Ottilie Wildermuth
Bilder und Geschichten aus Schwaben
Ottilie Wildermuth

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Herr Wezler und seine Frau.

Der Herr Stadtrath, auch Feuerversicherungsagent Wezler war gewiß der umsichtigste und fürsorglichste Hausvater in der Welt. Die berühmte Uhr des Pfarrers Hahn, deren Zeiger alle Weltereignisse bis zum Ende der Dinge andeuten sollen, schien ausdrücklich für ihn construirt zu sein, um seine Berechnungen darnach zu machen. Schade, daß er sie nicht besaß! – Er gieng beständig mit hinaufgeschobener Brille, die Stirn in nachdenkliche Falten gelegt, die Hände auf dem Rücken, mit einigen Zeitungsblättern in der Hand, zwischen Barometer und Thermometer auf und ab und meditirte. Das Gewicht seines Schlafrocks zog ihn fast zu Boden, weil er zu demselben aus Fürsorge den stärksten Kölsch doppelt hatte nehmen lassen, und als in die Oberhaut besagten Gewandes am Ende doch Löcher brachen, zeigte er mit rührender Freude seiner Frau, wie hübsch es nun sei, daß darunter derselbe blaugewürfelte Kölsch das Tageslicht begrüße. Seine Ausgangskleider und Hüte kamen zweimal aus der Mode und zweimal wieder hinein, weil sie aus Vorsicht von beinahe unsterblichen, luftdichten, wasserdichten, schmutzdichten Stoffen verfertigt waren.

Sein Haus nebst sämmtlichen Baulichkeiten, bis zum Schweinstall herab, war mit Blitzableitern wohl versehen und es war zu verwundern, daß er nicht, wie jener Fürst von Neuwied, noch einen Wetterableiter auf dem Hut trug. Daneben war er in allen möglichen Feuer-, Hagel- und Lebensversicherungen und gab sich unendliche Mühe, eine Versicherung gegen Wasserschaden zu Stand zu bringen, weil er eine kleine Wiese am Bach hatte, die seit Menschengedenken einmal unter Wasser gestanden hatte. Natürlich betheiligte er sich auch bei jeder Art von andern Vereinen, die aus umsichtigen und fürsorglichen Gesinnungen entspringen, und gründete selbst solche. Das städtische Wochenblatt war durch ihn fast beständig mit Anzeigen bereichert, in denen er an den Gemeinsinn und die Voraussorge seiner Mitbürger appellirte. Im Februar schon erließ er einen Aufruf: »am Raupenfraß theilnehmende Freunde werden zu einer Besprechung eingeladen;« im März forderte er die »Mitbürger, welche die gesegnete Ernte dieses Jahrs nicht zum Raub der Mäuse sammeln wollen,« auf, jetzt schon fleißig Mausgift zu legen, um ganze Generationen von Mäusen vor der Geburt zu tödten; kurz sein Leben war eine endlose Kette von Sorgen und Vorkehrungen für alle denkbaren und undenkbaren Ereignisse, die ihn oder andere Leute betreffen könnten.

Seine Frau schien dagegen die leibhafte Ruhe zu sein. Man sah sie selten anders, als den Tag über an ihrem Tischchen am Fenster mit einem Korb voll Socken und Strümpfen zum Stopfen, der, ein umgekehrtes Danaidenfaß, sich immer wieder zu füllen schien, so oft er auch geleert wurde. Abends bei Licht am eichenen Tisch in der Mitte des Zimmers aber war sie ebenfalls mit Socken beschäftigt, dießmal jedoch mit neuen, die von einem ungeheuern Knäul abgestrickt wurden. Sie schien, hierin so fürsorglich wie ihr Mann, nicht nur ihr Haus, sondern ganze ungeborene Geschlechter für alle Zukunft mit Socken versehen zu wollen.

Bei der Wahl dieser Gattin hatte Herrn Wezler wirklich seine Umsicht wenigstens nicht ganz betrogen. Er hielt es für gut, bei einer Frau auf zeitliche Güter zu sehen, damit sie in ihrem Alter dereinst nicht Mangel leiden dürfe, und zog eine Waise vor, weil man nie genau wissen könne, was eine Frau bekomme, so lang die Eltern noch leben. Diese Voraussetzung täuschte ihn leider, denn nach der Hochzeit ergab sich, daß ein schlechter Stiefvater das sämmtliche »anerstorbene« Vermögen seiner Frau durchgebracht hatte. Soweit hatte also die Fürsorge nichts geholfen. Dagegen hatte er im Uebrigen gewählt wie der berühmte Vikar von Wakefield: nicht nach glänzendem Schein, sondern nach haltbaren Eigenschaften, und da hatte er nicht fehl gegriffen. Frau Wezler war ihr Lebenlang keine Schönheit gewesen; ein boshafter Gast hatte sogar am Hochzeittag bemerkt, sie sehe aus wie ein Zeug auf der Rückseite, man meine, man müsse sie wenden, um auch die hübsche Seite zu sehen. Aber dieser farblose Teint hatte das Abtragen nicht zu fürchten; wie sie nie sehr jung ausgesehen hatte, so wurde sie auch nicht alt, und zwanzig Jahre nach der Hochzeit saß Frau Wezler noch als dieselbe gute behagliche Mama in demselben braunen Kleid, an demselben Korb mit Socken, wie sie schon acht Tage nach der Hochzeit dagesessen hatte.

Sie war nun freilich weder schalkhaft noch hinreißend, sie hatte kein »silbernes Lachen« und keine sprudelnden Einfälle, hatte auch niemals dem Herrn Stadtrath Wezler ›sein Haus zum Himmel gemacht‹, wohl aber zur guten traulichen Heimat, und sie verbreitete eine so behagliche Lebenslust um sich, daß nicht nur gesetzte Leute, sondern selbst die jüngsten und lebensfrohsten Mädchen ihren Umgang suchten, und gar manches sonst ängstlich bewahrte Geheimniß unverlangt in ihre verschwiegene Brust niedergelegt wurde; sie sah so ungemein zuverlässig aus.

Ihre große Ruhe hatte sie sich wohl als Gegensatz zu ihres Mannes rastloser Vorsorglichkeit angewöhnt; eine unthätige Ruhe war es darum nicht. Gar manches hatte sie in aller Stille schon gethan, ehe Herr Wezler dazu gekommen war, es anzuordnen; während er für die fernste Zukunft dachte, sorgte sie für den nächsten Augenblick, und ihr allein, ihrer Sparsamkeit und Häuslichkeit war es zu danken, daß Herrn Wezlers schönes Vatererbe nicht schon lange in lauter Maßregeln für die Zukunft aufgegangen war. Sie hatte ein gar stilles und frommes Herz, ihre einzige Belesenheit war in der Bibel und an ihrer innigen, getrosten Zuversicht löste sich des Gatten Aengstlichkeit gar oft in ein beruhigtes Lächeln auf, wenn sie so herzlich und ruhig sagte: »Alter, laß auch dem lieben Gott noch was übrig!«

Der ewige Korb mit Strümpfen könnte von einsichtsvollen Hausfrauen nun freilich als ein Beweis gegen ihre Tüchtigkeit angeführt werden, denn eine rechte Hausfrau hat offenbar noch mehr zu thun als Strümpfe zu flicken. Solchen detailkundigen Frauen muß ich nun zugeben, daß allerdings, ehe Frau Wezler ein eigen Töchterlein hatte, im Hinterstübchen häufig ein armes, lahmes Mädchen saß, die den Bedarf an Leinwand verfertigte und flickte, was die von jeher schwachen Augen der Frau Wezler nicht gut ertrugen. Daneben that sie aber in der Frühe des Morgens und Nachts, wenn selbst ihr Gemahl sein sorgenschweres Haupt nieder gelegt hatte, gar manches, wozu es bei einer andern Frau viel Lärmen, Aerger und Commando bedurft hätte.

 
Herr Wezlers erster Sohn.

Der liebe Gott hatte es gut gemeint mit Herrn Wezler, daß er ihm keinen zahlreichen Kindersegen verlieh; die Sorgen für die Zukunft vieler Kinder hätten ihn sicher vor der Zeit in's Grab gebracht. Schon bei den zwei Söhnen, die ihm geschenkt wurden, kostete es ihn Besinnens und schlaflose Nächte genug, bis er für alle möglichen Fälle ihrer Zukunft gehörig vorgesehen hatte.

Sein erster Sohn war noch nicht acht Tage geboren, so stieg er eines Abends zur Wöchnerin hinab, die in behaglicher Mattigkeit mit seligem Lächeln das Kindlein ansah, das vor ihr auf dem Bette lag. Er hatte alle Hände voll gedruckter Vereinsstatuten, die er um den Neugeborenen ausbreitete. »Da find' ich höchst zweckmäßige Anstalten,« begann er eifrig, »wie man eine Leibrente für ein Kind kaufen kann, wenn man gleich nach der Geburt einlegt. Sieh einmal, was würdest du vorziehen?« So wenig seine Plane in der Regel bei der Frau Anklang fanden, so war's ihm doch Bedürfniß, sich gegen sie darüber auszusprechen. – »Lieber Alter, mein Kopf ist zu schwach zu den vielen Zahlen,« sagte sie; »meinst du nicht, wir sollten das Kindlein zuvor in eine ewige Lebensversicherungsanstalt thun, ehe wir für's zeitliche sorgen?« Daß seine Frau damit die Taufe meinte, begriff Herr Wezler nicht gleich, war aber nachher hoch erfreut über den guten Gedanken, der ihm die heilige Handlung in ein ganz neues Licht brachte. In den Leibrentenverein setzte er das Kind dennoch, obgleich die Direktion nicht in die vielerlei Bedingungen, die er an unzählige mögliche Fälle knüpfte, eingehen wollte.

Was soll aus dem Kindlein werden? war natürlich eine Frage, die sich dem glücklichen Vater schon vor dessen Geburt aufgedrängt hatte, und die jetzt, wo wenigstens das Geschlecht desselben entschieden war, mit neuer Energie angeregt wurde. – Herr Wezler änderte seine Plane, je nachdem die anscheinenden Anlagen und Neigungen des Kindes wechselten. Da sein erstes und liebstes Spielzeug ein Stecken war, so glaubte der Papa ihn zum Lehrfach berufen und notirte zu dem Ende bereits alle ausgeschriebenen Lehrstellen, um sich allmählich ein geregeltes Verzeichniß davon anzulegen. Später zeigte der kleine Bube bedeutende Lust am Hacken und Graben; das schien ihn zum Landwirth zu stempeln und Herr Wezler besann sich, ob er nicht seine paar Aecker und Gärten durch Ankauf neuer Grundstücke nach und nach zu einem kleinen Landgut arrondiren solle zum künftigen Besitz seines Sohnes. Als aber die Lust am Graben durch eine ungemeine Freude an lebendem Geziefer, Käfern und Schnecken abgelöst wurde, da meinte der Vater, jetzt sei's klar, daß der Junge einen kapitalen Naturforscher gebe. – Die Mutter hatte mit Adolf ihren eignen stillen Plan, sagte aber nichts davon, dieweil auch in ihrem Hause das seltsame Phänomen stattfand, das man hier und da beobachtet, daß nämlich die besten Männer etwas absolut nicht wollen, bloß weil es die Frau zuerst gewollt hat; schweigend hörte sie die verschiedenen Entwürfe an.

In seinem vierten Jahr aber nahm sie Adolf einmal mit in die Kirche, was sie mit dem meist stillen und ruhigen Kinde wohl wagen konnte. Richtig stieg am Sonntag Nachmittag, den Herr Wezler wie immer im Schooß seiner Familie zubrachte, der kleine Bursche auf einen Schemel, streckte die Hände hinaus und fieng an allerlei Unsinn pathetisch vorzutragen. »Was thust?« fragte der entzückte Papa. »Predigen,« erwiederte das Kind ganz ernsthaft, und jetzt gieng dem Vater das rechte Licht auf. »Hörst du's, Hanne?« rief er der still lächelnden Mama zu; »da hast's, was der werden soll!« – »Freilich,« fieng er bedenklich wieder an, »sind die Aussichten im geistlichen Stande äußerst gering; kann sechsunddreißig Jahre alt werden, bis er Pfarrer wird.« – »Ja,« stimmte die Mama bei, »wenn er keinen Patronatsdienst bekommt.« – »Da hast du recht!« fiel der Vater ein. »Hier kommt alles auf vornehme Bekanntschaft an; er kann Hofmeister werden bei einem adeligen Herrn, macht Reisen, bekommt die Pfarrei auf dem Gut. Man muß nur bei Zeiten darauf denken. – Mein Vater selig, der Chirurg, hat einmal einem vornehmen Reisenden ein gebrochenes Bein eingerichtet,« fuhr er nachdenklich fort; »aber das ist zu lange her; wir können ja sonst sehen.«

Von Stunde an war er sichtlich erheitert, weil nun seine Fürsorge doch ein bestimmtes Ziel hatte. Alle Spiele und Unterhaltungen, selbst die Kleidung des kleinen Buben sollten nun auf seinen ehrwürdigen Beruf bezogen werden. Trommeln und Trompeten, Peitschen und Säbel waren verbannt, ein Schaukelpferd wurde mit Rücksicht auf einen etwaigen Filialgaul endlich gestattet; von allen geschlachteten Schweinen des Hauses mußte von nun an die Haut abgezogen und gegerbt werden, um einen dauerhaften Einband für die Bücher des zukünftigen Studenten zu liefern.

 
Aussicht auf die Patronatspfarrei.

Ein Jahr darauf, als ein zweiter Sohn, Wilhelm, in der Wiege lag, der vor der Hand noch zu nichts als höchstens zum Ausrufer Fähigkeit zeigte, schienen Herrn Wezlers Hoffnungen bereits eine Stütze zu gewinnen. Es kam auf Veranlassung eines Manövers Militär in's Städtchen, und nur wer es selbst erlebt hat, weiß, welchen Sturm solches Soldatenleben in eine friedliche kleine Stadt bringt, in der die Schulbuben schon einem einzelnen Musketier nachgelaufen sind. In allen Häusern wird Wochen lang vorher geputzt, gerüstet, gekocht, gebacken, geräuchert und eingesalzen, als ob jede einzelne Hausfrau das ganze Regiment zu versorgen hätte. Und wenn sie einrücken, die todesmuthigen Helden, welche Erwartung, wen man in's Quartier bekommt, welche Verwunderung, daß der Krieger auch ist und ißt und trinkt wie ein ander Menschenkind! Dann das klirrende Leben und Treiben auf den Straßen; wie wichtig ist schon das simple Wasserholen für die Mägde, wenn die Brunnen von den jungen Kriegsgöttern umlagert sind; die Wachen, die Patrouillen, die schönen Musikaufführungen vor den Häusern, wo hohe Offiziere wohnen – das alles ist eine Art Bezauberung, noch ehe der Schlachttag anbricht und die Krieger mit wallenden Büschen, die Sieger zum voraus sorgsam bezeichnet, in Sieg oder Tod abziehen. Und welch reichen Gesprächstoff gibt das noch nachher in allen Visiten, wo jede Hausfrau sich rühmt, den artigsten Quartiersmann gehabt zu haben!

Es war nun auch in einer Zeit tiefsten Friedens, als das Städtchen dergestalt heimgesucht wurde. Den Manövern, als einer Anstalt, die von Sorge für die Zukunft zeugt, war Herr Wezler besonders hold und er bat sich mit großem Eifer Einquartierung aus. Er wurde auch wirklich zum Lohne seiner Bereitwilligkeit mit zwei Gemeinen und einem Lieutenant bedacht, der nicht bloß von simplem Adel, sondern ein rechter, lebendiger Graf, ein Graf von Schreckenhorst war. Das war eine Wichtigkeit. Am Tage, wo das Militär einrückte, untersuchte Herr Wezler in eigener Person das Gastzimmer, ob es auch würdig hergestellt sei. Den alten Stiefelknecht überzog er eigenhändig mit braunem Glanzpapier, damit er polirt erscheine, und als die Frau bedauerte, kein Bettcouvert, sondern blos Federdecken zu haben, da plünderte er sein Choleramagazin, wo Pfeffermünze und Kamillen in allen Präparaten, Bettwärmer und Flanellstücke seit dem Jahr 1830 als Rüstzeug gegen den drohenden Feind aufgeschichtet lagen, und opferte das schönste Stück Flanell als Bettteppich. Da er auf Vorsorge in Auktionen alle nur denkbaren Stücke für künftige Fälle an sich zu kaufen pflegte, so war er im Stand, das Gastzimmer mit allen Utensilien auf's vollständigste zu möbliren. Als Symbol des Kriegs, zugleich als Zeichen von Vertrauen, wurden sämmtliche Waffen, die er für räuberische Ueberfälle im Besitz hatte, ein alter Degen und zwei Pistolen, die nicht losgingen, nebst einer Trommel, die bei einer möglichen Feuersbrunst zum Lärmschlagen dienen sollte, zu einer zierlichen Trophäe aufgebaut. Unter andern nützlichen und nöthigen Gegenständen fand sich auch ein Aderlaßschnepper vom Papa selig, eine Hasenscheere und ein Zollstab unter der Zimmerausrüstung; ich glaube nicht, daß Herr Wezler selbst eine klare Vorstellung von den Fällen hatte, in denen diese Werkzeuge nöthig werden könnten.

Der junge Graf zog ein und nahm mit dankbarer Anerkennung von seinem so vollständig eingerichteten Zimmer Besitz. Er unterhielt sich mit dem Hausherrn auf's Beste, indem er ihn alle Möglichkeiten aneinander setzen ließ, die auf politischem Gebiete erfolgen könnten, wenn irgendwelche unwahrscheinliche Ereignisse einträten, und mit »ja« oder»vermuthlich« und »ganz gewiß« zu rechter Zeit einfiel. Der Mama vertraute er ganz unverlangt eine Menge Pferde- und Liebesabenteuer aus der Garnisonsstadt an, dem kleinen Adolf zeichnete er Soldaten auf die Tafel – kurz es war ein charmanter Herr.

Schon beim ersten Mittagsmahl brachte der Papa heraus, daß der Herr Graf dereinstiger Erbe einer Herrschaft sei, die zwei gute Pfarreien zu vergeben habe. Das traf sich ja wie gerufen! Nun rückte er mit seinem Plan für den Adolf heraus, explicirte dem Herrn Grafen die Vorzüge, die derselbe bekommen, die Kenntnisse, die er sich erwerben werde, und fragte vorläufig an, ob er sich wohl einst entschließen könnte, ihn als Hofmeister für seine künftigen Söhne, falls er welche bekomme, anzunehmen. Der Graf gieng mit herzlichem Lachen auf den Vorschlag ein, entwarf noch mit Herrn Wezler die Reiseroute der jungen Leute, fast in der Art wie einst die des Hieronymus Jobses, und trank in Punsch die Gesundheit des künftigen Hofmeisters und seiner Eleven.

»Da ist jetzt auch wieder ein Stück Zukunft weggeschafft!« sagte Herr Wezler beim Schlafengehen höchst vergnügt zu seiner müden Ehehälfte. »Jetzt kann man erst an den Wilhelm denken, den Adolf sehe ich nun als versorgt an. Ich hoffe, der Graf bekommt keine Töchter, oder läßt sie nicht daheim, damit mir der Bursche kein dummes Zeug mit so einer Comtesse anfängt!«

Die Mama hatte zu all diesen Planen ihr eigenes wehmütiges Lächeln und sprach, als sie vor dem Einschlafen das Vaterunser betete, mit besonderer Andacht die Bitte: Dein Wille geschehe auf Erden wie im Himmel.

Eine Zeitlang spielte nun freilich der kleine Adolf nichts als Soldaten, was den Vater etwas beunruhigte; als ihm aber die Mutter einmal von Feldpredigern erzählte, da ergriff er auch diesen Gedanken, und hielt von nun an dem kleinen Heer begeisternde Reden; das stellte denn auch den Papa wieder zufrieden. Es blieben freilich immer noch einige Kleinigkeiten zu besorgen und zu bedenken. Z. B. hatte der Graf geäußert, das Gut, wo die beste seiner Pfarreien sei, leide an verdrießlichem Wassermangel; aber Herr Wezler kannte den königlichen Wasserleitungs- und Brunneninspektor; er beschloß durch gelegentliche Zusendung eines Schinkens die Bekanntschaft wieder aufzufrischen und das Herz des Mannes geneigt zu machen, daß er seinerseits für Grabung eines artesischen Brunnens auf dem gräflichen Gut etwas thue. »So wird's noch hie und da was geben,« sagte er beruhigend zu der Frau, »aber in der Hauptsache dürfen wir den Adolf als vollkommen versorgt ansehen.«

 
Wilhelms Bestimmung.

So ernstlich sich Papa Wezler jetzt mit dem Gedanken an Wilhelms Zukunft beschäftigte, so wollte sich doch lange kein entschiedener Wink zeigen, wozu dieser bestimmt sei; zum Philosophen oder Demokraten allenfalls, denn auf's Zerstören, Umwerfen, Einreißen verstand er sich meisterlich, zeigte auch ohne alle Anleitung schöne Gaben zum Barrikadenbau mit Schemeln, Bauhölzern und hauptsächlich mit Büchern, worin er wirklich seiner Zeit voranschritt. Da dieß alles aber eben kein nutzbringendes Gewerbe ist, so konnte Herr Wezler nicht schlüssig werden, und er äußerte manchmal: übereilen wolle er nichts, aber so eine lange Ungewißheit sei wirklich peinlich.

Endlich wurde Wilhelm noch ganz bestimmungsloser ABCschütz; als derselbe aber schon im ersten Schuljahr entschiedenes Talent zum Zählen und Rechnen zeigte, fühlte endlich Herr Wezler große Erleichterung; zum Kaufmann war der Wilhelm bestimmt, jetzt war's am Tag! Er erstand auch noch am selbigen Tag aus dem Nachlaß eines verstorbenen Präceptors einen alten Kompaß, da sein Sohn doch als Kaufmann ohne Zweifel Seereisen zu machen hatte, und den ganzen Abend erging er sich mit seiner Frau, die in ihrer gewöhnlichen freundlich schweigsamen Weise zuhörte, in Planen für Wilhelms Zukunft. »Und dem armen Schelm, dem Adolf, wirds auch recht gut kommen, wenn er einen Kaufmann als Bruder hat; Pfarrer sind gar unpraktische Leute und werden oft angeführt, da kann der Kleine die Augen für ihn offen haben, seine Einkäufe besorgen. Und so einer Windfuchtel von reisendem Kaufmann kommts dann wieder gut, wenn ihn ein gesetzter Bruder Gottes Wort nicht vergessen läßt. Ja, ja, so ist's gut!«

»Nun ist freilich noch allerlei vorzubereiten,« begann er von neuem, »denn zu eignem Etablissement reicht's von unsern Mitteln nicht; man muß jetzt recht mit Ernst auf eine gute Partie für den Buben denken; hörst du, Frau.« – »Freilich,« entgegnete diese ruhig, »ich zweifle nur, ob sie schon geboren ist.«

Weitere Plane und Sorgen für die Zukunft schienen Herrn Wezler zunächst erspart zu bleiben. Adolf und Wilhelm blieben die einzigen Sprossen seines respektablen Hauses, und zu seiner großen Freude schienen auch ihre natürlichen Neigungen die Knaben auf dem Weg vorwärts zu führen, für den sie nun bestimmt waren, wozu wohl die stille Leitung der Mutter das ihrige beitragen mochte. Adolf war ein ernster, fleißiger Knabe, der seinem lateinischen Argument stets so viele Disticha anhängte, daß der Lehrer genöthigt war, ihn auf eine bestimmte Zahl zu beschränken. Die Geschichten aus der schönen Bilderbibel, die ihm der Vater angeschafft hatte, wußte er so lebendig und anschaulich zu erzählen, daß der Vater seinen Freund und Nachbar, den Herrn Butzengeiger, versicherte: »der könnte heut schon die Kanzel betreten.«

Wilhelm bekam zu den ersten Weihnachten, nachdem sein Beruf entschieden war, einen niedlich eingerichteten Kaufladen. Nachdem er, etwas minder kaufmännisch, Zucker, Mandeln und Rosinen aus demselben rein aufgegessen hatte, begann er mit Kaffeebohnen, Reis und Grüze ein recht geordnetes Geschäft, dessen Betrieb der Vater mit Herzenslust zusah. So streng dieser sonst auf Treu und Redlichkeit hielt, er konnte doch ein vergnügliches Schmunzeln nicht unterdrücken, als Adolf den Bruder verklagte, der ihn in einem Handel mit Weihnachtbackwerk übervortheilt, und ihm eine altbackene Kringel gegen einen Pfefferkuchen aufgeschwatzt habe: »Barbiert wahrhaftig den alten Kerl, den Adolf, über den Löffel! Ja, ja, dem muß man aufpassen!«

 
Weitere Aussicht.

Nicht zu lange nach diesem vielversprechenden Weihnachtstag hatte Herr Wezler eine Reise aus sehr unangenehmen Ursachen zu machen. Ein Vetter seiner Frau, ein Kaufmann, war mit Hinterlassung einer bedeutenden Schuldenmasse nach Amerika entflohen, und Herr Wezler, das respektabelste Familienglied, sollte als Vertreter des einzigen Kindes die verwickelten Angelegenheiten in Ordnung bringen helfen. Er reiste höchst übellaunig ab. Trotz seiner rastlosen Sorgsamkeit liebte er doch äußerliche Ruhe, und daß der vorliegende Fall ein sehr unerquicklicher und wenig dabei vorzusorgen war, sah er schon im voraus. »Die Kleine,« sprach er zu der Frau, »wird man am besten bei einer honetten Kleidermacherin in Kost unterbringen; die kann sie billig nehmen und sich zur Hilfe heranziehen. Obgleich ich dem Lump, ihrem Vater, nicht recht glaube, daß er sie nachkommen lassen wird, so wäre es doch möglich, und Kleidermachen ist für Amerika am einträglichsten.« – »Gewiß, und vielleicht, bis wir ein solches Unterkommen fänden, könnten wir das Töchterlein aufnehmen,« meinte die Mama. – »Ja, ja, im Nothfall, ein paar Wochen, länger nicht; wäre nicht gut wegen der Zukunft, weißt du! 's ist besser, das Kind wird gleich von Anfang drunten gehalten.«

Die Mama schwieg; sie hatte freilich ein mütterliches Verlangen nach dem armen verlassenen Kind, aber sie wollte nichts erzwingen, und sie holte einstweilen zum Trost eines ihrer Waidsprüchlein hervor, wie sie deren für alle Gelegenheiten bereit hatte:

Geht's nicht heute, wie man will,
Sei man nur ein wenig still,
Ist doch morgen auch ein Tag,
Da die Wohlfahrt kommen mag.

Nach vier Tagen kam Papa Wezler wieder mit ganz profitabler Miene, das Töchterlein, ein etwas verwahrlost aussehendes blauäugiges Kind mit einer ebenfalls verwahrlosten Puppe im Arm, neben sich auf dem rumpeligen Kutschwägelchen. Zehn andere Frauen wären vor Neugier gestorben, warum er gerade von diesem Geschäft so triumphirend zurückkomme, die Mama nicht. Die Buben umstanden laut begrüßend den Wagen und ließen das kleine Mädchen nach einigen Angaffen stehen, bis sie die Mama mit dem Gepäck belud. Des Kindes Bündelchen war leicht und schmal, aber Herr Wezler hatte sich für alle Wechselfälle der sechsstündigen Reise wie zu einer Nordpolexpedition ausstaffirt gehabt. Endlich war abgeladen, er selbst stieg herab, leerte jetzt erst das Kutschenkästchen, unterrichtete den Knecht über das mit dem dürren Fuchsen zu beobachtende Verfahren und stieg nun inmitten seiner schwerbeladenen Familie langsam die Treppe hinauf, die Kirschengeistflasche nebst dem steinernen Weinkrug vorsichtig in höchsteigenen Händen tragend.

Droben that er allerlei mitgebrachte Schätze auf. Adolf wäre zwar von der Concordanz, die aus des Vetters Nachlaß, wo sie schon zu Pfefferdüten bestimmt gewesen, gerettet worden war, eben so wenig erbaut gewesen, als Wilhelm von der Handwage und Münzordnung, die er erhielt, wenn nicht der Papa noch aus der Gantmasse eine Partie Zuckerkandel für künftige Hustenfälle und eine Anzahl Schusser ohne weiteren Zukunftszweck mitgebracht hätte. Mit diesen zogen die Buben lärmend ab, die Mama half Herrn Wezler zu Pantoffeln und Schlafrock, brachte die warmgehaltene Gerstensuppe – von Thee war er kein Freund – und führte dann die betäubte und erfrorene Kleine zu Bett, nicht ohne ihre Puppe sorgsam neben sie zu legen. Das Kind ließ alles mit sich geschehen und sah die Mama nur mit großen Augen an. »So, Marie, nun wollen wir noch beten,« sagte sie – »Beten?« fragte die Kleine verwundert, »nur die Pfarrer beten.« – »Du armes Tröpflein!« sagte die gute Frau mit nassen Augen, beugte sich über sie und faltete die Hände: »Der Herr segne dich und behüte dich, der Herr segne deinen Eingang und Ausgang von nun an bis in Ewigkeit!« betete sie innig mit leiser Stimme; das Kind faltete die Händchen auch und sah in die guten stillen Augen der Mama, die noch kein Mensch je besungen oder bewundert hatte, bis es einschlief.

Inzwischen hatte Herr Weiler sich erwärmt und gestärkt, die Söhne vor sich berufen, sie über die Begebenheiten der letzten Tage und ihre Fortschritte vernommen und sie sodann entlassen, und saß nun recht behaglich mit angezündeter Pfeife neben der Mama, die sich mit gewohnter Ruhe am Strickkorb etablirt hatte.

»Nun, Mama, was meinst?« begann Herr Wezler, »das hättest du nicht gedacht, daß ich nebenher eine Frau für den Wilhelm im Sack mitbrächte?« – »Eine Frau?« fragte Mama, dießmal mit unverstelltem Erstaunen, »die Kleine da?« – »Warum nicht gar! Da stand's schlimm, zwar nicht so schlimm, wie ich vermuthet; die Schulden konnten alle bezahlt werden, aber der Kleinen blieb kaum das Nöthigste, um ein Kostgeld zu bezahlen.« – »Das arme Ding scheint schrecklich verwahrlost,« sagte die Mutter. – »Ja, gewiß, davon später. Nun höre: wie ich den Angelegenheiten ihres Vaters auf die Spur komme, so stellt sich als Hauptgläubigerin eine Frau Krebsin heraus mit großen Summen, und es war Frau Krebsin hinten und Frau Krebsin vorne. Heinrichs bester Freund versicherte mich: »Ja, Herr, der Heinrich säße noch hier, wenn nicht seine Frau so bald gestorben und wenn die alte Hexe, die Krebsin, nicht gewesen wäre. Der Wittwerstand brachte ihn zum Wirthshausgehen, während das arme Tröpflein daheim verkümmerte, und die Alte quälte ihn um jeden Heller Zins bis auf's Blut, so daß er immer wieder und zu immer höhern Zinsen Geld aufnahm, bis er sich nicht mehr zu helfen wußte.« Da hört' ich denn auf nähere Nachfrage, daß die Frau Krebsin eine alte geizige Wittwe ist, die von Haus aus steinreich, als alte Jungfer einen noch reicheren alten Weinhändler geheirathet hat. Niemand kann sagen, wie reich sie ist, sie selbst soll's gar nicht wissen, obschon sie Tag und Nacht Geld zählt.«

»Und was dann?« – »Was dann? du fragst noch?« fuhr Herr Wezler in athemlosem Eifer fort. »Die Krebsin hat ein einziges Kind, ein kleines Mädchen von zwei Jahren, also gerade recht für unsern Wilhelm. Das Kind hat die Hölle auf der Welt, der alte Drache gönnt sich und ihr das Essen nicht. Ist sie einmal erwachsen und die Alte lebt noch, so thun wir Wilhelm in Condition nach M., wo sie lebt; ein Bursch, wie der einer wird, der muß der Jungfer Krebsin, die so in der Trübsal aufgewachsen, nicht übel in die Augen stechen! Die Alte speit natürlich Gift und Galle, denn sie muß das ganze Vatergut herausgeben; ich habe schon den Notar gesprochen, der ihres Mannes Testament gemacht hat. Daß wir die herumkriegen, das glaube ich kaum; thut aber nichts, in solchem Fall ersetzt das Gericht die elterliche Einwilligung. Man thut das Mädchen, die schlecht genug erzogen sein wird, in so ein Institut oder wie ihr's heißt; da bildet man sie heraus, und der Wilhelm kann das erste Geschäft im Lande gründen.«

»Warum nicht gar, Alter,« sprach die Frau mit großem Ernst. »Versündige dich nicht! was könnte auf solchem Geld für Segen ruhen?« – »Ei, Frau, da müßte man alles Geld begraben oder in's Wasser werfen, das schlechte Leute hinterlassen. Wilhelm wird's schon in Umlauf bringen, daß der Fluch davon geht.« – »Und was für ein Mädchen wird das werden!« – »Gerade das gibt oft die allerbesten Menschen; geizige Eltern haben selten geizige Kinder.« – »Dann wird sie eine schlechte Hausfrau.« – »Nun siehst du, da hab' ich vorgesorgt. Ich muß sagen, daß es allem nach eine schauerliche Wirthschaft sein muß bei der Krebsin; da hält es denn wohl schwer, daß das Mädchen ein rechtes Hauswesen führen lernt, auch wenn man sie ein Jahr oder so vorher zustutzt. Darum habe ich dir nun die kleine Marie da mitgebracht; aus der kannst du ein recht brauchbares Hauskäferlein herziehen; die kann dann einmal in's Mittel treten und die Haushaltung führen für die junge Frau, dann darf das Kind doch nicht bei Fremden dienen.«

»Ja, ja, ich will mein bestes an ihr thun,« versicherte die Frau, die lächeln mußte, daß sie selbst sich so ereifre wegen der Frau ihres Sohnes, der sich eben mit Adolf im Bett um einen zerbrochenen Bleisoldaten raufte.

 
Das Hauskäferlein.

Es fügte sich aber vor der Hand alles nach Herrn Wezlers Wunsch. Die kleine Marie, die in der Obhut der Mama recht auflebte, schien sich wirklich mit der Zeit zu einem vortrefflichen Hauskäferlein zu eignen. Kein eigen Töchterlein hätte mehr mit der Mama verwachsen sein, mehr an ihrem Mund hängen können als das so lang versäumte Kind; wie ein Hündlein folgte sie ihren Tritten, trug ihr das Schlüsselkörbchen oder Gartengeräth nach, reichte ihr Waschklammern, wenn sie Wäsche trocknete, und verrichtete so tausend kleine Dienste. In der Schule that sie sich nicht glänzend hervor, aber daheim war wunderbar früh die Hülfe des kleinen emsigen Händchens zu spüren.

Mit den Knaben stand sie nicht viel im Verkehr; Adolf trat bald in's Seminar ein und Wilhelm war so durch und durch ein wilder Schulbube, daß er sich geschämt hätte, sich mit einem kleinen Mädchen abzugeben. Hier und da genoß sie die Ehre, sein Pferd sein zu dürfen und mit einem Zügel im Mund vor ihm herzulaufen, aber nur im engsten Familienkreis; dergleichen Spiele wurden vom Papa nicht begünstigt. Um Wilhelms Kaufladen erwarb sich Marie im Stillen manche Verdienste, indem sie ihn aufräumte, denn er ließ oft eine Unordnung darin aufkommen, die kein glänzendes Zeugniß für seine künftige Geschäftstätigkeit war.

So viel sich auch Herr Wezler mit der Zukunft der Seinigen zu schaffen machte, so überließ er die Sorge für die Gegenwart meist der Mama, und unter ihrer stillen Herrschaft verfloß die Kinder- und Knabenzeit der Söhne in recht behaglicher Weise. – Nur die Kleidung war eine Schattenseite, da auf Herrn Wezlers Befehl Wämmser und Hosen allzeit für die Zukunft berechnet und demnach so weit und groß waren, daß die Buben darin fast verloren giengen. Es kostete Adolf viel Thränen verbissenen Zorns und Wilhelm viel blutige Kämpfe, wenn ihnen die Kameraden nachriefen: »Wezler, nimmst keine Hausleut' (Miethbewohner) in dein Wammes?« Die Mama wußte aber auch da versöhnend einzuwirken.

 
Striche durch die Rechnung.

Zwölf Jahre waren seit dem Abend verflossen, wo Herr Wezler das Pflegtöchterlein und zugleich die glänzende Zukunftshoffnung für seinen Wilhelm mitgebracht hatte. Adolf hatte seinen Erwartungen nicht so ganz entsprochen; zwar war er dem geistlichen Stande treu geblieben und hatte den Ruhm eines fleißigen, gesetzten Studenten, aber sein stilles, brütendes Wesen gefiel dem Papa nicht recht. Mit der Mutter verstand sich der Sohn gar wohl; so wenig sie die Stürme, Kämpfe und Zweifel begreifen konnte, die durch seine junge Seele zogen, so wohl that sie ihm mit ihren treuen Augen und guten Worten, mit den Sprüchen und Versen, die sie stets zu so guter Stunde zur Hand hatte und mit denen sie seinen hohen philosophischen Gebäuden manchen Stoß gab. Natürlich hatte Herr Wezler den Grafen und das Patronat nicht aus dem Sinn verloren, er hatte sein Andenken nach alter guter Weise je und je durch ein Präsent aufzufrischen gesucht, das er dem Herrn Lieutenant unter allerlei feinen Wendungen nebst Berichten über die Fortschritte des jungen Hofmeisters zusandte. Aber er hatte selten und stets sehr kurze Antwort erhalten. Als Adolf seine Studien vollendet, hatte Herr Wezler eine entschiedenere Aufrage gewagt, wie es mit »dero werther Familie stehe?« aber der Herr Graf hatte geantwortet, er sei leider noch gar nicht vermählt und sein Herr Vater derzeit noch im Besitz der Herrschaft. Adolf that das nicht leid; er trat in ein Vicariat, da er keine Lust hatte, Hofmeister zu werden.

Der Strich, der durch seine Plane gemacht worden, hatte Herrn Wezler ganz consternirt, und er hatte kein neues bestimmtes Projekt zum Ersatz für das vereitelte bilden können. Die Hoffnung auf's Patronat hielt er indessen noch immer fest, wenn es gleich mit der Hofmeisterstelle nichts war.

Heute nun war Adolf zum Besuch von dem nicht sehr entlegenen Vicariat in's Elternhaus gekommen. Da war noch alles, wie es allezeit gewesen: das Kanapee, die hochlehnigen Stühle, stets unter einem Ueberzug von blauem Kattun, unter dem die eigentliche Prachthülle ungesehen und unbewundert veraltete und zerriß:

Dem kleinen Veilchen gleich,
Das im Verborgnen blüht.«

Da saß der Vater am Fenster in seinem mit schwarzem Saffian überzogenen Lehnsessel, der nicht umsonst den Namen Sorgensessel trug, und zwar hielt der Papa eine Zeitung in der Hand, so nachdenklich, daß ihn wohl irgend eine Völkerzukunft beschäftigen mußte; am andern Fenster am Tischchen saß die Mama, jetzt auch mit einer Brille, die einzige Neuerung, strickend von ihrem Riesenknäul; daneben Marie am Nähzeug. – Eine Unterbrechung dieses Stilllebens war nie unwillkommen und mit dem guten heimatlichen »Grüß dich Gott!« wurde der Ankömmling freudig empfangen. Marie hatte ihm nach einem etwas schüchternen schwesterlichen Gruß den Platz bei der Mutter geräumt, und bald tönte draußen die gute gastliche Hausmusik der Kaffeemühle, die es wohl mit der vielgerühmten Poesie des singenden Theekessels aufnehmen kann.

Von Marie ist nicht viel zu sagen, wie denn auch überhaupt niemand von ihr sprach; sie war nicht groß und nicht klein, nicht häßlich und nicht schön; ein Paar liebe blaue Augen hatte sie, in die man gern hineinsehen mochte, wenn sie einem zufällig begegneten, und einen sanften Mund, der mehr zum Schweigen als zum Reden gebildet schien. Ein recht treues Hauskäferlein war sie geworden, und die Mama, die nie stark im Sorgen gewesen war, hatte es ganz verlernt, seit sie ihre Schlüssel und ihren Hauskalender in Mariens Hände gegeben hatte. Dabei war Marie keine stille lautlose Dulderin, sondern ein gutes frohherziges Kind, stets zufrieden, wenn man mit ihr zufrieden war. Belesen war sie just nicht und hatte auch kein Album, aber durch die Schriften und Lebensbeschreibungen frommer Männer, die Adolf der Mutter nach und nach geschickt und die sie ihr vorlas, war sie wenigstens in Einem Eckchen der äußern und innern Welt ganz daheim, und das gab ihr eine gewisse stille Sicherheit. Eine emsige Hand hatte sie und einen sparsamen Sinn. Sie legte Sammlungen aller Art an, wie solche nie in Kabinetten vorgezeigt werden: Seide- und Fadenenden, Schnüre und Bindfäden, Bandrestchen, Kattun- und Leinwandfleckchen. Wer etwas der Art bedurfte, gieng nie fehl bei ihr, und der Papa bemerkte äußerst wohlgefällig diese, für ihre spezielle Bestimmung so nützlichen Eigenschaften.

Adolf, obwohl sie ihn sehr verehrte, war ihr immer ziemlich fremd geblieben; bei Wilhelm aber, der in einer etwas weit entfernten Stadt seine Lehrjahre beendigte, war sie von der Rolle eines Pferdes beinahe zu der einer Schwester vorgerückt, so selten sie ihn auch sah. Sie hatte aus Papas Andeutungen allmählich den Plan für Wilhelms Zukunft und ihre Rolle dabei errathen; darum fühlte sie sich ihm besonders nahe und jetzt schon verpflichtet für ihn zu sorgen.

Der Kaffee war getrunken, der Papa hatte seinen Nachbar Herrn Buzengeiger zu seinem regelmäßigen Spaziergang abgeholt, Marie fiel es ein, daß sie Bohnen zu pflücken habe im Garten, und Mutter und Sohn blieben allein. Die Mutter wußte, fast seit seinem Eintritt, daß Adolf heute etwas besonderes auf seinem Herzen habe. – Ja wohl hatte er das: er hatte auch einen Zukunftsplan gemacht, einen, an den sich seine kampfesmüde Seele hielt wie an einem Felsen in wogendem Meer. Er wollte Missionär werden, und dieser Entschluß war aus so viel innern Stürmen hervorgegangen, daß er nun unerschütterlich feststand.

Das war für die gute Mutter ein schwerer Schlag. Wohl hatte sie die Sendboten des Evangeliums stets mit Bewunderung und Theilnahme mit ihren Gedanken in die Ferne begleitet, aber daß sie ihr eigen Kind, ihren Lieblingssohn vom Herzen weg geben solle, an die Möglichkeit hatte sie nie gedacht. Doch, die Hand, die ein großes Opfer von uns fordert, beut stets auch einen mächtigen Stab, nur wissen wir ihn nicht immer zu fassen. So bald sie eingesehen, wie es wirklich ein Beruf sei, zu dem ihren Sohn ein Gefühl innerer Notwendigkeit ziehe, so faßte sie auch ein männlich Herz, gleich jener Mutter der Maccabäer. Ihr nächster Gedanke war nun der Vater: »Weißt du was, Adolf? Schreibe es dem Vater und laß mir den Brief hier; er verarbeitets so leichter.« Das war dem Sohn auch lieb, und nun saßen Mutter und Sohn noch lange still beisammen, in einer jener gehobenen Stimmungen, wie sie selten im Leben einkehren, wo die innere Welt in ihre Rechte tritt, wo man ohne Worte sich versteht, als ob das Herz dem Herzen offen läge, Stimmungen, wie sie nicht allein jungen Herzen beschieden sind.

Der Vater verwand die Mittheilung nicht so leicht wie die Mutter; wo sie mit starker Seele ein freies Opfer brachte, da ließ er am Ende eben geschehen, was er nicht zu ändern wußte; aber etwas, was so gar nicht in seine Plane paßte, was so ganz außerhalb vernünftiger Berechnung lag, das betäubte ihn beinahe, und er gieng eine Zeit lang wie im Traume. Erst als er befahl, daß von nun an baumwollene Hemden gemacht werden müßten, da man keine Leinwand in heißen Zonen trage, und anfieng in Auktionen und sonst wo Glöckchen und Glaskorallen aufzukaufen, weil die bei den Wilden so beliebt seien, und Adolf unter Wilhelms Anleitung darin einst vorteilhafte Nebengeschäfte machen könne, versöhnte er sich allmählich mit dem Plan, die Mama sah daran mit gerührter Seele, daß er den Adolf doch noch als Sohn im Herzen trage, und sie verfehlte nicht, diesem solchen Beweis väterlicher Güte recht anerkennend zu rühmen.


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