Georg Ebers
Der Kaiser
Georg Ebers

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Dreißigstes Kapitel

Dem Schlaflosen, den ein Unglück betraf, erscheint das zukünftige Leben, so lange die Nacht ihn umgibt, wie ein Meer ohne Grenzen, in dem er als Schiffbrüchiger umhertreibt; wenn aber das Dunkel weicht, zeigt ihm der neue freundliche Tag einen rettenden Kahn in der Nähe und in der Ferne gastliche Küsten.

Auch der arme Pollux hatte mit offenen Augen und manchem schweren Seufzer dem Morgen entgegengewacht; denn es wollte ihm scheinen, als hätte ihm der gestrige Abend die ganze Zukunft verdorben.

Die Werkstätte seines früheren Meisters war ihm verschlossen, und er besaß nicht einmal mehr alle Werkzeuge, die er zur Übung seiner Kunst bedurfte.

Gestern hatte er mit freudiger Zuversicht gehofft, sich auf eigene Füße stellen zu können, – heute erschien ihm dies unmöglich; denn ihm fehlten dazu die unentbehrlichsten Hilfsmittel.

Als er sein Geldbeutelchen, das er unter das Kopfkissen zu legen pflegte, betastete, mußte er trotz alles seines Kummers lächeln; denn seine Finger versanken tief in das schlaffe Leder und fanden nichts als zwei Münzen, von denen er leider wußte, daß sie aus Kupfer bestanden, und den getrockneten Brustknochen eines Huhnes, den er den kleinen Nichten mitbringen wollte.

Woher sollte er nun das Geld nehmen, das er der Schwester sonst am Ersten eines jeden Monats brachte.

Papias war mit allen Bildhauern der Stadt, denen er schöne Gastmähler zu geben pflegte, befreundet, und es ließ sich erwarten, daß er sie vor ihm warnen und es ihm, wie er nur konnte, erschweren würde, eine neue Gehilfenstelle zu finden.

Sein alter Meister war Zeuge der gegen ihn gerichteten Wut des Kaisers gewesen und ganz der Mann, das Erlauschte gegen ihn zu benutzen.

Es gereicht niemand zur Empfehlung, von den Mächtigsten gehaßt zu werden, und am wenigsten gegenüber denen, die Gunst und Gaben von den Großen der Erde erwarten.

Wenn Hadrian es für gut hielt, aus der Verborgenheit hervorzutreten, konnte es ihm auch leicht in den Sinn kommen, ihn seine Macht fühlen zu lassen.

Tat er nicht klug, wenn er Alexandria verließ und in irgendeiner andern Griechenstadt Arbeit und Brot suchte?

Aber um Arsinoes willen konnte er dem Heimatsorte den Rücken nicht kehren.

Er liebte sie mit der ganzen Leidenschaft seiner Künstlerseele, und der frische Mut hätte ihm gewiß nicht so schnell und tief getrübt werden können, wenn es ihm möglich gewesen wäre, sich zu verhehlen, daß die Hoffnung, sie zu besitzen, durch die Ereignisse des gestrigen Abends in weite Ferne gerückt worden war.

Wie durfte er es wagen, sie an sein unsicheres und bedrohtes Schicksal zu fesseln?

Welcher Empfang erwartete ihn wohl bei ihrem Vater, wenn er jetzt versuchte, sie von ihm zum Weibe zu begehren?

So oft diese Gedanken sich seiner Seele bemächtigten, wollt' es ihm vorkommen, als wäre ihm Staub ins Auge geflogen, sah er sich gezwungen, aus dem Bette zu springen, sein Kämmerchen mit langen Schritten zu durchmessen und die Stirn an die kühle Wand zu drücken.

Die Dämmerung des neuen Tages erschien ihm wie ein willkommener Tröster, und als er die Morgensuppe gegessen hatte, die die Mutter ihm mit verweinten Augen vorsetzte, kam ihm der Gedanke, sich an den Baumeister Pontius zu wenden. Das war der Kahn, der ihm winkte!

Frau Doris teilte das Frühmahl des Sohnes, sprach ganz gegen ihre Gewohnheit sehr wenig und strich Pollux nur manchmal über die Locken.

Der Sänger Euphorion durchmaß mit langen Schritten das Zimmer und suchte nach Gedanken für eine Ode, in der er den Kaiser besingen und ihn anflehen wollte, dem Sohne zu vergeben.

Kurz nach Beendigung des Frühmahls schlich sich Pollux auf den Rundplatz mit den Büsten der Königinnen, um Arsinoe wiederzusehen.

Ein laut gesungener Vers lockte sie auf den Altan.

Sie grüßten einander, und Pollux bat sie durch Winke, zu ihm hinunter zu kommen.

Mehr als gern hätte sie ihm den Willen getan, doch ihr Vater hatte die Stimme des Bildhauers vernommen und sie in das Zimmer zurückgezogen.

Dem Künstler hatte indes schon der Anblick der schönen Geliebten wohlgetan.

Kaum war er wieder in die Wohnung der Eltern zurückgekehrt, als sich Antinous in das Torwächterhäuschen schlich.

Das war die gastliche Küste, auf die der Bildhauer nun die Augen richtete. Die Hoffnung kehrte ihm in die Seele zurück, und Hoffnung ist die Sonne, vor der die Verzweiflung flieht wie die Schatten der Nacht vor dem Erwachen des Tages.

Sein künstlerisches Vermögen ward wieder in Anspruch genommen und fand ein Feld, sich schön zu betätigen; denn Antinous teilte ihm mit, daß er sich ihm bis um Mittag zur Verfügung stellen könne, weil sein Meister, oder vielmehr der Kaiser, wie er ihn nun nennen durfte, beschäftigt sei. Der Präfekt Titianus war mit einem ganzen Stoße von Schreiben zu ihm gekommen, um mit ihm und den Geheimschreibern zu arbeiten.

Pollux zog den Günstling sogleich in das nach Norden gelegene Seitengemach der elterlichen Wohnung.

Hier lag das Wachs und das kleinere Werkzeug, das ihm selbst gehörte, seit gestern abend auf einem Tischchen.

Das Herz tat ihm weh und seine Nerven waren aufs äußerste angespannt, als er zu arbeiten begann.

Allerlei fremde Gedanken beunruhigten ihm die Seele, und doch wußte er, daß er nur, wenn er ganz bei der Sache war, etwas Rechtes zu leisten vermochte. Und gerade heute mußte er seine beste Kraft aufbieten, fürchtete er das Mißlingen wie ein Unglück; denn ein Modell wie das da vor ihm, gab es auf Erden nicht zum zweiten Male.

Er brauchte auch nicht lange nach Sammlung zu ringen; denn die Schönheit des Bithyniers erfüllte ihn mit tiefer Andacht, und voll von frommer Erregung griff er in den geschmeidigen Stoff und gab ihm eine seinem Vorbilde ähnliche Gestalt.

Zwischen ihm und dem Künstler ward eine Stunde lang kein Wort gewechselt; Pollux aber seufzte manchmal tief auf, und dann und wann klang ihm ein ängstlicher Klagelaut von den Lippen.

Antinous brach das Schweigen, um mit dem Bildhauer von Selene zu reden.

Sein Herz war voll von ihr, und es gab keinen anderen Menschen, der sie kannte und den er zum Vertrauten seines Geheimnisses machen durfte. Nur um von ihr zu reden, war er so bald zu dem Künstler gekommen.

Während Pollux formte und formte, erzählte Antinous, was ihm in der vergangenen Nacht begegnet. Er bedauerte, bei dem Sturz ins Wasser den silbernen Köcher verloren zu haben, und daß seine Verfolger später den rosenfarbenen Chiton kurz und klein gerissen hatten.

Ein Ausruf des Staunens, ein anderer der Teilnahme, eine kurze Ruhe der Hände und Werkzeuge war alles, wozu den Künstler die Erzählung vom Schicksal Selenes und vom Verlust der kostbaren Besitztümer seines Meisters veranlaßte; denn das Schaffen nahm ihn vollkommen in Anspruch. Je weiter die Arbeit fortschritt, desto höher stieg die Bewunderung vor seinem Vorbilde. Wie berauscht von edlem Wein fühlte er sich, als er diese Verkörperung der Idee untadeliger männlicher Jugendschönheit nachschuf. Die Leidenschaft des künstlerischen Zeugens durchglühte ihm das Blut und zog alles andere, selbst die Kunde vom Sturz Selenes in den See und ihrer Rettung, ins Reich der gewöhnlichen Dinge.

Trotzdem war er nicht unaufmerksam gewesen, und das Gehörte mußte wohl in ihm fortwirken; denn lange nachdem Antinous seine Erzählung beendet, sagte er leise und als ob er zu dem Bildwerke rede, das schon entschiedene Formen annahm:

»Wunderliches Ding,« und ein wenig später: »Es steckt doch etwas Großes in diesem unglückseligen Geschöpfe.«

Beinahe vier Stunden hatte er ohne Unterbrechung gearbeitet, dann atmete er tief auf, trat von dem Tische zurück, schaute gespannt bald auf seine Arbeit, bald auf Antinous, und fragte ihn dann:

»Wird es was Rechtes?«

Der Bithynier gab seinem Beifall lebhaften Ausdruck, und Pollux hatte in der Tat sehr viel in der kurzen Zeit zustande gebracht.

Das Wachs begann in starker Verkleinerung die ganze Gestalt des schönen Jünglings zu zeigen, und zwar in derselben Stellung, die der junge, von den Seeräubern fortgeführte Dionysus gestern auf dem Weinschiffe des Präfekten eingenommen hatte.

Die unvergleichlich schönen Formen des Günstlings waren weich und doch nicht unkräftig. Kein Künstler, das hatte Pollux sich schon früher gesagt, konnte in der besten Stunde den nysäischen Gott sich anders, sich schöner denken.

Während der Bildhauer, um sich über die Richtigkeit seiner Arbeit Gewißheit zu verschaffen, die einzelnen Glieder seines Modells mit einem hölzernen Zirkel und leinenen Bändern vermaß, ließ sich Wagengerassel an dem Tore des Palastes und bald darauf das Gekläff der Grazien vernehmen.

Frau Doris rief die Hunde zur Ruhe, und eine andere hohe Frauenstimme mischte sich in die ihre.

Antinous lauschte, und was er vernahm, schien nichts Alltägliches zu sein, denn er verließ plötzlich die Stellung, die ihm der Künstler erst vor einigen Augenblicken gegeben, trat ans Fenster und rief Pollux von hier aus mit gedämpfter Stimme zu:

»Wahrhaftig, ich irre mich nicht! Hadrians Gattin Sabina redet da draußen mit deiner Mutter.«

Er hatte recht gehört: die Kaiserin war auf die Lochias gekommen, um den Gemahl dort aufzusuchen. Vor dem Tore des alten Palastes hatte sie den Wagen verlassen; denn die Pflasterung des Hofes sollte erst an diesem Abend vollendet werden.

Die Hunde, denen ihr Gatte so hold, waren ihr zuwider, und die klugen Tiere vergalten ihre Abneigung mit der gleichen Empfindung. Darum wollte es Frau Doris noch schwerer als sonst gelingen, die ungehorsamen Lieblinge, die die fremde Matrone ingrimmig anfielen, zur Ruhe zu bringen.

Sabina befahl der Alten, geängstigt und mit heftigen Worten, sie von den Angreifern zu befreien; der Kämmerer aber, der mit ihr gekommen war und auf den sie sich stützte, trat mit den Füßen nach den unbändigen Kläffern und steigerte dadurch ihren Ingrimm.

Endlich zogen sich die Grazien in das Häuschen zurück; Frau Doris aber atmete auf und wandte sich an die Kaiserin.

Sie ahnte nicht, wer die Fremde war; denn sie hatte Sabina nie gesehen und sich ein ganz anderes Bild von ihr gestaltet.

»Verzeihe mir, gute Frau,« sagte sie in ihrer zutraulichen Weise, »die kleinen Schelme sind herzensgut und beißen nicht einmal einen Bettler; ältere Frauen können sie aber nun einmal nicht leiden. Wen suchst du denn bei uns, meine Mutter?«

»Das sollst du bald erfahren,« entgegnete Sabina herb. »Welches Leben, Lentulus, machtet ihr von der Tätigkeit des Baumeisters Pontius! Wie wird es da drinnen aussehen, wenn diese Baracke stehenbleiben konnte, die den Eingang des Palastes verunziert! Sie muß fort mitsamt den Bewohnern. – Befiehl diesem Weibe, uns zu dem römischen Herrn, der hier wohnt, zu führen.«

Der Kämmerer tat, wie ihm geheißen; Frau Doris aber begann zu ahnen, wen sie vor sich hatte, und sagte, indem sie das Gewand glatt strich und sich tief verneigte:

»Welche große Ehre widerfährt uns, hohe Frau! Vielleicht bist du gar die Gattin des Kaisers? Wenn das der Fall ist . . .«

Sabina winkte dem Kämmerer mit einer ungeduldigen Handbewegung; er aber unterbrach die Alte, indem er ihr zurief:

»Schweig und zeig uns den Weg.«

Doris war heute nicht die Stärkste, und die von den Tränen um den Sohn geröteten Augen wurden ihr wiederum naß.

So hatte noch niemand mit ihr geredet, und doch durfte sie um des Sohnes willen diese schnöde Anrede nicht mit gleicher Münze, die ihr doch reichlich zu Gebote stand, bezahlen.

Schweigend hinkte sie Sabina voran und führte sie bis in die Musenhalle. Dort nahm ihr der Architekt Pontius ihre Aufgabe ab, und die Ehrfurcht, die er der Fremden erwies, lehrte sie, daß jene in der Tat keine andere sei als die Kaiserin selbst.

»Ein widerwärtiges Weib,« sagte Sabina, während sie sich entfernte, und zeigte dabei mit dem Finger auf Doris, der keines ihrer Worte entging.

Das war zu viel für die Alte.

Fassungslos warf sie sich auf einen der vor wenigen Stunden dort aufgestellten Sessel, verbarg das Gesicht in die Hände und begann bitterlich zu weinen.

Es war ihr, als würde der Boden ihr unter den Füßen fortgezogen.

Ihren Sohn bedrohte der Kaiser, und die mächtigste Frau in der ganzen Welt sie selbst und ihr Haus.

Schon sah sie sich mit Euphorion und ihren Tieren auf die Straße gestoßen und fragte sich, was denn aus ihnen allen werden sollte, wenn sie ihre Stellung und ihr Obdach verlören. Ihres Mannes Gedächtnis wurde immer schwächer, bald konnte auch seine Stimme nicht mehr genügen, und wie sehr hatten ihre eigenen Kräfte in den letzten Jahren nachgelassen, wie klein war der Sparpfennig, den sie in der Truhe versteckt hielt!

Die muntere, frische Alte fühlte sich wie gebrochen.

Was sie schmerzte, war nicht bloß die sie bedrohende Not, sondern auch der Schimpf, der ihr zugefügt werden sollte, das Mißfallen, das sie, der doch jeder seit ihrer Jugend freundlich begegnet war, erregt hatte, und die kränkende Empfindung, von der mächtigen Frau, auf deren Gunst sie gehofft hatte, mit Verachtung behandelt und vor anderen geschmäht worden zu sein.

Sabinas Ankunft vertrieb die guten Geister von der Lochias. Das empfand Doris; doch sie war keine von denen, die sich feindlichen Mächten widerstandslos unterwerfen.

Einige Minuten lang hatte sie sich dem Leid hingegeben und wie ein Kind geschluchzt. Jetzt trocknete sie die Augen und empfand in ihrem erleichterten Herzen die Wohltat der Tränen. Nach und nach gelang es ihr auch, wieder ruhig zu denken.

»Am Ende,« sagte sie sich, »hat hier nur der Kaiser selbst zu gebieten, und es heißt, daß er mit seiner bösen Frau schlecht auskomme und wenig nach ihren Wünschen frage. Hadrian ließ Pollux seine Macht fühlen; mit mir aber war er doch immer freundlich. Meine Hunde und Vögel gefallen ihm, und hat er sich nicht sogar das Essen aus meiner Küche wohl schmecken lassen? Nein nein! Wenn es mir nur gelingt, ihn allein zu sprechen, wendet sich vielleicht noch alles zum Guten.«

So denkend stand sie von ihrem Sitze auf.

Als sie das Vorzimmer verlassen wollte, trat der Kunsthändler Gabinius aus Nizäa ein, dem Keraunus abgeschlagen hatte, ihm das dem Palast gehörende Mosaikbild zu verkaufen, und dessen Tochter durch Arsinoe um die Rolle der Roxane gekommen.

Pontius hatte ihn in den Palast bestellt, und er war sogleich erschienen; denn seit dem gestrigen Abend flog das Gerücht, daß der Kaiser in Alexandria weile und in dem Schlosse auf der Lochias wohne, von Mund zu Mund. Wer es verbreitete, auf welche Tatsache es sich stütze, wußte niemand zu sagen. Es war eben da, fand Gehör in allen Kreisen und nahm von Stunde zu Stunde an Sicherheit zu. Von allem Wachsenden auf Erden wächst nichts so schnell wie das Gerücht, und dennoch ist es ein armer Findling, der die eigenen Eltern nicht kennt.

Der Kunsthändler drang mit einem verwunderten Blick auf die Alte weiter in den Palast vor; Doris aber überlegte, ob sie den Kaiser hier aufsuchen oder in ihr Häuschen zurückkehren und abwarten sollte, bis Hadrian einmal den Palast verlassen und an ihrer Wohnung vorbeikommen würde.

Bevor sie zu einer Entscheidung gelangte, erschien der Baumeister Pontius. Er hatte sich stets sehr freundlich gegen sie erwiesen, und darum wagte sie es, ihn anzureden und ihm zu erzählen, was ihrem Sohne von seiten des Kaisers begegnet war.

Der Architekt hörte nichts Neues, riet ihr, sich zu gedulden, bis Hadrian sich beruhigt habe, und versprach ihr, später alles, was er nur immer vermöge, für Pollux zu tun, den er liebhabe und achte. – Heute sei er gezwungen, im Auftrag des Kaisers sogleich auf längere Zeit zu verreisen. Das Ziel seiner Fahrt war Pelusium. Dort sollte dem großen Pompejus ein Denkmal an derjenigen Stelle gesetzt werden, an der er ermordet worden war. Hadrian hatte auf der Wanderung vom Berge Kasius nach Aegypten gegenüber dem alten, verfallenden Monumente den Entschluß gefaßt, es durch ein neues ersetzen zu lassen und Pontius, dessen Arbeit auf der Lochias der Vollendung entgegenging, mit der Herstellung beauftragt.

Was noch in dem erneuten Schlosse an Ausstattungsstücken fehlte, wünschte Hadrian selbst auszusuchen und anzuschaffen, und bei dieser seinen Neigungen zusagenden Tätigkeit sollte ihm der Kunsthändler Gabinius hilfreiche Hand leisten.

Während Frau Doris noch mit Pontius sprach, näherten sich Hadrian und seine Gemahlin dem Vorraume.

Der Baumeister hatte kaum die Stimme Sabinas erkannt, als er der Alten leise und eilig zurief:

»Auf später, Mütterchen. Tritt zur Seite, der Kaiser und die Kaiserin kommen.«

Dann entfernte er sich schnell.

Doris trat in die Pforte eines Nebenzimmers, die nur durch einen schweren Vorhang verschlossen war; denn sie wäre jetzt ebenso gern einem reißenden Tiere wieder begegnet wie der stolzen Frau, von der sie nichts als Kränkungen erwarten durfte.

Die Unterredung Hadrians mit der Gemahlin hatte kaum eine Viertelstunde gedauert und sie mußte nicht freundlich gewesen sein; denn sein Antlitz glühte, Sabina aber hatte völlig blutlose Lippen, und über die geschminkten Wangen flog ihr ein unruhiges Zucken.

Doris war zu erregt und ängstigte sich viel zu sehr, um das fürstliche Paar zu belauschen; aber sie vernahm doch die vom Kaiser mit großer Entschiedenheit ausgesprochenen Worte: »In kleinen Dingen lasse ich dir, wo es angeht, den Willen; Größeres entscheid' ich diesmal wie immer nach meinem, ausschließlich nach meinem Ermessen.« Diese Erklärung war verhängnisvoll für das Torwärterhäuschen und seine Bewohner; denn zu den kleinen Dingen, von denen Hadrian redete, gehörte die Beseitigung der häßlichen Baracke beim Eingange des Palastes. Sabina hatte sie von dem Gatten gefordert, weil es niemand angenehm sein könnte, bei jedem Besuch der Lochias von einer Unglück verheißenden alten Megäre empfangen und von wütenden Hunden angefallen zu werden.

Doris ahnte so wenig, was des Kaisers Rede bedeutete, daß sie sich über ihren Inhalt freute; denn sie erfuhr durch sie, wie wenig geneigt Hadrian war, seiner Gattin in großen Dingen nachzugeben, und wer konnte ihr verdenken, wenn sie ihr Schicksal und das ihres Hauses zu den großen, und zwar zu den allergrößten zählte?

Sabina hatte, auf den Kämmerer gestützt, das Vorgemach verlassen, und Hadrian blieb mit seinem Sklaven Mastor allein.

Einen so günstigen Augenblick fand die Alte so leicht nicht wieder, um den gewaltigen Mann, der da vor ihr stand, ohne hindernde Zeugen anzuflehen, Großmut an ihr zu üben und ihrem Sohne zu vergeben. Er wandte ihr den Rücken zu. Hätte sie sehen können, mit wie furchtbaren Blicken er zu Boden schaute, würde sie gewiß an die Mahnung des Baumeisters gedacht und ihre Anrede bis auf spätere Tage verschoben haben.

Wie viele verderben ihre gute Sache, indem sie dem treibenden Drange, bald eine Entscheidung zu erzielen, folgen und nicht stark genug sind, den Beginn ihres Handelns bis auf einen für ihr Vorhaben günstigen Augenblick zu verschieben! Ungewißheit in der Gegenwart erscheint uns oftmals weniger erträglich als widriges Geschick in der Zukunft.

Doris trat aus dem Seitengemache hervor.

Mastor, der den Gebieter kannte, und freundlich gesinnt wie er war, der guten Alten gern eine Demütigung erspart hätte, deutete ihr mit lebhaftem Winken an, daß sie zurücktreten und den Kaiser jetzt nicht stören möge; sie aber war von ihrer Angst und ihren Wünschen so ganz in Anspruch genommen, daß sie ihn nicht bemerkte.

Als der Kaiser sich anschickte, das Vorgemach zu verlassen, faßte sie sich ein Herz, trat in die Pforte, die er durchschreiten mußte, und versuchte es, sich vor ihm auf die Knie niederzulassen. Das wollte den alten Beinen nur schwer gelingen, und Doris mußte den Pfosten der Tür zu Hilfe nehmen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.

Hadrian erkannte die Bittstellerin sogleich, heute aber fand er kein freundliches Wort für sie, und der Blick, den er auf sie niederwarf, war nichts weniger als gnädig. Wie hatte er nur jemals an diesem traurigen alten Geschöpfe Wohlgefallen finden können?

Ach, die arme Doris war auch eine ganz andere in ihrem Häuschen, unter ihren Blumen, Vögeln und Hunden, als hier in den weiten Räumen des prächtigen Palastes. Dieser große, glänzende Rahmen paßte nicht für eine so bescheidene Gestalt.

Tausende, die in ihrer täglichen Umgebung Achtung gebieten und Gefallen erwecken, geben, losgelöst von dem Kreis, in den sie gehören, zu ganz anderen Empfindungen Anlaß.

Doris hatte Hadrian noch nie einen so unerquicklichen Anblick geboten, als gerade heute, als in dieser ihr Lebensgeschick entscheidenden Stunde. Vom Küchenherde war sie, wie sie ging und stand, der Kaiserin gefolgt. Nach einer schlaflosen Nacht hatte sie, ganz von ihren Sorgen in Anspruch genommen, das graue Haar kaum geordnet, und die guten klaren Augen, sonst die Zierde ihres Angesichts, waren heute vom vielen Weinen gerötet. Das saubere, freundliche Mütterlein sah heute nichts weniger als schmuck und heiter aus und unterschied sich in keiner Hinsicht von jenen anderen alten Weibern, die der Kaiser für unglückverheißend hielt, wenn er ihnen bei einem Ausgang begegnete.

»O Cäsar, großer Cäsar,« rief Doris und erhob die Hände, an denen noch manche Spuren der Arbeit am Herde zu sehen waren, »mein Sohn, mein unglücklicher Pollux!«

»Aus dem Wege!« gebot Hadrian streng.

»Er ist ein Künstler, ein guter Künstler, der schon jetzt manchen Meister übertrifft, und wenn ihm die Götter . . .«

»Aus dem Wege, hab' ich gesagt. Ich will von dem frechen Buben nichts hören,« rief Hadrian unwillig.

»Aber, großer Cäsar, er ist doch mein Sohn und du weißt, eine Mutter . . .«

»Mastor,« unterbrach sie der Herrscher, »hebe die Alte auf, und verschaffe mir Platz.«

»O Herr, Herr,« weinte das geängstigte Weib, während der Sklave es nicht ohne Mühe aufrichtete. »O Herr, wie kannst du auf einmal so hart sein! Bin ich denn nicht mehr die alte Doris, mit der du gescherzt hast und deren Kost dir doch schmeckte?«

Diese Frage rief dem Kaiser das Bild der Stunde seiner Ankunft auf der Lochias in die Vorstellung zurück. Er empfand, daß er der Alten etwas schuldig sei, und gewohnt, mit fürstlicher Freigebigkeit zu zahlen, fiel er ihr ins Wort:

»Für dein gutes Gericht wirst du eine Summe erhalten, von der ihr euch ein neues Haus kaufen könnt. Euer Gehalt wird euch auch in Zukunft ausgezahlt werden, aber in drei Stunden verlaßt ihr die Lochias.«

Der Kaiser sprach so schnell, als gälte es, ein unangenehmes Geschäft zu Ende zu führen, und schritt an Frau Doris vorüber, die wieder auf den Füßen stand und sich nun wie betäubt an den Türpfosten lehnte.

Wäre Hadrian auch nicht fortgegangen und hätte er ihr auch bewilligt, sie weiter anzuhören, hätte sie jetzt doch nicht auch nur ein einziges Wort der Entgegnung gefunden.

Dem Imperator gebührten die Ehren des Zeus, und wie der Blitz, den der Vater der Götter schleudert, hatte sein Machtspruch das Glück eines friedlichen Hauses zerschmettert.

Diesmal fand Doris keine Tränen.

Der furchtbare Schreck, der ihr die Seele erschüttert hatte, machte sich auch an ihrem Körper fühlbar. Die Knie wankten ihr, und unfähig, sich sogleich auf den Heimweg zu begeben, ließ sie sich auf einen Sessel nieder und starrte angstvoll vor sich hin, indem sie bedachte, was nun werden sollte und kommen konnte. In dem hinter dem Vorgemach gelegenen, vor wenig Stunden völlig vollendeten Raume blieb der Kaiser stehen. Seine Härte gegen die Alte begann ihn zu reuen; hatte sie sich doch, ohne zu wissen wer er war, sehr freundlich gegen ihn und seinen Liebling erwiesen.

»Wo ist Antinous?« fragte er Mastor.

»Er ging in das Torhüterhäuschen.«

»Was tut er da?«

»Ich glaube, er wird . . . er hat dort vielleicht . . .«

»Die Wahrheit, Bursche!«

»Er ist bei dem Bildhauer Pollux.«

»Schon lange?«

»Ich weiß nicht genau.«

»Wie lange, frage ich!«

»Nachdem du dich mit Titianus eingeschlossen hattest, ging er.«

»Drei Stunden, drei volle Stunden bei dem Prahlhans, dem ich den Weg wies!«

Die Augen Hadrians funkelten zornig, während er dies rief. Sein Verdruß über den Liebling, dessen Gesellschaft er keinem anderen und am letzten einem Pollux gönnte, erstickte jeden freundlichen Gedanken, und unwillig bis an die Grenze des Zornes befahl er Mastor, Antinous sogleich zu ihm zu rufen und sodann die Torhüterwohnung ausräumen zu lassen.

»Nimm ein Dutzend Sklaven zu Hilfe,« rief er. »Meinetwegen mögen sie den Leuten ihren Kram in ihr neues Haus tragen; aber ich will weder die heulende Alte noch ihren blödsinnigen Mann jemals wiedersehen. Dem Bildhauer geb' ich zu wissen, daß der Kaiser einen festen Schritt hat und leicht unversehens die Schlange zertritt, die ihm über den Weg kriecht.«

Mastor entfernte sich traurig.

Hadrian begab sich in sein Arbeitszimmer zurück und rief dort dem Geheimschreiber Phlegon zu:

»Schreibe! Für diesen Palast ist ein neuer Torhüter zu bestellen. Euphorion, der alte, bezieht seine Besoldung fort, und es wird ihm auf der Präfektur ein halbes Talent ausgezahlt. So. Teile dem Manne sogleich das Nötige mit. – In einer Stunde finde ich ihn und die Seinen nicht mehr auf der Lochias. Von nun an soll mir keiner mehr von ihnen reden oder Bittschriften von ihnen überreichen. Werfen wir diese Sippschaft zu den anderen Toten.«

Phlegon verneigte sich und sagte:

»Der Kunsthändler Gabinius wartet draußen.«

»Er kommt zur gelegenen Stunde,« rief der Kaiser. »Nach allen diesen Verdrießlichkeiten tut es gut, von schönen Dingen zu hören.«


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