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Franz Blei.
In Memoriam O. W.

Das Leben lässt in erschreckendem Grade die Form vermissen. Seine Katastrophen treten am falschen Ort ein und, treffen die Unrechten. Um seine Komödien spielt groteskes Grauen und seine Tragödien enden mit einer Farce. Es verwundet immer, wenn man ihm naht; alles währt zu lange oder zu kurz.«

Sollte man ein Beispiel zu diesen Sätzen suchen, man fände kein besseres als das Leben dessen, der sie aufschrieb. Denn an Oscar Wilde ist jedes seiner Worte wahr geworden, bis auf dieses eine, dass die Kunst und die Kunst allein uns gegen die schmutzigen Gefahren des Lebens schützen könne. Seine Sehnsucht zu erfahren, was die Wahrheit mit der Schönheit etwa verbinde, führte ihn auf verrufene und von der Wohlanständigkeit gemiedene Wege des Lebens – er glaubte sie sicher gehen zu können, denn er trug das Sakrament der Schönheit vor sich her, dass es ihm leuchte. Aber das Leben verwundet immer, wenn man ihm aus Träumen kommend naht. Und Wilde hatte wie Dorian Momente, in denen er das Böse nur als ein Mittel ansah, seine Vorstellung des Schönen wirklich zu machen, und man sah ihn mit dem Bösen umgehen. Er erkannte die Sünde als das einzige, das in unserer Zeit Farbe und Leben bewahrt hat, und dass wir zum Heiligen nicht mehr zurück und weit mehr vom Sünder lernen können. Er war wie Dorian ein Typus, nach dem unsere Zeit so stark verlangt und den sie doch fürchtet, den sie in heimlichen Gedanken vorbildet und verehrt und den sie ans Kreuz schlägt, wenn er zum Leben kommt. Denn noch steht Denken und Tun nicht unter einem Gesetz, und was wir Leben nennen, danken wir dieser Zwiefältigkeit, ohne die die Erde nur um ein sündloses Tier reicher wäre. –

Die künstlerische Hinterlassenschaft Wildes wäre bedeutend genug, dass sein Name für die Zeiten stünde. Aber es hat sein Leben ein Schicksal erfahren, dessen groteske Tragik vor dem Werke steht und einen skurrilen Schatten darüber wirft, der in England dicht und schwarz ist wie die Nacht der Vertilgung. Man könnte die stupide Grausamkeit eines Volkes bewundern, das – der Lord und die Metzgerburschen als eine Masse – seinen Liebling von gestern zwei Jahre lang zu Tode martert, daran noch nicht genug hat und auch das Andenken an ihn ausrotten möchte, als das eines Infamen. –

Wilde hatte viele und nicht geringe Meinungen von sich: er hielt sich für einen Führer und Lehrer der Menschheit, einen Propheten, einen Denker, einen grossen Dichter, einen Dandy. Dass er so oft Anlass nimmt, uns dieser seiner Kräfte zu versichern – er sagt, dass sie ihm eigen sind – das macht nachdenklich und darüber zweifeln, ob er wirklich Herr dieser Kräfte war, ob eben dieses Bewusstsein seiner suchenden Seele nicht immer im Wege stand, ob er nicht etwa alles nur sein wollte was er zu sein, wahrhaft und wirklich zu sein meinte. Aber auch Ambitionen können das Wesen eines Menschen merkwürdig bestimmen, und Wilde verstand es, für seine Ambitionen ein treffendes Wort und eine deutliche Pose zu improvisieren, denn sein literarisches Temperament war so stark wie sein gesetzloser Egotismus, mit dem er sich über alles Leben stellen zu können meinte. Und wo er die Improvisation weiter treibt, wo er ihr Dauer geben will über den Augenblick hinaus, da werden feinere Ohren das Geräusch einer pedantischen Feile hören – viele, die ihn persönlich gekannt haben, verzichten darauf, seine Bücher zu lesen, weil sie ihnen allzusehr gemacht und falsch geschmückt vorkommen. Er war von jenen, qui passent leur vie à se parler, die ihre Wirkung unmittelbar sehen müssen und sich daran zu ihrem Besten erregen. Die Exaltation im Schreiben ist nicht die gleiche.

Ähnlich wie Beardsley die Formtraditionen der Präraphaeliten brachte Wilde die ästhetischen Traditionen, die von Pater ausgingen, zu einem Ende, das der Auflösung gleich ist, durch eine heftige und oft pedantische Forcierung des Prinzips vom Leben in Schönheit, das ihm so zu einem Paradox wird, mit dem zu spielen ihn sein leichter irischer Witz gern verleitet. Kein Dichter hat je die Kunst absoluter über das Leben gestellt als Wilde; sie war ihm weder ein heimliches Laster noch ein Trost, kein Rauschmittel und keine naive Düperie; sie sollte ihm nicht das Leben erträglich machen, sie sollte ihm vielmehr das Leben überhaupt sein, der Sinn des Lebens, als dessen König er sich fühlte und als dessen erste Pflicht er erkannt hatte, so künstlich als möglich zu sein und von der zweiten Pflicht sagte, sie sei noch nicht entdeckt. Die eigene unruhige, unberuhigte Art und die Verblüffung der Welt über seine Andersheit liessen ihn alle Gedanken bis ans Ende denken, wo sie paradox werden, und »was mir das Paradoxe in der Sphäre des Denkens, wurde mir das Perverse im Bereich der Leidenschaft«. Da waren noch dunkle Gründe und Bezirke im Bereich des Lebens, die er in das Reich seines Lebens bringen musste, das er ohne Grenzen nur fassen konnte, als ein formloses Stück des Grösseren, der Kunst. Nicht des darum Wissens willen lud er die »Schädlinge des Lebens« an seine Tafel, nicht um irgendwelcher Künste willen gelüstete es ihn, von den Früchten aller Bäume im Garten der Welt zu essen – er fühlte: die Vollendung durchläuft den ganzen Kreis, die Tag- und Nachtseite, und er wollte sich die Welt in seine Brust drücken um des Kunstwerkes seiner selbst willen, dessen Maasse er grösser fand als die alles Lebens. Alles Leben wollte er in sich ziehen, um es aufs neue zu schaffen, sich selbst, den Schöpfer, darin als Erschaffener, schaffend und schauend, geniessend und sich selber ein Genuss.

Da nahmen dem Glücklichen, der »Schmerzen und Sorgen aus dem Wege gegangen war, da sie ihm beide zuwider«, da nahmen ihm die Menschen den goldenen Becher aus der Hand, der seiner Seele Perle im Weine hielt, und gaben ihm ein Blechgeschirr dafür, gefüllt mit Ekel und Elend, und nahmen diesem Wandelnden unter dem Licht, der sich ein Gott träumte, alle erfahrenen Möglichkeiten seines Traumes, da sie sein Leben zum Tiefsten erniedrigten. Es war eine Probe auf sein Königtum über das Leben, und er hat sie als Künstler bestanden: er fand sich das Glück der Gestaltung seines Schmerzes und behauptete sein illusionäres Königreich. Er trug auch dieses Leben des Elends, indem er es sich zum Kunstwerk schuf: »Die Darstellung ist für den Künstler die einzige Form, unter der er das Leben begreifen kann.«

De Profundis ist ein Kunstwerk, kein Bekenntnis- oder Tagebuch – wer es so nimmt, wird Lügen, Unehrlichkeiten darin finden, weil er irgendwelche menschliche Beweise sucht, die Wilde gar nicht geben will und seinem Wesen nach auch nicht geben kann. Er findet das Pathos seiner Situation, das ihm nötige Piedestal und improvisiert darüber.

Er erinnert sein früheres Leben und findet eines darin nicht, das ihm nun zu seiner Vollendung zu teil ward: den Schmerz. Und er findet für »das purpurne Schauspiel seines Wehs« die ergreifendsten Worte der Schönheit und richtet seinen Schmerz an der mitleidigen Liebe auf. Schmerz und mitleidige Liebe sind nun sein Piedestal, ohne das seine pathetische Art nicht sein kann. Und in Christus schafft er sich ein Symbol seiner Sehnsüchte und Erfahrungen, in einem Christus, der »des Shelley und Sophokles Bruder«, »ganz ein Kunstwerk« ist, der »sich die ganze Welt des Unausgesprochenen, die Welt des Schmerzes, die keine Stimme hat, zu seinem Königreich erkor und sich selbst zu ihrem eigenen Sprachrohr machte«. Aus der Not seines Herzens und allen Wünschen seiner Kunst deutet er sich des Heilands Mythologie: »Und da er vermöge der künstlerischen Natur eines, dem Leiden und Kummer Formen waren, durch die er seinen Schönheitsbegriff verwirklichen konnte, inne ward, dass seine Idee wertlos ist bis sie Fleisch wird und zum Bilde, so machte er aus sich das Bild des Leidenden, und als Leidender hat er die Kunst angeregt und beherrscht, wie es niemals einem griechischen Gotte vergönnt war. – Jesus von Nazareth erschuf sich völlig aus seiner eigenen Phantasie.« »Sein vornehmster Zweck war nicht, die Leute zu bessern, so wenig wie die Leiden zu lindern. Er erachtete in einer von der Welt noch nicht begriffenen Weise die Sünde und das Leiden als etwas an sich Schönes und Heiliges, als Gnade der Vollendung.«

Der Mensch ist die Geste einer Idee, und die Idee Wildes war die heidnische der alten Welt; es ist wunderbar, zu sehen, wie sie ihn beherrscht, wie ihm Christus als das Symbol des Schmerzes und hingebender Liebe zu einer antiken Gottheit wird, im Kreis der Götter einen Platz füllt, den die Alten leer gelassen.

So sollte nun die letzte Phase seines Lebens wie ein Freund auf ihn warten. Er hat den goldenen Schlüssel, der ihm das Tor in seine vita nuova öffnet, die ihm kein neuer Anfang sondern nur die folgerechte Weiterführung seines früheren Lebens war. Er verzichtet auf nichts, denn er verlangt nach nichts; er weiss: das Glück ist ihm sicher, was auch sei – »Wer könnte mit Freiheit, Blumen, Büchern und dem Mondlicht nicht ganz glücklich sein!« Der Schmerz hat ihn beruhigt: »Ich zittere vor Freude, wenn ich daran denke, dass an dem Tage, an dem ich das Gefängnis verlasse, Goldregen und Flieder in den Gärten blühen und dass ich sehen werde, wie der Wind das glänzende Gold des einen ohne Rast und Ruh rütteln und das blasspurpurne Gefieder des andern zausen wird, sodass die ganze Luft eine Arabeske sein wird.« …

Aber als er hinaustrat, war nichts da als eine kalte graue Öde und die Banalität eines skurrilen Daseins, über die der goldene Traum der Kunst nichts mehr vermochte. Der gebrochene entlassene Sträfling – das gab kein Piedestal und so keine Möglichkeit der künstlerischen Überwindung. Das Leben tat beleidigt und rächte sich mit einem cynischen Witz an einem Unterlegenen, der aus massloser Liebe zum Leben dessen Gegner sein musste.


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