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I.

Vor einer Stunde erst hatte der junge Mann die Schwelle des nie zuvor betretenen Laufes überschritten und nun knieete er bereits in trunkenem Gefühl zu den Füßen der schönen Dame, die ihn hierher gezogen hatte und welche die einzige blieb, die ihm in diesen Räumen nicht fremd war. Ihre Hände hatte er gefaßt und drückte sie bald gegen seine Augen und dann wieder an seine Lippen.

»Isabella, Einzige!« rief er aus, »halten Sie selbst mich aufrecht, daß mir nicht schwindlig wird vor so viel Glück.«

Sie strich liebkosend mit der Hand über seine dunkeln Haare

»Ja, suchen Sie Ihre Sicherheit nun bei mir, Leopold. So leicht lasse ich mich nicht unterjochen, auch nicht von dem Moment«

»Aber mich umfängt er mit Märchenzauber!« rief er aus. »Mein höchstes Streben ging dahin, Sie nur wiedersehen zu dürfen, und nun ziehen Sie mich wie eine Fee zu sich empor in ein Wunderland!«

Ein leichtes Erröthen glitt rasch über ihre Wangen, zugleich aber lachte sie und legte ihm die Finger auf die Lippen.

»Still, still,« sagte sie, »daß es nur niemand hört, wer von uns beiden eigentlich das erste Wort gesprochen hat!«

Von neuem küßte er ihre Hände.

»O Isabella, auch für dies Wort, das mir plötzlich die Flamme des Muths in der Brust anfachte, habe ich heiß zu danken: aus mir selbst hätte ich diesen Muth nie gefunden!«

Der Ausdruck ihrer edlen, elastisch-regelmäßigen Züge wäre ein stolzer gewesen, wenn ihn das freundliche Lächeln des Mundes nicht gemildert hätte.

»Wir wollen zu meinem Bruder gehen und zu meiner Nichte!« sagte sie fest und erhob sich. »Sie wissen noch von nichts, ich will Sie vorstellen, Leopold.«

Ehe das Paar jedoch die Thür erreicht hatte, wurde diese rasch von außen geöffnet und ein junges Mädchen, das höchstens achtzehn Jahre zählen mochte, steckte sein Köpfchen herein.

»Ich halte es nicht länger aus, Tante Isabella, ich muß wissen –«

Die Rede brach plötzlich ab und ein erschrockener Blick aus den Augen der jungen Sprecherin verrieth, daß sie geglaubt hatte, die Bewohnerin des Zimmers allein zu finden, während sie jetzt wahrnehmen mußte, daß sich ein Gast bei derselben befand und vielleicht hätte sie in der nächsten Sekunde ihren Rückzug genommen, wenn Isabella ihr nicht rasch um ein paar Schritte näher getreten wäre.

»Komm nur herein, Mathilde« sagte sie heiter; »Du ersparst mir sogar einen Weg, denn es liegt mir daran, Dich mit Herrn Leopold Waringer bekannt zu machen.«

»Ach, wirklich?« sagte die junge Dame und wandte ihren vollen Blick auf den Fremden, während ein Ausdruck angenehmster Ueberraschung über ihr anmuthiges Gesicht flog, als Waringer sich mit einigen in halber Befangenheit ausgesprochenen Worten verneigte:

»Ich habe mir oft gedacht, daß es hübsch wäre, wenn Sie die Tante einmal besuchten; sie sprach so oft von Ihnen und Ihren schönen Arbeiten!«

»Ei ja, so oft,« scherzte Isabella, »daß Du wohl darum so ungeduldig wurdest und es in dieser Minute durchaus wissen mußtest, ob Herr Waringer jetzt einen Amor oder einen Fischerknaben unter dem Meißel habe!«

»O nein, Tante,« rief aber Mathilde mit einem aus Schmollen und Verlegenheit gemischten Ausdruck, »weder an solche Fragen, noch an Herrn Waringer überhaupt dachte ich als ich hereinkam: ich wollte nur – ja denn, das Paar in dem Buche beschäftigte mich und ich wollte bei Dir anklopfen, o ich endlich den letzten Band bekommen könnte ...«

»Ah, Du sprichst von dem neuen Roman, der mir zugeschickt ward!« sagte Isabella; »nun, dort liegt er – aber halt,« setzte sie hinzu und legte ihre eigene Hand auf die des jungen Mädchens, welche sich unwillkürlich ausgestreckt hatte: »statt des bloß gemachten Romans sollst Du Dich jetzt mit einem wirklichen beschäftigen und sogar, was ich Dir sonst nie erlaube, das letzte Kapitel zuerst lesen! Stelle Dir also vor, Mathilde, daß die beiden betreffenden Personen sich einander die Hand reichen und sieh in ihnen keine anderen als mich selbst und den hier gegenwärtigen Herrn Leopold Waringer!«

»Aber Tante!« sagte das junge Mädchen, plötzlich wie mit Blut übergossen und, da sie die ganze Rede für einen etwas gewagten Scherz halten mochte, in etwas vorwurfsvollem Ton.

Isabella, die immerhin noch überraschend jugendlich erscheinende Tante, ergötzte sich offenbar an dem Staunen der Nichte, dagegen trat der junge Mann rasch auf die letztere zu und sagte, indem er ihr offen und herzlich die Hand reichte:

»Ich hoffe, Fräulein Brunner, ich versöhne Sie noch mit dem Gedanken, daß gerade ich es bin, den das Schicksal so reich machen wollte; so unverdient ich mein Glück auch nennen muß!«

»Oh, es war nichts gegen Sie in meinem Sinn, Herr Waringer,« stotterte das junge Mädchen in dem Bestreben, seiner Verwirrung Herr zu werden; »nach der Weise nur, in welcher die Tante von Ihnen sprach, hielt ich Sie für sehr jung und – und –«

Aufs neue ward sie dunkelroth, denn sie fühlte, daß sie im Begriff gestanden hatte, eine Aeußerung zu thun, welche ihn oder die Tante verletzen konnte; diesmal aber kam ihr Isabella selbst zu Hilfe.

»Nun, Du sollst hören, daß Du Dich keineswegs getäuscht hast!« sagte sie ganz unbefangen: »Leopold zählt wirklich erst 24 Jahre, und die Thatsache steht darum fest, daß mein Gesicht um zwei volle Jahre früher runzlich sein wird als das seine!«

Während die Worte an Leopolds Ohren vorübergingen als seien sie gar nicht gesprochen und er seine Blicke nur bewundernd auf dem nämlichen Antlitz, von dessen Verblühen geredet ward, ruhen ließ, wirkte Isabellens Bemerkung an die Nichte mit dem vollen Reiz des Komischen, dem sie sich ungehindert überließ. Halb mochte in ihrer Heiterkeit ein naives Kompliment für die Tante liegen, halb mochte sie mit der Neigung der Jugend zusammenhängen, das Altwerden einfürallemal aus dem Kreise ihrer Vorstellungen zu verbannen, jedenfalls aber wirkte ihr helles, fröhliches Lachen ansteckend auf die beiden anderen, und was etwa auf irgend einer Seite wie ein Schatten über der gänzlich freien Stimmung gelegen hatte, war im Nu hinweggewischt.

»Nun ich mirs recht überlege, finde ichs reizend, Tante Isabella, daß Du Braut bist!« erklärte Mathilde nach ein paar Augenblicken, »und ich fordere nur eins: daß ich den neuen Verwandten nicht als Onkel anzusehen brauche, ich fürchte, ich brächte das nicht fertig!«

Der Blick, welchen sie bei diesen Worten halb schelmisch über Leopold gleiten ließ, rief bei diesem neben einem leichten Erröthen die eifrige Erwiederung hervor:

»An mir soll es nicht liegen, liebes Fräulein, wenn ich Ihnen nicht auch auf andere Weise so nahe komme, wie Sie es mir nur gestatten wollen!« Und dabei küßte er die kleine Hand, welche sie ihm treuherzig geboten hatte.

Isabella nickte zu der Abmachung nur flüchtig; sie hatte sich so eben etwas anderes überlegt.

»Wohl,« sagte sie jetzt, »sucht nur gute Freunde mit einander zu werden, während ich dem Bruder die Ueberrumpelung spare und ihm das Beschlossene einfach mittheile!«

Der Justizrath Brunner, ein Mann in den Vierzigen, dessen etwas hageres und abgearbeitetes Aussehen auffallend genug mit der blühenden Erscheinung seiner freilich um so vieles jüngeren Schwester kontrastirte, saß an seinem Arbeitstisch, als die letztere zu ihm eintrat.

»Ich möchte Dich um etwas bitten – hat Du einige Augenblicke für mich übrig, Wilhelm?« sagte sie, als sie ihm die Hand auf die Achsel legte.

Ein leises Unbehagen flog über sein Gesicht, doch sah er sofort von seinen Akten, in die er offenbar vertieft gewesen war, auf.

»Ich muß das wohl, Isabella,« entgegnete er, sich zu einem Lächeln zwingend, »denn Du verlangst ja selten genug etwas von mir!«

Sie nickte leicht.

»Das kommt von meinen Grundsätzen, Lieber!« sagte sie, dabei halblachend, um aber dann rasch hinzuzufügen:

»Wie hoch ich aber auch meine Unabhängigkeit halte, ich habe doch einen Schritt gethan, der mich in gewisser Weise bindet,« und nun bitte ich Dich um Deine Theilnahme, denn – kurz und gut, ich habe mich in dieser Stunde verlobt, Wilhelm!«

Wenn der Bruder auch nach den bisherigen Worten darauf gefaßt sein konnte, daß er nichts Geringfügiges vernehmen würde, so war er auf eine solche Mittheilung doch keineswegs vorbereitet gewesen, zugleich aber verrieth der plötzliche Ausdruck seiner Züge, daß das Erstaunen, in welches sie ihn versetzt hatte, nicht minder freudig als groß war.

»Isabella,« rief er, indem er ihre beiden Hände erfaßte: »es war mein Herzenswunsch, daß Bernthal Dich gewann – ein Mann wie er! Und natürlich ist er es und kein anderer, dem Du Dich verlobt hast.«

Sie hatte rasch ihre Hände frei gemacht und war um einen Schritt von ihm zurückgetreten. Ein entschiedener Unmuth lag auf dem stolz emporgehobenen Antlitz.

»Du hast seltsame Einfälle, Wilhelm!« sagte sie; »weder hat Major Bernthal um mich geworben, noch würde ihm seine Werbung genützt haben.«

»Also nicht – Bernthal ist es nicht?« sagte Brunner halb betroffen und halb bekümmert; »mein Gott, und ich dachte, daß Eure kleinen Reibungen nichts zu bedeuten hätten und daß Du ihm Dein Geschick sicher anvertrauen würdest!«

»Nie!« rief Isabella heftig; »sollte ich einen Despoten über mich setzen, wenn ich im Stande bin, meinen freien Willen durchzuführen und selbstständig zu handeln?«

»Ach ja, ›Deine Grundsätze‹, ich vergaß!« sagte der Bruder mit einem fast unmerklichen Lächeln, nachdem er einen leichten Seufzer unterdrückt hatte. »Aber wir verirren uns von dem Hauptsächlichen: dem Namen dessen, welchem Du Deine Zukunft in die Hand legen willst!«

»O meine Zukunft,« sagte Isabella rasch, »meine Zukunft gestaltet sich wohl von selbst in der Weise wie ich sie mir wünschte, wenn ich die eines Mannes, dessen Leben und Streben mir seit langer Zeit theuer gewesen ist, mit ihr vereine! und in dem Sinne auch habe ich es Leopold Waringer gesagt, daß ich getrost den Bund mit ihm eingehen wollte.«

Aus dein Gesicht des Bruders trat jetzt eine unverhohlene Verwunderung hervor.

»Waringer – der junge Bildhauer – Dein Schützling? Verzeih, Isabella, aber das – das hatte ich nicht erwartet!«

»Ich glaube Dir das, Wilhelm,« sagte sie ruhig und ohne alle Empfindlichkeit; »ich selbst wußte es ja nicht, was aus dem Interesse geworden war, das er mir vom Anfang unserer Bekanntschaft an eingeflößt und das sich allerdings mit seiner Entwickelung als Mensch und Künstler gesteigert hatte, bis wir uns heute nach längerer Trennung wiedersahen und mir dann sein lebhaft aufwallendes Gefühl mein eigenes Empfinden klar machte.«

Der Bruder rieb sich die Stirn.

»Eure Bekanntschaft – wie ist mir doch? – Du erzähltest natürlich davon, wie sie sich machte, überhaupt von seiner ganzen Persönlichkeit, aber ich erinnere mich nicht genau mehr daran, Isabella!«

»Nein,« entgegnete sie, »die Wiederholung kann in wenig Worte gefaßt werden? Auf einer Ausstellung in der Residenz sah ich vor zwei Jahren eine seiner Arbeiten, und es macht mich noch heute stolz, daß ich unter den ersten war, die es erkannten, welch ein Genius hier nach Entfaltung strebte. Ein halber Zufall führte uns dann persönlich zusammen und mir schuf es hohe Freude, rathend, ermunternd, helfend an seine Seite treten zu dürfen.«

»Ach ja,« unterbrach sie der Justizrath, »ich weiß es jetzt: Du verschafftest ihm Anerkennung, Aufträge; und ist mir recht,« fügte er lächelnd hinzu, »so gewährtest Du ihm auch noch direktere Förderung.«

»Sprich nicht davon, Wilhelm!« bat sie rasch. »Mir war es die beste Genugthuung, daß Leopold meine Hilfe mit einer so köstlichen Unbefangenheit annahm und es gelten ließ, wie ich es ihm vorstellte, daß ich nur der Kunst auf die mir allein mögliche Weise zu dienen suchte, indem ich ihm die Vollendung seiner Studien ermöglichte. ›Sie stellen mich damit in den Dienst der Kunst wie in Ihren eigenen, und Ihnen beiden werde ich treu bleiben!‹ war alles, was er sagte. Ich aber habe mich also in sein Künstlerthum durch mein schlechtes Geld gewissermaßen eingekauft! Darum aber,« fuhr sie mit einem hellen und heiteren Lächeln fort, »schätze ich selbst jetzt dies nämliche Geld, ja, ich habe es sogar lieb, da ich nun weiß, welchen Zwecken und Zielen es zu gute kommen wird.«

Der Bruder nickte vor sich hin.

»Ich dachte immer, daß Du nicht für alle Zeit blind gegen den großen Vorzug bleiben würdest, der Dir mit Deinem Vermögen gegeben ist«

»Es ist wahr,« sagte sie ein wenig betroffen, »da meine Mutter nicht die Deine gewesen ist, fiel es mir allein zu, aber –«

»Du glaubst doch nicht, Kind, daß ich Dir das mißgönnte?« unterbrach er sie, nun seinerseits lächelnd. »Mein Amt gewährt mir mein Auskommen; für Antons Studium reichen die Mittel ebenfalls noch, und Mathilde – nun, eine Zukunft findet sich wohl auch für sie und sollte sie heiraten, so weiß sie wenigstens, daß nichts den Bewerber gelockt hat, als was er in ihrer Person findet.«

»Wilhelm,« sagte sie, indem plötzlich ein Schatten über ihr Gesicht zog, »Du wirst nicht sagen wollen« daß Leopold anders rechnete, daß er sein Auge nicht etwa allein auf mich richtete?«

Sein Arm hatte sich rasch um ihre Schultern gelegt.

»Nein, wahrlich nicht, Isabella! Ein Mann, dem Du Deine Hand giebst, muß es wissen, daß Dein Reichthum das wenigste ist, was er mit ihr erhält. Aber nun laß mich selbst denjenigen kennen lernen, dem ich meine kluge, schöne Schwester abtreten soll!«


II.

Das Bekanntwerden von Isabellas Verlobung brachte in der nächsten Zeit viel Aufregung in die Stadt und lockte jeden, seinem Wohlwollen oder seiner Mißbilligung Ausdruck zu geben. Ebenso aber drängten sich in dem Brunnerschen Hause die Besucher, da ja allen, die sich nur in irgend einer Beziehung zu der Familie befanden und mochten sie nun unter der Herrschaft der einen oder der anderen Empfindung stehen, schon durch die Form geboten ward, dem Brautpaar die hergebrachte Artigkeit zu erweisen.

Auch der Major Bernthal säumte nicht, das zu thun, was man von ihm erwarten durfte und so sah Isabella die hochaufgerichtete Gestalt des stattlichen Mannes schon an einem der nächsten Tage, als noch verschiedene andere Personen anwesend waren, unter ihnen neben dem jugendlichen Verlobten auch ihr Bruder und Mathilde, in ihr Zimmer treten.

Mit sicherem Schritt und ruhigen Auges trat er auf sie zu.

»Ich hoffe, Fräulein Isabella,« sagte er, indem er ihre Hand faßte und sie leicht an seine Lippen führte, »Sie zweifeln nicht an meiner Aufrichtigkeit, wenn ich Ihnen alles Gute – das Beste wünsche.«

Das Roth ihrer Wangen war in dieser letzten Minute um ein weniges lebhafter geworden und etwas von dieser Erregung lag auch in ihrem Ton, als sie ihm jetzt rasch erwiederte:

»Warum denn zweifeln? Nebenbei ists ja auch ritterlich, daß man sich höflich begegnet, wenn man die Waffen mit einander gekreuzt hat!«

Sie hatte die Worte halblachend gesprochen, er dagegen schien sie nicht als Scherz gelten lassen zu wollen, denn ganz ernsthaft fügte er hinzu:

»Und daß man diese Waffen überhaupt ruhen läßt, wenn der Kampf den einen oder den anderen Ausgang genommen hat! Ich habe darum nur zu bitten, Fräulein Isabella, daß Sie statt des Gegners, der Ihren Anschauungen Opposition machte, für die Zukunft mir noch einen Freund in mir sehen wollen.«

Die Rede mußte sie nicht völlig befriedigen, denn sie warf ihren schönen Kopf leicht auf.

»Ich wußte nichts, was mich hindern sollte, diese Forderung zu gewähren: wir sind also Freunde!« sagte sie mit einem unverkennbaren Anflug von Ironie.

Eine Fortsetzung fand das kleine Zwiegespräch jedoch nicht, denn andere Gäste waren herangetreten und forderten Isabellens Beachtung, so daß sie nicht einmal dazu gelangen konnte, selbst die Bekanntschaft des Majors mit ihrem Verlobten einzuleiten. Dies blieb dafür Mathilden aufbehalten, die während dieser Minuten in eifriger Unterhaltung mit dem jungen Manne gewesen war, sich aber eben jetzt lebhaft gegen Bernthal wandte, dessen Blick sie auf Waringer gerichtet sah.

»Helfen Sie mir, Herr Major,« rief sie ihm entgegen, »und sagen Sie es Leopold, daß seine Behauptung unsinnig ist!«

»Sie vergessen, wir kennen uns noch nicht!« sagte der Major lächelnd zwar, doch mit einiger Gemessenheit.

»Ach so!« sagte das junge Mädchen mit naivem Gleichmuth und ließ nun rasch die beiden Namen über ihre Lippen gleiten, um darauf mit einiger Ungeduld die durch ihre Vorstellung hervorgerufene Rede und Gegenrede anzuhören.

»Nun aber auch zur Sache!« begann sie dann wieder lebhaft. »Herr Waringer hier erklärt also, wenn man ein Interesse für eine Person bewahren wolle, so sei das beste Mittel, ihr den Rücken zuzuwenden.«

»O, aber Mathilde, Sie verdrehen meine Worte völlig!« rief der junge Mann erschrocken und lachend zugleich. »Ich sprach nur von mir und ich sagte, daß mir das wahre, das geistige Bild eines Menschen erst aufzugehen pflege, wenn das Anschauen der Erinnerung Platz gemacht habe.«

»Sie sprachen so als Künstler,« fiel der Major ein, »und ich gebe Ihnen als solchem recht! Nicht in der immerhin etwas dunstigen Atmosphäre der Wirklichkeit, sondern in dem reinen Aether der Vorstellung gewinnt sein Ideal Gestaltung und echtes Leben.«

Auf dem hübschen Gesicht des jungen Mädchens trat ein leichtes Trotzen hervor.

»Ich aber sehe nicht ein, warum ein Künstler andere Augen haben soll als wir und warum die Dinge für ihn nicht so bleiben dürfen, wie sie der liebe Gott geschaffen hat! Auf jeden Fall nur,« fügte sie mit munterem Tone hinzu, »soll uns Leopold beweisen, was er mit seiner Phantasie vermag! Wollen Sie sich eine Aufgabe stellen lassen?« fragte sie ihn schelmisch.

»Wenn sie meiner Kraft angemessen bleibt, gewiß!« versetzte er eifrig.

Sie nickte.

»Sie sprachen neulich davon, daß Sie Isabellas Büste modelliren wollten –«

»Ja,« unterbrach er sie, »und sehen Sie, wie herrlich ihre Bildung sich für das Werk eignet! Nehmen Sie nur den Ansatz des Halses –die reine Linie des Profils!«

»Still!« gebot sie. »Jetzt ist der Enthusiasmus keine Kunst: Sie haben das Bild ja vor sich! Dagegen aber fordere ich: schaffen Sie das Ganze aus freier Vorstellung, ohne daß Ihre Augen Isabella sehen!«

In der nächsten Sekunde lachte sie hellauf.

»Nein, nicht so betroffen, Leopold! Ihre marmorne Unsterblichkeit soll nicht hineingezogen werden: für den Versuch genügt uns der Thon und – ja wissen Sie etwas? in acht Tagen ist mein Geburtstag und bis dahin schaffen Sie mir zu meiner besonderen Freude und Genugthuung die Verkörperung Ihres Ideals, nicht wahr?«

Sie hatte die letzten Worte allerdings mit etwas neckischem Pathos gesprochen, ihm aber zugleich mit einer so harmlosen Heiterkeit ihre Hand zum Abschluß des Vertrags entgegengehalten, daß er nicht umhin konnte, die seine gewährend hineinzulegen.

»Sie wünschen es – und es ist Ihr Geburtstag –« sagte er dabei, »wohlan, ich glaube nicht, daß mir mein Werk mißlingen kann!«

Bernthal hatte sich unterdessen von den beiden jungen Leuten hinweggewandt; er sagte sich, daß er jetzt seinen Besuch überhaupt beenden könne.

Brunner, welcher seine Bewegungen aus der Ferne wahrgenommen hatte, trat an ihn heran, um ihn aus dem Zimmer zu geleiten.

»Nun, lieber Bernthal,« redete er den Freund, mit dem er bisher noch nicht hatte sprechen können, in etwas unsicherem Tone an: »was sagen Sie zu der unerwarteten Verlobung meiner Schwester – das heißt,« verbesserte er sich rasch, »eigentlich wollte ich fragen, welchen Eindruck Sie von Waringer empfangen haben.«

»Nun, wenn ich die wenigen Worte, die ich soeben aus seinem Munde hörte, mit den verschiedenen Proben zusammenhalte, die ich bereits von seinem Talente sah, so muß ich glauben, daß ein tüchtiger Künstler in ihm steckt,« sagte Bernthal.

»Ja, ja, das schon,« entgegnete der Justizrath, »aber ich dachte nur an seine Persönlichkeit und –«

»Er gefällt Ihnen nicht?« fragte Bernthal halb verwundert, als der Freund mitten in seinem Satz stockte.

»O doch! In gewissem Sinn sogar sehr gut, aber doch – als Gegenstand von Isabellas Wahl – sie ist schwer zu befriedigen!«

»Ich denke, wir beruhigen uns über diesen Punkt,« fiel hier der Major mit einer gewissen Kälte ein. »Isabellas Verstand ist scharf; – »sie wird vollständig mit sich im klaren sein, was sie von dem Manne fordern will, dem sie ihre Hand reicht und was sie von ihm zu erwarten hat. So haben wir der Sache nur guten Verlauf zu gönnen.«

So gelassen wie er die Worte gesprochen hatte, reichte er jetzt dem Freunde die Hand zum Abschiede und entfernte sich.

Mit leisem Kopfschütteln sah Brunner der dahinschreitenden männlich schönen und stolzen Gestalt einen Augenblick nach.

»Daß ich mich so täuschen konnte!« murmelte er. »Ich war gewiß, daß er Isabella liebte und es that mir so weh, daß sie ihm verloren ging und nun läßt ihn selbst das alles gleichgiltig! Mags denn nur für beide ein Glück bedeuten, daß ihre Pfade auseinandergehen!«

Bernthal war unterdessen ungehindert seines Weges geschritten, bis er an einer Ecke mit einem jüngeren, ihm aber durch die Familie befreundeten Offizier zusammenstieß.

»Sie erlauben, Herr Major,« redete ihn der letztere bei der Begrüßung an, »daß ich mich Ihnen anschließe, wegen des gleichen Ziels! Natürlich gehen Sie wie ich selbst nach unserm Casino!«

»Heute nicht, lieber Mosen; ich gehe nach Hause!« beschied Bernthal freundlich aber kurz.

»Aber es ist doch heute unser Liebesmahl!« wandte der junge Offizier ein.

»Ich weiß!« versetzte der Major; »aber man wird eben Nachsicht üben müssen, wenn i mich für diesmal dispensire.«

»Ah, Geschäfte also? fragte der junge Mann

»Oder etwas Aehnliches, nehmen wir an!« sagte Bernthal, um aber dann, so wie er nur bemerkt hatte, daß der junge Offizier die Rüge seiner Voreiligkeit begriff, in milderndem Ton hinzuzusetzen:

»Ich denke nämlich, man kann es auch für ein Geschäft gelten lassen, wenn wir einmal mit der eigenen Person zu thun behalten. Bei sich selbst korrigirt man seine Stimmung am besten.«

»O, und ich stellte mir vor, Zerstreuung fände man am leichtesten unter Menschen,« wandte der Lieutenant, jetzt aber ganz bescheiden ein.

Der Major lächelte.

»Gewiß, wenn man Vergessenheit sucht! Diese aber brauche ich nicht, nur ein Stündchen philosophischer Betrachtung über Dinge, die – nun, die ich zum zweiten Mal gerade so an anfassen würde, wie ich es das erste Mal that!«

»Ich verstehe Sie nicht ganz!« sagte Mosen in einiger Verlegenheit.

»Ist auch nicht nöthig!« entgegnete der Major, indem er dem jungen Freunde ein wohlwollendes Gesicht zuwandte. »Ihr Recht an den heutigen Tag ist das Vergnügen –und das soll Ihnen durch ein längeres Gespräch mit mir nicht verkürzt werden, darum gehen Sie jetzt Ihren eigenen Weg; der meinige, Sie sehen es, ist hier zu Ende!«

Und nachdem er sich so halb scherzend von seinem jugendlichen Gefährten losgemacht hatte, trat er selbst in die bezeichnete Wohnung. Seine Stirn aber war in diesem Augenblick nicht mehr die freie, welche er bis jetzt gezeigt hatte; vielmehr mußte er selbst wohl fühlen, daß etwas von ihr zu verscheuchen blieb, denn seine Hand strich mehrmals über ihre Fläche hin.

Als er den Flur bereits durchschritten hatte und im Begriff stand, die Treppe hinanzusteigen, welche nach seinem eigenen Zimmer führte, hörte er eine weinende Kinderstimme, in der er sofort die Klärchens, seines vierjährigen Töchterchens, erkannte, und in der nämlichen Sekunde schon öffnete seine Hand die Thür des Kinderzimmers.

Mit einem raschen Blick überflog er den Raum, und dann trat er auf das kleine Mädchen zu, das auf seinem Stühlchen inmitten seiner Spielsachen saß, sich aber offenbar sehr unglücklich fühlte.

»Du bist allein, Klärchen, und Du weinst?« fragte er, indem er das Kind emporhob.

Die Kleine legte ihren Kopf an seine Wange.

»Ja,« schluchzte sie, »sie sind alle fortgegangen, erst Tante Müller und dann auch die Sophie; und meine Puppen wollten nicht gerade sitzen und da half mir niemand, daß sie artig wurden!«

»Ei, dann hilft Dir jetzt der Papa, sei nun wieder fröhlich!« sagte der Major; und dann knieete er neben der Kleinen nieder und hantirte mit den Sächelchen derselben, als wenn er die erfahrenste Kinderfrau gewesen wäre, so daß Klärchen keinen Grund behielt, über die Abwesenheit der gewöhnlichen Gesellschafterinnen zu trauern; und erst, als sie ihren Kummer vollständig vergessen hatte und wieder in ihr Spiel vertieft war, erhob er sich von ihrer Seite.

Seine Bewegung hatte der Klingel gegolten, deren Ruf er jetzt ertönen ließ; worauf alsbald ein Dienstmädchen erschien, das ein sehr erschrockenes Gesicht machte, als es den Herrn vor sich sah.

»Warum war niemand bei dem Kinde, Sophie?« fragte er ruhig, aber ernst.

»O, ich war wirklich nur auf einen Augenblick hinausgegangen!« suchte sich das Mädchen zu entschuldigen.

Bernthal begnügte sich, die Achseln zu zucken »Wo ist Fräulein Müller?« fragte er dann.

»Sie wollte einen Besuch machen, oder etwas einkaufen – ich weiß es nicht,« lautete Sophiens Antwort. »Sie ging gleich nach dem Herrn Major fort und wollte nicht länger als eine Stunde fort bleiben.«

Bernthal sah nach seiner Uhr. »Es ist gut,« sagte er dann, »Sie können jetzt gehen, ich selbst bleibe bei dem Kinde.«

Einen Einwand, den das Mädchen noch machen wollte, schnitt er mit einer kurzen Handbewegung ab; dann trug er sich Bücher und Schreibgeräth herzu und begann in der Nähe des Kindes zu arbeiten, soviel ihm die Ansprüche desselben die Muße dazu ließen, denn in der That beutete Klärchen es aus, daß der Papa neben ihr war und brachte in jeder Minute fast ein kleineres oder größeres Anliegen an ihn heran.

Mit unermüdeter Freundlichkeit aber ging Bernthal auf jeden Wunsch seines Kindes ein und nie machte es ihn ungeduldig, wenn er seinetwegen von seinem Buche aufsehen oder die Feder niederlegen mußte. Endlich aber zwang ihn die Kleine, seine Arbeit ganz ruhen zu lassen.

»Weißt Du etwas, Papa?« begann sie, »Du könntest mir einmal wieder die Mama zeigen, ich habe sie so lange nicht gesehen, daß ich ihr Gesicht gar nicht mehr kenne!«

Sofort stand Bernthal auf, nahm Klärchen auf seinen Arm und trug sie in das anstoßende, meist verschlossen gehaltene Zimmer, das vor Jahren von der verstorbenen Gattin bewohnt gewesen war. Dort hing auch das Bild der jungen Frau und ein gerade auf dasselbe fallender Lichtstrahl ließ die nahezu kindlichen Züge anmuthig hervortreten, so daß man im Moment von ihrer Lieblichkeit frappirt wurde und es gern ununtersucht ließ, ob viel geistige Bedeutung hinter ihnen verborgen lag oder nicht.

Bernthal hob die Kleine empor und sie lehnte ihr Köpfchen schmeichelnd neben das Antlitz in dem Rahmen.

»Die Mama hat mich sehr lieb gehabt, nicht wahr, Papa?« fragte sie dabei.

»Gewiß, Klärchen,« entgegnete der Major, »aber sie kannte Dich nur, als Du erst ein paar Wochen alt warst. Hätte sie dann nicht fortgemußt, sondern bleiben dürfen, bis Du größer würdest, so groß wie jetzt, würde sie Dich noch viel lieber gehabt haben!«

Mit einer schnellen Bewegung wandte Klärchen ihren Kopf und sah dem Vater mit großen, lebhaft begehrenden Augen ins Gesicht.

»Papa, hast Du keine andere Mama für mich, die mich jetzt lieb haben könnte?«

Ein Zucken, halb lächelnd und halb wehmüthig, glitt über Bernthals Züge.

»Ich meine, es darf Dir genug sein, daß Du den Papa dazu hast, Klärchen!« sagte er.

Klärchen fühlte sich offenbar nicht recht befriedigt; sie sah etwas mißmuthig drein.

»Andere Kinder habens doch noch besser,« sagte sie dann. »Nachbars Röschen, die gestern Geburtstag feierte, trug einen wunderschönen Kranz, den hatte ihre Mutter selbst für sie gewunden; und neulich erzählte sie mir auch, daß die Mama ihr auf dem Klavier etwas vorspielte und allerlei Lieder mit ihr sänge, so oft sie nur darum bäte!«

»Nun, Klärchen, wir wollen schon sehen, ob wir nicht auch solche Vergnügungen, oder doch ziemlich gleiche, für Dich fertig bringen,« suchte der Papa zu beschwichtigen. Und dann, nachdem er sein Töchterchen nach einem der weichgepolsterten Lehnsessel getragen und ihm einige der noch von den Zeiten seiner Frau herstammenden Nippsachen zum Spielen hingeschoben hatte, trat er selbst an eins der Fenster und lehnte seine Stirn für einen Moment gegen die kühlen Scheiben.

Wenn man aber hätte denken wollen, daß damit jene philosophischen Betrachtungen beginnen sollten, denen er sich, seinen Aeußerungen gegen den jungen Offizier nach, zu widmen gedachte, so mußte man sich zugleich sagen, daß dieselben ihn nicht völlig einnahmen, oder daß er ihnen nicht lange die Herrschaft über sich ließ, denn schon nach einer Minute richtete er sich wieder empor.

»Nein, nein, kein Bedauern jetzt!« sagte er vor sich hin. »Was nicht zusammen stimmt, bleibt besser geschieden; ich will es jetzt als Irrthum betrachten, daß ich je glauben konnte, die Harmonie zwischen uns ließe sich erringen!«

Sein Blick glitt hinüber zu dem Kinde, das sein Köpfchen wie müde auf die Hand stützte, während die Finger sich nur noch lässig mit dem bunten Allerlei, welches er zu seiner Unterhaltung hervorgesucht hatte, beschäftigten und noch einmal nahmen die Gedanken ihren eigenen Weg.

»Sie liebt die Kinder nicht, sie sagte es mir selbst ja einmal offen, auch die Hoffnung, daß eine andere Liebe es sie noch lehren werde, muß und soll mir nun eine Thorheit heißen.«

Er trat zu seinem Kinde heran und bemerkte, daß es eingeschlafen war. Noch einmal hob er es auf seinen Arm, jetzt aber mit der äußersten Behutsamkeit, damit es nicht erwache und trug es dann eben so vorsichtig nach dem Bettchen, in welchem es um diese Zeit seiner zarten Gesundheit wegen ein Stündchen zu ruhen pflegte; dann erst zog er sich in sein eigenes Zimmer zurück.

Nicht lange aber war er hier allein gewesen, als er durch ein Klopfen an die Thür und sodann auch durch den Eintritt derselben Person, welcher er vorhin vergebens nachgefragt hatte, gestört wurde.

Fräulein Müller war in großer Aufregung. Sie hatte sich mit einer großen Menge Entschuldigungen gewaffnet; aber schon die erste derselben schnitt der Major mit der ruhigen Entgegnung ab, daß sie beide sich gute wie böse Worte sparen wollten, da diese zusammengenommen weder das, was geschehen sei, noch das, was zu geschehen habe, ändern könnten. Er betrachtete einfach ihr Verhältniß zu seinem Hause als gelöst und bäte sie ein Gleiches zu thun.

Das Fräulein war aufs äußerste betroffen und gereizt; aber weder Bitten und Thränen, noch auch die seiner eigensinnigen Härte gemachten Vorwürfe erschütterten ihn. Er zuckte ruhig die Achseln und sagte:

»Es ist hier kein Ausgleich möglich, Fräulein Müller! Handelte es sich auch nicht einmal um mein Theuerstes, gegen das Sie sündigten, als Sie Klärchen gegen meinen ausdrücklichen Willen während meiner Abwesenheit verließen, wäre mein Vertrauen nur im geringsten Stück betrogen worden, ich würde ebenso verfahren. Wer ein Regiment zu führen hat, der muß es behaupten!«

Er verbeugte sich nach diesen Worten leicht; sowohl zum Zeichen, daß er die Unterredung jetzt als beendigt ansehe, wie um anzudeuten, daß diejenige, in deren Händen zwei Jahre hindurch die Führung seines Haushalts und die Pflege seines Kindes gelegen hatte, in diesem Augenblicke bereits eine Fremde für ihn geworden war; und als dann Fräulein Müller, die den Major gut genug kennen mochte, um es zu wissen, daß ihre Partie vollständig verloren war, sich unter halbem Schluchzen zur Thür wandte, schritt er ihr noch nach, um ihr höflich zu sagen, es verstände sich von selbst, daß sie als Gast in seinem Hause bleiben könne, bis sie ihre Sachen geordnet und für die Sicherheit ihrer nächsten Zukunft gesorgt habe, an ihren Posten jedoch werde, und wie er hoffe heute schon, eine Haushälterin treten, die er früher im Dienst gehabt, dann aber wegen Krankheit entlassen habe; eine Botschaft an dieselbe sei bereits von ihm abgeschickt worden. Damit war der häusliche Zwischenfall erledigt.


III.

Es machte sich ganz von selbst, daß alle Pläne, welche Waringer für seine nächste Zukunft gebildet hatte, eine Veränderung erlitten und so war es leicht gewesen, ihn zum vorläufigen Verweilen in dem Hause von Isabellens Bruder zu bewegen, wodurch sich gleichzeitig das Verhältniß zu der Familie des letzteren rasch befestigt hatte. Halb war er in dem allgemeinen Wohnzimmer heimisch und halb in dem Boudoir seiner Verlobten, die ihn mit liebevollem Eifer zwang, all seine Entwürfe vor ihr auszubreiten, denselben aber alsdann eine eben so liebevolle Theilnahme schenkte und nicht müde ward, hier ihr Lob, ihre Billigung auszusprechen und dort mit sicherem Verständniß einen Einwurf zu machen oder einen klugen Rath zu ertheilen

Auch in dieser Stunde befanden sich die Verlobten in dieser Art mit einander beschäftigt, doch war das Sprechen bis jetzt mehr auf Isabellas Seite gewesen, denn sie gerade hatte heute von einem Plan geredet, für den bereits vieles von ihr geordnet und vorbereitet worden war und den sie jetzt, als eine Ueberraschung gewissermaßen, dem jungen Manne in seinen Einzelheiten entwickelte. Gleich nach der Hochzeit, die, wie festgestellt war, in wenigen Monaten stattfinden würde, wollte man den Weg nach Italien nehmen, in Rom, in Florenz Wohnung suchen, und im Anschauen der unsterblichen Meisterwerke sollte dann Leopolds künstlerische Kraft die letzten und höchsten Weihen empfangen.

Seine Augen hatten bei ihren Worten oftmals hell geleuchtet, dann aber waren auch wieder Schatten über seine Züge geglitten und im ganzen hatte er nur seltene und kurze Antworten für ihre beredten Auseinandersetzungen gehabt. Seine Schweigsamkeit ward ihr endlich ein wenig auffallend und entlockte ihr die halbscherzende Frage, ob seiner Begeisterung plötzlich die Flügel lahm geworden wären.

»Ich weiß es selbst nicht, Isabella,« entgegnete er ehrlich, »ich fühle aber, daß ihr etwas genommen ist, woraus sie bisher ihre beste Kraft sog: der Traum, dies Reisen – alle Genüsse erst als Lohn für Mühe und Arbeit zu empfangen!«

»Und ist für diesen »Traum« nichts Wirkliches an die Stelle getreten?« fragte sie ihn lächelnd.

»O gewiß!« rief er lebhaft, »Deine Großmuth – meine unbegrenzte Dankbarkeit –«

»Geh!« unterbrach sie ihn etwas unwillig, »Du wirst unleidlich, wenn Du so redest, Du könntest bessere Worte in den Mund nehmen.«

Ehe er sie befriedigen konnte, wurde das vertraute Gespräch, wie schon bei einer früheren Gelegenheit, durch Mathilde unterbrochen, die indessen diesmal nicht in Versuchung kam, sich als ein beschämter Eindringling zurückzuziehen, sondern die es geradezu auf eine Störung des Brautpaares abgesehen hatte. Es sei seit einer Stunde, so berichtete sie, das schönste Wetter geworden, nach welchem wenigstens sie selbst sich während des heutigen Regenmorgens inbrünstig gesehnt habe, da sie sich in ihrem Zimmer stets fühle wie in einem Gefängnisse. Weiter brauchte sie nicht zu reden.

»Mathilde hat recht!« rief Leopold aufspringend; »die Luft ist drückend in den Mauern hier und im Freien zu athmen ist so köstlich! Wir wollen alle unsere Pläne aufgeben, für den Augenblick wenigstens, Isabella und dafür nur diesem Augenblick selbst leben, nicht wahr?«

Isabella widersprach nicht; warum sollte sie einem Vergnügen nicht heiter ins Auge schauen, um so viel heiterer, wenn sie die hellste Freude und Erwartung bei denen gewahrte, welchen sie jegliches Gute gönnte? So ward denn schnell das Vorhaben, welches Mathilde sich in ihrem Köpfchen ausgedacht hatte, durchgesprochen und festgestellt. Aus dem See, der gerade hinter dem Brunnerschen Garten eine Bucht in das Land machte, sollte eine Bootfahrt gemacht und dann vielleicht noch dem gegenüberliegenden Ufer, wo sich schöne Waldpartien befanden, ein kurzer Besuch abgestattet werden. Das Unternehmen versprach das beste.

In einer Viertelstunde war alles zur Abfahrt fertig, da das hübsche kleine Fahrzeug, welches Isabella erst vor einiger Zeit auf Zureden und zum großen Jubel ihrer jungen Nichte hatte herstellen lassen, von selbst zur Verfügung stand und ein Ruderer, in der Person eines Arbeiters, der häufig diesen Dienst versah, leicht gewonnen war.

Die kleine Gesellschaft stieg ins Boot und zugleich setzte sich Isabella, als ob dies etwas Selbstverständliches sei, an den Platz, von welchem aus dasselbe gelenkt werden mußte. Leopold sah etwas verwundert aus:

»Ich denke nicht, daß Du steuern willst, Isabella?«

»Ja, gewiß,« entgegnete sie, »es ist immer so, Mathilde kann Dirs bestätigen!«

»Nun ja,« rief er aus, »aber jetzt bin ich doch hier und auch ich verstehe, das Steuer zu führen!«

»Kann sein,« sagte sie kurz, »aber laß mir meine Gewohnheit, bitte, und setz Dich dort zu Mathilden!«

Der junge Mann sagte kein Wort, sondern that, wie ihm geheißen ward. Einen Augenblick lang nur lag es wie ein leichter Schatten über seinen Zügen, dann aber sorgte Mathildens Fröhlichkeit dafür, daß jede kleine Mißstimmung rasch verschwinden mußte. Ein besonderes Wohlbehagen durchdrang heute ihr ganzes Wesen und dasselbe lag nicht weniger in den hellen Augen, die mit den schimmernden Wellchen des Sees um die Wette glänzten, als in der Weise, wie sie bisweilen die frischen Lippen öffnete, um den feuchten Hau der letzteren gleichsam in sich hinein zu trinken.

Leopold betrachtete sie eine Weile schweigend.

»Wenn nicht nach hergebrachtem Recht die Undinen schwermüthig sein müßten,« sagte er dann halb scherzend, »so würden Sie jetzt zur Undine für mich.«

Sie lachte.

»Ach ja, so etwas möchte ich schon sein! Es wäre köstlich, wenn man so in die Flut tauchen dürfte, als hätte man dort unten sein Haus!« Und dabei steckte sie unwillkürlich die Hand in das Wasser, das sie plätschernd durch die zierlich-feinen Finger gleiten ließ. Ebenso unwillkürlich aber senkte Waringer die eigene Hand unter den Spiegel, um die ihrige zu fassen.

»Was zum Fischlein wird, fängt man!« rief er fröhlich.

Blitzschnell aber und geschickt hatte sie ihm ihre Hand entwunden, um den Rücken der seinen mit einem Schlage zu treffen, der ihn freilich nicht sehr schmerzen konnte, doch aber die Tropfen so hoch aufspritzen ließ, daß sie von seinem Gesicht und aus seinen Haaren niederrieselten.

»Da,« sagte sie dabei, »das für den, der mir nahe kommt!«

Isabella hatte vom Steuer aus der kleinen Scene zugeschaut.

»Recht so, Mathilde!« rief sie jetzt lachend der Nichte zu: »keinen Deiner Finger, auch nicht den kleinsten, laß durch Gewalt gefangen nehmen! Und willst Du ihm jetzt eine Strafe dafür diktiren, daß er nur den Versuch wagte, ich wende sie nicht von ihm!«

»Eine Strafe,« sagte das junge Mädchen nachdenkend, »ei nun, mir fällt nicht gleich etwas bei, aber an den Auftrag soll er denken, den er neulich übernommen hat! Sie wissen doch noch, Leopold?«

»Ja, ja,« sagte der Gefragte etwas hastig, vielleicht, weil es ihm in diesem Augenblick aufs Herz fiel, daß er die Sache, an die ihn ihre Worte eben jetzt erinnerte, fast aus dem Sinn verloren hatte und daß ihm nur noch wenige Tage für jenen Auftrag übrig blieben.

Während er sich darauf die ganze Verabredung wie sein eigenes Versprechen zurückrief, richtete er seine Augen auf Isabella, die den Kopf so gewandt hatte, daß sich die klaren, edlen Linien ihres Profils scharf von dem sonnigen Hintergrunde abhoben. Unbeweglich, wie sie selbst in diesen Augenblicken war, betrachtete er sie und derselbe leuchtende Ausdruck, der sein Gesicht in den Momenten des begeistertsten Schaffens zu verklären pflegte, ging in seinen Zügen auf. Erst als sie ihre Stellung veränderte, um mit dem Ruderer wegen verschiedenen Weisungen einige Worte zu tauschen, kehrte auch er sich ab und sagte gegen Mathilde gewandt, leise und halb träumerisch:

»Wie schön Isabella ist!«

Mathilde warf nur einen flüchtigen Blick nach der Tante hinüber.

»Ja,« sagte sie, »aber das steht so fest, daß ich kaum noch daran denke!«

Das Boot hatte in diesem Augenblick den Landungsplatz am gegenüberliegenden Ufer erreicht und Leopold sprang heraus, um seinen Damen ans Land zu helfen. Sofort aber erkannte die kleine Gesellschaft an munteren Stimmen, die sich aus einiger Entfernung hören ließen, daß sie sich nicht allein an dem Vergnügungsort befand; es hatten sich viele Besucher eingefunden, die von verschiedenen Seiten zusammen gekommen waren; und nicht lange dauerte es, so waren die neuen Gäste in den allgemeinen Kreis hineingezogen und nahmen wenigstens die Damen an der Unterhaltung den lebhaftesten Antheil, während Leopold sich allerdings mit einer passiveren Rolle begnügte. Er fühlte es in sich, daß er all diesen Menschen und Interessen ziemlich fern stand und konnte doch, in diesem Augenblick wenigstens, kein rechtes Verlangen in sich rege machen, eine nähere Stellung zu ihnen zu gewinnen. So verhielt er sich meistens schweigend, wenn Isabella mit mehreren der Herren, welche ihr deutlich zeigten, welchen Respekt sie vor ihrem Geiste hatten, lebhafte Reden führte, oder wenn Mathilde von einem Schwarm junger Leute umringt war, die sie scherzend, plaudernd, lachend unterhielten.

Als sie zurückkehrten, stand Brunner am Ufer seines Gartens, um die Ankommenden zu begrüßen.

»Nun, habe ich Euch alle wieder?« sagte er freundlich. »Ich gestehe es, ganz ohne Sorgen bin ich nie, wenn Ihr beiden Frauenzimmer auf dem Wasser seid und so war es mir heute eine Beruhigung, daß ich Leopold bei Euch wußte!«

»Ei, wer weiß auch, ob wir nicht ohne ihn jetzt auf der Tiefe des Sees lägen!« rief Isabella etwas spöttisch; »jedenfalls kannst Du jetzt stolz sein, Leopold!«

»Nun, vor Stolz bin ich behütet!« sagte er, und ein aufmerksames Ohr hätte an seiner Stimme hören können, daß er etwas verletzt war, doch da in diesem Augenblick gerade eine lebhaftere Bewegung unter der kleinen Gesellschaft herrschte, so ging die Wahrnehmung anscheinend verloren, wenigstens fand sein Wort eine Entgegnung.

Auf dem Wege nach dem Hause ging Isabella an der Seite ihres Bruders; so gesellte sich denn Leopold zu Mathilden.

»Sie schwiegen zu jener Sache völlig, warum redeten Sie kein Wort hinein?« sprach er sie an.

Sie hob die Blicke verwundert zu ihm auf.

»Ja, was sollte ich denn machen, wenn Sie und Isabella nicht eines Sinnes sind?«

»Nun: Partei ergreifen, für oder wider!« rief er lebhaft. »Schon der Gedanke an die eigene Sicherheit forderte das!«

Sie lachte hell und lieblich auf. »Ach nein, mit solchen Gedanken quälte ich mich nicht! Wer es übernimmt, für mich zu sorgen, führt es wohl auch durch; ich lasse ihm die Verantwortung gern!«

Ihre naive Sorglosigkeit, anstatt seine Heiterkeit zu erregen, mußte eigenartige Gedanken in ihm erregen, denn anhaltend und ernst schaute er sie an, als er neben ihr dahin schritt. Eine Aeußerung kam dabei nicht über seine Lippen.

Der folgende Morgen brach heiter und sonnig für Mathilde an. Es war ihr Geburtstag und dieser Tag erfüllte sie noch mit kindlich-glücklichem Empfinden und in der Weise denn nahm sie all die großen und kleinen Ueberraschungen, welche die Ihren für sie bereitet hatten, entgegen.

Der Tag verlief in der Weise wie das junge Mädchen in der Regel den Geburtstag zu begehen pflegte. Es kamen Freunde und Bekannte, sie sammelte Geschenke, Blumen, Liebkosungen aller Art; und es entsprach ihrem Wesen, daß alles das sie in die glücklichste Stimmung versetzte, auf die es nur wie ein halber Schatten fiel, als Leopold und Isabella sich nach einander von er Feier zurückzogen, wie sie denn auch beide im Verlaufe der Stunden nur selten wieder zu Gesicht bekam.

Dann aber ward es Abend; die Gäste verliefen sich und nun trat auch Leopold wieder an sie heran.

»Ich habe Sie noch um eins zu bitten, Mathilde,« sagte er, indem er ihre Hand erfaßte, »daß Sie mir Lebewohl wünschen, morgen früh reise ich.«

»Sie, Leopold?« rief sie, indem sie ihn mit großen, erschrockenen Augen ansah; »aber Sie wollten ja noch bleiben, eine Woche wenigstens!«

»Ja,« entgegnete er, »aber die lange Ruhe thut mir nicht wohl; ich muß wieder arbeiten, mit aller Kraft! Mit Isabellen sprach ich schon; ihr war es recht so, da hatte ichs nur Ihnen noch mitzutheilen.«

»Und das thun Sie an meinem Geburtstage!« sagte sie mit zuckender Lippe und indem sie ihn ansah wie ein Kind, dem man ein großes Unrecht zugefügt hat.

»Mathilde, thut es Ihnen wirklich weh – im Herzen?« rief er dringend und fast hastig ergriff er ihre Hand.

Wie mit Flammen übergossen, den Kopf gesenkt, stand sie vor ihm.

»Muß ich es sagen, Leopold?«

Er strich sich mit der Hand über die Augen.

»Nein, nein, sprechen Sie nichts; es ist besser für uns beide!«

Darauf kehrte er sich ganz von ihr ab und machte zuvor ein paar Gänge durch das Zimmer, bis er wieder zu ihr treten konnte. Noch einmal faßte er nun ihre Hände.

»Zu unserer Hochzeit sind es noch zwei Monate, so lange bleibe ich fort und wenn ich wiederkehre, werde ich Sie wohl nicht sehen, nicht wahr? Sie wollen doch auch reisen, zu den Verwandten Ihrer Mutter, meine ich.«

Sie nickte.

»Ich wollte bis dahin zurück sein, aber –«

»Aber man wird Sie dort nicht fortlassen!« fiel er ein; »ich sehe es voraus und Sie, nicht wahr, Mathilde, Sie kehren dann erst heim, wenn – wenn alles vorüber ist?«

»Ja,« sagte sie leise, »so soll es sein«

Er ließ schnell ihre Hände los, denn er konnte die Thränen nicht sehen, die ihr ins Auge stiegen.

Das Alleinsein der beiden jungen Leute sollte aber jetzt kein langes mehr sein, denn Mathildens Vater kam herein; und wie ihnen im Moment der äußeren Störung der Sinn für ihre Umgebung wiederkehrte, so bemerkten sie gleichzeitig, daß es in wenigen Minuten auffallend dunkel um sie her geworden war. Die Erklärung aber gaben ihnen die ersten Worte des Justizraths.

»Es ist ein schweres Gewitter im Anzuge, Kinder,« sagte er, »und dann habe ichs immer am liebsten, wenn alle Hausgenossen beisammen sind. Nun, Ihr seid ja da, aber wo mag Isabella stecken? In ihrem Zimmer sah ich vergeblich nach ihr.«

Weder Leopold noch Mathilde konnten Auskunft geben; dagegen berichtete ein durch die Klingel herbeigezogenes Dienstmädchen, das gnädige Fräulein sei vor einer Stunde etwa in den Garten hinabgegangen.

»Ei, aber dort ist sie jetzt nicht!« entgegnete Brunner, zum Fenster tretend. »Man kann ja alles Plätze und Wege von hier aus überschauen.«

»Aber nicht den See!« rief Mathilde, von einer Ahnung ergriffen, »und Isabella liebt es zuweilen, ganz allein umherzufahren.«

»Aber bei diesem Wetter!« wandte Leopold ein. »Das Gewitter, ich entsinne mich jetzt, stand vor länger als einer Stunde schon am Himmel!«

»Nun, möglich wäre es immer, daß sie auch hierin wieder einmal einer ihrer starrköpfigen Launen nachginge!« sagte Brunner halb ärgerlich und halb besorgt; und dann folgte er, wenn auch langsamen Ganges, dem jungen Mann nach, der unmittelbar auf die eigenen Worte und trotz ihres Zweifels doch hinausgeeilt war, um an der betreffenden Stelle nach Isabella zu suchen. Als Brunner ihn am Ufer des Sees erreichte, hatte er schon eine Weile hinausgespäht.

»Es ist gottlob kein Boot zu sehen!« rief er dem älteren Manne mit erleichtertem Tone entgegen. »Isabella wird einfach einen Ausgang unternommen haben und jetzt bei Freunden oder Bekannten sein.«

»Wohl denn!« sagte Brunner zufriedengestellt. »So lassen Sie aber auch uns umkehren, denn der Aufenthalt im Freien hat jetzt sein Unheimliches.«

Die Worte waren begründet, denn in der That zuckten aus der tiefschwarzen Wolkenwand die Blitze immer greller und in immer kürzeren Zwischenräumen und das Rollen des Donners nahm fast kein Ende wenn auch sonst noch eine ziemliche Stille in der Natur herrschte.

Leopold schien sich indessen nicht von der Stelle wenden zu wollen; ja, er eilte in diesem Augenblick sogar noch um ein paar Schritte weiter vorwärts, bis an den äußersten Rand des Ufers.

»Wenn mich mein Auge nicht täuscht,« rief er dem Schwager zu, »und nein, ich sehe es jetzt deutlich, dort hinter der kleinen Landspitze taucht ein Boot auf; es ist außer dem Ruderer nur eine Gestalt in ihm, eine weibliche – es muß Isabella sein!«

Der Justizrath ließ nur einen einzigen, kurzen Laut des Unmuths hören; dann aber spähte auch er hinaus.

»Natürlich ist sie es!« bestätigte er nach einer kleinen Weile; »aber sie kommen ziemlich rasch näher, ist das Glück gut, so können sie hier sein, ehe das Wetter völlig ins Toben geräth!«

Damit wandte er den Kopf gegen den Himmel, um an der Schnelle, mit welcher die Wolken heraufzogen, die wahrscheinliche Frist zu berechnen. Ein halb erschrockener Ausruf Leopolds unterbrach jedoch seine Beobachtungen schnell.

»Was ists?« fragte er.

»Mein Gott, sie ziehen das Segel auf, wenn man sie doch warnen könnte.«

Brunner zuckte die Achseln. »Und wenn das zugleich helfen würde!« sagte er mit halbem Spott. »Lassen Sie uns hoffen, daß sie wie gewöhnlich Glück hat und ihr die bösen Zufälle fern bleiben!«

Leopold hatte mittlerweile seine beiden Hände an den Mund gelegt.

»Segel nieder!« rief er mit aller Kraft seiner Lungen hinüber.

Aber entweder war die Entfernung zu groß und die Gewalt des entgegenstehenden Windes so stark, daß die Worte verhallen mußten, oder sie wurden einfach nicht beachtet; jedenfalls blieb die Weisung vergeblich.

Dafür aber schoß jetzt das Boot unter dem Druck des Segels rasch vorwärts, wenige Minuten mußten es völlig an den Strand bringen und Leopold wie Brunner durften aufathmen, ja, der letztere konnte sich nicht enthalten, mit einem hellen Lachen auszurufen:

»Sie thut, was sie will, aber sie hat ein Recht dazu, denn es gelingt ihr alles!«

Da mit einem Male, als das kleine Fahrzeug nur noch um wenige seiner Längen von ihnen entfernt war, erhob sich plötzlich ein sausender Windstoß und in demselben Augenblick geschah, was wenigstens der eine der beiden Männer in Furcht und Ahnung hatte herankommen sehen, das Boot kenterte und seine beiden Insassen sanken in das feuchte Element, welches über ihren Köpfen zusammenschlug. Eine Sekunde bangster Erwartung! Dann sah man die Körper wieder emportauchen und ein Theil der Angst wenigstens durfte sich mildern, die Gefahr für Isabellas Begleiter, einen halbwüchsigen Burschen, wie man hatte unterscheiden können, war nicht groß, er hatte glücklich den Rand des umgeschlagenen Bootes erfaßt und mußte mit Hilfe der vom Wind erregten Strömung von selbst ans Ufer treiben.

Anders stand es um Isabella; sie war ihrer Lage offenbar nicht gewachsen und das machtlose Umschlagen der aus dem Wasser hervorragenden Körpertheile zeigte es deutlich. daß sie alle Widerstandskraft verloren hatte und in der kürzesten Zeit vollends eine Beute des letzteren werden mußte.

Nun freilich dauerte die ganze Gefahr nicht über wenige Augenblicke hinaus, denn wenn auch der Justizrath, vor Schreck gelähmt, nicht im Stande war, das geringste für die Hilfsleistung, die ja an der Sekunde hing, zu thun, so hatte sich doch Leopold schon während dieser nämlichen Sekunde in den See gestürzt, um sich an Isabellas Seite zu bringen. Seiner geübten Schwimmkunst wie seinem kräftigen Arm ward es denn nicht schwer, jedem weiteren Unheil zuvorzukommen und die Rettung glücklich zu vollbringen.

In kürzerer Zeit, als man später für die Erzählung gebrauchte, befand sich Isabella in Sicherheit; doch war sie kraftlos und halb betäubt und mußte darum von ihrem Bruder und Leopold zurück nach der Wohnung getragen werden, der erschrockenen Mathilde entgegen, welche vom Zimmer aus einen Theil des Vorgangs wahrgenommen hatte und nun, des schmetternden Gewitters und des niederprasselnden Regens nicht achtend, hinausgeeilt war, um an die unglückliche Stätte zu gelangen.

Der Beistand des jungen Mädchen war nun auch das erste, was der Angegriffenen noth that. Mathilde sorgte dafür, daß Isabella der nassen Kleider entledigt und dann auf ihr Lager gebracht wurde, wo derselben die Kräfte rasch so weit zurückkehrten, daß sie wenigstens einige Reden mit der Nichte tauschen konnte, während sie im übrigen den Wunsch aussprach, für den Rest des Abends allein gelassen zu werden. Mit Eifer bestand sie jedoch darauf, daß der Vorfall keinen Einfluß auf Leopolds Entschließungen haben dürfe; es solle bei der einmal festgesetzten Abreise am nächsten Morgen bleiben.

Es war Mathilde selbst, welche diese Weisungen überbringen mußte. Nebenbei erfuhren die beiden Herren dann auch durch ihren Mund, was noch an der Erklärung des ganzen Ereignisses fehlte. Isabella müsse eine krankhafte Anwandlung in sich gespürt haben, berichtete das junge Mädchen, denn sie habe von einem Widerwillen gegen alles Sprechen und Hören, der sie beherrschte, geredet und hinzugefügt, dass es ihr seinetwegen zum Bedürfnis geworden sei, die Einsamkeit des Sees aufzusuchen.

Ohne viel Wahl hatte Isabella dann, nach der Erzählung, da der gewöhnliche Ruderer nicht zur Stelle gewesen, mit jenem Burschen vorlieb genommen, der ihr zufällig in den Weg gekommen war. Für Handlangerdienste, deren sie nur zu bedürfen glaubte, konnte er so gut dienen wie ein anderer.

Der Einfall, das Segel aufzuziehen, war, so hatte sie ausdrücklich erklärt, ihr eigener gewesen und nur von ihrem jungen Gefährten mit Jubel aufgenommen worden, indem dieser in dem schnelleren Hinfliegen über das Wasser seinen Spaß gefunden habe, während ihr selbst lediglich der erhöhte Kampf mit den Elementen das Lockende gewesen sei.

Der Justizrath schüttelte den Kopf.

»So ist Isabella! Immer mit vollen Segeln auf ihr Ziel los! Sie werden noch oft zu thun bekommen, Leopold, daß Sie Ihre Geduld bewahren.«

»Ich hoffe, Isabellas eigener Werth wird mir dazu helfen!« sagte der junge Mann ruhig.

Leopold brauchte am andern Morgen nicht nicht abzureisen, ohne Isabella noch wiedergesehen zu haben, da sie nicht eigentlich krank war. Immerhin erschien sie sehr bleich und er bedurfte daher keiner Frage, um es sich sagen zu können, dass sie sich noch sehr angegriffen fühlte. Und dieser Umstand mochte es denn auch erklären, daß ihre Worte nicht den gewohnten lebhaften Ton hatten und daß der Abschied, welchen sie von dem Verlobten nahm, überhaupt kühler ausfiel, als ihr Verhältniß zu ihm hatte erwarten lassen. Auffallen konnte es aber doch einigermaßen, daß sie selbst die Rede nicht wieder auf das gestrige Ereigniß kommen ließ und so konnte der Bruder sich nicht enthalten, ihr darüber, nachdem Leopold gegangen war, einen leisen, wenn auch freundlichen Vorwurf zu machen. Ihre Antwort klang aber nahezu unfreundlich.

»Ich hätte ihm dafür danken sollen, meinst Du, daß er sich die Mühe nahm, mich nicht ertrinken zu lassen?« sagte sie. »Nein, ich statte ihm diesen Dank wohl noch in anderer Weise ab!«


IV.

Brunner und seine Tochter machten in den folgenden Tagen unter sich die Bemerkung, daß Isabellas Konstitution durch die unfreiwillige Taufe doch eine stärkere Erschütterung erlitten haben müsse, als sie zugeben wollte, indem ihnen beiden ihr Aussehen wie ihr Wesen verändert schien. Sie selbst behauptete dagegen fortwährend, sich ganz wohl zu fühlen und darum auch lehnte sie eine gelegentliche Bitte, ihrem Arzt von der Sache zu sagen, stets mit einem Lachen, das freilich wieder nicht so recht heiter erklingen wollte, ab.

»Ich habe nicht versäumt, mich an jenem Tage gleich selbst in die Kur zu nehmen,« sagte sie, »auf die Art wie es mir gut schien und ich weiß, daß es so recht war!«

Nachdem ungefähr eine Woche seit Leopolds Abreise verflossen war und nachdem auch Mathilde zum Zweck jenes Besuchs das Haus ihres Vaters verlassen hatte, suchte Isabella den Bruder eines Tages in seinem Zimmer auf.

»Ich theilte Dir vor einiger Zeit an dieser Stelle meine Verlobung mit, Wilhelm,« begann sie; »nun mußt Du etwas Anderes erfahren: Leopold und ich sind wieder frei von einander.«

Brunner fuhr empor; in seinem Gesicht flammte eine plötzliche Röthe auf.

»Er hat es wagen können?« rief er aus, »er ist zurückgetreten?«

Sie legte ihm rasch die Hand auf den Arm.

»Still, Wilhelm, thu ihm nicht unrecht und beleidige mich nicht! Ich war es, ich nahm mein Wort zurück und gab ihm das seine wieder«

»Isabella!« rief er betroffen.

»Es war eine Uebereilung,« erklärte sie ihm, »von meiner Seite! Ich weiß es jetzt ganz gewiß, daß ich nicht glücklich durch ihn werden konnte; es ist dasselbe, was ich auch ihm gesagt habe.«

Die Kälte ihres Tons verletzte ihn; er fand in diesem Augenblick, was er selten für die Schwester hatte: einen Vorwurf!

»Du dachtest nur an Dich, Isabella, nicht an ihn, dem Du alles nimmst, was Du ihm gegeben hattest; gilt Dir sein Herz nichts?«

»Er muß sich trösten und er wird es!« sagte sie eigenthümlich abweisend. »Ich denke, schon in diesem Augenblick wird er sich mit der Thatsache abgefunden haben«

»So ist nichts mehr an Deinem Beschluß zu ändern?« fragte der Bruder dringend. »Besinne Dich, Isabella – es leitet Dich vielleicht eine Laune und so schnell Deine Stimmung sich gegen ihn wandte, könnte sie noch einmal umschlagen!«

«Nie!« entgegnete sie fest.

»Ich habe Dich mit der Angelegenheit verschont,« fuhr sie dann fort, »weil sie zwischen Leopold und mir allein zum Abschluß gebracht werden mußte. Das ist nun geschehen. Wir haben einige Briefe gewechselt; heute Morgen erhielt ich den letzten von ihm, danach durfte ich reden.«

»Aber so sprich doch auch von ihm, was er erwiederte, wie er es trägt, daß Du ihn verlassen willst!« drängte der Bruder.

Sie besann sich nun kurz.

»Du kannst seinen letzten Brief lesen, es ist nichts im Wege,« sagte sie und legte das Blatt vor ihn hin.

Brunner überflog die Zeilen.

»Er ist tief erschüttert,« sprach er halb vor sich hin, »er fühlt sich als den Schuldigen, der Dir unabsichtlich Grund gab, daß Du ihm Deine Liebe entzogst, er bewahrt Dir seine Dankbarkeit, seine Verehrung, Isabella,« erklärte er nach einer kleinen Weile nachdrücklich, indem er das Papier zusammenlegte, »hier steht es geschrieben, daß Leopold Waringer ein Mann von Ehre und Charakter ist!«

»Der Reden über die Sache werden viele sein,« fuhr Isabella fort, »ich will ihnen das Feld räumen. Doktor Weber forderte es längst, daß ich gegen meine gelegentlichen Kopfschmerzen einmal ein Seebad gebrauchen sollte, ich kann ihm jetzt den Gefallen thun, seinen ärztlichen Rath zu befolgen! Ich möchte auf einige Wochen –warum nicht auch auf einige Monate? – nach Sch. gehen und habe mich seit mehreren Tagen mit den Vorbereitungen dazu beschäftigt, so könnte ich morgen schon abreisen.«

»Wie es Dir gefällt, Isabella!« sagte er, und mit einem halb unterdrückten Seufzer fügte er hinzu: »Du bist ja in jeder Beziehung selbstständig und folgst in allen Dingen Deinem eigenen Willen, in allen!«

Das Wort machte doch, daß sie noch einmal zu ihm zurückkehrte, als sie schon die Thür erreicht hatte.

»Laß es immerhin gut sein so, Wilhelm, und trag es, daß ich von etwas besonderem Thon bin,« sagte sie, indem sie ihre Hand auf seine Schulter legte, »denn darum breche ich auch nicht so leicht zusammen!«

Er sagte kein Wort zur Erwiederung, aber er küßte sie doch.

So unangefochten wie Isabella sich während der Unterredung mit ihrem Bruder gezeigt hatte, schien sie doch nicht zu sein, als sie sich nach derselben wieder in ihrem Zimmer befand; vielmehr ging sie hier ziemlich unruhig auf und ab. Vielleicht war es aber auch ein neuer Gegenstand, der sie jetzt beschäftigte, ein bißchen fremder Gedanke, der sie zu irgend einer Ueberlegung zwang. Zu einem vorläufigen Abschluß kam die letztere denn jedenfalls auch bald, in dem Augenblick, als sie draußen die Frage nach ihrem Bruder aussprechen hörte und an der Stimme erkannte, wer soeben in das Haus getreten war.

»Der Zufall ist gut und er soll mir helfen!« murmelte sie vor sich hin, als sie den Kopf wieder emporrichtete, dessen Miene bereits etwas heller geworden war.

Als der Gast sich nach einem längeren Besuch bei dem Herrn des Hauses wieder entfernen wollte, trat sie ihm auf dem Korridor entgegen.

»Ich möchte ein paar Worte mit Ihnen wechseln, Herr Major!« sagte sie.

Mit einer Verbeugung folgte er ihr in das Zimmer.

»Daß Herr Waringer nicht mehr mein Verlobter ist, wird mein Bruder Ihnen gesagt haben!« begann sie mit glücklich erzwungener Sicherheit.

»Ja, Fräulein Isabella!« entgegnete er ernst; ein weiteres Wort aber fügte er nicht hinzu.

»Gut denn,« sagte sie etwas stolz, »es war auch nicht diese Sache, über welche ich mit Ihnen reden wollte, aber einer Hand bedarf ich, die ausführt, was ich mir vorgesetzt hatte und so nahm ich es gern für einen Fingerzeig, daß Sie gerade ins Haus treten mußten, weil Sie sich doch jüngsthin meinen Freund nannten.«

»Wenn ich Ihnen dienen kann, so stehe ich Ihnen natürlich zu Befehl!« unterbrach er sie, ohne aber doch sonst ganz aus seiner Peinlichkeit herauszutreten.

Sie neigte leicht, wie zum Zeichen des Dankes ihr Haupt und begann dann sofort:

»Jene Verbindung mit Leopold also habe ich gelöst, aber ich möchte nicht, daß seine Zukunft dies empfände. Mein Vermögen ist zum Glück groß genug, um diese neben meiner eigenen sicher stellen zu können, die Hälfte meines Besitzes ist darum für ihn. Aber wie ich selber keinen Dank will, so soll ihm die Annahme leicht gemacht werden, und darum suchte ich nach einer Vermittelung, meinen Bruder durfte ich dazu nicht wählen und so richtete ich denn meine Augen auf Sie, Herr Major.«

Einen Augenblick lang preßte er die Lippen zusammen. »Es thut mir sehr leis, daß Sie das thaten, Fräulein Isabella!« sagte er dann.

Sie sah ihn groß an, denn sie wußte nicht, ob sie ihren Ohren trauen müsse. Ein kurzes »Wie?« war alles, was sie hervorbrachte.

»Ich kann Herrn Waringer Ihr Anerbieten nicht zustellen, weil er glauben könnte, ich sei der Meinung, daß er dasselbe annehmen könne«

»Sprechen Sie deutlicher!« rief sie ungeduldig.

»Ich meine, die Sache ist einfach,« entgegnete er ruhig. »Weil ich Herrn Waringer durch unsere Bekanntschaft achten gelernt habe, darf ich ihm keine Handlung vorschlagen, die ihn in meinen Augen herabsetzen würde.«

»Herr Major Bernthal, sehen Sie zu Ihren Worten!« schleuderte sie ihm gereizt entgegen.

»Ich kann diese Worte nur wiederholen,« entgegnete er in voller Entschiedenheit. »Wenn Waringer es sich durch Geld,« er sprach das Wort mit großer Verachtung aus, »vergüten ließe, daß man mit ihm gespielt hat, so würde ich seine Hand nicht annehmen, wenn er sie mir je im Leben wieder bieten sollte.«

Auf Isabellens Antlitz kämpfte Röthe und Blässe.

»So wären wir denn mit einander fertig, Herr Major!« sagte sie und wollte sich von ihm wenden. Er jedoch trat ihr näher.

»Isabella,« begann er, und nun lag wirklich etwas wie Bewegung in seiner Stimme, »ein Wort noch: Sie behaupteten Ihre Freiheit, nun gönnen Sie auch ihm die seine! Ueberlassen Sie ihn seinem Talent! Die Tausende, welche Sie ihm bieten möchten, würden ein armseliges Ding bleiben gegen das Hochgefühl, sich die Welt durch eigene Kraft erobert zu haben.«

Isabellas Stimmung war in diesem Augenblick eine zu bittere, als daß das Wort auf guten Boden hätte fallen können.

»Ich fordere Ihre Lehre nicht, Herr Major,« sagte sie gereizt, »aber ich danke Ihnen dennoch für dieselbe. Sie geben mir ja Recht, wenn ich es sage, daß jeder im Leben für sich selbst stehen soll und so will ich denn auch für mich hoffen, daß mir die eigene Kraft treu bleibt und ich nie wieder eine Hilfe oder Stütze zu suchen brauche!«

Die Worte waren so sehr im Sinne mancher früheren Rede gesprochen und dazu selbst in wirklich scharfem Tone, daß Bernthal sie wohl für eine neue und berechnete Kriegserklärung halten mußte, und vielleicht war gerade das Schweigen, mit welchem er ihre Rede anhörte, der beredtste Beweis, daß er die letztere annahm.

Für das Ende der Unterredung und für die Trennung genügte ihnen beiden ein kühler Abschied.


V.

In Sch., dem kleinen, lieblich gelegenen Badeort, hatte Isabella nun schon seit einer Reihe von Wochen einen Aufenthalt genossen, der ihr zusagte. Die unmittelbare Nähe der See auf der einen, die Nachbarschaft der bis hart an das Ufer reckenden prachtvollen Waldungen auf der andern Seite, alles that ihr wohl; sie hatte volle Freiheit, dort wie hier die frische balsamische Luft zu athmen, ihre Bewegungen auszudehnen, oder zu beschränken und wenn sie auf freundliche Fragen ihrer Bekannten erklärte, sie vermöge die beruhigende Wirkung von dem allen auf ihre etwas gereizten Nerven deutlich zu erkennen, so hätte es einem dritten, der sie etwa beobachtete, scheinen dürfen, als ob jener Einfluß noch tiefer ginge, denn auch in ihrer Stimmung erschien sie besänftigter und vielleicht hätte man es um diesen Preis hinnehmen mögen, daß sie sich im ganzen stiller zeigte als früher und ihre natürliche Lebhaftigkeit oft wie durch einen Schleier verhüllt war.

Die Einsamkeit suchte sie gern und es war ihr daher auch gar nicht unlieb, daß, in der ersten Zeit mindestens, das freundliche Dorf noch wenig besucht war; die kleine Zahl der anwesenden Gäste erlaubte ihr, alles Thun und Treiben nach vollem Gefallen zu regeln. Daß sie sich damit aber nicht von aller Theilnahme für andere lossagte, empfand vor allen Dingen Anton, der Sohn ihres Bruders, welcher auf der unfernen Universitätsstadt seine Studien machte und nicht selten herüberkam, um der schönen, jungen Tante, an der er mit schwärmerischer Begeisterung hing, gleichwie er von ihr sehr geliebt ward, seine Huldigungen zu bringen.

Außerdem aber war sie auch im Kreise der Fremden eine gefeierte Persönlichkeit und das blieb so, als die Gesellschaft sich allmählich vergrößerte; nur daß es ihr nicht immer willkommen war, wenn sie sich ausgezeichnet fand und es ihr vollends unerwünscht sein mußte, als sich zu den Verehrern ein Zuzügler gesellte und sogar in ihrer nächsten Nähe Quartier nahm, dessen Aufmerksamkeiten sie geradezu zurückzuweisen hatte.

Herr Baltus, ein wohlhabender Fabrikant, stammte ans ihrem eigenen Wohnort und war ihr stets eine unsympathische Persönlichkeit gewesen, dies aber noch in doppeltem Grade geworden, seitdem er angefangen hatte, seine Augen dieser Abneigung zum Trotz mit einem besonderen Interesse auf sie zu richten. Mehr oder minder deutliche Winke waren gegen seine Annäherungsversuche wirkungslos geblieben; erst ihre Verlobung sollte sie von den letzteren befreien. Nun sie aber unter veränderten Verhältnissen an diesem Orte wieder mit ihm zusammentraf, mußte ihr wohl der unbehagliche Gedanke kommen, daß er aufs neue den Einfall haben könne, irgend eine Zudringlichkeit gegen sie in Scene zu setzen.

Indessen, was kümmerte sie am Ende ein Herr Baltus? Fühlte sie sich ihm doch ja in einer Weise überlegen, daß es ihr unter keinen Umständen schwer fallen konnte, ihn in seine Schranken zurückzuweisen!

Und in der That, wäre Herrn Baltus' Selbstgefühl kein so hervorragendes gewesen, ihr Benehmen gegen ihn hätte es ihm schon in der ersten Stunde sagen können, daß sie nicht geneigt war, irgend eine Beziehung zwischen sich und ihm aufkommen zu lassen, so aber ermüdete er nicht, bei jeder Begegnung am Strande, in dem kleinen Hotel, dem allgemeinen Versammlungsort der Badegäste, oder wo es immer sein mochte, ihre Nähe zu suchen und wohl auch gar die Rechte der Nachbarschaft geltend zu machen und immer unzweideutigere Kundgebungen von ihrer Seite wurden nöthig, um ihn nur einigermaßen auf den von ihr gewünschten Standpunkt zurückzuführen.

Heute nun, an einem sehr warmen Tage, der sowohl den Wanderungen durch Wald und Flur, welche sie sonst sehr liebte, nicht günstig war, wie er zugleich den Aufenthalt in ihrer immerhin etwas engen und niedrigen Wohnung unbehaglich machte, war Isabella dem Beispiel einiger Damen gefolgt, die sich den hübschen, hart an die See stoßenden Garten jenes ländlichen Konversationshauses zum Verweilen ausgesucht hatten; und während sie mit ihrer Arbeit unter ihnen saß und die Kühle des schattigen Plätzchens und der Hauch der nahen Wellen sie erfrischend berührte, öffnete sich auch ihr Sinn der Unterhaltung, die heiter und nicht selten auch anregend in dem kleinen Kreise geführt wurde.

Mit einem Male aber flog der Ausdruck eines unangenehmen Empfindens über ihr Gesicht. Herr Baltus, der vielleicht gerade ihrer Spur nachgegangen war, zeigte sich am Eingang des Gartens und eine Minute darauf stand er wirklich inmitten der Gesellschaft.

»Heureka ruf ich aus, meine Damen,« begann er lachend, »Heureka! Haben sich ein hübsches Versteck ausgesucht, aber mir entgeht man nicht! Bin ein starker Jäger vor dem Herrn auf meine Weise, haha!«

Und damit ergriff er einen Stuhl und pflanzte ihn unmittelbar neben Isabella, um sich an deren Seite niederzulassen.

Die übrigen Damen sahen ihn halbverwundert an, zuckten auch wohl leicht die Achseln, setzten aber dann die eben unterbrochene Unterhaltung unter sich fort, ein Umstand, der ihm aber gerade erwünscht sein mochte, da er sich nun um so ungehinderter seiner schönen Nachbarin widmen konnte.

»Freut mich ungemein, den Weg hierher genommen zu haben, wirklich ungemein! Finde es selbst sehr behaglich hier, mein gnädiges Fräulein, nicht wahr?«

»Wenigstens fand ich es bis vor einigen Minuten!« entgegnete Isabella mit einem Ton, daß die gegenübersitzende Dame, eine sanfte kleine Frau, ihr einen erschrockenen Blick zuwarf.

Für Herrn Baltus mußte die Arzenei dagegen immer noch zu schwach gewesen sein, denn unverzagt entgegnete er:

»Kann wohl sein, daß man sich zuweilen ennuyirt, pardon, meine Damen, passirt einem ja in der besten Gesellschaft! es muß einem dann nur die richtige Unterhaltung kommen, und da kann ich vielleicht dienen, denn ein Herr, wahrhaftig ein Herr erfährt doch immer allerlei, was nicht an die Ohren der Damen herankommt!«

»Ich glaube Ihnen sagen zu können, Herr Baltus,« nahm Isabella das Wort, »daß jede der anwesenden Damen genau so gern wie ich selbst auf eine solche Chronik verzichten möchte!«

»Haha, verstehe schon!« lachte Herr Baltus. »Denken an das, was die Herren sprechen, wenn sie unter sich sind! Aber unbesorgt, gnädiges Fräulein, nehme volle Rücksicht auf mein Publikum, werde nichts vorbringen, als was selbst für ein Töchterinstitut paßt, haha, ja für ein Töchterinstitut!«

Und in gewisser Weise erfüllte Herr Baltus diesen Theil seines Versprechens wirklich, irgend eine pikante Würze hätte man in seinen Plappereien vergeblich gesucht! Nur mochte man sich fragen, ob es auch für junge Gemüther zuträglich hätte sein dürfen, eine solche Fülle von Fadheiten und Abgeschmacktheiten aus dem Munde eines Mannes zu vernehmen, wie sie die gegenwärtigen Zuhörerinnen über sich ergehen lassen mußten.

Wieder aber gehörte eine Stirn wie die des Herrn Baltus dazu, um es unverstanden zu lassen, daß seinem Vortrage von keiner Seite eine günstige Aufnahme zu theil ward; höchstens wendete man ihm hier und da irgend eine flüchtige Entgegnung, eine von der unumgänglichsten Höflichkeit vorgeschriebene Redensart zu.

Isabella hatte sich längst in völliges Schweigen gehüllt und ihre Aufmerksamkeit so entschieden auf ihre Handarbeit gerichtet, als wenn es durchaus keinen Herrn Baltus, der doch offenbar nur ihretwegen seine Unterhaltungskunst anstrengte, auf der Welt gäbe. Sie sah aber auch nicht auf, als eine der anderen Damen, die wohl um der Langeweile zu entgehen, ihre Blicke in die Weite gerichtet hatte, jetzt die Frage aufwarf: wer der stattliche Herr sein möge, der dort hinten an den Strand hinabschreite und dessen Gestalt sie bisher noch nicht unter den Badegästen gesehen habe.

»Ist auch wirklich heute erst angelangt, gnädige Frau,« nahm Herr Baltus sogleich das Wort. »Bin glücklich, Ihnen das mittheilen zu können, wenn auch nicht eben glücklich, diesen Herrn selbst zu sehen, haha! Es ist nämlich der Major Bernthal aus meiner eigenen Vaterstadt; stattlich, wie Sie ihn gütigst nannten, wohl, übrigens aber eine unangenehme Persönlichkeit!«

Isabella ließ die Nadel so eifrig durch den Stoff in ihrer Hand gleiten, als wenn sie ihren Lebensunterhalt mit derselben verdienen müsse; die Lippen öffnete sie nicht.

»Unangenehm also, wie ich sagte!« nahm Herr Baltus wieder auf, da ihm das Ausbleiben jeglichen Widerspruchs verlockend genug sein mochte, um seiner Rede noch einiges hinzuzusetzen; »und fatal bleibt es darum, daß er in unserer amüsanten Gesellschaft aufgetaucht ist, er ist nämlich ein hochmüthiger Rechthaber, dieser Herr Major, hat keinen Heller eigenes Geld in der Tasche, nur seine Offiziersgage, haha, weiß das! und dabei noch arrogant bis zum Exceß! Nun, ich werde das Meine thun und ihm hier bald die Wege weisen!«

»Versuchen Sie es!«

Scharf und klar, spöttisch war dies Wort auf Isabellens Lippen getreten, aber auch nur dies eine, dann wandte sie sich wieder ihrer Arbeit zu.

Gerade aber der Umstand, daß sie ihre Blicke nicht länger auf ihm ruhen ließ, gab Herrn Baltus schnell seine Fassung wieder und nachdem er nur halb verblüfft das Zugeständniß hingemurmelt hatte, daß ja allerdings an einem Badeort jeder gehen könne, wie und wohin er wolle, sprang er mit frischer Unbefangenheit auf irgend ein anderes Thema über.

Isabella aber legte in diesem Augenblick ihre Stickerei zusammen und stand auf; und dies Beispiel bewirkte, daß von Seiten der übrigen Damen alsbald ein gleiches geschah, der Aufbruch ward rasch zu einem allgemeinen.

Ehe Isabella aber noch den Garten hatte verlassen können, befand sich Herr Baltus wieder an ihrer Seite.

»Ich erlaube mir, Sie zu begleiten, mein gnädiges Fräulein,« redete er sie an, »bis zu Ihrer Wohnung wenigstens, wenn Sie mir nicht erlauben wollen, haha, wenn Sie mir nicht erlauben wollen, bei Ihnen einzukehren!«

»Ich muß Ihnen für Ihre Gesellschaft danken, Herr Baltus!« entgegnete sie kurz.

»O nein, nein, nicht so!« begann er aufs neue. »Sie sind mir noch Revanche schuldig, denn es war grausam, wie kühl Sie mich heute behandelten! Muß durchaus sehen, jetzt unter vier Augen, noch ein freundlicheres Wort von Ihnen zu erhaschen!«

Isabella richtete sich stolz auf.

»Herr Baltus, jetzt befehle ich Ihnen, daß Sie mich verlassen! Ich werde sonst dem Ersten, Besten, der uns begegnet, und sollte ich selbst einen der Kellner heranrufen müssen, den Auftrag geben, Sie zur Ruhe zu verweisen!«

Zum ersten Mal war es ihr gelungen, wenn auch nicht ihm zu imponiren, so doch ihn in Zorn zu bringen; wenigstens funkelte in seinen Augen etwas auf, das sich in derartiger Weise deuten ließ. Dennoch war es vielleicht einem zufälligen Umstande zuzuschreiben, daß er im Augenblick kein weiteres Vorgehen wagte. In der Thür des Wirthshauses erschien nämlich in derselben Sekunde, genau, als wenn ihre Worte ihn herbeigezogen hätten, der erste Aufwärter des »Hotels,« der sich gerade von Seiten der Damenwelt einer großen Beliebtheit und selbst eines gewissen Vertrauens erfreute; und als wenn er fürchtete, daß sie jene Drohung wahr machen könnte, während ihm zugleich der Gedanke an die ansehnliche Körperkraft des jungen Mannes nicht fehlen mochte, zog sich Herr Baltus zurück.

Ohne noch einen Blick an ihn zu wenden, schritt Isabella ihres Weges.

Obgleich ihr nun aber der Oberkellner nicht folgte, derselbe war offenbar eilig und nahm sich gerade nur die Zeit, einem kleinen Bauerknaben, der mit ihm aus der Thür getreten war, eine Weisung zu ertheilen, so war er doch die Ursache geworden, daß sie schon in der nächsten Minute aufs neue in ihrem Gange aufgehalten ward, denn der eben erwähnte junge Bursche kam in raschem Trabe hinter ihr drein und sein ängstliches: »Hier! hier!« machte, daß Isabella sich nach ihm umschauen mußte. Als sie damit in seiner Hand etwas Weißes erblickte, das er ihr offenbar übergeben wollte, ward es ihr klar, daß die flüchtig von ihr wahrgenommenen Winke und Handbewegungen des Kellners ihrer eigenen Person gegolten hatten und nichts als eine Bezeichnung der richtigen Adresse für den ländlichen Boten gewesen waren.

Was sie dem letzteren jetzt abnahm, war ein Papier, das sie einen Augenblick betrachtete, alsdann aber hastig entfaltete und mit ihren Blicken überflog.

»Sag dem Herrn, daß Du mich getroffen hast und,« sie warf einen raschen und kurzen Blick um sich, »daß ich kommen will, sobald es angeht, in einer Stunde etwa!« befahl sie dem Burschen mit halblauter Stimme, die sogar etwas unsicher klang. Dann aber setzte sie, ohne nun noch zum dritten Mal aufgehalten zu werden, ihren Gang fort.


VI.

Genau fast zu der von ihm selbst vorbestimmten Zeit, die sie gewählt haben mochte, weil ihr das hellste Tageslicht zu ihrem Vorhaben nicht dienlich scheinen wollte, trat Isabella ihren neuen Weg an. Sie schlug einen Pfad ein, der sie vom Strande entfernte und um den Haupttheil des Dorfes herum nach einer Gegend führte, wo die Häuser spärlich standen. Dort, in dem letzten derselben, wo sie schon früher einmal durch einen Zufall veranlaßt, auf einer Wanderung mit ihrem Neffen Rast gesucht hatte, kehrte sie ein.

Die Thür dieses Häuschens hatte nicht offen gestanden, wie es doch sonst bei diesen dörflichen Wohnungen die Sitte war und ebenso schloß Isabella dieselbe gleich nach ihrem Eintritt mit einer gewissen Sorgsamkeit wieder hinter sich ab; und dann blieb sie eine geraume Weile, so lange bis die Dämmerung bereits ziemlich tief herabgesunken war, verschwunden, ohne daß irgend ein Zeichen von Vorgängen innerhalb der Mauern des kleinen Hauses, oder ihrer Anwesenheit daselbst Kunde gab.

Als sie endlich wieder erschien, trug ihr Gesicht das Gepräge einer ungewöhnlichen Aufregung, die sie auch vollkommen achtlos für ihre Umgebung gemacht zu haben schien, denn ein sichtlicher Schreck ergriff sie, als ihr schon bei den ersten Schritten jemand in den Weg trat, alsdann aber faltete sich ihre Stirn im Unmuth zusammen: war doch ein einziger Blick genug gewesen, um es ihr zu sagen, daß sie aufs neue mit dem verhaßten Herrn Baltus zu thun hatte.

»Haha, so allein, mein gnädiges Fräulein, und zu dieser Stunde?« redete er sie an. »Ist mir wirklich sehr interessant, Sie hier zu treffen! Hätte vor ein paar Stunden noch keinen Gedanken daran gehabt!«

»Dann wird Sie diese Ueberraschung wohl noch eine Weile beschäftigen, denke ich,« sagte Isabella; »ich selbst habe Eile, nach meiner Wohnung zu kommen!«

Und damit machte sie ihm eine nur gerade merkbare Verneigung und wollte an ihm vorüberschreiten.

Dreister aber noch als das erste Mal hielt er sie zurück.

»Gemach, meine schöne Dame!« sagte er, »was ich heute nur noch von Ihnen erbat, jetzt fordere ich es, daß Sie sich meine Gesellschaft gefallen lassen!«

»Herr Baltus!« rief sie entrüstet aus.

»Ja, ja,« fuhr er unbeirrt fort: »was dem einen recht, ist dem anderen billig! Gerade heraus, mein gnädiges Fräulein, das Billet heute Nachmittag, Ihre Antwort an ›den Herrn,‹ o, ich war nicht so fern, daß ich nicht alles hätte verstehen können!«

»Sie lauschten – und es ist erbärmlich, daß Sie darauf fußen!« rief Isabella empört.

Er lachte.

»Sie sind zornig, mein gnädiges Fräulein. Sie wären es nicht, wenn Ihr Gewissen rein wäre! Aber sei es darum, ich will nur meine Revanche und darum werden Sie mich nicht wieder fortschicken, wenn ich Ihnen für die Begleitung jetzt auch meinen Arm biete!«

»Lassen Sie mich allein, augenblicklich, Herr Baltus!«

Sie hatte die Worte gebietend gesprochen; dennoch hatte sein Ohr wohl vernommen, daß ihre Stimme zitterte und was vielleicht nichts als Erregung war, nahm er für Schwäche, so daß sein Muth nur noch schwoll.

»Haha, mein Fräulein,« sagte er, indem er ihr jetzt ganz nahe trat, »ich denke so viel ist Ihr Geheimniß werth, daß Sie sich meinen Schutz gefallen lassen!

»Und ich denke, wenn Fräulein Brunner irgend eines Schutzes bedarf, so ist mein Recht, ihr denselben zu bieten, das erste!« sagte in diesem Augenblick eine tiefe, ernste Stimme zur Seite des ungleichen Paares und als Isabella wie Herr Baltus ihre Blicke wandten, sahen sie eine kräftige Männergestalt, die von ihnen beiden unbemerkt herangekommen war und nun wie aus dem Boden gewachsen vor ihnen stand,

»O, Herr Major Bernthal,« stotterte Herr Baltus, »das ist in der That eine Ueberraschung! diese Begegnung –«

»Wünschen Sie diese Begegnung noch länger auszudehnen?« unterbrach ihn der Major zornig.

»O nein, gewiß nicht,« versetzte der Gefragte; »das heißt, zu einer anderen Zeit würde es mir ja ein Vergnügen sein, aber jetzt, da Sie den Vorzug der älteren Bekanntschaft mit der Dame genießen und mir andere Engagements einfallen, mache ich weiter keine Ansprüche! Ich wünsche den Herrschaften eine angenehme Unterhaltung!«

Ein Seitenpfad, der sich gerade an dieser Stelle des Weges abzweigte, hatte ihn aufgenommen, in der nächsten Sekunde schon war er verschwunden.

Isabella that einen tiefen Athemzug.

»Ich danke Ihnen!« sagte sie zu dem Major.

Er verneigte sich.

»Begehren Sie wirklich allein zu sein, Fräulein Isabella?« fragte er. »Es ist bereits ziemlich dunkel.«

»Wenn es der Zufall wollte, daß mein Weg zugleich der Ihre wäre, würde es mich freuen,« entgegnete sie.

Er lächelte leicht, aber ohne daß sie es sehen konnte, vor sich hin.

»Es sei, der Zufall soll sein Regiment behalten!« sagte er. »War er es doch auch wirklich zuerst, der mich auf meinem Spazierwege an diese Stelle führte, nachdem ich gerade heute erst hatte anlangen müssen!«

Sie nickte. Von seiner Ankunft hatte sie ja schon am Nachmittag gehört und darum wandte sie jetzt keine Bemerkung mehr an dieselbe. Ueberhaupt aber verlor sie nicht viele Worte, so lange sie an seiner Seite dahinschritt und da auch er das Reden nicht suchte, sondern sich damit begnügte, von Zeit zu Zeit einen prüfenden Blick über ihre Züge gleiten zu lassen, so legten sie den Weg bis zu Isabellens Wohnung fast ganz im Schweigen zurück. Dann aber hob sie plötzlich ihr Antlitz zu dem seinigen empor.

»Es soll kein bloßer Zufall bleiben, es mag eine Schickung heißen, daß ich Sie traf! Der Gedanke an Sie kam mir schon vorhin, aber ich verwarf ihn wieder, bis Sie plötzlich vor mir standen.«

»Reden Sie, sagen Sie, was Ihnen ist, Isabella!« entgegnete er in einem Ton, der plötzlich antheilvoll geworden war.

Sie schüttelte den Kopf. »Nicht hier! ich muß sicher sein, daß keines andern Menschen Ohr mich hört!« sagte sie.

Damit und unter der einfachen Annahme zugleich, daß er ihr folgen würde, schritt sie ihm voran in ihre Wohnung; dort erst wandte sie sich wieder nach ihm um. Auf ihrem Angesicht wechselten die Farben.

»Es war mir sonst immer, als demüthigte es mich, wenn ich Rath und Hilfe bei Fremden suchen sollte und nun kann ich doch nichts anderes, aber es ist für einen dritten.«

Der Zusatz, welcher wie eine Art Entschuldigung klang, lockte noch einmal ein gewisses Lächeln in sein Gesicht; allein in dem nämlichen Augenblick schon war dasselbe auch unterdrückt.

»Ich will nicht fürchten, daß jemand von den Ihrigen in Noth, oder gar in Gefahr ist!« sagte er.

»In Gefahr, ja doch!« entgegnete sie erregt. »Anton, mein Neffe, schwebt in ihr! Ob ihn eine Schuld trifft, ich weiß es nicht, es kommt jetzt auf nichts an, als daß wir ihn retten!«

»Was kann ich für ihn thun, für Sie selbst?« fragte der Major

»Hören Sie es zuvor, was er mir sagte!« entgegnete sie hastig und mit zwischen durch stockendem Athem sprechend. »Ich war nämlich bei ihm in dem kleinen Hause, aus dem ich trat, als Herr Baltus mich anredete; er hält sich dort versteckt!«

Die Stimme des Majors nahm plötzlich einen besonderen Ausdruck an.

»Versteckt?« fragte er, das Wort merkbar betonend.

Ihre Wangen färbten sich wieder.

»Schimpflich ist sein Vergehen nicht!« sagte sie rasch, »aber es kann ihn elend machen und – o mein armer Bruder!«

Einen Augenblick lang wandte sie sich von ihrem Hörer ab, dann aber faßte sie sich und nun auch begann sie zu erzählen, in keiner völlig geordneten Weise zwar, aber doch so, daß ihm die wesentlichsten Thatsachen auf der Stelle klar werden konnten.

Durch eine Feier der Universität war das Unglück herbeigeführt worden. Anton hatte an derselben theilgenommen und sich unmittelbar darauf, in voller festlicher Kleidung noch, angethan mit Paraderock und Degen, nach einem Restaurationslokal begeben, das den Musensöhnen fast als Alleinbesitz gehörte, um dort inmitten seiner Kommilitonen die Nachfeier zu halten.

Er war früh am Platze, er wartete auf die Genossen, da führte das Unglück einen anderen in den Saal, der früher auch zu den Studenten gehört hatte, dann aber ausgeschieden und ins Militär getreten war. Zwischen ihm und Anton schwebte noch aus früherer Zeit ein halber Span, es bestand kein offenes Zerwürfniß aber sie sahen sich nicht gern.

Nun mußte ein böser Geist den Neuangekommenen leiten; er stand Anton gegenüber, er stachelte ihn mit höhnischen Reden, er brachte ihn in Wuth. In einem Nu hatten alle beide die Besinnung verloren, war der Degen hier, der Säbel dort aus der Scheide gezogen.

Eine Minute darauf sah Anton seinen Gegner hintaumeln, überflossen von Blut und ein schreckliches Wort, das zwei oder drei andere, die hinzugestürzt waren und die beiden Streiter getrennt hatten, ausriefen, tönte in seinen Ohren.

»Todt! er hat einen Menschen getödtet!«

Man umdrängte ihn jetzt, man riß ihn von der Stätte fort, man raunte ihm zu, daß er fliehen, sich retten müsse, eine jede Sekunde Verzug würde für ihn zum Verderben!

So war er hinweggeeilt, halb willenlos, betäubt.

Die Nacht war er umhergeirrt, um am Tage darauf, dem heutigen, seinen Fuß hierher zu lenken. Die Tante hatte er noch einmal sehen müssen, ehe er fortging, fort auf immer! und dann sollte sie es dem Vater, der Schwester sagen, daß er das Weltmeer zwischen sich und den Boden gelegt habe, wo sein Verhängniß auf ihn laure.

Ohne die Sprecherin zu unterbrechen, hatte Bernthal ihr zugehört; seine Theilnahme lag nur in seinen Augen

»Was dachten Sie zu thun, Isabella?« fragte er jetzt, als sie halb erschöpft inne hielt.

»Ich? o ich sehe ja selbst nichts Anderes ein, als daß er recht hat, der Unselige!« sagte sie. »Bleiben darf er nicht! Soll er einen Augenblick der Leidenschaft, der Hitze, in die er vielleicht ohne Schuld hineingerissen ward, durch ein elendes Leben büßen und sollen wir alle das mit ihm leiden?«

Auf Bernthals Lippen lag eine Entgegnung, aber er drängte dieselbe zurück und schüttelte nur leise den Kopf. Er mochte es sich sagen, daß es jetzt nicht die Zeit sei, was ihm mißlich schien in ihren Ansichten, hervorzuheben; und so nahm sie, da seine Rede ausblieb, schnell noch einmal wieder das Wort.

»Es fehlt ihm natürlich an Mitteln für die Reise, so ist alles, was ich bei mir habe, sein, und eben jetzt wäre ich wohl schon wieder auf dem Wege zu ihm, wenn ich nicht fürchten müßte, daß ich, da jener auswärtige Spürer einmal wach geworden ist, seine Entdeckung herbeiführen könnte.«

»Ah,« fiel Bernthal ihr ins Wort, »Sie wollten mir die Botschaft anvertrauen, ist es nicht so, Isabella?«

»Ja,« sagte sie, »Gott sei Dank, daß Sie es erriethen! Bringen Sie ihm nicht allein das, was ich ihm bieten darf, geben Sie ihm Ihren Rath mit, Sie vermögen zu rathen, mein Kopf und mein Herz waren in seiner Nähe zu voll!«

Auch sein Sinn schien beschäftigt zu sein. Wäre es anders gewesen, hätte er wohl wieder ein Lächeln gehabt, ein Lächeln dafür, daß sie nur diese Form für die Anerkennung seiner männlichen Ueberlegenheit fand. So aber ging er in ernstem Schweigen ein paar Mal durchs Zimmer, ehe er vor ihr stehen blieb und sagte:

»Es sei, Isabella, ich will mich in die Sache mischen! und noch in dieser Stunde suche ich Ihren Neffen auf.«

Sie war an den kleinen Schreibtisch geeilt, der in ihrem Zimmer stand und hatte demselben ein Päckchen entnommen, das sie ihm nun in die Hand legen wollte.

Er wehrte jedoch ab.

»Lassen Sie das, Isabella, wenigstens so lange, bis ich wiederkehre! Vielleicht gebrauchen wir Ihre Banknoten nicht.«

Damit machte er sich auf den Weg.

 

In ängstlicher Betäubung hatte der junge Mann, dessen Schicksal Gegenstand der Berathung gewesen war, diese nämliche Zeit hingebracht. Er wußte es selbst nicht, ob Stunden oder Minuten seit Isabellas Entfernung vergangen waren, aber sein Herz pochte verlangend nach ihrer Wiederkehr.

Jetzt endlich öffnete sich die Thür, das mußte sie sein und um ein geringes wenigstens glaubte Anton aufathmen zu können. Dann aber schrak er heftig zusammen, die eintretende Gestalt war nicht die Tante, sondern ein Mann, den er wohl im ersten Augenblick für einen Fremden halten mußte. Doch diesem Irrthum wenigstens kam der Major auf der Stelle zuvor.

»Ich bin es, Anton,« sagte er ernst-ruhig, indem er ihm die Hand auf die Schulter legte, »der Freund Ihres Vaters!«

Anton vermochte nicht gleich zu sprechen; er ließ sich in seinen Sitz zurückfallen und schlug beide Hände vors Gesicht; doch hinderte dies nicht, daß die Worte, welche der Major zu seiner Einführung gebrauchte, die Erwähnung Isabellens, des Vertrauens, welches sie ihm geschenkt, an sein Ohr drangen.

»Daß ich Ihr Unglück nicht will, wissen Sie also jetzt!« schloß Bernthal seine kurze Rede.

»Mein Unglück!« rief Anton aus, indem er die Hände von seinem Gesicht gleiten ließ und den Major mit traurigen Blicken ansah. »Ich denke und fühle ja nichts als das Unglück, in dem ich schon bin! – ist es nicht groß genug?«

»O, Sie denken aber doch daran, jenes Unglück zu heben, Sie glauben das Mittel gefunden zu haben, indem Sie sich den Folgen Ihrer That entziehen, Sie denken an Flucht!« sagte der Major, nicht geradezu streng, aber doch ernst.

Anton zuckte zusammen; dann strich er sich über die Stirn.

»Mein Gott, hatte ich mich denn ganz verloren und mußten Sie erst kommen, um mir alles ins rechte Licht zu setzen? Keinen Augenblick länger will ich noch an Amerika denken!«

Bernthal sah ihn scharf an, richtete aber noch keine Frage an ihn.

»Man soll nicht von mir sagen und ich selbst will es mir nicht vorwerfen, daß ich feige war!« fuhr Anton fort, »und dann – ich sehe immer das Blut vor mir, ich glaube, das Herz wird mir leichter, wenn ich andere über mich urtheilen lasse – und mags noch so hart ausfallen.«

Nun konnte Bernthal nicht umhin, die Hand des jungen Mannes zu erfassen und sie warm zu drücken. Dann aber forderte er, daß ihm Anton den traurigen Vorfall in voller Ausführlichkeit berichte; er forschte dabei nach jedem, auch dem kleinsten Umstande und fragte endlich auch nach dem Namen jenes unglücklichen Gegners, da Anton des letzteren zufällig immer nur als »des Fähnrichs,« gedachte und außerdem höchstens eine verhältnißmäßig unbedeutende Erwähnung, daß derselbe auf Urlaub gewesen, oder derartiges, hinzugefügt hatte.

»Es ist ein Herr von Ponsack!« sagte Anton nun.

Bernthal wechselte leicht die Farbe.

»Arthur von Ponsack?« fragte er rasch.

»Ja, aber um Gotteswillen, Herr Major, Sie kennen ihn?« rief Anton bestürzt

Bernthal hatte sich schon gefaßt.

»Davon sogleich!« sagte er. »Jetzt nur dies: daß Sie Ihren Gegner nicht auf der Stelle getödtet haben, welches auch immer der Ausgang der Affaire sein mag, glaube ich Ihnen verbürgen zu können.«

Ein halberstickter Freudenruf war des jungen Mannes erste Antwort; dann faßte er die beiden Hände des Majors:

»Woher wissen Sie es? wer sagte es Ihnen?«

»Hören Sie mich ruhig an!« war Bernthals Entgegnung. »Dieser Arthur von Ponsack ist mein naher Verwandter. Sein Vater ist todt; ich selbst bin sein Vormund.«

Mit einem schweren Seufzer ließ Anton die Hände des Majors fahren und wandte sich ab; doch ließ dieser sich dadurch nicht in seiner Rede unterbrechen.

»Wäre mein Mündel todt, so würde mir jedenfalls die Nachricht schon zugekommen sein, da seine Mutter weiß, wo mich ein Telegramm treffen mußte. Ich glaube sogar, daß man mir ein solches gesandt hätte, wenn nur auf dringende Gefahr für sein Leben erkannt worden wäre, doch wollen wir immerhin unsere Hoffnung nicht zu groß werden lassen! Jedenfalls habe ich jetzt doppelten Grund für den Plan, den ich schon vorher gefaßt hatte.«

Er theilte dem jungen Manne darauf mit, daß er – und wenn es ihm möglich werden würde, sofort – selbst nach der Universitätsstadt reisen wolle, um dort den Verlauf des ganzen Ereignisses zu erkunden. Von Anton fordert er gegen das Versprechen, daß er ungesäumt das Ergebniß dieser Nachforschung erfahren solle, daß derselbe sich jedes weiteren Thuns enthalte, sich überhaupt jeder seinen Anordnungen unterwürfe.

Einen kurzen Augenblick bedachte sich Anton. Nachdem er den Entschluß gefaßt hatte, sich dem Gesetz zu stellen, fühlte er den Drang in sich, denselben auch sofort zur Ausführung zu bringen. Hatte aber die nun erwachte Hoffnung, daß seine Seele ihrer schwersten Last noch wieder ledig werden könne, die Liebe zur Freiheit überhaupt belebt, oder wirkten die wenigen, aber eindringlichen Worte, die Bernthal noch sprach und die auf die Rücksichten hinweisen, welche Anton den Seinen schuldig sei; jedenfalls brachte das Ende der Unterredung dem Major das Gelöbniß ein, welches er von dem jungen Mann verlangt hatte.

 

Eine halbe Stunde später sah Isabella ihren Abgesandten wieder vor sich. Seinen Bericht hatte sie empfangen und nun reichte sie ihm ihre Hand hin.

»Antons Taumel hatte mich angesteckt, für eine Weile war ich blind wie er! Sie aber haben eine Thorheit, ein Unglück verhütet, wie soll ich Ihnen danken?«

»Lassen Sie mich zuvor für das weitere sorgen!« sagte er abwehrend. »Anton begiebt sich, da er noch vor Entdeckung geschützt werden muß und dies hier kaum länger möglich wäre, an einen Ort, wo er sicher ist. Er gab mir sein Ehrenwort, daß er denselben nicht verlassen wird, bis die Umstände es erlauben, oder fordern!«

»Und Sie selbst, Sie reisen noch an diesem heutigen Abend nach ***, um dort alles zu erfragen und für Anton zu thun, was möglich ist, nicht wahr?« drängte sie.

»Ich muß das, Isabella,« entgegnete er. Sie aber stutze, denn es war ihr nicht entgangen, daß er einen ganz leisen Seufzer dabei zu unterdrücken suchte. »Wird es Ihnen schwer?« fragte sie hastig.

Einen Augenblick schwieg er; als sie aber ihre forschenden Augen nicht von ihm abwandte, sagte er:

»Da Sie mich fragen, will ich gestehen, daß ich an mein kleines Mädchen dachte. Ich brachte es hierher, weil der Arzt die Kur verlangt hatte und wollte in Sch. bleiben, Klärchen ist etwas durch mich verwöhnt; bis das Kind sich mit der neuen Umgebung wie mit der fremden Pflegerin, die ich einstellen mußte, etwas befreundet hatte.«

»Ueberlassen Sie die Kleine mir!« sagte sie schnell.

Er sah sie mit etwas zweifelndem Blick an, den sie verstehen mußte, denn eine plötzliche Röthe überflog ihre Wangen.

»Wagen Sie es nicht, es mit mir und meinem guten Willen zu versuchen, Bernthal?« fragte sie ihn.

Er nahm sich rasch zusammen.

»Ich trage das Kind zu Ihnen herüber, Isabella, noch heute Abend!«


VII.

Nicht wahr, Tante Isabella, wir haben nun schon zweimal geschlafen, seit der Papa fort ist?« sagte Klärchen, die sich neben Isabellas Kniee gestellt hatte und bald mit den Ringen, welche dieselbe an ihren schlanken Fingern trug, spielte, bald die Glieder ihrer Uhrkette zu wunderbaren Verschlingungen drehte.

»Schon dreimal, Klärchen,« berichtete Isabella; »es sind drei Tage, hast Du das ganz vergessen?«

»Ja,« sagte die Kleine gelassen, »denn weißt Du, ich denke nicht mehr so viel an ihn wie zuerst.«

»Aber das ist eigentlich unrecht!« erklärte Isabella lächelnd.

»Unrecht?« gab die Kleine verwundert zurück, »nun ich kann aber doch nicht dafür, daß ich so gern bei Dir bin! Und dazu kennt der Papa nur eine einzige Geschichte, die er mir erzählen kann, die von dem Löwen und seinem Androclus und Du weißt so viele!«

Isabella verrieth nicht, von wie neuem Datum dies bewunderte Wissen war, das sie doch gerade jetzt erst aus einer ihr bis dahin sehr fremden Quelle, der Jugendbibliothek, geschöpft hatte; wohl aber fragte sie, durch die von ihr erkannte Kriegslist der Kleinen belustigt:

»Soll ich Dir vielleicht jetzt ein Märchen erzählen, Klärchen?«

»Ein Märchen, was ist das?« fragt das Kind.

»Nun, eine Geschichte, die eigentlich nicht wahr ist!« suchte Isabella zu erklären.

Klärchen sah ihre Pflegerin mit großen Augen an.

»Nicht wahr? aber Du sagst es ja doch, Tante Isabella!«

Rührung war ein Gefühl, dem Isabella nicht allzuhäufig den Zutritt gewährte, in diesem Augenblick aber, vor der naiven Unschuld des Kindes überkam sie es doch wie eine Art Schauer und sie konnte nicht umhin, die Kleine emporzuheben und an ihr Herz zu drücken.

Klärchen ließ sich die Liebkosung gefallen, ja dieselbe mochte sie so bestechen, daß sie darüber vergaß, auf die richtige Erklärung des räthselhaften Wortes zu bestehen, denn sie schlang nur für einen Moment ihre eigenen Arme um Isabellas Nacken. Denn freilich ließ sie diese Sache abgemacht sein und drängte:

»Nun erzähle aber auch!«

»Von der Prinzessin, die sich die goldne Lilie suchen wollte?« fragte Isabella.

»Ja, ja, von der Prinzessin!« stimmte Klärchen befriedigt zu.

Die Präliminarien waren also abgemacht und mit dem unabänderlichen: »Es war einmal!« begann Isabella zu erzählen. Aber, aber, wie schlecht ging es heute mit ihrer Lektion! Die Prinzessin, welche doch Rosamunde hieß, nannte sie ohne weiteres Rosalie; dann ließ sie dieselbe an einen Teich treten, anstatt an einen See und die Fische gar, welche ihr ja den Weg zeigen mußten mit einem Vers anreden, welcher gar nicht der richtige war!

Klärchen versäumte nicht, die Irrthümer zu verbessern, gerieth aber über die Wiederholung derselben so in Eifer, daß Isabella bald lachend sagte:

»Dein Gedächtniß ist besser als das meine, Klärchen, sag mir darum nur selbst, wie die Geschichte doch eigentlich war!«

Das Kind gehorchte der Aufforderung auf der Stelle und berichtete jede der noch folgenden Thatsachen mit großer Lebendigkeit und tadelloser Präcision; dann aber lehnte es sein Köpfchen wieder wie zuvor gegen Isabellas Schulter und sagte ruhig und ernsthaft:

»So, nun erzähl, Tante Isabella!«

Gerade hatte Isabella mit dem guten Vorsatz, es nun besser zu machen, ihren Vortrag aufs neue begonnen, als die Kleine sich plötzlich von ihrem Schoße emporrichtete und mit dem Finger nach einem Spiegel deutete, der ihnen gegenüberhing.

»Papa!« rief sie laut, und wirklich, ihre Wahrnehmung war eine richtige gewesen! als beide sich im gleichen Moment umwandten, sahen sie den Major hinter sich auf der Schwelle stehen; es war möglich, daß er von dort aus die kleine Gruppe schon einige Sekunden beobachtet hatte, nun aber kam er rasch näher.

Sein erstes Wort galt Isabellen.

»Meine Nachrichten sind gut,« sagte er; »Sie werden gleich alles erfahren!«

Und dann erst, während sie hochaufathmend einige Schritte zurücktrat, widmete er ein paar Augenblicke der Begrüßung seines Kindes, um aber freilich die Kleine, welche er zu sich emporgehoben hatte, sehr bald, halb lächelnd und halb enttäuscht, wieder auf den Boden zu setzen.

»Bist Du denn gar nicht so sehr froh, Klärchen, daß ich wieder bei Dir bin?« fragte er. »Ich hätte wohl noch gar fortbleiben sollen?«

»O nein,« versetzte das Töchterchen ganz gnädig, »Du konntest recht gern wiederkommen, Papa!«

»Aber gedacht hast Du nicht viel an mich, nicht wahr?« scherzte er.

»Bisweilen doch,« war Klärchens Antwort, »wenn die Tante von Dir sprach. Und ein Bild von Dir hat sie mir auch gemacht, als ich zuerst einmal ein wenig weinte, sieh nur her!«

Im Umsehen auch hatte sie damit unter ihren Spielsachen ein Blatt hervorgeholt und hielt ihm dasselbe jetzt entgegen.

Nur einen flüchtigen Blick, der ihm aber allerdings schon sagen konnte, wie außerordentlich ähnlich sie geworden war, warf Bernthal auf die Zeichnung, denn mit den Worten: »Aber das ist ja alles Thorheit!« war soeben Isabella erregt herangetreten, und nun wandte er sich eben so rasch an diese.

»Thorheit! Sie haben völlig recht, wie dürfen wir uns mit solchen Dingen aufhalten, wenn so viel wichtigere noch zu besprechen sind! Ich eile, Klärchen beschäftigt sich bereits mit ihren Spielsachen, Ihnen meinen Bericht zu erstatten!«

Was er ihr zuerst gesagt hatte, daß seine Nachrichten gute seien, blieb wahr, sie lauteten so, daß Isabellen Augen bald freudig glänzten.

Als Hauptsache mochte man es gelten lassen, daß das Leben des jungen Ponsack, wie Bernthal es schon vorausgesagt hatte, erhalten geblieben, ja, daß es nicht einmal ernstlich gefährdet war. Antons Degen hatte ihn an der Schulter getroffen und wohl eine starke Blutung, verbunden mit einer ohnmächtigen Betäubung, hervorgerufen, aber doch zum großen Glück keine edleren Theile, vor allem keine inneren Gefäße verletzt und darum durfte der behandelnde Arzt mit Sicherheit eine völlige und mit Wahrscheinlichkeit sogar auch eine baldige Herstellung versprechen.

»Sein Zustand war so,« ergänzte Bernthal seine Mittheilung, »daß ich meinen Mündel sogar getrost ins Gebet nehmen konnte. Arthur ist ein übermüthiger und etwas leichtfertiger Patron, aber gottlob kein verstockter Sünder und so brachte ich es leicht heraus, was festgestellt werden mußte, wenn ein guter Anfang für das weitere gewonnen werden sollte.«

»Und dies weitere?« rief Isabella lebhaft. »Erzählen Sie alles, sagen Sie mir genau, was Sie thaten!«

Er lächelte.

»Warum wollen Sie mir auf allen Wegen folgen? Das meiste zu dem glücklichen Ausgang that doch das Glück! Der günstigen Umstände aber dürfen wir uns freuen, daß Arthur sich zum vollen Eingeständniß seiner ursprünglichen Schuld in betreff des unglücklichen Streites herbeiließ und daß von Seiten der Militärbehörde kein Eingriff in die Sache zu erwarten bleibt, dieselbe wird dem Forum des akademischen Senats nicht entzogen werden.«

»Und was wird sein Urtheil sein?« fragte Isabella, immer noch ein wenig besorgt.

Der Major zuckte leicht seine Schultern.

»Hier hört meine bestimmte Voraussage auf, wie mir auch die weitere Einmischung versagt blieb. Ich kann nur wiedergeben, was ich von Kompetenteren als ihre Meinung, als ihre Ueberzeugung sogar, aussprechen hörte; nach dieser aber würden wir auf eine milde Auffassung des ganzen Falles rechnen dürfen. Sollte dies sich jedoch als Irrthum erweisen und im Gegentheil auf eine schwere Strafe erkannt werden, auf die schwerste selbst: Relegation nämlich, so würde dieselbe für Anton immerhin noch eine ziemlich leichte sein, da er im letzten Semester, nahe vor seinem Abgange steht und ihm die noch fehlende Zeit darum vielleicht gänzlich zu erlassen sein würde.«

Isabella machte eine Bewegung, die ihr sonst selten kam, sie faltete ihre Hände, als ob sie ein Dankgebet spräche. Bernthal aber fügte noch hinzu:

»Ich sorgte natürlich dafür, daß ihm die Nachrichten in seinem Schlupfwinkel zukamen; und jetzt ist er bereits unterwegs, um zunächst seinem Vater die Kunde von allem Bösen und allen Guten selbst zu bringen und sich dann ehrlich auszuliefern. Bis dahin hatte ich mich persönlich für ihn verbürgt.«

Ueber Isabella schien schon nach einigen Minuten, und obwohl sie dem Major zuerst in unwillkürlicher Weise beide Hände entgegengestreckt hatte, etwas von dem alten Geist zu kommen.

»Wegen dieses Glückes soll mir auch etwas anderes jetzt ein Glück heißen,« rief sie aus, »daß mir bei unserem Wiedersehen die rechte Besinnung fehlte, ich würde sonst keinerlei Bitte an Sie hervorgebracht haben«

»Warum nicht, Isabella?« fragte er.

»Weil Sie mir meine letzte so unsanft abschlugen!« entgegnete sie mit einem halben Lachen.

»O Sie denken daran – an Waringer!" sagte er wie in einer plötzlichen Verstimmung

»Ja!,« erklärte sie unbeirrt. »Sie nahmen damals Partei gegen mich, Sie sprachen, in Ihrem Sinne wenigstens, zu seinen Gunsten, deswegen sollen Sie heute etwas hören, das als meine Neuigkeit gilt: Leopolds Werk, die befreite Psyche, hat auf der großen Ausstellung den ersten Preis erhalten!«

Bernthal sagte einige Worte. an deren Theilnahme ein anderer vielleicht nichts auszusetzen gefunden hätte, die sie aber nicht befriedigen mußten, denn fast unmittelbar ihnen nach rief sie in offenbarer Enttäuschung:

»Ich hoffte Ihnen eine größere Genugthuung zu bereiten! Leopold vermag ja jetzt, wie es Ihr Wille war, seine Zukunft selbst zu gestalten!«

Bernthal richtete seine Augen ernst-forschend auf sie.

»Freut Sie das aufrichtig, Isabella?«

Sie erröthete, aber sie wich einem Blicke nicht aus.

»Ja, Bernthal!« sagte sie fest. »Denken Sie aber nicht, daß ich die Thorheit, welche mich zu Leopold zog, auch sonst genug gebüßt hätte?«

»O, von einer Torheit sprach ich nicht und hätte es nie gethan,« sagte er schnell; »wohl aber dachte ich an den Eigenwillen, mit dem Sie das kaum erst geknüpfte Band wieder lösten, als sei Mannesehre ein Spielzeug! Jenen Uebermuth, Sie sehen, jetzt rede ich offen, Isabella! konnte ich Ihnen nicht vergeben.«

Mit ernsten aber ruhigen Augen blickte sie ihn an.

»Es war kein Uebermuth und auch kein Eigenwille, daß ich Leopold aufgab, es war eine Nothwendigkeit!«

Einen Augenblick lang schwieg sie; dann aber, als hätte er selbst gedrängt, daß sie weiter reden solle, während er doch kein Wort sprach, fuhr sie fort:

»Ich fühlte mich stolz, daß ich ihm Liebe, Glück, alles geschenkt hatte und ich war sicher, daß dies nun immer so bleiben würde, dafür sollte ich bestraft werden! Leopold hatte es unternommen, ein Bild zu schaffen, in dem die beste Kraft seines Herzens Gestalt gewann. Durch einen Zufall sollte ich das erfahren, obwohl es mir zuerst verschwiegen geblieben war. Die Arbeit war vollendet, aber niemand hatte sie noch gesehen; da führte mich eine geringe Ursache in sein Zimmer. Ihn, den ich suchte, fand ich dort nicht; sein Werk, eine Büste, aber schaute ich. Tausendmal mehr noch als von der Hand des Künstlers war sie von seinem Herzen gebildet und die Züge es Urbildes erkannte ich – die meinen waren es nicht! – Was mir danach zu thun blieb, brauchte nicht erst überlegt zu werden; ob es schwer war oder leicht, konnte gleichgiltig heißen.«

»Isabella,« sagte er ernst, aber doch mit bewegtem Ton, »über Ihr Vermögen ging dieser Kampf nicht, denn die Wunde hatte nur Ihren Stolz getroffen. Wenn Sie es sich nicht klar sagten: leise gefühlt haben müssen Sie schon damals, was Sie hernach klar wußten, daß Leopold Waringer trotz seiner Natur und seinen Gaben nicht der Mann war, der zu Ihnen gehörte!«

»Ihr Auge ist scharf,« sagte sie in einer leichten Verwirrung, »aber –«

»Es ist noch schärfer und dringt noch weiter als Sie denken,« unterbrach er sie mit einem gewissen freudig-sicheren Ausdruck »Bevor wir aber davon reden, noch dies: hat Leopold Hoffnung, daß sich jene Liebe, von der Sie erfuhren, zu einer glücklichen werden wird?«

»Ja,« sagte sie mit festem Ton wieder, »und darum gerade durfte ich von dem Geheimniß reden! Ich bekam einen Brief von meinem Bruder, er theilte mir mit, daß Leopold in der nächsten Zeit für ein Jahr nach Italien gehen würde, daß er und Mathilde aber zögerten, ihm ein Wort, um das er flehentlich gebeten, mit auf die Reise zu geben. Ich weiß, aus welchem Grunde das ist und so will ich selbst die Fürsprecherin der beiden sein, das wird die Herzen beruhigen!«

Er neigte zustimmend, aber offenbar halb seinen eigenen Gedanken hingegeben, das Haupt.

»Sie können noch mehr vollbringen, Isabella,« sagte er jetzt, »und ich hoffe, Sie werden es.«

Sie blickte fragend zu ihm auf, in sein Gesicht, das wieder jenen freudig-ernsten Schimmer trug.

»Meinen Blick rühmte ich schon; nun aber muß ich es auch von Ihnen selbst hören, daß Sie einen Mann nicht länger hassen, der sich gezwungen hielt, seine Natur, seiner Ehre gleich zu wahren!«

»O nein, nein, Bernthal,« unterbrach sie ihn eifrig, »gehaßt habe ich Sie nie! Vielmehr habe ich es immer gefühlt, daß Ihre Natur eine edle war; die Anerkennung ward mir nur so schwer, weil Sie sich stets als mein Gegner zeigten!«

»Und doch schenken Sie mir endlich Ihr Vertrauen!« sagte er.

Sie blickte halblächelnd in seine Augen.

»Sie zwangen mich dazu, Bernthal!«

Mit einer fast ungestümen Bewegung ergriff er ihre Hände.

»Das war das Wort, das ich hören mußte und für das ich Ihnen danken will, so lange ich lebe, denn nun erst darf ich Ihnen zeigen, wie groß die Herrschaft ist, die auch Sie gewonnen haben, Isabella!«

Aller Stolz war in diesem Augenblick aus ihren Zügen verschwunden; ein ihr sonst fremder Ausdruck, eine überraschende Lieblichkeit ging in ihnen auf.

»Wenn meine Rechte in Ihrem Herzen liegen, so mag dies allein ihre Grenze sein!« sagte sie, indem sie ihr Angesicht gegen seine Schulter neigte, gerade als sie fühlte, daß er sie an sich zog.


 


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