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Das Gesicht

Von solchen hochmütigen Abenteuern kehrte Wendel verwirrt und ein wenig hitzig in die Welt zurück; die Arbeit, die fremden Menschen und der grünliche Himmel verursachten ihm süße Gefühle, vermischt mit Ängsten, flüchtigem wilden Heimweh. Aber die wonnigen Verschiebungen, welche die neue Umgebung in ihm hervorrief, glichen sich alsbald aus, und was blieb, das war eine müde Not, nach Verzückungen zu suchen, die nicht kamen; er litt an seiner Fronarbeit, die Gerüche der Frühe umwarben ihn balsamisch, voller Wälder und Meere. Nun wo er keine Möglichkeit absah, sie zu bergen, verströmte er schimmernde Träume.

»Ich habe mich so wahnsinnig gefreut,« sagte er zu Elisabeth, bei der er dann saß; »ich rutschte auf Knien vor Gott herum aus Entzücken darüber, wieder in Majas Nähe zu kommen; aber was habe ich jetzt davon, vor den Toren dieser angebeteten, vergötterten, unvergleichlichen Stadt leben zu dürfen, wenn mein ganzes Gefühl davon die Verzweiflung darüber ist, es eben nicht zu empfinden? Da hinter den Bäumen geht Maja herum; wenn eine Glocke läutet, dann vernimmt sie auch Maja; die aufquellenden Abende, die Frühlingslüfte, die klingenden Winde der Nacht erlebe ich wieder gemeinsam mit Maja; aber was ist das nun anderes? Es überwältigt mich ja nicht, es bleibt alles vor und außer dem Herzen, das Märchen bricht nicht durch, und das Leben, das eigentliche, mir allein gültige Leben, das spielt sich noch immer irgendwo außerhalb ab, wenn überhaupt es sich abspielt. Ich fühle mich nur beleidigt; das bessere Wissen in mir verschließt sich gegen diese Wirklichkeit, diese Scheinwirklichkeit, zudringlich und metzenhaft. Was habe ich zu schaffen mit einer Gegenwart, die vor dem Herzen versagt? Ich wollte wieder in meine Bauernverbannung zurück, in jenen Feldern lebt die Königin noch unverblaßt. Hier weilen zu dürfen erschien mir als eine fast nicht zu ertragende Seligkeit; nun bringe ich meine Tage damit hin, diese Wolken gewöhnlich, den Sonnenschein ein wenig spießerlich und mich selbst mit einer gewissen ermüdenden schauderbaren Unbedeutung behaftet zu finden. Es klingt hier irgendwo ein Amboß mit so entsetzlicher Unverdrossenheit, daß einem vor Melancholie die Sinne vergehen. Hat auch die Königin keine Macht über die Bestien des Alltags, ja wie soll das dann kommen? Ich fürchte, ich fürchte mich. Mir ist zumute wie den Hebräern, als die Stadt Babylon in der Ferne aufging. Ich wollte, ich hätte nie damit angefangen, an das Überschwengliche zu glauben; in meiner Erinnerung ist soviel Nelkengeruch des Märchenhaften; aber es reut mich alles, die Königin dauert mich; ich wollte das Tal aus meiner Vergangenheit ausmerzen können.«

Wenn er einhielt, blickte Elisabeth vor sich nieder, ohne ihm Belehrung zu wissen.

Gelegentliches Aufwachen der Empfindungen nährte nur den Kummer, in welchem er dahinlebte. Angesichts des Berges kamen ihm manchmal Tränen, aus Erbitterung über die Stumpfheit, in der er dabei verharrte. Des Nachts versuchte er in mühsamer Andacht, mit dem Wunderbaren Verbindung zu finden, das ihn doch umgab und das er tagtäglich verscherzte. Er versteifte sich maßleidig auf sein Wissen von einem edleren Ablauf der Dinge. Inmitte der freundlichen, scheinbar reibungslosen, aber nichtssagenden Welt argwöhnte er Betrug und Unterschlagung. Er gab sich damit nicht zufrieden, den ersten besten Ersatz für das Dasein zu nehmen, gewissermaßen ein Stockwerk tiefer in den nämlichen, aber lichtlosen Räumen zu wohnen. Da sich anderseits keine Wege zeigten, die aus diesem Tal der Täuschungen hinausführten, litt er Stunde um Stunde ein zermürbendes Herzeleid, wie er es mühseliger nie ertragen hatte. Zuweilen fuhr er erstickend auf.

Er war wieder auf Lydia, seine Afrikanerin, gestoßen, an ihrer Hand wie vordem als Knäblein durch fremde Gassen gegangen, hatte sich irgendwo in einer Dachstube hegen und verpflegen lassen und erfreute sich somit nun zweier Horte, die ihm offen standen, ohne freilich vor seinem üblen Mute viel zu vermögen. Lydia erzählte von Kamerun oder von den englischen Herrschaftshäusern, je nach dem Wink seiner Laune und machte nicht Anspruch darauf, von ihm selbst und den Hintergründen seiner Melancholie zu erfahren, sehr im Gegensatz zu Elisabeth, die ihn nachgerade mit ihrer teilnehmenden Hartnäckigkeit aus der Fassung brachte.

»Gottes Gerechtigkeit!« rief er lümmelhaft, »könnt ihr mich nicht vor eurer Treue und Fürsorge verschonen –« »Auf Wunsch läßt sich das machen,« unterließ sie natürlich nicht, ihm eilig zu erwidern.

»Ich habe dir allzuoft Anlaß gegeben, mich wichtig zu nehmen; verzeih es mir –« »Ist gerne verziehen.« »Man sollte denken, welche Bedeutung meinen allerwertesten Schmerzen zukäme! Verziere ich mich denn damit, hausiere ich sie in den Landen herum? Elisabeth, ich schwöre: Dafür schmecken sie allzu bitter!«

Sie überlegte bevor sie es sagte und stolperte dann erst noch ein wenig: »Zu dem Zwecke nimmt man sich Freunde, seinen Nöten eine Zuflucht zu haben. Ihr Lyriker im besondern lebt von der Zwiesprache, allem setzt ihr gleich die Pistole auf die Brust, ihr fordert alles zum Duell heraus, euch selber täglich und stündlich, und jemand muß es ja wohl tun in dieser Welt der Trägheit, jemand Hitzköpfiger, Ausschließlicher, Unversöhnlicher und Leidender muß da sein wie ein Gewissen.«

Nach einem kleinen Schweigen erhob sie den Blick zu ihm. »Deine Wachheit, Brüderlein, und dein empfindsames Wesen sind es doch gerade, die dich mir von andern unterscheiden. Traust du mir nicht so viel Urteil zu, die Verzweiflung der Intelligenz von der Wehleidigkeit zu kennen? Dein ceterum censeo ist der Ruf nach Heiligung, Steigerung, Verinnerlichung und Erlösung des Lebens, du bist ein Nimmersatt der Seele; aber gerade so wie du dies nicht aus Brünstigkeit bist, sondern aus Gotteshunger, aus deiner Ahnung glühenderen Daseins, geradeso leidest du nicht für dich selber, und deine Person ist nur deshalb dein Mittelpunkt, weil sie naturgemäß auch dein bestes Objekt der Beobachtung ist.«

»Du siehst mich so, wie einen der allerbeste Freund wohl sieht: ausgestattet mit den Schätzen deines eigenen Herzens. Sie geben mir das Aussehen eines Boten Gottes, was ich nun wirklich und leider nicht bin. Ich denke nicht, daß Gott mich benötigte, daß ich irgendeinem höheren Reiche oder der Menschheit zu Hilfe kommen müßte; es handelt sich schlecht und recht um mich selbst, um meines Verlangens Befriedigung, und wenn sie mich kaum je zu stillen vermag, so liegt das nicht an den Dingen, es liegt ausschließlich an mir, ich beschwöre dich, mir zu glauben; schon allein dem grob Sinnlichen sehe ich mich ganz einfach nicht gewachsen. Da ist irgendeine Vorsicht von Fühlern in mir, eine gewisse aristokratische, hochmütige Sprödigkeit dem Zugriff des Stofflichen gegenüber. Es mag die tiefste Ursache sein, weshalb ich mich in Maja rettete; besser konnte ich mir das Leben und mit ihm seine Verantwortlichkeiten und Verwundungen nicht in Distanz setzen. Ich unternahm das in der Täuschung über meine seelische Leistungsfähigkeit, des Glaubens, weiß der Himmel welche Herzensmächte zu regieren. Auch damit ist es nicht sehr weit her: Mit unser aller Gaben ist es nicht sehr weit her; aus Ansätzen und Rudimenten bestehen wir ganz und gar, wir sind um und um Ikarus, Halbheit, Ohnmacht, Stückwerk und Trümmer.«

Er lächelte, indem er das klagte, lächelte das bedeutsame Lächeln, das langjährig Leidende in ihrer Schwermut haben.

Aus allem Zusammenhang hinaus begehrte er hierauf zu wissen, ob sie auf Lydia eifersüchtig sei.

»Auf Lydia? Was gehen mich denn deine Freundschaften an, Hanswurst. Läufst du vor meiner Seele nicht frei wie ein Fohlen herum, in der ganzen Bläue meines Glaubens an dich? Bin ich deine Gouvernante und säuerliche Tante? Du bildest dir wahrlich viel ein.«

Das Zimmer musternd, äußerte er sein Erstaunen über die Ansammlung ihm unbekannter Möbel und Töpfe, die er darin vorfand. Auf einmal erschrak er innerlich, die Ursache ahnend, die hinter dem fieberigen Gebaren Elisabeths stand. Er blickte sie an und sie lachte: »Ja, sie haben mir die Elternschaft gekündigt.« Die Tränen sprangen ihr heraus.

Er ging zu ihr hin, seine Arme um sie zu legen; er empörte sich, schwieg aber schonungsvoll und erschüttert.

»Dem armen Herrn ging es durch und durch; ich dachte, der Schlag würde ihn treffen.«

»Als er dein Pagenhaupt sah?«

»Als er mein Dirnenhaupt sah,« erwiderte sie, abgründig nickend. »Er ergriff seine Zeitung und nahm in der Folge überhaupt keine Notiz mehr von mir. Mutter ratschlagte nur immer, wie der Fehltritt auf schnellste Weise wieder gutzumachen wäre. Gezwungen, ihr meine unerschütterliche Treue zu dem einmal erwählten Männerkopf« – sie zog eine Grimasse –»zu bekennen, verursachte ich ihr einen richtigen Todesschreck. Sie hatte mich für so unfolgsam nicht eingeschätzt. O Brüderlein, was ich dann, von inneren Tränen klar, im Lauf einiger Stunden erkannte, das löste mich, so spät, gleich natürlich und gleich unwiderruflich von meinen Erzeugern, wie im gewöhnlichen Falle die Vermählung eine Tochter von den Eltern trennt. Es schien mir eigentlich, ganz objektiv bemerkt, daß Vater und Mutter, eine Einheit für sich, glücklich für sich und auch in ihren Anschauungen und Behaglichkeiten einträchtig, mich gar nicht so sehr benötigten, wie wir uns wechselseitig wohl einbildeten. Natürlich heulte ich in der Nacht, die Sentimentalität hat uns ja alle. Das Ende war eine wundervolle Klarheit, ein frohlockender Frieden, plus abermals eine Prise Duselei meinetwegen. Es regnete vor den Fenstern, ich dachte an dein Tal, sogar an die Königin, hundert Kirschbaumgärten fielen mir ein, ich dachte an England zurück – kurz, ein Gefühlsüberschwang wälzte mich auf mein Lager hin. Etwas später flennte ich wieder ausgiebig.«

»Kam es zu keiner Aussprache?«

»Es kam überhaupt niemand. Früher hätte ich es mir wohl einfallen lassen sollen, bis in den Vormittag hinein zu faulenzen; jetzt ließ man mich liegen, als ob ich krank wäre und ein Recht dazu besäße. Mir war unerlaubt wohl, indem ich beständig mit den Tränen focht. Mir war ganz einfach so wohl wie einer Braut, die ihres Liebsten sicher ist. Ich spielte Braut und Bräutigam. Der Bräutigam war mein Bubenkopf. Ich nickte ihm zu im Spiegel.«

Es währte nicht lange, so ging sie wieder über von dem, was sie erfüllte. »Endlich besann ich mich denn doch darauf, daß ich meine selbstherrlichen Pläne vorderhand in einem fremden Bett schmiedete. Ich erhob mich ziemlich kleinlaut; mein Vater, wie der Mann überhaupt, fing an, mir als eine gar nicht zu umgehende, nicht ernsthaft genug zu nehmende Machtsperson zu erscheinen; ich, wie die Frau überhaupt, schrumpfte in mir zusammen. Ich glaube, wenn ich den Hausherrn anders als mit einem betrübten Ausdruck am Fenster stehen gefunden hätte, ich wäre zu seinen Füßen gefallen, um seine Strenge und seine Oberhoheit bittend. Allein ich sah, daß es mit seiner Autorität nicht zum besten stand; er ließ sich unterkriegen von seinem Kummer um mich, einem wahrhaft weiblichen Kummer, über den ich mich erhaben fühlte. Gott sei Dank überwand ich mich, ihm die Hand zu geben und einen nur zu ernstgemeinten Vorschlag auf gütlichen Vergleich zu machen –«

»Gott sei Dank.«

»Mehr konnte ich nicht wohl tun. Oder?« lächelte sie, »oder hätte ich meine nicht mehr vorhandenen Haare auf den Altar kindlicher Liebe legen und meinen Willen beugen sollen? Sähe ich nur ein, was ihnen das nützen könnte? Denn die erwähnte öffentliche Meinung – er setzte sie tatsächlich über diejenige seiner Tochter – nun, wenn er das tut, ich kann nichts dafür, dann nehme ich alle seine Befürchtungen nicht weiter ernst, und auch die Ehre des Hauses... Es tut mir leid, das Ganze ist doch voll unerhörter Beleidigungen für mich, auch wenn ich sie nicht anerkenne und den lieben beiden Menschen verarge.«

»Es gibt einen Punkt, wo das brüderliche Einvernehmen aufhört,« entgegnete Wendelin. »Auf Erden kann wohl Versöhnlichkeit, aber nicht Frieden herrschen. Dürften wir Ruhe haben, so wären wir nicht hier; wir sind hier, um zu wachsen. Dabei muß man den Mut gewinnen, auch einmal unrecht zu haben.«

»Gelt, so ist das wohl.«

»Wie ging es denn weiter? Kam es sogleich zum Bruch?«

»Es kam nicht zum Bruch, aber man schien es in der Ordnung zu finden, daß ich mich empfahl. So fing ich denn an, meine Habseligkeiten hier zusammenzuziehen, und der Vater zeigte sich mir dabei behilflich.« Sie nickte.

Auf einmal fing er an, mit einem fröhlichen Gesichte die Möbel herumzuschieben.

»Ja, bring doch bitte eine Art Weltordnung in diese Verlegenheit hier!« rief sie. »Es scheint eben doch, daß dazu der Mann vonnöten ist. Sieh zu, wie du damit fertig wirst, ich drücke mich derweil zum kulinarischen Tempeldienst.«

Im Küchenstaat, mit einer Kelle in der Hand, lief sie unvermutet herein, um den rumorenden Zeus zu umarmen: »Gott sei Dank bist du noch da!« sagte sie und verschwand, kaum daß er Zeit fand, sich zu besinnen.

Er ging daher hinaus in ihr Reich.

»Was willst du hier?« empfing sie ihn. »Es ist noch gar nichts fertig, es gibt nichts, geh du hinüber in deine Butik, ich, Hera, gebiete es dir!«

»Und ich, Zeus der Wolkenerschütterer –« »Lanzenerschütterer –« »Blitzerschütterer –« »Bumbum!« »– Donnergewaltige befehle dir, Hera, wieder deine Haare wachsen zu lassen.« »Bitte schön: Im Zeitalter –« »Zeitalter hin, Zeitalter her: Die Untertanen drohen mir mit Absetzung, wenn meine Alte, wie sie sagen, weiterhin den Pudelhund spielt.« »Lieber Gott ... Aber sie müssen doch einsehen –« »Nichts sehen sie ein, ihre Haare wollen sie haben, basta; so lerne denn Weisheit, die da ist, das Fähnlein nach dem Winde zu hängen –« »Und draußen schwemmt mir das olympische Sauwetter inzwischen meine Wäsche zu Boden ...! Hurtig den Tragkorb, Zeuschen, Mäuschen, Läuschen! Hurtig, hurtig den Korb!« »Hoffentlich sieht mich dabei kein Bauer.«

Elisabeth steckte ihm beiläufig Mandelkerne in den Mund.

»Es gibt in der Stadt schon wieder Weintrauben,« berichtete er.

»Ja, bald kommt der Herbst, eines Tages ist es September und Marienfäden schweben herum. Das Leben ist doch lieb, findest du nicht? Im Frühling freut man sich auf die Kirschen, im Juli entzückt uns der Winter. Und somit, wenn du einverstanden bist, schlage ich etwas vor, Wendelin?«

»Was hätte ich denn zu verbieten!«

»Wir brennen heute drei Kerzen; eine für die Königin, eine für meine Eltern.«

»Und die dritte im Bunde?«

»Eine dritte könnte ganz allgemein und aufs Geratewohl unserm guten Gefühl von der Welt brennen. Der wahre Gott ist doch immer der unbekannte Gott. Da, trag diese Platten hinein, aber Sorgfalt!«

 

Eines Tages brachte er den Maler Alder und mit diesem ein zierliches Fräulein, das kein Deutsch, nur Englisch und ein wenig Französisch verstand. Wendel saß in verträumter Spannung. Der föhnhelle Tag hatte die fernsten blauen Gefühle in seiner Seele entblößt, soeben noch war er voller Heimweh nach Maja, voll königlicher Erinnerung durch das Land gestreift; nun erlag er zu seinem Verdruß dem ersten besten Arom, das Meere und Schlösser in diese Wände hereintrug. Die kleine Britin verwirrte ihn. Er empfand ihren Reiz als eine wonnige Verzauberung, die ihn betrübte, indem er sich doch einen Beruf daraus gemacht hatte, Maja die Treue zu halten. Wenn er auch keineswegs vermutete, hiermit eine tragische Sache angetreten zu haben, erfahrungsreich wie er war, so lähmte ihn doch der Gedanke an kommende Möglichkeiten, die eines Tages sein Reich verwüsten und ihn dem Unglück preisgeben würden. Er ging in die Küche hinaus, wo er sich an ein Fenster lehnte. »Viel zuviel Schönheit!« seufzte er, fand aber wirklich Beruhigung, eine Art verzichtender Überlegenheit, so daß es ihm nunmehr gegeben war, mit einem unverfänglichen Gleichmut der Unterhaltung zu folgen. Er nahm sich zusammen, nicht allzu spöttisch von der Fremden zu denken; Maja war in seinem Hintergrunde wie ein Feuer wieder aufgegangen, darüber wurde er so fröhlich, daß es Aufsehen erregte; sein übermütiges Geheimnis vexierte die beiden Gäste, Miß Barrow wendete ihm eine forschende Aufmerksamkeit zu.

Mittlerweile war es mehr durch Geschick des Zufalls denn planmäßig bekannt geworden, daß Guido die Kunst an den Nagel gehängt und sich entschlossen hatte, Lilian Barrows Erbe, ein Transitgeschäft in Cornwallis zu übernehmen; aber ebenso beiläufig hatte sich die Gewißheit besonderer Vorfälle gebildet, über denen Guido sowohl als sein Bräutchen mit ihrer Erzählung kreisten. Auf einmal lachten sie herzlich; der junge Mann spannte seine Finger um Lilians Hand, die Rede für sich vorwegzunehmen, und alsobald schoß er los, diesmal deutsch, so daß sich das Mädchen wieder, immerhin lächelnd, in sich zurückzog.

»Romane kommen nämlich noch vor!« frohlockte Alder. »Man muß nur grämlich gar nicht an sie glauben, so passiert es einem, daß das Leben mit einem Beweis seiner Romantik aufspielt.«

Der Blonde sah ihn an und sagte: »Weiter, Kaufmann.«

»Ich bitte, mich wenigstens als einen erweiterten Handelsmann, sozusagen als ein in den Künsten verfärbtes Subjekt anzusprechen.«

»Ich löffle mich,« murrte Wendel.

»Dies zur Klärung der Verhältnisse. Soviel ist sicher, ich genieße in meiner Resignation den Trost einer Reinlichkeit, die ich um kein noch so illustres Zigeunertum hergäbe. Ich bin einmal kein Schweinehund. Ein Schweinehund wird jeder, der sich außerhalb seiner Umgrenzungen begibt. Sieh mich nur an, Herr Poeta; der etwas spröde, aber stahlreine Geruch meiner Windsorkravatte tröstet mir meine Nase lieblicher als Mohnöl und Leinwand. Den Rock aus kariertem Blech, der mich kuranzt, trage ich zärtlich wie eine feudale Rüstung. Heute bade ich zweimal des Tages –« »Alle Wetter!« »– und schabe meinen Bart nach den Regeln der Bartschaberkunst, für deren Adel mir die Augen aufgetan wurden.«

»Und wenn du Gemälde siehst?«

»Ziehe ich den Hut vor ihnen. Bei mir ist das eine andere Sache als beispielsweise bei dir –«

»Och!«

»Ich bin nur heimgegangen. Diese kleine Dame mußte kommen, um mir zu sagen, wo ich hingehöre –«

»In den Salon.«

»Sagen wir in den Profanbau.« Elisabeth war nach Eßbarem hinausgeeilt. »Wenn ich Gemälde sehe, spaziert mir aus dem Herzen hervor ein zierliches liebliches Weh, geben wir es zu; aber es kommt doch auch etwas wie eine biedere Rührung über mich, dafür, daß ich so artig entsagte. Mit deiner Erlaubnis werde ich mich jetzt auf einen Augenblick der Liebkosung meiner Braut übergeben, denn ich pflege eine so ausgedehnte Entbehrung nicht zu ertragen.« Auffahrend nahm Lilian sein Haupt in Empfang, das er dunkel errötend an ihre Brust schob.

Der Blonde wußte die Vertraulichkeit zu schätzen. Fräulein Barrow, aus den Zärtlichkeiten ihres Verlobten wieder freigeworden, legte Bach ihre Hand auf den Arm, und indem sie treuherzig und inständig mit ihrer fremden Sprache versuchte, sich einen Zugang zu ihm zu schaffen, fiel ihm die alte Zeit wieder ein; seine Freundschaft mit Guido – von der sie wohl eben redete – fand nun erst in Wahrheit ihr Ende, eine Liquidation im Frieden zugunsten der kleinen Dame; aber in beider Herzen, Wendels sowohl als Guidos, vollzog sich einen Augenblick ein heftiger, weher Zerfall, über welchem sie sich gegenseitig mit einem schamhaft lauernden Blick ansahen. Guido setzte seine Pfeife in Brand. »Sind neue Bücher von dir erschienen, oder ist was im Anzug?« fragte er, worauf Bach den Kopf schüttelte: »Nichts.«

Es war Tee aufmarschiert, ein fröhlicher Nebel dampfte, die Freudigkeit der Hauswirtin verwandelte die Stimmung im Zimmer.

Fräulein Fahm und ihr Porzellan rückten in die Mitte der Verhandlung, die mit den Manieren des Windes ging, bald wirbelnd und hochan, dann wieder träumerisch und schlendernd.

Dabei hatte man sich abermals von der Frage verlaufen, die Bach und seiner Freundin als eine Neugier, den Liebenden als lichtes Geheimnis in den Mienen stand; sie fiel allen zugleich ein, aber noch einmal gab es Aufenthalt.

Nämlich das putzige Kauderwelsch von drei Sprachen, in welchem man sich unterhielt, versammelte sich unverhofft um den Punkt der Ernährung, und es zeigte sich, daß sogar Wendel heimlicherweise begonnen hatte, in Vegetarismus zu machen. Beide standen sie somit in der ganz unbegreiflichen Eigenschaft von Sektierern da, vor einem Hintergrund dunkler Gebote, welchen sie pflichtig sein mochten. Guido saß etwas verschnupft; Elisabeth, die einen Triumph nur schlecht in sich verbarg, erledigte die Angelegenheit mit ein paar freundlichen Worten, in der Weise, daß immerhin mehrere Posten genommen, aber auch die Verstimmung behoben und sogar etwelche Schelmereien auf die Beine geschickt waren, worauf es nicht lange mehr anstand, daß denn der Gast sein Glas von sich schob, um seinen Bericht von Stapel zu lassen.

Lilian merkte, worum es ging, sie beschied sich lieblich, voll eines vorläufig noch unbesehenen Stolzes auf ihren Bräutigam. Dieser leitete damit ein, daß er sich auf die Anwesenheit eines Poeten berief, welche Voraussetzung dazu berechtige, eine so lehrreiche und amüsante Liebesgeschichte zum besten zu geben; gleichzeitig verkündete er es als seine Ehrenpflicht, den vormals gepredigten Griesgram zurückzunehmen und eine bessere Art von Einfluß auf den Jugendfreund auszuüben, in der Hoffnung, einen gelehrigen und nachfolgsamen Jünger in ihm zu finden.

»Nachdem ich also,« erzählte Guido, »schlüssig geworden war, meine kontemplative, schmerzlich wohlige Tätigkeit in Paris abzubrechen und mich zu verändern, fuhr ich im Nachtzug die Provence hinunter, langsam, als ob der Mistral sich der Fahrt entgegenstopfte. Das schwarze Ligurermeer empfing mich in großer Bewegung, es war mir nicht anders, die Apfelsinenbüsche der Balearen dufteten dahinter hervor. »Ja, du gutes Geschöpf,« besänftigte ich das Mittelmeer, – es wird sich darum handeln, durch deine läppische Aufregung hindurchzugelangen; denn es zog mich nach Tunis, nach Australien, nach Gott weiß wohin. Für einmal tauchte ich meine Hand in die Salzflut, empfand mit Schauern ihre Tiefe, die aus dieser beruhigten Bucht hinaus und hinablief auf versunkene Gebirge. So mit dem zottigen Ozean an der Leine erhob ich meinen Blick zu dem Nachtgewölk, und nun kam es, das Heimweh nach der Hauptstadt, von der es mir schien, daß ich sie treulos verlassen hatte. Künstler, Kutscher, Gassenjungen und Dirnen sah ich einträchtig darin wie in einem Riesenbette schlafen. Die Wälder von Versailles säuselten herüber, die Matronen schnarchten so lieblich, und ich, ich glaubte mich hinausgeschmissen aus einer Daseinsgemeinschaft, wie sie freundnachbarlicher in dieser Welt nicht wieder vorkam. Außerdem strich nun eine Luft von Steppengras aus der Camargue herüber; was ich in meiner Verfassung anfangen konnte, das war, ins Hotel und zu Bett zu kriechen, das Kissen in meinen Mund zu stopfen. In dieser Lage überfiel mich unverweilt die hier ansässige Käferwelt, gegen die ich mit guter Berechtigung meine Privilegien geltend machte, ohne indes einer nennenswerten Einsicht zu begegnen. Als daher kurz nach Mitternacht der Sturm beinah plötzlich einhielt und über eine Weile der Mond hervorschwamm, berechnete ich die Aussichten, die ich hatte, meiner Mördergrube durch Flucht aus dem Fenster zu entkommen. Die Natur begann freundlich, wie ein Säugling im Schlaf, zu trällern, süßeste Lüfte kamen auf meine Decke gestiegen, als verwunderten sie sich darüber, wie hier ein Mensch vor Groll auf das Kleingetier der bittersten Schwermut erlag. Ich steckte mein Haupt ins Freie; es roch nach Wasser und Nacht, die Tränen fielen mir in die Wimpern, ich stülpte mir schleunigst meine Kleider über, hinterließ im ungetrübten Wasser der Karaffe einen Silbertaler und schwang mich recht frohen Sinnes hinaus.

Hinter den Felsen hervor kam nichts als Dunkel gestiegen, als ein warmer Rauch, gegen welchen ich meine Arme ausbreitete. Der Mond hatte sich wieder zurückgezogen, ein Geruch in der Luft schien mir dafür zu sprechen, daß irgendwo Regen ins Meer fiel. Ich war also fest entschlossen, sobald nur der günstige Abgrund sich auftat, mich hineinzuwerfen; ich befand mich auf dem Höhepunkt einer elysischen Verzückung, mir ging es allüberall geradewegs hinüber in Himmelstore und Gärten.

Himmelstore und Gärten mochten mich freilich umgeben, es gab aber auch noch anderes, nämlich Spitzbuben, welche den flatternden Nachtvogel bemerkt hatten und eilten, ihm auf seine Beine zu verhelfen.«

Elisabeth drehte den Kopf zu der Braut hinüber in einer belustigten Gebärde des Schrecks; die Miß erriet und nickte voll Eifer, indem sie dem Jüngling weiterzufahren bedeutete.

»In meinem Leben, vor dessen Abschluß ich stand, hätten mich die Schelme nicht günstiger, beziehungsweise ungünstiger erwischen können als eben nun, wo ich die Hälfte meiner Habe flüssig und in Papieren auf mir trug. Nun, es war gerade kein Großbesitz, mir aber dennoch zu schade für ausgerechnet diese Schlaumeier, denen ich zutraute, daß sie Raffael um ein Halfterband gaben –«

»Wo hielten sie sich denn?«

»Schon demnächst auf meinen Fersen.«

»Eilen Sie, eilen Sie!«

»Daran ließ ich es nicht fehlen. Die Hände auf meinen Taschen, hüpfte ich wie Pentheus. Je mehr ich rannte, desto freudiger schwoll die Hoffnung der Banditen. Es ist etwas Sonderbares um den Unterschied zwischen dem heroischen selbstgewollten Tod und dem Fallen durch Mörderhand; all mein Entzücken für die große Veränderung war verflogen, ich flüchtete mein Stümpfchen Leben, meinen Urbesitz, aus dem Instinkt jedes Hasen, beleidigt darüber, daß jemand mir darnach trachtete.«

»Wollte man Sie denn töten?«

»Ich setzte voraus, wenn es nötig wurde, ersparten sie mir diese Unartigkeit nicht.«

»So machen Sie doch aber endlich Schluß, Herr Alder! Sie scheinen es ja darauf abgesehen zu haben, Ihre Novelle nach den Regeln der Kunst auf die Pointe hin auszuarbeiten –«

»Er war schon immer ein Dichter!« rief Wendelin.

»Dein Kompliment nehme ich in dem Sinne entgegen, daß ich hoffe, guten Gebrauch von meiner Sprachfertigkeit zu machen, vorausgesetzt, daß sie sich auch im Englischen bewähren wird, – ausgerechnet im Englischen, das ich meiner Tage nicht ausstehen konnte! – so gedenke ich revolutionierend auf den Geschäftsstil einzuwirken und es günstigenfalls zu erleben, daß meine Fakturen, Memoranden und Annoncen als Oeuvre gesammelt erscheinen.«

Er streichelte zu diesen Worten das Händchen seiner Braut.

»Inzwischen mag unser Flüchtling ausreichend geeilt sein, daß wir uns seiner wieder annehmen und ihn nunmehr die Zuflucht erreichen lassen, die er, schnaufend und dampfend, wahrlich verdiente. Sein Lauf hatte ihn in die Wirrnis eines Dornenfeldes geführt; er schlug sich durch dieses wie durch ein Wasser, halb fallend, halb schwimmend, aber beträchtlich flink, so daß er alsobald auf den sanftesten Grasgrund segelte, der ihn beinah ermunterte, Purzelbäume und Triller zu schlagen, so lind und kühl war er empfangen. Hingegen nahm es ein Gesicht an, als endigten hier die Wege; zur rechten Hand rauschte Wasser und vorn stieg ein Felsberg an. Die Strolche stapften im Buschwerk und unterhielten sich, meiner gewiß, mit fröhlichen Stimmen, die auch mir eine fühlbare Zuversicht gaben, trotzdem es sich richtig zeigte, daß ich gefangen saß. Noch einmal nahm ich Gelegenheit, mit der herzlichsten Inbrunst an Paris zu denken, meine Torheit verfluchend; dann waren meine Beine schon mit mir ausgerissen, es gab sich von selber, daß ich, während sie mit mir kletterten, mein Möglichstes tat, den Erfolg ihrer Arbeit zu sichern. Das Dunkel hatte sich verdichtet, ein salziger Nebel strich durch mein Haar hinauf, ich hatte eine deutliche Ahnung davon, daß, was mir flaumig zu Füßen gähnte, nichts anderes als die Meerflut war, und dieser in ihre Schlünde zu sinken, erschien mir jetzt als ein Höllenschreck. Der Gedanke daran lähmte mich plötzlich; im Herzen getroffen, schmiegte ich mich auf die Steinwand, meine schlotternden Glieder schmerzten; empfindsam, kindlich, überschwenglich bereit, mich zu ergeben, brach ich in Tränen aus. In leidlich bequemer Lage verbrachte ich den Rest der Nacht, alsbald frohlockend, wonniger Gefühle teilhaftig, indem der Wind, mit Geruch von Tang, von Nelken, von Muscheln und endlich von Morgen, mich wundersam unterhielt. Freilich saß ich hier völlig verstiegen, ich vermochte nicht abzusehen, was mir aus allem erwachsen sollte. Ich übte mich in Erwägungen, wo heute die Mittagssonne mich finden möchte. Mein unverwüstlicher Vorwitz wiegte sich in Behagen, weil ihm doch jedenfalls Kurzweil – Untergang oder Rettung – bevorstand.

Behufs dieser Kurzweil ward vorerst das Tagesgestirn aufgeboten, welches mit Braus aus dem Meerwasser stieg. Sodann besuchten mich stattliche Vögel, sahen mich an im Vorüberfliegen und schienen meine Bitte zu bedenken, für mich Hilfe zu holen. Es bedeutete mir eine liebe Verheißung, daß die Luft sich von Rauchdünsten trübte. Ich durfte es mir erlaubenden Menschen ihr Frühstück zu gönnen, ehe ich damit anfing, vorerst nicht sonderlich gläubig, meine Stimme zu erheben; es erheiterte mich, zu sehen wie die Möven erschraken. Allein nun geschah etwas.«

»Fräulein Barrow kam.«

Das liebliche Ding war wieder Mittelpunkt der Begeisterung. Sie merkte, daß ihre Person auf den Plan gerückt war, und errötete; gleichsam als ob er nun ihre Begleitung und Zeugenschaft brauchte, hielt Guido sie an der Hand.

»Was hatte Lilian Barrow da unten zu suchen? Es war nötig gewesen, daß sie pünktlich auf den Tag zur Welt kam, zierlich gedieh, es war leider nötig, daß sie den greisen Vater verlor, denn was hätte sie sonst veranlaßt, einer krankhaft schweren Melancholie zu verfallen, die das Reisen notwendig machte? Pünktlich auf Tag und Stunde hielt sie sich bereit, mich jungen Menschen zu erretten, der ich ja ebensogut, wenn der Zufall regierte, auf dem Boulevard hätte verelenden können. »Wären Sie wohl so freundlich – ein Seil,« rief ich dem Elflein zu, das erschrocken zu mir herniedersah, und voll unverhoffter Verzückung fühlte ich mich dem kleinen Fremdling auf Leben und Tod verpflichtet.

Dieses Gefühl verließ mich nicht mehr, sondern nahm zu, und während ich in den fremden Wänden, inmitte eines lau fallenden Regens, so dalag, gingen mir die Augen über vor heißer Beseligung, Rührung, Verwunderung über die sonderbaren Verwandlungen meiner Umstände. Denn es regnete auf Dächer und Lauben, ich ahnte den Frohmut aller um mich in den Sälen versammelten Menschen, die sich die Zeit mit Spielen kurz machten. Nur Lilian kam ab und zu; ich stellte mich dann schlafend.«

Was sich für Bach aus alledem ergab, drängte ihn mählich wieder in dumpfe Verzweiflung hinein. Die Gespräche seiner Freunde entfernten sich ihm vom Ohre; er saß wie ein plötzlich Erkrankter, der sich sperrte, seine tödliche Übelkeit einzugestehen. Bevor er, gehorsam wie ein Knabe, die Gäste wieder fortbegleitete, ließ er es mit sich geschehen, daß Elisabeth ihm scherzhaft den Kopf zerbalgte, damit er aufwache und zur Welt zurückkehre.

Allein das Bewußtsein schweifte ihm irgendwo außerhalb in Nebeln herum; Guido kannte ihn so und entließ ihn, wenn auch rücksichtsvoll, mit einem schelmischen Lächeln, worauf er die Braut an den Arm nahm und davonging.

Es machte den Eindruck, daß überhaupt nur Liebespaare und fröhliche Gatten sich hier tummelten. Was den Blonden betraf, so war ihm scheußlich zumute. Die Luft schien Schnee zu enthalten, gerade wie der Abgrund seines Herzens, voller Stille, auf dem Punkt stand, die lichte Welt auszuschütten, die ihm die Wimpern erhellte. Wann brach er durch zu der Leichtigkeit des Empfindens? Ihm staute sich alles in der Brust; durch die Bäume eines Parkes gehend, schlug er diese Brust mit den Fäusten. Wie der Königssohn eines Vexierbildes narrte ihn seine Ahnung, die Nähe des Namenlosen, diese Erschütterung und Erfüllung, die wie ein Weib eines Tages sich einfinden würde, um allezeit gegenwärtig fortan zu bleiben. Ja denn mein Gott, er lebte, aber er lebte außerhalb der Beziehungen, die alle Dinge umfaßte; er fühlte sich herausgefallen, vereinzelt in seinem ganzen Wesen.

Warum hatte er alles mit Maja erlebt, die Täler und Wälder in sich aufgebaut, wenn es dazu bestimmt war, zu vergehen? Er sah ins Gewölk empor. Auf dem Grund einer verschatteten Tiefe saß er schaurig gefangen.

Es begann zu regnen.

Am See stand Monnier. Der Jüngling stellte sich in seinen Rücken, grüßte.

»Ohé!« rief der Greis und drehte den Ankömmling gegen das Wasser, auf das hinaus er mit seinem Stocke wies.

»Was geben Sie dem für eine Farbe, Herr Bach? Sammet, aber was für welchen; schwarz? Richtiger Azur, als ob es einen Mond enthielte! Laufen Sie auch so gern im Regen herum? Ich habe Sie lange nicht gesehen; wie geht es Ihnen? Ist es Ihnen zu spät zu einem Glase Wein?«

Merkend, daß Bach bedrückt war, schwieg er nach Möglichkeit, betrachtete manchmal seinen Stock und pfiff ein wenig.

Sie betraten eine alte Schenke. Deren Trinker verstummten auf eine Weile, als der Pater mit seinem Novizen erschien.

Im Verlauf der spärlichen Unterhaltung legte Monnier einmal ein Büchlein zu Wendels Glas. »Die Vignetten müssen Sie sich ansehen.«

Als der Wein ausging, bemerkte Bach, daß der Regen aufgehört habe. »Wollen wir gehen?« sagte der Gelehrte, und Wendel erhob sich.

Sie gingen durch Gassen und Höfe. Vor Monniers Wohnung blieben sie stehen; Bach bedankte sich.

»Ich bin es, der zu danken hat,« erwiderte der alte Herr, »für die Begleitung, für Ihre Gesellschaft. Sehen Sie da hinüber, wo das grünliche Licht brennt, da beschäftigt sich einer damit, zu sterben.«

Der Jüngling warf einen Blick des Verlangens hinüber.

 

In den Ferien reiste Guido noch einmal zu seinem Dichter hinaus, auf die Gefahr hin, zu stören.

Wendel saß niedergeschlagen im Garten.

»Habe Geduld,« redete ihm Guido zu. Bach schüttelte den Kopf.

»Ich habe dieser Tage nun mein Drama begonnen.«

»Nicht zur Zufriedenheit?«

»Ich kann dir gar nicht sagen, wie mir zumute ist.«

»Du verlangst Ausnahmen für dich. Es ist nun einmal so, daß die Verwirklichung das innere Bild nicht erreicht.«

»Ich habe sogar das Gefühl, daß ich es übertraf.«

Guido wartete.

»Gerade das ist es, was mir wie eine Roheit erscheint. Ich kann dir nicht sagen, wie mir zumute ist. Es ist mir gerade so, als ob ich meine Keuschheit verloren hätte. Was schwebte nicht alles in Traumnebeln über mir, tiefsinnig, farbig, kraftgeladen! Nun ist es bloß verwirklicht. Gut verwirklicht, aber immerhin verwirklicht. Hätte ich doch zugewartet! Ich weiß nicht was ich darum gäbe, wenn ich es ungeschehen machen könnte.«

»Verbrennen.«

»Bereut ist nicht ungetan. Hätte ich mich nie darauf eingelassen! Ich trug es zu lange in mir herum. Nach und nach füllte ich einigermaßen alles hinein. Ich kann nur sagen, daß es mir schlecht bekommen ist. Aber ich werde nun eben fortfahren, die Sache zu betreiben.«

Er wendete sich auf der Ferse.

»In mir springt dann immer so eine Rebellion auf: Anders, ganz anders!« sagte Bach.

 

Das erstemal in seinem Leben ging er vorzeitig fort von Zuhause und verbrachte seine Muße in der Fremde wie ein feiernder Herr, der auf Erden übrige Zeit besitzt. »Welche Verschwendung!« rief er entsetzt aus, wenn die perlmutternen Tage so über ihm verwelkten.

Herr Monnier grollte und begriff seine Trägheit nicht. Der junge Mann erwiderte ihm: »Sie haben wohl keine Vorstellung davon, wie furchtbar die lautlosen Blitzschläge des Gewissens es ahnden, wenn wir schreiben ohne schreiben zu müssen.«

Der Greis horchte auf.

»Ich habe meine Stunde verpaßt, Herr Monnier. Die Stunde zu diesem Werke war einmal früher eines Sonnabends, als der Wind Staub durch die Gassen trieb. Aber was sollte ich tun? Ich muß ja unterrichten.«

»Das hole der Teufel!«

»Er wird es nicht holen. Im übrigen lobe ich mir meinen bürgerlichen Beruf, er gibt mir Brot, gibt mir Kurzweil, die schlechthin erhaltende Zuversicht, für etwas da zu sein. Er gibt mir so viel sein abgetönte wunderliche Liebe, zu der ich sonst nicht käme. Wie wäre es anders möglich, als daß man sich in die Kinder, die doch klug und schön und selbstbewußt sind, stets ein bißchen verliebte. Um auf das Buch zurückzukommen: Meine Idee ist wie aus dem Himmel herabgefallen. Ich habe von allem gar keine Vorstellung mehr.«

Auf einmal verabschiedete er sich. Auf der Straße gehend erbleichte er; dann begab er sich verträumt, aber ohne Zögern hinüber ins Tal.

Die Sommersonne lagerte so eigen in diesen Gründen, die, wenig verändert, ihm dennoch fremd und geisterhaft vorkamen. Er lief ungesäumt durch alle Stille, Entrückung und durch die hier lagernden geheimen Schrecken, geriet in sonnige Waldreviere, in ein Land von Straßen, einsamen Fabriken; große Kirchen traten in der Feme hervor, als läge Rom dahinter, Lindenbäume verwuchsen traumhaft mit der Himmelsbläue, und Wendel hatte das Gefühl, sich inmitten der wundersamen Fülle zu befinden, die ehmals seine Kinderträume mit Gebüschen, Türmen, Wolken und Gewässern umstanden hatte. Der Straßenstaub roch, die Sonne dampfte silbern, voll beglänzter Städte daraus hervor. Schwermut und Lebensfurcht warfen sich ihm auf die Seele, je tiefer der Jüngling sich in die Himmelslandschaft hineinbewegte. über den Wagengeleisen schwebte ein Wohlgeruch aus Karossen, Vögel flogen durch die Wolkenschatten, die Seen der Jugendzeit erstanden kühl in den Lüften.

Ermüdet von den Heimsuchungen seiner Gesichte und den schlagenden Wettern fremder Empfindungen, legte sich Wendel in das vorjährige Laub, auf welchem er einschlief und, umgeben von Sommerglast, von steigenden Wolkenlampen, gleichsam mit offenen Lidern ruhte. Er bemerkte die einfallende Dämmerung, die Flucht der duftigen Geister; Kühle griff nach seinem Leib, er stand auf und beeilte sich, nach Hause zu kommen.

Wiederum standen alle dunklen Städte vor dem Waldgezweige, das Wasser märchenhafter Seen flutete um die Stämme. Wendel sah Maja, wo er nur hinblickte; braun und lebendig begleitete sie seine Wanderung. Allein da geisterte noch anderer Liebreiz, eine linde Flaumigkeit wie das Weben der Nacht wehte mit Lockenduft, blickte aus tiefen Augen – alles in seiner Umgebung wurde Wimper und sinnende Anmut, zarter als Maja, dämmerhaft und verwirrend. »Die Natur ist zu einem Weibe geworden,« sagte Bach laut vor sich hin, um sie abzuschütteln.

Allein sie verließ ihn nicht mehr, sondern blieb in der Welt wie irgendein greifbares Wesen; sie sollte in ihrer Sanftmut seine Qual Und Verfolgung werden. Denn wenn die Königin ihm so recht ziervoll in der Seele stand, gesellte sich ihr dieses Traumbild, zum Vergleich, zur Warnung, eine Ursache wilder Beängstigung. Wo er stand und ging sah er die sanften Augen; ihr Rehblick haftete in den Pupillen wie ein unverwischbarer Eindruck, der hinter geschlossenen Lidern, auf Bäumen und Wolken und im Abendlicht so unveränderlich stehen blieb, daß alles sogar seine Form annahm: Fels und Wasser und die Art seiner inneren Anschauung kleideten sich durch eine erstaunliche Verwandlung in das Aussehen der dunklen Imago, wie er sie bei sich nannte, die tiefvertraute, unnennbare, ihn bitter quälende Erscheinung.

Noch hoffte er verzweiflungsvoll, sie würde mittels einer letzten, erlösenden Erkenntnis plötzlich mit Maja in Übereinstimmung zu bringen sein; dies zu bewirken, unterzog er sich den tausend unermüdlichen, harten, anstrengenden Grübeleien, in denen er versuchte, die Dinge auseinanderzulegen. Da es ihm nicht gelang, ihm nur der Kopf davon brummte, benötigte er den Anblick Majas; nachgerade zweifelte er seine Erinnerung an, und jetzt, wo die infamste Anfechtung, die eines leeren Phantoms, ihn in seiner Liebe beirrte, verfiel er der schmerzlichen Unruhe und bitterlichem Verlangen, das Kind wieder endlich zu sehen.

An diesen Sommersonntagen strömte die ganze Stadt durch das Tal, weshalb es nicht auffiel, wenn auch der Blonde oft hier herumstand und noch in der Nacht dabei betroffen wurde, von der Brücke ins Wasser oder auf der Heide zu den Sternen zu blicken. Er prüfte dabei seinen Zustand aus, verglich aufmerksam die Farbe seiner Gefühle mit denen der früheren, wartete auf das, von dem er wähnte, daß es doch eintreten müßte, dieses Erlebnis der Verklärung: Entzücken und Überschwang. Es herbeizudenken war ihm zu einer ebenso andauernden als aussichtslosen bitteren Mühsal geworden. Bis über Mitternacht hinaus vermochte er im Anblick des geliebten Daches zu verweilen, um es endlich doch zu erfahren, daß ihm das Herz aufbrach, und wenn es mit Nichten geschah, wenn er vielleicht sogar den teuren Schatten im Fensterlicht erblickte und nichts ereignete sich weiter – dann saß und saß er; in dem Maße wie er sich quälte, verstockten sich ihm Gefühl und Gedanken, bis überhaupt alles, Wind und Wasserrauschen und Sterne, sich völlig von ihm entfernte und er aus der Welt hinausfiel, dumm und stumpf und verblasen, in welcher Verfassung er es nicht länger hinausschob, sich nach Hause zu trollen.

»Ich kann weder leben noch sterben,« sagte er zu Lydia, »und das ist doch wohl der erbärmlichste Stand in der Welt. Ich klage Gott an, daß er mich mit ausgesucht unmenschlichen Plagen martert.«

Sie ließ unsicher etwas darüber verlauten, daß von dem Gegenstand seiner Liebe, einem ganz unmöglichen, nicht ernsthaften Gegenstand, mehr doch wohl nicht zu erwarten sei? Sie hatte halbwegs gefürchtet, ihn damit zu erbosen; aber ein seltsames Frohlocken blitzte aus seinen Augen. »Sollte man denken,« erwiderte er. »Allein mir graut vor der Unzulänglichkeit gerade einer erwiderten und aussichtsreichen, sogenannt glücklichen Liebe. Mich wundert, wovon sie ohne das Geheimnis des Versagten und ohne den Ansporn, die verklärende Schwermut des Unmöglichen leben soll, angewiesen auf einige kümmerliche Vergnügungen. Die Fragwürdigkeit, von der ich rede, bezieht sich auf alle körperliche und seelische Verrichtung, weil ihr irgend etwas abgeht, das sie haben müßte, um ernst genommen zu werden.«

In scheuer Betrachtung seiner Jugend halbwegs herumgewandt, verwunderte sie sich über die ihr unverständliche Art von Schmerzen, die ihm bereitet waren und die sie als seine Quäler haßte; was konnte sie mehr als ihm ihre ganze Ergebenheit zu bezeigen!

Sie sah ihn jetzt sonderbar lächeln, ein farbiges Bildnis betrachtend, das sie aufgestellt hatte. Sie fühlte sich ein wenig verspottet und errötete grollend, indem sie die Miniatur in die Hand nahm. »Ich freute mich so an dem alten schönen sonderbaren Manne. Sehen Sie nur, er hält sich gerade so, als kletterten einige Enkelkinder an ihm herum. Sein Großvatergesicht erscheint ganz rosig geküßt. Aber welches Paar von Augen! Es ist Schiller.«

»Nein, das ist doch wohl eher Goethe, wenn Sie es erlauben. Ein Jahrhundert hat sich über seinem Grabe angehäuft; dies hier ist nur ein Gemälde, wir wissen nicht einmal, in welchem Grad es der Wahrheit nahekommt, aber steht er nicht dunkel wie ein Feuer vor uns und beaufsichtigt uns? Er hat Leben für drei, und seine Augen sind überhaupt nicht umzubringen.«

»Die sind nicht umzubringen,« wiederholte sie und nahm Goethe an ihre Schläfe. »So rund, ein bißchen betrübt und klug, was nur klug heißt. Ach, wenn das Herr Goethe ist, dann verändert sich mir ja mein herzlieber Bräutigam unter den Händen! Er hat eine Haut wie Pfirsich. Als ob er aus dem Bad käme, nicht? Ich kann es mir nicht anders denken, als daß er viel geliebt worden ist.«

Darüber hatte ihr Wendel mancherlei zu erzählen; sie wurde nicht satt, es zu hören. Er beneidete sie um die Beweglichkeit ihres Gefühls. Beinah vorwitziges Verständnis füllte ihr manchmal strahlend die Augen, dann wieder ließ sie sich kindlich rühren.

Endlich sagte sie: »Es duftet nach Vornehmheit in der Welt, aber unsereins kommt sich davor niedrig und verworfen vor. Zumeist fürchte ich mich ganz abscheulich; wenn der Staub durch die Finsternis fliegt, wenn es über den Bergen donnert, weiß ich nicht, wohin ich mich vor den Stimmen der Hölle verbergen soll. Ich habe unklare Gedanken darüber, daß die Welt sich auf irgendeine stille, sehr einfache und desto unbarmherzigere Bedingung gründet, nach welcher das eine lebt, das andere verdirbt, das eine erwählt und das andere verworfen wird. Auch Unschuld und Sehnsucht erretten nicht vor den scheußlichen, scheußlichen Wohnungen des Teufels.« Sie weinte.

 

Auf der Suche nach seiner alten Liebe drang Wendel zögernd bis in das Bauernland vor und stapfte hier wieder im Buchengehölz herum, lief über die Heidehöhen in Wolken; die Hasen sprangen aus ihren Nestern, die alten unaussprechlichen Träume woben in den Laubgirlanden. Allein sie machten ihn lachen; er kam von ihrem Ursprung her ernüchtert, traurig und hoffnungslos; er setzte sich ins Waldgras und grübelte.

Mit sonderbaren Gefühlen kehrte er in die Stadt zurück. Monnier erzählte ihm von Paris, von seinen mächtigen Dichtern, die er noch gesehen hatte; die Literaturgeschichte nahm in seinem Mund ein kurzweiliges, familiäres Gesicht an, Monniers Bücher strömten den Geruch vergangener Sommertage aus, der Schrei der Pfauen geisterte in den blassen Regalen. Wenn die Sonne dem Gelehrten ins Schneehaar schien, leuchteten festliche Parke auf.

Er klagte wieder über die Mißgunst des Schicksals, das ihm versagt hatte, ein Künstler zu werden. Er war reicher Bauern Kind gewesen, verwöhnt, vergöttert, hatte in seinem Leben kaum je anderes betrieben als auf Universitäten herumzusitzen, zu reisen, Schriftsteller zu besuchen. In jungen Jahren trug er Schlips und Künstlerhut, so wie es damals Sitte war, hatte kein Arg und beteiligte sich an den Gelagen der Bohémiens im Vertrauen auf seine Verse, deren er einen ganzen Koffer voll angefertigt. Es gab davon sogar eine gedruckte Auswahl; Monnier liebte sie noch immer, noch immer konnte er den eines Tages eingetretenen Zusammenbruch seines Selbstvertrauens eigentlich nicht begreifen, schon gar weil er den Wert der übrigen, bei jener Gelegenheit von ihm verbrannten Dichtungen in der Erinnerung überschätzte. Mein Gott, die Städte Frankreichs: Chartres, Limoges, Nîmes, Saint Malo mit ihren Steinschnörkeln und Gerüchen, die Kürbisse und Kräuter seiner Gärten, die Würze der Rebenblüte, das Meer und Paris, sein unwiederbringliches vergangenes Paris, das ganze Leben war darin gewesen, wie hätte er sie nicht betrauern müssen; noch jetzt kam es vor, daß er leise mit der Ferse aufstampfte aus Reue darüber, leichtsinnig nicht nur die Unterpfänder seiner Daseinsberechtigung, sondern mit ihnen auch die Vergangenheit von sich geworfen zu haben, er, der an den Tod nicht denken durfte aus verzweifelter Abhängigkeit von dieser Erde, seinem Floß im Gewässer der Leere, als die ihm die Ewigkeit vorkam. Er versuchte vorsichtig auch Wendels Lob für seine Gedichte anzuregen; allein sie waren so schlecht als sie einem dermaßen gebildeten und sachverständigen Manne nur gelingen konnten. Wenn der Blonde richtig verstand, hatte Monnier sich eine Zeitlang mit der Absicht getragen, sein Geld zu verschenken, um sich der Behinderungen der Wohlhabenheit zu entledigen. Er mochte rechtzeitig vermutet haben, daß auch Bettlerblöße und Unglück den Dichter nicht machen. Von der Härte seines Kampfes zeugte der Kummer, der ihn noch jetzt im Gedanken an seine Unfruchtbarkeit befiel. Was ihn veranlaßt?, so zurückgezogen – er war Witwer – in dieser Binnenstadt zu leben, war nicht mit Sicherheit zu bestimmen; es ließ sich denken, daß seine Mittel den neueren Lebensbedingungen nur dann noch gewachsen blieben, wenn er sich aufs äußerste einschränkte, mit seinen zwei Anzügen haushielt und die vielgeliebte, immer noch vorhandene weite Welt sparsam verzichtend abseits liegen ließ; möglicherweise war es aber auch Altersängstlichkeit, die nicht mehr auszukommen fürchtet, oder richtiger Geiz. Er war davon nicht freizusprechen; eine gewisse Knauserigkeit, übertriebene Beachtung des Zahlbaren entstellte seinen Charakter ähnlich wie sein Sarkasmus, dessen er sich bei schlechter Laune bediente, um die Umgebung auf seine eigene Minderwertigkeit herabzusetzen. Beides, Geldgier und Spottsucht, hatte der Bauer in ihm zurückgelassen; vom Bauern stammte aber auch sein geradezu krankhafter, fanatischer Trieb zur Geistigkeit, der einer Flucht und Furcht etwas ähnlich sah, wenn man ihn nicht feudaler mit den Emigranten seiner Ahnenschaft in Verbindung bringen wollte, als deren Nachfahr Monnier sich bemühte, ein adliges Leben fortzusetzen. Französisch mutete die Väterlichkeit an, mit der der Greis seinen Liebling betreute. Über die Aufrichtigkeit seiner Ehrerbietung gab es keinen Zweifel; seine Schätzung der Poesie verbot es ihm, in ihrem Bereich zu flunkern, ganz abgesehen davon, daß die zartsinnige Schwärmerei und seine Unterwerfung unter die Oberhoheit des Begnadeten, als welchen er Wendel ansah, ihm Lebensbedürfnis waren. Es vermochte ihn empfindlich zu kränken, wenn etwa der Blonde in der Weise sein Spiel mit ihm trieb, daß er, statt die Ehrenbezeigungen ernst zu nehmen, ihn mit heimlichen Scherzen umsteckte. Monnier versicherte, daß es einzig einer christlich spießigen Denkgewohnheit habe beifallen können, aus der Anerkennung eine Verlegenheit zu machen; die Griechen hätten sich nicht geschämt, sie öffentlich und festlich zu betreiben gemäß ihrer Unverdorbenheit und wohlunterrichtet über die verpflichtende, anspornende Kraft des Beifalls. »Alles, woran wir leiden,« behauptete er, »Selbstverachtung, Zwiespalt, Verdrängungen, Perversität, Unfruchtbarkeit, Ungenügen, Ihre berühmten Verzweiflungen insgesamt, sind die Gabe unserer Mutter, der christlichen Weltanschauung, die seit zwei Jahrtausenden an der Arbeit ist, das Heidentum aus der Welt hinauszuekeln, das heilige Heidentum, den Urzustand der Natur, wie ihn die Götter zum Wohle der Menschheit erschufen. Rühmen Sie sich Ihrer Gabe, Herr Wendelin, frönen Sie nicht dieser heimlichen Eitelkeit, etwas nicht sein zu wollen, was Sie nun einmal sind, und was zu sein auch weiter kein Verdienst, wohl aber eine Gnade ist, die Sie mit wenigen teilen, mit der erlauchten Schar der Schöpfer.« Über diese gingen ihm auch die Götter nicht, und dieser Umstand, nicht die empfangenen Schmeicheleien, deren Gültigkeit er wie gesagt ungefähr abzuschätzen wußte, das Maß und die Lauterkeit des Glaubens waren es, die der Jüngling seinem Gönner so hoch verrechnete. Jeder heilige Eifer und jede Ausschließlichkeit der Leidenschaft hat etwas Ritterliches an sich, dem Alter stehen sie doppelt gut, schon gar wenn sie selbstlos sind wie Herrn Monniers Übertreibungen. In seiner Gelehrtenzelle beruhigte der Junge sich wunderbar; er lag auf dem Diwan ausgestreckt mit dem Arm an den Augen; seine Liebe erfüllte ihn wonnig und klar, sein Geheimnis machte ihn ein wenig übermütiger spielte innerlich, mehr als der Greis wohl ahnte, seine Jugend, die Fülle seiner Pläne und Hoffnungen gegen den Bücherherrn aus. Die Schönheit Majas stand als ein unverlierbarer Besitz in seiner Seele; sie machte ihm warm, wie ein Feuer, die Ohren glühten ihm, sein Herz war wie ein Funke.

Seines Überschwanges voll, verzog er sich ins Freie, wo er, leise vor sich hinsingend, manchmal die Hände über den Scheitel erhob, sich auf die Brust schlug. »Du bist schön, du bist schön,« frohlockte er, ganz erfüllt von den Feiertagen der Königin.

Die Tiere, die da liefen, Gebüsche, See und der ferne Himmel, der besonnte Stein und die Menschen, alles erschien ihm unaussprechlich rührend; in ihrer Mitte wandelte er von weichen Lüften getragen, nur von den Wellen seiner Empfindungen selig bedrängt.

Nachdem er in dieser Weise die Welt mit Gefühl erfüllt, stach ihn der Haber, die Hölle zu locken, um einmal seine Stärke gegen sie auszuspielen: Er beschwor Imago; ihr sanftes Bild schwankte vor der Wirklichkeit Majas, aber sie kam ins Gezweige, in die Bläue der Ferne und bezwang auf diesem Umweg seine Phantasie.

Er verfluchte sie inniglich, er verspottete sie; aber um seinen Frieden war es geschehen.

Er stahl sich abseits, um sie sich vor die Augen rufen und der Königin peinlich vergleichen zu können, Zug für Zug und Liebreiz um Liebreiz; ach es war nirgends still genug! Die Sonne und letzten Endes das Rauschen des Blutes ließen keine Stille aufkommen. Der Junge schleppte sich also mit der Larve von Anmut, die sich ihm anhängte; die Glieder versagten ihm, er sah sich nach einer Möglichkeit um, nur schnellstens zu sterben.

Elisabeth erschrak, als sie die veränderte Lage vorfand.

Er sollte ihr das Phantom beschreiben; er beschrieb es mit einem spöttischen Lächeln liebevoll und sehnlich.

»Wenn ich sie da irgendwo sitzen fände, ich zögerte nicht, auf sie zuzugehen; sie erhöbe sich halbwegs und würde mich fragen, wo ich nur alle die Zeit gesteckt habe, mit ihrem innerlichen Lächeln ...«

»Wie heißt sie denn?«

»Ich bin mir ungewiß darüber, ob sie auch einen Namen führt. Jede Benennung setzt sie eigentlich ein bißchen herab. Wesentlich an ihr sind ihre weichen Wimpern. Das Lächeln in ihrem Antlitz kommt und geht – in sie hinein – wie der Abendwind um einen Strauch. Es ist furchtbar, ich werde ihre Vorstellung nicht wieder los!«

»Ich glaube, das alles wird sich schon finden, mein Sohn. Oder hoffst du, ihr, dieser Braunen, Makellosen, eines Tages von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen? Hätte sie meinetwegen die Größe oder die Hände oder irgendeinen geringen Zug nicht so wie du sie siehst, du wendetest dich auf der Ferse –«

»Keine Frage –!«

»Denn sie wäre es dann nicht. Enttäuscht dich Maja?«

»Aber du mißverstehst mich ja!«

Ein Schalksinn umspielte sie.

Mit verwandeltem Ausdruck legte sie ihre Linke auf seine Finger: »Du armer Hansdampf!«

Im Lauf des Abends schob er unversehens seinen Kopf an sie; die Augen leuchteten ihr auf.

Als er fort war, schrieb sie ihm in einem langen Brief ihre Ferienerlebnisse.

Er seinerseits bereute den Müßiggang, mit dem er seine Zeit vertan hatte; auf einmal, zu spät, ergriff ihn die Schöpferlust mit sehnlicher Gewalt.

Er vergaß sie am Ende. Die kleinen Dinge des Tages nahmen ihn in Beschlag zusamt seinem ernsthaften Herzen, das alles aufbauschte und über Gebühr beschenkte. Die ersten Nebel brachten ihre Schauer, schon wieder roch es nach Äpfeln, die hohe Zeit des Herbstes rückte heran mit ihrem Ballast an Erinnerung, mit den schweren zudämmernden Einsamkeiten, mit dem Glockengeläute voll Schnee und lautlosen Feuern.

Wendel schrieb wieder Gedichte auf Maja.

Die schattigen Hallen der Jahreszeit erschienen ihm wie ein nun leeres Haus, in dem er so viel erlebt; es hingen noch Kränze von den Wänden herunter, Herbstzeitlosen welkten auf den Fliesen, die tauige Luft durchdrang ihm das ganze Herz.

Immerhin bereitete ihm auch in seinem Dichten eine gewisse Trägheit aller Nötigungen viel Kummer. Für gewöhnlich zerfaserte sich ihm sein Gefühl über der Arbeit der Gestaltung, schweifte aus und erlahmte, weshalb er nur Anfänge sammelte, die er in den Nachtstunden vor sich ausbreitete zum Zeugnis seiner Untreue, seiner Ohnmacht, der Furchtbarkeit seines Loses, eine halbe Begabung zu sein.


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