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Der Geburtstag der Infantin

Es war der Geburtstag der Infantin. Sie zählte gerade zwölf Jahre, und die Sonne schien hell in die Gärten des Palastes.

Obgleich sie eine wirkliche Prinzessin und die Infantin von Spanien war, so hatte sie nur einen Geburtstag in jedem Jahr, gerade wie die Kinder von ganz armen Leuten. Deshalb war es natürlich eine Sache von hoher Bedeutung für das ganze Land, daß es bei der Gelegenheit ein wirklich schönes Wetter sein mußte. Und es war tatsächlich ein wirklich schönes Wetter. Die hohen gestreiften Tulpen standen steif auf ihren Stengeln wie lange Reihen von Soldaten und blickten verächtlich über das Gras nach den Rosen und sagten: »Jetzt sind wir mindestens so prächtig wie ihr.« Die roten Schmetterlinge flatterten mit Goldstaub auf ihren Flügeln umher und besuchten nach der Reihe alle Blumen; die kleinen Eidechsen krochen aus den Spalten der Mauer hervor und lagen, sich sonnend, in dem lichten Glanz; und die Granatäpfel sprangen und krachten von der Hitze und zeigten ihr blutrotes Innere. Selbst die blaßgelben Zitronen, die in solcher Überfülle von dem zerfallenden Spalier und an den schattigen Arkaden hingen, schienen von dem wundervollen Sonnenlicht eine reifere Farbe bekommen zu haben, und die Magnolienbäume öffneten ihre großen kugeligen, wie von Elfenbein geschnittenen Blüten und erfüllten die Luft mit einem süßen, schweren Duft.

Die kleine Prinzessin lief mit ihren Gefährten die Terrasse hinauf und hinab und spielte Versteck hinter den Steinvasen und den alten, moosbewachsenen Statuen. An gewöhnlichen Tagen durfte sie nur mit ebenbürtigen Kindern spielen, daher mußte sie immer allein spielen, aber ihr Geburtstag war eine Ausnahme, und der König hatte Befehl gegeben, daß sie von ihren jungen Freunden einladen konnte, wen sie wollte, um sich mit ihnen zu vergnügen. Es lag eine prächtige Anmut in diesen schlanken spanischen Kindern, wenn sie dahinflogen, die Knaben mit großen Federn auf den Hüten und mit kurzen, flatternden Mänteln, die Mädchen, die die Schleppen ihrer langen Brokatgewänder festhielten und mit riesigen schwarzsilbrigen Fächern ihre Augen vor der Sonne schützten. Aber die Infantin war die anmutigste von allen, und sie war am geschmackvollsten gekleidet nach der etwas bedrückten Mode der Zeit. Ihr Kleid war von grauer Seide, der Rock und die breit gepufften Ärmel schwer mit Silber bestickt, und der starre Schnürleib mit Reihen echter Perlen besetzt. Zwei winzige Pantoffeln mit großen roten Rosetten lugten unter ihrem Kleid hervor, wenn sie ging. Rötlich und perlfarben war ihr Florfächer, und in ihrem Haar, das wie eine Strahlenkrone von blassem Gold steif um ihr bleiches Gesichtchen stand, trug sie eine weiße Rose. Von einem Fenster im Palaste aus sah ihnen der grämliche König zu. Hinter ihm stand sein Bruder, Don Pedro von Aragonien, den er haßte, und sein Beichtvater, der Großinquisitor von Granada, saß an seiner Seite. Trauriger noch als gewöhnlich war der König, denn als er auf die Infantin blickte, die mit kindlicher Würde ihrem sich versammelnden Hofstaat eine Verneigung machte oder hinter ihrem Fächer über die finstere Herzogin von Albuguerque lachte, die sie immer begleitete, dachte er an die junge Königin, ihre Mutter, die vor erst kurzer Zeit – so schien es ihm – aus dem fröhlichen Frankreich gekommen und in der düsteren Pracht des spanischen Hofes dahingewelkt war. Sie war gerade sechs Monate nach der Geburt ihres Kindes gestorben, bevor sie zweimal in dem Obstgarten die Mandeln blühen gesehen oder eines zweiten Jahres Frucht von dem alten, knorrigen Feigenbaum gepflückt hatte, der gerade in der Mitte des jetzt grasbewachsenen Hofraumes stand. So groß war seine Liebe zu ihr gewesen, daß er nicht einmal duldete, daß das Grab sie vor ihm verbarg. Sie war durch einen maurischen Arzt einbalsamiert worden, dem man zum Lohn für seinen Dienst sein Leben geschenkt hatte, das, wie man erzählte, wegen Ketzerei und Verdacht magischer Kunstgriffe schon der Inquisition verfallen war. Doch jetzt lag ihr Körper auf seiner teppichbedeckten Bahre genau so, wie ihn die Mönche vor nun fast zwölf Jahren an jenem stürmischen Märztag dahingetragen hatten. Einmal in jedem Monat ging der König, in einen dunklen Mantel gehüllt, eine umwickelte Laterne in der Hand, dorthin und kniete an ihrer Seite nieder. » Mi reina! Mi reina!« rief er aus, und manchmal durchbrach er die strenge Etikette, die in Spanien jede einzelne Handlung des Lebens regelt und selbst dem Leid eines Königs Grenzen setzt, und ergriff in einer wilden Schmerzensangst die bleichen, juwelengeschmückten Hände und versuchte, mit seinen wahnsinnigen Küssen das kalte, bemalte Antlitz zu erwecken.

Heute schien er sie wieder so zu sehen, wie er sie zuerst auf dem Schloß von Fontainebleau gesehen hatte, als er erst fünfzehn Jahre alt und sie noch jünger war. Sie waren bei jener Gelegenheit von dem päpstlichen Nuntius in Gegenwart des französischen Königs und des ganzen Hofes feierlich verlobt worden, und als er zum Eskorial zurückkehrte, brachte er ein kleines Ringlein von blondem Haar mit sich und die Erinnerung an zwei kindliche Lippen, die sich über seine Hand beugten, um sie zu küssen, als er in seinen Wagen stieg. Später war dann die Heirat gefolgt, die man schnell in Burgos, einer kleinen Stadt an der Grenze zwischen den beiden Ländern, geschlossen hatte, und der große öffentliche Einzug in Madrid mit dem herkömmlichen feierlichen Hochamt in der Kirche von La Atocha und einem ungewöhnlich feierlichen Autodafé, bei dem nahezu dreihundert Ketzer, darunter auch manche Engländer, der geistlichen Gewalt zur Verbrennung übergeben wurden.

Sicherlich hatte er sie wahnsinnig geliebt, und, wie viele glaubten, zum Schaden seines Landes, das damals mit England um den Besitz der neuen Welt kämpfte. Er hatte ihr kaum jemals erlaubt, seinen Gesichtskreis zu verlassen; für sie hatte er alle schweren Staatsgeschäfte vergessen, oder schien sie wenigstens vergessen zu haben; und mit jener schrecklichen Blindheit, die Leidenschaft über ihre Sklaven bringt, bemerkte er nicht, daß die erlesenen Feierlichkeiten, durch die er ihr zu gefallen suchte, nur die seltsame Krankheit verstärkten, an der sie litt. Als sie starb, war er, wenigstens eine Zeitlang, wie einer, der seinen Verstand verloren hat. Und zweifellos würde er förmlich abgedankt und sich in das große Trappistenkloster zu Granada, dessen Titularprior er schon war, zurückgezogen haben, hätte er sich nicht gefürchtet, die kleine Infantin der Gewalt seines Bruders zu überlassen, der wegen seiner Grausamkeit selbst in Spanien berüchtigt war, und von dem viele vermuteten, er habe den Tod der Königin durch ein Paar vergifteter Handschuhe herbeigeführt, die er ihr bei ihrem Besuche in seinem Schlosse in Aragonien geschenkt hatte. Selbst nach Ablauf der dreijährigen öffentlichen Trauer, die er durch königlichen Befehl für seine ganzen Staaten angeordnet hatte, duldete er es nie, daß seine Minister von einer neuen Heirat sprachen, und als der Kaiser selbst zu ihm schickte und ihm die Hand der lieblichen Erzherzogin von Böhmen, seiner Nichte, zur Heirat anbot, bat er die Gesandten, sie möchten ihrem Herrn erzählen, der König von Spanien sei schon mit der Trauer vermählt, und wenn diese auch eine Braut ohne Frucht sei, so liebe er sie doch mehr als die Schönheit. Diese Antwort kostete seiner Krone die reichen Provinzen der Niederlande, die sich bald nachher auf Anstiften des Kaisers unter Führung einiger Fanatiker der reformierten Kirche gegen ihn auflehnten.

Sein ganzes Eheleben mit seiner wilden, flammenden Freude und dem schrecklichen Schmerz bei dem plötzlichen Ende schien ihm heute zurückzukehren, als er der Infantin beim Spielen auf der Terrasse zusah. Sie hatte so ganz das hübsche, mutwillige Benehmen der Königin, dieselbe eigensinnige Art, den Kopf emporzuwerfen, denselben stolz geschwungenen, schönen Mund, dasselbe wundervolle Lachen – vrai sourire de France –, wenn sie dann und wann nach dem Fenster emporblickte, oder wenn sie den würdigen spanischen Herren ihre kleine Hand zum Kusse darreichte. Aber das schrille Lachen der Kinder verletzte des Königs Ohr, der helle, mitleidlose Sonnenschein spottete über seine Trauer, und ein schwerer Duft von seltsamen Spezereien, Spezereien, wie sie Einbalsamierer gebrauchen, schien – oder war das nur seine Einbildung? – die klare Morgenluft zu vergiften. Er begrub sein Gesicht in seinen Händen, und als die Infantin wieder aufblickte, waren die Vorhänge herabgezogen, und der König war verschwunden.

Sie schmollte etwas enttäuscht und zog ihre Schultern. Sicherlich, an ihrem Geburtstag hätte er bei ihr bleiben können. Was lag an den dummen Staatsgeschäften? Oder war er in diese dunkle Kapelle gegangen, wo immer die Kerzen brannten, und die sie niemals betreten durfte? Wie töricht von ihm, da doch die Sonne so hell schien und alle so glücklich waren! Übrigens würde ihm das Scheingefecht mit Stieren entgehen, zu dem schon die Trompete blies, um gar nichts zu sagen von der Puppenschau und den andern wundervollen Dingen. Ihr Onkel und der Großinquisitor waren viel vernünftiger. Sie waren auf die Terrasse herausgekommen und spendeten ihrer Nichte Komplimente. So warf sie denn ihren hübschen Kopf zurück, nahm Don Pedro bei der Hand und ging langsam die Stufen hinab nach einem langen Zelt von purpurner Seide, das am Ende des Gartens errichtet war, während die andern Kinder genau nach der Vornehmheit ihrer Abstammung folgten, indem die zwei, die den längsten Namen hatten, zuerst gingen.

Ein Zug von Edelknaben, die phantastisch als Stierfechter gekleidet waren, kam ihr entgegen, und der junge Herzog von Tierra Nueva, ein wundervoll hübscher Junge von vielleicht vierzehn Jahren, entblößte sein Haupt mit all der Grazie eines geborenen Hidalgo und Granden von Spanien und führte sie feierlich zu einem kleinen vergoldeten, aus Elfenbein geschnitzten Stuhl, der auf einer erhöhten Estrade über der Arena stand. Die Kinder scharten sich alle um sie herum, schwenkten ihre großen Fächer und flüsterten miteinander, und Don Pedro und der Großinquisitor standen lachend am Eingang. Selbst die Herzogin – die Oberhofmeisterin, wie sie genannt wurde –, eine hagere Frau mit abstoßenden Gesichtszügen und einer gelben Halskrause, sah nicht ganz so schlechtgelaunt aus, wie sonst, und so etwas wie ein Lächeln glitt über ihr faltiges Gesicht und verzog ihre blutlosen Lippen. Es war wirklich ein wunderbares Stiergefecht und viel hübscher, dachte die Infantin, als das echte Stiergefecht, das man ihr in Sevilla gezeigt hatte, als der Herzog von Parma ihren Vater besuchte. Einige von den Knaben paradierten auf Steckenpferden mit reichen Schabracken umher und schwangen lange Wurfspieße, an denen lustige Wimpel aus glänzendem Band befestigt waren. Andere gingen zu Fuß, schwenkten ihre roten Mäntel vor dem Stier und schwangen sich leicht über die Barriere, wenn er auf sie losstürmte. Und was diesen Stier selbst anging, so war er genau wie ein lebender Stier, obgleich er nur aus Flechtwerk und ausgespanntem Fell gemacht war und es manchmal nicht lassen konnte, auf seinen Hinterfüßen um die Arena zu rennen, woran kein lebender Stier auch nur im Traume denkt. Er kämpfte auch großartig, und die Kinder begeisterten sich so, daß sie auf den Bänken standen, ihre Spitzentaschentücher schwenkten und » Bravo toro! Bravo toro!« ganz so vernünftig riefen, als ob sie erwachsene Leute gewesen seien. Schließlich aber nach einem langen Kampfe, während dessen verschiedene von Steckenpferden völlig durchbohrt und ihre Reiter aus dem Sattel geworfen wurden, brachte der junge Herzog von Tierra Nueva den Stier zum Fall, und, nachdem er von der Infantin die Erlaubnis erhalten hatte, ihm den Gnadenstoß zu geben, stieß er sein hölzernes Schwert dem Tier mit solcher Gewalt in den Nacken, daß der Kopf völlig abfiel, und das lachende Gesicht des kleinen Herrn von Lorraine sich zeigte, des Sohnes des französischen Gesandten in Madrid. Unter großem Beifall wurde nun die Arena gesäubert, und zwei Negerpagen in gelbschwarzer Livree schleppten feierlich die toten Steckenpferde weg. Dann nach einem kurzen Zwischenspiel, in dem sich ein französischer Akrobat auf gespanntem Seil zeigte, erschienen auf der Bühne eines kleinen Theaters, das eigens zu dem Zweck errichtet war, einige italienische Marionetten in der halbklassischen Tragödie der Sophonisba. Sie spielten so gut, und ihre Bewegungen waren so außerordentlich natürlich, daß beim Schluß des Stückes die Augen der Infantin ganz feucht von Tränen waren. Ja, einige Kinder weinten wirklich und mußten mit Zuckerwerk getröstet werden, und der Großinquisitor selbst war so gerührt, daß er nicht umhin konnte, zu Don Pedro zu sagen, es schiene ihm unerträglich, daß Dinge, die einfach aus Holz und gefärbtem Wachs gemacht seien und mechanisch durch Drähte sich bewegten, daß diese so unglücklich sein sollten und solche schrecklichen Schicksalsschläge erdulden müßten.

Ein afrikanischer Gaukler folgte jetzt, der einen großen, flachen, mit rotem Tuch bedeckten Korb hereinbrachte und ihn mitten in die Arena stellte. Er zog aus seinem Turban eine seltsame rote Pfeife hervor und blies darauf. In wenigen Augenblicken begann das Tuch sich zu bewegen, und als die Pfeife schriller und schriller tönte, steckten zwei grüngoldne Schlangen ihre seltsamen, keilförmigen Köpfe heraus und hoben sich langsam empor, indem sie sich mit der Musik hin und her bewegten, gerade wie Pflanzen sich im Wasser bewegen. Die Kinder aber wurden etwas ängstlich über ihre gefleckten Nackenhauben und pfeilschnellen Zungen, und es gefiel ihnen viel besser, als der Gaukler aus dem Sandboden einen zierlichen Orangenbaum hervorsprießen ließ, der hübsche weiße Blüten und Büschel wirklicher Früchte trug. Und als er den Fächer der kleinen Tochter des Marquis von Las Torres nahm und ihn in einen blauen Vogel verwandelte, der rings um das Zelt flog und sang, da kannte ihr Entzücken und Staunen keine Grenzen. Auch das feierliche Menuett, das von jungen Tänzern aus der Kirche Nuestra Señora del Pilar getanzt wurde, war reizend. Die Infantin hatte bisher nie diese wundervolle Zeremonie gesehen, die jedes Jahr um die Maienzeit vor dem Hochaltar der Jungfrau zu deren Ehre veranstaltet wird, und es war ja auch kein Mitglied der königlichen Familie von Spanien jemals mehr in die große Kathedrale von Saragossa gegangen, seit ein wahnsinniger Priester, viele nahmen an, er habe im Solde der Elisabeth von England gestanden, versucht hatte, dem Prinzen von Asturien eine vergiftete Hostie zu reichen. So kannte sie nur vom Hörensagen den Tanz unserer lieben Frau, wie man ihn nannte, und er bot wirklich einen schönen Anblick. Die Knaben trugen altmodische Hofkleidung von weißem Samt, ihre merkwürdigen dreieckigen Hüte waren mit silbernen Fransen bedeckt und von großen Straußenfedern überragt, und das blendende Weiß ihrer Kostüme wurde, wenn sie sich im Sonnenschein bewegten, noch stärker betont durch ihre dunkle Gesichtsfarbe und das lange schwarze Haar. Alle waren bezaubert von der ernsten Würde, mit der sie die verwickelten Tanzfiguren durchschritten, und von der vollendeten Anmut ihrer ruhigen Gesten und vornehmen Verneigungen. Und als sie ihre Vorstellung beendet hatten und vor der Infantin ihre großen Federhüte abnahmen, da nahm sie ihre Ehrerweisung mit vielem Wohlgefallen auf und machte ein Gelübde, dem Altar unserer lieben Frau von Pilar eine große Wachskerze zu senden als Dank für das Vergnügen, das sie ihr gegeben hatte.

Eine Truppe hübscher Ägypter – wie man damals die Zigeuner nannte – betraten dann die Arena, setzten sich mit verschränkten Beinen im Kreise hin und begannen sanft auf ihren Zithern zu spielen, indem sie zu dem Klang ihre Körper bewegten und fast stimmlos eine leise, träumerische Melodie summten. Als sie Don Pedro sahen, warfen sie ihm finstere Blicke zu, und einige von ihnen machten ein erschrockenes Gesicht, denn erst vor wenigen Wochen hatte er zwei von ihrem Stamm auf dem Marktplatz von Sevilla wegen Zauberei aufhängen lassen. Aber die schöne Infantin beruhigte sie, wie sie zurückgelehnt da saß und mit ihren großen blauen Augen über ihren Fächer blickte, und sie hatten das sichere Gefühl, wer so lieblich war wie sie, der konnte nie gegen jemand grausam sein. So spielten sie denn ganz sanft weiter, indem sie mit ihren langen spitzen Nägeln kaum die Saiten der Zithern berührten, und ihre Köpfe begannen zu nicken, als ob sie einschlafen wollten. Plötzlich, mit einem Schrei, der so schrill war, daß alle Kinder auffuhren, und daß Don Pedros Hand den achatnen Knauf seines Dolches umfaßte, sprangen sie auf ihre Füße und rasten in einem tollen Wirbel um die Einfriedigung, wobei sie ihre Tamburine schlugen und in ihrer seltsamen Kehlsprache ein wildes Liebeslied sangen. Dann, auf ein anderes Signal, warfen sie sich alle wieder zu Boden und lagen da ganz still, und das gedämpfte Klimpern der Zithern war der einzige Laut, der das Schweigen unterbrach. Nachdem sie dies ein paarmal wiederholt hatten, verschwanden sie einen Augenblick, und als sie wiederkamen, führten sie einen braunen, zottigen Bären an einer Kette und trugen auf ihren Schultern einige kleine Affen aus der Berberei. Der Bär stellte sich mit der höchsten Würde auf den Kopf, und die runzligen Äffchen spielten alle Arten von spaßhaften Streichen mit zwei Zigeunerknaben, die ihre Herren zu sein schienen. Sie kämpften mit winzigen Schwertern, feuerten Gewehre ab und führten ein richtiges Exerzieren vor, gerade so, wie es des Königs eigene Leibgarde tat. Jedenfalls hatten die Zigeuner einen großen Erfolg.

Aber der lustigste Teil von der ganzen Morgenvorführung war zweifellos das Tanzen des kleinen Zwerges. Als er, auf seinen krummen Beinen watschelnd, in die Arena stolperte und mit seinem ungestalteten, riesigen Kopf hin und her wackelte, da brachen die Kinder in ein lautes Lachen des Entzückens aus, und die Infantin selbst lachte so sehr, daß die Hofmeisterin sie daran erinnern mußte, daß zwar schon oft eine spanische Königstochter vor ihresgleichen geweint, sich aber noch nie eine Prinzessin von königlichem Blut in Gegenwart von unter ihr Stehenden so lustig gemacht habe. Der Zwerg war aber wirklich ganz unwiderstehlich, und selbst am spanischen Hof, der doch immer wegen seiner ausgeprägten Leidenschaft für das Schreckliche bekannt gewesen ist, war noch nie ein so phantastisches kleines Ungetüm gesehen worden. Es war übrigens sein erstes Auftreten. Erst den Tag vorher hatten zwei von den Edelleuten, die zufällig in einem entlegenen Teil des die Stadt umgebenden Korkeichenwaldes jagten, ihn entdeckt und als Überraschung für die Infantin mit nach dem Palast genommen. Sein Vater, der ein armer Köhler war, schien nur zu erfreut zu sein, ein so häßliches und nutzloses Kind loszuwerden. Vielleicht das lustigste an ihm war, daß er sich seiner eigenen grotesken Erscheinung gar nicht bewußt war. Er schien sogar ganz glücklich und sehr aufgeräumt zu sein. Wenn die Kinder lachten, lachte er so frei und fröhlich wie nur eins von ihnen, und nach jedem Tanz machte er ihnen die komischsten Verbeugungen. Er lächelte und nickte ihnen zu, ganz als ob er wirklich zu ihnen gehörte und nicht das kleine mißgestaltete Ding sei, das die Natur in einer humoristischen Laune geschaffen hatte, damit andere darüber spotten sollten. Was die Infantin anging, so bezauberte sie ihn ganz und gar. Er konnte seine Augen nicht von ihr abwenden und schien nur für sie allein zu tanzen. Beim Schluß der Vorführung erinnerte sie sich, wie die großen Damen des Hofes dem berühmten italienischen Sopran Caffarelli, den der Papst eigens aus seiner Kapelle nach Madrid gesandt hatte, damit er durch den süßen Klang seiner Stimme den König von seiner Melancholie heile, Buketts zugeworfen hatten, und sie nahm die schöne, weiße Rose aus ihrem Haar, und halb zum Spaß, halb um die Hofmeisterin zu ärgern, warf sie sie mit ihrem süßesten Lächeln in die Arena. Er aber nahm die ganze Sache völlig ernst. Er drückte die Blume an seine groben, dicken Lippen, er legte die Hand auf sein Herz und sank auf ein Knie vor ihr, wobei er von einem Ohr zum andern grinste, und seine kleinen, glänzenden Augen vor Vergnügen blitzten.

Dies brachte den Ernst der Infantin so aus der Fassung, daß sie noch lange weiter lachte, als der Zwerg schon aus der Arena gelaufen war, und daß sie ihrem Onkel den Wunsch ausdrückte, der Tanz möchte sofort noch einmal wiederholt werden. Die Hofmeisterin bestimmte aber unter dem Verwand, die Sonne sei zu heiß, daß Ihre Hoheit ohne Verzug zum Palast zurückkehren sollte. Hier war schon ein wundervolles Festmahl für sie hergerichtet mit einem wirklichen Geburtstagskuchen, auf dem ihre eigenen Initialen in Zuckerguß standen und eine liebliche, silberne Flagge wehte. Die Infantin erhob sich daher mit großer Würde, und nachdem sie befohlen hatte, daß der kleine Zwerg nach der Siestastunde vor ihr noch einmal tanzen sollte, und dem jungen Herzog von Tierra Nueva ihren Dank für seinen reizenden Empfang abgestattet hatte, kehrte sie in ihre Gemächer zurück, wobei die Kinder ihr in derselben Reihenfolge folgten wie vorher.

Der kleine Zwerg aber, als er hörte, daß er noch einmal und auf ihren besonderen Befehl vor der Infantin tanzen sollte, war so stolz, daß er in den Garten hinauslief und die weiße Rose in einem lächerlichen Überschwang von Freuden küßte, wobei er mit ganz groben und plumpen Bewegungen seinem Entzücken Ausdruck gab.

Die Blumen aber wurden ganz unwillig, weil er es wagte, ihr schönes Reich zu betreten, und als sie sahen, wie er die Wege hinauf und hinabhüpfte und auf so lächerliche Art seine Arme über seinem Kopf schwang, konnten sie ihre Gefühle nicht länger zurückhalten.

»Er ist wirklich viel zu häßlich, als daß man ihm erlauben dürfte, auf einem Platz zu spielen, wo wir sind,« riefen die Tulpen.

»Er sollte Mohnsaft trinken und auf tausend Jahre schlafen gehn,« sagten die großen roten Lilien, und sie kochten förmlich vor Wut.

»Er ist einfach ein Greuel!« schrie der Kaktus. »Er ist überhaupt verwachsen und plump, und sein Kopf steht in gar keinem Verhältnis zu seinen Beinen. Es prickelt mich über und über, wenn ich an ihn denke, und wenn er mir zu nahe kommt, werde ich ihn mit meinen Stacheln stechen.«

»Und er besitzt wahrhaftig eine meiner besten Blumen,« rief der weiße Rosenstrauch aus. »Ich gab sie heute früh der Infantin als Geburtstagsgeschenk, und er hat sie ihr gestohlen.« Und er rief: »Dieb, Dieb, Dieb!« so laut er konnte. Selbst die roten Geranien, die sonst kein stolzes Gebahren zeigten, da sie wußten, daß sie selbst eine ganze Menge armer Verwandten hatten, drehten sich verächtlich empor, wie sie ihn sahen, und als die Veilchen bescheiden bemerkten, er sei zwar sehr unansehnlich, aber er könne das doch nicht ändern, da entgegneten sie mit vielem Recht, das wäre gerade sein Hauptfehler, und es läge kein Grund vor, jemand zu bewundern, weil er unheilbar sei. Und wirklich fühlten auch einige Veilchen selbst, daß die Häßlichkeit des kleinen Zwerges etwas direkt Prahlerisches an sich habe, und daß er einen besseren Geschmack zeigen würde, wenn er sich darüber grämte, oder wenn er wenigstens nachdächte, statt daß er lustig umhersprang und sich in so grotesken und verrückten Gebärden zeigte.

Was nun die alte Sonnenuhr anging, die eine sehr vornehme Persönlichkeit war und einst keinem Geringeren als dem Kaiser Karl V. die Zeit angesagt hatte, so war sie über das Erscheinen des Zwerges so entsetzt, daß sie fast vergaß, zwei volle Minuten mit ihrem langen Schattenfinger anzuzeigen. Sie konnte auch nicht umhin, zu dem großen, milchweißen Pfauhahn, der sich auf der Balustrade sonnte, zu sagen, jeder wüßte, daß Königskinder Könige und Köhlerskinder Köhler seien, und daß es lächerlich sei, wenn man das bestreiten wolle. Der Pfauhahn stimmte dieser Bemerkung durchaus zu und schrie sein »Gewiß, gewiß« in einer so lauten und schrillen Stimme, daß die Goldfische, die in dem Bassin unter dem kühlenden Springbrunnen lebten, ihre Köpfe aus dem Wasser steckten und die riesigen steinernen Tritonen fragten, was in aller Welt es denn gäbe.

Aber die Vögel liebten ihn irgendwie. Sie hatten ihn oft im Wald gesehen, wo er wie ein Kobold den wirbelnden Blättern nachsprang oder in der Höhlung eines alten Eichbaums emporkletterte und seine Nüsse mit dem Eichhörnchen teilte. Sie machten sich durchaus nichts daraus, daß er häßlich war. Ja, sogar die Nachtigall selbst, die des Nachts so schön in den Orangenhainen sang, daß sich sogar der Mond manchmal hinablehnte, um zu lauschen, ließ sich herbei, trotzdem nach ihm zu sehen. Er war ja auch zu ihnen allen gütig gewesen, und in jenem schrecklichen Winter, als es keine Beeren auf den Bäumen gab, als der Boden hart wie Eisen war, und die Wölfe bis vor die Stadttore kamen, um nach Futter zu suchen, da hatte er sie nicht ein einziges Mal vergessen und ihnen immer die Krümel von seinem kleinen Stück schwarzen Brotes gegeben und jedes Frühstück mit ihnen geteilt.

So flogen sie immer um ihn herum, indem sie ihn jedesmal leise mit den Flügeln streiften und miteinander zwitscherten. Der kleine Zwerg aber war so vergnügt, daß er ihnen die schöne weiße Rose zeigen mußte und ihnen erzählte, die Infantin selbst habe sie ihm gegeben, weil sie ihn liebte.

Sie verstanden nicht ein einziges Wort von dem, was er sagte, aber das machte nichts aus, denn sie legten ihre Köpfchen auf die Seite und machten kluge Augen, was gerade so gut ist, wie etwas verstehen, und viel leichter.

Die Eidechsen faßten auch eine große Neigung zu ihm, und als er müde wurde, umherzurennen, und sich zum Ausruhen auf das Gras hinwarf, da spielten und tollten sie über ihn weg und versuchten, ihn so gut sie es nur konnten, zu unterhalten. »Jeder kann nun einmal nicht so schön sein wie eine Eidechse,« riefen sie; »das wäre zu viel verlangt. Und obgleich das lächerlich klingt, in Wirklichkeit ist er gar nicht so häßlich, wenn man seine Augen schließt und nicht nach ihm hinschaut.« Die Eidechsen waren von Natur sehr philosophisch und saßen öfters Stunden und Stunden nachdenklich beieinander, wenn es sonst nichts zu tun gab, oder wenn ihnen das Wetter zu regnerisch zum Ausgehen war.

Die Blumen aber ärgerten sich sehr über ihr Benehmen und über das Benehmen der Vögel. »Es zeigt nur,« sagten sie, »wie gewöhnlich man von dem unaufhörlichen Umherrennen und Fliegen wird. Gesittete Leute bleiben immer auf demselben Fleck stehen, wie wir es tun. Noch nie sah uns jemand die Wege hinauf und hinab hüpfen oder wild durch das Gras schießen nach Libellen. Wenn wir einen Luftwechsel brauchen, schicken wir nach dem Gärtner, und er trägt uns in ein anderes Bett. Dies ist würdevoll und gehört sich auch so. Aber Vögel und Eidechsen haben keinen Sinn für Ruhe, und Vögel haben sogar nicht einmal eine dauernde Adresse. Sie sind einfach Vagabunden wie die Zigeuner und sollten genau so behandelt werden.« So steckten sie also ihre Nasen in die Luft, sahen sehr hochmütig drein und waren hocherfreut, als sie nach einiger Zeit sahen, wie sich der kleine Zwerg aus dem Gras aufrappelte und über die Terrasse nach dem Palast ging.

»Man sollte ihn wirklich für den Rest seines natürlichen Lebens hinter Schloß und Riegel halten,« sagten sie. »Sieh nur seinen Buckel und seine krummen Beine,« und sie begannen zu kichern.

Aber der kleine Zwerg wußte nichts von dem allen. Er liebte die Vögel und die Eidechsen unendlich und hielt die Blumen für die wundervollsten Dinge in der Welt, ausgenommen natürlich die Infantin, aber die hatte ihm auch die schöne weiße Rose gegeben, und sie liebte ihn, und das machte einen großen Unterschied. Wie sehr wünschte er, daß er mit ihr gegangen wäre! Sie hätte ihn an der rechten Hand gefaßt und ihn angelächelt. Er hätte sie gar nicht mehr verlassen, sondern wäre ihr Spielgefährte geworden, der ihr alle Arten von entzückenden Kunststücken gezeigt hätte. Denn obgleich er nie vorher in einem Palast gewesen war, so kannte er doch eine Menge wundervoller Dinge. Er konnte aus Binsen kleine Käfige machen, in denen die Heuschrecken sangen, und aus dem langgliedrigen Bambusrohr Pfeifen, wie sie Pan so gerne hörte. Er kannte jeden Vogelruf und konnte die Stare von den Baumwipfeln locken und den Reiher aus dem Sumpf. Er kannte die Fährte jedes Tieres und konnte den Hasen an seinen zierlichen Fußstapfen aufspüren und den Eber an dem zerstampften Laub. Alle Tänze der Natur kannte er, den wilden Tanz im roten Gewand des Herbstes, den lichten Tanz auf blauen Sandalen über die Kornfelder, den Tanz mit weißen Schneewirbeln im Winter und den Blütentanz durch die Gärten im Frühling. Er wußte, wo die Holztauben ihre Nester bauen, und einst, als ein Vogelsteller ein Pärchen in einer Schlinge gefangen, hatte er die Jungen selbst aufgezogen und ihnen einen kleinen Taubenschlag in der Spalte einer gekappten Ulme erbaut. Sie waren ganz zahm, und er pflegte sie jeden Morgen aus der Hand zu füttern. Sie würde sie gern haben, ebenso wie die Kaninchen, die in dem hohen Farnkraut herumjagten, wie die Eichelhäher mit den stahlblauen Federn und den schwarzen Schnäbeln, wie die Igel, die sich in stachlige Kugeln zusammenrollen konnten, und die großen klugen Schildkröten, die langsam umherkrochen, mit den Köpfen schüttelten und das junge Laub benagten. Ja, sie mußte bestimmt in den Wald kommen und mit ihm spielen. Er würde ihr sein eigenes kleines Bett geben und würde draußen vor dem Fenster bis zum Morgen Wache halten, damit das wilde Hornvieh ihr nichts täte, noch die hungrigen Wölfe zu nahe an die Hütte kröchen. Und des Morgens wollte er an die Fensterläden klopfen und sie aufwecken, und sie würden ausgehen und den ganzen Tag miteinander tanzen. Es war wirklich kein bißchen einsam in dem Wald. Manchmal ritt ein Bischof hindurch auf seinem weißen Maultier und las aus einem bemalten Buch. Manchmal kamen in grünen Samtmützen und Jacken aus gegerbter Hirschhaut die Falkeniere vorbei mit Falken in Kappen auf ihren Handgelenken. Zur Weinlese kamen die Traubenhändler mit purpurnen Händen und Füßen, bekränzt mit glänzendem Efeu, und trugen tropfende Schläuche voll Wein. Und die Köhler saßen bei Nacht rund um ihre riesigen Kohlenmeiler und beobachteten die trocknen Holzblöcke, die langsam im Feuer verkohlten. Sie rösteten Kastanien in der Asche, und die Räuber kamen aus ihren Verstecken und machten sich lustig mit ihnen. Einst hatte er auch eine schöne Prozession gesehen, die sich die lange staubige Straße nach Toledo hinaufwand. Voran gingen die Mönche mit süßen Gesängen und trugen glänzende Banner und goldene Kreuze, und dann kamen die Soldaten in silbernen Harnischen mit Musketen und Spießen. In ihrer Mitte aber gingen drei barfüßige Männer in seltsamen Gewändern, die über und über mit wundervollen Gestalten bemalt waren, und sie hielten brennende Kerzen in ihren Händen. Sicherlich gab es sehr viel zu sehen im Wald, und wenn sie müde war, dann würde er eine weiche Moosbank für sie finden, oder sie in seinen Armen tragen, denn er war sehr stark, obgleich er wußte, daß er nicht groß war. Und aus roten Moosbeeren würde er ihr ein Halsband machen, das ganz so hübsch sein würde wie die weißen Beeren, die sie auf ihrem Kleid trug. Und wenn sie sie nicht mehr mochte, dann konnte sie sie fortwerfen, und er würde andere für sie finden. Er würde ihr Eicheln bringen und taugetränkte Anemonen und winzige Glühwürmchen als Sterne in dem blassen Gold ihres Haares.

Aber wo war sie? Er fragte die weiße Rose und sie gab ihm keine Antwort. Der ganze Palast schien zu schlafen, und selbst wo die Läden nicht geschlossen waren, hatte man schwere Vorhänge über die Fenster gezogen, um die Sonnenglut abzuhalten. Er wanderte ringsherum, einen Eingang zu finden, und sah zuletzt eine kleine Nebentüre, die offen stand. Er schlich hinein und befand sich in einem prächtigen Saal, der leider viel prächtiger war als der Wald. Überall war viel mehr Vergoldung, und selbst der Boden war von großen farbigen Steinen gemacht, die irgendein geometrisches Muster darstellten. Aber die kleine Infantin war nicht da, nur einige wundervolle weiße Statuen schauten von ihren Jaspispostamenten auf ihn herab mit traurigen, leeren Augen und seltsam lächelnden Lippen.

Am Ende des Saales hing ein reich bestickter Vorhang von schwarzem Samt, übersät mit Sonnen und Sternen, den bevorzugten Devisen des Königs, und auf seine Lieblingsfarbe aufgestickt. Vielleicht war sie dahinter versteckt? Er wollte auf alle Fälle nachsehen.

Langsam stahl er sich heran und zog ihn zur Seite. Nein, da war nur ein anderes Zimmer, und zwar ein hübscheres, wie ihn dünkte, als das, das er gerade verlassen hatte. Die Wände waren mit figurengeschmückten grünen Arrastapeten behängt, nadelgestickten Gobelins, die eine Jagd darstellten, einem Werk flämischer Künstler, die mehr als sieben Jahre an ihrer Fertigstellung gearbeitet hatten. Es war einst das Zimmer von Jean le fou, wie man ihn nannte, gewesen, jenem verrückten König, der so versessen auf die Jagd war, daß er oft in seinem Wahn versucht hatte, die riesigen, sich aufbäumenden Pferde zu besteigen und den Edelhirsch niederzureißen, nach dem die großen Hetzhunde sprangen. Er stieß dabei in sein Jagdhorn und schlug mit seinem Schwert nach dem bleichen, fliehenden Wild. Jetzt wurde es als Ratszimmer benutzt, und auf dem Tisch lagen die roten Mappen der Minister mit den eingepreßten goldenen Tulpen Spaniens und mit den Waffen und Emblemen des Hauses Habsburg. Der kleine Zwerg sah sich erstaunt überall um und fürchtete sich fast, weiterzugehen. Die seltsamen stummen Reiter, die so geschwind durch die weiten Lichtungen galoppierten, ohne irgendein Geräusch zu machen, erschienen ihm wie diese schrecklichen Gespenster, von denen er die Köhler hatte sprechen hören – die Comprachos –, die nur bei Nacht reiten, und wenn sie einen Menschen treffen, ihn in eine Hirschkuh verwandeln und jagen. Aber er dachte an die hübsche Infantin und faßte Mut. Er wünschte, sie allein zu treffen, um ihr zu sagen, daß auch er sie liebe. Vielleicht war sie in dem nächsten Zimmer.

Er lief über die weichen maurischen Teppiche und öffnete die Tür. Nein! Sie war auch hier nicht. Das Zimmer war ganz leer.

Es war ein Thronsaal, der zum Empfang fremder Gesandter diente, wenn der König, was in der letzten Zeit nicht häufig vorgekommen war, zustimmte, ihnen eine Privataudienz zu gewähren. Es war derselbe Saal, in dem viele Jahre früher Gesandte aus England erschienen waren, um ein Übereinkommen zu treffen für die Heirat ihrer Königin, die damals noch zu den katholischen Herrschern Europas gehörte, mit dem ältesten Sohn des Kaisers. Die Wandbekleidung war aus vergoldetem Korduanleder, und ein schwerer, vergoldeter Kronleuchter mit Armen für dreihundert Wachskerzen hing von der schwarzweißen Decke herab. Unter einem Baldachin von goldgewirktem Stoff, auf den die Löwen und Türme von Kastilien in Staubperlen gestickt waren, stand der Thron, bedeckt mit einer schweren Decke von schwarzem Samt, besät mit silbernen Tulpen und kunstvoll in Silber und Perlen eingefaßt. Auf der zweiten Stufe des Thrones war der Kniestuhl der Infantin mit seinem Kissen aus silberbesticktem Stoff hingestellt, und darunter wieder stand außerhalb des Bereichs des Baldachins der Sessel für den päpstlichen Nuntius, der allein das Recht hatte, bei Gelegenheit eines öffentlichen Empfangs in Gegenwart des Königs zu sitzen. Sein Kardinalshut mit seinen gedrehten roten Troddeln lag davor auf einem purpurnen Taburett. Dem Thron gegenüber hing an der Wand ein lebensgroßes Bildnis Karls V. im Jagdgewand mit einer großen Bulldogge zur Seite, und ein Bildnis Philipps II., wie er die Huldigung der Niederlande entgegennahm, bedeckte die Mitte der anderen Wand. Zwischen den Fenstern stand ein Schrank von schwarzem Ebenholz mit eingelegten Elfenbeinplatten, auf denen die Figuren aus Holbeins »Totentanz« – wie einige sagten, von des berühmten Meisters eigener Hand – eingraviert waren.

Aber der kleine Zwerg machte sich nichts aus all dieser Pracht. Er würde für alle Perlen auf dem Baldachin nicht seine Rose hergegeben haben, noch ein weißes Blütenblatt seiner Rose für den Thron selbst. Er wollte nur die Prinzessin sehen, bevor sie zum Zelt hinabging, und sie bitten, mit ihm zu kommen, wenn er seinen Tanz beendet hatte. Hier im Palast war die Luft dumpf und schwer, aber im Wald blies der freie Wind, und das Sonnenlicht mit seinen wandernden goldnen Händen bewegte das Laub zur Seite. Dort waren auch Blumen im Walde, vielleicht nicht so vornehme wie im Garten, aber süßer dufteten sie trotzdem; Hyazinthen im Frühlingsanfang, die mit wehendem Purpur durch die kühlen Schluchten und über die grasigen Hügel fluteten; gelbe Primeln, die in kleinen Gruppen rund um die zernagten Wurzeln der Eichbäume wuchsen; glänzendes Schöllkraut, blauer Ehrenpreis und lilagoldne Schwertlilien. Da waren graue Kätzchen an den Haselsträuchern, und der rote Fingerhut senkte sich unter dem Gewicht seiner gesprenkelten, bienenbeladenen Glöckchen. Die Kastanie hatte ihre Sprossen von weißen Sternen und der Weißdorn seine bleichen Blütenmonde. Ja, sie würde gewiß mit ihm kommen, wenn er sie nur finden könnte! Sie würde mit ihm in den schönen Wald kommen, und den ganzen Tag über würde er zu ihrer Lust tanzen. Ein Lächeln erstrahlte bei dem Gedanken in seinen Augen, und er ging weiter in den nächsten Saal.

Von allen Sälen war dieser der strahlendste und schönste. Die Wände waren mit rotblumigem Luccadamast bedeckt, der ein Vogelmuster trug und mit zierlichen silbernen Blüten betupft war. Die massivsilberne Ausstattung zeigte Verzierung von reichem Blumengewinde, in dem sich Kupidos schaukelten. Vor den zwei breiten Kaminen standen große Ofenschirme, die mit Papageien und Pfauen bestickt waren, und der Boden von seegrünem Onyx schien sich weit in die Ferne zu erstrecken. Auch war der Zwerg nicht allein. Wie er unter dem Schatten des Türeingangs stand, sah er am äußersten Ende des Saales eine kleine Figur, die ihn beobachtete. Sein Herz zitterte, ein Freudenschrei kam über seine Lippen, und er trat in das Sonnenlicht hinaus. In dem gleichen Augenblick trat auch die Figur hervor, und er sah sie deutlich.

Die Infantin? Nein, es war ein Ungetüm, das abscheulichste Ungetüm, das er je gesehen hatte. Nicht hübsch gebaut, wie alle andern Leute waren, sondern verwachsen und krummbeinig mit einem riesigen, wackelnden Kopf und einer Mähne von schwarzem Haar. Der kleine Zwerg runzelte die Stirn, und das Ungetüm tat das auch. Er lachte, und es lachte mit ihm und hielt seine Hände gegen die Hüften, gerade wie er es tat. Er machte ihm eine spöttische Verbeugung und empfing eine tiefe Reverenz. Er ging darauf zu, und es kam ihm entgegen, indem es jeden Schritt nachahmte, den er machte, und anhielt, wenn er selbst anhielt. Er schrie vor Vergnügen und lief vorwärts. Er streckte seine Hand aus und die Hand des Ungetüms berührte seine, und sie war so kalt wie Eis. Er fürchtete sich und bewegte seine Hand zur Seite, aber die Hand des Ungetüms folgte dem schnell. Er versuchte, es zurückzudrücken, aber etwas Glattes und Hartes hielt ihn fest. Das Gesicht des Ungetüms befand sich jetzt dicht bei dem seinen und schien voller Angst zu sein. Er wischte sich das Haar aus dem Gesicht, es tat dasselbe. Er schlug nach ihm hin, und es gab ihm Schlag auf Schlag zurück. Er zeigte ihm seinen Ekel, und es schnitt ihm widerliche Gesichter. Er wich zurück, und es ging ebenfalls von ihm weg.

Was war das? Er dachte einen Augenblick nach und sah sich in dem übrigen Saale um. Es war seltsam, aber alles schien hinter dieser unsichtbaren Wand von klarem Wasser seine Wiederholung zu haben. Ja, Bild für Bild und Täfelung für Täfelung wiederholte sich. Der schlafende Faun, der in der Nische neben dem Türeingang lag, hatte seinen schlummernden Zwillingsbruder, und die silberne Venus, die im Sonnenlicht stand, streckte ihre Arme einer Venus entgegen, die ebenso lieblich war wie sie selbst. War es das Echo? Er hatte es einst im Tale gerufen, und es hatte ihm Wort für Wort zurückgegeben. Konnte es auch das Auge verspotten, wie es die Stimme verspottete? Konnte es eine Scheinwelt schaffen gerade so wie die wirkliche Welt? Konnten die Schatten der Dinge Farbe, Leben und Bewegung haben? Konnte es sein, daß –?

Er zuckte zusammen und nahm von seiner Brust die schöne weiße Rose, er drehte sie um und küßte sie. Das Ungetüm hatte auch eine Rose, und es war Blatt für Blatt dieselbe! Es küßte sie mit denselben Küssen und preßte sie mit schrecklichen Gebärden an sein Herz.

Als ihm die Wahrheit aufdämmerte, stieß er einen wilden Verzweiflungsschrei aus und fiel stöhnend zu Boden. Dann war er selbst also mißgestaltet und verwachsen, widerlich anzusehen und fratzenhaft. Er selbst war das Ungetüm, und über ihn hatten alle Kinder gelacht. Und die kleine Prinzessin, von der er glaubte, sie liebte ihn – auch sie hatte nur über seine Häßlichkeit gespottet und sich über seine verkrümmten Glieder lustig gemacht. Warum hatte man ihn nicht im Walde gelassen, wo es keinen Spiegel gab, der ihm erzählte, wie häßlich er war? Warum hatte ihn sein Vater nicht getötet, ehe er ihn seiner Schande auslieferte? Die heißen Tränen rannen ihm über die Wangen, und er riß die weiße Rose in Stücke. Das daliegende Ungetüm tat dasselbe und streute die zarten Blumenblätter in die Luft. Er kroch auf dem Boden herum, und als er es anblickte, beobachtete es ihn mit einem schmerzverzerrten Gesicht. Er kroch hinweg, um es nicht mehr zu sehen, und bedeckte seine Augen mit seinen Händen. Wie ein verwundetes Tier schleppte er sich in den Schatten und lag dort stöhnend.

In diesem Augenblick kam die Infantin mit ihren Begleitern durch die offene Fenstertüre, und als sie sahen, wie der kleine Zwerg am Boden lag und mit geballten Fäusten und in höchst phantastischer und übertriebener Weise um sich schlug, da brachen sie alle in lautes Jubelgeschrei aus und standen um ihn herum und betrachteten ihn.

»Sein Tanz war komisch,« sagte die Infantin; »aber sein Spiel ist noch komischer. Er ist wirklich fast so gut wie die Puppen, nur macht er es nicht ganz so natürlich.« Und sie schwang ihren großen Fächer und applaudierte.

Aber der kleine Zwerg blickte niemals auf, sein Seufzen wurde schwächer und schwächer, und plötzlich machte er einen seltsamen Atemzug und griff sich in die Seite. Und dann fiel er wieder zurück und lag ganz still.

»Das ist großartig,« sagte die Infantin nach einer Pause; »aber jetzt mußt du für mich tanzen.«

»Ja,« riefen alle Kinder, »du mußt aufstehen und tanzen, denn du bist so gewandt wie die Affen aus der Berberei und viel komischer.«

Aber der kleine Zwerg gab keine Antwort.

Da stampfte die Infantin mit ihrem Fuß und rief nach ihrem Onkel, der mit dem Kämmerer über die Terrasse ging und einige Depeschen las, die gerade von Mexiko kamen, wo jüngst die Inquisition eingeführt worden war. »Mein komischer kleiner Zwerg ist träge,« rief sie, »du mußt ihn aufwecken und ihm sagen, daß er für mich tanzt.«

Sie lächelten einander zu und schlenderten hinein. Und Don Pedro bückte sich und schlug den Zwerg mit seinem gestickten Handschuh auf die Wange. »Du mußt tanzen, kleines Monstrum,« sagte er. »Du mußt tanzen. Die Infantin von Spanien und Indien will unterhalten sein.«

Aber der kleine Zwerg machte keine Bewegung.

»Ein Prügelknecht sollte geholt werden,« sagte Don Pedro erzürnt und ging wieder auf die Terrasse. Aber der Kämmerer machte ein ernstes Gesicht. Er kniete neben dem kleinen Zwerge nieder und legte ihm die Hand auf das Herz. Und nach einigen Sekunden zuckte er die Achseln und erhob sich. Er machte eine tiefe Verbeugung vor der Infantin und sagte: » Mi bella Princesa, Ihr drolliger kleiner Zwerg wird nie wieder tanzen. Es ist schade, denn er ist so häßlich, daß er vielleicht den König zum Lächeln gebracht hätte.«

»Aber warum wird er nicht wieder tanzen?« fragte die Infantin lachend.

»Weil ihm das Herz gebrochen ist,« antwortete der Kämmerer. Da machte die Infantin ein finsteres Gesicht, und ihre zierlichen Rosenlippen zogen sich zu einem reizenden Schmollen zusammen. »In Zukunft sollen die, die mit mir spielen, keine Herzen haben,« rief sie und lief hinaus in den Garten.


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