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Einundzwanzigstes Kapitel.
Das Halsband

Als Harrison Gridley-Burril fünfunddreißig Jahre alt war, hatte er schon zweimal Konkurs gemacht, so daß er sich ruhigen Gewissens vom Geschäftsleben zurückziehen konnte, noch ehe er fünfzig war.

Mit fünfzig erhielt er wegen seines Geldes den Adelstitel. Um dieses Ereignis zu feiern, gab Lady Gridley-Burril ein Fest. Hierzu lud sie alle die Leute ein, die sie kennenlernen wollte, und auch diejenigen, die sie nicht mehr länger kennen mochte, die sie aber aus Gründen des Anstandes nicht übergehen konnte.

Zu diesem Fest kam auch ein großer, melancholischer Mann namens Conway Wallack, den die Polizei dreier Kontinente unter anderen Namen kannte. Er war gesellschaftlich sehr gewandt und fühlte sich auf dem Parkett zu Hause. Er hatte eine Art, die den Frauen gefiel. Wie er zu einer Einladung gekommen war, ist nicht ganz klar. Lady Gridley-Burril konnte sich ihrerseits an ihr erstes Zusammentreffen mit ihm nicht klar erinnern, aber er gab sich so bezaubernd, daß auch eine klügere Wirtin ihn anerkannt hätte.

Im Laufe des Abends fühlte Sir Harrison Gridley-Burril Wallacks vorwurfsvolle Augen auf sich gerichtet, er fragte sich in Gedanken, wer wohl dieser junge Aristokrat sei, den seine Frau da aufgefischt hatte. Er sah aus wie ein Mann, den man sich zum Freunde halten müßte, und der Eingebung des Augenblicks folgend, ging er auf ihn zu.

»Ich verstand Ihren Namen nicht,« sagte er entschuldigend, »meine Gemahlin stellte uns zu Beginn des Abends vor, aber sie hat so eine fatale Art, die Wörter zu verschlucken.«

Wallack zeigte lächelnd seine weißen Zähne. Er wußte ganz genau, daß er mit seinem Wirte sprach, der die Namen seiner Gäste hätte kennen müssen, aber er murmelte bescheiden: »Ich heiße Wallack, aber ich habe Ihren Namen auch nicht verstanden.«

»Ich bin Sir Harrison Gridley-Burril.«

Er unterhielt sich liebenswürdig mit seinem Gast, und allmählich kam die Unterhaltung auf das Gridley-Burril-Halsband, das die Gastgeberin heute trug.

›Das Halsband ist ein Prachtstück‹, dachte Wallack, als er es aus der Ferne betrachtete, und er überlegte, ob es wohl wirklich soviel gekostet hatte, wie man erzählte. Der andere gab ihm schon im nächsten Satze darauf die Antwort.

»Sie glauben gar nicht, was es mich gekostet hat,« sagte er stolz, »es ist ein Vermögen wert.« Er nannte die Summe, die dem anderen das Wasser im Munde zusammenlaufen ließ.

»Ich glaube es Ihnen,« sagte er höflich.

»Kommen Sie, wir wollen etwas trinken,« lud ihn Gridley ein, und während er ihn zum Büfett führte, plauderte er weiter.

»Sie können darauf wetten,« meinte er vertrauensvoll, »daß einige Leute alles mögliche darum geben würden, es zu bekommen. Aber es wird ihnen nicht gelingen. Lady Gridley-Burril trägt es heute zum erstenmal öffentlich. Aber ich passe gut auf, daß es nicht geraubt wird. Unter uns, Mr. Wallack, es sind heute abend auch einige Detektive hier, um auf den Schmuck zu achten.«

»Wirklich?« sagte Wallack ungläubig.

»Tatsächlich. Einer von ihnen erzählte mir vorhin, daß er glaube, ein bekannter, internationaler Dieb sei hinter dem Schmuck her. Er nannte mir auch den Namen des Burschen. Teufel noch mal, wie hieß er doch? Ich kann mich beim besten Willen nicht erinnern.«

»Wenn er tatsächlich hier sein sollte, wird der Dieb kaum entwischen,« sagte der andere lächelnd, ohne von der Mitteilung im geringsten überrascht zu sein.

»Es wird ganz unmöglich sein,« meinte Gridley-Burril.

Wallack lächelte. Er hatte darüber eine ganz andere Meinung, und es hätte eigentlich seinem Sinn für Humor entsprochen – wenn es nicht unklug gewesen wäre – in verschleierter Form dieselbe zu enthüllen. Aber Gridley-Burril war fest davon überzeugt, daß nichts passieren könne, und Wallack wollte ihn aus guten Gründen bei bester Stimmung erhalten. Er stimmte allem zu, und so holte er alles Wichtige heraus, was er wissen wollte. Und hätte Sir Gridley als unbeteiligter Zuhörer daneben gestanden, er würde darüber gestaunt haben, welche wichtigen Mitteilungen er dem Gaste machte.

Bevor Wallack heute abend erschienen war, hatte er seinem Anzuge besondere Aufmerksamkeit zugewandt. Im linken Ärmel seines Hemdes befand sich ein elastisches Band, das im Verlauf des Abends eine wichtige Rolle spielen sollte. Das eine Ende des Bandes bestand aus einem kleinen Metallhaken, der über die Manschette seines Hemdes griff. Er hoffte, daß dieser kleine Haken früher oder später in Lady Gridleys-Burrils Halsband greifen würde, damit dasselbe in den Ärmel verschwinde. Das war keine neue Idee, aber sie ließ sich leicht ausführen, und man lief dabei keine Gefahr.

Bevor sich Wallack von Sir Gridley-Burril verabschiedete, zog er prüfend an dem elastischen Band, er war befriedigt, als es funktionierte. Er glaubte, daß der gegebene Augenblick nun bald eintreten könne, aber da er sehr vorsichtig war, verschob er es noch bis zum Essen. Vor allem beruhte sein Plan darauf, daß viele Personen Lady Gridley-Burril umdrängen würden, so daß es unmöglich sein würde, einen bestimmten als den Schuldigen zu bezeichnen. Er war nur wegen Lady Gridleys Halsband gekommen und hatte nicht die Absicht, das Gelingen seines Planes dadurch aufs Spiel zu setzen, daß er sich an weniger wertvollem Schmuck vergriff. Trotzdem konnte es nicht von Schaden sein, sich noch zukünftige Opfer auszusuchen. Die Kenntnis der Gewohnheiten dieser Leute konnte ihm immer nützlich sein, und man lernte ungefähr den Wert ihres Schmuckes kennen. Durch sorgfältige Beobachtung hatte Conway Wallack seine größten Erfolge erzielt.

Unbewußt fühlte er nach dem Metallhaken an seiner Manschette, und im gleichen Augenblick ging das Licht aus. Für den Bruchteil einer Sekunde herrschte tiefe Stille, dann hörte man das Geräusch eilender Schritte, geheimnisvolles Rascheln, Stimmen riefen durch den Raum, und irgendwo schrie eine Dame auf. Wallack versuchte vergebens, sich mit seinen Ellbogen Platz zu schaffen und wunderte sich, was denn mit dem verdammten Licht los sei. Dies hatte mit seinem Plan nichts zu tun, hoffentlich würde es ihn nicht durchkreuzen.

Die Lampen leuchteten ebenso plötzlich wieder auf, wie sie ausgegangen waren. Überall im Raum hatten sich kleine Gruppen gebildet. Weiße, gespannte Gesichter blickten zu den Lampen empor oder starrten sich gegenseitig mißtrauisch an. Niemand konnte sich erklären, was vorgefallen war.

Als seine Augen die Gesellschaft überflogen, erblickte er etwas weiter eine kleine Gruppe, in deren Mitte seine Gastgeberin stand. Sie gebärdete sich sehr aufgeregt und war ganz rot vor Zorn.

»Ich bin beraubt worden!« schrie sie, und griff mit der Hand aufgeregt nach ihrem Hals.

Voll Schreck und Ärger bemerkte Wallack, daß sich das Halsband nicht mehr um ihren Hals befand, jemand war ihm zuvorgekommen.

Neben Lady Gridley-Burril erschien ein Mann, dessen Beruf Wallack sofort erriet. Er sagte zu der Dame einige kurze Worte, dann gebot er mit der Hand Ruhe. Die Unterhaltung verstummte, und alle Augen richteten sich auf ihn.

»Es befindet sich unter uns ein bekannter Dieb,« rief er mit deutlicher Stimme, »er hat Lady Gridley-Burrils Halsband gestohlen. Ich muß alle anwesenden Herren um die Erlaubnis bitten, sie zu durchsuchen. Sir Gridley-Burril läßt Sie im voraus für den unangenehmen Zwischenfall um Entschuldigung bitten. Ich hoffe jedoch, daß Sie als Gentlemen mir helfen werden, den Dieb zu fangen.« Als die Gruppen sich auflösten, fügte er hinzu: »Es wird niemand den Raum eher verlassen, als die Durchsuchung beendet ist. Meine Leute halten die Türen besetzt.«

Sir Harrison Gridley-Burril ließ sich als erster durchsuchen. Conwey Wallack folgte gleichgültig den anderen. Wie er gesehen hatte, bestand die Durchsuchung einfach darin, daß man die Taschen umkehrte und mit den Händen leicht den Anzug berührte. Das Halsband hätte ein großes Päckchen gebildet, und die geübten Finger hätten es sofort durch den Anzug gefühlt.

»Tun Sie Ihre Pflicht, Inspektor,« lächelte er und hob seine Arme, damit der Untersuchende ihn befühlen konnte, bevor er seine Taschen umkehrte.

»Nehmen Sie die Arme herunter,« befahl der Inspektor scharf, und Wallack gehorchte verwundert.

Der Mann faßte sein linkes Handgelenk, und als er den Ärmel zurückstreifte, brachte er den kleinen Metallhaken und ein elastisches Band zum Vorschein, das am Hemd befestigt war.

»Ah!« stieß der Inspektor aus. Als er sah, wie der Gesichtsausdruck Conwey Wallacks wechselte, zog er schnell einen Revolver. »Hände hoch!«

Der Untersuchende fand nichts in den Taschen. Dann ließ er seine Hand leicht über den Mann gleiten. Als er den Rücken berührte, fühlte Wallack etwas Hartes an seinem Rückgrat und wurde weiß.

»Was ist das?« fragte der Inspektor. Als Antwort langte der Mann unter Wallacks Frack und zog das Perlenhalsband und ein zusammengewickeltes Stück schwarzer Seide hervor. An dem Halsband war ein kleiner Metallhaken befestigt, der dazu gedient hatte, die Seide und den Schmuck an der Innenseite des Fracks zu befestigen.

Der Inspektor nahm die Beweisstücke in die Hand, das Halsband beachtete er kaum, aber mit einem seltsamen Zittern der Hände entwirrte er die schwarze Seide. Es war eine schwarze Maske, von deren unterem Rand schwarze Fransen herunterhingen.

»Endlich haben wir dich gefaßt,« murmelte der Inspektor. In seinen Augen leuchtete die Freude über den gelungenen Fang auf. »Auf frischer Tat ertappt. Kommen Sie freiwillig mit?«

»Sie können Ihre Waffe fortstecken, Inspektor,« sagte Wallack leise, »ich habe diese Nacht kein Glück.« Er streckte die Hände aus, um sich die Handfesseln anlegen zu lassen.


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