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Neuntes Kapitel.
Ferris Mance

Gehässige Leute nannten Ferris Mance einen dummen Gecken, seine Bekannten hielten ihn für den bestgekleideten Mann ihrer Kreise, und Peggy Forrest hielt ihn für einen netten Kerl und sagte das auch ihren Bekannten.

Nach seinen Angaben hatte er eine sehr verantwortungsvolle Stellung bei der Kasse der Plutarch Transportgesellschaft inne, und selbst wer ihn nicht leiden konnte, mußte zugeben, daß es eine sehr gut bezahlte Stellung sei.

Er war ein junger Mann von einnehmendem Wesen, hatte hellblaue Augen und blondes Haar. Er lächelte sehr selten, aber wenn er es tat, zeigte er zwei Reihen blendend weißer Zähne.

Er trug einen gutgeschnittenen Anzug, perlgraue Krawatte und einen weichen, grauen Hut, dazu graue Socken in braunen Halbschuhen, in der Hand schwang er einen leichten Stock. Seine ganze Erscheinung war elegant und ohne Tadel.

Peggy Forrest saß lesend in ihrem Wohnzimmer, als er eintrat, und erhob sich mit einem bewundernden Blick. Auf diesen schlanken, jungen Mann schaute eine Frau gern mehr als einmal.

»Hallo, Peggy,« grüßte er ungezwungen und streckte seine Hände aus. Er faßte sie, hielt sie in Armeslänge vor sich und betrachtete sie mit den Augen eines Künstlers und Liebhabers.

»Liebe Peggy,« er ließ sie niedergleiten und küßte sie, »du siehst heute abend bezaubernd aus, obgleich das nichts Neues ist. Wie kommt es, daß du immer so schön bist?«

»Ich weiß nicht,« flüsterte sie, »ich tue gar nichts, vielleicht macht das bißchen Puder mich so schön.«

»Es ist mehr als das Äußere,« sagte Ferris Mance ernst.

»Das freut mich,« sagte das Mädchen. Der Mann beugte sich zu ihr nieder und küßte sie andächtig.

Sie setzten sich auf einen Divan, und Peggy schmiegte sich wie eine kleine Katze an ihn.

»Und in welcher ernsten Angelegenheit willst du mich sprechen?« fragte sie endlich.

»Wann wir heiraten werden,« sagte Ferris Mance, »meinst du nicht auch, daß es höchste Zeit ist, ein eigenes Heim zu gründen?«

Das Lachen verschwand vom Gesicht des Mädchens, sie wurde ernst.

»Ich – ich weiß nicht,« begann sie zu stottern, dann fuhr sie mit sichtbarer Aufregung fort: »Du bist immer so lieb zu mir, und ich hab dich so gern, aber ich möchte noch etwas Zeit haben, um das Leben kennenzulernen und nachzudenken. Heiraten bedeutet, daß ich das alte Leben aufgebe und ein neues anfange, und, und ich – ich glaube, du hältst mich für sehr dumm?« schloß sie verlegen und schaute ihn ängstlich an.

»Ich habe niemals daran gedacht, daß irgend etwas, was du sagst oder tust, dumm sei,« sagte Ferris Mance warm, »dazu habe ich eine viel zu hohe Meinung von dir. Aber, Liebling, kannst du nicht verstehen, daß ich dich für immer bei mir haben möchte?«

Aus seiner Stimme klang unterdrückte Leidenschaft, und der weibliche Instinkt ließ sie ein wenig zurückschrecken. Er schien die Bewegung nicht zu bemerken; denn er fuhr fort. »Denke daran, Peggy, wie glücklich wir sein werden, nur du und ich. Wenn ich abends müde und abgespannt von der Arbeit nach Hause komme und du deine kleine Hand auf meine Stirn legen wirst, werde ich glücklich sein.«

Das Mädchen hätte antworten können, daß ihr damit nicht geholfen wäre, falls sie unglücklich werden würde; aber sie sagte es nicht.

Statt dessen antwortete sie: »So?« und legte die Hand auf seine Stirn.

»Ja, so!« sagte Ferris Mance mit Befriedigung, ergriff ihre Hand und preßte sie innig an seine Lippen.

»Ich glaube,« lächelte sie, »du wirst mich noch verwöhnen.«

»Ich werde es versuchen,« sagte ihr Verehrer, »das verdienst du auch.«

»Nein,« schmeichelte sie, »du mußt mir noch etwas Zeit lassen.«

»Wie lange noch? Bis wann?«

»Verlange nicht, daß ich einen bestimmten Zeitpunkt nenne. Zahlen sind mir immer unangenehm, selbst meine eigenen. Jedenfalls freue ich mich, daß du eine gute, ruhige Stellung hast. Wenn du den ganzen Tag fort bist und einmal zehn Minuten später kommst, brauche ich mich nicht zu sorgen, daß dir etwas zugestoßen sei.«

»Das klingt sehr verdächtig,« sagte Ferris Mance langsam, »zu wem hast du kürzlich so gesprochen, Peggy?«

»Zu George Emmerson,« sagte das Mädchen frei heraus, »er hat mich neulich besucht und ..., und er ...«

»Er machte dir einen Antrag?« fragte der Mann.

»Er wollte mich heiraten,« sagte Peggy.

»So eine Anmaßung!« entfuhr es ihm.

»Es war durchaus keine Anmaßung.« Obgleich sie sich in George Emmerson nie verlieben würde, sagte sie sich doch, als ihren Freund müsse sie ihn so gut verteidigen, wie sie konnte. »Er hat mich gern und kam zu mir, um sich zu erklären.«

»Du erzähltest ihm natürlich, wie die Dinge stehen?«

»Ich sagte ihm, daß ich als Frau eines Polizisten nie glücklich sein könnte.«

»Er nennt sich Polizeiarzt, aber trotzdem ist er doch nur eine Art Polizist.«

»Das meinte er auch,« gab Peggy zu, »aber warum könnt ihr euch eigentlich nicht leiden? Er scheint etwas gegen dich zu haben, und du magst ihn auch nicht.«

»Das stimmt. Ich werde nie den Mann gern haben, der versucht, dich mir zu stehlen, und du mußt zugeben, daß er das möchte.«

»Ferris, du mußt nicht so von ihm sprechen. Das stimmt nicht. George Emmerson ist ein Gentleman.«

»Aber ich wette, daß er von mir auch nicht sehr gut sprach. Was sagte er denn?«

»Daß man von ihm nicht erwarten könne, daß er dir um den Hals falle und jedesmal, wenn dein Name genannt wird, den Hut lüfte.«

Ferris Mance lachte leise. Emmersons Worte klangen wie die Rede eines Mannes, der sehr enttäuscht ist.

»Nun, er wird in den nächsten Tagen an andere Dinge zu denken haben. Wie die Zeitungen berichten, bearbeitet er den Camden Hale Mord, doch scheint er keine großen Fortschritte zu machen.«

»Er ist ganz tüchtig, obgleich ich glaube, daß er mehr Erfolg hätte, wenn er sich und seine Arbeit ernster nähme.«

»Ist das deine Meinung? Das habe ich nie geglaubt. Ich habe immer das Gefühl gehabt, daß er sehr von sich eingenommen sei.«

»Das stimmt nicht, Ferris. Er prahlt niemals mit seinen Erfolgen. Und ich wünsche von Herzen, daß du und er bessere Freunde wären. Wenn du ihn näher kennenlernst, wirst du ihn sehr nett finden, obgleich er natürlich nicht so lieb ist wie du,« schloß sie.

»Nun, das ist reizend von dir,« sagte Ferris Mance lachend, »ich glaube, ich muß schon deinetwegen versuchen, ihn gern zu haben.«

»Ich würde dich noch mehr lieben, wenn du das tätest,« sagte sie ernst, »sein Beruf ist ziemlich gefährlich, und ich denke, er wird nicht viele Freunde haben.«

»Leute in seiner Stellung haben selten welche. Es ist eigentümlich, welche Sympathie der gewöhnliche Mann für den Durchschnittsverbrecher hat, in Wirklichkeit weiß er nichts davon, aber tief in seinem Herzen herrscht dies Gefühl. Die Detektive sind nur in Romanen Helden.«

»Ich wünschte, du wärst auch ein Held,« sagte das Mädchen ernst, »ich bin zu gesund, um mit Verbrechern zu sympathisieren, und romantisch genug, um große Taten zu bewundern.«

»Ich habe keine Zeit dazu,« sagte Ferris Mance mit leisem Schauer.


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