Christoph Martin Wieland
Lady Johanna Gray
Christoph Martin Wieland

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Fünfter Aufzug.


Erste Scene.

Lady Suffolk. Sidney.

Lady Suffolk. Welch eine Nacht war das! O theure Sidney!
Du liebst Johannen auch, du warest ihrer Kindheit
Gespielin, auch dein Herz zerfließt in Wehmuth!
Urtheile nun aus dem, was du empfindest,
Vom Leiden einer Mutter! Einst die glücklichste
Von allen, preis' ich die jetzt selig, welche nie
Ihr neugebornes Kind an ihren Busen drückte,
Nie von des Säuglings holden Lippen
Den süßen Mutternamen lallen hörte!
O Sidney! Was für eine Nacht war das!
Wie langsam schlichen, Schreckgespenstern gleich,
Die schwarzen Stunden neben mir vorüber!
Ich mußte sie verlassen. Meine Klagen,
Mein Ungestüm hätt' ihre sanfte Seele
Zu sehr verwundet. Ach! Ich mußte sie
Verlassen – und, o Gott! in welcher Lage!
Nur diese Nacht, nur wenig Stunden trennten
Sie noch vom Tode! Wie zermarterten
Die grausamen Gedanken meine Seele!
Verzweifelnd, trostlos irrt' ich in den Zimmern
Des einsamen Palasts umher, als wie
Von Furien gejagt – Ich klagt', ich schrie,
Ich winselte; dann schwieg ich halb entseelt
Und saß verstummend da und rang die müden Arme,
Und sah gen Himmel auf und konnte nicht mehr weinen.
Bald wälzt' ich mich im Staub und flehte wimmernd
Der Engel Mitleid an; bald fordert' ich
Mit Ungestüm vom Himmel Wunderwerke.
Dann warf ich mich entkräftet von der Wuth
Der Schmerzen auf mein Lager, suchte Ruh'
Und seufzte, daß ich sie nicht finden konnte.
Und da zuletzt der Schlummer sich mitleidig
Auf meine wunden Augenlieder senkte,
So störten Träume, fürchterliche Träume,
Die kurze Ruhe – Doch was quäl' ich dich
Umsonst mit diesen Bildern – sage mir,
O Sidney, sage mir, wie hat Johanna
Die Nacht durchlebt?

Sidney.                               Wie Eine, die den Tod
Für einen Engel hält, der sie ins bessre Leben
Hinüber tragen soll –

Lady Suffolk. Solch eine Größe wirkt in edeln Seelen
Der Christen Glaube! – Wie beschämt sie mich!

Sidney. Zwar blieb ihr zärtlich Herz nicht immer in der gleichen
Erhabnen Fassung; nicht von sanften Klagen
Ihr Mund, Ihr Auge nicht von Thränen leer!
Doch war's nur ihre Mutter, nur ihr Vater,
Nur Guilford, nur ihr Volk, um die sie klagte.
Als sie allein sich in dem Kerker sah,
Den eine dunkle Lampe kaum ein wenig
Erheiterte, da sprach sie ernsthaft lächelnd:
O Sidney! Dieses Zimmer schickt sich besser
Zum Zustand meiner Seele, als die goldnen
Geschmückten Zimmer, die wir jüngst bewohnten.
Willkommen, Kerker! Und ihr, schwere Fesseln,
Willkommen! Euch zu tragen, hat die Unschuld
Sich nie geschämt! – Jetzt sah sie schweigend nieder
Und schien zu staunen. Endlich rief sie aus:
Und bin ich nun allein? – Wo ist mein Vater?
Wo ist mein Guilford? – Ach! Wie hart, wie grausam,
Im Tod uns noch zu trennen! – Doch Geduld!
Bald werden wir uns wieder sehn, um nimmer
Getrennt zu werden! – Da sie dieses sprach,
Fiel eine Thrän' aus ihren aufgehobnen
Stillheitern Augen. Lange schwieg sie drauf,
In himmlische Gedanken, wie es schien,
Vertieft, bis sie mich weinen sah. – Was weinst du,
Geliebte, sprach sie, weine nicht um mich!
Bald werd' ich glücklich seyn! Ihr, die ich hinter mir
Zurück lasse, ihr verdienet mehr
Als ich beweint zu werden! Nur für euch
Seufzt meine Seele! – Welche Prüfungen
Erwarten Euch! Doch seyd getrost! der Himmel
Hat Allmacht, unsrer Schwäche Kraft zu geben.
In solchen Reden, deren süßer Ton
Mein Ohr noch jetzt umsäuselt, schlich
Sich eine Stunde nach der andern weg!
Zuletzt besuchte noch der letzte Schlummer
Den matten Leib. Sie lag und lächelte
Im sanften Schlaf, als schwebten himmlische Gesichte
Um ihren Geist –

Lady Suffolk.             O Sidney! Es ist Balsam
Für mein zerrissnes Herz in deiner rührenden
Erzählung – Mich verlangt, die Heilige zu sehen –
Sie ist es! Ja! Sie ist zu heilig, länger
Die Tochter einer Sterblichen zu seyn!
Schläft sie noch, Sidney?

Sidney.                                     Sehet hier sie selbst!

(Der mittlere Vorhang wird aufgezogen und entdeckt das Gefängniß, worin sich Lady Johanna befindet.)


Zweite Scene.

Lady Johanna. Die Vorigen.

Lady Johanna (welche ihre Mutter noch nicht gewahr wird).
Der Tag bricht an, die Stunde nähert sich!
Zum letztenmal, o Sonne, sieht mein Auge
Dein süßes Licht! Bald wird mein Ohr die Stimme
Der Freundschaft nicht mehr hören, bald mein Mund
Zum letztenmal zu Segnungen sich öffnen! –
Und ist es denn gewiß? und werd' ich heute,
Von diesem Leib' enthüllt, das wahre Leben
Der reinen Geister leben? Bin ich wirklich
Der Seligkeit so nah'? – O meine Feinde,
Ihr liebet mich, da ihr mich hassen wollet!
Ihr wollt mich strafen, und ihr macht mich glücklich!
Ihr brecht den Kerker ab, worin
Mein königlicher Geist vielleicht noch lange
Nach einer angebornen Freiheit
Geschmachtet hätt'! – Empfanget meinen Segen
Für eure Wohlthat!

Lady Suffolk (sich nähernd).   Schönste aller Seelen,
Die je die Sterblichkeit umhüllte,
Wie viel verliert mit dir –

Lady Johanna.                       Was hör' ich? Welche Stimme?
O! Meine Mutter!

Lady Suffolk.             Theuerste Johanna!
O! Glänzte nicht aus deinem Auge schon
Der Engel, der sich bald enthüllen soll, hervor,
Wie könnt' ich diesen Augenblick ertragen!

Lady Johanna. Vortrefflichste der Mütter, möchtest du
In meine Seele blicken können!
Der Tod hat keine Bitterkeit für mich,
Als diese, daß er mich aus deinen Armen reißet.

Lady Suffolk. Warum will mir Maria nicht erlauben,
Mit dir zu sterben? Ach! was zwingt man mich,
Dieß ohne dich verhaßte Licht noch länger
Zu sehn? – Beweine mich, Johanna, wein'
Um deine Mutter, die ihr zürnend Schicksal
Dich überleben heißt. Was ist für mich das Leben?
Was soll mein Auge sehn? Was soll ich hören?
Du warst das Liebste, was mein Auge sah;
Das Süßeste, was je mein Ohr entzückte,
War deine Stimme. Jeder neue Anblick
Der blühenden Entfaltung deiner Jugend
Gab mir die Freuden meiner Jugend wieder!
Ach! Wenn das Grab dich deckt, dann schmachtet nur
Die Hälfte noch von mir. Mit dir stirbt mein Vergnügen,
Mein Stolz, mein Ruhm! Was bleibt mir übrig,
Als jeden Abend, jeden dunkeln Morgen
Dein Grab mit meinen Thränen zu begießen!
Und wenn mein Arm den kalten Grund umfasset,
Wo deine Asche ruht –

Lady Johanna.                   O theure Mutter!
Erweiche nicht mein zärtlich Herz zu sehr!
Erinnre mich an nichts, was meine Lust
Zum Sterben hemmen könnt'! – Ich bin dem Tode
Geheiligt. – Zwinge nicht in dieser Feierstunde
Noch einen Seufzer, der mein Herz entweihte,
Aus meiner Brust! –

Sidney.                           O Himmel! – theurste Lady!
Dein Guilford kommt!


Dritte Scene.

Die Vorigen. Lord Guilford.

Lady Johanna.                     Ist's möglich? Bin ich noch
So glücklich, eh' ich sterbe, dich zu sehen!
Mein Guilford! welch ein Trost für mich,
In deinen Mienen diese stille Größe
Und Seelenruh zu sehn?

Lord Guilford.                       Wen würde nicht dein Beispiel,
Du Göttliche, dir nachzueifern reizen?
Du, Freundin! lehrtest mich, im Frühling meines Lebens
Dem Tode kühn ins Angesicht zu schauen!
Du wecktest meine Seele zum Gefühl
Der Würde, die ihr Ursprung und ihr Ziel
Ihr geben soll! – Ich seh vor meinen Augen
Die schönsten Hoffnungen wie Wolkenbilder schwinden!
Du lehrest mich, sie mit Geduld verschwinden
Zu sehn! – Ich hofft' in deinem Arm zu leben.
Jetzt scheint mir's Seligkeit, mit dir zu sterben!

Lady Johanna. Das, was wir hier in dieser Schattenwelt
Das Leben nennen, ist kein wahres Leben!
Sprich, dünkt dir nicht die ganze wundervolle
Geschichte dieser Tag' ein Traum? – Wir träumten
Von Glück, von Macht, von königlichen Scenen,
Von Welten, die zu unsern Füßen rollten,
Von Götterfreuden – und als wir erwachten,
Schloß uns ein Kerker ein! Auch das ist Traum!
Ein düstrer Traum, der einem heitern folget!
Bald werden wir erwachen! und – o Guilford!
Zu welchem Glück! – O, könnt' ich dir beschreiben,
Was schon davon mein ahnend Herz empfindet!

Lord Guilford. Du bist schon reif zum Himmel! schon zu heilig
Für diese Welt! Nur Engel sind zum Umgang
Mit dir geschickt! – Ach! warum kann ich nicht
Mit gleichem Flug mich neben dir erheben?
Mich zeucht die irdische Natur
Noch allzumächtig nieder! – Ach Johanna!
Wenn nur die Grausamkeit des alten Bischofs
Mich zu der Marter nicht verdammt, dich sterben
Zu sehn – o schrecklich, schrecklicher Gedanke!
Wenn ich ihn denke, bebt mein ganzes Wesen!
Mein Blut erstarrt in jeder kalten Ader,
Die Erde schwanket unter mir, der Himmel
Dräut über mir zu fallen –

Lady Johanna.                         Schrecket dich
Die Art des Todes? Wär' ich minder todt,
Wenn eine Krankheit mich nach langer Marter
Entseelen würd'? O Guilford! dieser Tod,
Der uns bevorsteht, kann die Unschuld nicht entehren.
Dieß selige Bewußtseyn macht die Ketten
An meiner Hand so leicht, als wären sie von Rosen.
Kränkt dich's, daß dieser Leib verwesen soll?
Er wird verklärt, unsterblich auferstehn!
Wir schlummern kurze Zeit und werden bald
Zu himmlischen Umarmungen erwachen!


Vierte Scene.

Die Vorigen. Ein Officier.

Der Officier (zu Guilford).
Verzeihet, Mylord! – Ach! mein Mund vermag
Nicht auszusprechen, was ich sagen soll!

Lord Guilford. Nun bin ich glücklich! Himmel, habe Dank!
Der Tod ruft mich zuerst!

Lady Suffolk. O Sidney, führe mich von dieser Scene!
Ich bin zu schwach, sie auszuhalten –

Lady Johanna. Nur noch das letzte Lebewohl, nur noch
Den letzten Dank, mit diesem Kuß der Liebe!

Lord Guilford. Nur noch von diesen mütterlichen Lippen
Den letzten Segen, zärtlichste der Mütter!

Lady Suffolk. Der Himmel thut schon über euch sich auf!
O, segnet mich! – mich, die ihr hier im Elend
Zurücke laßt. – O meine – meine Tochter –
Und du mein Sohn! laßt eure letzten Seufzer
Für mich zum Himmel flehn! –         (Sie geht ab.)

Lord Guilford.                               Nun bin ich glücklich!
Ich eile vor dir her! Umarme mich, Geliebte!
Aus diesen Armen schwingt sich nun mein Geist
Den Seraphinen zu, die, im Triumphe
Dich einzuholen, aus des Himmels Pforten
Zu Myriaden strömen und, mit Thränen
Der himmlischen Entzückung, deinen Tod
Betrachten werden! – Dort, in ihren Armen
Erwart' ich dich! – Du weinst! du Göttliche! –
Bald bin ich's werth, mit solcher Zärtlichkeit
Von dir geliebt zu seyn!

Lady Johanna.                     Die Thränen, die ich weine,
Sind lauter Wonne! – Nur noch Augenblicke.
So folg' ich dir!

(Guilford geht mit dem Officier ab.)


Fünfte Scene.

Lady Johanna allein.

                          O Glaube der Unsterblichkeit,
Was wär' ich ohne dich! In welchem Abgrund
Von Jammer würde sich die hoffnungslose Seele
Verzweifelnd wälzen – trennte das Verhängniß
Die Liebenden auf ewig, würd' ich dich,
Mein Guilford, niemals, niemals wieder finden!
– Tod! dann wärest du das schrecklichste
Von allen Uebeln! Aber, nein! die Seele
Lebt unvergänglich! Das Verhängniß trennt
Die Frommen nicht auf ewig! – Ja, Geliebter,
Wir finden uns in einem Leben wieder,
Wo keine Noth uns mehr erreichen kann!
Wo uns der Ueberschwang der grenzenlosen Wonne
Das Herz in Dank und Freudenthränen schmelzt.
Auf! triumphire, meine Seele! – Schau!
Der Himmel thut sich auf! – O welch ein Licht! –
Welch liebliches, entzückendes Gewimmel
Von sel'gen Geistern! – Welche Harmonie
Entzückt mein Ohr! – Wo bin ich? – Schon
Vom Leib' entkleidet? Schon –
Was für ein Augenblick war das! – Ich sah
Und hörte schon, was in der Menschen Sprache
Unnennbar ist! –


Sechste Scene.

Sidney. Lady Johanna.

Sidney.                       O theuerste Prinzessin!
Es ist vorbei! Ich sah ihn – sterben.
So stirbt ein Held! Wie war er deiner würdig!
Wir Alle, die ihn sterben sahn, wir standen,
Von Wehmuth und Erstaunen an den Boden
Geheftet, starr, leblosen Bildern gleich!
Jetzt bringen sie den Leichnam des Erwürgten
Hieher! Die grausame Maria will
Durch seinen Anblick noch dein Marterthum vollenden!

Lady Johanna. Sie irret sich! Dieß ist die letzte Wohlthat,
Die meine Feinde mir erweisen können.
                                            Und ist denn dieses
Mein Guilford? Nein! betrognes Aug'! Es ist
Die Hülse nur des tugendhaften Geistes,
Den jetzt der Himmel hat! – Sie wird einst auferstehen!
Ja, diese Augen werden einst verklärt
Mir wieder lächeln! Himmlische Begeistrung
Wird diesen blassen starren Mund eröffnen!
O, nimm noch diesen letzten heil'gen Kuß
Der frommen Liebe! – Wie? Hat selbst der Tod
Nicht Macht, sein edles Antlitz zu entstellen?
Nicht Macht, dieß holde Lächeln auszulöschen,
Das noch die Seel' auf seinem Mund zurückließ?
Vergib, o sel'ger Geist, vergib der Thräne,
Die noch auf diese kalten Wangen sinkt,
Dem letzten Zoll der unvollkommnen Liebe! –
Nun ist mein Lauf vollbracht! Das Maß der Leiden
Ist voll! Ich kann nichts mehr verlieren! –
Was hör' ich? – Ja! die Geister meiner theuren
Verstorbnen rufen mir! Mein Edward
Ruft seiner Schwester, Guilford seiner Gattin!
Ich folg', ich folge! Komm, willkommner Tod!
O! komm und gib mich ihren Armen wieder!

 


 


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