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1934 – 1940

 

An Hans Carossa

11 Portland Place London,
den 9. 3. 34

Lieber verehrter Freund!

Ihre Karte war mir ein lieber Gruß und ich erwidere ihn herzlich aus London, wo ich mich nach einer kurzen österreichischen Pause sehr eingelebt habe. Die wunderbare Bibliothek des Britischen Museums ist mir eine Art Heimat und die Großstadt London so groß, daß man sie wie eine Heide oder eine Landschaft empfindet, die man immer mit neuer Neugier betrachtet und in der man auf das Wunderbarste verloren gehen kann. Salzburg hat durch seine Grenzlage einen dermaßen politischen Akzent bekommen und die Erregung dringt – so energisch man die Seelenfenster dagegen schließen mag – durch alle Ritzen und Fugen ins Haus: Man wohnt gleichsam auf einem militärischen Brückenkopf, und das ist der Arbeit nicht sonderlich förderlich. So war es für mich eine innere Notwendigkeit, mich für einige Zeit hier herüberzuschalten in eine gänzlich apolitische Atmosphäre, und die ruhige Sicherheit dieses Landes teilt sich einem auf das Wohltätigste mit. Hier ist Italien in der Nationalgalerie, die Welt in der Bibliothek und in den Menschen und über all dem weht auch in den schlimmsten Tagen ozeanische Luft, die mir merkwürdig wohltut; manchmal frage ich mich, ob nicht das alpine Klima ein Irrtum für mich war, dem jeder Föhn die Nerven krümmt und den jede lange Regenzeit verdüstert. Sie wissen als Arzt und Dichter besser als jeder, wie sehr eine radikale Umwandlung der Drucksphäre im physikalischen und im seelischen Sinne den Organismus erneuert und Erneuerung haben wir, lieber verehrter Freund, nötig, jene mehrmaligen Pubertäten, von denen Goethe spricht, und so sie sich nicht von selbst einstellen, müssen wir sie zu erzwingen suchen. Im Herbst will ich vielleicht nach Amerika zu ein paar Vorträgen und wenn ein filmisches Angebot Formen annimmt, die mir erlauben, darin eine Kunstform zu suchen, so würde ich die dollarische Beute vielleicht verwenden, um mit einem Schiffe durch den Pacific über Indien und Ägypten zurückzusteuem, ein paar Monate scheinbar zu verlieren, aber sie in Wirklichkeit zu gewinnen, indem ich mich ganz aus den Spannungen unserer europäischen Welt für einige Zeit ausschalte. Hätte ich dazu noch Ihr still belauschendes Auge, Ihren klarsammelnden Sinn, so könnte eine solche Reise auch noch allerhand dichterisches Gut heimbringen. Vorläufig spiele ich nur mit dem Gedanken und ein solches loses unverantwortliches Spiel ist wahrscheinlich klüger als feste Pläne zu bauen in einer Zeit, in der nichts fest und voraussehbar ist.

Ich hoffe, Sie arbeiten wieder an einem neuen Buch und man läßt Ihnen Ihre Zurückgezogenheit. Vor einem Jahre sprachen wir davon, wie aller Erfolg gleichzeitig zur Bedrängnis wird und zur Gefahr, aber von Wenigen bin ich so gewiß, daß sie dieser Gefahr gewachsen sein werden, und wenn wir einander wiedersehen, von Ihrem Lebensbaum schon neue reife Frucht herniederhängt.

Lieber Hans Carossa, nehmen Sie es nicht als törichte Phrase sondern als Wahrhaftigkeit, daß es mir immer eine Wohltat ist, wenn ich an Sie denke. Daß Sie da sind in dieser Zeit und so sind, wie Sie sind, gleichsam lebende Bekräftigung des rein Dichterischen in der deutschen Welt und Ihren Freunden ein unersetzliches Element seelischer Sicherheit.

In alter Verbundenheit Ihr getreuer

Stefan Zweig

 

An Joseph Roth

[undatiert; vermutlich Mai 1934]

[...] Ich habe hier noch einmal zu lernen angefangen wie ein Gymnasiast. Ich bin noch einmal wieder unsicher geworden und neugierig. Auch eine junge Frau ist mir hier gut, mir dem Dreiundfünfzigjährigen! So ist ein Buch wie das Ihre vielleicht eine Lehre für mich, nicht das Bittere dieser Welt zu vergessen. Mein politischer Pessimismus ist maßlos. Ich glaube an den nahen Krieg wie andere an Gott. Aber gerade weil ich an ihn glaube, lebe ich jetzt stärker. Ich klammere mich an das letzte Stück Freiheit, das wir noch genießen. Ich sage mir jeden Morgen ein Dankgebet, daß ich frei, daß ich in England bin. Denken Sie sich mein Glück, ich fühle mich in einer solchen Irrsinnszeit stark genug, noch andere moralisch aufzurichten. Darum drückt es mich so, daß Sie jetzt nicht hier sind, wer weiß, wielange diese Kraft in mir anhält, die, ich wiederhole es, nicht aus einer stupiden Unbewußtheit kommt, sondern aus einem luciden Erkennen der Brüchigkeit unserer Existenz. Wir müssen das »Trotzdem« zum Leitwort unseres Lebens machen: »die Menschen kennen und dennoch lieben« wie Rolland unvergeßlich gesagt hat.

Ich umarme Sie, lieber Freund. Und ich leide darunter, daß Sie so weit sind. Das letzte Mal habe ich, ganz unter dem Druck der schweren Erlebnisse – ich sagte es Ihnen nicht: man hatte bei uns zwei Tage vorher eine Hausdurchsuchung in Salzburg gemacht nach Waffen des Schutzbundes (!!!) bis in meinen Wäscheschrank, und ich hatte die Kraft, diese maßlose Beschimpfung und Mißachtung in einer Stadt, wo ich 15 Jahre lebte, vor Euch allen zu verschweigen, und Gottseidank kam es in keine Zeitung, man jagte mich mit Spitzelberichten wie einen Verbrecher – all das lastete auf mir, ich war, als ich mit Ihnen in Paris sprach von diesem Verschweigen, vor Scham (über die andern) ganz verstört. Aber ich möchte Sie doch sehen jetzt, wo ich wieder gefaßt bin und beinahe froh.

Mein »Erasmus« kommt in 14 Tagen zu Ihnen. Ich glaube, es ist ein anständiges Buch (für wenige geschrieben, nur für die, die sich auf Zwischentöne verstehen.)

Also nochmals: Dank und Liebe

Ihr S.

Im August gehe ich wahrscheinlich nach Österreich, einiges ordnen. Aber Salzb. ist für mich abgetan, ich gehe nach Südamerika oder Nordamerika zu Vorlesungen im Herbst. Ich habe wieder Hunger nach Ferne und den Wunsch, diese Welt noch einmal rund zu sehen, ehe sie zusammenkracht.

 

An Klaus Mann

11, Portland Place, London, W. 1.
10. Mai 1934

Lieber Klaus Mann,

Ich danke Ihnen, daß Sie so milde über meinen scheinbaren Wortbruch denken. Aber wenn Sie über mein plötzliches Erscheinen in der »Pariser Zeitung« überrascht waren, so muß ich Ihnen sagen, daß jemand anderer davon noch überraschter war: nämlich ich selbst. Die P. Z. hatte diesen Absatz aus dem »Erasmus« einfach aus dem »Pester Lloyd« herausgeschnitten und – ob mit Absicht oder ohne Absicht mit Unterlassung der Quellenangabe so publiziert, als ob ich ihr den Abschnitt übergeben hätte, während sie sich in Wahrheit nicht einmal die Mühe genommen hat, bei mir anzufragen. Sie sehen also, daß von meiner Seite keine Inkorrektheit Ihnen gegenüber vorlag, sondern die Inkorrektheit gegen mich begangen worden ist, der ich übrigens verlernt habe, mich über derlei Dinge aufzuregen. Ich habe in den letzten Monaten einiges mitgemacht, worüber ich nicht sprechen mag, aber Sie dürfen mir glauben, daß ich bei weitem nicht so gleichgültig bin oder betrachtet werde als ich erscheine. Ich weiß genau und weiß es seit langem, daß Kompromisse nicht möglich sind. Aber ich habe es für richtig gehalten, einen abwartenden Standpunkt einzunehmen. Vielleicht ist es besser wenn sachlich einmal dargetan ist, daß selbst die von Natur zu Koncilianz und zur Bindung geneigten Charaktere ihrer inneren Natur und Neigung Absage leisten und nicht aus eigenem Willen, sondern zwanghafterweise Stellung beziehen mußten.

Mein Buch über »Erasmus« habe ich in Deutschland nicht mehr erscheinen lassen. Es kommt in Wien zunächst in einer kleinen Auflage bei Herbert Reichner heraus, damit niemand behaupten könne, ich habe es in deutscher Sprache versteckt, während es in fremden Ausgaben erscheint. Es ist eigentlich ein recht privates Buch und keineswegs für den Erfolg bestimmt. Ich habe mir nur selber geholfen, indem ich den heiligen Erasmus als Nothelfer anrief.

Über das »Maria Stuart«-Buch habe ich noch keine Entscheidung getroffen, aus dem abergläubigen Gefühl heraus nie über ein Buch zu verfügen, solange es nicht fertig ist. Ich muß mir die Möglichkeit vorbehalten, es wegzuwerfen oder in die Lade zu legen, für den Fall, daß es mir selber nicht gefällt. Aber in einem viertel Jahr dürfte es fertig sein, und dann tritt ja die große Entscheidung an mich heran, nicht nur, was mit diesem, sondern was mit allen meinen Büchern geschieht. Es ist dies eine Lebensentscheidung, und Sie werden verstehen, daß sie mir nicht leicht fällt. Alles, was man im Leben nur einmal tun kann und den furchtbaren Gedanken: ›unwiderruflich‹ in sich trägt, kann nicht aus leichter Hand getan werden. Ich habe diesen ganzen Komplex zunächst von mir gewissermaßen abgespalten, um nichts zu tun als meine Arbeit. Ist sie getan, so kommt die eigentliche Entscheidung.

Lieber Klaus Mann, ein Versprechen, das ich einmal gegeben habe, brauche ich nicht zu erneuern. Es ist für mich eine Ehrensache, Wort zu halten, und ich sage Ihnen nur nochmals, daß der erste Beitrag dann Ihnen gehört.

Ihr herzlich ergebener

Stefan Zweig

 

An Klaus Mann

11 Portland Place London
den 20. Juni 1934

Lieber Klaus Mann!

Schade, daß Sie nicht herüberkamen, ich hatte Sie schon sehr erwartet. Die Sache Rimbaud ist aussichtsreich und wieder nicht aussichtsreich. In den letzten zwei Jahren ist nämlich ungemein interessantes Material herausgekommen, vor allem die ganzen monströsen Prozeßakten in Brüssel mit phantastischen homosexuellen und auch pornographischen Details – sie wurden vor etwa zwei, drei Jahren in einer belgischen Revue veröffentlicht – dann gewisse Memoiren und Biographien Verlaines, die viel Licht auf Einzelheiten werfen. Man weiß also viel mehr und kann, besonders wenn man kühn ist und dem Physiologischen entschlossen auf den Grund geht, das persönliche Bild ganz neu aufbaun. Mit den äußeren Chancen dagegen scheint es mir schlechter zu stehen. Frankreich hat in den letzten zehn Jahren eine Rimbaudliteratur, daß man Zimmer damit ausfüllen kann. In England ist er Homo ignotissimus, erstens, weil man überhaupt über französische Lyrik wenig weiß, zweitens, weil man gerne an ihm vorbeischweigt so wie an Oscar Wilde. Sie blieben also da wahrscheinlich auf den dünnegewordenen deutschen Kreis extra muros Germaniae beschränkt, und ich weiß nicht, ob dies die ungemeine Arbeit lohnt, die ein solches Werk doch verursacht.

Feuchtwanger werde ich gewiß persönlich schreiben, aber öffentlich möchte ich jetzt überhaupt nichts von mir in Zeitungen geben, weder in Deutschland noch im Ausland, sondern nur meine Bücher schreiben, so gut oder so schlecht ich es kann.

Alles Herzliche Ihres

Stefan Zweig

 

An Hans Carossa

11 Portland Place
London, 21. September 1934

Lieber verehrter Hans Carossa!

Ich danke Ihnen von Herzen für Ihren guten Brief, der mich hier in London erreicht, wo ich mich ziemlich eingewohnt –, nicht eingewöhnt – habe. Ich genieße hier ein wunderbares Gefühl von Stille und wenn ich eine gewisse Fremdheit zu den Menschen und Sitten betone, so werte ich sie darum nicht als negatives Element, denn man hat dadurch einen gewissen Luftraum von Ruhe, der dem arbeitenden Menschen immer wohltut. Die Beziehungen sind locker und höflich, aber gerade das herzliche bindet und bedrängt und verpflichtet. So tut es mir ganz gut, mitten in einer Weltstadt und gleichzeitig abseits zu leben. Freilich will ich dies im Frühjahr oder schon im Januar, Februar mit Italien eintauschen und dieses an sich so wundervolle Land wäre noch verschönt, könnten wir einander dort begegnen. Ich habe jetzt, nachdem ich die Leidenschaft an der Psychologie fast wie ein Handwerk getrieben habe, schon heftiges Heimweh nach dem Dichterischen. Ich möchte dann etwas für mich und ganz nur für mich schreiben, aber dies war nicht möglich, solange die Zeitgeschehnisse einen so stark beschäftigten und rein äußere und äußerliche Fragen die innere Ruhe bedrängten. Wahrscheinlich geht es Ihnen ähnlich, daß eine fremde Landschaft und eine neue Art Sonne alle die Keime herauslockt, welche die Heimat gepflanzt hat.

Deutsche Prosa, an einer italienischen Küste zu schreiben, so wie einst Keats und Shelley dort ihre englischen Verse, scheint mir über alles wünschenswert. Möge es sich wenigstens Ihnen erfüllen.

In treuer freundschaftlicher Verbundenheit und Verehrung

Ihr Stefan Zweig

 

An René Schickele

11 Portland Place London,
den 26. September 1934

Lieber René Schickele!

Vielen Dank für Ihren guten Brief. – Die größte Gefahr, in die wir uns begeben können, ist, ungerecht zu werden. Ich verstehe vollkommen die Tragik der Emigration und der darin kombattanten Schriftsteller. Wie ein Rad ständig laufen muß, um nicht umzufallen, so müssen sie ständig opponieren – eine furchtbare Verpflichtung, von mir aus gesehen, sein ganzes Leben damit zu verbringen, gegen etwas zu sein. Aber unsere Schwierigkeiten sind nicht geringer. Es besteht kein Zweifel, daß Deutschland alles tun wird, um an uns vergessen zu lassen, daß unsere Bücher allmählich verschwinden werden – wahrscheinlich sogar die Verleger selbst – und eine Art Staatsverlag wie in Rußland sich aus der Firma Eher entwickeln wird. Wir haben das gleiche in Rußland, das gleiche in Italien gesehen und müssen innerlich vorbereitet sein. Wir sollen aber, meine ich, nicht unsere beste Kraft verschwenden, um mit der Stirn gegen die Gefängniszelle zu rennen, sondern lieber diese Stirn uns erhalten und nach dem Vorbild des Cervantes in diesem unsichtbaren Gefängnis gute Bücher schreiben. Daß es zwischendurch an Gewissensfragen nicht fehlt, wissen Sie und weiß ich. So macht es mir der Inselverlag (alles was Sie hörten, ist dummes Gerede) eigentlich nur dadurch schwer, daß er meine Bücher bringen will und es ist schwer, so alte und persönliche Bindungen zu lösen und die Isolierung drüben durch eignes Zutun zu vermehren. Aber ich glaube immer mehr, daß man »Duldung« nicht dulden soll. Wie immer man tut, macht man es schlecht und kommt schließlich auf die Banalität aus dem Lesebuch zurück, daß es das Beste ist, vor sich selber ein reines Gewissen zu haben.

Ihren letzten Roman »Witwe Bosca« habe ich leider nicht bekommen. Vielleicht können Sie mir ihn noch herschicken lassen. Ich will alles Denkbare versuchen, obwohl hier eigentlich das Interesse für Sachliches, Historisches, Dokumentarisches stärker ist als für europäische Epik (gerade da liegt noch der Kanal quer zwischen hüben und drüben). Nun erinnere ich mich immer und noch immer nach Jahren einer großartigen kleinen Darstellung von Ihnen, die Sie von Jaurès gegeben haben. Es war nur ein Bild, aber könnten Sie es nicht erweitern, die Zeit um die Gestalt stellen, unsere Jugend, unseren Glauben von damals? Fast könnte ich Ihnen versprechen, daß für eine Biographie Jaurès', die gleichzeitig gewissermaßen das Abendrot des idealistischen Sozialismus bedeutete, Der Revolverschuß erschoß die ganze Bewegung zugleich hier und wohl auch in Frankreich großes Interesse wäre. Ich mag sonst die Biographienfabrikation nicht und lasse selbst von allem Biographischen, weil es so sehr Mode und Erfolg wird. Aber in diesem Falle wäre es doch Ihre Zeit, unsere Jugend, die Sie gleichzeitig mit in Erscheinung brächten, und wenn Sie eben auch an das Materielle denken müssen, dies nach meinem Empfinden die gewisseste Aussicht. Hier fehlt [es] an einer Gestalt noch mit all den Neben- und Gegengestalten, Clemenceau, Rochefort, und gerade weil es nicht aus dem Geiste der Partei, sondern eine Darstellung aus dem Geiste wäre, würde ich darin eine notwendige Aufgabe sehen. Und noch eines. Haben Sie einmal ein kleines Buch, bei dem Sie an eine bibliophile Ausgabe denken, irgend etwas, was Ihnen dichterisch besonders lieb ist, so glaube ich, daß Sie bei diesem Verlage Reichner, der meinen »Erasmus« gemacht hat und der jetzt kultivierteste deutsche Literatur jenseits aller Politik in bibliophilen vollendeten Ausgaben bringen will, sehr zufrieden wären. Vielleicht haben Sie da etwas in der Lade oder im Herzen.

Was Sie von Rolland sagen, ist nur zu wahr. Wir stehen eigentlich mehr zu ihm als er zu sich selbst, seit er (unter persönlichen privaten Einflüssen) alles in Rußland bejaht und alles entschuldigt, auch die Unterdrückung. Dagegen hat Wells jetzt offene Stellung genommen. Er war eben in Moskau, um noch einmal zu versuchen, für die Literatur dort eine gewisse Freiheit durchzusetzen, ohne den geringsten Erfolg zu erzielen. Er ist in diesem Sinne vollkommen entschlossen, den Kampf gegen jede Unterdrückung im Namen welcher Ideologie immer durchzuführen. Man hat ja manchmal hier das Gefühl, auf dem letzten Bollwerk der Freiheit zu stehen – eine Freiheit, die unserem Ideal im Sittlichen und vielen Anderm gar nicht ähnlich sieht. Sie riecht manchmal etwas säuerlich und abgestanden. Aber immerhin ist es Luft, in der man atmen kann.

Seien Sie gewiß, lieber Schickele, daß ich keine Gelegenheit versäume, und verfügen Sie über mich, wie immer ich Ihnen meine alte herzliche Gesinnung erweisen kann.

Mit vielen Grüßen

Ihr Stefan Zweig

 

An René Schickele

11 Portland Place London,
1. November 1934

Lieber René Schickele!

Hoffentlich haben Sie nicht übel von mir gedacht, daß ich Ihnen erst heute schreibe und Ihnen für Ihre Bücher danke. Ich habe mit einer Art Heimweh in der »Witwe Bosca« die ganze südliche Landschaft gespürt und alle die Kunst, mit der Sie Natur zu erwecken wissen. Immer sind die Menschen, die Sie darstellen, nur durch die Atmosphäre ganz verständlich, in der sie atmen (das »Erbe am Rhein«!), und darum habe ich es nie als ein Zuviel empfunden, wenn Wald und Wiesen und Blumen und Meer bei Ihnen in die Geschehnisse hineinrauschen. Es ist dies nie etwas künstlich Überwucherndes, sondern der Grund, der unterste und elementare, aus dem Sie die Gestalten entwickeln. Vielleicht binden Sie damit – und nicht zumindest durch die Sprache – Ihre Bücher stärker an das Heimatliche, als es einer Übertragung in fremde Sprachen förderlich ist; dort wirkt natürlich alles am stärksten, was (um im deutschen Jargon zu bleiben) auf Asphalt gebaut ist, der in Paris und London und Berlin und New York ein und derselbe ist. Aber nichts wäre irriger, als wenn Sie sich deshalb von Ihrer persönlichen Art abwenden ließen, die eben Ihre persönliche und nur Ihnen gehörige darstellt.

Das andere kleinere Buch liebe ich schon seit Jahren und Jahren. Ja, gerade jenes Kapitel über Jaurès war es, das mir die Überzeugung gab, nur Sie könnten seine Gestalt unpolitisch darstellen und gleichzeitig in jener feurigen Luft der apokalyptischen Tage, die wir erlebt haben, um sie nicht mehr zu vergessen. Es wäre schon gut, wenn ein Mann wie Sie ein Zeugnis abgeben könnte für das, was historisch zwanzig Jahre und in Wahrheit tausend Jahre vor unserer Gegenwart liegt. Wir fühlen uns oft physisch zu jung, um zu empfinden, wie das, was wir unsere Jugend nennen, schon etwas Historisches geworden ist, das wir die Pflicht hatten auszusagen. Hoffentlich reizt Sie einmal die Arbeit, ich glaube, sie würde weit über den Anlaß hinaus sich zu einer wichtigen Aussage runden und könnte einer jener internationalen Erfolge werden, die uns Ausgedeutschten jetzt so nötig sind.

Vielleicht komme ich sehr bald in Ihre Nähe und würde mich dann ungemein freuen, Sie zu sehen.

Herzlichst

Ihr Stefan Zweig

 

An René Schickele

11 Portland Place London,
den 19. November 1934

Lieber René Schickele!

Ich bekam Ihr Buch über Lawrence vom Verleger und habe es sofort in einem Zuge gelesen – man kann es nicht anders, der Rhythmus nimmt einen mit. Ein wenig hatte ich davor Angst, denn ich habe den jetzigen Enthusiasmus für Lawrence nie geteilt. Ich achte seine Kunst, aber empfand ihn immer als einen verkehrten Moralisten (ähnlich wie unseren Wedekind), der das Sexuelle mit einem so tödlichen und dogmatischen Ernst feiert wie der Pfarrer den lieben Gott. Von seinem Leben wußte ich nicht viel, aber durch Ihr Buch hat er für mich plötzlich einen andern Gehalt und eine andere Gewalt. Nur, daß ich Sie als viel souveräner und freier im Menschlichen empfinde als ihn. Ich habe Sie sehr im Verdacht, daß Sie ihm die Schwingen erst geliehen haben, mit denen er sich so hoch über die Zeit erhebt, daß Sie ihn aufgefüllt haben mit Ihrer eigenen dynamischen Kraft – was durchaus kein Vorwurf sein soll, weiß Gott nicht. Wir steigern uns an den Anlässen und wir übersteigern wiederum die Anlässe. Wir werden leidenschaftlich angeregt durch andere Menschen und machen durch diese Leidenschaft das Bild des anderen farbiger und brennender, und das ist tausendmal wichtiger als alle Analytik. Ich habe große Freude gehabt an diesem schwungvollen und freien Buch, und wenn ich diese Freude nicht noch ausführlicher aussage, so ist der Grund, daß ich wahrscheinlich sehr bald für kurze Zeit in Ihre Gegend komme.

Alles Herzliche von Ihrem

Stefan Zweig

 

An Hermann Hesse

Unites States Lines
On Board S. S. Manhattan
30. Jan. 1935

Lieber Hermann Hesse, Ich habe mich ein wenig in Amerika herumgetrieben; nun da die Welt wacklig wird, tut man gut, sie sich noch einmal von allen Seiten zu betrachten. Es war großartig und ermüdend und tröstlich sogar, aber wunderbarerweise hat man auf dem Schiff dann Ruhe und Zeit. Da gedenke ich nun einer moralischen Schuld. Denn selten hat mich etwas Dichterisch-Denkerisches so berührt wie Ihr »Glasperlenspiel«, und ich wollte es Ihnen sagen, aber die Zeit strömte über mich her. Nichts ist wichtiger als der Gedanke, wie das Individuelle sich gegenüber der Mechanisierung (wie sie Amerika schon optisch zeigt) entfalten wird, und daß Sie dieses Problem im bejahenden Sinne lösen und nicht in der üblichen Form des flachen Resignierens, hat mir wohlgetan. Lieber Hermann Hesse, wie schön ist Ihr Weg, wie wissen Sie immer nach einer inneren Phase eine neue, höhere anzufangen im Sinne von Goethes Spirale: Wiederkehr zum Ausgangspunkt auf erhobener Fläche! Wie weit ist es vom »Camenzind« zu dem Manne in Ihnen, und wie sicher stehen Sie dadurch in diesen Zeitläuften. Ich achte und liebe sehr Ihre Haltung, die innerlich entschieden, nicht auf die peripherischen Bewegungen reagiert; ich habe gelernt, die Politik, die immer überdimensionieren muß, das Wort an das Schlagwort verraten, das Dogma an seine Übertreibung, redlich zu hassen als den Widerpol der Gerechtigkeit. Ich habe sie jetzt in zu vielen Ländern gesehen, um zu wissen, daß sie nicht wie Napoleon meinte, das moderne Schicksal ist, sondern nur der unsichere Schatten von Bewegungen, die zu erkennen uns selbst nicht gegeben ist, aber wirklich nur ein Spiel und um so zufälliger, je gesetzmäßiger und theoretischer er sich nach außen gebärdet. Ich glaube fest, daß gerade diese Veräußerlichung bei den Besten eine Verinnerlichung erzwingen muß, je mehr sich die andern zusammenrotten, um so hartnäckiger werden die Einzelgänger ihr Recht behaupten.

Ich hoffe sehr, Sie wieder einmal zu sehen. Ich hänge ziemlich unsicher an einem schwachen Ast; mein Haus in Salzburg (von den Fenstern sehe ich nach Bayern hinein) ist mir nicht recht Heimat mehr, zum Emigranten habe ich kein Talent, so lebe ich jetzt beinahe studentisch, bald da, bald dort und spüre es beinahe als ein Glück, aus diesem sichern Behagen herausgestoßen zu sein. Ich habe viel gelernt in dem Londoner Jahr und nun in Amerika. Hoffentlich kommt es zu Tage, denn das biographische Intermezzo ist vorbei, und ich will versuchen, wieder das zu sagen und zu gestalten, was mir von innen her wichtig ist. Nehmen Sie diesen kleinen Silberling als Anzahlung einer stattlichen inneren Schuld und als Zeichen meiner Anhänglichkeit: lächeln Sie nicht, aber es ist fünfunddreißig Jahre her, daß wir zum erstenmal einander geschrieben haben!

Herzlichst

Ihr Stefan Zweig

 

An Hermann Hesse

Hotel Regina,
Wien den 4. Mai 1935

Lieber, verehrter Hermann Hesse,

ich kann Ihre schöne Sendung nun mit einer kleinen Gegengabe erwidern, die als Beilage zum »Philobiblon« erschienen ist. Für mich sind Handschriften das, was für Sie die Bilder, und vielleicht sogar um einen Grad mystischer, weil sie verschlossener sind. Ich vermute, daß ich jetzt selber für zwei, drei Wochen in der Nähe von Zürich die zwei Elemente angenehm verbinden werde, die einen Wandernden beglücken, eine schöne Landschaft mit einer guten Bibliothek. Meine eigene steht recht verlassen in Salzburg, und ich habe das Gefühl, sie ausgelesen zu haben, selbstverständlich ein trügerisches Gefühl, aber jedesfalls bin ich meiner eigenen Zimmer müde und genieße das Nomadische mit studentischer Muße. Ich glaube, Sie hatten genau in meinen jetzigen Jahren eine ähnliche Ausbruchsneigung, und sie scheint wohl zu einem richtigen Leben zu gehören, organisch zu sein für einen normalen Organismus und keine Abnormalität. Jedesfalls lasse ich mich laufen, solange ich inneren Auslauf habe, und frage nicht lange, wohin. Ich weiß, so wild auch der Kreisel tanzt, einmal fällt er doch hin. Jedesfalls war auch Wien schön, und ich hätte Sie gerne hierher gewünscht, zu den starken Gesprächen, die wir mit Bruno Walter hatten vor und nach dem Händel'schen »Messias«, denn auch mich zieht (anscheinend wie Sie) die Musik stärker heran, weil sie so herrlich überweltlich und überpolitisch wirkt und dadurch beruhigend. Nichts hat mir vielleicht mehr geholfen im letzten Jahr als die enge Beziehung zu Toscanini und Bruno Walter, und wenn ich das Gleichgewicht nicht verloren habe (wie die Meisten), so danke ich es diesem tröstenden Element.

Ich weiß, daß Zürich nicht weit ab liegt vom Tessin, und vielleicht erlauben Sie mir, daß ich dann auf einen Sprung einmal zu Ihnen herunterkomme. Ich weiß mich einen ungefährlichen Gast, der niemanden lange behelligt und nicht gern hat, wenn ihm andere zuviel wegnehmen.

Leider hatte mir seinerzeit meine Frau untersagt, unter die Sonnenuhr unseres alten schönen Hauses in Salzburg das kleine Gedicht malen zu lassen, das ich mir ausgedacht hatte:

Die Sonne hält nur kurze Rast, – nimm Dir ein Beispiel, lieber Gast.

Meiner Frau schien es zu unfreundlich. Aber ich glaube, es hätte mir viele langweilige Stunden gerettet.

Immer in alter Neigung und Verbundenheit

Ihr verehrungsvoller Stefan Zweig

 

An Klaus Mann

Nizza, den 7. Februar 1936

Lieber Klaus Mann!

Herzlichen Dank für Ihren Brief und auf Wiedersehen also in London. Ach, wie widerlich war dieses Gezänke um den Fischer Verlag. Immer die gleiche Situation, nämlich daß wir im Grunde in all diesen Angelegenheiten völlig gleicher Meinung sind. Nur der Ton macht die Musik und ich hasse diese jüdische Prophetenfanatik, wenn sie sich ins Journalistische übersetzt. Nein, Freunde, nicht diese Töne! Wie immer hat Ihr Vater mit seinem fehllosen Takt, mit seiner beispiellosen und beispielgebenden Noblesse wieder einmal die Situation gerettet. Seine Antwort an Korrodi will mir ein denkwürdiger Beitrag zur Zeitgeschichte erscheinen. Aber ließen nun endlich schon einmal die Herren in Paris von der Anmaßung ab, immer Zensuren schreiben zu sollen, daß sich ein Thomas Mann heute brav und morgen schlimm, heute richtig und morgen unrichtig benommen hat, statt ihn einfach zu ehren und zu achten und ihm dankbar zu bleiben für sein Mit-uns-sein.

Lassen Sie sich auch nicht über Jules Romains durch irgendwelche Alarmmeldungen von jener Seite täuschen, er ist nach Deutschland gegangen, so wie er nach Italien, Rußland und Argentinien geht. Aber er ist nicht der Mann, sich einfangen zu lassen und Sie haben doch wohl seinen Aufsatz gegen alle Faschismen in »Vendredi« gelesen, der an Klarheit und Entschiedenheit nichts zu wünschen übrig läßt.

Schickele erwidert sehr herzlich Ihre Grüße und ebenso Ihr

Stefan Zweig

Die Angelegenheit jenes deutschen »Candide« oder »Marianne« ist noch immer sehr in Discussion, ich glaube, wir sind um ein großes Stück weiter. Mehr als je brauchen wir ein gelesenes, ein ganz billiges Wochenblatt, das wie die französischen, wirklich die ganze Nation erreicht. Ich hatte viele Besprechungen und wir haben, wie gesagt, schon erhöhtere Chancen als vor einem halben Jahr.

 

An Joseph Roth

49 Hallam Street, London W 1
31. März 1936

Lieber Freund!

Ich sehe, Sie sind mir unbewußt böse, daß ich Ihnen keinen vernünftigen Rat gebe. Sie haben das Gefühl, daß ich Sie nicht verstehe oder das Schwierige Ihrer Situation nicht begreife. Aber liebster Freund, dies ist ja das Unglück, daß ich diese Situation nicht jetzt begreife, sondern wie alle Ihre Freunde schon im voraus seit zwei oder drei Jahren. Alles, was Sie jetzt miterleben, haben wir schon vorauserlebt, Ihre Sorgen vorausgesorgt, und mehr noch, wir spürten im voraus die Leberschmerzen, die Sie von Ihrem Trinken noch haben werden, und die Bitterkeit, die Sie unvermeidlich gegen uns wenden werden. Man mußte kein Prophet sein, um das alles zu sehen. Lieber Freund, wenn Sie wirklich klarsehen wollen, so müssen Sie erkennen, es gibt keine Rettung für Sie als ein vollkommen zurückgezogenes Leben irgendwo an dem billigst möglichen Ort. Nicht mehr Paris, nicht mehr Foyot, überhaupt keine Großstadt, ein freiwilliges Kloster. Sie sahen ja unser Entsetzen, als Sie mit dem Doppelten und Dreifachen dessen nicht auskamen, was Sie jetzt haben werden, und irgendeine geheime Ahnung tröstet mich, Sie würden sich im Grunde viel wohler fühlen, wenn Sie einmal von Paris weg sind und ganz in der Zurückgezogenheit leben, wenn Sie überhaupt die entscheidende Umstellung vollzogen haben werden, die Sie nicht freiwillig vornehmen wollten. Bitte nehmen Sie sich den Gedanken aus dem Kopf, man sei irgendwie hart gegen Sie. Vergessen Sie nicht, daß wir in einem Weltuntergang leben und wir glücklich sein dürfen, wenn wir nur überhaupt diese Zeit überstehen. Klagen Sie nicht die Verleger an, beschuldigen Sie nicht Ihre Freunde, schlagen Sie sich nicht einmal gegen die eigene Brust, sondern haben Sie endlich den Mut, sich einzugestehen, daß, so groß Sie als Dichter sind, Sie im materiellen Sinne ein kleiner armer Jude sind, fast so arm wie sieben Millionen andere, und werden so leben müssen, wie neun Zehntel Menschen dieser Erde, ganz im Kleinen und äußerlich Engen. Dies wäre für mich der einzige Beweis Ihrer Klugheit, daß Sie sich nicht dagegen immer »wehren«, nicht es Unrecht nennen, sich nicht vergleichen, wieviel andere Schriftsteller verdienen, die weniger Talent haben als Sie. Jetzt ist es an Ihnen, das zu erweisen, was Sie Demut nennen. Und wenn Sie mir vorwerfen, ich hielte Sie nicht für klug genug, so antworte ich nur: geben Sie uns die Probe! Seien Sie endlich klug genug, alle diese falschen Begriffe von »Verpflichtung« hinter sich zu werfen. Sie haben nur eine Verpflichtung, anständige Bücher zu schreiben und möglichst wenig zu trinken, um sich uns und sich selber zu erhalten. Ich bitte Sie innigst, vergeuden Sie nicht Ihre Kraft in unnützer Revolte, klagen Sie nicht andere an, biedere Geschäftsleute, die normal und ruhig rechnen, während Sie selber nie zu rechnen wußten. Jetzt oder nie ist für Sie der Augenblick, Ihr Leben entscheidend umzustellen, und vielleicht war es sogar ein Glück, daß Sie eben auf den Punkt gestoßen wurden, wo der alte Weg nicht mehr weiterging und Sie gezwungen sind, umzukehren.

Innigst

Ihr Stefan Zweig

 

An Joseph Roth

49, Hallam Street, London W 1
6. April 1936

Lieber Freund!

Sie können mir noch so böse Briefe schreiben, ich werde Ihnen nicht böse sein. Glauben Sie wirklich, daß wenn ich nur den Schatten eines Rates wüßte, ich schweigen oder vorbeireden würde? Vielleicht können Sie aber selbst einen Plan ausbauen und uns vorlegen, wie man Ihnen helfen kann in den begrenzten Möglichkeiten, die uns allen die Zeit auferlegt. Machen Sie es uns leichter, indem Sie selbst klar einen solchen Vorschlag entwickeln. Und schmieren Sie außerdem ohne Rücksicht auf Stil und Kunst ein paar Filmsujets hin, damit man irgendeine Grundlage hat für mögliche Verhandlungen. Berthold Viertel kämpft hier seit zwei Jahren für Ihren »Radetzkymarsch« und hofft ihn doch über kurz oder lang einmal durchzusetzen. Herzlichst

Ihr S.

 

An Hans Carossa

49, Hallam Street, London W 1
2. August 1936

Sehr verehrter Hans Carossa, wie sehr haben mich Ihre Zeilen erfreut! Ich bin jetzt viel unterwegs; in wenigen Tagen schiffe ich mich ein nach Brasilien, wo ich Gast der Regierung bin, und nach Argentinien – es ist ein alter Wunsch von mir, noch einmal diesen Teil der Welt zu sehen, ehe die Knochen morsch und die receptiven Organe träge werden. Auch innerlich soll es eine Pause sein. Das letzte Buch, das ich Ihnen nicht sandte, weil ja meine Bücher in Deutschland (ohne jede politische Gründe, ohne persönliche) nicht mehr circulieren sollen und ich nicht den Empfänger belasten möchte, war ein Abschied für lange vom biografismo. Ich habe jetzt wieder Prosa geschrieben, eine größere Legende und will weiter im Novellistischen, mich vielleicht sogar an einen Roman wagen; die letzten Jahre waren innerlich zu unruhig und die Beschäftigung mit dem Historischen eine Art Flucht vor der Zeit. Aber der menschliche Organismus reagiert auch im Geistigen nach einiger Zeit nicht mehr so heftig auf äußere Einwirkungen; Einkapselung ist eine Methode, die auch für den Künstler gilt, wenn er seine Concentration, seine Production schützen will. Auch zur Musik bin ich stark hingeflüchtet und die Freundschaft Toscaninis und Bruno Walters war mir da große Hilfe, wie ich ja auch durch Richard Strauss dem Wesen des musikalischen Producierens durch teilnehmende Erfahrung näher kam. So habe ich nicht persönlich zu klagen – es gibt Stöße, die einen vorwärts treiben statt einen zu zerstampfen – man wünschte sich nur losgelöster zu sein, mehr auf sich bezogen und nicht gewaltsam eingedrängt in Geschehnisse, die man weder fördern noch hemmen kann. Sehr erwarte ich Ihr neues Buch. Und da Sie ja unentwegter Italienfahrer sind, hoffe ich Sie doch wiederzusehen. Hier in England haben Sie eine gemessene, aber treffliche Leserschaft und würden hier auch auf der Universität zu einer Vorlesung mit Jubel empfangen sein. Treulichst Ihr immer ergebener

Stefan Zweig

 

An René Schickele

49, Hallam Street, London W 1
28. April 1937

Lieber Freund!

Ich danke Ihnen spät, aber ich hatte selbst ein Buch fertig zu machen, und zwar ziemlich eilig, um bald ein anderes beginnen zu können, das mir wichtiger ist. Aber es liegt doch heute schon so, daß man Pausen nicht machen darf und vielleicht auch gar nicht machen will, weil man im Schreiben am besten die Widrigkeiten der Zeit überhört. So verstand ich auch Ihr Buch, das die absolute Isolation eines Menschen, eine Isolation bis zum geistigen Exzeß sich zur Aufgabe nimmt, und während man es liest, lebt man ganz in einem Kosmos, der andere zerebrale Gesetze hat als der gemeine (dies im doppelten Sinne des Wortes). Ihr Buch erregt, wenn ich so sagen soll, wie ein großartiges akrobatisches Kunststück. Dieser Mann geht auf einem sehr dünnen Weg über den Abgrund, und man zittert mit ihm und für ihn – ein Zustand, der sehr aufregend ist und doch unerträglich wäre, wenn Sie nicht in den Nebenfiguren diese gespannte Atmosphäre immer wieder auflockerten. Daß ich Sie um Ihre Prosa freundschaftlich beneide, nur nebenbei. Es wäre doch ein furchtbarer Verlust gewesen, hätten Sie damals Ihren Entschluß durchgeführt, französisch zu schreiben. Bleiben Sie mit uns, wir brauchen Sie sehr!

Ich konnte dieses Jahr nicht an die Riviera kommen, sondern ging nach Italien, um dort die eingesperrten Honorare von drei Jahren aufzuzehren. Sonst schlage ich mich weiter durch und manchmal mit Müdigkeiten herum. Man hat sich die Augen wund gesehen nach dem berüchtigten Silberstreifen am Horizont.

Statt dessen wird es immer dunkler.

Lieber Schickele, ich hoffe, daß es Ihnen gesundheitlich gut geht. Dies bleibt noch immer das Wichtigste. Im nächsten Jahr komme ich hoffentlich nach Nizza herunter, unsere guten Stunden zu erneuern.

Herzlichst

Ihr Stefan Zweig

 

An Joseph Roth

25. Sept. 37

Lieber Roth, warum, warum sind Sie gleich gekränkt – wird nicht schon genug auf uns herumgedroschen, als daß wir einander die Zähne zeigen sollten, auch wenn ... Ich bin so sehr von meiner Fehlbarkeit durchdrungen, daß ich gegen andere nichts an Kraft des Absprechens aufbringe. Nein, mein Freund, nicht Artikel jetzt – für unsereinen wäre es das Klügste, in Shanghai oder Madrid sich von einer Gasbombe auslöschen zu lassen und damit vielleicht einen Lebensfreudigeren zu retten. Ich war nur 1 ½ Tage in Paris, sah außer Masereel und Ernst Weiß niemanden, nur ein paar wunderbare Bilder, und jetzt geht es an die Arbeit. Dieses Jahr 37 ist ein schlimmes für mich, alles faßt mich mit Teufelsklauen an, die halbe Haut ist abgeschunden, und die Nerven liegen bloß, aber ich arbeite fort, käme auch weiter, wären nicht die familiären und andere Dinge, die mich lähmen und das Doppelte an Energie herauszwingen. Vergessen Sie nie, daß ich 55 Jahre vorbei bin und, da wir doch ununterbrochen Kriegsjahre erleben, manchmal müde – ich flüchtete geradezu herüber, um hier mich an den Schreibtisch zu klammern, unsern einzigen Halt. Und was es für ein Bedürfnis für mich gewesen wäre, mit Ihnen zu sprechen, ahnen Sie nicht, ich habe eben wieder von einem »Freunde« einen Hieb bis hinein in die Gedärme bekommen, und die Galle liegt mir knapp an der Lippe, ich beiße nur die Zähne zu. Es wäre wichtig, einmal ausführlich beisammenzusein, und wenn jetzt nicht das Zusammenspiel der Diktatoren zu dem geplanten concentrischen Angriff gegen Rußland führt (erst die Bolsch[ewisten], dann die Democraten, so wurde es ja auch 33 gemacht), wenn auch nur ein schwindsüchtiger Friede bleibt, dann will ich im Januar einen Monat nach Paris; ich habe das Bedürfnis nach Freunden wie nie, und dort sind noch ein paar, und kämen Sie selbst hin, es wäre herrlich! Man muß wieder einmal intensive Luft im Gespräch atmen, sich steigern und stärken: es ist zuviel, was an uns allen von der Irrsinnszeit verschuldet wird. Toscanini mußte im letzten Augenblick in Gastein bleiben, ich sehe ihn hier; für mich ist immer erschütternd, wie er, der die größten »Erfolge« der Erde hat, statt dies egoistisch zu genießen, an allem leidet, was geschieht – nun, in meinem Roman wird vielleicht etwas über das Leiden am Mitleid gesagt sein. Nein, Roth, nicht hart werden an der Härte der Zeit, das heißt, sie bejahen, sie verstärken! Nicht kämpferisch werden, nicht unerbittlich, weil die Unerbittlichen durch ihre Brutalität triumphieren – sie lieber widerlegen durch das Anderssein, sich höhnen lassen für seine Schwäche, statt seine Natur zu verleugnen. Roth, werden Sie nicht bitter, wir brauchen Sie, denn die Zeit, soviel Blut sie auch säuft, ist doch sehr anämisch an geistiger Kraft. Erhalten Sie sich! Und bleiben wir beisammen, wir wenige!

Ihr St. Z.

 

An Joseph Roth

[undatiert; vermutlich Herbst 1937]

Lieber, eben Ihr Brief. Er macht mich traurig. Ich erinnere mich, wie wir einander vordem schrieben: wir erzählten einander unsere Pläne, wir rühmten Freunde und freuten uns unseres Verstehens. Ich weiß jetzt von nichts, was Sie vorhaben, was Sie schaffen; in Italien erzählte man mir von Ihrem andern Roman und hat ihn gelesen, und ich weiß nichts von ihm. Roth, Freund, Bruder – was geht uns der Dreck um uns an! Ich lese einmal in der Woche die Zeitung und habe dann an dem Lügen aller Länder genug, das Einzige, was ich tue, ist, daß ich versuche, hie und da einem Einzelnen zu helfen – nicht materiell, meine ich, sondern auch Leuten herauszuhelfen aus Deutschland oder in Rußland oder sonst in Nöten: vielleicht ist das die einzige Art, in der ich activ zu sein vermag. Ich widerspreche nicht, wenn Sie mir sagen, daß ich flüchte. Wenn man Entscheidungen nicht durchkämpfen kann, soll man vor ihnen davonlaufen – Sie vergessen, Sie, mein Freund, daß ich mein Problem im »Erasmus« öffentlich gestellt habe und nur eines verteidige, die Unantastbarkeit der individuellen Freiheit. Ich verstecke mich nicht, schließlich ist der »Erasmus«, in dem ich auch die sogenannte Feigheit einer concilianten Natur darstelle, ohne sie zu rühmen, ohne sie zu verteidigen – als Faktum, als Schicksal. Und ebenso der »Castellio« – das Bild des Mannes, der ich sein möchte.

Nein, Roth, ich war nie eine Sekunde einem wahren Freunde untreu. Wenn ich Tosc[anini] sehen wollte, so weil ich ihn ehre, weil man mit einem 72jährigen Menschen jede Gelegenheit nutzen muß, und ich habe ihn ja dann gar nicht gesehen (das überlasen Sie in meinem Brief), weil ich fort mußte, Amsterdam lag ab von meinem Weg, und ich wußte gar nicht, ob Sie in A. oder in Utrecht seien. Roth, wie wenige sind wir, und Sie wissen, so sehr Sie Sich gegen mich wehren, daß kaum irgend jemand so sehr an Ihnen hängt – wie ich, daß ich alle Ihre Erbitterungen ohne Gegenerbitterung fühle: es hilft Ihnen nichts. Sie können gegen mich tun, was Sie wollen, mich privat, mich öffentlich herabsetzen oder befeinden, Sie kommen doch nicht davon los, daß ich eine unglückliche Liebe zu Ihnen habe, eine Liebe, die an Ihrem Leiden leidet, an Ihrem Haß sich kränkt. Wehren Sie sich nur, es hilft Ihnen nichts! Roth, Freund, ich weiß, daß Sie es furchtbar schwer haben, und das genügt mir, um Sie noch mehr zu lieben, und wenn Sie böse, gereizt, voll unterirdischer Ressentiments gegen mich sind, so spüre ich nur, daß das Leben Sie quält und Sie aus richtigem Instinct gegen den schlagen, gegen den Einzigen vielleicht, der es Ihnen nicht übelnimmt, der gegen alles und alle Ihnen treu bleibt. Es hilft Ihnen nichts, Roth. Sie können mich nicht abbringen von Joseph Roth. Es hilft Ihnen nichts!

Ihr St. Z.

 

An Joseph Roth

17. Oct. 1937

Lieber Unfreund, ich will Ihnen nur sagen, daß ich endlich dank Barthold Fles, den ich gestern sah, etwas über Ihre Arbeit weiß und mich riesig freue, daß Sie so hartnäckig am Werke sind: ich weiß, daß Ihnen die beiden Bücher gelingen werden. Er erzählte mir, daß Sie eine Einladung nach Mexico hätten, und ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie wichtig das meiner Meinung nach für Sie wäre, einmal Klima, Ort, Umwelt zu wechseln, neu sich aufzufüllen, und wie wunderbar würden Sie eine solche neue Welt darstellen – so etwas muß auch, ich sagte es Fles, leicht zu finanzieren sein. Der Verwesungsgeruch Europas steckt uns allen in der Nase: ein wenig Luft von außen, und Sie wären, Sie lieber, Sie wichtiger Freund, von der Seele her erfrischt. Ich freue mich, daß Sie wenigstens in Paris sind – vergessen Sie nicht in der Ausstellung den literarischen Pavillon (»ébauche d'un musée de littérature« anzusehen, der stärkste Eindruck der ganzen Ausstellung für mich). Ich habe gestern die erste Form meines Romans fertiggemacht, 400 Seiten, natürlich eine ganz unzulängliche Skizze, die eigentliche Arbeit beginnt jetzt erst, und wie wichtig wäre es für mich, mich mit Ihnen zu beraten! Aber nach London wollen Sie ja nicht (obwohl es wichtig wäre), und ich muß jetzt einmal stillsitzen bis Dezembermitte, dann will ich auf 14 Tage nach Wien und vielleicht einen Monat nach Paris. Wann sehen wir einander? Sie kennen jetzt alle meine Pläne. Nächster Tage bekommen Sie von mir die zwei Bücher, die Sammlung meiner »Essays« und den »Magellan«. Ich habe die letzten Jahre wirklich gearbeitet und herausgeholt, was zu holen war an Kraft und Quantum; möge die qualitas keine zu schlechte sein! Dies nur ein Gruß ins Foyot, und vergessen Sie nicht Ihren unglücklichen Liebhaber und abgelegten Freund

St. Z.

 

An Joseph Roth

49, Hallam Street, London W1
[undatiert; vermutlich Januar 1938]
sofort nach Ihrem Brief.

Mein Lieber,

ich bin furchtbar erschrocken über Ihren Brief; die Schrift war wirklich krank, und ich spüre atmosphärisch schon lange, daß Sie sehr verzweifelt sind (mehr vielleicht noch als ich, den diese Zeit, in der alles unsern Erzfeinden gelingt, rasend macht). Kann ich etwas für Sie tun? Es ist ja so schwer, weil ich gar nichts von Ihnen weiß. Kann die gute Keun mir nicht einmal über Sie schreiben – Sie wissen ja nicht, wie ich (gleichgiltig gegen Ihre Einstellung zu mir) an Ihnen hänge und für Sie eigentlich in Permanenz besorgt bin. Vielleicht komme ich doch jetzt nach Paris, ich wollte eigentlich zuerst nach Lissabon, Estoril und dort an der stillsten Rivieraküste arbeiten. Jener Roman ist in den Grundzügen festgelegt, auch schon einmal geschrieben, jetzt in der zweiten Stufe. Aber es fehlt mir noch viel, im Dialog, in der Sprache. Ich werde, müde wie ich bin, doch länger daran arbeiten als ich dachte und da bewundere ich Ihre Stoßkraft – freilich, Sie sind 15 Jahre etwa jünger, und was für Jahre! Mein Lieber, ich schwätze da herum, Sie mögen aber durchaus das Bedürfnis sehen, wieder einmal mit Ihnen beisammenzusein, mich auszusprechen und vor allem von Ihnen, von Ihren Arbeiten zu hören. Ich weiß gar nichts von Ihnen und will Sie doch nicht verlieren, es beleidigt mich, wenn dann plötzlich ein Buch kommt, um das Sie, mein Freund, ein Jahr gekämpft haben, und ich weiß nichts davon, ich bin der Letzte, der davon erfährt, und hatte doch einmal den Stolz, der Nächste, der Verläßlichste zu sein. Bitte schonen Sie sich. Tut Paris Ihnen gut? Wäre nicht doch der Süden besser für Sie? Ach, ich frage und weiß doch, Sie antworten mir nicht mehr. Aber ich frage eben oder vielmehr mein Herz fragt nach Ihnen. Innigst

Ihr alter St. Z.

Sobald ich ein wenig Übersicht habe, wann ich fahre, schreibe ich Ihnen sofort.

 

An René Schickele

49, Hallam Street, London
22. April 1938

Lieber René Schickele,

Eben kommt Ihr Brief, da ich Ihnen für die Novelle danken wollte. Leider kann ich Ihnen nichts so sehr Erfreuliches über die englische Situation berichten. Wir sind, sowohl Sie als ich, durch unsre ganze Einstellung dem englischen Geschmack äußerst fremd, und meine Einflußkraft hier eine kläglich geringe. Ein Vorwort müßte hier unbedingt von einem englischen Schriftsteller geschrieben sein, um irgendwelche Wirkung zu haben und nicht eher Mißtrauen zu erregen. Dagegen will ich Hübsch sofort schreiben, daß Thomas Mann ein Vorwort für Sie geschrieben hat, obwohl er es nicht mit einer Ausgabe bringen könnte. (Vielleicht den Schlußsatz ein wenig verändert.) Seine Autorität ist drüben ja jetzt sehr groß, leider herrscht drüben auch die Bücherpleite. Unser Unglück ist ja, daß unsre persönliche Krise mit einer Weltkrise zusammenfällt.

Wir stehen vor einer moralisch auch sehr verantwortlichen Situation. Da wir unsern »Markt« verloren haben, unser Publikum uns gestohlen worden ist, materiell nur der englische Markt gilt, müßte man versuchen, sich dem angelsächsischen Geschmack bewußt anzupassen, was ich nicht kann, und Sie wahrscheinlich ebenso wenig. Mich haben einigermaßen die biographischen Bücher über Wasser gehalten, aber wie es mit dem Roman werden wird, an dem ich arbeite, scheint mir mehr als dubios. Vielleicht wird es für Sie notwendig sein, irgendein Buch neben der dichterischen Produktion zu schreiben, ich dachte damals an Jaurès als Symbol des Untergangs der Internationale, als Zerstörung der letzten europäischen Einheit (oder vielleicht ein andres Thema, das Ihnen gelegen ist, ließe sich vielleicht fruktifizieren.) Aber eine innere Umstellung unsers literarischen Habitus wird und soll uns nicht mehr gelingen. Hier müssen wir resignieren und vielleicht auf zwei Geleisen versuchen weiterzukommen, auf einem, das nur dem Güterverkehr dient, und dem anderen, das unsre eigentliche geistige Bewegung darstellt.

Verzeihen Sie mir, lieber Freund, den Pessimismus, der vielleicht aus diesen Zeilen spricht. Aber die österreichische Sache hat mich doch sehr getroffen. Nicht nur, daß ich meine Mutter dort habe und Freunde, nicht nur, daß das ganze Opus noch einmal eingestampft wird und noch einmal von neuem angefangen werden soll – es ist auch der Verlust des beinahe letzten Wirkungskreises, der Sturz ins Leere. Hieße es nur »durer«, wie Sie sagen, man brächte dazu noch die Kraft auf. Aber dazu noch das immerwährende Neuanfangen mit einem von tausend dreckigen Äußerlichkeiten verschmutzten Kopf, Paßfragen, Heimatszugehörigkeitsfragen, Familienproblemen, Lebensproblemen. Man wird manchmal schon recht müde.

Verzeihen Sie diesen schlimmen Brief, aber ich habe mir das Gute listigerweise für den Schluß behalten, nämlich die Freude an Ihrer Novelle. Sie haben immer aus dem Rhythmus der Sprache heraus geschaffen und durch diesen Überschwung auf das Französische einen ganz neuen Ton gefunden, der mich merkwürdig an Ihre ersten Gedichte erinnert, an das himmlisch Lyrische. Alle Gnade eines neuen Anfangs ist darin, und ich freue mich furchtbar für Sie, daß Sie sich einen Aufschwung dieser Art geben konnten. Es zeugt für die Vitalität Ihres Fühlens und verrät die noch unangebrochenen Reserven, die wir mit der Wünschelrute der Freundschaft immer bei Ihnen gespürt haben. Lassen Sie sich jetzt nicht niederbeugen. Ich schreibe noch heute an Hübsch. Bitte, vergessen Sie nur nicht, ihm dann ein Exemplar der Vorrede zu senden, die ihn sicher beeindrucken wird, und was hier geschehn kann, soll alles freudigst geschehen. Da ich alles Gute mir zum Schluß aufsparen wollte, sage ich Ihnen noch, daß wir hier an irgendeinem eigenartigen Verlagsplan herumarbeiten, der die früheren verschollenen Bücher unserer Besten in billiger Form ans Licht heben soll. Und im Plan stehen Sie natürlich auf Liste Nummer eins. Wenn es nur gelingt! Ich verwende viel Zeit darauf.

Herzliche Grüße

Ihres Stefan Zweig

 

An Joseph Roth

[undatiert; vermutlich Sommer 1938]

Lieber Freund, Sie schweigen mich hartnäckig an, ich aber denke oft und herzlich an Sie. Mein Leben ist in letzter Zeit arg überhäuft, ich habe das Buch glücklich auscorrigiert (was bei mir beinahe: Nocheinmalschreiben heißt), dann Material gesammelt zu einer Novelle (oder Art symbolischer Novelle), an der ich jetzt schon schreibe, nur immer wieder verstört. Ich muß bei der Arbeit allein sein (bei der conceptiven zumindest) und wollte seit 10 Tagen nach Boulogne flüchten, aber das Wetter ist erbarmungslos. In Deutschland hat »Castellio« seinen Schatten vorausgeworfen, auch die Auslieferung nach Ungarn, Polen, etc. die – Österreich hat kein Clearing mit diesen Staaten – bisher über dieses edle Land ging, ist unmöglich, und auch sonst kommt viel an kleiner Ärgerlichkeit zusammen – ich wundere mich, daß wir dabei noch arbeiten können. Hier lebe ich wie in einer Höhle, kenne ein Zehntel der Leute wie vor zwei Jahren, auch sonst fällt und raschelt viel Laub von alten Herzensbanden. Nun, man hat aber auch kräftig mit der germanischen Axt auf uns losgedroschen!

Und Sie! Ich bin immer ungeduldig, wenn ich an Sie denke. Ihr Roman I muß ja ganz vollendet sein, und wie geht die Arbeit an dem neuen? Wo werden Sie sein? Wo kann man Sie finden? Vor Amsterdam fürchte ich mich, weil ich dort 15 Leute besuchen müßte und außerdem fährt nur die deutsche Lufthansa hin. Wie lange bleiben Sie noch dort? Haben Sie irgendwelche Entschlüsse gefaßt? Roth, halten Sie sich jetzt zusammen, wir brauchen Sie. Es gibt so wenig Menschen, so wenig Bücher auf dieser überfüllten Welt!!

Herzlichst

Ihr Stefan Zweig

 

An Klaus Mann

[undatiert; vermutlich Juli 1939]

Lieber Klaus Mann,

ich muß Ihnen doch so rasch als möglich sagen, welche außerordentliche Freude mir Ihr Roman bereitet hat; ich spürte so lange schon in Ihnen die wachsende Entschlossenheit, das männliche Sicherwerden, ich habe, Sie wissen es vielleicht, immer auf Sie »gesetzt«, aber dieses Buch übertrifft doch weit diese anspruchsvollen Erwartungen durch seine Fülle und geistige Überschau, seine strenge und bis ans Unerbittlich-Verzweifelte getriebene Gerechtigkeit. Ich denke jetzt nicht an einzelne Scenen (herrliche sind darunter, absolut unvergeßbare) sondern an die Verteilung von Farbe, Licht und Schatten in dem ausgespannten Rahmen und die Vehemenz der Pinselführung; mir war es so wichtig, daß Sie dieses Problem nicht flächig darstellten, Geschehnis neben Geschehnis mit Menschen, die als Statisten auftreten und sich wie Marionetten hölzern bis zum Schluß in ihren Scharnieren bewegen, sondern daß die Wandlung, die Verwandlung der Charactere durch die Emigration das eigentliche Thema wird, also durchaus das innere Schicksal als Reflex und Folgeerscheinung der organisch-atmosphärischen Veränderung.

Einwände habe ich keine, gewünscht hätte ich vielleicht noch etwas mehr Armut und Geldverzweiflung, wie ich sie oft, allzuoft sehe, den Untergang bloß aus dem nackten Faktum von fehlenden paar Mark – etwas mehr Kläglichkeit, Dreck, Düsterkeit also. Und dann hat natürlich der November 1938 noch manches übertroffen: Hitler schreibt Weltgeschichte mit teuflischerer Brutalität als wir sie zu erdichten vermögen. Er wird Ihnen, wenn nicht gepanzerte Engel niedersteigen, andere als Ihr Engel der Heimatlosen, noch einen zweiten Band schreiben.

Lieber Klaus Mann, ich habe noch ein persönliches Gefühl bei diesem Buch – als ob Sie sich dabei und dadurch selbst immunisiert und gerettet hätten. Lese ich richtig, so haben Sie es gegen ein früheres Selbst, gegen innere Unsicherheiten, Verzweiflungen, Gefährdungen geschrieben: so erklärt sich mir seine Gewalt. Es ist eben kein beobachtetes Buch (wie z. B. Feuchtwangers Fresco zu werden scheint) sondern ein erlittenes. Man spürt das.

Wo immer diese Zeilen Sie erreichen mögen, sollen sie Ihnen meinen Glückwunsch sagen. Ich habe mich herzlich an Ihnen gefreut und danke Ihnen, daß Sie mein jahrealtes Vertrauen in Sie so erfüllt und übertroffen haben. Von Herzen Ihr

Stefan Zweig

Eine Beckmesserei, aber nur als Zeichen, wie genau ich Ihr Buch las. Auf Majorca läßt Bernheim den Greco und Renoir zurück. Wieso hat er ihn wieder in Wien in seiner Villa? Ist das nicht eine Flüchtigkeit, die in der nächsten Auflage zu tilgen wäre.

 

An Emil Ludwig

»Rosemount« Lyncombe Hill Bath
[undatiert; vermutlich Juni 1940]

Lieber Emil Ludwig, ich lese, daß Sie in London sind auf dem Weg nach America, ich bin auch nach Südamerica geladen, aber zögere – Wolfensteins Gedicht ist wie von mir geschrieben – nicht aus Reisefurcht, sondern aus dem Gefühl nicht zum zweitenmal wie in der Schweiz damals die Dinge nur von außen gesehen zu haben.

Ich konnte Ihnen für Ihre Bücher nicht danken, weil ich unter Censur überhaupt keine Briefe mehr schreibe. Aber ich möchte Sie sehr gerne sehen und will es versuchen, wenn ich diese Woche nach London muß. Noch schöner wäre, Sie sähen sich eine der wenigen wirklich charmanten Städte an, die England hat – ein lohnender Ausflug für sie und für mich eine Freude.

Ihr Stefan Zweig

 

An Richard Beer-Hofmann

The Wyndham Hotel, New York
11. Juli 1940

Mein lieber verehrter Richard Beer-Hofmann, wie haben wir um Sie gebangt, und wie glücklich war ich, Sie hier geborgen zu wissen, freilich, ich weiß es, in jeder Stunde der Gütigen gedenkend, die sonst Sie überallhin mit ihrer Sorge begleitet. Aber selig die Toten in dieser Zeit – ich bin so tief erschüttert, weil ich mehr Europäer als Österreicher war und der Sieg, der zeitweilige, der Gewalt mich für immer heimatlos macht. Ich bin mit meiner kleinen Klugheit so wie von Österreich rechtzeitig von England fort, alles hinter mir lassend, was Besitz war, und sogar das halbfertige Manuscript eines Buches, an dem ich seit Jahren arbeite, und irre jetzt mit einem Transitvisum, hier eingelassen und fortgetrieben, nach Südamerica zu Vorlesereisen, die ich nicht mag. Werde ich je zurückkehren können? Werde ich es dürfen, werde ich es wollen? Aber ich frage schon nicht mehr, ich lasse mich treiben, nur von einem Gedanken beseelt, nicht diesem braunen Burschen in die Hände zu fallen – dies die einzige Furcht, die ich im Leben noch habe, die andern sind verlernt. Ich hatte mich schon ganz zurückgezogen, auf Umgang verzichtend und nur jenes [Umgangs] mit Büchern und meinem Garten froh, nun heißt es weiter ahasverisch wandern, und als einzige Arbeit erzähle ich mir (und später andern) mein Leben, das eines Europäers und Juden in dieser Zeit. Ich hoffe, wenn man mir es erlaubt, auf der Rückreise in America wieder etwas zu bleiben, Sie im Spätherbst zu sehen in alter Liebe, Treue und Verbundenheit!

Ihr Stefan Zweig

 

An Thomas Mann

The Wyndham Hotel, New York
17. Juli 1940

Verehrter Herr Professor, dies nur ein Gruß, der keine Antwort benötigt. Ich wollte Ihnen bloß sagen, wie sehr ich es bedaure, Sie versäumen zu müssen, aber meine Tage sind hier amtlich gezählt, und es war schon harte Arbeit, von England das Exit, von America das Transit für Vorträge in Südamerica zu bekommen. Aber ich habe in England doch zu sehr unter dem Gefühl der Macht- und Nutzlosigkeit gelitten. Nahe Freunde wie Robert Neumann wurden interniert, Verwandte mußten unser Haus verlassen, die Fifth-Column-Hysterie, erst gefördert von oben nur, dann in den breiten Massen zu einem wilden Mythos anschwellend, macht jemandem, der einen deutschen Namen hat, das Leben unbehaglich. Hoffentlich kann ich nach England rebus bene gestis zurückkehren und muß nicht die Schar der Umgeschüttelten und Heimatlosen und somit die Last für die anderen vermehren.

Ich tue dies alles, was in meinen kleinen Kräften steht, um Freunde (und auch meine frühere Frau) aus Frankreich zu retten, aber auch in gods country mahlen Gottes Mühlen grauenhaft langsam, und ich weiß, wie drüben die Menschen von Stunde zu Stunde, von Minute zu Minute warten, oft an unserem Eifer, unserer Hingabe im geheimen zweifelnd – wichtig wäre, daß jenes erlösende Telegramm von Washington mit den Visas für die wirklich Gefährdeten endlich abgeht. Ich weiß, Sie haben einen Sohn, einen Bruder dort und verstehen so vom eigenen Blut her unsere Sorge.

Der arme Otto Pick gründete knapp vor seinem Tod noch eine deutsche Zeitschrift in London. Ich weiß nicht, ob Sie meinen Aufsatz über Ihre herrliche »Lotte« noch erhielten, der dort erschien – ich konnte Ihnen selbst kein Exemplar schicken, weil ich deutschen Text nicht mehr versendete. So blieb auch das ganze fast vollendete Manuscript meiner großen Balzacbiographie, einer seit Jahren begonnenen Arbeit zurück, aber ist es nicht wichtiger sich die Arbeit zu retten, die man noch tun kann, statt die halb oder ganz getane?

In herzlicher Verehrung

Ihr Stefan Zweig

Alles Gute den Ihren!

 

An Thomas Mann

The Wyndham Hotel, New York
29. Juli 1940

Sehr verehrter lieber Herr Doktor, Ihr gütiger Brief erreichte mich noch hier, denn ich habe – aus der Sentimentalität Europa näherzubleiben – die Südreise noch um 10 Tage verschoben. Wie viel hätte ich Ihnen von England zu erzählen gehabt! Ich hatte in meiner amphibischen Situation mich vom ersten Kriegstage zurückgezogen, jedem Gespräche ausweichend, in eine absolut trappistische Clausur, aber mit Sorge beobachtete ich vom ersten Tage, wie die Engländer – von historischen Analogien verführt – den Krieg im Tempo und mit der Gelassenheit des Friedens führten, einzig darauf bedacht, das easy going des privaten Lebens möglichst wenig zu stören. Sie träumten von diesem Kriege als einer Blockade, setzten nicht rechtzeitig weder Menschen noch die letzte Energie ein – jetzt an die Wand gedrückt, entfalten sie erstaunliche Kräfte, aber was vermögen Nerven wider Tanks? Das werden die nächsten Wochen erweisen.

Schmerzlich ist mir, für America die gleiche selbstbewußt-passive Haltung zu sehen, dieselbe verhängnisvolle Politik, mit Worten und Tadel die Angreifer zu verärgern und sie gleichzeitig durch eine übertrieben-gerechte Neutralität erstarken zu lassen. Mit der englischen Flotte opfert America seine erste Verteidigungslinie auf, so wie England seinerzeit mit Österreich und den Czechen seinen sichersten Wall. Auch hier kein einheitlicher Plan für die nächsten Jahre; auch hier keine auf den kommenden wirtschaftlichen Conflict schon im voraus eingestellte Ökonomie, auch hier nur Abwartewehr. Inzwischen nähern sich schon Hitlereuropa und Japan, die Schneiden der Zange werden im stillen geschliffen, daß ein Angriff gegen die letzte Democratie in den Generalstäben bereits ausgearbeitet wird, ist für mich Axiom. Wir sind leider noch nicht am Ende. Aber so wie wir Emigranten in England die Gefahr deutlicher erkannten als die Engländer, so sehen wir Europäer die Notstunde Americas in seiner heutigen Prosperität bereits voraus, ungelöst dort wie hier.

Daß ein Mann wie Sie, der wie keiner Solidarität mit der Emigration bekundet, von Einzelnen angefeindet wird, überrascht mich und andererseits doch wieder nicht. Emigration bedingt eine Verschiebung des Gleichgewichts, sie ist eine Gleichgewichtsstörung, weil der einzelne plötzlich nicht mehr dasselbe Gewicht im Sinne der Geltung hat wie vordem; das führt dann epidemisch zu seelischen Verstörungen. Mir ist es nicht viel besser ergangen als Ihnen – der unselige Zarek schrieb mir plötzlich, ich »verhinderte«, daß die andern deutschen Schriftsteller, vor allem er, in englischer Sprache erschienen, und ähnliches pathologisches Zeug; nun, ich nehme es bedauernd als Verstörung, allerdings im Falle Ludwig die mildernden Gründe abziehend, denn wenn einer, so ist er durch internationale Geltung und Schweizer Paß seit Jahren all den Sorgen entgangen, die für uns verheerend, zerstörend, weil deconcentrierend waren.

Sie sind so gütig, mich nach meinem Wohin zu fragen. Ich weiß es nicht. Ich bin eigentlich entschlossen, nach England zurückzukehren, außer im Falle, daß Mosley dort Dictator wird. Ich habe einfach nicht mehr die Kraft, bei Consulaten, Ämtern um Erlaubnisse, Verlängerungen einzukommen. Ist es in England halbwegs möglich trotz deutscher Sprachzugehörigkeit und jüdischer Belastung zu leben in der Weise, wie ich immer lebte – nicht öffentlich, unsichtbar – so werde ich es tun. Kommt Mosley oder sonst eine Form des Fascismus, dann ist Amerika gleichfalls kein Hort für lange Dauer mehr. Ich suche zunächst, den ganzen Complex des »Wohin« möglichst abzublenden und lasse mich treiben. Einmal muß entweder der Sturm enden, oder man endet selbst. Inzwischen versuche ich zu arbeiten und in einer Art Selbstdarstellung die Zeiten zu schildern, durch die ich gegangen – wir sind schließlich Zeugen einer der größten Weltverwandlungen, und solange ich nicht dichterisch zeugen kann (im Sinne der Schöpfung), will ich wenigstens Zeugenschaft leisten im Dienst des Documentarischen. Mein Aufsatz – ich glaube der hymnischste, den ich je geschrieben – über »Lotte in Weimar« liegt in London, ich hatte nur ein gedrucktes Exemplar und wagte Deutsches nicht durch die Censur zu nehmen. Aber später – hoffen wir auf dies Später! – kann ich Ihnen dies kleine Zeichen großer Verehrung gerne übermitteln.

Ihr getreuer Stefan Zweig

Grüßen Sie, bitte, die Ihren!


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