Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zehntes Kapitel.
Die Jagd auf den Fakir.

Der lange Zug setzte seinen Marsch mit wachsendem Lärme durch die Hauptstraßen der Stadt fort.

Auch die Menge, gereizt durch jene betäubende Musik und religiösen Fanatismus, vereinigte ihr Geschrei mit dem der Fakire, der Bajaderen und Priester, indem sie ohne Unterlaß den vier Unglücklichen, die an der Spitze der Querbalken zappelten, ihre Schilde mit den Schwertern durchbohrten und Blumen warfen, Beifall spendeten.

Toby und seine Gefährten gingen am Ende des Zuges, um sich von der Menge nicht erdrücken zu lassen, die sich in den weniger breiten Straßen zusammendrängte und ohne Rücksicht Frauen und Mädchen mit sich riß.

»Man könnte meinen, daß alle jene Menschen verrückt geworden sind,« sagte Toby.

»Fast werde ich's auch,« antwortete Indri lächelnd. »Diese fortgesetzte, lärmende Musik bringt eine derartige Wirkung hervor.«

»Tatsächlich sind meine Nerven äußerst erregt. In welchem Zustande müssen die der Aufgehängten erst sein?«

»Vielleicht ruhiger, als die deinigen.«

»Bleiben sie lange so hängen?«

»Bis der Wagen viermal um den Tempel herumgefahren ist.«

»Diese Marter! – – – Morgen werden sie nicht mehr leben.«

»Im Gegenteil, Toby. Du kannst dir nicht vorstellen, wie widerstandsfähig wir Indier sind. In wenigen Tagen sind sie geheilt und können wieder von vorn beginnen.«

»Sie tun es aus Fanatismus?«

»Manchmal ja, aber nicht immer. Auch der Verdienst spricht mit.«

»Ich verstehe dich nicht, Indri.«

»Oftmals sühnen sie die Sünden reicher Leute. Nehmen wir an, ein Mensch gelobt, sich beim nächsten Fest des ›Tiruna‹ aufhängen zu lassen. Im letzten Augenblick fehlt ihm der Mut, aber aus Furcht vor dem Zorne seiner Gottheit wagt er nicht, das Gelübde zu brechen. Was tut er? Er zahlt einem Unglücklichen jede beliebige Summe, damit er es für ihn tut.«

»Und er findet auch einen?«

»Es gibt so viele Konkurrenten, daß er nur zu wählen braucht.«

»Es wundert mich, daß die englische Regierung jene blutigen Prozessionen erlaubt.«

»Wenn man sie verhindern wollte, so würde das einen religiösen Aufstand entfesseln, dessen Folgen verhängnisvoll werden könnten. Sie haben schon viel erreicht, daß sie die Wagen von indischen Wächtern überwachen lassen, um die Zahl derer zu mindern, die sich unter die Räder stürzen.

Vor wenigen Jahren gab es auf jedem Feste nicht weniger als 300 Tote. Sogar Frauen warfen sich mit Kindern unter die Wagen.«

»Um schneller in Brahmas Paradies zu kommen, nicht wahr, Indri?« sagte Toby ironisch.

Der Ex-Favorit schüttelte, ohne zu antworten, den Kopf, während Dhundia, der es gehört hatte, den Jäger mit bösen Blicken anschaute.

Der Zug war unterdessen bei der Pagode angekommen, und zog um sie herum. Die Aufgehängten, erschöpft vom Blutverlust und der unerträglichen Marter, regten sich nicht mehr und hingen wie tot an den Spitzen der langen Querstangen.

Nur der Fakir machte dann und wann mit äußerster Kraftanstrengung noch einige Bewegungen, indem er furchtbare Fratzen schnitt.

Die Dehnung der Rückenhaut dieser Unglücklichen war sichtbar. Wenn sie der Gürtel nicht gehalten hätte, wäre das Fleisch sicher zerrissen, durch das fortwährende Schwanken der Wagen.

Toby und Indri, und vor allem Dhundia verloren den Fakir nicht aus den Augen.

Als sie die Wagen vor dem Tempel halten und die Querstangen sich senken sahen, um die Aufgehängten von der Marter zu befreien, versuchten sie, sich durch die Menge Bahn zu brechen.

Das war jedoch eine vergebliche Mühe. Als sie nach einer halben Stunde die Wagen erreichten, waren der Gott und die Aufgehängten schon im Tempel.

»Treten auch wir ein,« sagte Toby. »Vielleicht finden wir ihn wieder.«

»Du kannst uns nicht folgen,« sagte Indri. »Vergißt du, daß du ein Europäer bist? Die Menge würde dir einen schlechten Empfang bereiten und vielleicht noch etwas Schlimmeres.«

»Überlassen wir das Bhandara; er wird den Fakir nicht locker lassen.«

»Dann kehren wir zum ›Bengalow‹ zurück, um unsere Vorbereitungen zu treffen und einen Bissen zu essen.«

Sie öffneten sich einen Weg unter den Tausenden von Indiern, die sich um den Tempel herum anhäuften und als sie heraus waren, bemerkten sie, daß sie allein waren.

Dhundia war verschwunden.

»Wo wird er hingegangen sein?« fragte sich Toby, etwas beunruhigt.

»Er wird sich verirrt haben,« antwortete Indri.

»Ob er die Gelegenheit benutzt hat, um sich von der Jagd auf den ›Menschenfresser‹ zu drücken?«

»Dhundia ist nicht furchtsam. Er wird uns am ›Bengalow‹ einholen.«

Während sie zum königlichen Palaste zurückkehrten, zufrieden, jenes Getöse nicht mehr zu hören, beeilte sich Dhundia, in die Pagode einzudringen.

Er war sichtbar unruhig. Er hatte den Befehl gehört, daß Bhandara dem Fakir folgen sollte, und da er die unglaubliche Gewandtheit des »Kornaks« und auch dessen innige Zuneigung zu Indri kannte, hatte er nur einen Gedanken: Sitama warnen.

Indem er sich die Menschenmasse zu Nutze machte, war er zurückgeblieben, bis Indri und Toby sich entfernt hatten, dann war er so schnell, wie er konnte, zur Pagode gelaufen.

»Vielleicht hat Bhandara Sitama noch nicht eingeholt,« hatte er bei sich gesagt. »Wenn ich früher als er komme, wird der ›Kornak‹ seine Zeit unnütz verlieren.«

Unter gewaltigen Anstrengungen war es ihm gelungen, die Stufen der Pagode zu erreichen, wo die Fakire standen, die sich fortwährend lange Nadeln und scharfe Messer durchs Fleisch zogen.

Aus dem Tempel drangen durchdringende Schreie, wie von gemarterten Kindern, die die »Tamtam«, Trompeten und Zimbeln nicht unterdrücken konnten.

Es war die Sühne für die Sünden unmenschlicher Eltern; eine der grausamsten Zeremonien, die selbst den Indiern Schrecken einflößen, denn die Gemarterten sind hilflose Kinder.

Die kleinen Märtyrer, die für die Sünden der Väter oder Mütter büßen müssen, werden während des »Tirunal«-Festes in die Pagode geführt, wo ihnen die Priester in die weichen Hüftenteile metallene, mit langen Fäden versehene Nadeln stechen.

Die Eltern nehmen diese Fäden und führen jene Bedauernswerten um den Tempel herum, ein-, zwei- oder dreimal, je nach der Sünde.

Dhundia, der an jenes grausame Schauspiel gewöhnt war, ging ohne jedes Mitleid durch die Kinderschar hindurch, die unter Gesang und Musik um die Pagode herumgeführt wurden und begab sich in eine Ecke, wo sich Priester um die ungeheuerliche Göttin Kali, die Göttin des Todes und der Verwüstung, versammelt hatten.

Bei jedem Schritte blieb er jedoch stehen, indem er aufmerksam die Menge betrachtete, die ihn umgab. Er fürchtete, den »Kornak« zu entdecken.

Die vier Aufgehängten saßen blaß, erschöpft, das Gesicht mit kaltem Schweiß bedeckt, auf einer Stufe, während einige Priester versuchten, ihr von den Haken furchtbar zerrissenes Fleisch zusammenzunähen.

Sitama befand sich unter ihnen und schien am wenigsten von allen zu leiden.

Jener Gauner mußte zweifellos eine außerordentliche Willenskraft und unglaubliche Zähigkeit besitzen, um sich nach jener grausamen Marter noch fast munter zu zeigen.

Als er Dhundia sah, hatte er sich langsam erhoben, indem er ihn fest anschaute. Er ahnte, daß etwas Ernstes geschehen sein mußte, daß man ihn sogar in der Pagode aufsuchte.

Er warf sich einen weiten, gelbseidenen »Dubgah« um, ein Geschenk der Priester, setzte einen Turban auf, brach sich durch die Menge Bahn, die über seine Energie erstaunt war, und verschwand hinter den gewaltigen Tempelsäulen.

Dhundia war ihm gefolgt, indem er vorsichtig an den Menschen vorbeischlüpfte, die ihn umgaben und spähte umher, bereit, sich zu verstecken, falls er dem »Kornak« begegnen sollte.

Noch wußte er nicht genau, ob es jenem Manne gelungen war, den Fakir zu entdecken, aber er war keineswegs beruhigt.

Eins beruhigte ihn jedoch: daß Bhandara bisher weder Zeit noch Gelegenheit gehabt haben konnte, sich umzukleiden, sonst hätte er ihn ja sofort erkannt.

Sitama, der sicher war, daß er verfolgt wurde, war hinter einer Säule stehen geblieben und dann nach einem der Tempelausgänge gegangen, indem er sich unter die Menge mischte.

Er lief jedoch langsam, indem er immer nach Dhundia spähte.

Bevor er nicht sicher war, von seinem Helfershelfer gesehen zu werden, tat er keinen Schritt vorwärts.

So erreichte er nach und nach den Bazar von Pannah, wo Hunderte von Tausendkünstlern Schwerter verschluckten, mit enormen Gewichten umherwarfen oder Schlangen reizten, die bei dem Tone gewisser Flöten aus ihren Körben hervorkamen.

Vor einer Menschengruppe, die einen Schlangenbändiger bewunderten, der mir einem halben Dutzend »Cobra-capelo« und »Gulabi« scherzte, blieb er stehen, dann mischte er sich unter sie.

Wer ihn gesehen hätte, hätte in ihm sicher nicht den Fakir Sitama vermutet, der vor einer halben Stunde, nach einer so grausamen Marter, von der Querstange abgenommen worden war. Er sah wie ein zufriedener Indier aus, der an jenem gefährlichen Schauspiel seine Freude hatte.

Dhundia, der neugierig die Runde gemacht hatte, um sich zu versichern, daß Bhandara nicht da war, näherte sich Sitama, indem er ihm ins Ohr murmelte:

»Gib acht: sie haben dir den ›Kornak‹ von Bangawady auf die Fersen gesetzt.«

Der Fakir war zusammengefahren.

»Hat er mich schon entdeckt?« fragte er, ohne sich umzudrehen.

»Ich weiß nicht, aber Bhandara wird dich sicher finden und dich, solange wir hier bleiben, nicht aus den Augen lassen.«

»Hast du ihn hinter mir gesehen?«

»Nein.«

»Kannst du mir folgen?«

»Einige Minuten, ja.«

»Ist der Jäger zum ›Bengalow‹ zurückgekehrt?«

»Auch Indri,« antwortete Dhundia.

»Komm, und ich werde Bhandara täuschen,« sagte Sitama.

Er durchschritt den von Neugierigen gebildeten Kreis, durchquerte einen Teil des Bazars und blieb vor einem Zelt stehen, das sich an eine Holzbude anlehnte, worin sich Gaukler und Tausendkünstler befanden.

Dhundia verstand das ihm gegebene Zeichen, daß er dort warten sollte, und mischte sich unter die Zuschauer, die sich zu der Bude drängten, wo halbnackte Kinder, rückwärts gebogen, Holzsplitter und Metallknöpfe, an denen mittelst feiner Fäden Bleistücke befestigt waren, mit den Augenlidern vom Boden aufhoben.

Kaum waren zehn Minuten vergangen, als Dhundia seine Schultern berühren fühlte.

Er wandte sich um und sah vor sich einen Indier mit langem schwarzen Bart und zerfurchtem Gesicht, der auf den Schultern einen fein geflochtenen Bambuskorb trug, in dem ein Schwert stak.

Er war von einem etwa achtjährigen, fast nackten, spindeldürren Knaben mit zwei schwarzen, verständigen Augen, und vier Männern, die Musikinstrumente trugen, begleitet.

»Was willst du?« fragte Dhundia.

»Kennst du mich nicht?« versetzte der Indier lachend.

»Sitama!« rief Dhundia verwundert.

»Wenn du mich nicht wiedererkannt hast, so werde ich auch den Jäger, Indri und vielleicht auch Bhandara täuschen.«

»Deine Verwandlung ist tadellos.«

»Gehen wir also zum königlichen Palast.«

»Warum sich dem ›Bengalow‹ nähern?«

»Damit meine Spuren verloren gehen. Bhandara wird nicht vermuten, daß ein Mann, der kaum jene Marter hinter sich hat, sich dorthin wenden wird, wo die Gefahr am größten ist.

Eine gewaltige Menge steht auf dem Platze und meine Spuren werden sich so leichter verlieren.«

»Und deine Wunden?«

»Ich habe mir ein Pflaster darauf legen lassen, was nur wir zu bereiten verstehen und sie werden schnell vernarben.«

»Du bist aus Eisen, Sitama.«

»Oder aus Stahl,« antwortete der Fakir lächelnd.

»Gehen wir: ich möchte dem Jäger und Indri das Korbspiel vorführen. Wenn sie mich nicht wiedererkennen, werde ich sie weiter verfolgen können und mich auch über Bhandara lustig machen.«

»Das kann verhängnisvoll werden.«

»Oder ein Meisterstreich sein,« antwortete Sitama. »Ich gehe dir voran.«

»Und wer ist dieses Kind?«

»Eins der Unseren.«

»Und jene Männer?«

»Dakoiten.«

Sitama gab den Spielern ein Zeichen und brach auf, indem er den Bazar durchquerte, der mit Händlern überfüllt war, die Teppiche, Seidenstoffe, Waffen, Kleider und hunderterlei andere Sachen verkauften, die aus allen hindostanischen Provinzen zusammenkamen.

Dhundia schritt hinterher, indem er sich immer etwa 20 Schritte fern hielt.

Fortwährend schaute er umher und suchte vergebens nach Bhandara.

»Vielleicht sucht er Sitama in der Pagode oder in deren Umgebung,« sagte er.

»Er wird sich tüchtig plagen müssen, ihn aufzuspüren. Vielleicht verliert er seine Zeit unnütz.«

Die Menge, die sich durch alle Straßen drängte, hinderte den Fakir und seinen Gefährten am Vorwärtskommen. Es waren wahre Sturzwellen von Städtern und Hirten aus der Hochebene, die sich in den Straßen anhäuften, auf die Gefahr hin, sich von den Elefanten, auf denen die Blutfürsten saßen, zermalmen, oder von den Pferden der Bedeckungsmannschaft treten zu lassen.

Der Lärm war noch nicht verstummt, im Gegenteil, obwohl die Prozession nunmehr zu Ende war.

Auf allen Plätzen, Straßen, Terrassen und Haushöfen wurden Trommeln gerührt, Fakire und Gaukler, die aus allen Orten der Hochebene zusammengekommen waren, schrien sich die Kehle wund.

Dort konnte man wirklich den Kopf verlieren und für einige Wochen taub bleiben. Ein Europäer hätte jenes Getöse, was auf die Indier angenehm wirkt, sicher nicht lange aushalten können.

Als Sitama und seine Gefährten nach einer halben Stunde den Platz erreichten, wimmelte dieser von Städtern und Soldaten, die dem langen Zuge der großen Hofwürdenträger beiwohnen wollten, die zum Tempel zogen.

Mit Gold bedeckte Elefanten mit kostbaren Steinen besetzten Satteldecken kamen vorüber; prächtige Pferde mit den Wächtern des Radscha und goldflimmernde Sänften, die von kräftigen Bergbewohnern getragen wurden, die prunkvoll gekleidet und mit blauen, roten und gelben Bändern geschmückt waren.

Wundervoll prangten besonders die »Gialleder«, die Sänften der Reichen, bedeckt mit buntfarbigen, golddurchwirkten Seidenstoffen, mit silbernen Querstangen, die in einen Tigerkopf ausliefen und von stämmigen Indiern getragen wurden. Hinter ihnen kamen Diener, die die »Schata«, mit Troddeln behängte und mit silbernem Griff versehene Sonnenschirme hielten.

Sitama zwängte sich durch die Menge und blieb vor Tobys und Indris Bengalow stehen, indem er seinen Gefährten ein Zeichen gab, sich aufzustellen und die Musik zu beginnen.

Dhundia war inzwischen eiligen Schrittes eingetreten und tat so, als ob er außer Atem und sehr unruhig wäre.

»Wo ist der Jäger?« fragte er die Diener, die auf einen Schlag gegen das »Tam-tam«, was an der Tür hing, herbeieilten.

»Er ist hier, Sahib,« sagte der Haushofmeister. »Er erwartet dich seit einer Stunde, da ihn deine Abwesenheit beunruhigte und sandte Diener nach dir, um dich zu suchen.«

Als er den kleinen Saal im Erdgeschoß betrat, fand er Toby und Indri bei Tisch vor einem mächtigen Bierglase und einem ungeheuren »Pudding«, den ihnen der Radscha gesandt hatte, damit sie den »Tirunal« würdig feiern sollten.

»Wo bist du bis jetzt gewesen?« fragte Indri, als er ihn eintreten sah. »Seit einer Stunde erwarten wir dich.«

»Und ich suche euch seit einer Stunde,« antwortete Dhundia.

»In welcher Richtung?« fragte Toby ironisch, denn er glaubte keineswegs, daß sich der Indier wirklich verlaufen hätte.

»In der Nähe des Tempels,« antwortete Dhundia. »Ich glaubte, ihr wäret dort, um jenen Fakir wiederzusehen.«

»Fandest du ihn wieder?« fragte Indri.

»Nein: als ich eintrat, war er nicht mehr im Tempel. Man sagte mir, daß man ihn halbtot weggetragen hätte.«

»Stürbe er wirklich,« sagte Toby, »ich bin überzeugt, daß es ein Spion war.«

»Wessen Spion?« fragte Dhundia.

»Von irgend einer Person, die Interesse daran hat, Indri Schaden zuzufügen,« antwortete Toby, indem er ihn fest anschaute.

»Das kann sein,« antwortete Dhundia ruhig.

»Hast du Bhandara gesehen?« fragte Indri.

»Nein.«

»Er wird dem Fakir gefolgt sein,« sagte Toby. »So werden wir erfahren, ob er stirbt oder am Leben bleibt.«

»Auch wenn er am Leben bliebe, würde er für einige Wochen genug haben,« bemerkte Dhundia. »Wenn jener Mensch wirklich ein Spion wäre, so könnte er, jetzt wenigstens, uns nicht hinderlich sein.«

Toby zerschnitt eben den Pudding, als ein lärmendes Konzert direkt unter den Fenstern des »Bengalow« ertönte.

»Wer belästigt uns da wieder?« fragte Toby. »Ich habe die Ohren voll.«

Da trat der Haushofmeister ein und sagte:

»Sahib, ein armer Indier wünscht, dem berühmten Jäger das Korbspiel vorzuführen, eins der großartigsten Schauspiele, die man in Pannah sehen kann.«

»Er möge zum Teufel gehen! – –«

»Es ist ein armer Mann, Sahib.«

»Und ein Europäer sollte ihn nicht abweisen,« fügte Dhundia hinzu. »Man würde sagen, der große Jäger sei ein Geizhals.«

»Verfeinden wir uns mit jenen Leuten nicht, Toby,« sagte Indri. »Außerdem wird es dich nicht reuen, dieses Spiel zu sehen, es ist eins der erstaunlichsten.«

Der Jäger, der mit den Einwohnern in Frieden leben wollte, schickte sich darein und trat auf die Veranda, die den »Bengalow« umgab.

Eine Menge Volkes hatte sich um den kleinen Palast versammelt, indem sie einen Halbkreis bildete, der von Minute zu Minute größer wurde.

Zwei Indier saßen auf den Stufen des »Bengalow« und spielten ein monotones »Surnaë«-Terzett, während andere sie mit »Urni« begleiteten, Instrumente aus einer halben Kokosnuß, einem Griff und einer Saite, die man mit einem Bogen streicht.

Sitama, der völlig unkenntlich war, hatte den Korb, auf dem ein ängstlich dreinschauendes Kind saß, zur Erde gestellt.

Der Fakir schien plötzlich in Wut auszubrechen, fuhr mit dem Schwert vor dem Kopf des Kindes umher und sprach Drohungen aus.

»Was tut jener Mann?« fragte Toby. »Will er jenen Knaben morden?«

Als Sitama die Stimme des Jägers hörte, hatte er den Kopf erhoben und ihn mit einer tiefen Verbeugung gegrüßt.

»Paß' auf,« sagte Indri, der, wie Toby, den Fakir nicht erkannt hatte. »Jener Mann wird dir ein erstaunliches Spiel vorführen, was du noch nie gesehen hast.«

»Ich kenne die wahrhaft außerordentliche Geschicklichkeit jener indischen Gaukler,« antwortete Toby.

Sitama begann unterdessen um den Korb herumzulaufen, indem er den Knaben mit der scharfen Klinge seines Schwertes bedrohte und streifte, während die Musiker schneller spielten.

Plötzlich hob der Knabe den Deckel auf und verschwand im Korbe, als wenn er vor Sitamas Schwertstreichen fliehen wollte.

Sofort ließen die vier Musiker ihre Instrumente, warfen sich auf den Korb und zerstampften ihn zu Brei. Dann zogen sie ihre Messer und durchlöcherten ihn in jeder nur denkbaren Weise.

Einige Sekunden hörte man noch das klägliche Geschrei des Knaben, der vollständig zerstochen sein mußte, dann verstummte alles.

»Aber wohin ist der Junge entflohen?« fragte Toby verblüfft. »Im Korbe kann er doch nicht mehr sein.«

»Du täuschest dich,« antwortete Indri. »Er ist noch darin.«

»Das ist unmöglich! Der Korb konnte ihn kaum fassen, während er jetzt vollständig zertreten ist.«

»Schau hin und du wirst dich überzeugen.«

Die Musiker hatten wieder zu ihren Instrumenten gegriffen und stimmten einen wilden Marsch an.

Bald ließ sich eine Stimme aus weiter Ferne hören: es war die Stimme des Kindes.

Toby, aufs höchste überrascht, schaute Indri an.

»Das ist unglaublich!« rief er.

Die Stimme wurde immer deutlicher, als wenn sie näher käme, während der Korb nach und nach anschwoll und seine frühere Form wieder annahm.

Plötzlich öffnete er sich und der Knabe sprang heraus. Die Messer hatten ihn nicht einmal berührt, denn sein Körper, der vollständig nackt war, zeigte nicht die kleinste Schramme.

»War er darin?« fragte Indri lachend.

»Dieses Spiel ist verblüffend!« rief Toby, indem er dem Kinde eine Handvoll Rupien zuwarf. »Wie erklärt es sich?«

»Das könnte dir nur jener Gaukler sagen, aber er würde es um keinen Preis verraten.«

»Ein Geheimnis, was man nicht verkauft.« Dieses wirklich wunderbare Spiel verstehen nur die Indier und ist bisher noch von keinem Europäer erklärt worden.

Nachdem Sitama die Rupien aufgelesen und abermals eine Verbeugung gemacht, entfernte er sich mit seinen Leuten und dem Knaben.

Nun war er sicher, nicht erkannt worden zu sein und fühlte sich auch Bhandara gewachsen.


 << zurück weiter >>