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Achtes Kapitel.
Beratungen

Wenn es nicht ausgerechnet George Emmerson wäre,« sagte Bromley Kay mißgestimmt, »so hätte ich nicht den geringsten Zweifel. Aber es ist unmöglich, daß es George gewesen ist.«

Sir Gregory Haverstock lehnte sich in seinem Sessel zurück und betrachtete aufmerksam seinen Neffen.

»Warum ist es unmöglich?« forschte er.

»Nun, George ist nicht der Typ eines Verbrechers,« gab Bromley Kay unsicher zurück.

»Ich habe noch nicht den Typ gefunden, den man als Verbrechertyp bezeichnen könnte. Und Mord ist meist ein einmaliges Verbrechen. Es ist nicht das Verbrechen, das Gewohnheitsverbrecher schafft. Ich sehe nicht ein, warum Emmerson Camden Hale nicht getötet haben sollte, du oder ich könnten es auch getan haben. Deshalb muß ich sagen, daß deine Folgerungen auf ziemlich schwachen Füßen stehen.«

»Alle Behauptungen müssen erst bewiesen werden,« antwortete Kay überzeugt.

Sir Gregory runzelte die Stirn, Flachheiten und überflüssige Redensarten waren ihm gleich unangenehm.

»Du gingst natürlich mit Emmerson zusammen in das Haus?« fragte er.

»Nein, er sandte mir Nachricht, daß er den ›grauen Bock‹ aufsuchen wolle, weil er glaube, dort wichtige Anhaltspunkte zu finden; wenn ich Lust hätte, könne ich mitkommen. Er sagte nichts davon, daß wir uns treffen wollten. Doch da er die Zeit angab, wann er da sein würde, lag es doch nahe. Ich nahm mir den Polizisten des Reviers zur Begleitung mit. Natürlich befürchtete ich keine Zwischenfälle, aber ich wollte sicher gehen. George erschien durch eine Seitentür, die ich erst fünf Minuten nach unserer Ankunft bemerkte.«

»Ich nehme an, daß er die Ursache seines Zuspätkommens erklärte?«

»Ja, er sagte, daß er mit einem Fremden zusammengestoßen sei, der gerade aus der Tür kam und fortlief. Er verfolgte ihn ohne Erfolg. Das Eigenartige war, daß man ihm den Lauf gar nicht anmerkte.«

»Das ist nicht unbedingt nötig, Bromley. Er ist immer in guter Form, und ich kann mir vorstellen, daß man ihm einen Lauf von einigen hundert Metern nicht anmerkt.«

»Vielleicht nicht. Ganz abgesehen davon, was George sagte, hatte ich das bestimmte Gefühl, daß Dean einen Besucher empfangen hatte. Er wollte es nicht zugeben, aber man konnte es deutlich an seinem Benehmen merken. Dann ist da wieder die Sache mit der Zigarette.«

»Welche Marke war es?« fragte Sir Gregory plötzlich.

Kay nannte die Marke, und der Kommissar blickte nachdenklich vor sich hin. »Ich weiß, daß Emmerson diese Marke raucht, aber sie ist ja ziemlich verbreitet, und der Verkauf ist nicht auf ihn allein beschränkt. Ich sehe ein, daß diese Tatsache Verdacht erwecken kann, aber sonst gibt es keinen Beweis, daß Emmerson der Mann ist, den wir suchen.«

»Ich würde mich freuen, wenn es so wäre,« sagte Bromley Kay, »andrerseits hat er von Anfang an alles mögliche getan, um meinen Verdacht zu erregen.«

»Nun ja! Aber, wenn er wirklich Camden Hale getötet hätte, denkst du, er würde einen Tag früher gekommen sein, ohne eine Erklärung bereit zu haben?«

Kay lächelte. »Ich weiß nicht,« gab er zu, »wenn ich etwas derartiges begangen hätte, hätte ich eine Menge Ausreden bereit gehabt. Aber George schien es für selbstverständlich zu halten, daß ich nicht danach fragen würde.«

»Wenn er wirklich mit der Sache etwas zu tun hat, ist es das Beste, wir lassen den Dingen freien Lauf. Er hat den Fall übernommen und hat freie Hand, er wird sich dann früher oder später selbst verraten. Vorausgesetzt, daß an deinen Vermutungen überhaupt irgend etwas dran ist.«

Kay stand auf, um zu gehen, als es leise an die Tür klopfte.

»Herein!« rief Sir Gregory Haverstock, und als Emmerson das Zimmer betrat, winkte er Kay zu bleiben.

»Wir haben gerade über Sie gesprochen,« sagte er, dem andern voll ins Gesicht sehend.

»Meine Ohren brennen noch,« meinte Emmerson in scherzhaftem Ton. »Guten Tag, Sir Gregory, ich bringe Ihnen ein kleines Geschenk.«

»Das ist ja Bestechung und Korruption,« sagte sein Chef.

»Nein, es sind nur Zigaretten,« erwiderte Emmerson bedeutungsvoll. Sir Gregory nahm schweigend das Papiermesser und öffnete das Paket. »O,« sagte er überrascht, »Zigaretten mit Goldmundstück!«

»Ja, ›Gelens Beste‹, sie werden sowohl von den besten als auch von den schlechtesten Menschen geraucht. Selbst Verbrecher rauchen sie. Leute von Rang, wie ich, und der Mann, der angeblich Camden Hale ermordete, rauchen alle dieselbe Sorte.«

Er sandte Sir Gregory einen scheinbar gelegentlichen doch scharfen Blick zu. Was Kay dachte, kümmerte ihn nicht, obgleich die Augen des zweiten Kommissars nicht von seinem Gesicht gewichen waren, seitdem er das Zimmer betreten hatte.

»Warum sagen Sie ›angeblich‹?« fragte Sir Gregory kurz. Er hatte dies betonte Wort aus der Rede des andern herausgenommen.

»Wie hätte ich sonst sagen sollen?« erwiderte Emmerson. »Wir wissen nicht, ob der Bursche, der beim ›grauen Bock‹ diese Zigaretten rauchte, wirklich der Mörder Camden Hales ist. Wir wissen nicht einmal, wer er ist.«

»Wenigstens wissen wir, welche Sorte Zigaretten er raucht,« betonte Kay, »das ist doch schon etwas.«

»Nichts, worauf man sich stützen kann; zunächst leitet es – wie Sie sehen – zu mir.«

»Das sehe ich,« sagte Sir Gregory, und der junge Mann war von dem Ton seines Vorgesetzten überrascht.

»Tatsächlich! von der Seite habe ich die Sache noch gar nicht betrachtet. Jetzt geht es mir auf. Sie und Kay könnten eigentlich der Meinung sein, daß ich der Mörder sei.«

»Schlagen Sie sich die Gedanken aus dem Kopf,« fiel Sir Gregory hastig ein, »wir denken gar nicht daran! Und vielen Dank für die Zigaretten.«

»Ich habe sie Ihnen gebracht, damit Sie sie mit Bromleys Fund vergleichen können. Gibt es sonst etwas Neues?«

»Nein, wenn Sie nichts haben?«

»Sie wissen, was sich gestern abend ereignet hat?« gab er als Antwort, und als Sir Gregory nickte, fuhr er fort, »das bringt uns auf jeden Fall einen Schritt vorwärts. Wir wissen, daß der ›graue Bock‹ den Mann kennt, den wir suchen, und wenn wir es richtig anstellen und die Sache nicht überstürzen, werden wir ihn fassen.«

»Übrigens,« sagte er über seine Schulter hinweg, als er schon an der Tür stand, »der Mann, der Camden Hale ermordete, war außerordentlich kräftig.«

»Meinen Sie kräftig gebaut?« fragte Kay.

Der andere schüttelte den Kopf. »Das ist nicht nötig. Nach der Lage der Würgemale zu urteilen, nehme ich an, daß er ziemlich groß war, wahrscheinlich meine Größe. Er muß lange, spitze Finger haben, diese Merkmale sind meistens, wie Sie ja wissen, vereint.«

»Das wußte ich nicht,« sagte Sir Gregory, als sich die Tür hinter dem andern schloß, »die Mitteilung ist sehr interessant.«

»Es ist noch mehr als das,« erwiderte Kay mit Erbitterung in der Stimme, »siehst du denn nicht, wie Emmerson alles tut, die Schlinge um seinen eigenen Hals zu legen?«

»Wenn er tatsächlich schuldig sein sollte,« sagte Sir Gregory überzeugt, »ist er schlau genug, um uns beide zu täuschen.«

Kay seufzte. »Man mag die Sache drehen und wenden, wie man will, auf jeden Fall gab er uns von dem Mann, der Camden Hale erwürgte, eine Beschreibung, die genau auf ihn selber paßt.«


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