf.

»Ach, Tante Kuki hatte solche niederträchtige Bemerkungen gemacht,« jammerte sie.

»Tante Kuki? So, so!« sagte Kirchwald mit dem Kopfe nickend. »Und daraufhin hast du diese grünen Wische gesucht und gefunden, was? Aber, Käthe, meinst du nicht, daß es einfacher und kürzer gewesen wäre, mich danach zu fragen?«

Käthe wurde rot und schlug die Augen nieder.

»Ich mochte nicht, weil der eine Brief doch die Unterschrift ›Anna‹ trug,« murmelte sie.

Kirchwald pfiff leise vor sich hin.

»Aha! So, so!« meinte er lächelnd. »Na, und diese ›Anna‹ schien der Tante Kuki recht zu geben und darum wandtest du dich lieber an dieses dicke Scheusal. Gut, ich fange an zu begreifen, nur das bleibt mir unverständlich, warum du den Menschen in den Schrank dort gesperrt hast!«

»Weil er zu dick war, um unter das Sofa zu kriechen,« sprudelte Käthe jetzt los, »und weil du ihn nicht sehen solltest – – Herrgott, das ist doch klar wie Tinte!«

»Na ja, natürlich,« stimmte ihr Kirchwald bei. »Aber nun alles so fabelhaft einfach erklärt ist, wollen wir mal sehen, ob uns dieser billige Schriftgelehrte die drei Liebesbriefe von der ›Anna‹ auch richtig dechiffriert hat. Ich habe die Lösung hier in meinem Taschenbuch stehen und werde sie dir vorlesen. Nimm du indes die Zettel und vergleiche.«

Mechanisch griff Käthe nach den grünen Unglückszetteln und entfaltete sie.

»Also Nr. 1,« begann Kirchwald, sein Taschenbuch aufschlagend. »Spiritus, merkst du was? Boob!«

»Spiritus, merkst du was? Boob,« wiederholte Käthe, mit langem Gesicht den ersten Zettel fallen lassend.

»Nr. 2. ›Das ist die zweite Methode unserer Geheimschrift. Boob,‹« las Kirchwald vor.

»Das ist die zweite Methode unserer Geheimschrift. Boob,« las Käthe von ihrem Zettel ab.

»Nr. 3. ›Hier Nr. drei. Heut' Abend acht Uhr beim Schweren Wagner. Boob,‹« las Kirchwald, sein Buch zuklappend.

»Hier Nr. drei. Heut' Abend acht Uhr beim Schweren Wagner. Boob,« las auch Käthe ab und setzte aus tiefem Herzensgrunde hinzu: »O, ich Heupferd!«

»Also alles richtig – der Mann hat sein Geld verdient,« konstatierte Kirchwald mit feinem Lächeln. »Nun muß ich noch erklären, daß Boob mich in die Kunst des Chiffrierens eingeweiht hat und mir zur Übung diese Briefe auf seinem momentan bevorzugten Briefpapier schrieb. Wie du siehst, wird nun sein Name nach den drei verschiedenen Methoden in › Anna‹, › Cqqc‹ und › Znnz‹ verwandelt, beziehungsweise umbuchstabiert. Die Methoden scheinen mir alle indes den Nachteil zu haben, daß sie von in der Chiffreschrift Erfahrenen zu lesen sind. Doch halt, draußen klingelt es – das sind Diestelcamps und es wird Zeit, uns für unsere Gäste zu rüsten. Da diese grünen Briefe uns nun aber außer 120 Mark bar, einem schwarzen Verdachte in Tante Kukis liebevoller Seele und einigem Herzweh deinerseits auch unser heutiges Dessert gekostet haben, so dürfte es gut sein, wenn du die Köchin zu einem Ersatz zu bereden suchst, also zu der mit Recht so beliebten Not-Plinze oder einer Omelette-soufflée. Wie denkst du darüber?«

»Natürlich denke ich,« versicherte Käthe schnell aufspringend. »Und, sag' mal Horst, darf ich dir, ehe ich gehe, erst einen Kuß geben?«

Kirchwald breitete die Arme aus.

»Zwei, Käthe,« rief er, »das heißt die Zahl wird überhaupt in solchen Fällen nicht limitiert!«

Käthe drückte ihr glühendes Gesicht einen Moment fest an des Gatten Brust und dies stumme Verfahren machte mehr wieder glatt, als stundenlange Aussprachen, eidliche Versicherungen und Ausbrüche gekränkter Unschuld.

»Aber,« sagte sie, als sie sich losmachte aus seinen Armen, »aber deine Tante Kuki, die mir längst gestohlen werden konnte, kann mich von jetzt ab in Jericho suchen.«

»Da wir zusammen reisen – mich auch!« versicherte Kirchwald mit Nachdruck.

* * *

Noch am selben Abend hatte er übrigens eine Unterredung mit dem Kammerherrn, welche diesen würdigen und durchaus einsichtigen Gentleman veranlaßte, seiner lieben Frau vorzustellen, daß die Berliner Luft nicht bekömmlich für ihn und seinen chronischen Schnuspfen sei und er im übrigen früher als er gedacht seinen Dienst am Hofe zu Nordland wieder übernehmen müsse. Dieser diplomatische Eingriff in Tante Kukis Pläne veranlaßte denn auch die Abreise des Diestelcampschen Paares am Nachmittag des übernächsten Tages und Kirchwald brachte seine Gäste nebst einem Rosenstrauß für Tante Kuki nach dem Anhalter Bahnhof.

Als er von dieser Expedition heimkehrte, fand er Käthe an ihrem Schreibtisch vor; er wartete geduldig, bis sie die Feder hinlegte.

»Ein Brief nach Hellberg?« fragte er dann.

»Nein, ein Brief an Tante Kuki,« war die überraschende Antwort.

»Alle Wetter, das nenne ich innige Liebe,« meinte er lachend. »Tante Kuki ist noch keine fünfzig Kilometer weit, und schon drängt es dein Herz an sie zu schreiben. Darf man diese Epistel lesen?«

»Man darf,« sagte Käthe und reichte ihm das Blatt.

»Liebe Tante!« las er laut vor, »du hast unter Anwendung gröblicher Injurien von mir zu erfahren gesucht, wie die Hofdame geheißen, die dein Mann am Hofe von Nordland heiraten wollte. Ich hab' dir den Namen damals nicht gesagt, weil du ihr alle möglichen Ehrentitel gegeben hast, aber ich bin dir für die Verdächtigung Horsts in betreff der grünen Briefe noch was schuldig und das löse ich hiermit ein. Die Hofdame hieß Katharina Gräfin Hellberg und heißt heut' deine dich hochverehrende Nichte

Käthe Kirchwald.«

Graf Kirchwald lachte laut auf.

»Tante Kuki scheint stark auf deinem Kerbholze zu stehen,« meinte er ergötzt, »und Rache ist süß, süßer noch als Himmelstorte. Ich bin jedoch dafür, daß dieser Brief nicht abgeht, denn wenn du die Tante damit auch gründlich los wirst – der arme Diestelcamp hat das Nachsehen davon und die Eifersuchtshölle auf Erden sein Lebtag. Und eigentlich hat er sich's um dich verdient, daß du um seinetwillen Rücksicht nimmst. Meinst du nicht auch?«

» Bon,« sagte Käthe rot werdend. »Du kannst den Brief wieder zerreißen, aber das sag' ich dir, wenn sie wieder kommt, mir das Leben zu verbittern, dann erfährt sie, was darin geschrieben steht. Es ist mein letzter Trumpf, in der Notwehr ist alles erlaubt.«

Kirchwald warf die Fetzen des Briefes in den Papierkorb.

»Heut' Abend trinken wir Sekt, Käthe,« rief er vergnügt, »und wenn du schon mal im Schreiben bist, dann setz' dich hin und lade Boob dazu ein. ›Die Anna‹ hat's zwar nicht verdient, daß wir sie noch extra fetieren, aber schließlich ist sie doch ganz unschuldig daran.«

Käthe zog ein Gesicht.

»Du, Horst, gestichelt wird nicht,« sagte sie pikiert. »›Die Anna‹ kann ein anderes Mal kommen, heut' wollen wir den Sekt allein trinken. Wenn du noch 'mal auf die gräßliche Geschichte anspielst, dann muß ich denken, daß du mir den jammervoll schnöden Verdacht auf dich nachträgst, aber ich geb' dir mein Ehrenwort, daß ich weniger das gedacht habe, als daß ich Tante Kuki beweisen wollte, welch' alte, sich unbefugt einmischende, niederträchtige Giftbolle sie ist.«

»Käthe, ich weiß das alles besser als du – siehst du denn nicht, daß ich dich nur habe necken wollen?«

»Natürlich,« gab Käthe schnell versöhnt zu, indem sie aufsprang und die Arme um ihres Gatten Hals schlang. »Neck' du mich nur weiter, und wenn's wieder 'mal bei mir rappeln sollte, was ich zwar nicht glaube, obgleich man's ja nie wissen kann, dann erinnere du mich nur gleich an ›die Anna‹.«

»Topp,« sagte Kirchwald lachend.

Und damit endete Käthes erstes und wie wir hoffen, einziges Eifersuchtsdrama und wenn das auch keinen Stoff für Ibsen giebt, so kann Käthe positiv nichts dafür.


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