Paul Zech
Der schwarze Baal
Paul Zech

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Das Pferdejuppchen

(1910)

I

Am Palmsonntag war Juppchens Konfirmation. Der Vater hatte versprochen mitzugehen. Dann aber kam plötzlich das mit dem Wetterbruch dazwischen, und er mußte die ganze Samstagnacht auf der zweiten Sohle durcharbeiten. Erst gegen sechs Uhr war er von der Grube gekommen. Mistnaß und hundemüde. Und um neun begann schon die Kirche. Als ihn seine Frau leise weckte, richtete er sich halb auf, stieß einen kräftigen Fluch aus und wälzte sich auf die andere Seite.

Da gingen Juppchen, Mutter und Großmutter allein. Es waren an die zwanzig Knaben, die eingesegnet wurden. Und sie trugen alle schon die Runen der Adamsqual auf der Stirn.

Der alte Pastor hatte danach seinen Text gewählt und schob mit viel Umständlichkeit den sechsten Vers des elften Kapitels aus dem Prediger Salomo seiner Rede vorauf. Er hatte die Genugtuung, daß nur wenige Augen trocken blieben.

Die Orgel spielte einen Choral dazu, der dumpf wie das Donnern der großen Fördermaschine klang.

Juppchens Lippen murmelten mechanisch das Schlußgebet, und dann stand er mit der Mutter wieder draußen auf dem öden, sandigen Kiesplatz.

Langsam kam die Großmutter angehumpelt. Sie küßte Juppchen auf beide Backen, daß es schallte. Und darüber hin gingen drei fröhliche Kirchenglocken.

Juppchen fuhr sich mit dem Handrücken durch das Gesicht und sprang auf den Weg.

Als sie den Vorgarten des Häuschens betraten, kam der Vater in Hemdsärmeln aus dem Kaninchenstall, die abgezogenen Felle von zwei weißen Tieren in der Hand. 28

Juppchen erschrak, als er des Vaters blutbefleckte Hände sah. An dem Küchenfensterkreuz hingen die dicken Bälge mit den bloßen Billen. Die runden Köpfe waren eine unkenntliche Masse mit herausquellenden Augen.

»O meine Hänschen«, seufzte Juppchen und eine Träne kollerte über sein Gesicht.

Es waren seine eigenen Tiere. Er mußte für das Futter sorgen und den Stall reinmachen. Er lebte mit den Tieren, er wußte, wann die Jungen geboren waren und wieviel von den Dingern jedesmal im Nest lagen. Er nahm sie, so oft er in den Stall kam, in die Hand, strich langsam und zärtlich über das samtene Fell und küßte die offenen runden Schnäuzchen. Nun waren die zwei schönsten Tiere tot.

»Mausetot«, sagte der Vater, wie wenn er die Gedanken Juppchens erraten hätte.

Sie gingen zusammen in die Stube.

Mutter zog das schwarze Kleid aus und band sich eine große blaue Schürze vor, um das Mittagessen zu bereiten. Während sie in der Küche hantierte, setzte sich Juppchen ans Fenster und erzählte dem Vater von der Predigt.

»Schon recht! Schon recht!« brummte der und schob den Pfeifenstummel von einem Mundwinkel zum andern.

Inzwischen hatte Mutter das Mittagessen bereitet: eine Schüssel Salzkartoffeln und Buttersauce und in einem tiefen runden Napf das weiße Kaninchenfleisch.

Juppchen aß nur von den Kartoffeln und ließ das Fleisch stehen.

Mutter schalt. Aber Vater sagte: »Laß nur, Alte. Morgen schmeckts dem Bengel schon besser.«

Juppchen stand vom Tisch auf. Zum ersten Mal hatte er vergessen, das Dankgebet zu sprechen und den Alten die Hände zu küssen. 29

Es erinnerte ihn auch niemand daran.

Er setzte sich in die Laube und weinte still und stetig.

Am Nachmittag gingen sie aufs Feld und pflanzten Bohnen. Die Sonne stach heiß wie im August. Die Erde staubte weiß auf. Und die Bäume der Allee tanzten hin und her in der ersten Knospenfreude.

Vom Dorfplatz, wo ein paar Karusselle, Luftschaukeln und allerlei Krambuden standen, kam wüstes Geräusch: Drehorgelgekreisch und Blechmusik.

Juppchen horchte auf und flüsterte der Mutter etwas ins Ohr.

»Was will er?« schnauzte der Vater.

»Juppchen möchte auf die Kirmes gehn!«

»Da wird nix draus. Morgen um fünf müssen wir aufstehn. Die Bummelei muß jetzt aufhören.«

Juppchen duckte sich wie unter einem Schlag. Er wollte ein Wort hinausstoßen. Aber die Zunge hielt es fest und verstopfte seinen Mund wie mit einem trocknen Lappen.

Gern hätte er auf den schönen braunen Holzpferden geritten.

Pferde liebte er noch mehr wie die Kaninchen. Jeden Nachmittag nach der Schulstunde war er dem Pferdeknecht des Direktors begegnet, der ein schwarzes blankgeputztes Tier durch das Dorf spazieren ritt.

Juppchen war immer eine Weile stehen geblieben und hatte mit feuchtglänzenden Augen dem Reiter nachgeschaut.

Einmal, als der Knecht vor dem Wirtshaus abgesessen war, mußte Juppchen das Pferd so lange halten, bis der bestaubte Reiter seinen Durst gelöscht hatte.

Juppchen bekam dafür ein paar Pfennige. Er sagte danach zur Mutter, daß er auch gern ein Kutscher werden möchte.

Aber die Mutter meinte, daß der Vater nie so etwas zulassen würde. Denn er sollte ein Bergmann werden, wie Vater und Großvater und all die anderen aus der Familie. 30

Juppchen hatte versucht, vielerlei Einwände aus seinem kleinen Gehirn zu kramen. Er hatte wirklich deren gefunden und die Mutter damit überschüttet, Tag für Tag. Bis sie des Geredes überdrüssig geworden war und ihn strafen mußte. Da hatte Juppchen einen kleinen verwunderlichen Schmerz empfunden und fortan der Mutter gegenüber von den Plänen geschwiegen.

An den stillen Vormittagen aber, wenn die Mutter im Gärtchen hantieren mußte, war er zur Großmutter auf die Stube gegangen und hatte vor ihren erstaunten Augen alle Wünsche vollzählig aufgebaut. Und die verhutzelte Greisin war immer milder Tröstungen voll, bis der Raum sich in Rührung gehoben hatte.

Sobald ein Karussell dann im Dorf war, steckte Großmutter dem Jungchen eine kleine Münze zu, sich nach Herzenslust auf den Holzpferdchen auszureiten.

Am Morgen vor der Konfirmation hatte sie ihm gar zwei Groschen geschenkt, auf den Kirmesrummel zu gehn.

»Wer weiß was morgen ist,« hatte sie gesagt und war mit der Hand über die Augen gefahren.

Nun hatte ihm der Vater das alles zunichte gemacht. Und sein Herz war doch so voll davon gewesen. Während der Predigt und beim Mittagsmahl und noch lange nachher.

Juppchen sah nach dem Vater hinüber mit zerfurchten Mienen, böse glimmenden Augen und dumpfen Blutes im Kopf.

Als die Dämmerung schattenhaft über das Feld kroch, gingen sie zusammen nach Hause. Vor der Straßenbiegung drehte sich Juppchen noch einmal um und sog die verworrenen Geräusche vom Kirmesplatz wie einen schönen Geruch ein.

Gleich nach dem Abendessen fing man an sich auszuziehen. Hosen und Röcke flogen über die Stuhllehnen. Mutter holte den neuen blauen Leinenanzug für Juppchen aus der Kommode und legte ihn auf den Schemel vor das Bett. 31

»Und nun fix in die Falle und morgen frisch aufgewacht!« polterte der Vater.

Bald wurde es totenstill im Hause. Aus der Kammer und vom Boden herab, wo die Großmutter schlief, scholl schweres Schnarchen.

Draußen im Garten blieb graugrünes Dämmerlicht, bis der Mond vorüber war.

Juppchen wachte die halbe Nacht. Zauberte sich Pferdchen in allen Farben vor und wählte sich aus der Schar einen kleinen schlanken Silberschimmel aus. Darauf ritt er hurtig über Berg und Tal einer fremden Ferne zu, und fühlte sich wachsen und sah sich wie einen glänzenden Ritter aus dem Märchenbuch. Und als die Uhr schlug, drei harte abgezählte Schläge, fühlte Juppchen dieses wie einen Befehl über sich: zurückzukehren und auszuharren in der Bestimmung des Vaters.

So wollte er nun ohne Gedanken wachliegen und warten, bis die Mutter aufstand und das Feuer in der Küche schürte.

Aber seine Augenlider wurden so schwer und auf der weißen Wand des Zimmers fingerte ein blutroter Schatten. Hastig zog Juppchen die Decke über den Kopf.

Mutters schwere Holzpantoffeln, die über die Diele stampften und nach draußen gingen und wieder zurückkamen, rissen ihn wie ein heftiger Schreck empor. Er fuhr hastig in die Leinenhosen und ging breitbeinig an die Wasserleitung. Mit viel Umständlichkeit wusch er sich Brust, Nacken und Hals, so wie er es beim Vater gesehen hatte. Danach setzte er sich wartend an den Tisch.

Da kam auch schon der Vater aus der Kammer. Schaute schlaftrunken drein und blieb gähnend vor dem Herd stehen.

Die Mutter stellte den Kaffee auf den Tisch und schnitt das Brot zurecht, das Vater und Juppchen mitnehmen sollten auf die Grube.

Juppchen trank hastig den Kaffee und vervollständigte seinen 32 Anzug. Ein Schauer der Erwartung fröstelte über sein schmales Gesicht und färbte die Lippen blau.

Der Vater nahm ihn beim Arm und zog ihn hinaus in den kühlen Morgen.

II

Über den toten Lehmweg zog schon ein langer schwarzer Zug von Fronleuten der Grube zu. Man ging wie über einen Feuerwerkplatz. Die kleinen Häuser an der Straße warfen große, braunblaue Vierecke auf den geölten Weg. Das Geräusch der Seiltürme flog gewitternd über die krausen Netze des Rauches. Rußschwärme jagten wirbelnd durcheinander. Töne von menschlichen Stimmen: Ein Zusammengeworfenes, dumpfes, melodisches Summen wie von Insekten, zerrissen in der Orgie der materiellen Brandung. Klangen nur in Pausen nach wie gedunsene Halle eines Echos. Waren Endungen eines Spieles, das Seele verlor.

Im Schein der wattigen Lampenhelle, die kaum die Giebel berührte, wanderten alle Menschen krumm, wie vergreist. Sie schienen nichts mehr wissen zu wollen und träumten ihre Wege hinab. Erde zitterte ihren Hälsen zu und mühte sich, die eckigen, durchgearbeiteten Schädel zu halten. In den Köpfen waren allein nur Kerne noch wach. Alles, was diese Kerne umhüllte, war ein trunkener Mechanismus. Eine Welle regelte ihn. Ein Magnetismus, der von einer außerordentlich organisierten Zentrale herkam: zu regieren und zu profanieren.

Und eins dieser Tore gähnte gefräßig und sog die Menschen, die waren, mühelos hinein.

Lange Arme ruderten, Gesichter sprangen weiß vor. Knochige Hände griffen Zahlen an. Gewirr von Lampen flog auf. Signalglocken überschrien den Steiger, der vielerlei Namen gleichgültig aufrief. Und die Namen bejahten halbgemurmelt die Aufrufe.

Dann und wann schnellte eine Hand empor: wie, wenn Kinder 33 Schulweisheiten auskramen. Eine Hand, die kühle Gefühle spürte. Wäre ein Wille darüber gelegen, hätte sie zugestoßen. Spitz und blank. Und wäre warm geworden in Röte.

Die Menschen aber wanderten in die Kaue. Das war ein kalkweißer Saal zur ebenen Erde. Lange Steintröge mit fließendem Wasser flankierten die Wände. Von der Decke baumelte in gedrehten Wirbeln das verschwärzte Blau der Arbeitsanzüge.

Man zog sich um. Die Luft stank von Schweiß und verschwitzter Unterkleidung. Dann standen Akte: blank wie Bronzen von Meunier.

Tatzenbreite Klauen klatschten zum Spaß auf muskulöse Schultern. Krampfadern standen geschwollen auf Fleischklumpen der Oberarme und Unterschenkel. Geschlechtliches lag dumpfverkrochen in den Höhlen. Nur das gewohnte Werfen mit Zoten, das gering und automatenhaft war, täuschte Springlebendigkeit vor.

Die Glocke ratterte wieder. Und ein Blöken schwoll wie Gedränge von Schafen im engen Stall. Hitzige Geräusche aus den Kehlen hatten aber kein Medium zu durchdringen.

Juppchen stand mit hochroten Wangen und klopfenden Herzens da. Etwas in ihm, das lange geschwiegen hatte, jubelte auf.

Der Vater aber sagte plötzlich ganz barsch: »Marsch, hallo!«

Und übergab den Jungen dem Schreiber und entfernte sich mit einem gleichgültigen »Glück auf!«

Mit fünf anderen Burschen, die schon länger auf der Grube waren, wurde Juppchen in den Förderkorb geschoben. Dann ging es hinunter. Dreihundert Meter tief.

Juppchen fühlte, wie sich alles in seinem Leib im Kreisel drehte und nach oben stieg. Sein Mund wässerte sauer, und seine Nase begann zu bluten.

Da hielt der Korb mit einem heftigen Stoß. Die Burschen zerrten Juppchen heraus und stießen ihn durch den Querschacht zur Pferdehalle. 34

Warmer Stallgeruch kam aus dem niedrigen Saal. An fünfzig Pferde standen da in Reih und Glied vor den langen Zementkrippen. Von der schwarzen, glimmernden Decke baumelten lange Lichterreihen und der weiße Strahlengischt schäumte in die entlegensten Ecken.

Ein Halbinvalide führte die Aufsicht über den Stall. Juppchen reichte ihm den Schein, den er vom Schreiber erhalten hatte, und bekam darauf seinen Platz zugewiesen. Ein älterer Bursche mußte ihn mit der Handhabung von Striegel und Bürste bekanntmachen und das Füttern zeigen.

Juppchen paßte mit hellen Augen auf und begriff sehr schnell. Er fühlte sich jetzt dem Willen des Vaters überlegen und triumphierte innerlich.

Als er nach Beendigung der Schicht wieder ausfuhr, stand der Vater schon fertig in der Kaue. Er machte ein böses Gesicht und fragte auch Juppchen nicht, wie es ihm unten ergangen war. Wortlos machten sie sich auf den Heimweg.

In der harten schneidenden Luft des Spätnachmittags fühlte Juppchen eine schwere Müdigkeit in den Gliedern. Seine Knie drohten einzuknicken. Er hielt sich aber tapfer bis zur Behausung.

»Da, hier hast du dein Pferdejuppchen, Mutter. Zu schwach ist er, um ins Gedinge zu fahren. Einen ganzen Taler Löhnung weniger bekommt er. Kaum genug, die Kost zu bezahlen!«

Die Mutter erwiderte nichts auf die ungewöhnlich harten Worte des Vaters, der sich mißmutig auf den Stuhl warf. Sie strich Juppchen über das feuchte Braunhaar und über die schmalen, sommersprossigen Backen.

Juppchen wollte der Mutter die Freude, daß er ganz unerwartet zu den Pferden gekommen war, jubelnd mitteilen. Aber vor dem Vater wagte er es nicht auszusprechen. Durch seinen Kopf rauschten die frischen Eindrücke wirr durcheinander. Er schwankte zwischen 35 Wollen und Nichtwollen eine lange Weile. Dann legte sich das Fieber.

Nach und nach verschwand auch die Müdigkeit in den Gliedern, wenn er von der Grube kam. Ganz heimisch war er dort unten schon geworden und stand mit den sechs Pferden, die er zu besorgen hatte, auf Du und Du. Den einäugigen Schimmel hatte er besonders lieb. Diese Liebe ging mit der Zeit so weit, daß er die Haferration der anderen Pferde beschnitt und das Ergatterte dem Schimmel zuführte.

Das merkte das so bevorzugte Pferd sehr bald, und es entspann sich eine innige Freundschaft zwischen den Beiden. Jeden Abend, wenn Juppchen den Stall verließ, drehte sich der Schimmel um, wippte mit dem Kopf und stieß ein helles Gewieher aus. Und sobald am nächsten Morgen der Förderkorb in die Sicherung schlug, vernahm Juppchen schon aus dem betäubenden Geräusch den leise gewieherten Frühgruß.

Immer, wenn er das Tier für die Wagenfahrt zurecht machte, erzählte er ihm alle Pläne, die er mit ihm noch vorhatte. Er würde sich Geld sparen. Jede Löhnung eine Mark. Und wenn dann ein schönes Sümmchen zusammen war, würde er den Schimmel dem Direktor abkaufen und mit ihm die Grube verlassen auf Nimmerwiedersehen. Oben könnte man vielleicht billig einen Wagen erstehen und für die Bahn Fuhrdienste tun. In der Sonne müßte es dem Schimmel doch viel besser gefallen. Da gab es frischen Klee und langes, weiches Gras. Und ein blankes Ledergeschirr mit Schellen am Joch sollte der Schimmel haben. Eine weiße, gebogene Peitsche mit einem goldenen Griff würde er auch kaufen. Aber nicht um den Schimmel zu schlagen. O nein, das tun nur die rohen Sandkärrer, die ihre Tiere im Regen stehen lassen, derweil sie im Wirtshaus sitzen und stundenlang Karten spielen.

Manchmal flocht Juppchen seinem Schimmel ein buntes 36 Wollband, das er der Mutter abgeluxt hatte, in die Mähne. Und den Fahrer bat er, nicht so rauh mit dem Tiere umzugehen.

Doch der verlachte ihn und riß das bunte Band immer wieder aus der Mähne heraus.

Eines Tages sagte Juppchen zum Schimmel: »Weißt Du, zwanzig Mark habe ich schon zusammen. Das wird bald langen zum Kauf. Dem Vater will ich es nicht eher sagen, bis es soweit ist. Dann räume ich den Kaninchenstall aus und bau Dir eine Krippe hin. Daraus sollst Du ganz allein fressen. Das wird viel schöner sein als mit den vielen zusammen. Und an den Wagen spanne ich Dich auch allein. Kein anderer soll Dich führen.«

Der Schimmel senkte den Kopf und schnupperte mit den weiten Nüstern über Juppchens Gesicht.

Während dieses Auftritts war der Inspektor mit dem Stallwärter in den Verschlag getreten und machte sich an dem Schimmel zu schaffen. Juppchen hätte aufweinen mögen, so rauh fuhr der Mann dem Tier über Rücken und Gelenke.

Nach einer Weile des Prüfens sagte der Inspektor: »Na, den alten Bock können wir ebenfalls ausrangieren. Zusammen mit dem lahmen Fuchs aus der vordersten Koje. Die Tiere brauchen nicht mehr eingespannt zu werden. Um zehn kommt der neue Transport.«

Der Wärter nickte und begleitete den Inspektor hinaus.

Juppchen, der den Sinn der Worte nur halb verstanden hatte, stand mit offenem Munde da und sah bald den Schimmel an, bald die anderen Pferde.

»So«, sagte der Wärter, der wieder zurückgekommen war, »nun werden wir den Klepper endlich los, Juppchen. Dafür bekommen wir ein ganz junges Tier! Fein, was?«

Juppchen kroch tief in sich hinein. Seine Knie zitterten. Die Augen rollten vor wie auf Stahlnadeln gespießt. Ein Weinen stieg von unten herauf und würgte ihm in der Kehle. Und dann war 37 es, als ob er sich mit ausgereckten Armen an einen festen Gegenstand lehnen müßte. Die Schläfen klopften wie Hämmer. Die Lippen brachen auf. Ein heller Schrei zerfetzte die Luft.

»Ich laß ihn nicht fort! Ich will ihn kaufen! Ich habe Geld! Wieviel willst Du haben? Morgen bringe ich es Dir! Ein ganzes Beutelchen voll Geld habe ich! Ich laß den Schimmel wirklich nicht fort!«

»Ach, was bist Du für ein kindischer Bengel! So ein Junge! Hat man so etwas schon erlebt?«

Juppchen weinte lautlos und ganz gebrochen.

Da riß ihn der Wärter an der Schulter empor: »Marsch, die Kette los. Und daß Du mir den Halfter ordentlich aufsetzt. Gleich kommt der Korb herab.«

Juppchen schritt an den Schimmel, strich ihm zärtlich das Fell und machte langsam die Kette los.

Der Schimmel beugte den Kopf herab. Mit dem offenen weitsichtigen Auge starrte er den Knaben an, als wüßte er, daß es ein Abschiednehmen für immer war.

Juppchen fühlte, wie ein blutiger Tau sein heißes Herz überströmte. Er fuhr sich über die Stirn und ließ die Hände schlaff herabfallen.

Plötzlich sprang er an den Verschlag, holte sein ganzes Brot und gab es Stück für Stück dem Tier.

Noch ehe der Schimmel den letzten Happen verschluckt hatte, rief der Wärter.

Juppchen warf dem Pferde den Halfter um und zerrte es hinaus. Er schritt wie zu einem Begräbnis.

Der Wärter riß ihm die Zügel aus der Hand, versetzte dem Schimmel einen Stoß in die Weichen und trieb ihn in den Förderkorb. Der Fuchs war schon festgebunden an der Gitterstange und stand ruhig mit herabgesenktem Kopf. Juppchens Schimmel kam 38 vorn zu stehen. Der Seilschläger riß an, und pfeifend fuhr der Korb in die Höhe.

Juppchen stand gerade unter der Schachtluke. Er schnalzte mit der Zunge, und gleich darauf vernahm er in dem schwelenden Düster ein unterdrücktes Gewieher. Und ganz deutlich sah er noch, daß der Schimmel den Kopf aus dem Gitter herabbeugte.

Juppchen wollte die Hand heben und winken – – in demselben Augenblick fiel etwas unendlich Schweres herab und traf ihn mitten in das erhobene Gesicht. Wie ein nasser Sack klatschte er breit hin und erhob sich nicht wieder.

Ein kantiger Türrahmen bei dem ersten Füllschacht hatte den vorgelegten Kopf des Tieres während der rasenden Fahrt glatt vom Halse getrennt.

Der Grubenarzt, der Juppchen den Totenschein ausschrieb, setzte trocken hinzu: er wurde von einem in den Schacht herabfallenden Pferdekopf erschlagen.

 


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