Christoph Martin Wieland
Ueber die vorgebliche Abnahme des menschlichen Geschlechts
Christoph Martin Wieland

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5.

Wir sind also, leider! nicht mehr, was unsere Vorväter waren. Fuimus Troes! Wir gewinnen im Kleinen und verlieren im Großen. Unsere Abnahme, unser Verfall ist schon seit Jahrhunderten die allgemeine Klage. Alles dieß ist ausgemacht. Aber liegt die Ursache davon in der Natur selbst, die, wie Lucrez meint, als eine durch viele Geburten geschwächte Mutter nicht mehr Kräfte genug hat, so große Körper und gewaltige Thiere hervorzubringen, wie vormals? Oder liegt sie in äußern Ursachen und ist eine nothwendige Folge des ewigen Wechsels der menschlichen Dinge? – Erstreckt sie sich auf die Menschheit überhaupt, oder trifft sie nur besondere Völker und Zeiten? Gibt es irgend einen Punkt, wo sie still steht? einen Kreislauf, der uns wieder dahin zurück bringt, wo wir schon gewesen sind? Oder hat diese fatale Abnahme keine Grenzen? Haben wir von Adam und Even an abgenommen und werden so lange, von Generation zu Generation, immer kleiner, schwächer und verkrüppelter werden, bis endlich (wie es einst der Nymphe Ekcho und dem Zauberer Merlin erging) nichts als eine blose Stimme und zuletzt (wenn auch diese ausgetönt haben wird) gar nichts mehr von uns übrig ist?

334 Eine kurze Fortsetzung meiner bisherigen Betrachtungen wird uns eine, wie mir's scheint, sehr natürliche Auflösung dieser Fragen an die Hand geben.



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