Christoph Martin Wieland
Sendschreiben an einen jungen Dichter
Christoph Martin Wieland

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Aber, ach! dies ists nicht allein. Sie werden auch Torheiten begehen, die nur ein Dichter begehen kann – werden mit dem glücklichsten Kopfe, mit dem besten Herzen, alle Augenblicke in einem falschen Lichte vor der Welt stehen; immer Klagen und Vorwürfe hören, und doch immer nur sich selbst Schaden tun; und, wie Sie es auch anstellen mögen, um die Welt zu überzeugen daß Sie ein unschuldiges harmloses wohlmeinendes Wesen sind, wird man Sie doch immer als ein Wundertier anstaunen, in dessen Art zu denken und zu sein die Leute sich nicht finden können, und in dessen Verstand oder Herz alle Augenblicke mächtige Zweifel gesetzt werden.

Alles dies, mein Lieber, verbreitet sehr unangenehme Folgen auf das Leben eines Menschen, der mit diesem bewunderten und verachteten, beneideten und verhaßten, geschmeichelten und fast immer schlecht belohnten Talente begabt ist, das ihm so sonderbare Vorzüge vor den gewöhnlichen Menschen, so viel Gewalt über ihre Einbildungskraft, und so unerschöpfliche Mittel sich selbst zu helfen – in der seinigen gibt. Das goldne λαθε βιωσας,

der unbemerkte schmale Pfad durchs LebenFallentis semita vitae. Horat. Ep. I 18. ,

der ewige Wunsch aller Seelen, die zum stillen Genusse der Natur und zum Leben mit ihren eigenen Ideen geboren sind, wird für Sie der Baum des Tantalus werden. Eine verhaßte Celebrität, der Sie unmöglich entgehen können, wird Ihre Ruhe vergiften, und einen unversieglichen Schwall von tausend nichtswürdigen aber nur desto beschwerlichern kleinen Plagen über Sie ergießen, die Ihnen nicht einmal die arme Täuschung übrig lassen werden, sich für das Vergnügen, das Sie der Welt machen, wenigstens mit Liebe belohnt zu glauben.

Eine Musenliebe, wie die Ihrige, endet sich gewöhnlich wie die Leidenschaft eines unerfahrnen Paars von Turteltaubenseelen, die einander statt alles andern Brautschatzes einen unermeßlichen Schatz von Zärtlichkeit zubringen, und in dem süßen Wahne, daß die Liebe sie ewig speisen und tränken werde, aller Vorkehrungen gegen die Bedürfnisse des Lebens vergessen haben. Der bezauberte Liebhaber ist vollkommen versichert, daß an der Seite seiner Geliebten eine Strohhütte ein Feenpalast sei; daß er, bei den Strahlen aus ihren Augen keines Lichts, an ihrem wärmenden Busen keiner Feuerung, kurz, in dem Ozean von Wonne, worin seine trunkene Seele taumelt, gleich den Göttern im Himmel, nichts bedürfe als – daß der süße Wahn ewig daure! Aber, das ists eben worauf man vergebens gerechnet hat!

Man hat nicht bedacht, daß Stunden, Tage, Monate, vielleicht ganze Jahre, kommen werden, wo die Phantasie, ihrer Zauberkraft beraubt, uns dem unangenehmen Gefühle des Gegenwärtigen preisgibt; und daß sie (vermöge ihrer immer täuschenden Natur) die Übel, die uns drücken, eben so sehr vergrößert, als sie in glücklichen Stunden das Angenehme unsers Zustandes erhöhet. Man hat nicht bedacht, daß, wenn es auch in der Natur wäre, aus dem schönen Endymions-Traume, worein sie uns versenkt hat, nimmer von uns selbst zu erwachen, doch gewiß die nüchternen Leute um uns her, aus gutem oder bösem Willen, nicht ermangeln würden, uns so lange zu schütteln und zu rütteln, bis sie uns den schlimmen Streich gespielt hätten, der jenem Argeer von seinen Anverwandten widerfuhr, da sie ihm so lange Niesewurz gaben, bis die herrlichen Tragödien verschwanden, die er auf der leeren Schaubühne zu sehen glaubte.

Dieser Umstand allein wäre schon hinlänglich, alle meine Besorgnisse bei dem Lebenswege, den Sie einzuschlagen begriffen sind, zu rechtfertigen. Ein wahrer Dichter – (so selten auch, nach Versichrung des vorbelobten Herrn Klinggut, die Louisd'or und – die Zuckermandeln bei ihm sind

Und seine Louisd'or? Da stehts nun auch so so!
Mit Groschen hört man bei der Wasserflasche
Wohl einen Dichter in der Tasche
Noch klimpern, wenn er eben froh
Sein Schweißgeld zählt; doch Gold – ho! ho!
Ein Böhmisch Dorf! – Nein, Gold und Zuckermandeln,
Konfekte, Wein und Ordensband
Sind unser einem nur dem Namen nach bekannt.
Episteln, S. 21.
– befindet sich doch ungefähr in eben der Lage gegen die Welt, worin sich ein Besitzer des Steins der Weisen befinden würde. Beide könnten vielleicht, jener mit seinem Talisman im Kopf und Herzen, und dieser mit seinem Pulver in der Tasche, glücklich sein; wenn nur eine Möglichkeit wäre, ihr Geheimnis vor der ganzen Welt zu verbergen. Aber da dies nicht wohl angeht, so mögen sich beide darauf verlassen, daß man Mittel genug finden wird, sie für den Vorteil, den sie vor andern wackern Leuten haben, büßen zu lassen!

Wenn ich, mein Lieber, so viel für das Glück Ihres künftigen Lebens fürchte, so sind die Louisd'or und die Zuckermandeln wohl das wenigste was mir im Sinne liegt. Der letztern, mit allem Zubehör von Konfekten und Weinen (die Ordensbänder etwa ausgenommen), werden Sie vielleicht nur zu oft zu schmecken bekommen; und zu so viel Gold, als ein Dichter braucht, der eben keine Ansprüche an eine Villa – wie Boileaus und Popes, oder gar an ein Ferney macht, wird wohl auch noch Rat werden. Horaz speiste so oft er wollte an den Tafeln der Großen in Rom; wohnte so oft und so lange als es ihm gefiel in dem prächtigen Hause Mäcens, oder in seiner herrlichen Villa zu Tibur; hatte sein eigenes kleines Sabinum – kannte beinahe keine andre Plagen, als die er, durch das Unglück Roms erster Lyrischer Dichter zu sein, von den Autoren, vom Publikum und von seiner Celebrität zu leiden hatte; und fand sich doch öfters so davon zusammen gedrückt, daß ihm, bei aller seiner Liebe zu den Musen, in der Ungeduld die Lästerung entfuhr: Der Henker sollte ihn holen, wenn er seine Zeit nicht lieber verschlafen als Verse machen wollte.

Lesen Sie, was dieser liebenswürdige Dichter – der ein eben so feiner Weltmann als ein Mann von Genie und auserlesenen Kenntnissen war – an vielen Stellen seiner Briefe (besonders im neunzehnten an Mäcen, und im zweiten des zweiten Buchs an Julius Florus) von den Ungemächlichkeiten und Drangsalen des poetischen Berufs sagt; und lesen Sie, wenn Sie wollen, auch die Zusätze seines neuesten Kommentators, der seinen Autor (aus dem sehr simpeln Grunde, weil es ihm ungefähr eben so ergangen war) anschaulicher und inniger als manche andre verstanden zu haben scheint. Es ist, weil man doch einmal sein Schicksal erfüllen muß, wenigstens gut wenn man weiß wessen man sich zu versehen, und wie viel oder wenig man auf die Einnahmen, die man für die sichersten hielt, Rechnung zu machen hat.

Unter allen den schönen Lufterscheinungen, die einen jungen Dichtergeist ermuntern und beflügeln, wenn er die lange und mühevolle Laufbahn beginnt, deren Ziel unter tausend mitlaufenden nur so wenige erreichen, ist vielleicht die süßeste, – »der Wahn, daß etwas mehr als Beifall, mehr als das eitle digito monstrari et dicier hic est, daß die Liebe der Nation, für die er arbeitet, der Preis seiner unermüdeten Bestrebungen sein werde.« Schmeicheln Sie sich nicht mit einer so eiteln Hoffnung, mein Freund! Das höchste, worauf Sie zählen können, sind Augenblicke von Gunst, kurze Aufbrausungen, von dem Vergnügen, das Sie uns in diesen Augenblicken gemacht haben, veranlaßt, und wofür man Sie durch die Gefälligkeit, sich von Ihnen vergnügen zu lassen, überflüssig belohnt zu haben glaubt. Von dem Momente an, da wir wahrnehmen oder uns auch nur einbilden daß Sie nach unserm Beifall ringen, betrachten wir Sie mit eben den Augen, womit wir alle andre Prätendenten an Virtuosität in den ergetzenden Künsten ansehen; und Sie stehen (es mag Ihnen nun gefallen oder nicht) mit Taschenspielern, Luftspringern und Histrionen in Einer Linie. Alle Ihre Anstrengungen, einen hohen Grad von Vollkommenheit zu erreichen, sehen wir als Schuldigkeit an; und wehe Ihnen, wenn Sie nicht immer sich selbst übertreffen, oder sich jemals für erlaubt halten auf Ihren Lorbeern einzuschlummern!

Sie werden diesen Gedanken nicht sehr aufmunternd finden. Aber ich habe Ihnen noch nicht das ärgste gesagt. Ihre Lage gegen das Publikum als Dichter ist weit weniger vorteilhaft, als wenn Sie die Ehre hätten ein großer Kadenzenmacher oder der Parisische Grand-Diable zu sein. Zu diesen Künsten hat ungefähr jedermann einen Maßstab, und kann, mehr oder weniger, ziemlich richtig beurteilen, wie viel dazu gehört um diese oder jene Wunderdinge zu leisten. Aber in der Musenkunst ists gerade das Widerspiel. Unter tausend Lesern hat kaum Einer einen deutlichen und bestimmten Begriff von den Schwierigkeiten und von dem Höchsten der Kunst. Die Leser oder Zuhörer fühlen wohl, ob man sie interessiert oder gähnen macht: aber das ist auch alles! Und da ein sehr mittelmäßiges oder höchst nachlässig gearbeitetes Werk so gut als ein Meisterstück etwas interessantes haben kann: so können Sie sich darauf gefaßt machen, daß, so bald Ihr Werk aufgehört hat eine Meß-Neuigkeit zu sein, der erste beste Roman, der etwas Neues ist, und ein wenig Witz, hier oder da eine überraschende Situation, eine rührende Stelle oder ein schlüpfriges Gemälde hat, sich der Aufmerksamkeit der lesenden Welt bemächtigen, und Ihre Arbeit, hätten Ihnen auch alle neun Musen daran geholfen, auf die Seite drängen wird. Hoffen Sie nicht durch irgend eine Anstrengung, irgend eine idealische Vollkommenheit, zu der Sie mit allen Kräften Ihres Geistes empor streben, endlich einmal zu erhalten, was Sie nach Ihren Begriffen von der Kunst, und im lebendigen Bewußtsein dessen was Sie geleistet haben, für bloße Gerechtigkeit ansehen. Sie werden sie nie erhalten; nicht weil man Ihnen Gerechtigkeit versagen will, sondern weil man keinen Begriff von allem dem hat, was man wissen müßte um sie Ihnen widerfahren zu lassen.

Wenn ein poetisches Werk, neben allen andern wesentlichen Eigenschaften eines guten Gedichtes, das ist, was Horaz totum teres atque rotundum nennt; wenn es bei der feinsten Politur die Grazie der höchsten Leichtigkeit hat; wenn die Sprache immer rein, der Ausdruck immer angemessen, der Rhythmus immer Musik ist, der Reim sich immer von selbst, und ohne daß man ihn kommen sah, an seinen Ort gestellt hat; wenn alles wie mit Einem Guß gegossen, oder mit Einem Hauch geblasen da steht, und nirgends einige Spur von Mühe und Arbeit zu sehen ist: so kann man sich sicher darauf verlassen, daß es dem Dichter, wie groß auch sein Talent sein mag, unendliche Mühe gekostet hat. Die Natur der Sache bringt das so mit sich; und, da es vielleicht in keiner Europäischen Sprache schwerer ist schöne Verse zu machen als in der unsrigen, so muß auch der Fleiß und die Anstrengung, um es in einer solchen Sprache zu einigem Grade von Vollendung zu bringen, verhältnismäßig desto größer sein.

Aber bilden Sie sich ja nicht ein, wofern Ihnen jemals ein Werk dieser Art gelingt, daß Ihnen die Leser für das, was Sie mehr geleistet haben als man von Ihnen forderte, den mindesten Dank wissen werden. Man hätte (wie die tägliche Erfahrung lehrt) auch mit wenigerm fürlieb genommen. Ja, was das schlimmste ist, gerade diese Leichtigkeit, diese Glätte und Rundung, die Ihnen so viel gekostet, und die der einzelne und seltne Kenner mit aller gebührenden Kälte anerkennt, wird Ihrem Werke bei dem großen Haufen – Schaden tun. – »Es kostet Ihnen wohl nicht die geringste Mühe solche Verse zu machen?« – wird das Kompliment sein, das Ihnen überall entgegen schallen wird: und da die Menschen gewohnt sind, ein Kunstwerk nach der in die Augen fallenden Schwierigkeit, es hervorzubringen, zu schätzen; so wird auf das Ihrige, gerade um dessentwillen, weswegen Sie sich selbst am meisten Glück wünschten, eine Art von Verachtung fallen. Man wird es vielleicht mit mehr Vergnügen lesen als manche andre Früchte des nämlichen Jahrganges. Aber, weil man glaubt, daß Ihnen nichts leichter sei als solche Dinge zu machen; so werden Sie kaum mit einem fertig sein, da man Ihnen, als ob Sie noch nichts getan hätten, schon wieder ein anderes zumuten wird: und wenn Sie so ungefällig oder träg oder unfruchtbar sind, die Erwartung Ihrer Gönner nicht aufs schleunigste zu erfüllen; so wird bald eine neue Fabrikware, worins irgend etwas zu lachen oder zu weinen gibt, sich der Aufmerksamkeit der müßigen Welt bemächtigen; und das Werk, worin sich Ihre ganze Seele abgedruckt hat, das Werk Ihrer Liebe, Ihrer Nachtwachen, wobei Sie alle Ihre Kräfte aufgeboten, woran Sie alle Ihre Talente, alle Ihre Kenntnis der Geheimnisse der Kunst verschwendet hatten, wird – mit den Erdschwämmen, die in Einer Nacht hervorstechen, vermengt – in einen Winkel geworfen, und in kurzem so rein vergessen werden, als ob es nie gewesen wäre.

Alles dies, mein Freund, ist etwas so natürliches, so alltägliches, ist aus einerlei Ursachen von je her bei allen Nationen (wenigstens in einem gewissen Zeitpunkt) etwas so allgemeines gewesen, daß es lächerlich wäre sich darüber zu beklagen. Aber angenehm ists freilich nicht, von Erfahrungen dieser Art überrascht zu werden; und in den Momenten, worin Ihnen dies begegnen wird, werden Sie mehr als Einmal versucht sein, das Glück eines jeden ehrlichen Böotiers zu beneiden, der, gerade mit so viel Menschenverstand als er ins Haus gebraucht, sein Brot im Schweiße seines Angesichts ißt, und für den Mangel des zweideutigen Vorzugs – daß zehntausend Menschen, die er nie gesehen hat, seinen Namen nennen und sich anmaßen über ihn und seinen Wert oder Unwert abzusprechen – durch den Genuß eines unbekannt aber ruhig den Strom der Zeit hinab gleitenden Lebens reichlich entschädigt wird.


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