Theodor Wolff
Pariser Tagebuch
Theodor Wolff

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Theodor Wolff

Pariser Tagebuch

 


 

Albert Langen
Verlag für Litteratur und Kunst
München 1908

 


 

Herrn
Antoine Bavier-Chauffour,
Neuilly sur Seine,
in herzlicher Freundschaft

 


 

Die kleinen Skizzen dieses Tagebuches sind, mit einer großen Anzahl anderer, für das »Berliner Tageblatt« geschrieben worden. Sie sind im Laufe von zwölf Jahren entstanden, unter sehr verschiedenartigen Luftströmungen und Eindrücken, und ich brauche nicht erst zu sagen, daß im bunten Wechsel der Zeiten und der Ereignisse auch die Anschauungen und Ideen sich bisweilen gewandelt haben. Ich habe über manche Persönlichkeiten und Fragen im zwölften Jahre naturgemäß anders gedacht als im ersten, und einiges, was ich früher frohgläubig hingeschrieben, erscheint mir heute eigentümlich fremd. Wäre es richtiger gewesen, diese älteren Tagebuchblätter ganz zu unterdrücken und nur die gefestigten Überzeugungen hier wiederzugeben? Aber wenn es mir vergönnt wäre, noch einmal zwölf Jahre in Paris zu verleben, so würden diese gefestigten Überzeugungen vielleicht abermals sich wandeln, und die Weisheit des reiferen Alters würde fortfahren, über die frühere Unreife zu lächeln.

In der fortgesetzten Erneuerung der Auffassungen habe ich, nur in steter Steigerung, eines unablässig empfunden: eine große Liebe für die Stadt Paris. Diese Liebe kann nicht völlig begreifen, wer nur dann und wann flüchtig in diese Stadt hineinblickt, und es kann sie auch keiner von jenen deutschen Brüdern begreifen, die noch draußen in der Fremde den Gewohnheiten und dem Ideenkreise ihres heimatlichen Stammtisches treu bleiben. Ich gebe gern und ohne Umschweife zu, daß andre Städte mancherlei Vorteile bieten, daß die Straßen anderswo sauberer, die Wohnungen geräumiger und die Klosetts hygienischer sind und auch andere soziale Einrichtungen von allgemeinerer und größerer Bedeutung sich durch ihre Vortrefflichkeit auszeichnen. Aber in Paris liegt über den Dächern, über dem Arc de Triomphe und über den Bäumen auf den Kais ein so feiner silberdurchglitzerter Duft, die Menge in den Straßen ist nicht griesgrämig und nicht eintönig grau, alles hat Hintergrund und Tiefe, Fülle und Farbe, und an jeder Straßenecke sitzt verführerisch das Leben und bietet dir seinen Strauß.

Die Blätter dieses Tagebuches sind bunt und fast wahllos aus dem Bündel herausgegriffen, aber vielleicht gibt ein Farbendurcheinander, bei dem der Zufall mitgewirkt hat, am ehesten einen matten Abglanz von der reichen Lebensbuntheit der Stadt Paris. Wenn man solche schnell hingeworfenen Tagebuchnotizen wieder hervorkramt, solche nun etwas verblaßten und zerstäubten Schmetterlinge noch einmal aus dem Kasten nimmt, so sucht man gewöhnlich nach einer Entschuldigung. Ich möchte darauf verzichten, eine Entschuldigung vorzubringen, denn es ist mir, offen gestanden, nicht recht ersichtlich, wie und wo ich sie entdecken sollte. Früher, in jenen Jahren, als die Jünglinge noch Gemüt hatten, schlang man um die Tagebuchblätter seiner Liebeszeit ein tränenbenetztes rosaseidenes Band und schrieb auf den Umschlag den Namen der Geliebten: »Adelaide«. Ich umwickele diese losen Blätter, die ebenso viele Liebesbriefe sind, mit einem Bande, das nicht rosaseiden zu sein braucht, und schreibe darauf den teuren erinnerungweckenden Namen »Paris«.


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