Arthur Achleitner
Der Finanzer
Arthur Achleitner

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VI.

Lergetbohrer war am frühen Morgen nach der qualvollen Traumnacht so unschlüssig wie vorher und suchte durch einen Gang ins Freie seiner widerstrebenden Gedanken Herr zu werden. Flock sprang munter voraus. Der Weg führte an der Weinwirtschaft Wüstelers vorüber, und an der Haustür blieb der Hund wedelnd stehen zum Zeichen, daß er dieses Haus kennt und Verlangen trage, jemandem seinen Morgenbesuch abzustatten. Anton lächelte ob des Gebarens seines klugen Hündchens, und unwillkürlich sandte er einen Blick zu den Fenstern hinauf, wiewohl er nicht weiß, welches Fenster zu Zenzeles Gemach gehört. Dann pfiff er leise dem Hündchen, das nun gleichfalls emporguckte und zögernd gehorchte.

Hinter dem Vorhang stehend hatte das Mädchen das Kommen des Finanzers und das Gebaren Flocks wohl beobachtet und Herzklopfen verspürt. Wie das Hündchen doch dankbar ihrer gedachte! Und Anton hat so sehnsüchtig heraufgeblickt! Großer Gott! Wenn der Mann wüßte, was in der Nacht vorgegangen ist? Kommt er heute wie gestern zur Revision, der Betrug muß entdeckt werden, es kann nicht anders sein!

Und was wird und muß der Finanzer von der Tochter des Steuerdefraudanten denken?!

Schimpf und Schande zum mindesten wird ihr Los sein, wenn sie nicht gar der Mitwissenschaft und Mitwirkung angeklagt wird. Wirr ward es Zenzele im Kopf, Angst und Sorge drücken ihr schier das Herz ab. Hastig kleidet sich das Mädchen völlig an und verläßt das Haus, in welchem die Mägde mählich ihr Tagewerk beginnen.

Wohin? Aufs Geratewohl dem Finanzer nach.

Am Ende der Oberstadt erblickt Zenzi das etwas zurückgebliebene Hündchen Antons, und ein zärtlicher Ruf lockt es heran. Flock guckt und erkennt nun seine Pflegerin. Freudig bellend springt er herbei und hüpft an der herrlichen Gestalt des Mädchens wie toll hinauf, fällt purzelnd nieder und springt wieder auf, bellend, daß es weitum gellt.

Anton drehte sich um; heiße Röte färbte seine Wangen bei dem Anblick Zenzeles. Dem Mädchen just jetzt zu begegnen, das steigert die Qual seiner Gedanken ins Ungemessene. Soll er entweichen, feig sich drücken? Nein, er ist sich keiner Schuld bewußt.

Von Flock umsprungen, kommt Zenzi heran, von Lergetbohrer erwartet. Befangen grüßen sich beide. Ein harmloses Gespräch will nicht in Fluß kommen; stumm schreitet das Paar des Weges; Flock lärmt für drei seiner Rasse.

Anton hat sich so weit gefaßt, um sagen zu können, daß der Zufall solcher Begegnung ihn freudig überrasche. Ein forschender Blick Zenzeles bringt ihn sofort wieder zum Schweigen.

Im köstlichen Sommermorgen jubilieren die Vögel, Tauperlen funkeln im Grase, eine erquickend frische Luft weht vom See herein, und harzig duftet der nahe Wald seinen Wohlgeruch aus.

Zenzele bleibt plötzlich stehen, nach Atem ringend.

»Was ist Ihnen?« fragt erschrocken Anton.

»Nichts! Und doch! Eine furchtbare Angst erfüllt mein Denken, mein ganzes Sein!«

»Was ängstigt Sie, mein Fräulein?«

Zenzi schwieg, nur die Lippen zuckten in schmerzlicher Erregung.

Anton starrte auf das bald erglühende, bald bleich werdende Mädchen. Sollte Zenzi von dem gestern entdeckten Betrug im Keller etwas wissen? Fast scheint es so, und unwillkürlich sprach Lergetbohrer die Zahlen »achtundsechzig und dreiundneunzig« aus.

Verständnislos blickte jetzt das Mädchen den Finanzer an.

Anton wußte nicht, wie beginnen; ohne es zu wollen, geriet er mit wenigen Worten in die Sache, indem er sagte: »Die Kontrollfässer werden heimlich aufgefüllt, die zwei Keller stehen vermutlich mit einem Schlauche in Verbindung!«

»Großer Gott! Sie wissen?« schrie Zenzi erschreckt.

»Leider! Und ich finde keinen Ausweg!« Warm fügte Anton hinzu: »Gerne hätte ich Ihnen, Fräulein Zenzi, das hereinbrechende Unheil erspart, aber meine Pflicht schreibt mir nur zu genau den Weg vor, den ich dienstlich beschreiten muß! Ich kann und darf nicht anders handeln, die Anzeige gegen Ihren Vater muß erstattet werden!«

Zenzi schlug schluchzend die Hände vors Gesicht.

»Es ist hart für mich, härter als Sie glauben! Es würde auch nichts nützen, wenn ich – den Dienst verlassen, aus der Finanzwache austreten würde! Die Entdeckung müßte immer noch vor dem Dienstaustritt zur Anzeige gebracht werden. Schweigen wäre da gleichbedeutend mit Teilnahme am – –«

Zenzi weinte in bitterster Herzensqual.

Hilflos stand Anton da, eine Beute schmerzlicher, widerstreitender Gefühle. Wie gern möchte er helfen, retten, und er kann es nicht. Unwillkürlich legte er den rechten Arm wie schützend um Zenzis Schultern; ein wonniges Erschauern durchzuckte ihn. Und das Mädchen schmiegte sich an Anton, als wollte es wirklich bei ihm, an seiner Brust Schutz suchen.

»Zenzele!« rief er bewegt, »verzeih, ich kann nicht anders!«

Schluchzend stammelte das Mädchen: »Ich weiß es! Und doch ist es gräßlich! Gibt es keine Hilfe, keinen Ausweg? O, Anton!« Wie wenn dieser Ausruf ernüchtert hätte, entwand sich Zenzi dem umschlingenden Arm, trat zurück, und bleich, mit bebender Stimme sprach sie: »Wir müssen uns trennen, getrennt bleiben für immer!«

»Zenzi, geliebtes Mädchen!« schrie in höchster Qual Anton auf.

»Es muß sein, Anton! Leb wohl!« Und Zenzi enteilte mit raschen Schritten zur Stadt zurück.

Unschlüssig stand Flock eine Weile, dann sprang er dem Mädchen schmeichelnd nach und begleitete es in die Stadt.

Wie vernichtet blieb Anton stehen, fassungslos.

Unerbittlich rief die Pflicht zum Dienst.

Lergetbohrer begann die Kontrolle mechanisch, kaum sich der Diensthandlung bewußt, bei den ihm zugewiesenen Wirten. Herzklopfen empfand er, als der Weg ihn zu Wüsteler führte. Von Zenzele war nichts zu sehen. Das Mädchen hat sich in die Stube im ersten Stockwerk zurückgezogen. Wüsteler und der Schenkbursch bedienen die Gäste.

Unschlüssig stand Anton im Flur. Ob er die Revision vornimmt oder sie unterläßt, es bleibt sich gleich; die gestrige Konstatierung genügt bereits zur pflichtmäßigen Anzeige. Wie der Ertrinkende sich an den Strohhalm klammert, so hoffte der Finanzer noch, es könnte vielleicht heute der Faßinhalt mit dem Revisionsbogen stimmen. Aber das Geständnis der Tochter! Es nützt alles nichts, die Anzeige muß erstattet werden.

Anton verließ die Wirtschaft, ohne revidiert zu haben; es war ihm klar geworden, daß eine Kontrolle jetzt keine Übereinstimmung mehr ergeben könne, nachdem gestern schon der Betrug zu konstatieren war. Ihm erschien der Gang zum Finanzwachkommissär wie ein Wandern zum Schafott. Dieser unglückselige, unerbittliche Dienst!

Vor dem Vorgesetzten stand Anton schon eine Weile, ohne den Rapport zu erstatten. Der Kommissär guckte verwundert und ließ dem Oberaufseher, der verstört zu sein scheint, Zeit, sich zu sammeln. Endlich riß aber dem Chef doch die Geduld, und unwillig rief er: »Was wollen Sie denn bei mir?«

Unsicher und zögernd meldete Lergetbohrer die gemachte Entdeckung und sprach den Verdacht aus, daß in Wüstelers Keller die Weinauffüllung vermutlich in der Nacht mit Hilfe eines Schlauches aus dem Nachbarkeller erfolge.

Der Kommissär vermochte einen Ruf der Überraschung nicht zu unterdrücken. Sofort stellte er auf Grund der Katasterverzeichnisse fest, daß das an Wüstelers Eigentum anstoßende Haus dem Kaffeesieder Merkle gehöre und für dessen Keller niemals eine Weineinlagerung angemeldet worden sei. Das verdichtet den Verdacht auf Steuerhinterziehung zur Gewißheit, es ergibt sich die Notwendigkeit einer Hausdurchsuchung.

Anton muß eine Depesche zum Telegraphenamt tragen, in welcher von der Feldkircher Oberbehörde die Erlaubnis zur Hausdurchsuchung erbeten wird. Sodann wurde vom Bürgermeisteramt die Delegierung eines Gemeinderatsmitgliedes zur Teilnahme an der Hausdurchsuchung erbeten. Nach wenigen Stunden lief die telegraphische Erlaubnis ein, und die Hausdurchsuchung wurde auf Nachmittag zwei Uhr festgesetzt. Unauffällig begaben sich die delegierten Mannschaften, teils in Zivil, teils in Uniform, in Wüstelers Wirtschaft. Der vom Gemeinderat entsendete Zeuge fand sich ein, gleichzeitig erschien der Kommissär, gefolgt vom Oberaufseher, der in einem Zustand der Betäubung mechanisch eintrat.

Der Wirt wurde aus der Gaststube geholt, nachdem alle Ausgänge sowohl bei Wüsteler wie bei Merkle besetzt waren.

Beim Anblick der Kommission erbleichte der Wirt, und zitternd überreichte er die geforderten Kellerschlüssel. Ist es einmal so weit, daß Hausdurchsuchung vorgenommen wird, nützt alles Protestieren nichts mehr.

Wüstler wurde gezwungen, den Führer in den Keller zu machen; bei Kerzenlicht stieg die Kommission hinab.

Anton mußte mit dem Faßmesser eine Kontrolle vornehmen, die jedoch bedeutungslos bleiben mußte, da ja in der Nacht die Fässer aufgefüllt wurden und über Vormittag Wein zum Ausschank gebracht worden ist. Die Ziffern im Revisionsbogen konnten nicht stimmen.

Unterdessen durchsuchte der mit allen Kniffen wohlvertraute Kommissär die Kellerwände, und es dauerte nicht lange, hatte er auch schon das Verbindungsloch in der Kommunmauer entdeckt. Von der Mannschaft forschten einige Finanzer nach Mundrohr und Schlauch, und bald waren diese Gegenstände aus den Verstecken herbeigeschafft.

Wüsteler möchte sich verkriechen, wenn es nur ginge. So schlau war der Plan ausgeheckt, und durch diesen Finanzer kam alles auf! Der Kommissär hat genug gesehen. Die Kommission begab sich aus dem Keller hinauf in die Wirtschaftsräume. Wüsteler mußte, von zwei Finanzern begleitet, sämtliche Ausweise und Rechnungen über bezogene Weine beschaffen. Schon ein flüchtiges Überprüfen ließ den Kommissär erkennen, daß Wüsteler seit geraumer Zeit von einer großen Südtiroler Weinfirma eine mehr als zehnfach größere Menge Weines bezogen hat, als angemeldet und versteuert worden ist. Alle Rechnungen lauten auf den Namen Wüsteler, ein Zweifel ist ausgeschlossen. Selbst der Kommissär erschrak über die enorme Menge des bezogenen Weines und die Höhe der Steuerhinterziehungssumme, und unwillkürlich sprach er: »Das wird eine böse Rechnung werden!« Dann kündigte der Kommissär Wüsteler die Verhaftung an und ließ ihn durch zwei Wachleute der Gendarmerie übergeben. Jetzt kam Leben in den Mann, und wütend protestierte er gegen eine solche Behandlung eines steuerzahlenden Bürgers.

Auflachend erwiderte der Kommissär: »Die Steuer haben Sie eben nicht bezahlt, und der ehrenhafte Bürger scheute vor enormen Betrügereien nicht zurück.«

Auf einen Wink wurde Wüsteler, wie er stand, verhaftet und abgeführt.

Die Kommission begab sich nun ins Nachbarhaus, wo Merkle nach Aussage der aufgestellten Mannschaft einen Fluchtversuch gemacht, daran aber verhindert und festgehalten worden ist. Im Keller des Kaffeesieders konnte mit Leichtigkeit festgestellt werden, daß bedeutende Weinmengen sowie das korrespondierende Kellerloch vorhanden sind.

Merkle mußte auf Vorhalt zugeben, daß der vorhandene Wein unversteuert sei und dem Nachbar Wüsteler gehöre.

Der Kommissär forschte weiter: »Wie wurde der Wein eingeführt?«

Merkle schwieg trotzig.

»Gestehen Sie beizeiten! Wüsteler ist überführt und verhaftet! Ein Leugnen kann Ihre Lage nur verschlimmern!«

Der Cafetier stammelte erschrocken: »Wüsteler isch' verhaftet?«

»Ja! Über Ihre Mitschuld kann ein Zweifel nicht bestehen! Der Wein in Ihrem Keller ist nach Ihrem Geständnis Wüstelers Eigentum! Wie wurde der Wein hier eingeführt?«

Merkle ließ nun alle Rücksicht auf den Nachbar und wohl auch seine Hoffnungen auf Zenzis Hand fallen; er gestand, daß die vorhandene Weinmenge im Einverständnis und unter Beihilfe Wüstelers von der Station Schwarzach bei Bregenz nächtlicherweile unter Heu versteckt eingeführt worden sei.

Lergetbohrer, der sich an der Seite seines Vorgesetzten befand, unterdrückte die sich regende Schadenfreude, daß dieser Mann, der bei jeder Gelegenheit seiner Verachtung gegen die Finanzer Ausdruck gegeben, nun vom Schicksal ereilt worden ist.

Hundegebell ertönte plötzlich, die Kellertreppe herab sprang Flock, eilte auf seinen Herrn zu und sprang freudig an demselben empor.

»Was soll das heißen?« fuhr erbost der Kommissär Lergetbohrer an.

»Verzeihung! Mein Hund war zu Besuch drüben und hat wohl Witterung von mir bekommen und ist jetzt nachgelaufen. Ich bitte um Entschuldigung!« Anton bemühte sich, Flock aus dem Keller zu bringen. Doch das Hündchen hatte inzwischen einen Inspektionsgang durch den Keller unternommen und hörte alle Lockrufe nicht.

Eigensinnig schnupperte Flock in allen Ecken, und plötzlich begann er vor einem mit Rupfen und Kartoffelsäcken verdeckten Ballen auffällig zu winseln.

Der Kommissär wurde aufmerksam; einer plötzlichen Eingebung folgend frug er halblaut den Oberaufseher: »Hat der Hund irgendwelche Schulung zum Spüren?«

Lergetbohrer flüsterte: »Ja! Auf Tabak und Kaffee!«

»Forschen Sie sofort dort nach!« befahl der Kommissär. Nach einigen Griffen war ein Ballen Kaffee aus dem Versteck hervorgeholt, und noch weitere Ballen gleichen Inhalts wurden vorgefunden, entdeckt durch Flocks geschulte Nase.

Merkle verwünschte den klugen Hund und sich selber. Sein Schicksal ist besiegelt. Er mußte zugeben, daß die Ballen Kaffee enthalten und aus der Schweiz »zollfrei«, das heißt im Schleichwege, bezogen worden sind. Nun wurde auch dem Cafetier die Verhaftung angekündigt und seine sofortige Abführung betätigt. Die Weinfässer und Kaffeeballen ließ der Kommissär nach dem Hauptzollamt zur weiteren Amtshandlung schaffen. Damit waren beide Hausdurchsuchungen beendet.

Lergetbohrer erhielt zu seinem Entsetzen den Befehl, im Wüsteler Keller die Weinmenge in den am Zapfen liegenden Fässern in einen neuen Revisionsbogen einzutragen und diesen Bogen der Wirtstochter einzuhändigen. Bis zur Bestellung eines amtlichen Aufsichts- und Verwaltungsorganes solle Zenzi die Wirtschaft weiterführen und für die Führung des Revisionsbogens haftbar erklärt sein.

Somit mußte Lergetbohrer im Wüstelerhause zurückbleiben und Verkündiger des hereingebrochenen Unglücks sein, so qualvoll ihm dies auch war.

Zenzi hatte die Gästebedienung zwei Mädchen übertragen und sich zurückgezogen, als sie, von Ahnungen erfüllt, den Kommissär hatte ins Haus treten sehen. Die Kommission bedurfte ihrer nicht, und dessen war die Tochter aufrichtig dankbar. Bange Stunden waren es, die Zenzi in ihrem Stübchen verlebte. Endlich aber wurde die Angst übergroß, ein jähes Entsetzen überkam das Mädchen, und verzweifelt eilte Zenzi die Treppe hinab, um sich zu erkundigen, was vorgefallen sei.

Diesen Augenblick hat Lergetbohrer gefürchtet; sein Leben würde er freudig hingeben, wenn er diesen Moment dem unglücklichen Mädchen ersparen könnte.

Zenzi ward des Finanzers ansichtig, wie Anton den neuen Revisionsbogen an einem Tische der Gaststube ausfüllte. Schleppend begab sich das Mädchen zu ihm und richtete einen traurigen, fragenden Blick auf den geliebten Mann.

Lergetbohrer erhob sich, und mühsam nur vermochte er zu sprechen: »Fräulein Zenzi! Fassen Sie sich!«

»Um Gottes Jesu willen! Was isch' geschehen? Wo isch' der Vater?«

»Erschrecken Sie nicht!«

»Isch' er...?«

Anton nickte traurig.

»Großer Gott!« rief schluchzend das Mädchen und schlug die Hände vor das Gesicht.

»Nicht verzweifeln, Zenzi! Seien Sie stark! Es ist eine böse Geschichte! An Ihnen haftet kein Makel, kein Verdacht! Die Kommission ist fort. Bis ein Verwalter von Amts wegen hier aufgestellt wird, sollen Sie die Wirtschaft weiterführen!«

Unter Tränen rief Zenzi: »So werden wir von Haus und Hof vertrieben?«

Begütigend sprach der Oberaufseher: »Es wird hoffentlich nicht so schlimm werden! Wir müssen uns fügen ins Unvermeidliche! Mir ist es ja selber schrecklich, mein Dienst ist grausam, unerbittlich! Verzeihen Sie mir!«

Zenzi faßte sich etwas und erwiderte: »Sie können ja nichts dafür!«

»Haben Sie Dank, Zenzi, für die gute Meinung. Und so hart es ist, ich muß dienstlich Ihnen auftragen, diesen Revisionsbogen mit den neuen Einzeichnungen zu unterschreiben und Ihnen die gewissenhafte Führung der Kellerwirtschaft zur Pflicht machen! Nur jetzt um Gottes willen kein Versehen! Die Behörde würde mit der größten Schärfe vorgehen!«

Sachgemäß instruierte Lergetbohrer das Mädchen, um jeden Verstoß gegen die Bestimmungen des Verzehrungssteuer-Gesetzes im voraus zu verhindern, und Zenzi dankte ihm hierfür.

Plötzlich richtete sie die Frage an ihn, ob die Kommission auch im Nachbarhause gewesen sei. Anton schien es, als wäre eine leichte Röte über des Mädchens Wangen gehuscht. Er gab bekannt, daß Merkle verhaftet sei.

Zenzi atmete wie befreit auf, sagte jedoch nichts.

Nach der weiteren Mitteilung, daß fürder täglich von Finanzwachleuten Revisionen vorgenommen werden würden, empfahl sich Anton, nochmals bittend, das Unglück nicht ihm zuzuschreiben.

»Ich danke Ihnen, Herr Lergetbohrer! Und wenn ich eine Bitte aussprechen darf: Bitte, kommen Sie selber und nehmen Sie die amtliche Revision vor!«

Jäh drang Anton das Blut zum Herzen. Er mußte einen Augenblick verhalten, bis ihm möglich war zu sagen, daß die Entsendung der Revisionsorgane Sache des Kommissärs sei und die Mannschaft häufig gewechselt werde.

Ein umflorter Blick traf Anton, dann nickte das Mädchen ihm zu und verließ die Stube.

Lergetbohrer begab sich, da seine dienstlichen Obliegenheiten erfüllt waren, in die Kaserne zurück.

Ziemlich rasch arbeiteten die Steuer- und Finanzbehörden.

Nachdem einmal der Tatbestand festgestellt war und die Geständnisse vorlagen, konnte zunächst dem Weinwirt Wüsteler die Rechnung für seine Steuerhinterziehung gemacht werden, die denn auch »gesalzen und gepfeffert« von Rechts wegen ausfiel. Erwiesen war ein unangemeldeter und unversteuerter Bezug von rund tausend Hektoliter Wein. Hiervon sind an ärarischer Verzehrungssteuer zu entrichten 2970 fl., hierzu 50 Prozent Gemeindezuschlag mit 1485 fl., in Summa 4455 fl. Die Oberbehörde dekretierte eine vierfache Strafe für die Steuerhinterziehung im Betrage von 10000 fl. und für das sich ergebende Mehr eine Arreststrafe für Wüsteler.

Der Cafetier Merkle wurde in gleicher Weise als Mitschuldiger bestraft und wegen Kaffeeschmuggels außerdem zu einer Geldstrafe von 600 fl. verurteilt. Beide Steuerdefraudanten sind ruiniert; ihre Besitzungen wurden von der Finanzprokuratur durch das Gericht zur Strafsicherstellung mit Beschlag belegt und die Wirtschaft Wüstelers wie die Kaffeeschenke Merkles durch aufgestellte Vertrauenspersonen bis zur zwangsweisen Versteigerung verwaltet.

Zenzi verließ mit dem ihr verbliebenen Eigentum, von Flock begleitet, an dem Tage das elterliche Haus, an welchem der Verwalter aufzog, und quartierte sich bei Verwandten ein.

Das einst stolze Mädchen ist tief gedemütigt und bettelarm geworden, und der Vater sitzt im Gefängnis, wo er hinreichend Gelegenheit hat, über den weitreichenden Arm der Finanzbehörde Betrachtungen anzustellen.


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