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Zweiter Akt

Salon in Lord Windermeres Haus. Tür rechts hinten zum Ballsaal, in dem die Musik spielt. Tür links, durch die die Gäste eintreten. Tür links hinten auf die erleuchtete Terrasse. Palmen, Blumen, festliche Beleuchtung. Zahlreiche Gäste im Zimmer. Lady Windermere empfängt.

Erste Szene

Herzogin, Agatha, Lady Stutfield, dann Lady Windermere, Mr. Dumby, Mrs. Cowper-Cowper, dann Mr. Hopper, Lord Windermere, Lord Lorton, Mr. Graham, dann Mrs. Erlynne, Lady Jedburgh, Lady Plymdale; Parker, Gäste.

Herzogin: Sonderbar, daß Lord Windermere nicht da ist. Auch Mr. Hopper verspätet sich offenbar sehr. Hast du die fünf Tänze für ihn reserviert, Agatha? ( Nach vorn.)

Lady Agatha: Ja, Mama.

Herzogin ( auf dem Sofa): Laß einmal deine Karte sehen. Ich bin froh, daß Lady Windermere wieder Tanzkarten eingeführt hat. Die einzige Kontrolle für eine Mutter. Du liebe, kleine, einfältige Person! ( Streicht zwei Namen durch.) Kein hübsches Mädchen sollte jemals mit so auffallend jüngern Söhnen Walzer tanzen. Das macht einen so wenig gesetzten Eindruck. Während der beiden letzten Tänze kannst du mit Mr. Hopper auf die Terrasse gehen. ( Mr. Dumby kommt mit Lady Plymdale aus dem Ballsaal.)

Lady Agatha: Ja, Mama.

Herzogin ( sich fächelnd): Die Luft ist so gut auf der Terrasse.

Parker ( meldet): Mrs. Cowper-Cowper, Lady Stutfield, Sir James Ropston, Mr. Guy Berkeley. ( Die Gemeldeten treten ein.)

Mr.Dumby: Guten Abend, Lady Stutfield. Das ist wohl der letzte Ball in dieser Saison?

Lady Stutfield: Wahrscheinlich, Mr. Dumby. Diesmal war es eine reizende Saison, nicht wahr?

Dumby: Ganz reizend! Guten Abend, Herzogin! Dies ist wohl der letzte Ball in der Saison?

Herzogin: Wahrscheinlich, Mr. Dumby. Diesmal war die Saison aber herzlich langweilig, nicht wahr?

Dumby: Scheußlich langweilig, scheußlich langweilig.

Mrs.Cowper-Cowper: Guten Abend, Mr. Dumby. Dies ist wohl der letzte Ball in der Saison.

Dumby: O das glaub' ich kaum. Wahrscheinlich werden wir noch zwei haben. ( Zu Lady Plymdale zurück.)

Parker ( meldet): Mr. Rufford, Lady Jedburgh und Miß Graham, Mr. Hopper. ( Die Gemeldeten treten ein.)

Mr. Hopper ( eintretend): Guten Abend, Lady Windermere. Guten Abend, Herzogin. ( Verbeugung zu Lady Agatha.)

Herzogin: Wie nett von Ihnen, Mr. Hopper, daß Sie so früh kommen! Wir wissen alle ganz genau, daß Sie eine sehr gesuchte Persönlichkeit in London sind.

Mr. Hopper: Großartiger Platz dies London. Hier sind die Leute nicht halb so exklusiv wie in Sydney.

Herzogin: Ja – wir kennen eben Ihren Wert, Mr. Hopper. Wenn's nur mehr Leute wie Sie gäbe – es ließe sich viel besser leben. Wissen Sie, Mr. Hopper – meine liebe Agatha und ich, wir interessieren uns so riesig für Australien. Es muß doch reizend sein da drüben – wenn all die kleinen Känguruhs so herumfliegen. Agatha hat es auch schon auf der Landkarte gefunden. Was für eine komische Form es hat, das Australien! Gerade wie eine große Packkiste. Aber das macht ja nichts. Es ist noch ein sehr junges Land, nicht wahr?

Mr. Hopper: Ist es nicht gleichzeitig mit den andern erschaffen worden, Herzogin?

Herzogin: Wie geistreich Sie sind, Mr. Hopper! Sie haben eben Ihren ganz besondern Esprit für sich. Aber wir wollen Sie nicht aufhalten.

Mr. Hopper: Ich möchte gern mit Lady Agatha tanzen, Herzogin.

Herzogin: Da hoffe ich nur, daß sie noch einen Tanz übrig hat. Hast du noch einen Tanz übrig, Agatha?

Lady Agatha: Ja, Mama.

Herzogin: Den nächsten?

Lady Agatha: Ja, Mama.

Mr. Hopper: Dann darf ich vielleicht bitten? ( Lady Agatha verbeugt sich zustimmend.)

Herzogin: Daß Sie mir nur gut auf meine kleine Plappertasche aufpassen. ( Hopper mit Agatha in den Ballsaal ab.)

Lord Windermere ( von links): Margaret, ich habe dir etwas zu sagen.

Lady Windermere: Gleich.

Parker ( meldet): Lord Augustus Lorton!

Lord Lorton ( tritt ein): Guten Abend, Lady Windermere.

Herzogin: Sir James, wollen Sie mich, bitte, in den Ballsaal führen? Augustus hat heute bei uns gegessen – für den Augenblick habe ich wirklich genug von ihm. ( Sir James Royston reicht ihr den Arm und führt sie in den Ballsaal.)

Parker ( meldet): Mr. und Mrs. Artur Bowden, Lord und Lady Paisley, Lord Darlington. ( Die Gemeldeten treten ein.)

Lord Lorton ( zu Lord Windermere): Ich habe dringend mit dir zu reden, alter Junge. Ich bin vor Kummer schon zum Skelett abgemagert. Ich weiß, man sieht es mir nicht an. Keiner von uns Männern scheint, was er wirklich ist. Wer ist sie? Wo kommt sie her? Warum hat sie denn keine gottverdammte Verwandtschaft? Verdammter Blödsinn – die Verwandtschaft. Aber sie gibt einem so – einen verdammt respektabeln Anstrich.

Lord Windermere: Du sprichst offenbar von Mrs. Erlynne, nicht wahr? Ich habe sie erst vor sechs Monaten kennengelernt. Bis dahin hatte ich von ihrer Existenz keine Ahnung.

Lord Lorton: Aber seitdem bist du viel mit ihr zusammengekommen?

Lord Windermere ( kühl): Ganz recht, seitdem bin ich viel mit ihr zusammengekommen. Ich war eben noch bei ihr.

Lord Lorton: Himmel, ja, – die Weiber ziehen scheußlich über sie her. Ich habe heute bei Arabella gegessen. Donnerwetter – du hättest nur hören sollen, was sie von Mrs. Erlynne gesagt hat. Keinen heilen Fetzen hat sie an ihr gelassen. Berwick und ich meinten, es schadete nicht viel, da die Dame eine großartige Figur hätte. Da hättest du Arabellas Gesicht sehen sollen. Ich weiß aber wirklich gar nicht, wie ich mich zu Mrs. Erlynne stellen soll. Himmel ja, ich könnte mit ihr verheiratet sein – mit solcher Gleichgültigkeit behandelt sie mich. Verdammt gescheit und gebildet ist sie auch. Sie kann alles erklären. Beim Himmel, sie hat eine Menge Erklärungen für dich – und alle sind verschieden.

Lord Windermere: Meine Freundschaft mit Mrs. Erlynne bedarf keiner Erklärung.

Lord Lorton: Hm. Ich will dir einmal etwas sagen, lieber Freund – meinst du, sie wird jemals da hineinkommen – so in das verdammte Ding, was man so Gesellschaft nennt? Möchtest du sie deiner Frau vorstellen? Es hat ja keinen Zweck, wie die Katze um den heißen Brei zu gehen. Würdest du sie also deiner Frau vorstellen?

Lord Windermere: Mrs. Erlynne kommt heute abend her.

Lord Lorton: Deine Frau hat ihr eine Einladung geschickt?

Lord Windermere: Mrs. Erlynne hat eine Einladung erhalten.

Lord Lorton: Dann ist ja alles mit ihr in bester Ordnung. Warum hast du mir denn das nicht gleich gesagt? Du hättest mir einen Haufen Unannehmlichkeiten und verdammter Mißverständnisse erspart. ( Nach hinten.)

Parker ( meldet): Mr. Cecil Graham!

Mr. Hopper ( mit Agatha über die Bühne).

Mr. Graham ( begrüßt Lord Windermere, dann Lady Windermere mit einem Händedruck): Guten Abend, Artur. ( Zu diesem.) Warum fragst du mich nicht, wie es mir geht? Ich hab's gern, wenn mich die Leute fragen, wie es mir geht. Es zeugt von weitgehendem Interesse für meinen Gesundheitszustand. Heute abend, zum Beispiel, fühle ich mich gar nicht wohl. Ich habe bei meiner Familie gegessen. Möchte wissen, warum die eigene Familie einem immer so fürchterlich auf die Nerven geht. Mein Vater fühlte sich nach dem Essen zu einer Moralpredigt aufgelegt. Ich habe ihm gesagt, er wäre alt genug, alles besser zu wissen. Habe aber immer die Erfahrung gemacht, daß die Leute, sobald sie alt genug sind, um etwas besser zu wissen, gewöhnlich gar nichts mehr wissen. ( Zu Lord Lorton, der sich ihm nähert.) Hallo, wie steht's, Gusti? Ich höre, du willst dich wieder verheiraten? Dachte, du hättest den Rummel längst satt.

Lord Lorton: Du bist im höchsten Grade abgeschmackt, alter Junge – im höchsten Grade abgeschmackt.

Graham: Und – was ich noch sagen wollte, Gusti – wie steht die Sache eigentlich? Bist du zweimal verheiratet und einmal geschieden – oder zweimal geschieden und einmal verheiratet? Ich behaupte: zweimal geschieden und einmal verheiratet. Das macht einen viel wahrscheinlichern Eindruck.

Lord Lorton: Ich habe ein scheußlich schlechtes Gedächtnis – kann mich wirklich gar nicht erinnern, wie es eigentlich gewesen ist. ( Nach hinten.)

Lady Plymdale: Lord Windermere, ich habe eine dringende Frage an Sie.

Lord Windermere: Es tut mir sehr leid – verzeihen Sie gütigst – ich muß zu meiner Frau.

Lady Plymdale: Oh, an so etwas dürfen Sie nicht einmal im Traume denken. Heutzutage ist es für einen Ehemann äußerst gefährlich, wenn er sich öffentlich um seine Frau kümmert. Die Leute glauben dann immer, er schlägt sie, wenn sie beide allein sind. Die Welt ist gegen alles, was wie ein glückliches Eheleben aussieht, mißtrauisch geworden. Ich werde Ihnen also meine Frage beim Souper stellen. ( Zur Tür des Ballsaals.)

Lord Windermere: Margaret – ich muß wirklich dringend mit dir sprechen.

Lady Windermere: Lord Darlington, wollen Sie einen Augenblick meinen Fächer halten? Danke. ( Er entfernt sich.)

Lord Windermere: Margaret – was du vor dem Essen gesagt hast, das ist doch völlig ausgeschlossen, nicht wahr?

Lady Windermere: Die Person kommt doch heute abend nicht her?

Lord Windermere: Mrs. Erlynne kommt allerdings her, und wenn du ihr in irgendeiner Weise zu nahe trittst, so bringst du damit Schande und Kummer über uns beide. Bedenke das! Ach, Margaret, wenn du mir doch nur vertrauen wolltest. Eine Frau muß ihrem Manne vertrauen!

Lady Windermere: London ist voll von Frauen, die ihren Männern vertrauen. Du kannst es ihnen sofort anmerken. Sie sehen so durchaus unglücklich aus. Zu der Sorte will ich nicht gehören. ( Nach rückwärts.) Lord Darlington, wollen Sie mir meinen Fächer zurückgeben? Ich danke. Ein nützliches Ding, so ein Fächer, nicht wahr? Heute abend brauche ich einen Freund, Lord Darlington. Ich wußte nicht, daß es so bald dazu kommen würde.

Lord Darlington: Lady Windermere, ich wußte, daß dieser Augenblick eines Tages eintreten müßte. Warum gerade heute abend?

Lord Windermere: Ich werde es ihr sagen. Ich muß. Wenn sich hier eine Szene abspielte – es wäre fürchterlich. Margaret – –

Parker ( meldet): Mrs. Erlynne! ( Lord Windermere zuckt zusammen; Mrs. Erlynne tritt würdevoll und in geschmackvoller Toilette ein; Lady Windermere greift nach ihrem Fächer, läßt ihn dann zu Boden fallen und verbeugt sich kühl. Mrs. Erlynne gibt den Gruß voll Anmut zurück und rauscht ins Zimmer.)

Lord Darlington ( zu Lady Windermere): Sie haben Ihren Fächer fallen lassen. ( Nimmt ihn auf und gibt ihn ihr.)

Mrs. Erlynne: Guten Abend, Lord Windermere, nochmals guten Abend. Wie reizend Ihre süße Frau heute abend aussieht! Wie ein Bild.

Lord Windermere ( leise): Es war doch sehr gewagt von Ihnen, daß Sie gekommen sind.

Mrs. Erlynne: ( lächelnd): Das Klügste, was ich in meinem ganzen Leben getan habe. Und was ich sagen wollte – Sie müssen sich heute abend recht viel mit mir beschäftigen. Ich habe Angst vor den Weibern. Einigen von ihnen müssen Sie mich auch vorstellen. Mit den Männern kann ich immer noch fertig werden. ( Zu Lord Augustus Lorton.) Guten Abend, Lord Augustus. Sie haben mich in letzter Zeit arg vernachlässigt. Seit gestern habe ich Sie nicht mehr zu Gesicht bekommen. Ich fürchte, Sie sind unbeständig. Alle Welt hat mir's gesagt.

Lord Lorton: Hören Sie, Mrs. Erlynne – wirklich – lassen Sie mich erklären – –

Mrs. Erlynne: Nein, mein lieber Lord Augustus, Sie können nichts erklären. Darin liegt ja gerade der Hauptreiz Ihrer Persönlichkeit.

Lord Lorton: Na – wenn Sie überhaupt Reize an mir finden, Mrs. Erlynne. ( Sie unterhalten sich. Lord Windermere geht unruhig im Zimmer umher und beobachtet Mrs. Erlynne.)

Lord Darlington ( zu Lady Windermere): Sie sind ja ganz blaß.

Lady Windermere: Feige Menschen sind immer blaß.

Lord Darlington: Sie sind halb ohnmächtig. Kommen Sie auf die Terrasse hinaus.

Lady Windermere ( zu Parker): Parker – meinen Mantel.

Mrs. Erlynne: ( auf Lady Windermere zugehend): Wie reizend Ihre Terrasse illuminiert ist, Lady Windermere. Das erinnert mich an Fürst Dorians Villa in Rom. ( Lady Windermere antwortet mit einem kühlen Neigen des Kopfes; dann mit Darlington ab.) Oh, wie geht es Ihnen denn, Mr. Graham? Ist das nicht Ihre Tante, Lady Jedburgh? Ich möchte sie so gern kennenlernen.

Graham ( nach verlegenem Zögern): Aber gewiß, natürlich, wenn Sie wünschen. Tante, gestatte mir, dir Mrs. Erlynne vorzustellen.

Mrs. Erlynne: Ich freue mich so, Sie kennenzulernen, Lady Jedburgh. ( Setzt sich mit ihr aufs Sofa.) Ihr Neffe und ich – wir sind sehr gute Freunde. Ich interessiere mich lebhaft für seine politische Karriere. Ich meine, er wird es sicher zu etwas bringen. Er denkt wie ein Tory und spricht wie ein Radikaler, und das ist heutzutage so wichtig. Dabei ist er auch noch ein glänzender Redner. Aber wir wissen ja alle, von wem er das geerbt hat. Lord Allandale hat mir erst gestern im Park gesagt, Mr. Graham redet fast so gut wie seine Tante.

Lady Jedburgh: Sehr liebenswürdig von Ihnen, mir so nette Dinge zu sagen. ( Mrs. Erlynne redet lächelnd weiter.)

Dumby ( zu Graham): Du also hast Mrs. Erlynne Lady Jedburgh vorgestellt?

Graham: Mußte, alter Kerl – war nicht anders zu machen. Die Frau tut ja mit einem, was sie will. Wie sie's anstellt, weiß ich nicht.

Dumby: Wenn sie um Gottes willen mich nur nicht anredet! ( Tänzelt zu Lady Plymdale.)

Mrs. Erlynne: ( zu Lady Jedburgh): Nächsten Donnerstag? Mit dem größten Vergnügen. ( Erhebt sich, spricht lachend zu Lord Windermere.) Wirklich, eine wahre Last, gegen alte Damen immer so höflich sein zu müssen. Aber sie bestehen nun einmal darauf.

Lady Plymdale ( zu Dumby): Wer ist denn die Person in der schönen Toilette, die jetzt mit Windermere spricht?

Dumby: Keine Ahnung. Sie sieht aus, wie die Luxusausgabe eines fragwürdigen französischen Romans, mit besonderer Berücksichtigung des englischen Publikums.

Mrs. Erlynne: Ist das Dumby, der sich da mit Lady Plymdale unterhält? Sie soll fürchterlich eifersüchtig auf ihn sein. Er scheint es nicht besonders eilig zu haben, mich heute abend zu begrüßen. Wahrscheinlich hat er Angst vor ihr. Diese Art Weiber mit strohgelbem Haar sind fürchterlich eifersüchtig. Wissen Sie was, Windermere – mit Ihnen werde ich zuerst tanzen. ( Lord Windermere beißt sich auf die Lippen und runzelt die Stirn.) Da wird Lord Augustus tüchtig eifersüchtig werden. Lord Augustus! ( Er nähert sich.) Lord Windermere besteht darauf, daß ich mit ihm zuerst tanze, und da wir hier in seinem Hause sind, so kann ich wohl nicht gut nein sagen. Ich möchte aber viel lieber mit Ihnen tanzen, das wissen Sie ja.

Lord Lorton ( mit tiefer Verbeugung): Wenn's nur wahr wäre!

Mrs. Erlynne: Das wissen Sie ja viel zu gut. Ich könnte mir jemand denken, der durchs ganze Leben mit Ihnen tanzte und es geradezu entzückend fände.

Lord Lorton ( die Hand auf seine weiße Weste legend): Ich danke sehr, danke sehr – Sie sind die anbetungswürdigste aller Frauen.

Mrs. Erlynne: Wie hübsch gesagt – so einfach und so aufrichtig! Gerade so hab' ich's gerne. Dafür sollen Sie mir auch solange mein Bukett halten. ( Geht an Lord Windermeres Arm auf den Ballsaal zu.) Sieh da, Mr. Dumby! Was machen Sie Gutes? Schade, daß ich die drei letzten Male, wo sie mich besucht haben, nicht zu Hause war. Kommen Sie doch Freitag zum Frühstück.

Dumby ( ungezwungen): Von Herzen gern. ( Lady Plymdale sieht ihn empört an. Mrs. Erlynne, Lord Windermere und Lord Lorton, mit ihrem Bukett in der Hand, ab.)

Lady Plymdale ( zu Dumby): Einfach abscheulich von dir. Ich kann dir nie ein Wort glauben. Warum hast du mir gesagt, du kenntest sie nicht? Was denkst du dir eigentlich dabei, wenn du sie dreimal hintereinander besuchst? Zum Frühstück gehst du mir nicht – ich hoffe, du verstehst mich doch.

Dumby: Meine beste Laura, ich denke ja gar nicht dran.

Lady Plymdale: Nicht einmal ihren Namen hast du mir gesagt! Wer ist sie denn?

Dumby ( hüstelnd und sich übers Haar fahrend): Eine Mrs. Erlynne.

Lady Plymdale: Die Person ist das?

Dumby: Jawohl. So wird sie wenigstens von jedermann genannt.

Lady Plymdale: Das ist ja sehr interessant. Die muß ich mir doch wirklich einmal ganz genau ansehen! ( Geht zur Tür des Ballsaals und späht hinein.) Die unglaublichsten Geschichten habe ich von ihr gehört. Sie soll den armen Windermere ruinieren, erzählt man. Und Lady Windermere, die so viel darauf gibt, ganz tadellos zu sein – die lädt sie ein? Das ist ja über alle Maßen amüsant! Wenn es etwas durch und durch Dummes anzustellen gibt, braucht man sich nur nach einer durch und durch anständigen Frau umzusehen. Du wirst am Freitag doch bei ihr frühstücken.

Dumby: Warum?

Lady Plymdale: Weil du meinen Mann mit hinnehmen sollst. In letzter Zeit ist er so beängstigend liebenswürdig zu mir, daß er mir geradezu auf die Nerven fällt. Diese Frau ist gerade die richtige für ihn. Er wird seine Liebenswürdigkeiten bei ihr anbringen, solange es ihr paßt – und dann läßt er mich wenigstens in Ruhe. Ich versichere dir, Frauen dieser Art sind im höchsten Grade nützlich. Sie bilden das Fundament für das Eheleben andrer Leute.

Dumby: Du bist und bleibst ein unergründliches Rätsel.

Lady Plymdale ( ihn ansehend): Ich wollte, du wärst eins.

Dumby: Das bin ich ja – mir selbst. Ich bin der einzige Mensch auf der Welt, den ich ganz genau kennen möchte. Fürs erste habe ich aber keine Aussichten. ( Zusammen in den Ballsaal.)

Zweite Szene

Lord Darlington, Lady Windermere.

Die Bühne bleibt einen Augenblick leer; Walzermusik.

Lady Windermere ( mit Lord Darlington von der Terrasse): Ja! Geradezu schamlos empörend, daß sie hergekommen ist. Jetzt weiß ich, was Sie heute nachmittag meinten. Warum haben Sie's mir nicht geradeheraus gesagt? Das hätten Sie tun sollen.

Lord Darlington: Ich konnte nicht. Ein Mann darf derartige Dinge von einem andern Mann nicht erzählen. Hätte ich aber geahnt, daß er Sie veranlassen würde, die Frau für heute abend einzuladen – ich glaube, ich hätte es Ihnen doch gesagt. Für alle Fälle wäre Ihnen dieser Affront erspart geblieben.

Lady Windermere: Ich habe sie nicht eingeladen. Er bestand auf ihrem Kommen – gegen meine Bitten, gegen meine Befehle. Oh, mein Haus scheint mir entehrt! Mir ist es, als ob jede Frau die Nase rümpfte, wenn sie mit meinem Mann tanzt. Womit habe ich das verdient? Ich habe ihm rückhaltlos mein ganzes Leben gegeben. Er hat es angenommen – er hat es ausgenützt – er hat es mit Füßen getreten. Vor mir selbst bin ich erniedrigt. Und ich habe keinen Mut – ich bin ein feiges Geschöpf. ( Sie setzt sich auf die Ottomane.)

Lord Darlington: Wenn ich Sie recht kenne, dann weiß ich auch, daß Sie außerstande sind, mit einem Manne zusammenzuleben, der Sie derart behandelt. Welches Leben wartet Ihrer an seiner Seite? Sie müßten die Empfindung haben, als ob er Sie stündlich belüge. Es müßte Ihnen so sein, als ob der Blick in seinen Augen falsch wäre – seine Stimme falsch – seine Berührung falsch – seine Leidenschaft falsch. Zu Ihnen würde er kommen, wenn er der andern müde wäre. Ihnen würde die Aufgabe zufallen, ihn zu trösten. Er würde zu Ihnen kommen, wenn er eine andere satt bekommen hätte. Dann wäre es Ihre Sache, ihn mit neuen Reizen an sich zu fesseln. Sie müßten die Maske für sein wirkliches Leben abgeben, den Deckmantel für seine Geheimnisse.

Lady Windermere: Sie haben ganz recht. Sie haben fürchterlich recht. Was bleibt mir jetzt übrig? Sie haben gesagt, Sie wollten mein Freund sein, Lord Darlington. Sagen Sie mir, was soll ich tun? Seien Sie jetzt mein Freund.

Lord Darlington: Zwischen Mann und Weib gibt es keine Freundschaft. Nur Leidenschaft, Feindschaft, Liebe – aber keine Freundschaft. Ich liebe Sie – –

Lady Windermere: O nein – nein! ( Erhebt sich.)

Lord Darlington: Ja! Ich liebe Sie! Sie sind mir mehr als irgend etwas auf der weiten Welt. Was bietet Ihnen denn Ihr Mann? Nichts. Alles Empfinden, dessen er fähig ist, gibt er diesem elenden Weibe, das er in Ihre Nähe, in Ihr Heim gedrängt hat, um Sie in aller Augen bloßzustellen. Ich bringe Ihnen mein Leben –

Lady Windermere: Lord Darlington – –

Lord Darlington: Mein Leben – mein ganzes Leben. Nehmen Sie es und machen Sie damit, was Sie wollen – ich liebe Sie – liebe Sie mehr als irgend etwas unter der Sonne. Von dem Augenblick an, wo ich Sie sah, habe ich Sie verehrt, blind, anbetend, sinnlos. Damals wußten Sie es nicht – jetzt wissen Sie es! Verlassen Sie dies Haus noch heute nacht. Ich sage Ihnen ja nicht, daß die Welt nichts bedeutet oder das Gerede dieser Welt oder das Gerede der Gesellschaft – es bedeutet sogar sehr viel – viel zu viel. Aber es treten auch Augenblicke ein, in denen man vor die Wahl gestellt wird, sein eigenes Leben zu leben, ganz, erschöpfend, vollgültig – oder eine falsche, hohle, erniedrigende Existenz weiterzuschleppen, wie es die Welt in ihrer Heuchelei verlangt. An Sie ist dieser Augenblick jetzt herangetreten. Wählen Sie! O ich bitte Sie, Geliebte, wählen Sie!

Lady Windermere: Ich habe nicht den Mut dazu. ( Starrt ihn an und weicht zurück.)

Lord Darlington ( ihr folgend): Doch, Sie haben den Mut. Sechs Monate des Schmerzes, der Schande sogar, mögen vielleicht kommen – wenn Sie aber seinen Namen nicht mehr tragen, wenn Sie meinen tragen, dann wird auch alles wieder gut werden. Margaret, Teure, eines Tags auch mein Weib – ja – eines Tags wirst du mein Weib werden! Du weißt es längst! Was bist du denn jetzt? Diese Frau nimmt die Stelle ein, die dir zu Recht gebührt. O komm – komm aus diesem Hause – mit erhobenem Haupte – mit einem Lächeln auf den Lippen – mit Mut in den Augen! Ganz London wird erfahren, warum du es getan hast. Und wer wird einen Stein gegen dich aufheben wollen? Keiner! Und wenn sie es tun – was liegt daran? Unrecht? Was ist denn Unrecht? Unrecht ist es, wenn ein Mann seine Gattin um eines schamlosen Weibes willen vernachlässigt. Unrecht ist es, wenn eine Frau bei dem Manne bleibt, der sie so entehrt. Du hast gesagt, du würdest dich niemals auf Kompromisse einlassen. So gib dich auch jetzt nicht dazu her! Sei du selbst!

Lady Windermere: Ich fürchte mich – ich selbst zu sein. Lassen Sie mich erst nachdenken. Lassen Sie mich noch etwas warten. Mein Mann kann ja vielleicht doch wieder zu mir zurückkehren. ( Sie setzt sich aufs Sofa.)

Lord Darlington: Und dann nähmen Sie ihn in Gnaden wieder auf! Sie sind doch nicht, was ich dachte. Sie sind genau so wie alle andern Frauen. Sie wollen lieber alles über sich ergehen lassen, als der Meinung einer Welt in die Augen sehen, deren Anerkennung Sie ja doch mißachten. In einer Woche werden Sie mit dieser Frau im Park spazieren fahren. Dann ist sie Ihr ständiger Gast – Ihre beste Freundin. Sie würden lieber alles ertragen, statt diese empörende Fessel mit einem einzigen Schlage zu sprengen. Sie haben ganz recht. Sie besitzen keinen Mut – nicht den geringsten!

Lady Windermere: Lassen Sie mir wenigstens Zeit zum Überlegen. Jetzt kann ich Ihnen nicht antworten. ( Sie streicht mit der Hand nervös über die Stirn.)

Lord Darlington: Es muß aber jetzt geschehen – oder niemals.

Lady Windermere ( sich erhebend): Gut also – dann niemals. ( Pause.)

Lord Darlington: Sie brechen mir das Herz.

Lady Windermere: Das meine ist schon gebrochen. ( Pause.)

Lord Darlington: Morgen früh verlasse ich England. Es ist das letztemal, daß ich Sie mit meinen Augen schaue. Sie werden mich niemals wiedersehen. Einen kurzen Augenblick lang sind unsre Lebenswege einander begegnet – unsre Seelen haben einander berührt. Sie dürfen einander niemals wieder begegnen, niemals wieder berühren. Leben Sie wohl, Margaret! ( Ab.)

Lady Windermere: Ach, wie bin ich allein im Leben – wie mutterseelenallein.

( Die Tanzmusik hört auf.)

Dritte Szene

Lady Windermere, Herzogin, Agatha, Hopper, Lady Plymdale, Graham, Lady Jedburgh, Mr. Dumby, Lord Windermere, Mrs. Erlynne.

Herzogin ( an Lord Paisleys Arm, lachend und mit einigen andern Gästen aus dem Ballsaal sprechend): Liebe Margaret, ich habe mich geradezu prachtvoll mit Mrs. Erlynne unterhalten. Was ich heute nachmittag von ihr gesagt habe, tut mir jetzt wirklich leid. Wenn Sie sie eingeladen haben, dann muß mit ihr wohl alles stimmen. Eine überaus anziehende Frau! Und was für vernünftige Ansichten vom Leben sie hat. Sie sagt, sie finde es sehr verkehrt, wenn man sich mehr als einmal verheiratete. Ich brauche mir also über den guten Augustus keine grauen Haare wachsen zu lassen. Ich begreife gar nicht, wie sich die Leute über sie abfällig äußern können. Das sind natürlich wieder meine greulichen Nichten, diese Savilleschen Mädchen, die setzen fortwährend Skandalgeschichten in Umlauf. Trotz alledem, meine Liebe, ich würde doch nach Homburg gehen – nein, wirklich, Sie sollten es tun. Sie ist nämlich gerade ein klein wenig zu anziehend. Wo steckt denn nur Agatha? ( Lady Agatha mit Hopper von der Terrasse.) Ah, da kommt sie ja. Mr. Hopper – mit Ihnen bin ich sehr, sehr böse. Sie haben Agatha auf die Terrasse geführt, und sie ist so außerordentlich zart.

Hopper: Ach, das tut mir aber leid. Wir wollten ursprünglich nur einen Augenblick hinaus, und dann sind wir so ins Gespräch geraten.

Herzogin: Soso, wohl über unser liebes Australien, nicht wahr?

Hopper: Jawohl.

Herzogin ( Agatha herbeiwinkend): Liebes Herz –

Agatha: Ja, Mama?

Herzogin ( beiseite): Hat Mr. Hopper sich endgültig – –

Agatha: Ja – Mama.

Herzogin: Und was hast du ihm geantwortet, mein liebes Kind?

Agatha: Ja – Mama.

Herzogin ( liebevoll): Mein Engelskind – du findest doch immer das rechte Wort! Mr. Hopper – James – Agatha hat mir schon alles verraten. Wie schlau ihr doch beide euer süßes Geheimnis verborgen gehalten habt.

Hopper: Sie haben also nichts dagegen, wenn ich Agatha mit nach Australien nehme?

Herzogin ( empört): Nach Australien? Ach, sprechen Sie doch lieber gar nicht von dieser ordinären Gegend!

Hopper: Agatha meinte aber, sie würde sehr gern mit mir gehen.

Herzogin ( streng): Hast du das gesagt, Agatha?

Agatha: Ja, Mama.

Herzogin: Du sagst doch immer die albernsten Sachen! Alles in allem bin ich der Meinung, daß Grosvenor Square ein viel zuträglicherer Aufenthaltsort ist. Es gibt ja in Grosvenor Square auch eine Menge minderwertiger Leute, aber wenigstens kriechen doch keine von den scheußlichen Känguruhs umher. Aber darüber werden wir ja morgen weiter reden. James, Sie können Agatha hinunterbringen. Sie kommen doch natürlich zum Frühstück, nicht wahr, James? Um halb zwei statt um zwei! Der Herzog wird Ihnen sicherlich dies oder jenes zu sagen haben.

Hopper: Würde mich sehr freuen, ein Stündchen mit dem Herzog zu plaudern. Er hat noch kein Sterbenswort mit mir gesprochen.

Herzogin: Morgen wird er Ihnen aber, glaube ich, eine ganze Menge zu sagen haben. ( Agatha mit Hopper ab.) Und nun gute Nacht, Margaret. Ich fürchte, es ist wieder die alte, alte Geschichte, teure Freundin. Liebe – na also, nicht Liebe auf den ersten Blick, aber Liebe bei Saisonschluß – was ja so viel befriedigender ist.

Lady Windermere: Gute Nacht, Herzogin. ( Herzogin an Lord Paisleys Arm ab.)

Lady Plymdale: Meine liebe Margaret, das war aber eine hübsche Frau, mit der Ihr Gatte getanzt hat. Da wäre ich ganz eifersüchtig geworden. Sind Sie sehr intim mit ihr befreundet?

Lady Windermere: Nein.

Lady Plymdale: Ach, nicht möglich! Gute Nacht, liebe Margaret. ( Mit einem Blick auf Dumby ab.)

Dumby: Fürchterliches Benehmen hat dieser junge Hopper.

Graham: Ach, Hopper – das ist ein Kavalier von Mutter Naturs Gnaden – die schlimmste Sorte von Kavalieren, die ich kenne.

Dumby: Doch eine sehr vernünftige Frau – Lady Windermere. Eine Menge verheirateter Frauen hätten sich gegen Mrs. Erlynnes Erscheinen verwahrt. Aber Lady Windermere besitzt eben die ungewöhnliche Gabe des gewöhnlichen gesunden Menschenverstands.

Graham: Und Windermere weiß sehr gut, daß nichts der Unschuld so ähnlich sieht wie eine Unverschämtheit.

Dumby: Jawohl, jawohl. Unser guter Windermere wird allmählich ganz modern. Hätte ich ihm niemals zugetraut. ( Verbeugung vor Lady Windermere und ab.)

Lady Jedburgh: Gute Nacht, Lady Windermere. Das muß ich sagen, eine ganz entzückende Frau, Mrs. Erlynne. Sie kommt Donnerstag zum Frühstück. Kommen Sie doch auch. Ich erwarte noch den Bischof und unsre liebe Lady Merton.

Lady Windermere: Ich bin leider schon vergeben, Lady Jedburgh.

Lady Jedburgh: Ach, wie schade! Komm, Kind! ( Mit Miß Graham ab.)

Mrs. Erlynne: ( kommt mit Lord Windermere): Wirklich, ein reizender Ball! All das erinnert mich an frühere Zeiten. ( Setzt sich aufs Sofa.) Soweit ich sehe, gibt es noch gerade so viel alberne Menschen in der guten Gesellschaft wie damals. Mit Freuden konstatiere ich, daß sich nichts geändert hat. Margaret natürlich ausgenommen – sie hat sich zu einer sehr hübschen Frau herausgemacht. Das letztemal, als ich sie sah – vor zwanzig Jahren – da war sie ein kleines, in Flanell gewickeltes Scheusal. Ich versichere Ihnen, ein rechtes kleines Scheusal. Die liebe gute Herzogin! Und diese entzückende Lady Agatha! Gerade die Sorte Mädchen, für die ich schwärme! Nein, wirklich also, Windermere, wenn ich schon die Schwägerin der Herzogin werden soll.

Lord Windermere ( an ihrer Seite sitzend): Sind Sie denn – – ( Graham mit dem Rest der Gäste ab. Lady Windermere beobachtet mit Schmerz und Empörung ihren Gatten und Mrs. Erlynne, die ihre Gegenwart nicht merken.)

Mrs. Erlynne: Aber natürlich! Er wird mich morgen mittag besuchen. Er wollte mir heute abend einen Antrag machen – er hat es sogar eigentlich getan. Fortwährend hat er mir Anträge gemacht. Der arme Augustus! Sie wissen ja, wie er sich immer wiederholt. Eine scheußliche Gewohnheit! Ich habe ihm also gesagt, daß ich ihm morgen antworten werde. Nehmen werde ich ihn natürlich. Ich vermute sogar, daß ich ihm eine bewunderungswürdige Gattin sein werde, nach dem, was man so unter einer Gattin versteht. Es steckt eine Menge Gutes in Lord Augustus. Zum Glück liegt es aber auf der Oberfläche. Das ist ja auch der angemessene Platz für gute Eigenschaften. Sie werden mir doch selbstverständlich bei der Sache behilflich sein!

Lord Windermere: Mir soll doch – hoffe ich – nicht die Aufgabe zufallen, Lord Augustus zuzureden?

Mrs. Erlynne: O nein – das besorge ich selbst. Aber Sie werden mir eine hübsche, kleine Summe aussetzen, nicht wahr, Windermere?

Lord Windermere ( stirnrunzelnd): War es das, was Sie heute abend mit mir besprechen wollten?

Mrs. Erlynne: Ja.

Lord Windermere ( ungeduldig): Hier will ich über diese Angelegenheit nicht sprechen.

Mrs. Erlynne: ( lachend): Dann können wir ja auf der Terrasse davon sprechen. Sogar Geschäfte sollten einen malerischen Hintergrund haben, ist es nicht so, Windermere? Mit dem passenden Hintergrund können Frauen alles tun.

Lord Windermere: Kann das morgen nicht ebensogut geschehen?

Mrs. Erlynne: Nein – morgen will ich seinen Antrag annehmen. Und ich denke mir, es würde einen sehr guten Eindruck machen, wenn ich ihm sagen könnte, ich hätte – ja, wie soll ich nur gleich sagen – ich hätte also zweitausend Pfund jährlich geerbt – von einem Vetter dritter Hand – oder meinem zweiten Manne – oder sonst einem entfernten Verwandten ähnlicher Art. So etwas wäre noch eine Extraanziehungskraft, nicht wahr? Hier haben Sie doch eine prachtvolle Gelegenheit, mir einmal ein Kompliment zu sagen, Windermere. Aber Sie besitzen im Komplimentemachen nicht die geringste Fertigkeit. Ich fürchte, Margaret ermutigt Sie nicht genügend zu dieser ausgezeichneten Gewohnheit. Sie tut damit sehr unrecht. Sobald Männer aufhören, etwas Nettes zu sagen, so hören sie auch auf, etwas Nettes zu denken. Aber Spaß beiseite – was meinen Sie zu zweitausend Pfund? Sagen wir lieber zweitausendfünfhundert. Heutzutage ist der Nettoüberschuß ausschlaggebend. Windermere, halten Sie die Welt nicht auch für einen riesig amüsanten Ort? Mir kommt sie so vor. ( Mit ihm auf die Terrasse. Musik im Ballsaal.)

Vierte Szene

Lady Windermere.

Lady Windermere: In diesem Hause ist meines Bleibens nicht länger. Ein Mann, der mich liebt, hat mir heute abend sein ganzes Herz zu Füßen gelegt. Ich habe es nicht angenommen. Das war töricht. Jetzt will ich ihm das meine darbieten – ich will es ihm schenken. Ich will zu ihm gehen. ( Legt den Mantel um, geht zur Tür, wendet sich um; setzt sich an den Tisch, schreibt einen Brief, steckt ihn in ein Kuvert und läßt ihn auf dem Tische liegen.) Artur hat mich nie verstanden. Wenn er dies liest, wird er mich verstehen. Mit seinem Leben mag er jetzt anfangen, was ihm beliebt. Mit dem meinen habe ich das getan, was ich für das Beste – was ich für das Rechte halte. Er ist es gewesen, der das Band der Ehe zerrissen hat – nicht ich. Ich breche jetzt nur ihre Fesseln. ( Ab.)

Fünfte Szene

Mrs. Erlynne, Parker, Lord Windermere.

Parker ( tritt ein und geht zum Ballsaal.)

Mrs. Erlynne: ( von rechts): Ist Lady Windermere im Ballsaal?

Parker: Mylady ist soeben fortgegangen.

Mrs. Erlynne: Ausgegangen?

Parker: Nein, Madame. Mylady sind aus dem Hause gegangen.

Mrs. Erlynne: ( zuckt zusammen, betrachtet den Bedienten mit verständnisloser Miene): Aus dem Hause?

Parker: Jawohl, Madame. Mylady haben mir gesagt, sie hätten einen Brief für Mylord auf dem Tisch zurückgelassen.

Mrs. Erlynne: Einen Brief für Lord Windermere?

Parker: Jawohl, Madame.

Mrs. Erlynne: Es ist gut. ( Parker ab; Musik hält inne.) Aus dem Hause gegangen? Einen Brief für ihren Mann? ( Geht zum Schreibtisch, betrachtet den Brief, nimmt ihn auf und legt ihn schaudernd zurück.) Nein, nein! Das ist ja unmöglich. So kann sich das Leben in seinen tragischen Konflikten nicht wiederholen! O mein Gott – warum kommt mir diese fürchterliche Vermutung in den Sinn? Warum muß ich mich jetzt gerade an den einen Augenblick in meinem Dasein erinnern, den ich mehr als alle andern vergessen möchte? Wiederholt das Leben seine Tragödien also doch? ( Reißt den Brief auf, liest, sinkt mit einer Gebärde des Schreckens auf einen Sessel.) Entsetzlich, entsetzlich! Dieselben Worte, die ich vor zwanzig Jahren an ihren Vater gerichtet habe – und wie bitter bin ich dafür gestraft worden. Nein, erst heute abend trifft mich die Strafe – jetzt trifft sie mich.

Lord Windermere ( auf sie zugehend): Haben Sie sich von meiner Frau verabschiedet?

Mrs. Erlynne: ( den Brief in ihrer Hand zerknitternd): Ja.

Lord Windermere: Wo ist sie denn?

Mrs. Erlynne: Ach – sie ist sehr abgespannt – sie hat sich zur Ruhe gelegt – sie sagt, sie hätte Kopfschmerzen.

Lord Windermere: Dann muß ich nach ihr sehen. Entschuldigen Sie mich, ich bitte, einen Augenblick.

Mrs. Erlynne: ( sich hastig erhebend): O nein, o nein! Es ist nichts Ernstliches. Sie ist nur sehr müde – sonst nichts. Außerdem sind ja noch Gäste im Speisesaal. Sie möchten sie bei ihnen entschuldigen, hat sie gesagt. Und dann wollte sie nicht gestört werden. ( Läßt den Brief fallen.) Sie hat mich gebeten, Ihnen das mitzuteilen.

Lord Windermere ( den Brief aufhebend): Sie haben etwas verloren.

Mrs. Erlynne: Ach ja – ich danke schön – das gehört mir. ( Streckt die Hand nach dem Brief.)

Lord Windermere ( das Papier betrachtend): Aber das ist doch die Handschrift meiner Frau, nicht wahr?

Mrs. Erlynne: ( rasch den Brief nehmend): Ach ja – das – das ist eine Adresse. Wollen Sie mir, ich bitte, meinen Wagen kommen lassen?

Lord Windermere: Gewiß, gewiß! ( Ab.)

Sechste Szene

Mrs. Erlynne, dann Lord Lorton.

Mrs. Erlynne: Ich danke! Was soll ich nur tun? Was soll ich nur tun? Mir ist, als fühlte ich etwas von einer Liebe in mir erwachen, die ich bisher nicht gekannt habe. Was hat das zu bedeuten? Nein, die Tochter darf nicht wie die Mutter werden – das wäre fürchterlich. Wie aber kann ich sie retten? Wie kann ich mein Kind retten? Ein einziger Augenblick vermag ihr ganzes Dasein zu vernichten. Niemand weiß das besser als ich. Windermere muß aus dem Hause gebracht werden – das ist unumgänglich notwendig. Wie soll ich's nur anfangen? Irgendwie muß ich es ermöglichen. Ah!

Lord Lorton ( kommt mit dem Bukett): Ich bin in Angst und Sorge, schöne Frau – soll ich keine Antwort auf meine Frage erhalten?

Mrs. Erlynne: Hören Sie, was ich Ihnen sage, Lord Augustus. Sie müssen Lord Windermere heute abend mit sich in den Klub nehmen – und zwar gleich. Halten Sie ihn dort so lange wie nur irgend möglich auf. Verstehen Sie mich?

Lord Lorton: Sie haben aber doch gesagt, ich solle immer hübsch nach Hause gehen.

Mrs. Erlynne: ( ungeduldig): Tun Sie, was ich Ihnen sage.

Lord Lorton: Und mein Lohn?

Mrs. Erlynne: Ihr Lohn? Ihr Lohn? Ach – danach fragen Sie mich morgen! Heute abend aber lassen Sie Windermere nicht aus den Augen. Wenn Sie es doch tun – ich werde es Ihnen nie verzeihen. Ich spreche nie wieder ein Wort mit Ihnen. Ich will nichts mehr mit Ihnen zu tun haben. Denken Sie daran. Sie müssen Windermere in Ihrem Klub zurückhalten – und lassen Sie mir ihn heute nacht nicht so bald nach Hause kommen. ( Ab.)

Lord Lorton: Nein, wahrhaftig – ganz, als ob ich schon ihr Mann wäre. Wirklich, ganz so. ( Folgt ihr völlig verwirrt.)

( Vorhang.)


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