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Es war einmal zu Samarkand 
        Ein junger Schneider, Hann genannt: 
        Der hatt' ein feines junges Weib 
        Sich zugelegt für seinen Leib; 
        Die liebt' er wie sein Augenpaar; 
        Denkt, weil sie schwarz von Augen war 
        Und schlanker als ein Lilienstängel 
        Und hatte langes seidnes Haar 
        Und glatte rosenrothe Wängel 
        Und überdieß kaum zwanzig Jahr, 
        Sein Weibchen sey ein ganzer Engel.
        »Das ist nun – was man heißen kann 
          Gedacht – als wie ein junger Schneider,« 
          Ruft mancher hier; denkt nicht daran, 
          Daß es Minuten gibt, wo, leider! 
          Ein Salomon mit aller seiner List 
          Nicht weiser als ein junger Schneider ist. 
In einem solchen Augenblicke 
          Spricht Hann zu seinem Schatz: Du trautes liebes Weib! 
          Was würd' aus mir, wenn ich erleben müßte, 
          Daß dieser schöne warme Leib, 
          Von Todesfrost in eine Büste  
          Verwandelt, kalt und athemlos 
          In meinen Armen läg'! O, beim Gedanken bloß 
          Rinnt mir's wie Eis durch Adern und Gebeine! 
          Das schwör' ich dir – erleb' ich armer Mann 
          Den Jammer einst – auf deinem Grabessteine 
          Lieg' ich neun Tage lang und weine 
          Und weine – bis ich nicht mehr kann! 
»Und ich, mein trauter, süßer Mann, 
          Versetzt das junge Weib, sollt' ich das Unglück haben 
          Und dich verlieren, bester Hann, 
          Lebendig ließ' ich mich mit meinem Hann begraben!« 
Das ist ein Weib! – denkt Hann entzückt, 
          Indem er an sein Herz sie drückt: 
          Zu zweifeln fällt ihm gar nicht ein; 
          Sie sagt's ja – also muß es seyn! 
Seitdem sich beide so verglichen, 
          War ungefähr ein Jahr verstrichen. 
          Und eines Abends, wie sie so 
          Allein bei ihrem Pilau saßen 
          Und, auf die Nacht zum voraus froh, 
          Des Lebens Sorgen ganz vergaßen, 
          Geschah's, daß Gulpenheh, die schöne Schneiderin, 
          Indem sie in verliebtem Sinn 
          Mehr nach dem Mann' als in die Schüssel guckte, 
          Ein kleines Bein hinunter schluckte. 
Groß war die Noth! – Der arme Hann 
          Springt ängstlich zu, thut, was er kann, 
          Klopft mit der Faust ihr auf den Rücken,  
          Versucht's heraus zu ziehn, 
          Versucht's hinab zu drücken; 
          Umsonst ist alles sein Bemühn! 
          Das schöne Weibchen muß ersticken. 
Verzweifeln will der arme Mann; 
          Allein, da ist kein Rath noch Mittel. 
          Schon liegt sie da im Sterbekittel, 
          Zwar etwas blau, doch noch so schön; 
          Er hält's nicht aus, sie anzusehn! 
Frau Gulpenheh ruht nun in kühler Erde, 
          Und Hann mit wüthender Geberde 
          Wälzt sich auf ihrem Grab', und ächzt so laut und bang, 
          Daß man auf tausend Schritt' ihn hörte; 
          Entschlossen festiglich, neun ganzer Tage lang 
          (Nach seinem Schwur') auf ihrem Grab zu weilen. 
Und es begab sich, daß Aissa, der Prophet, 
          Vorüber ging; und wie das laute Heulen 
          Vom Grabe her ihn störet im Gebet, 
          Tritt er hinzu und fragt den Mann, der auf dem Grabe 
          Sich wälzt und heult, was Leides ihm geschah? 
Der Schneider spricht: Ach Herr! in diesem Grabe da, 
          Da liegt ein Schatz, den ich verloren habe; 
          Das beste Weib! ein Weib, das mich so sehr geliebt! 
          Ein Weib – ach! Herr, ein Weib, wie's nun kein andres gibt! 
          Und heute hab' ich sie begraben! 
Spricht der Prophet zu ihm: Nun, weil so bang dir ist 
          Nach deinem Weib', Hann – so habe, 
          Was du zu haben würdig bist!  
          Und wie er's sprach, schlug er mit seinem Stabe 
          Aufs Grab, und, siehe da! es öffnet seinen Schlund, 
          Und Gulpenheh, frisch und gesund, 
          Steigt aus dem Grab' und wirft sich mit Entzücken 
          Dem Männchen an die Brust. Das war ein Wiedersehn! 
          Ein Freudenrausch! ein Herzen und ein Drücken! 
          Ihr dächtet, hättet ihr's gesehn, 
          Sie würden beide sich mit Küssen gar ersticken. 
          Und danken will nun auch das liebestrunkne Paar 
          Dem Wundermann, durch den ihm solches Heil geschehen; 
          Allein der ward nicht mehr gesehen. 
Nun erst wird Hann gewahr, 
          Daß Gulpenheh, in ziemlich lüftigs Leinen 
          Kaum übers Knie gehüllt, nicht so gekleidet war, 
          Um in der Stadt (wiewohl's schon dunkelt) zu erscheinen. 
          »Licht meiner Augen, spricht der gute Mann zu ihr, 
          Verbirg dich hinter diesen Steinen, 
          Indessen ich nach Hause lauf' und dir 
          Die Kleider hole. – Der Mond beginnt zu scheinen – 
          Sey ohne Furcht! ich bin gleich wieder hier.« 
Dem Winde gleich lief Hann davon. 
          Indem so kam des Sultans Sohn 
          Von ungefähr des Wegs gezogen, 
          Und vieler Fackeln greller Schein 
          Glänzt vor ihm in die Nacht hinein. 
          Und bei der Fackeln Schein gewahren 
          Die Diener eine Frau mit los gebundnen Haaren, 
          Halb nackend – die, um nicht gesehen zu seyn,  
          Sich schüchtern hinter dem Gemäuer 
          Verbirgt und das Gesträuch, so gut sie kann, zum Schleier 
          Von derben Nuditäten macht, 
          Die durch das Dunkelhell der Fackeln und der Nacht 
          Noch zehnmal nackender und zehnmal weißer scheinen, 
          Als wie sie sind. 
                                    Der Königssohn macht Halt 
          Und nähert sich allein der reizenden Gestalt, 
          Die, um zum wenigsten den Busen zu verzäunen, 
          Genöthigt ist den Alabasterglanz 
          Von zwei untadeligen Beinen 
          Der Lüsternheit der Männeraugen ganz, 
          Wiewohl erröthend, Preis zu geben. 
Der Königssohn, anstatt die Hand vors Aug zu heben, 
          Verschlingt das schöne Weib mit seinen Blicken schier. 
          Wie? spricht er, wie? so viele Schönheit hier, 
          Zu solcher Zeit, in solchem Stand' und Orte? 
          »Mein Herr, versetzt die Schneiderin, 
          Das Negligé, worin ich bin, 
          Gestattet nicht so viele Worte.« 
Der Prinz erkennt die Billigkeit 
          Der Weigerung in einer solchen Lage 
          Und reicht ihr stracks sein eignes Ueberkleid! 
          Und – »Schöne Frau, nur eine Frage! 
          Bist du vermählt? – Denn, falls du ledig bist, 
          So komm' und geh wie eine Morgensonne 
          In meinem Harem auf! Mach' eines Prinzen Wonne, 
          Der ohne dich nicht mehr zu leben fähig ist.«  
Die schöne Gulpenheh darf nur eines Blickes, 
          Den Umfang und Gehalt des angebotnen Glückes, 
          Und wie es sich zur Schneiderei 
          Des armen Hann verhält, zu sehen und zu messen: 
          Und, ach! mit diesem Blick' ist Hann und Lieb' und Treu' 
          Und Schwur und Grab und Alles rein vergessen! 
          Herr, spricht sie, ich bin frei, und thut, wie Ihr gesagt, 
          Mit Eurer dienstergebnen Magd! 
          Sie ist bereit, für Euch allein zu leben. 
          Top! ruft der Königssohn, läßt ihr ein Handpferd geben, 
          Und fröhlich zieht bei Fackelschein 
          Die schöne Gulpenheh in seinen Harem ein. 
Kaum ist sie fort, so kommt, in vollen Freuden, 
          Mein Hann, bringt Alles mit, was seine Frau zu kleiden 
          Vonnöthen war – und keine Frau ist da! 
          Er sucht, er ruft, er will von Sinnen kommen. 
          Ein Räuber hat sie weggenommen, 
          Denkt er und trifft so ziemlich nah; 
          Doch, daß sie selbst darein gewilligt hätte, 
          Der Argwohn kam in seine Seele nicht. 
          »O, warum führt' ich sie nicht lieber von der Stätte, 
          So nackt sie war! O weh mir armen Wicht'! 
          In welchem Jammer wird sie schweben, 
          Das treue Weib! der ohne mich zu leben 
          So schrecklich war, daß sie lebendig sich 
          Mit mir begraben lassen wollte! 
          Dich, Phönix aller Weiber, sollte 
          Ein fremder Arm umfahn? – O, sicherlich,  
          In diesem Augenblick zerfleischt sie ihre Wangen, 
          Zerrauft ihr schönes seidnes Haar, 
          Was sag' ich? ist der Schmach wohl gar 
          Durch einen Dolch in ihre Brust entgangen!« 
Betrogner Hann! dein trautes Weibchen war 
          Nichts weniger als in Gefahr, 
          Sich selbst so grausam mitzuspielen: 
          Die lag gar angenehm und warm 
          Dem schönen Königssohn' im Arm', 
          Und dachte, ganz von neuen Lustgefühlen 
          Betrunken, wahrlich nicht an dich und deinen Harm. 
Hann sucht zu Samarkand indessen 
          Und rings umher, mit Angst und Müh', 
          Und mit Gefahr, oft ohne Essen 
          Zu Bett zu gehen, sein Liebchen spät und früh'; 
          Hofft immer noch, Aissa werde sie 
          Zurück zu ihm zu bringen nicht vergessen. 
          Zuletzt erkundigt er von einem, der dabei 
          Gewesen war, wie Alles sich begeben, 
          Und daß sein trautes Weib, mit wenig Widerstreben, 
          Dem Sohn des Sultans sich ergeben 
          Und seines Harems Krone sey. 
Hann, immer noch von ihrer Treu' 
          Im Herzen überzeugt, läuft brennend, wie ein echter Enthusiast, 
          In einem Sprung bis zum Palast, 
          Drückt keuchend durch Trabanten, Wächter 
          Und Knaben sich hindurch, fragt ängstlich Jedermann  
          Nach seinem Weibe wie nach seinem Leben, 
          Sprengt endlich selbst den Prinzen an 
          Und fleht, das treue Weib ihm doch zurück zu geben. 
Der Prinz, ein guter Herr, – vielleicht auch wohl bereits 
          Der schönen Gulpenheh (nachdem von ihrem Reiz 
          Genuß und Zeit die Blüthe abgestreift) 
          Ein wenig satt – sobald er nur begreift, 
          Was ihm der Schneider will, erzählt ihm die Geschichte 
          Mit mildem Ton' und gnädigem Gesichte. 
Sie war vielleicht vor Angst nicht recht bei sich 
          Und hat im Schrecken Euch für ihren Hann genommen, 
          Erwiedert Hann: genug, man laß sie kommen! 
          Sie ist mein Weib! Sie wird – o, sicherlich! 
          Ihr werdet's sehn! mit brünstigem Vergnügen, 
          Sobald sie mich erblickt, mir in die Arme fliegen. 
Gut, spricht der Prinz, ihr sollt einander sehn, 
          Und ich will nur von ferne stehn. 
Die Dame kommt. Der gute Schneider, 
          Geblendet durch die Pracht der goldgestickten Kleider 
          Und den Juwelenglanz, erkennt sein Weibchen kaum, 
          Und Alles scheint dem armen Mann' ein Traum. 
          Doch Gulpenheh beim ersten Blick' 
          Erkennt ihn nur zu wohl, fährt einen Schritt zurück, 
          Wird wechselnd blaß und feuerroth; 
          Allein der Witz, den sie als Weib zum Los bekommen, 
          Verläßt sie nicht in dieser Noth. 
          Der Prinz, sobald er wahrgenommen,  
          Daß sie erblaßt, rückt schnell heran 
          Und fragt sie: Kennest du den Mann? 
Ja wohl (versetzt die zärtlichste der Weiber) 
          Erkenn' ich ihn! Es ist derselbe Räuber, 
          Der, als ich ungefähr im Fußweg' auf ihn stieß, 
          Mit Fäusten, die ich lange noch empfunden, 
          Mich nach den Gräbern schleppt' und nackend stehen ließ, 
          Als Eure Hoheit mich gefunden. 
Der arme Hann, wie er sein trautes Weib 
          So reden hört, wird kalt am ganzen Leib; 
          Sein Blick erstarrt, die Kniee schwanken, 
          Die Haare richten sich auf seinem Kopf' empor, 
          Der offne Mund verstummt, ihm schwinden die Gedanken. 
Der ganze Hof, in einem Chor', 
          Erkennt die offenbaren Zeugen 
          Der überwiesnen Schuld in seinem Blick' und Schweigen. 
          Man führ' ihn stracks zum Kadi, spricht 
          Der Königssohn. Hann wird gebunden 
          Und abgeführt. Der Richter hält Gericht: 
          Die schöne Dame zeugt; Hann widerspricht ihr nicht; 
          Was soll das Leben ihm? Kurz, schuldig wird erfunden 
          Der arme Mann und, wie es sich gebührt, 
          Gleich vom Gerichshof weg zum Galgen hingeführt. 
Was schützte nun des Armen Hals und Ehre, 
          Der zitternd an der Leiter steht, 
          Wenn nicht – Aissa, der Prophet, 
          Zu gutem Glück vorbei gegangen wäre? 
          Wie eines Engels Glanz ist seine Gegenwart.  
          Der Mann ist ohne Schuld, ruft er, an dessen Leben 
          Man sich vergreifen will, deß kann ich Zeugniß geben! 
          Die Asa's halten ein, und alles Volk erstarrt, 
          Wie es dieß Wort aus einem Munde höret, 
          In welchem nie Betrug erfunden ward; 
          Und alles Volk mit Hann und dem Propheten kehret 
          Zurück nach dem Palast. Das goldne Thor 
          Eröffnet sich; der Sultan tritt hervor, 
          Sein Sohn mit ihm. Aissa, hoch geehret 
          Bei Hof und in der Stadt, spricht mit Prophetenmacht; 
          Herbei wird Gulpenheh gebracht; 
          Um sie und den Propheten schließen 
          Die andern einen Kreis. Von ihrer Schuld gedrückt 
          Hebt sie die Augen auf, erblickt 
          Den Wundermann und sinkt entseelt zu seinen Füßen. 
Hann wird mit Gold und Ehren überhäuft, 
          Frau Gulpenheh ins Grab zurück geschleift; 
          Dort mag sie bis zum jüngsten Tage rasten! 
          Ihr lieber Mann fühlt keinen Drang 
          Im Herzen mehr, nur neun Secunden lang 
          Auf ihrer Gruft zu weinen und zu fasten.  |