Heinrich Zschokke
Der König von Akim
Heinrich Zschokke

Heinrich Zschokke

Der König von Akim

An den abendlichen Küsten Afrika's breitet sich unter der heißen Sonne, aber im Schatten von Mangobäumen, Palmen, Cedern, Wunderbäumen und Gummiwäldern, ein weites Land aus. Man nennt es Guinea. Die schwarzen Ureinwohner desselben, die Neger, lebten darin von jeher, und heut noch, unter verschiedenen Königen, und gaben ihren Reichen verschiedene Namen. Die Europäer aber, die weit klüger sind, bekümmerten sich, als sie das Land zum erstenmal sahen, wenig um die Geographie der Mohren, sondern machten sich auf der Stelle eine neue. Guinea, das Land, wo sie den Goldstaub zu ihren Guineen fanden, teilten sie auf der Stelle in neue Bezirke, und gaben denselben Namen nach den Gegenständen ihrer Habsucht, die dort Befriedigung suchte. So stehen die Namen noch heutiges Tages in den europäischen Karten von Afrika, z. B. Pfefferküste, Elfenbeinküste, Sklavenküste, Goldküste u. s. w. Die krämernden Europäer hätten aus der ganzen Welt gern eine Krämerbude gemacht, und jeden Weltteil zu einer Wand ihres Kramladens, wo sie die Länder der Menschen wie Schubladen und Warenkisten ansehen könnten.

Einen großen Teil der Goldküste füllt das Königreich Akim aus. Es liegt zum Glück aber wohl ein halbes Hundert Meilen vom Seeufer. Daher konnten es die frommen und weisen Europäer nicht so schnell verwüsten und elend machen.

Inzwischen hatte der König von Akim, Namens Frempung, von der Erscheinung der weißen Seeungeheuer gehört. So nannten die unwissenden Neger sehr unverschämt uns liebenswürdige Europäer. Sie, die bekanntlich kohlschwarz sind, und statt unsers langen braunen, schwarzen oder goldnen Haares nur krauses, wolliges Haar à la Titus tragen, nannten uns Seeungeheuer! – Das ist aber der Zauber der Gewohnheit. Für die schwarzen Herren und Damen in Guinea ist nichts in der Welt so anmutig, als eine feine, samtene Haut, dunkel wie Ebenholz. Man weiß ja, wenn die reisenden Engländer, Adanson oder Mungo Park, durch afrikanische Dörfer wanderten, wo man noch die europäische Grazie nicht zu bewundern Gelegenheit gehabt hatte, daß die Kinder der Neger mit entsetzlichem Geheul und Schrecken auf den Gassen beim Anblick der weißhäutigen Reisenden davon rannten. Die Weiber des Maurenkönigs Ali, die den Mungo Park auch gern gesehen hätten – denn die Frauen und Mädchen in Afrika sind sehr neugierig – ließen nicht nach zu bitten und zu quälen, bis ihnen Ali den Engländer vorstellte. Ali stellte sonst seinen Schönen nicht gern hübsche Männer vor; aber ihnen das weiße Seeungeheuer zu zeigen, machte ihm keine Eifersucht. Er bat sie nur, sich auf das Schauerlichste gefaßt zu machen, und nicht allzusehr zu erschrecken. Und doch, als die niedlichen schwarzen Mädchen den reisenden Engländer erblickten, waren einige nahe daran, in Ohnmacht zu fallen, gewiß aber nicht vor Entzücken. Denn auch die Herzhaftesten, so oft sie sich dem Herrn Mungo Park näher machen wollten, wurden immer von einem unüberwindlichen Grausen überrascht und zurückgedrängt. Wie würde es nun nicht erst werden, wenn eine unserer reizenden, blauäugigen Blondinen in den Palast eines Monarchen der Neger träte? Ein Mädchen mit dicken Goldlocken, wie gekräuselte oder geflochtene Sonnenstrahlen, mit einer Stirn, mit einem Nacken, Hals und Busen, weiß wie frisch gefallener Schnee; mit Wangen, wie Rosenglut; mit Händen und Armen, wie Alabaster, vom zarten blauen Geäder schattiert? – Hilf Himmel! Dies Mädchen, welches man bei uns ohne Umstände zu den Engeln zählen möchte, für das sich unsere Siegwarte und Werther totschössen, auf welches Kling- und Klanggedichte zu Dutzenden und Hunderten gereimt würden – ich wette, die Neger ließen sich beim Anblick dieser Lilien- und Rosenfrische nicht ausreden, man habe dem armen Kinde bei lebendigem Leibe die Haut abgezogen.

Zu dergleichen Hautabziehereien glauben uns die Neger in ihrer Unwissenheit übrigens sehr fähig. Denn Einige halten uns geradezu für Menschenfresser, und geben uns in ihrer ungebildeten Sprache einen Namen, der auf Deutsch ungefähr so viel wie fleischfressender Teufel heißt. Ich kann mir aber wohl erklären, woher dieser abscheuliche Name gekommen sein mag. Wenn nämlich die aus dem Innern Afrika's auf die Europäerschiffe geschleppten schwarzen Sklaven untersucht wurden, ob sie gesund, und welchen Preis sie wert wären: so mochten die armen Unwissenden sich natürlich wundern, daß man ihnen alle Glieder durchtastete und befühlte, was nach ihren rohen Begriffen für höchst schamlos gelten konnte, und allenfalls einem Metzger beim Viehkauf erlaubt war. Folglich blieben sie im Wahn, man habe sie gekauft, um sie zu schlachten und zu verzehren.

Um die Wahrheit zu sagen, müssen wir jedoch aber auch gestehen, daß wir Europäer ehemals die schwarzen Leute auch nicht für rechte eigentliche Menschen hielten, sondern für eine Art Tier, das zwischen Affen- und dem Menschengeschlechte stehe. Unsere großen Gelehrten bewiesen uns schwarz auf weiß in ihren unsterblichen Werken, mit Kupferstichen verziert, daß die Schwarzen, schon wegen ihres Knochenbaues, weit weniger Verstand hätten, als wir andern ehrlichen Leute. Seit aber Neger und Negermädchen recht artige Gedichte machten, die feinsten Berechnungen vollendeten, Predigten hielten, in europäischen Diensten Feldherren europäischer Truppen wurden, ja auf der Insel Haiti Republiken und Königreiche einrichteten, wo sie Schulen, Fabriken, Schiffswerften, Kanonengießereien und sogar Verfassungen und Gesetze haben, die sich mancher gescheite Mann sogar in manches europäische Ländchen hineinwünschen möchte, ja, seitdem hat sich die Meinung vom Verstand der Neger etwas geändert, und die großen Gelehrten mit ihren unsterblichen Werken sehen seitdem etwas unverständig aus.

Ich habe aber den König von Akim vergessen. Von ihm und seiner ersten Zusammenkunft mit europäischen Gesichtern wollte ich erzählen.

Wie gesagt, der König hatte von den weißen Seeungeheuern gehört, die über das Meer gekommen und aus einem großen hölzernen Kasten ans Ufer gekrochen wären. Reisende, welche diese Geschöpfe mit eigenen Augen gesehen hatten, behaupteten: die Ungeheuer hätten auffallende Ähnlichkeit mit Menschen, gingen aufrecht auf zwei Beinen, und hätten eine Stimme, mit der sie allerlei Töne machten, die vermuten ließen, daß sie sich dadurch, gleich andern Tieren, verständlich zu machen wüßten. Sie wären aber unter einander nicht Alle gleichgestaltet, auch nicht Alle von gleicher Farbe; zwar im Gesicht von ekelhafter Weiße, aber am Leibe meistens bunt und zottig, Einige blau, Einige grün, Einige rot und so weiter. Wieder andere Reisende versicherten und beschworen, die ans Land gekrochenen Seegeschöpfe wären keine Menschen, sondern eine Art Seeteufel. Mehrere derselben hätten unter der Nase lange Haare. Sie tränken am liebsten ein Wasser, das kein Mensch genießen könne; denn wenige Tropfen davon in den Mund genommen, verursachten ein Brennen, wie Feuer. Auch hätten sie Keulen aus der Tiefe des Meeres mitgebracht, in welchen der Blitz und Donner läge. Richteten sie die Keule gegen einen Vogel in der Luft, so stürze der Vogel, wie von einem Pfeile getroffen, auf das Blitzen und Krachen der Keule tot zu Boden.

Der König von Akim, ein sehr verständiger und einsichtsvoller Herr, war über alle diese Anzeigen sehr verwundert. Vieles davon glaubte er nicht und hielt es für Lüge. Indessen wiederholten sich die Nachrichten. Sein Erstaunen erreichte den höchsten Grad, als endlich ein rechtschaffener und wegen seiner Verständigkeit geschätzter Mann seines Reiches von einer Reise zurückkam, die derselbe in Handelsgeschäften an der Küste gemacht hatte. Auch dieser hatte die Meergeburten mit eigenen Augen gesehen, und er erklärte vor dem Könige, seinem Herrn, da er berufen worden war: er halte bestimmt jene Wesen für Menschen aus einer andern Welt. Den Beweis führte er, sehr einleuchtend, mit folgenden von ihm selbst sehr sorgfältig beobachteten Tatsachen:

»Es gibt an der Küste Einige unsers Geschlechts, welche die Sprache jener Figuren gelernt haben, und sogar mit ihnen reden können. Diese Erfahrung hat man noch nie an andern Tieren machen können; folglich müssen es Menschen sein. Ob sie von Gott aber Vernunft in dem Maße erhalten haben, wie wir, das weiß ich nicht; doch bezweifle ich's beinahe. Denn sie können zwar zuweilen sehr vernünftig scheinen, aber häufig tun sie das Gegenteil. Ihre größte Lust ist, von dem brennenden Wasser zu trinken; darauf werden sie ganz närrisch, lachen und schreien, taumeln und können nicht aufrecht stehen, umarmen, schlagen und verwunden sich, hüpfen und springen, bis sie in Schlaf verfallen. Wenn sie erwachen, scheinen sie wieder verständig zu sein.

Auch haben sie Sinn für den Tanz. Ich habe bemerkt, daß, wenn Einer unter ihnen mit einem haarigen Stecken über ein hohles Holz streicht, über das man kleine, zusammengedrehte und gedörrte Därme von Tieren gespannt hat, die Andern bei dem Gezirpe, das von den gestrichenen Därmen entsteht, ein Zucken in den Füßen bekommen, Andere mit abgemessenen Schritten umhergehen, Andere mit hüpfenden Schritten rechts und links fahren.

Ferner habe ich bemerkt, daß sie eine Art bezauberten Zettel haben, mit denen sie sich viel zu schaffen machen. Es setzen sich zwei, drei bis vier Personen zusammen, nehmen die buntgemalten Zettel, die alle gleich groß sind, mischen sie durch einander und verteilen sie unter sich. Dann starrt Jeder die Blättlein an und wendet kein Auge davon. Plötzlich äußert der Zauber seine Wirkung. Denn einige werden sehr ernsthaft und finster; Andere lachen mit abscheulicher Schadenfreude; Andere strahlen vor Vergnügen, als wäre ihnen viel Heil widerfahren; Andere sehen finster und traurig, Manche zuletzt so verzweifelnd aus, als wäre ihnen das Liebste in der Welt gestorben.

Ich läugne nicht, zuweilen kam es mir auch vor, als hätten diese Wildmenschen eine Art Religion, was man doch sonst nicht bei Tieren bemerkt. Ihre gottesdienstlichen Gebräuche sind aber, wie man leicht denken kann, sehr albern und roh. Man sieht da Einen, der am Leibe zwar schwarz, übrigens aber gestaltet ist, wie die Andern. Den umringen Alle. Dann fangen sie an insgesamt mit lauter Stimme zu heulen, was viel Ähnliches mit unserm Gesang hat. Haben sie sich müde geschrien und schweigen sie, so redet der Schwarze wohl eine Stunde lang ganz allein, zeigt viel auf die Wolken, ficht mit den Händen hitzig umher, als ermuntere er sie zur Schlacht, und schreit dabei so heftig, als wenn alle taub wären. Die übrigen Leute sitzen, knien oder stehen umher. Einige scheinen aufmerksam auf das Geschrei des Schwarzen zu horchen; Andere plaudern leise; Andere schlafen sehr fest; Andere weinen, Andere verdrehen die Augen stark im Kopfe, als müßten sie auf der Stelle den Geist aufgeben. Wie der Schwarze zu erzählen aufhört, sind Alle wieder munter, fangen ihr gesangartiges Geschrei von neuem an, und gehen Einer um den Andern zum Schwarzen, der ihnen etwas zu essen und zu trinken gibt.«

Der König von Akim schüttelte den Kopf, wie man bei sonderbaren oder unglaublichen Dingen, die man doch nicht ganz und gar wegläugnen kann, wohl zu tun pflegt. Seine Neugier war aufs höchste gespannt, eines der seltsamen Meergeschöpfe, wo möglich lebendig, zu sehen. Denn was man ihm alles gemeldet hatte, war voller Widersprüche.

Er berief seine erfahrensten und kenntnisreichsten Diener und Räte zu sich, ihre Meinung zu vernehmen. Einige der Ältesten unter denselben sprachen: »Frempung, du gewaltiger König und großer Held, hüte dich, eine jener Mißgeburten der Natur in unser glückliches Land einzuführen. Denn mit Recht fürchten wir, Unglück davon zu erleben. Wäre es nicht der Stärke deiner Vorfahren, unserer Könige, wäre es nicht deiner eigenen Macht ein Leichtes gewesen, das Reich Akim bis an die Grenzen der bewohnten Erde auszudehnen? Aber unsere Nation hütete sich wohl, ihr Gebiet bis an das große, unendliche Salzwasser zu erweitern, welches Gott den Ungeheuern zur Wohnung anwies. Möge dort die Sonne jeden Abend hinabsteigen, um sich zu reinigen und zu stärken, auf daß sie am Morgen kräftiger hinter den blauen Bergen emporsteigen könne: für uns ist dort kein Glück. Denn die Sonne schwängert das große Salzwasser mit ihrem Feuer. Von dort her gehen die Gewitter in finstern Wolken, die verwüstenden Stürme hervor, die Donner und Feuerflammen der Regenzeit. Von dort her sind auch jene menschenartigen Ungeheuer hervorgegangen, welche in ihren Keulen den Blitz tragen und in Wassergestalt feurige Glut saufen.«

So sprachen die Ältesten von den Räten. Aber die Jüngern derselben, so neugierig wie der König selbst, meinten: es gezieme doch einem Könige und seinem Rate, Alles, was erscheine, genau zu untersuchen, ob es etwas Schädliches oder Heilsames sei, um das Volk darüber belehren zu können. Vor allen Dingen käme es darauf an, daß man sich erst überzeugen müsse, ob jene Auswürflinge des großen Salzwassers in der Tat Menschen wären.

Wie es gewöhnlich in Europa an den Höfen geht, so ging es auch am Hofe zu Akim. – Frempung erzählte, was im geheimen Rate vorgefallen war, seiner Geliebten, einer niedlichen, kaum fünfzehnjährigen Mandingo. Diese ward nun auf der Stelle von der heftigsten Begierde geplagt, die wunderlichen Dinge aus dem Salzwasser zu beaugenscheinigen. Sie bat den König aufs schmeichelhafteste, davon kommen zu lassen.

Nach der Beschreibung, welche man uns von dieser jungen Mandingo gegeben hat, muß sie eine wahre Neger-Venus gewesen sein. Die Farbe ihrer Haut war eine Mischung von Ebenholz und Rosen. Durch ihr klares und durchsichtiges Schwarz schimmerte ein süßes Rot, wie ein Morgenrot in finsterer Nacht, oder ein mildes Wetterleuchten durch düsteres Gewölk. Ihre großen, schönen Augen strahlten Liebe und Zärtlichkeit; ihr kleiner Mund, der beim leisesten Lächeln ein Paar Reihen glänzendweißer Zähne, wie zwei helle Perlenreihen, zeigte, schien nur Wollust zu atmen. Man denke sich dazu einen niedlichen, kleinen, eirund geformten Kopf, einen geraden, schönen Hals, die feinsten Umrisse der Schultern, des Rückens, des zart gewölbten Busens, und man wird es begreiflich finden, daß der König von Akim lieber gestorben wäre, als daß er die Bitte der liebenswürdigen Mandingo unerhört gelassen hätte. Also schickte er von seinen tapfersten Kriegern eine ausgewählte Gesandtschaft zur Meeresküste, um die Söhne des Meeres, wenn sie wahrhafte mit Vernunft begabte Sterbliche wären, einzuladen, einen der Ihrigen an seinen Hof zu senden, oder, wenn es sich zeigen würde, daß es nur noch unbekannte Tiere wären, eins derselben lebendig einzufangen.

Die Gesandtschaft reisete ab, und fand die Europäer an der Küste in einem Dorfe freundlich und friedselig bei den dortigen Negern. In der Ferne sah man auf dem Meere ein großes Schiff mit vielen Masten und Wimpeln. Es waren Dänen, die da gekommen waren, an der Goldküste im Königreich Akra eine Niederlassung für den Handel neu blühend zu machen. Diese hörten mit Vergnügen, daß ein König im Innern Afrika's wünsche, mit ihnen Bekanntschaft anzuknüpfen. Ihrer Einbildungskraft spiegelten sich sogleich tausend angenehme Möglichkeiten vor, Goldstaub, Gummi, Elfenbein, Diamanten, auch andere Schätze, und Sklaven dazu, in Fülle zu bekommen. Der Herr Buchhalter Kamp ward demnach ausersehen, in Begleitung der Gesandtschaft, nebst einem Dolmetsch, nach Akim zu reisen.

Er gelangte ohne Schwierigkeit zur Hauptstadt Frempungs, und schon den Tag nach seiner Ankunft sollte er die Ehre haben, dem Monarchen vorgestellt zu werden. Der Herr Buchhalter Kamp, ein ehrbarer, verständiger Mann, kleidete sich aufs beste und ging.

Frempung, umringt von seinen Vornehmen allen, erwartete ihn schon, auf seinem Kissen sitzend, nicht ohne Herzklopfen. Links und rechts standen an den Seiten des Audienzsaals über hundert hübsche Negerinnen, begierig, das Ding aus dem Salzwasser zu sehen. Endlich kam es herein. Als man den Herrn Buchhalter Kamp erblickte, in zierlichem Rock, seidenen Strümpfen, schwarzen Schuhen mit silbernen Schnallen, auf dem Kopfe eine weißgepuderte Zopfperücke – überfiel Alle ein Schauder. Zwar Jeder hatte sich vorher schon eine abenteuerliche Vorstellung von dem kleinen Ungeheuer gemacht, aber so etwas Mißgestaltetes hatte sich Niemand vorgestellt. Jeder und jede von den schlanken Negern und Negerinnen glaubte nämlich ganz treuherzig, Rock, Weste, Hosen und Strümpfe wären von Gott erschaffene Teile des buchhalterlichen Leibes, und ungefähr so, wie bei andern Tieren Fell und Feder, angewachsen.

Unter dieser Voraussetzung machte Herr Kamp in seinem dänischen Bratenrocke nun freilich neben den nackten, schlankgeformten, kräftigen Negergestalten ungefähr einen eben so komischen Abstich, wie ein französischer Tanzmeister neben der reizenden Götterbildung eines Apollino; oder wie ein Friedrich der Große, mit dreieckigem großen Hut, Soldatenrock mit Aufschlägen, verschrumpften Hosen, und Stiefeln über die Knie, nebst einem Achilles; oder wie ein kurzer, dicker, kleinhutiger Napoleon in Infanterie-Uniform neben der edeln Haltung eines Alexander.

Dem Hofe von Akim aber verging bald das Lachen, wozu einige hübsche Mädchen, besonders die schöne Mandingo, anfangs gute Lust hatten. Denn das Ding aus dem Salzwasser ging geradezu auf den König los, dem dabei nicht ganz wohl zu Mute ward.

Der ehrliche dänische Buchhalter, welcher in Europa für einen Mann gegolten, der sich auch auf gute Lebensart zu verstehen wisse, wollte hier am Hofe eines großen afrikanischen Königs nicht im guten Ruf zurückkommen. Sobald er noch zehn Schritte vom Monarchen entfernt war, verbeugte er sich höflich, indem er einen langen Kratzfuß machte. Der König aber verstand das Manöver aus der französischen Tanzschule ganz unrecht. Wie er sah, daß sich das Ding aus dem Salzwasser so bückte und mit dem einen Fuße hinten ausfuhr, glaubte er, er wolle einen Satz machen und ihm auf den Kopf springen. Denn schon wie Herr Kamp hereingetreten war und sich links und rechts umgesehen hatte, war vom Könige der Zopf an der Perücke wahrgenommen worden. Frempung schloß daraus sogleich, das Geschöpf müsse zu einer unbekannten großen Gattung langgeschwänzter Affen gehören. So wie also Herr Kamp die oben gemeldete Bewegung machte, streckte sich der König blitzschnell lang auf die Erde, in der Hoffnung, daß der Sprung des Buchhalters über ihn hinweggehen würde. Auch rief er seine Krieger zur Hilfe.

Der Däne mutmaßte gleich, daß hier ein unglückliches Mißverständnis obwalte. Er wandte sich an den Dolmetsch, erfuhr des Königs Besorgnis, und erwiderte untertänigst, daß das nur eine europäische Ehrenbezeugung habe sein sollen. Frempung, froh, mit dem Schrecken davon gekommen zu sein, befahl sehr ernst, ihm fortan mit dergleichen Ehrenbezeugungen vom Leibe zu bleiben.

Der Gesandte wollte nun die wiederhergestellte Ruhe benutzen, im Namen des königlich-dänischen Gouverneurs von Christiansborg die Wünsche der Kolonie zur Anknüpfung beiderseitig ersprießlicher Handelsverbindungen vorzutragen. Er hatte sich zu dem Ende auch einen Kasten mit allerlei Geschenken für den König in den Audienzsaal nachbringen lassen. Ehe er aber die Geschenke überreichte, begann er eine wohlstudierte Rede, deren Inhalt der Dolmetsch nachher in die Negersprache übersetzen sollte. Er nahm dazu eine feierliche Miene an, und hob an mit vielem Anstand von der Herrlichkeit und Macht Seiner dänischen Majestät zu reden.

Er ward aber in seiner Oration auf eine sehr ärgerliche Weise unterbrochen. Während nämlich der ganze Hofstaat das wunderliche Ding aus dem Salzwasser aufmerksam betrachtete, und das unverständliche Gequackel desselben hörte, fiel einem der Ratsherren des Königs von Akim ein, zu versuchen, ob das Ding auch ernsthaft beißen könne, und was von dieser Seite zu befürchten sei. Er nahm also einen langen weißen hölzernen Stab, und hielt ihn gegen den Mund des beredsamen Buchhalters. Als dieser sich dadurch nicht stören ließ, war der Ratsherr, welcher ein guter Naturforscher sein mochte, schon dreister, zuckte mit dem Stab her und hin, und sagte, um ihn zum Beißen zu reizen: »Gnrr! Gnrr!« Ja, da Herr Kamp im Preise der Hoheit seines Monarchen den Mund einmal zu weit öffnete, steckte ihm Jener den Stab ins Maul.

Diese Ungezogenheit brachte ihn ganz aus dem Texte. Doch faßte er sich und sagte zum Dolmetsch: er möge nun dem Könige kurz erklären, was er vorgetragen. Der König aber hörte darauf nicht, sondern weil er nun gesehen hatte, daß das Ungeheuer gar nicht bissig, sondern sehr zahm sei, ging er selbst zu ihm heran und befühlte ihn, oder vielmehr die Kleider. Am meisten erregte der Zopf der Perücke sein und des ganzen Hofstaats Verwunderung. Denn der ganze Hof glaubte, dies sei ein der Mißgestalt im Nacken festgewachsener langer Schwanz, wie er andern Tieren sonst über dem Gesäße angewachsen sei. Der Dolmetsch mochte versichern, wie er wollte, der Schwanz sei nicht festgewachsen, sondern könne samt dem Haarputze abgenommen werden: Niemand glaubte ihm. Der König begehrte endlich, der Fremde solle den Versuch machen und sich enthaaren, wenn er könne.

Die Zumutung kam dem dänischen Gesandten äußerst sonderbar vor und machte ihn fast verdrießlich. Er besann sich einen Augenblick, was zu tun sei, und nahm eine Prise. Mit Erstaunen beobachtete der Hofstaat, wie das Ding aus dem Salzwasser eine kleine Büchse öffnete, sehr pathetisch Staub daraus zwischen die Finger nahm und sich denselben in die Nasenlöcher stopfte. Der ganze Hof erhob ein unmäßiges Gelächter; besonders die hübschen Negerinnen konnten gar nicht aufhören zu lachen. Sie fanden das ungemein possierlich an dem langgeschwänzten Affen, und hätten viel darum gegeben, wenn er das noch einmal gemacht hätte.

Der Herr Buchhalter, dem es gar nicht in Sinn kam, daß diese Naturkinder über einen Akt seiner europäischen Kultur lachen möchten, hatte inzwischen überlegt und gefunden, daß sich zuweilen Gesandte an fremden Höfen viele Schurigeleien gefallen lassen müßten, um die Absichten der hohen Kommittenten zu erreichen. Er verstand sich demnach zu dem Punkt, welchen man in Betreff der Perücke von ihm verlangt hatte.

Wie er mit dem Daumen und Zeigefinger nun die gepuderte Haarwulst von oben ergriff und lüftete, entstand Todesstille im ganzen Saal. Alle standen mit weit aufgerissenen Augen erwartungsvoll da, und sahen das Unmöglich-Geschienene. Das Haar ließ vom Haupt und der lange Schwanz vom Nacken. Durch den Saal scholl ein »Ah!« der höchsten Verwunderung.

Wie aber der Buchhalter nun mit der einen Hälfte zwischen den Schultern sich rings umsah, und folglich bewies, daß er noch lebendig sei, erscholl abermals ein Gelächter, ein so heftiges, anhaltendes, gellendes, dergleichen wohl in Afrika noch niemals erhört war.

Der König, welchen dies Schauspiel sehr belustigte, ließ das wunderbare Ungetüm aus dem Salzwasser inständig bitten, sich auch noch die andere Hälfte des Kopfes, auch Arme und Beine abzunehmen. Denn Frempung hielt nun Alles für möglich. Der ehrsame Buchhalter geriet bei diesem Ansinnen in große Verlegenheit, besonders als er bemerkte, man halte ihn wirklich für kein vernünftiges Geschöpf Gottes, sondern für eine höchst merkwürdige Tierart. Bei so bewandten Umständen durfte er gar nicht einmal hoffen, einen Handelstraktat negoziieren zu können.

Er gab sich demnach alle Mühe, darzutun, daß er allerdings ein Mitglied des menschlichen Geschlechts sei; daß er, mit Ausnahme der Farbe und der Haare, vollkommen gestaltet sei, wie ein Neger; daß er wohl Kleider, mit denen sein Körper bedeckt wäre, aber nicht seine köstlichen, vom Schöpfer empfangenen Gliedmaßen ablegen könne.

Frempung schien noch zu zweifeln. Er verlangte, Herr Kamp solle, den Beweis vollständig zu leisten, die Kleider ablegen und in menschlicher Gestalt erscheinen. Kamp schickte sich in die Zeit, schlug es aber rund ab, sich in Gegenwart von mehr denn hundert hübschen Frauenzimmern auszukleiden; das sei ein Verstoß gegen alle gute Lebensart. Die Negerinnen konnten das nicht begreifen, und waren recht böse, daß er sie nicht zu Zeugen des Kunststücks machen wollte, sich, wie eine alte Schlange, die Haut vom Leibe zu streifen. Wenn er ein wahrhafter Mensch wäre, meinten sie, sollte er nicht scheu sein. Es wäre vielmehr höchst lächerlich, daß er kein Bedenken trüge, sich ihnen zu zeigen, wie er gar nicht beschaffen sei; hingegen von guter Lebensart rede, und Einwendungen mache, sich zu zeigen, wie er in der Tat gestaltet sei, da er denn doch schwerlich anders sein würde, als sie und die andern Personen im Saal.

Herr Kamp aber, der darin viel zu viel Zartgefühl und feinen Ton hatte, lehnte die Zumutungen der unschuldigen und treuherzigen schwarzen Schönen in den verbindlichsten Ausdrücken beharrlich ab. – Frempung also entschied. Ein Wink, und die Frauenzimmer entfernten sich.

Der Herr Buchhalter hielt nun Wort, und zog sich aus. Der König betrachtete die Operation mit wachsendem Erstaunen. Zuletzt sah er statt des Ungeheuers einen weißen Menschen vor sich stehen. Mit Furcht und Grausen betastete er eins um das andere von dessen Gliedern: sah immer mit einer Art Ekel oder Widerwillen dessen Hautfarbe an, und brach zuletzt in die Worte aus: »Es ist wahr, ein Mensch bist du. Aber du bist weiß, wie der Teufel.«