Georg Ebers
Der Kaiser
Georg Ebers

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Einunddreißigstes Kapitel

Ja gewiß! Das Erscheinen Sabinas hatte die guten Geister aus dem Palast auf der Lochias vertrieben.

Wie ein Wirbelwind in ein Gehäuf von dürren Blättern, so war des Kaisers Befehl in das friedliche Häuschen gefahren. Seinen Bewohnern wurde nicht einmal Zeit gelassen, sich ihres Unglücks voll bewußt zu werden; denn anstatt zu klagen, galt es jetzt, umsichtig handeln.

Die Tische, Sessel, Polster und Lauten, die Körbe, Blumenstöcke und Vogelbauer, das Küchengerät und die Kleiderkisten standen über- und untereinander auf dem Hofe, und Doris benutzte die ihr vom Mastor zugewiesenen Sklaven so frisch und umsichtig für das Geschäft des Ausräumens, als gält' es nur, aus der einen Wohnung in die andere zu ziehen.

Ein Strahl der sonnigen Heiterkeit ihrer Seele blitzte ihr wieder aus den Augen, seitdem sie sich sagte, daß das, was ihr und den Ihren begegne, zu den unabänderlichen Dingen gehöre und es geratener sei, statt an die Vergangenheit an die Zukunft zu denken.

Bei der Arbeit wurde sie völlig die Alte, und als sie Euphorion ansah, der wie gebrochen auf seinem Polster saß und zu Boden starrte, rief sie ihm zu:

»Nach schlimmen kommen fröhliche Tage! – Laß sie nur versuchen, uns unglücklich zu machen! Wir haben nichts Übles getan, und so lange wir selbst nicht glauben elend zu sein, sind wir's auch nicht. Nur den Kopf oben behalten! Auf, Alter, auf! Geh gleich zu Diotima und sag ihr, wir bäten sie auf einige Tage um Gastfreundschaft für unsern Kram und uns selbst.«

»Wenn nun der Kaiser nicht Wort hält?« fragte Euphorion düster. »Was gibt es dann für ein Leben!«

»Ein schlechtes, ein hundeschlechtes, und darum ist es klug, jetzt noch zu genießen, was wir besitzen. Einen Becher Wein, Pollux, für mich und den Vater. Heute aber muß er ungemischt sein!«

»Ich kann nicht trinken,« seufzte der Sänger.

»Dann will ich auch deinen Teil auf mich nehmen!«

»Nicht doch, Mutter,« bat Pollux.

»Misch ihn. Junge, misch ihn ein wenig, aber mache nur kein so jammervolles Gesicht. Sieht so ein frischer Gesell aus, der seine Kunst und rüstige Kraft in Kopf und Hand und das schönste Liebchen im Herzen hält?«

»Um meinetwillen, Mutter,« versetzte der Bildhauer lebhaft, »bin ich gewiß nicht besorgt. Aber wie komm' ich jetzt wieder zu Arsinoe in den Palast, und wie werde ich mit dem grimmigen Keraunus fertig?«

»Das frage die Zeit,« entgegnete Doris.

»Sie kann gute, aber auch schlimme Antworten geben.«

»Die besten immer nur denen, die im Vorzimmer ›Geduld‹ auf sie warten.«

»Ein schlechter Aufenthaltsort für mich und meinesgleichen,« seufzte Pollux.

»Sitze nicht still und klopf an die Türen,« entgegnete Doris, »und bevor du dich's versiehst, ruft dir die Zeit ihr ›Herein!‹ zu. Jetzt zeige den Leuten dort, wie sie die Apollostatue handhaben sollen, und sei wieder mein munterer Junge!«

Pollux tat wie ihm geheißen und dachte dabei: Sie hat gut reden; ihr bleibt hier keine Arsinoe zurück! Hätt' ich nur wenigstens mit Antinous verabreden können, wo ich ihn wiederfinde; aber nach dem Befehl des Kaisers war der Junge wie vor den Kopf geschlagen und wankte fort, als ging' es zur Schlachtbank.

Frau Doris schien die gute Zuversicht nicht zu betrügen; denn der Geheimschreiber Phlegon kam und unterrichtete sie von dem Entschluß des Kaisers, ihrem Manne ein halbes Talent und auch in Zukunft seine kleine Besoldung auszahlen zu lassen.

»Siehst du,« rief die Alte, nachdem der Glücksbote sich wieder entfernt hatte, »die Sonne der guten Tage dämmert schon wieder auf. Ein halbes Talent! Mit so reichen Leuten, wie wir es sind, hat die Not nichts zu schaffen. Was meinst du? Wär' es nicht recht, den Göttern einen halben Becher Wein zu spenden und uns selbst die andere Hälfte zu gönnen?«

Frau Doris wurde so heiter, als ging' es zur Hochzeit, und ihre Munterkeit teilte sich ihrem Sohne mit, der sich eines Teils der ihn bedrückenden Sorge um die Eltern und Schwestern enthoben sah.

Sein gesunkener froher Lebensmut durfte nur einige Tropfen freundlichen Taues, um sich neu zu erheben.

Er dachte auch wieder an seine Kunst.

Zu allererst wollt' er das glücklich angelegte Bildnis des Antinous zu vollenden suchen.

Während er sich in das Haus begab, um sein Werk vor Schaden zu bewahren und dem Sklaven, dem er befohlen hatte, ihm zu folgen, Anweisungen erteilte, wie er es zu tragen habe, um es nicht zu beschädigen, trat sein Meister Papias in den Hof des Palastes. Er kam, um selbst die letzte Hand an die von ihm übernommenen Arbeiten zu legen und wollte einen neuen Versuch machen, die Gunst des Mannes, in dem er den Kaiser erkannt, für sich zu gewinnen.

Papias war besorgt; denn der Gedanke, daß Pollux nun verraten könnte, wie geringen Anteil er selbst an seinen letzten Arbeiten habe, die ihm doch höheres Lob als alle seine früheren Werke eingetragen hatten, beängstigte ihn. Wohl wollte es ihm geraten scheinen, seinen Stolz beiseite zu setzen und den früheren Schüler durch hohe Versprechungen zur Rückkehr in seine Werkstätte zu bewegen; gestern abend hatte er sich aber hinreißen lassen, vor dem Kaiser mit solcher Entrüstung von den üblen Eigenschaften des jungen Künstlers zu reden und seiner Freude, von ihm befreit zu sein, so lebhaften Ausdruck gegeben, daß er um Hadrians willen davon absehen mußte.

Jetzt blieb ihm nur übrig, Pollux aus Alexandria zu entfernen oder ihn, – und dies konnte vielleicht mit Hilfe des entrüsteten Kaisers geschehen – in irgendeiner Weise unschädlich zu machen. Einmal kam ihm sogar in den Sinn, einen ägyptischen Strolch zu dingen und ihn umbringen zu lassen; aber er war ein friedlicher Bürger, dem jede Übertretung des Gesetzes ein Greuel, und wies darum diesen schnöden Gedanken als verabscheuungswürdig weit von sich.

Sonst nahm er es nicht genau mit der Wahl der Mittel. Dazu kannte er die Menschen, wußte sich den Weg durch die Hintertüren zu bahnen und scheute sich nicht, wo es not tat, kühn zu verleumden. So hatte er denn auch schon in manchem Kampfe gegen angesehene Kunstgenossen den Sieg behauptet. Seine Hoffnung, daß es ihm gelingen werde, einem von wenigen beachteten Schüler ein Bein zu stellen und ihn, so lange der Kaiser in Alexandria weilte, unschädlich zu machen, war gewiß nicht zu kühn. Er haßte den Torwächtersohn weit weniger, als er ihn fürchtete, und verhehlte sich nicht, daß wenn seine Anschläge gegen ihn mißlangen und es Pollux glückte, auf eigene Füße gestellt, zu zeigen, was er vermöge, der Jüngling durch nichts zurückgehalten werden könnte, sich alles dessen laut zu rühmen, was er in den letzten Jahren für ihn geleistet.

Bei dem Häuschen Euphorions wurde seine Aufmerksamkeit durch die Sklaven gefesselt, die das Gerät der ausgewiesenen Leute auf die Straße trugen.

Bald hatte er erfahren, was hier vor sich ging, und erfreut über den üblen Willen, den der Kaiser gegen die Eltern seines Gegners bekundete, blieb er stehen und befahl nach kurzem Besinnen einen schwarzen Arbeiter, Pollux zu ihm herauszurufen.

Meister und Schüler begrüßten einander mit zur Schau getragenen Kühlheit, und jener sagte:

»Du hast die Sachen zurückzubringen vergessen, die du gestern, ohne mich zu fragen, aus meiner Gewandkammer genommen. Ich verlange sie noch heute zurück.«

»Ich nahm sie nicht für mich, sondern für den großen Herrn da drin und seinen Begleiter. Wenn etwas fehlt, so halte dich an ihn. Es tut mir leid, daß ich auch deinen silbernen Köcher mitnahm. Der Begleiter des römischen Herrn hat ihn verloren. Sobald ich hier fertig bin, bring' ich alles, was ich von deinen Sachen zurückzuerlangen vermag, und hole mir die meinigen ab. Es liegt doch noch manches, was mir gehört, in deiner Werkstätte.«

»Gut,« entgegnete Papias. »Eine Stunde vor Sonnenuntergang erwarte ich dich, und dann soll das alles in Ordnung gebracht werden.«

Ohne einen Abschiedsgruß wandte er dem Schüler den Rücken und ging in den Palast.

Pollux hatte gesagt, daß einige von den Gegenständen, die er ihm, ohne ihn zu fragen, fortgenommen hatte, und unter ihnen ein Stück von beträchtlichem Werte, abhanden gekommen wäre, und dieser Umstand bot ihm vielleicht eine Handhabe, ihn unschädlich zu machen.

Er blieb kaum eine halbe Stunde in dem Palaste, dann begab er sich, während Pollux die Mutter und den Hausrat der Eltern zu seiner Schwester begleitete, zu dem Nachtstrategen, der dem Sicherheitswesen Alexandrias vorstand.

Papias lebte mit diesem vornehmen Beamten in nahem Verkehr; denn er hatte einen Sarkophag für seine verstorbene Gattin, einen mit Reliefbildern geschmückten Altar für sein Männergemach und andere Arbeiten zu mäßigen Preisen für ihn hergestellt, und durfte auf seine Gefälligkeit rechnen.

Als er ihn verließ, hielt er einen Verhaftsbefehl gegen seinen Gehilfen Pollux in der Hand, der sich an seinem Eigentum vergriffen und ihm einen Köcher von schwerem Silber entwendet haben sollte. Der Nachtstratege hatte ihm auch zugesagt, ihm zwei seiner Leute zu übersenden, die den Missetäter ins Gefängnis abführen sollten.

Erleichterten Herzens begab sich Papias in sein Haus zurück.

Sein Schüler ging, nachdem der kleine Umzug seiner Eltern bewerkstelligt worden war, noch einmal in den Palast und traf dort zu seiner Freude den Sklaven Mastor, der ihm bald die Kleidungsstücke und Masken brachte, die er gestern Hadrian und Antinous geliehen hatte. Der Jazygier erzählte ihm dabei mit Tränen in den Augen eine traurige, sehr traurige Geschichte, die den jungen Bildhauer aufs tiefste erregte und ihn sogleich auf jede Gefahr hin in den Palast geführt haben würde, wenn er nicht die Notwendigkeit eingesehen hätte, sich zu der von Papias bestimmten Zeit, an der nur noch wenig fehlte, bei ihm einzufinden und sich wegen der fehlenden wertvollen Gegenstände zu verantworten.

Nur von dem Wunsche erfüllt und auf nichts bedacht, als möglichst bald wieder auf der Lochias zu sein, woselbst man seiner bedurfte und wohin das Herz ihn zurücktrieb, nahm er dem Sklaven das Paket aus der Hand und eilte mit ihm davon.

Papias hatte alle Gehilfen und selbst seine Angehörigen aus dem Haufe entfernt. Er empfing den Atemlosen ganz allein und nannte ihm mit eisiger Ruhe die Sachen, die in seiner Gewandkammer fehlten. – Stück für Stück verlangte er von ihm zurück.

»Ich sagte dir ja bereits,« rief Pollux, »daß nicht ich, sondern der hohe Herr aus Rom – du weißt wohl jetzt auch, wer er ist – für den silbernen Köcher und den zerrissenen Chiton einstehen muß.«

Dann begann er zu erzählen, wie Antinous ihn im Namen seines Gebieters aufgefordert habe, Masken und anderen Aufputz für sie beide herbeizuschaffen.

Papias schnitt ihm aber schon nach den ersten Sätzen das Wort ab und verlangte heftig seinen Köcher und Bogen zurück, deren Wert Pollux in zwei Jahren nicht abzuarbeiten vermöge.

Der Jüngling, den Herz und Sinn auf die Lochias zurückzogen, und der sich um keinen Preis länger als nötig aufhalten lassen wollte, bat erst in aller Höflichkeit den Meister, ihn jetzt zu entlassen und morgen, nachdem er mit den Römern geredet, von denen er jeden beliebigen Schadenersatz fordern dürfe, diese Sache mit ihm zu erledigen. Als ihn aber Papias wieder und wieder unterbrach und hartnäckig auf der sofortigen Zurückerstattung seines Eigentums bestand, stieg dem leicht erregbaren Künstler das Blut zu Kopfe und er vergalt die Angriffe und Fragen des älteren Mannes mit heftigen Entgegnungen.

Ein Wort gab das andere. Papias sprach endlich von Leuten, die sich an fremdem Silbergerät vergriffen, und als Pollux ihm darauf entgegnete, daß er auch andere kenne, die die Leistungen Geschickterer für die eigenen ausgäben, da schlug sein Meister mit der Faust auf den Tisch, näherte sich der Tür und rief, sobald er sich hinlänglich weit von kräftigen Fäusten des erregten Jünglings entfernt hatte:

»Du Dieb! – Ich werde dir zeigen, wie man in Alexandria deinesgleichen behandelt.«

Pollux erbleichte vor Wut und stürzte sich dem Entfliehenden nach; bevor er ihn aber erreichte, konnte sich Papias hinter den beiden Häschern des Nachtstrategen, die im Vorzimmer warteten, verbergen, und rief ihnen zu:

»Greift den Dieb! Haltet den Spitzbuben, der mir mein silbernes Gerät stahl und die Hand gegen seinen Meister erhebt. Fesselt ihn, bindet ihn, führt ihn fort ins Gefängnis.«

Pollux wußte nicht, wie ihm geschah.

Wie ein Bär, der sich von Jägern umstellt weiß, blieb er zaudernd stehen.

Sollte er sich auf die Verfolger stürzen und sie zu Boden reißen? Sollte er tatenlos das Verhängte erwarten?

Er kannte jeden Stein im Hause seines Meisters. Das Vorzimmer, in dem er sich befand, lag wie die ganze Wohnung des Papias zu ebener Erde. Während die Häscher sich ihm näherten und der Meister dem Liktor den Verhaftsbefehl reichte, fiel ihm ein Fenster, das von der Straße her Licht empfing, ins Auge, und nur erfüllt von dem einen Gedanken, die Freiheit zu wahren, und recht bald auf die Lochias und zu Arsinoe zu kommen, sprang er auf die Rettung verheißende Öffnung zu und schwang sich in die Gasse hinaus.

»Der Dieb!« – »Haltet den Dieb!« rief es ihm nach, während er in langen Sätzen vorwärtsstürzte.

Wie ein von allen vier Winden gepeitschter Regen drang von allen Seiten der unsinnige, widerwärtige, entsetzliche Ruf: »Der Dieb!« – »Haltet den Dieb!« auf ihn ein und brachte ihn um die Besinnung.

Nur der leidenschaftliche Schrei seines Herzens: »Auf die Lochias! Zur Arsinoe! Frei, nur frei bleiben, um auf der Lochias zu helfen!« übertönte die Stimme der Verfolger und trieb ihn durch diejenigen Straßen, die zu dem alten Palaste führten. In langen Sätzen jagte er weiter und weiter. Der salzigfrische Hauch des Meeres berührte ihm bereits die glühenden Wangen, und die schmale, menschenleere Gasse dort, das wußte er, führte ihn in die Werft am königlichen Hafen, in der das hochaufgeschichtete Bauholz ihn vor den Verfolgern verbergen konnte.

Jetzt wandte er sich, um in sie einzubiegen. – Da warf ihm ein ägyptischer Ochsentreiber den Stecken zwischen die Beine. Er stolperte, fiel zu Boden, und gleich darauf fühlte er, wie einer der Hunde, die ihm nachgestürzt waren, ihm den Chiton vom Leibe riß und viele Menschen sich auf ihn stürzten.

Eine Stunde später befand er sich gebissen, zerschlagen, gebunden im Gefängnis unter schlechtem Gesindel und wirklichen Dieben.

Die Nacht war hereingebrochen.

Seine Eltern warteten auf ihn, und er kam nicht. Auf der Lochias aber, die er nicht zu erreichen vermocht, gab es Jammer und Elend genug, und der einzige, der es vermocht hätte, der verzweifelnden Arsinoe Trost zu bringen, blieb aus und war nicht zu finden.


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