Arthur Achleitner
Der Finanzer
Arthur Achleitner

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V.

In ihrem Kämmerlein um dieselbe Zeit blickte Zenzele andächtig zum Sternenzelt des nächtlichen Himmels empor und seufzte dazu aus übervoller Brust. Weich war die Stimmung wie die Luft, die mild vom See hereinwehte in die stille Stadt. Und die Gedanken waren lind, beseligend; sie flogen von den Sternen flink zur Erde herunter, hinein in ein von der Phantasie traulich gedachtes Stübchen, wo der fesche Mann in grüner Uniform mutmaßlich weilt. Zenzele denkt an Anton, und heiß quillt es auf in der Mädchenbrust. Ja, der Mann gefällt ihr, das ist der Mann, den sie in heimlichen Stunden sich ersehnt, dem sie, die stolze, trutzige Dirn, angehören möchte. Wenn er so vor sie hintreten und mit männlicher Festigkeit ihr Jawort verlangen würde, o, wie gern würde sie ihm an die starke Brust fliegen, seinen Hals umklammern und das liebe Gesicht küssen. Wie das nur so gekommen ist? Sie war ihm doch nicht so eigentlich gut, eher frostig, abstoßend. Dann wieder recht lieb zu ihm. Warum nur? Warum so wechselnd in der Gesinnung, so launenhaft? »Bin ich so wetterwendisch?« frug sich Zenzele selbst. Sie hassen ihn alle, die Gäste, die Wirte; er ist ja nur ein Finanzer, ein Oberaufseher, der mit einem Fuße ob seines gefahrvollen Dienstes auf Patrouille in jeglicher Stunde im Grabe steht und mit dem anderen Fuße im Kriminal, so er seinen Dienst vernachlässigt oder mit den Parteien unter einer Decke steckt. Ein widerwärtiger Beruf! Eines Finanzers Frau? Früher hätte Zenzele schon bei dem leisesten Gedanken an dergleichen aufgelacht. Und heute klingt es gar nicht so übel: »Frau Oberaufseher!« Und der Anton soll gar tüchtig sein, ein gescheiter Mann mit Aussichten, bald Respizient oder gar Bezirksleiter zu werden. Davon war des öfteren unter den Gästen die Rede; der Neid, sagten manche, müsse zugeben, daß in Bregenz ein so schlauer, diensteifriger Finanzer noch niemals gewesen ist. Der Mann werde den Schlauesten noch auf die Schliche kommen und große Anerkennung finden, freilich auf Kosten der Ertappten. Zenzele seufzt abermals; ein schrecklicher Gedanke zieht durch ihr Köpfchen. Wie, wenn der fesche Mann im Dienst gegen den Vater auftreten müßte? Die Finanz ist immer Feind gewesen gegen jeden Wirt. Es wäre schrecklich, wenn es auch in ihrem Hause zu einer Katastrophe kommen würde. Doch nein, hier kann nichts geschehen. Aber der Finanz ist nun und nimmer zu trauen, sie findet immer etwas zum Einschreiten. Ach, wenn Anton, dieser schmucke, charakterfeste Mann, doch beim Militär wäre! Es steht ihm aber auch die grüne Finanzeruniform gut ... Was die Freundinnen wohl sagen würden, wenn .... Hm! Der fesche Mann, ihr Gatte, könnte ja ins Geschäft heiraten, er brauchte dann nimmer diesen Dienst zu versehen, der ihn mit schier jedermann in Konflikt bringt ... Ob Anton aber solchen Beruf aufgeben würde? Ihr zuliebe? Das müßte er tun, jawohl! Die stolze Zenzi und nur ein Finanzer! Das ginge doch nicht gut! Wenn er aber nicht will? Wenn der Mann von Charakter und fester Willenskraft auf seinem Willen besteht, ja, dann müßte die stolze Zenzi nachgeben, weil sie den feschen Mann liebt ....

Ist es wirklich Liebe? Wieder flog der sehnsüchtige Blick zu den Sternen hinauf, und weich flüsterte das Mädchen das Gedicht des so früh heimgegangenen, unvergeßlichen Vorarlbergischen Dichters Vonbun, das, ein kostbares Vermächtnis des Ländchens, in aller Munde verblieben ist:

»Im Himmel gewiß der Ätti wacht,
So ischt decht Hüt e schöne Nacht;
's ischt müslestill uf Feld und Au,
's ischt's Firmament so hell und blau,
Und niena, weder wit noch nah,
Sicht ma ne Wölkli tüslet ka.

Und wo ma luegt, nu Stern an Stern!
No jo, sie b'schauen d' Nacht o gern,
Drum stand' s' der gar so freundli da
Millionenwis der Reihe nah
Und funkelen, es ischt e Pracht,
Ma weiß net, wer's am schönsta macht!

O liebe Zit, wie g'fallst mer guet,
Wie würd's mer decht so g'späßig z' Mut!
Je länger i halt schau und schau
De Sterna na am Himmelsblau,
So möcht' mer 's Herz fast übergah,
Es zücht mi nämm wie Heimweh na.

Es ischt halt o so tusig schö
Dort domma i der wite Höh',
Es schimmeret so mild und klar,
So rüebig still und wunderbar,
Und 's müßt' drum o so liebli si
Im sella Blau bim Sternaschi!

Vielleicht ischt's o e Sternanacht,
Wo mal mi letztes Stündli schlacht,
Und lisli schwebt an Engeli
Im goldne G'wand i d's Kämmerli
Und rüeft: Wach' uf, mi liebe Bue,
Mer wandlen jetzt de Sterna zue!«

Eine Zähre rollte die Wange hinab. Zenzele legte die schmalen Hände vors Antlitz und ließ den Tränen freien Lauf.

Vom Kirchturm kündete die Glocke feierlich-ernst die mitternächtige Stunde.

Ein dumpfes Geräusch wiederholt sich in kurzen Intervallen; es ist, als stöhne ein Ungetüm zutiefst im Hause Wüstelers, ein gewaltig Atmen, unheimlich in steter Regelmäßigkeit. Dann wieder tiefste Ruhe. Zenzi verließ das Kämmerlein, von dem seltsamen Geräusch beunruhigt. Ein herzhaft mutig Mädchen, will sie nachsehen, was im Hause zu später Stunde so rumort. Dem Gestöhne nachgehend, gelangt Zenzele an die angelehnte Kellertür. Sollten Diebe unten sein? Flink huschte das Mädchen die Treppe hinauf, den Vater zu wecken und zu holen. Seine Stube ist offen und leer. Seltsam! Das Haus ist längst geschlossen; sollte der Vater ausgegangen sein?

Wieder eilte Zenzi tapfer und furchtlos hinunter und schlich in den von einer Blendlaterne schwach erleuchteten Keller. Hier ist der Vater emsig beschäftigt, mit Hilfe eines Schlauches Wein in die Fässer zu füllen. Und der Schlauch geht seltsamerweise durch ein großes Loch am Kellerboden hinüber in den Keller des Nachbars, Cafetiers Merkle.

Zenzele unterdrückt einen Schrei der Überraschung bei dieser Wahrnehmung, schleicht näher und verbirgt sich hinter einem Weinfaß.

Ein Zweifel kann nicht bestehen; drüben muß eine Weinpumpe in Tätigkeit sein, der Nachbar pumpt den Wein aus seinem Keller herüber, und der Vater füllt hier die Fässer auf.

Zenzi hat genug gesehen; bebend vor Schreck schleicht sie, während der Vater eifrig fortfährt, die Fässer aufzufüllen, aus dem Keller.

Wie weggeweht ist die frühere weihevolle Stimmung. Als Wirtstochter versteht sie von der geschauten Manipulation genügend, um die Gefahr zu ahnen, welche eine Aufdeckung seitens der Versteuerungsorgane heraufbeschwören muß.

Weh wird dem Mädchen im Kämmerlein bei dem Gedanken, daß der Vater sich eine unlautere Handlung zuschulden kommen läßt; ein Zittern befällt Zenzele im Gedenken, daß Anton ganz gewiß diesem Betrug auf die Spur kommen wird. Was dann?!

Angst und Sorge quält das Mädchenherz durch bange Stunden hindurch, und erst gegen Morgen entrückt kurzer Schlaf Zenzele den peinigenden Gedanken.

Die Nachbarn setzten ihr heimlich Werk fort, bis alle der Steuer unterliegenden Fässer aufgefüllt waren. Auf ein Klopfen des Wirtes an die Kellerwand stellte Merkle drüben das Pumpwerk außer Betrieb, zog den des Mundrohres wieder beraubten Schlauch in seinen Keller zurück, worauf hüben Wüsteler das Loch in der Mauer durch Steine sorgfältig verdeckte, Spundfetzen usw. darauf warf und das Mundrohr in einer finsteren Ecke versteckte. Befriedigt nahm er die Blendlaterne zu sich, löschte deren Licht aus und schlich aus dem Keller. Das gewinnbringende Werk ist für diese Nacht getan, dem Gesetz ein tüchtig Schnippchen geschlagen.

Grinsend suchte der pfiffige Wirt sein Lager auf.


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