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Achtes Kapitel.
Die Hochebene von Pannah.

Anstatt sich zu beruhigen, zischten die Schlangen tatsächlich immer lauter und schlängelten sich wütend davon.

Sie richteten sich plötzlich auf, bewegten ihre gabelförmigen Zungen und zeigten ihre giftstrotzenden Zähne, dann sprangen sie vorwärts, als wenn sie irgend eine Beute zum Beißen suchten.

Als sie Toby sahen, der, anstatt zu fliehen, unbeweglich, wie von Furcht gelähmt, dastand, richteten sie sich sofort gegen ihn, während der Indier seine teuflische Musik immer mehr beschleunigte, indem er sich hinter der Wurzel versteckt hielt.

Da gab es keinen Augenblick zu versäumen.

Obwohl der Jäger, der in jener Musik einen Streich des Indiers vermutete, um ihn zum Rückzug zu zwingen, einen unwiderstehlichen Drang hatte, ihn mit einem Karabinerschuß den Garaus zu machen, mußte er doch zurückspringen, da jenes gefährliche Gewürm ihm entgegenkam.

Kaum hatte er einen Schritt getan, als er auf einem schlüpfrigen Körper ausrutschte.

Er konnte sich an einem Aste gerade noch festhalten, da hörte er hinter sich ein ihm wohlbekanntes Zischen. Es war eine wütende »Cobra capelo«, eins der gefährlichsten Reptile, die man in Gebüschen und den indischen Dschungeln trifft.

Er drehte sich rasch um und streckte die mit dem Jagdmesser bewaffnete Hand aus.

Eine große, zwei Meter lange Schlange mit braungelben Schuppen und einer brillenartigen Zeichnung auf dem Kopfe, hatte sich vor ihm erhoben, indem sie wütend zischte.

Es war wirklich eine »Copra capelo«.

Das furchtbare Reptil war später gekommen, um der Musik zu lauschen. Da es der Jäger getreten hatte, war es in die Höhe gefahren, bereit, zu beißen.

Glücklicherweise merkte es Toby rechtzeitig und konnte sich auf den Füßen halten. Wenn er gefallen wäre, wäre er unfehlbar gebissen worden.

Mit einer raschen Bewegung warf er sich zur Seite, erhob den Karabiner und zerschmetterte den Angreifer, daß er mit gebrochener Wirbelsäule zu Boden stürzte.

Jener Sieg kam zur rechten Zeit, denn die Boa, »Gulabi« und alle anderen Schlangen wollten ihn eben rückwärts angreifen.

»Zur Hölle mit dem Bläser und all' seinen Schlangen!« rief Toby, indem er über die Boa wegsprang, die in den letzten Todeszuckungen lag.

Er sprang durchs Gebüsch und verließ sich auf seine Beine, indem er geradeaus hastig zur Raststätte lief.

Fünfzehn Minuten genügten, um das Bananendickicht zu durchqueren und den Elefanten zu erreichen.

Als ihn Indri keuchend und schweißtriefend ankommen sah, lief er ihm entgegen, da er ihn von einem Raubtier oder einer Dokoitenbande verfolgt glaubte.

»Schnell auf den Elefanten!« rief Toby. »Eine Unmasse Schlangen sind mir auf den Fersen.«

»Schlangen!« sagte Indri.

»Die jener Schuft von einem Indier hinter mich hergehetzt hat.«

»Welcher Indier?«

»Später – – – brechen wir auf – – – vielleicht werden sie bald hier sein.«

Bangawady war schon marschfertig auf den Füßen. Der »Kornak« brachte das Frühstück in die »Hauda«, dann stiegen alle schnell hinein, denn am Waldrande hörte man schon das erste Schlangenzischen.

Während der Elefant vorwärts stürmte, erzählte Toby kurz sein seltsames Abenteuer, worüber Indri und Dhundia herzlich lachen mußten.

»Hast du dir ihn genau angesehen?« fragte Indri, als Toby mit seinem Bericht zu Ende war.

»Den Indier? Natürlich, mein Freund, er sieht dem Fakir verdächtig ähnlich.«

»Ich bezweifle jedoch, daß er es war,« sagte Dhundia. »Als wir ihn trafen, hatte er keine Flöte.«

»Und doch bin ich überzeugt, daß Bändiger und Fakir ein und derselbe Mann ist,« gab Toby zurück. »Wenn es ein armer ›Sâpwallah‹ gewesen wäre, hätte er nicht alle jene Reptilien auf mich gehetzt. Im Gegenteil, er hätte sie schleunigst gefangen.«

»Welchen Zweck kann jener Mensch haben, daß er uns so hartnäckig verfolgt?« fragte sich Indri unruhig.

»Das wollte ich eben gern wissen,« antwortete Toby.

»Verschwand jener Indier sofort?«

»Kaum hatte ich die Cobra getötet, da hörte die Musik auf und ich sah ihn nicht mehr.«

»Du hattest es mit einem geschickten Gauner zu tun, Toby. Ich weiß, daß die Bändiger mit ihren Flöten Schlangen einschläfern und auch äußerst wütend machen können.

Er wollte nicht, daß du ihn in der Nähe anschauen solltest und hetzte jene gefährlichen Tiere auf dich.«

»Davon bin auch ich überzeugt, Indri,« antwortete Toby. »Wenn ich ihm aber nochmals begegne, schieße ich ihm eine Kugel durch den Schädel.«

Ein ironisches Lächeln huschte über Dhundias Lippen, ohne daß es jemand merkte. Sicher wußte er mehr über jenen Indier, als Toby und Indri.

Sie verzehrten ihr Frühstück und tranken eine gute Flasche Bier dazu. Dann zündete der Jäger seine Pfeife an und legte sich auf die Kissen, während Dhundia seinen Mund mit Betel vollstopfte.

Je mehr Bangawady die Hochebene hinanstieg, desto mehr veränderte sich auch die Landschaft. Statt dichter Baumgruppen dehnten sich jetzt bebaute Felder und niedrige Waldungen aus. Dann und wann erschienen vereinzelte Häuser, auch einige prächtige »Bengalow«, die jedenfalls reichen Indiern von Pannah gehörten.

Kuhherden weideten friedlich auf den Triften längs der Schluchten, unter der Obhut brauner Hirten, die mit langen Flinten bewaffnet waren und nicht gerade sehr mutig aussahen.

Auch einige gezähmte Elefanten sah man frei umherlaufen, die sich gegenseitig mit langen Trompetenstößen begrüßten, die weithin schallten.

»Wir sind in bewohnter Gegend,« sagte Indri. »Jetzt haben wir nichts mehr zu fürchten, denn der Radscha scherzt mit Dieben und Banditen nicht.«

»Deswegen können auch hier welche sein, und vielleicht kühnere als die, die sich in anderen Gegenden Indiens aufhalten,« antwortete Dhundia.

»Jener Fakir ist jedenfalls alles andere, als ein Biedermann. Den Beweis hat er uns gegeben,« sagte Toby.

»Urteilen wir nicht so schnell, Freund,« sagte Indri. »Er hat uns nichts zuleide getan.«

»Weil er allein war.«

»Allein! – – – Hm!« – –

»Vermutest du, daß er Gefährten hat?«

»Ein einzelner Mann und außerdem unbewaffnet, würde sich nicht durch jene fast unbewohnten Hochebenen wagen, wo es Tiger gibt.«

»Dann hätten wir jenen Gauner unbedingt einfangen sollen.«

»Er hätte sich nicht erwischen lassen, Toby. Du kennst die unglaubliche Verschlagenheit der indischen Diebe und Verbrecher noch nicht.«

»Ich gebe zu, daß sie durchtrieben sind, Indri, aber nicht so, daß man sie nie überraschen könnte.«

»Davon können deine Landsleute erzählen,« sagte der Indier lachend. »Als sie Bundelkand von Straßenräubern säubern wollten, haben sie unglaubliche Überraschungen erleben müssen.

Es gibt kein anderes Land, dessen Diebe und Verbrecher sich an geistreicher Berechnung, Gewandtheit, außerordentlicher Geduld, bewundernswürdiger Kühnheit und Verwandlungskunst mit den unseren messen könnten.

Was würdest du z. B. dazu meinen, wenn ich dir sagen würde, daß jene Äste, die du da oben siehst, Indier in Fleisch und Blut sein könnten?«

»Daß ich nicht so einfältig wäre, sie für Menschen zu halten,« antwortete Toby.

»Und du würdest dich täuschen.«

»O!«

»Ja, Toby. Das ist ein Kniff, den die indischen Diebe und besonders die Dakoiten gut verstehen und der sie fast immer vor ihren Verfolgern rettet.

Um ihn auszuführen, und sie tun das in unmittelbarer Nähe der berittenen Schutzleute, entkleiden sie sich, binden ihre Kleider und Waffen unter kleine runde Schilde, die sie eigens zu diesem Zwecke mit sich führen, werfen sie von sich, daß man sie für Steine hält, legen sich auf den Boden und verbiegen ihre dürren, dunkelfarbigen Glieder so, daß sie wie richtige, abgestorbene Äste aussehen, während der Körper den Stamm bildet.

Ich versichere dich, daß die Täuschung so vollkommen ist, daß sie selbst den durchtriebensten Europäer irreführt.«

»Sollte man das für möglich halten!« rief Toby verblüfft.

»Man erzählt sich sogar eine hübsche Anekdote. Ein Offizier, ein Landsmann von dir, war beauftragt worden, eine Diebesbande festzunehmen, die den Bheel verehrte. Es gelingt ihm auch, sie aufzuspüren, als er sie aber einholen will, verschwinden die Diebe vor seinen und seiner Soldaten Blicken, obwohl an jenem Orte keine Bäume wuchsen.

Nur Baumstumpfe und abgestorbene Äste sahen sie.

Der Offizier, der müde geworden war, befiehlt seinen Leuten vom Pferde zu steigen und hängt seine Mütze an einen jener Äste. Weißt du, was es war?«

»Ich wüßte wirklich nicht.«

»Das Bein eines jener Diebe.«

»Das ist Lüge, Indri!« –

»Nein, Toby, es ist Wahrheit. Der Dieb, der sich vor Lachen nicht mehr halten konnte, wurde sofort entdeckt; schnell wie ein Blitz wirft er sich auf den erstaunten Offizier, reißt ihn zu Boden und flieht, indem er triumphierend die Mütze mitnimmt.

Die anderen Äste, die sich wie durch Zauber plötzlich in menschliche Wesen verwandelten, waren schon über alle Berge, und Offizier und Soldaten mußten mit einer langen Nase abziehen.«

»Wenn sie dessen fähig sind, werden wir uns vor ihnen in acht nehmen müssen, wenn wir den ›Lichtberg‹ haben.«

»Denen traue ich zu, daß sie ihn uns rauben, Toby. Ich kannte einen Indier, der auf einem schlummernden Hunde laufen konnte, ohne ihn zu wecken. Ein anderer, der dazu aufgefordert wurde, raubte einem Offizier der Schutztruppe die Decke, auf der er schlief.«

»Jener Offizier mußte in jener Nacht etwas zu viel getrunken haben,« sagte Toby. »Mir wäre es jedenfalls nicht passiert.«

»Im Gegenteil, denn er selbst forderte den Dieb dazu auf, um sich von der außerordentlichen Gewandtheit jener indischen Räuber zu überzeugen.«

»Und er wurde beraubt?«

»Nach wenigen Tagen.«

»Und wie machte das jener Indier?«

»Erst drang er ins Zelt, indem er die Leinwand zerschnitt. Nachdem er sich überzeugt hatte, daß der Offizier schlief, kitzelte er ihm sanft Hände und Gesicht, so daß er sich unwillkürlich auf seinem Lager wenden mußte.

Inzwischen zog er die Decke behutsam unter ihm vor.

Als der Offizier erwachte, war die Decke nicht mehr da. Am nächsten Tage brachte sie ihm der geschickte Schurke zurück.

Du kannst dir also einen Begriff machen, wessen die indischen Räuber fähig sind.«

»Leute, die wie die Pest zu fürchten sind,« sagte Toby.

»Wenn nicht schlimmer,« antwortete Indri.

»Wir sind angelangt,« sagte Dhundia in jenem Augenblick. »Noch eine Schlucht, dann werden wir in Pannah einziehen.«

Jenseits eines Tales erblickte man die Hauptstadt der Hochebene, schon halb in Dunkelheit verhüllt, in hellem Lichterglanze.

Es waren höchstens noch drei Meilen zurückzulegen, eine Entfernung, die Bangawady in weniger als einer halben Stunde durchmessen konnte, obwohl das Gelände sehr zerklüftet und an vielen Stellen aufgerissen war, da die Bergleute des Radscha überall nach Diamanten suchten.

»Werden die Tore noch offen sein?« fragte Indri Toby.

»Man wird sie uns öffnen,« antwortete der Engländer. »Einem weißen Mann, der sich erbietet, die Minen von dem schrecklichen ›Menschenfresser‹ zu befreien, läßt man nicht auf freiem Felde übernachten.

Ich bin sogar überzeugt, daß sie uns erwarten.«

»Sie kommen uns entgegen,« sagte Dhundia. »Ich sehe Wachsfackeln jenseits der Schlucht, die sich immer mehr nähern.«

»Ob uns der Radscha eine Bedeckung sendet?« fragte sich Toby. »Mein Ruf als Raubtiervertilger hat sich in der ganzen Hochebene verbreitet.«

»Hört ihr's?« fragte Dhundia. »Man gibt Zeichen.«

Durch das tiefe Schweigen, was im Tale herrschte, erscholl ein »Omerti«, ein Instrument, was aus einer halben Kokusnuß besteht, die mit feiner Haut überzogen ist und zarte, paukenähnliche Töne von sich gibt.

»Es ist eine Bedeckung, die uns der Radscha sendet,« sagte Indri. »Die Fackeln kommen uns entgegen.«

»Sie scheint auch zahlreich zu sein,« bemerkte Toby. »Das ist eine Höflichkeit, die ich nicht erwartete.«

»Und aus der wir Nutzen ziehen werden,« sagte Indri, indem er mit dem Ex-Sergeanten einen Blick wechselte.

»Ja, wenn sich Gelegenheit bietet.«

Fünf Minuten danach stieß Bangawady auf eine Schar mit Lanzen und Flinten bewaffneter Männer, hinter der sechzehn »Hamali« folgten, Träger, die auf den Schultern drei kastenartige, vergoldete Sänften mit seidenen Vorhängen und silbernen Troddeln trugen.

Zu beiden Seiten liefen acht »Mussalki«, Leute, die Wachsfackeln und Kokusnußöl in den Händen hielten, was sie in die Flammen spritzten, damit sie heller leuchteten.

Der Anführer jener Schar, der an dem Pfauenfederbusch erkenntlich war, der von seinem breiten Strohhut herunterhing, trat vor und sagte:

»Ich bin der Gesandte des mächtigsten Radscha von Pannah, meines Herrn, damit beauftragt, dem Tigerjäger und seinen Gefährten Geleit und Schutz zu geben. Die Sänften stehen bereit.«

»Wir danken deinem Herrn für dieses freundliche Entgegenkommen,« antwortete Toby, indem er die Strickleiter hinabstieg, die der »Kornak« hatte fallen lassen. »Wo sollst du uns beherbergen?«

»In einem ›Bengalow‹, der meinem Herrn gehört und vollständig zu deiner Verfügung steht, Sahib.«

»Wer unterrichtete ihn von meiner Ankunft?«

»Einer deiner Diener verbreitete heute morgen das Gerücht von deinem Eintreffen. So hatte man Wächter auf die Mauern gestellt, um uns von deinem Erscheinen in Kenntnis zu setzen. Sie sahen deinen Elefanten und ich kam dir entgegen.«

»Danke, Freund.«

Er stieg in die erste Sänfte, während Indri und Dhundia in den anderen beiden Platz nahmen, und die Schar setzte sich in Bewegung, gefolgt von Bangawady.

Die »Hamali«, die die Querbalken der Sänften stützten, liefen sehr rasch.

Es sind stets ausgesucht gewandte und kräftige Männer, obwohl sie unglaublich mager sind.

In ganz Indien verrichten sie den Transportdienst und zwar mit einer fabelhaften Schnelligkeit. Oftmals legen sie bis zu vierzig Kilometer hintereinander zurück, ohne eine Minute Rast zu machen. Und wenn man bedenkt, daß ihre ganze Mahlzeit aus etwa zwei Drittel Pfund schlechten Mehles besteht, von dem sie die Hälfte mittags und den Rest abends verzehren! – – –

Meistens arbeiten sie für die Postverwaltung, die sie, nach vorangegangener Meldung, von zehn zu zehn Meilen zum Abwechseln aufstellt, so daß der Reisende mit einer Schnelligkeit vorwärts kommt, die selbst die der besten Pferde übertrifft.

Kein Hindernis hemmt sie, weder Berge, noch Schluchten oder Dschungeln und haben dabei eine besondere Gangart, so daß die Sänfte auch nicht die geringste Erschütterung verspürt.

Wie es ihre Gewohnheit ist, so hatten auch die »Hamali« des Radscha bald ein Lied angestimmt, um gleiches Tempo beizubehalten, ein Lied, was sich fast immer gleich bleibt:

»Was tragen wir?« schrie der beste Sänger. »Vielleicht einen leichten Vogel?«

»Nein, nein,« antworteten die anderen in gleicher Tonart. »Einen schweren Menschen, so schwer, wie ein Elefant.«

»Lassen wir ihn fallen,« versetzte der erste wieder.

»Hast du seinen langen Stock nicht gesehen?«

»Ja, ich sah ihn.«

»Dann gib acht, sonst wird ihn dein Kreuz zu kosten bekommen.«

»Also arbeiten wir, vorwärts, arbeiten wir!«

Und sie setzten ihren Marsch fort, indem sie den Schlußvers bald mit gellender, bald mit kläglicher Stimme wiederholten.

Das Tal war bald hinter jenen schnellen Läufern und ebenfalls eine kleine Ebene mit antiken, jetzt erschöpften Diamantgruben. Um zehn Uhr zog die Schar in Pannah ein.

»Hier sind wir am Orte unseres gefährlichen Unternehmens,« sagte Indri seufzend. »Werde ich hier meine Ehre lassen oder als Sieger zurückkehren?

Der ›Lichtberg‹ befindet sich hier; jetzt kommt es auf mich an, ihn zu erlangen.«


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