Johann Karl Wezel
Satirische Erzählungen
Johann Karl Wezel

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Das hastige Verfahren des Grafen von Longueville schien seiner Gemahlin auf einmal alle ihre guten Eigenschaften genommen zu haben; sowenig sie ihn bisher geliebt hatte, so war doch ihr Mißvergnügen beständig in einen bald dünnern, bald stärkern Schleier von Politesse und Anständigkeit gehüllt, und selbst ihre Widersetzlichkeit bei etlichen Gelegenheiten hatte sozusagen noch den guten Ton der Widersetzlichkeit, war mit einer gewissen Schonung verbunden; doch itzt! – itzt warf ihr Unwille und die Anstiftung ihres Liebhabers auch die leichteste Bedeckung ab; sie mißhandelten beide den kranken Mann auf die unbarmherzigste Weise. Sie hielten sich fast immer in der Stube auf, wo er lag, weil er in seinen Paroxysmen oft nach seiner Gemahlin und ihrer Wartung verlangte, doch wurde ihm nicht gewillfahrt, damit man seine Schmerzen linderte, sondern damit man sie angreifender und nagender machte. Die beiden Liebenden saßen auf dem Kanapee seinem Bette gegenüber, schäkerten, lachten, liebkosten sich – bloß um ihn zu ärgern –, spotteten über ihn, wenn er etwas dawider sagte, ahmten seine Seufzer komisch nach, verdrehten seine Klagen über Schmerz und gaben ihnen einen lächerlichen Zusatz; wenn er Wasser foderte, reichte man ihm scharfen Essig und lachte, wenn er in der Hastigkeit einen großen Teil davon verschluckte und dann das Gesicht in bittre Mienen verzerrte, wenn ihn die herbe Empfindung den Betrug lehrte. – »Aber warum quälen Sie mich so, Madam?« sprach er mit ärgerlicher, halb erschöpfter Stimme. »Warum tun Sie Dinge vor meinen Augen, die einer rechtschaffnen Ehefrau im mindsten nicht anstehn?« –

»Damit Sie nicht gelogen haben, mein Herr, als Sie mich eine untreue Ehefrau nannten.« –

»O der empfindlichen Reden! So quälen Sie mich doch, wenn ich wieder gesund bin –«

»Dieser Zeitpunkt möchte vielleicht nie kommen«, fiel ihm der Graf Z. mit ausbrechendem Lachen ins Wort. »Man muß die Gelegenheit nützen.« –

»O Gott! Ich werde sterben und –«

»Sterben Sie, sterben Sie!« rief der Graf hastig; »nur bitte ich, das im stillen zu tun.« –

»Soll ich in meinem eignen Hause nicht einmal klagen dürfen?« –

»Tun Sie das! Nur nicht, wenn wir sprechen.« –

»Himmel! ich zerspringe! – Ungeheuer, daß dich die Erde verschlinge!« –

»So schnell geht das nicht zu. Sehn Sie? Ihre Befehle gelten gar nichts mehr. Nun ist es wohl aus mit Ihnen, glückliche Reise!« –

Der Kranke schäumte, geriet in Raserei, sprach von würgen, ermorden, Gift, Dolch und Pistolen. Der Graf foderte ihn höhnend auf, Wort zu halten, und stellte sich in Bereitschaft, mit ihm zu fechten; dem Kranken gab Wut und Raserei Kräfte, er sprang bei dieser Höhnerei auf und faßte den Spötter so rasch bei der Kehle, daß er ihn gewiß erwürgt hätte, wenn man auf das Geschrei der Gräfin nicht zu Hülfe gekommen wäre. Seit dieser gefährlichen Szene wagten sie sich wenig wieder in das Zimmer des Kranken und ersparten ihm durch ihre Abwesenheit einen Schmerz, der alle Empfindungen der Krankheit weit überwog. Dafür schmiedete der Graf indessen den völligen Entwurf, wie er nach dem Tode des Grafen von Longueville mit seinem Vermögen verfahren wollte, und paßte Einnahme und Ausgabe schon so genau zusammen, als wenn er der wirkliche Besitzer davon wäre; denn den Tod des Grafen setzte er als eine ausgemachte Wahrheit voraus, und als nicht weniger ausgemacht sah er es an, daß seine hinterlaßne Witwe ihn heiraten würde, und nach diesen Voraussetzungen war es gar nichts Ungereimtes, daß er schon Einrichtungen mit seinem künftigen Vermögen machte. Allein der Erfolg widersprach seinen Voraussetzungen, und so stürzten seine ganzen schönen Entwürfe in nichts zusammen. Der Graf von Longueville wurde wieder gesund und der Graf Z. unsichtbar.

Eine wunderbare Revolution, die alle Leute überaus befremdete, welche nicht wußten, daß der Graf Z. aus zu großem Vertrauen auf die Zuverlässigkeit seiner Voraussetzungen sich schon als wirklichen Besitzer von dem Vermögen des sterben sollenden Kranken betragen, seine eignen Schulden davon bezahlt, seine Garderobe erweitert und verschiedene andre große Ausgaben gemacht hatte, die aller Wahrscheinlichkeit nach der wieder aufgelebte Eigentümer nicht für gültig erklären wollte. Er hielt es also für das sicherste, mit seinen Effekten zu entfliehen, bis die Gräfin und die Umstände seine Rückkunft wieder bewerkstelligen würden.

Man könnte vermuten, daß der Graf nach seiner Genesung sich für die Kränkungen rächen würde, die er hatte erdulden müssen; allein er tat es nicht, sondern war zufrieden, daß sich der Friedensstörer seines Hauses entfernt hatte, und hoffte nunmehr, seine Gemahlin wiederzugewinnen, wozu er auch Versuche machte. Die Arbeit war schwer, doch machte er durch seine wiederholten Bitten und rührenden Vorstellungen einen so tiefen Eindruck auf ihr Gemüt, der desto freier auch in ihren einsamen Stunden fortwirken konnte, weil ihn der Graf Z. durch keinen entgegengesetzten verdrängte. Ihre große Empfindlichkeit und die Gewohnheit, jederzeit dem gegenwärtigen Zuge zu folgen und sich von der Überredung gleichsam herumtreiben zu lassen, begünstigten die Mühe ihres Gemahls so sehr, daß sie sich ergab und ihm versprach, mit ihm auf seine neugekauften Güter zu ziehen und dort die erlangte Ehre mit ihm zu genießen; sie bezeugte sogar über die geschehenen Beleidigungen Reue, entschuldigte sich mit ihrer Schwäche, die der Graf Z. zu mißbrauchen gewußt hätte, und versicherte, daß sie ihn itzt verabscheue. – Das war viel! Und doch war es ihre wirkliche Empfindung, weil sie die Flucht des Grafen als die Flucht eines Räubers betrachtete, nachdem sie überzeugt worden war, daß er außer einigen wichtigen Verschwendungen auch eine beträchtliche Summe bares Geld entwendet hatte; er hätte jedes größre Verbrechen begehn können, und er würde sie weniger aufgebracht haben, doch dieser Streich war niederträchtig, und Niederträchtigkeit und ihre Seele stunden in natürlicher Antipathie – wenn ihre Empfindung nicht durch fremde Überredungen verdunkelt wurde. Doch bewegte sie ihren Gemahl, keinen gerichtlichen Regreß an den Grafen zu nehmen, sondern ihn seiner Schande zu überlassen, welches er heilig versprach.

Der Graf von Longueville war nunmehr das glücklichste Geschöpf unter der Sonne; die erquickendste Aussicht auf Ehre und Würde, auf eine ruhige und zufriedne Ehe – ein Glück, das ihm wegen seiner langen Unterbrechung doppelt süß schmecken mußte! –, seine Gemahlin wieder zurückgebracht, sein Feind und Friedensstörer verbannt, der Nebenbuhler vertrieben – was konnte er mehr brauchen, um in unaufhörlicher Heiterkeit und Zufriedenheit so vielen Vorteilen entgegenzugehn? – Auch war er itzt ganz neugeschaffen, liebreich, gefällig und an Dienstgeflissenheiten, an Achtsamkeiten gegen seine Gemahlin und an kleinen Erfindungen, sie zu belustigen, unerschöpflich; sie erstaunte über die Veränderung und schien von nun an nie wieder aufhören zu wollen, seine Gemahlin zu sein.

Er reiste auf seine neuen Güter und beging einen Fehler – einen unverzeihlichen Fehler! – Er reiste allein. Freilich war es übertriebne Liebe, alles auf seinen Gütern erst so einrichten zu wollen, daß zu dem Empfange seiner Gemahlin nichts fehle und der erste Anblick sie sogleich für den Aufenthalt einnehme. Der Fehler war unverzeihlich, weil er seinem Nebenbuhler volle Muße verschaffte, das ganze mühsam aufgeführte Gebäude wieder einzureißen und die Schwäche der Gräfin so zu seinem Vorteil anzuwenden, daß sie ihren Gemahl ebensosehr haßte, als er vor seiner Abreise von ihr geliebt zu werden glaubte. Welche Kunst gehörte dazu, den widrigen Eindruck, den seine Flucht auf sie gemacht hatte, erst auszulöschen und einen neuen an seine Stelle zu setzen, der kräftig genug war, alle diejenigen zu verdrängen, die ihr Gemahl in ihr zurückgelassen hatte! – So schwer es war, so brachte er es doch zustande. Kaum war ihr Gemahl fort, als sich der Graf Z. bei ihr einfand. Lange bestürmte er ihre Eigenliebe durch eine Hingeworfenheit, die ihm nur möglich war, dadurch, daß er die ganze Last ihrer Vorwürfe auf sich nahm, denn wußte er ihr Mitleid durch die rührende Vorstellung seiner unglücklichen Situation so für sich in Bewegung zu setzen, daß von Verzeihung nur noch ein Schritt zur Liebe war. – »Madam«, sprach er eines Tages, als sie ihn etwas mit harten Vorwürfen überhäufte – »Madam, hier an diesem Orte habe ich Ihnen die feierliche Zusage getan, Ihr Verfechter wider alle Ungerechtigkeiten Ihres Mannes zu sein. Ich wurde es, und zu meinem Schaden. Um Ihrentwillen wäre ich alles geworden – ein Bösewicht und ein Verbrecher. Bedenken Sie! Wohin würde es mit Ihnen gekommen sein, wenn ich Sie den Mißhandlungen Ihres Barbaren nach seiner Rückkunft von G. überlassen hätte, als er Sie wie die niedrigste Dirne von sich stieß, als er Sie eine Ehebrecherin nannte, als er Ihnen mit der äußersten Niederträchtigkeit das elende Glück vorwarf, Sie zur Frau eines Mannes gemacht zu haben, der sich durch etliche Tonnen Goldes berechtigt glaubt, eine Gemahlin zu quälen, die ihm mehr als alles dieses mitbrachte – Vortrefflichkeit und Liebe? Hat er einen Augenblick nur mit einer Miene Ihnen für die Aufopferung Ihres Standes – was will ich sagen? –, für Ihre Liebe gedankt? Seine Gefälligkeiten waren allzeit Kunstgriffe, Ihre Einwilligung in eine von seinen stolzen Grillen zu erschleichen. Alles, was ich bei solchen Gelegenheiten für Sie tat, soll nichts sein; aber das nenne ich etwas, daß ich um Ihrentwillen den Namen eines niederträchtigen, heimlich entflohnen Räubers auf mich nahm. Was war nach dem Wiederaufkommen Ihres Barbaren von seinem Jachzorne zu vermuten, als daß er die empfindlichste Rache für die Drangsale, womit wir ihn während seiner Krankheit gerecht bestraften, an Ihnen nahm, ohne daß mein Schutz etwas dawider vermochte? Mit ebender Gewissenlosigkeit, womit er mir in seiner Krankheit die Kehle eindrücken wollte, mit der nämlichen Grausamkeit würde er mich ermordet haben, und es war aller Grund zur Furcht da; ich mußte, um mein Leben zu retten, entfliehen. Nach meiner Flucht, schloß ich weiter: Wie will da die unschuldig Leidende seinen Gewalttätigkeiten widerstehen, womit er sie langsam zu Tode quälen wird? – Sie muß fliehen, hülflos fliehen, und um Ihre Flucht nicht hülflos sein zu lassen, darum, darum wurde ich zum Räuber, darum entwendete ich Ihrem Peiniger einen Teil seines Vermögens, lud die ganze Schande der Tat auf mich und hielt meine Arme offen, Sie zu empfangen. Diese einzige Tat, die, solange Sie diese Erklärung nicht machen konnten, Ihren gerechten Unwillen erregen mußte, ist mein Verdienst, soll mein einziges Verdienst um Sie sein. Wollen Sie es auch für keine Wichtigkeit gelten lassen, seine Ehre Ihrem Besten aufopfern? – Mehr kann ich nicht tun; Sie müßten denn von mir gefodert haben, zu erwarten, bis Ihr wilder Gemahl mir das Messer in die Brust gestoßen hätte; aber auch das kann ich, mein Leben kann ich so gut für Sie wagen wie meine Ehre. Vergönnen Sie mir nur unterdessen eine Schutzstätte an Ihrer Seite und in Ihrer Gesellschaft, um mir die Unglückseligkeiten zu erleichtern, denen ich um Ihrentwillen entgegenlief. Ich begleite Sie bis an die Güter Ihres Gemahls und dann –«

Diese Verstummung wurde mit einem Blicke und einer Träne begleitet, die ein Herz wie der Gräfin ihres von Grund aufwiegeln mußte: Sie ging verwirrt hinweg. – So ließ er täglich durch seine listige Beredsamkeit alle Federn ihrer Empfindlichkeit spielen: Mitleid, Eigenliebe, Dankbarkeit – alles mußte für ihn arbeiten, selbst die Untreue der Gräfin mußte sie fester an ihn binden als an ihren Mann, den sie wegen des Bewußtseins ihrer Beleidigung immer noch fürchten mußte; und dann ließ er nicht selten einen kleinen Wink entwischen, daß die versöhnliche Güte ihres Gemahls wider seinen Charakter und also eine List sei, sie endlich desto ungehinderter und auf immer seinen Groll empfinden zu lassen. Diese Warnung erteilte er ihr mit einer so bedenklichen Miene, daß man notwendig ein Geheimnis dahinter vermuten mußte, und wenn sie in ihn setzte, so warf er sie unter dem Scheine der Gewissenhaftigkeit, als wenn er ihrem Gemahle nicht ein Verbrechen als gewiß auflegen wollte, wovon er selbst nur einige Spuren gefunden hätte, durch ein »mit der Zeit sollen Sie mehr erfahren« in noch tödlichere Unruhen; allein die Erfindung, womit er sie hintergehen wollte, lag schon völlig ausgesonnen in seinem Kopfe und wartete nur auf den günstigen Augenblick der Geburt.

Sie unternahm die Reise mit dem Grafen Z. auf die neuangekauften Güter ihres Gemahls, aber ohne sein Vorwissen. Auf diesem Wege war es, wo zwo Vorbereitungen zu der schrecklichsten Katastrophe geschahen; beide waren ein veranstaltetes Werk des Grafen Z. Auf das ernstliche Zudringen in sein Geheimnis entdeckte ihr der Falsche, daß ihr Mann den Plan gemacht habe, sie durch Freundlichkeit auf seine Güter zu locken und sie alsdann zeitlebens in ein Kloster einzuschließen. Er brauchte einen Brief zum Beweise, den der Graf Longueville vor langer Zeit in dem ersten Anfalle der Eifersucht an ihn geschrieben und worinne allerdings eine Zweideutigkeit so erklärt werden konnte; wenn er auch weiter nichts ausrichtete, so befeuchtete er wenigstens den Keim ihrer angefangenen Abneigung gegen ihren Gemahl, daß sie, wenn sie es auch nicht glaubte, doch mißtrauisch gegen ihn wurde.

Der zweite Schritt war eine von ihm veranstaltete Komödie, deren Falschheit sie niemals entdeckt haben muß, wie man aus einer Stelle des vorhin angeführten Briefes schließen kann. Sie trafen unterwegs einen Mann in anständigen Kleidern an, der sich mit dem fürchterlichsten Ausdrucke der Verzweiflung an die Stirn schlug, auf die Erde warf, wütete und raste; die Gräfin erblickte ihn, zitterte vor Schrecken und bat den Grafen auszusteigen, um dem Elenden zu helfen oder zu hören, wie ihm geholfen werden könnte. Der Graf tat es und kam mit der Nachricht zurück, daß es ein unglücklicher Jüngling sei, den eine Partie Spieler in ihr Netz gezogen und gänzlich zugrunde gerichtet hätten. »Er hat einen Wechsel ausgestellt«, sagte er, »dessen Verfallzeit nahe ist; er hat kein Geld. Seine Gläubiger verfolgen ihn, und er kämpft mit dem grausamen Entschlusse, sich selbst umzubringen.«

»Sich selbst umzubringen!« rief die Gräfin bebend. »Wieviel ist er schuldig?« – »Eine Summe von viertausend Dukaten«, sagte der Graf. »O hätte ich sie! – Aber«, fuhr sie nachsinnend fort, »vielleicht können wir doch seine Flucht begünstigen: Wir wollen ihn zu uns nehmen.« – Der Graf stellte ihr vor, wie gefährlich dies sei, machte kalte Zweifel und Einwendungen, daß die Gräfin in ihrem Vorsatze immer wärmer und beharrlicher wurde; man verstattete ihm einen Platz in der Kutsche, und der Graf, weil es die Gräfin als ihre eigne Angelegenheit betrieb, erbot sich, eine Vermittelung zwischen ihm und seinen Gläubigern zu versuchen, wenn sie ihn auf seiner Flucht ausspähen und bei ihnen antreffen sollten. Der Fremde beruhigte sich mit vielen Zeichen der Dankbarkeit, bekam aber noch so viele Rückfalle von Verzweifelung, als nötig waren, das Mitleid der Gräfin beständig wirksam zu erhalten. Er erzählte ihnen seine Geschichte und war nach seiner Aussage von dem ansehnlichsten Herkommen, aber itzt dem Bettlerstande nahe, wo nicht schon darinne.

Sie reisten unter diesen abwechselnden Empfindungen und Bemühungen zusammen bis in ein Wirtshaus, wo sie übernachteten. Des Morgens langten zween Bewaffnete mit großem Tumult an und verlangten ungestüm zu wissen, ob ein junger Mensch, den sie genau beschrieben, hier angelangt sei. Der Wirt, ein feiger Mann, den eine Pistole und ein Degen aus aller Fassung herausschrecken konnten, erinnerte sich mit Zittern, daß er in der Gesellschaft der Gräfin jemanden habe ankommen sehn, der mit der Beschreibung nicht uneben übereinkam; er meldete ihnen dieses. Sogleich rennten die beiden Angekommenen in die Stube der Gräfin, die eben aufgestanden war und drum nicht wenig über einen so unvermuteten Besuch erschrak. Sie taten mit dem nämlichen Ungestüm die nämliche Frage, die sie an den Wirt vorhin getan hatten, wiederholten ihre Beschreibung und verlangten den Menschen in ihre Gewalt, der dieser Beschreibung gliche. Die Gräfin war vor Entsetzen verstummt und hatte kaum Kräfte genug übrig, ihrem Kammermädchen zu rufen, das mit einem lauten Schrei die Blässe in dem Gesichte ihrer Gebieterin und die beiden Bewaffneten erblickte. Ihr Rufen brachte den Grafen herbei, der den Fremden ihre Unhöflichkeit nachdrücklich verwies und, ohne ihr Anbringen anhören zu wollen, ihnen abzutreten befahl. Sie versicherten, daß sie Kavaliere wären und also eine andre Behandlung erwarteten, worauf er ihnen keine Antwort gab und die Tür zuschloß. Indessen beratschlagte man, und die Gräfin war außerordentlich dafür, den Menschen, den sie in ihren Schutz genommen hatten, sorgfältig zu verbergen oder ihm lieber heimlich fortzuhelfen. Der Graf ging selbst, sich mit den Fremden zu unterreden, und brachte die bestätigte Nachricht zurück, daß man denjenigen verlange, dessen sie sich angenommen hatten, und zwar um sich mit ihm zu schlagen. Der Graf redete mit dem Unglücklichen, allein er hatte weder Stärke noch Mut, zween so ausgelernte Gegner auszuhalten; es blieb also bei der Entschließung, ihm – was er selbst verlangte – zu seiner Flucht beförderlich zu sein, mit Unterhandlungen die Fremden so lange aufzuhalten, bis er weit genug entfernt sein könnte, und dann zu sehen, ob man mit einer mäßigen Summe sein Leben auch auf die Zukunft in Sicherheit stellen könne. Wenn der Akkord zustande käme, wollte man sich eine Quittung für ihn geben lassen und riet ihm deswegen, auf die Güter des Grafen von Longueville sich zu retten, gab ihm eine Adresse, ein Pferd und Geld. Der Plan war gemacht und den nämlichen Abend ausgeführt; er entwischte glücklich. Indessen suchte man die Fremden durch alle Arten von Höflichkeit zu gewinnen, ohne jemals zu bestimmen, ob man den jungen Mann, den sie suchten, bei sich habe oder nicht. Endlich erdichtete man, daß er ein Anverwandter von der Gräfin sei, die deswegen einen Akkord mit ihnen einzugehen gedenke. Die Fremden wollten unter der Hälfte durchaus nicht einwilligen, auch die Anweisung der Gräfin gegen die Zurückgabe des Wechsels nicht annehmen, sondern verlangten schlechterdings bares Geld, und zwar ohne alle Einschränkung; gleichwohl hatte die Gräfin nichts mehr als das nötige Reisegeld, war in einem unbekannten Lande, ohne Freunde und ohne Kredit. Aller dieser Vorstellungen ungeachtet, beharrten die Fremden mit dem größten Ungestüm darauf; was sollte man tun? – »Ei«, sprach der Graf, »ich schlage mich für Sie und Ihre Anverwandten; mein Leben ist mir weniger als Ihre Ehre und Ruhe.« – Mit diesen Worten ging er, ohne sich von der Gräfin zurückhalten zu lassen, die Fremden herauszufodern, führte das Duell aus und kam mit einigen leichten Verwundungen zurück. Die Gegner lieferten den Wechsel aus und gingen ihren Weg.

Dieses abgeredete Spiel, die entschloßne Tapferkeit des Grafen, sein lebhaftes Interesse für die Ehre der Gräfin, die Geringschätzung seines Lebens für ihre Ruhe, seine tätige Geschäftigkeit, der glückliche Erfolg seiner Unternehmungen, die Größe seiner Gefahr, der Anblick des herablaufenden Blutes – so eine Menge Umstände, die mit einem Male auf ihre Empfindung zudrängten, mußten gerade das Gefühl hervorbringen, das er zu seinem Endzwecke verlangte – eine aus Mitleid und Bewunderung erzeugte Hochachtung, die bald in Liebe zu verwandeln war – mit einem Worte, der Graf Z. sah sich nunmehr in ihrem Herze befestigt, und nichts war zu seiner Rache übrig, als daß er ihren Gemahl vollends herauswarf.

Auch dieses war leicht. Er wiederholte ihr oft den grausamen Vorsatz ihres Gemahls, sie einzusperren, erhöhte die Wahrscheinlichkeit desselben und ihr Mißtrauen bis zur Furcht. Mit dieser Furcht kam sie an. Ihre Ankunft, weil sie unvermutet und die nötigen Vorbereitungen noch nicht alle zustande waren, gab dem Grafen üble Laune: Sein Stolz fand sich doppelt beleidigt, daß man seine Befehle nicht erwartet hatte und daß er die Bewunderungen nicht alle einsammeln konnte, die er sich von ihr bei Erblickung seiner Veranstaltungen versprach. Seine üble Laune ging in sein Betragen über, er ließ sogar einige unwillige Worte über ihre Überraschung fliegen, die ihr der Graf Z. so auslegte, als wenn sie Wirkungen des Unwillens über einen vereitelten Plan wären; noch unwilliger wurde er, als er den Grafen Z. mit ihr kommen sah, denn auf ihre dringende Bitte hatte er sich, als er sich an der Grenze von ihr scheiden wollte, bereden lassen, sie zu begleiten und sich auf ihre Vermittelung zur Aussöhnung mit ihrem Gemahle zu verlassen. Ihre Vermittelung wollte nichts fruchten; der Graf von Longueville foderte schlechterdings, daß dieser ehrenlose Räuber, wie er ihn nannte, aus dem Hause sollte, und gab zu erkennen, daß er im Falle der Weigerung Gewalt brauchen werde, ihn zu entfernen; die Gräfin war über seine wilde Hitze aufgebracht, noch mehr, daß ihr gegebnes Wort umsonst gegeben sein sollte, sie arbeitete mit vereinten Kräften, es gültig zu machen, empfing darüber etliche höchst empfindliche Sticheleien, die sie zu sehr schmerzten, um den Mann nicht zu hassen, der sie ihr gab, und ihn doppelt zu hassen, weil es sie ärgern mußte, sich bisher durch verstellte Liebe hintergangen zu sehn; der Graf Z. erhöhte ihre Empfindlichkeit darüber, machte es ihr zu einer Pflicht ihrer Ehre, ihn zu schützen, sprach von Wut und versicherte sie, daß sie – nicht um seinetwillen, sondern um ihrer selbst willen – ihn im Hause erhalten müßte, wäre es auch nur, der hartnäckigen Bosheit ihres Gemahls zu trotzen. In wenig Tagen war also das Haus wieder auf dem alten Fuße, in zwo Parteien geteilt, die unaufhörlich widereinander arbeiteten, und dahin gebracht, wohin es der Graf Z. schon längst zu bringen wünschte. Sein Zorn wider den Grafen Longueville war aufs äußerste gestiegen; er suchte einen Zank mit ihm, wozu die Gelegenheit sich sehr bald anbot; doch suchte er es so einzuleiten, daß die Gräfin die Hauptperson dabei sein mußte, für deren Ehre er unternommen wurde. Er wurde bis zum Degenziehen getrieben, und der Graf Z. bekam eine leichte Verwundung. So lebten sie in ewigem Streite; der Herr vorn Hause mußte nachgeben, weil er der schwächere Teil war, denn alles im ganzen Hause war wider ihn aufgewiegelt und auf der Seite der Gräfin, die ebenso freigebig als er knickerig war, wenn es auf Geschenke ankam. Man plagte, man verspottete ihn, man suchte ihn mit der ehmaligen Liebe wieder zu kränken, und er mußte geduldig sehen und hören, wenn die beiden Liebenden sich Süßigkeiten sagten und Liebkosungen erwiesen. Sein Zorn, wenn er ausbrach, erweckte Gelächter, und man gab sich gar nicht mehr die Mühe, ihm mit Gewalt zu widerstehen.

 

Mitten unter diesen Unruhen erhielt der Graf von Longueville verschiedene Wechsel zu bezahlen, die auf seinen Namen ausgestellt waren, ohne daß er sie ausgestellt hatte. Er hatte einige Gründe des Verdachtes wider den Grafen Z., allein anstatt ihn reif werden zu lassen und alsdann sicher gerichtliche Hülfe wider ihn zu suchen, ließ er sich von seinem Grolle verleiten, ihm zu zeitig eine hitzige Vorhaltung darüber zu tun und die ganze Last der Beschuldigung aufzulegen, ohne etwas anders als Vermutungen zum Beweise zu haben. Der Graf, der seinen Vorteil kannte, tobte, wütete und drohte so fürchterlich, sich wider einen so ehrenrührigen Verdacht Genugtuung zu verschaffen, daß sein Gegner, der seine eigne Übereilung merkte, abermals zum Nachgeben seine Zuflucht nehmen mußte; dadurch wurde die Gegenpartei desto mutiger.

Indessen fand doch der Graf Z. für nötig, sich wider ähnliche Fälle, wo sein Feind mit weniger Übereilung und mit reifern Gründen zu Werke gehen könnte, zu verwahren; denn er war sich bewußt, daß er eine Menge solcher Wechsel im Namen des Grafen ausgestellt hatte, die ihn endlich nötigen könnten, zu fliehen oder mit dem Leibe dafür zu haften; er sann auf Mittel und fand nur eins, das ihm sein Haß wider den Grafen als das einzige beste vorstellte, und zu Erreichung seines Zwecks wurde er wieder verliebt, um sich des Herzens der Gräfin zu bemächtigen. Wie er sein ganzes häßliches Kunststück ausführte, davon erteilen einige Unterredungen Nachricht, die er mit der Gräfin zu verschiedenen Zeiten hielt, nachdem sie Liebe und gemeinschaftliches Interesse wider den Grafen Longueville ganz in seine Gewalt, gebracht hatten.

Mit verwilderter entsetzender Miene trat er eines Abends zu ihr ins Zimmer, schlug sich mit geballter Faust an die Stirn und rief: »Daß der Donner den Bösewicht zerschmettre!« – Die Gräfin staunte. – Nach einer kleinen Pause lief er auf sie zu; »Madam«, sagte er, »retten wir uns nicht, so sind wir beide Opfer unsers Tyrannen; aber eher soll mein Haupt kein Kopfküssen berühren, bis ich Sie und mich befreit, gerochen und den Verbrecher gezüchtigt, ganz vernichtet habe.«

»Um des Himmels willen«, rief die Gräfin erschrocken, »was haben Sie? Sie wüten ja.« –

Graf: »Kein Wunder, wenn ich raste! – So weit ist es doch gebracht, daß ich entweder mit Ihnen oder für Sie umkommen muß! – Aber wohlan! das letzte tue ich mutig, wenn ich nur das erste verhüten kann.«

Gräfin: »So reden, reden Sie doch! – Warum erschrecken Sie mich, ohne mir zu sagen, was ich zu fürchten habe? – Graf!« –

Er schwieg; sie setzte noch einmal in ihn. – »Aber, ich Tor!« fuhr er endlich auf, »warum entdecke ich Ihnen erst die Gefahr, da ich sie, ohne daß Sie es gewahr wurden, vertreiben und Ihnen den Schrecken ersparen konnte. Vergeben Sie meiner ersten Aufwallung, Madam; in einem Winke ist das getan, und dann bin ich entweder Ihr Befreier oder Ihr Märtyrer. Nur ein paar Minuten Geduld!« –

Er wollte gehn, die Gräfin sprang hinter ihm drein, faßte ihn bei dem Kleide und hielt ihn auf. – »Was wollen Sie, Graf? Nicht von dem Platze laß ich Sie, bis Sie mir Ihre ganze Absicht entdeckt haben. Was wollen Sie mir itzt für Schrecken sparen, nachdem Sie mich durch Ihre abgebrochne Zurückhaltung schon tief genug hineingestürzt haben. Kommen Sie! Erzählen Sie! Oder der wichtigste Dienst wird mir ohne Offenherzigkeit und Zutrauen zum Mißfallen.«

Graf: »Ja, freilich wollte ich Ihnen den wichtigsten tun; ich kann dies ohne Ruhmrätigkeit sagen, denn was wäre dem Menschen wichtiger als sein Leben.«

Gräfin: »Als sein Leben! – Und wer will –«

Graf: »Was würden Sie tun, Madam, wenn ein Räuber Sie auf einem engen Wege überfiele, wo Sie auf keiner Seite ausweichen könnten, Ihren Hals faßte und das Messer auf die Brust setzte; was würden Sie tun?«

Gräfin: »Unerklärliche Frage! – Was –«

Graf: »Was würden Sie tun, wenn der Mörder noch drei Schritte von Ihnen entfernt wäre und Ihnen alles seine blutdürstige Absicht ankündigte, wenn es noch in Ihrer Gewalt stünde, durch einen mutigen Stoß in seine verruchte Brust Ihr Leben zu erhalten? Würden Sie den Stoß wagen?«

Gräfin: »Warum nicht, Graf, wenn –«

»Wohlan!« rief er, faßte ihre Hand und sprang auf – »wohlan! so wollen wir ihn wagen!«

Gräfin: »Graf, ich erstaune über Ihre Wut!«

Graf: »Kommen Sie! Stoßen Sie den Mörder nieder, oder er stößt zu.«

Gräfin. »Phantasieren Sie? – Welchen Mörder?«

Graf: »Ihren Mann – oder vielmehr den Unwürdigen, der sich so nennt! Hurtig! oder –«

Die Gräfin verstummte, voller Entsetzen über die wutvolle Miene des Grafen; sie schwieg lange mit ängstlicher Verwirrung, bis der Graf hastig herausfuhr. – »Zaudern Sie? So geh ich an Ihrer Stelle«, sprach er und wollte gehn. – »Aber wohin?« schrie die Gräfin. »Mein Gemahl ein Mörder! – Wen will er töten?«

Graf: »Sie! – Hier lesen Sie! Und denn lassen Sie mich!«

Er gab ihr einen Brief, den der Graf von Longueville, als er eine geheime Verbindung zwischen seiner Gemahlin und dem Grafen Z. argwohnte, in der ersten Hitze der Eifersucht und des Unwillens an diesen schrieb, worinne er sagte: »Wollte der Himmel, daß ich von meinem häuslichen Elende erlöst wäre, sollte es auch durch den Tod meiner unwürdigen Gemahlin geschehen! Und könnte ich ohne Verbrechen etwas dazu beitragen, so tät ich's in diesem Augenblicke; aber meine Rache gegen sie und ihren schändlichen Verführer soll nur aufgeschoben sein.« –

Die Gräfin ließ den Brief zitternd sinken; in der Gemütsverfassung und so vorbereitet, wie sie ihn las, mußte ihr jedes Wort eine ausdrückliche Androhung des Todes scheinen. Sie zweifelte nicht, daß ihr Gemahl einen so grausamen Plan gemacht haben könne; ihr Widerwille gegen ihn erhöhte die Wahrscheinlichkeit eines solchen Anschlags und die Stärke des Beweises dafür; alles tumultuierte in ihr, jede Idee zog sie auf eine andre Seite, und ihre Mienen waren der völlige Ausdruck ihres innerlichen Kampfs. Kaum hatte der Graf ihre Unruhe bemerkt, als er sie bei der Hand ergriff. »Wohl, so sehen Sie noch einen Beweis!« sprach er. Sie ließ sich in der Verwirrung fast ohne ihr Bewußtsein von ihm führen und wurde erst mit Erschrecken inne, wohin er sie führte, als sie in das Zimmer ihres Gemahls trat. Sie fuhr zurück, allein der Graf riß sie mit sich fort zu dem Schreibeschranke des Grafen von Longueville, den er in der Abwesenheit desselben – denn er war spazierengegangen, seinen Unmut zu zerstreuen – geöffnet hatte. »Sehen Sie! und dann glauben oder zweifeln Sie!« – Mit diesen Worten holte er zwei Pakete Arsenikum heraus, deren Aufschrift mit großen Buchstaben keinen Zweifel übrigließen, daß es Arsenikum war. Die Worte in dem Briefe des Grafen und in seinem Schreibeschranke gefundenes Gift waren zwei Dinge, die ein von Furcht eingenommnes Gemüt, wie der Gräfin ihres gegenwärtig war, nicht anders erklären konnte, als wie sie der Graf Z. erklärt wissen wollte. Nach einiger Überlegung beschloß man das Gift in Verwahrung zu nehmen und genaue Acht auf den Grafen Longueville zu haben, daß er nicht andre Mittel gebrauchen könne, zu seinem schrecklichen Zwecke zu gelangen. Die Überredung, daß dies Gift zu dem Tode der Gräfin habe angewendet werden sollen, nahm bei ihr durch Hülfe des Grafen Z. immer mehr zu und war schon unzweifelhaft, als sie wieder in ihr Zimmer kam. Ihr bisheriger Schrecken verwandelte sich in Zorn; sie verfluchte ihren Gemahl, sie wütete wider ihn, sie wollte – sie wußte selbst nicht was. Der Graf nützte den Augenblick, fachte ihren Zorn vollends an und riet in unversteckten Worten, das gefundne Gift wider den Grafen Longueville anzuwenden, und in dem Zorne ließ sie sich den unbedachtsamen Ausdruck entfahren: »Möchte er es schon zu seinem Verderben verschlungen haben, das Ungeheuer!« – Sogleich flog der Graf Z. mit einem Pakete davon, bemächtigte sich heimlich der Kaffeekanne, die auf die Zurückkunft des Grafen aus dem Garten wartete, und streute eine ansehnliche Dosis hinein. Sodann kehrte er zur Gräfin mit einem freudigen »Es ist geschehn!« – zurück. – »Was?« rief die Dame zitternd, »was ist geschehn?« – »Wir sind gerochen, von unserm Mörder befreit und – ganz unser!« Mit diesen Worten umarmte er sie. Die Gräfin stieß ihn zurück, schmähte ihn, raste, wütete mit allen Ausrufungen des weiblichen Zornes. »Gott!« rief sie endlich, als ihr Zorn ein wenig verdampft war, nachdenkend: »Sie haben einen Mord begangen!« – »Auf Ihren Befehl!« war des Grafen kaltblütige Antwort. Ihre Wut verdoppelte sich, aber er hielt sie gelassen aus; sie sprach vom Entfliehen, aber der Graf widersetzte sich, weil die Flucht den völligen Verdacht auf sie bringen würde, Himmel und Erde waren für die Gräfin zu enge.

Die eigentliche nächste Ursache, die den Grafen Z. zu einer solchen Untat bewog, war ein heftiger Zank zwischen ihm und dem Grafen Longueville, worinne ihm dieser Galgen und Rad prophezeite und deutlich zu erkennen gab, daß es ihm nicht unbekannt sei, wie viele Wechsel von ihm in seinem Namen ausgestellt waren, ohne sich dabei der beleidigendsten Schimpfwörter zu enthalten, die ein solcher Mann verdient, aber nur nicht gern hört. Die Annehmlichkeit, mit vielem Gelde nach Willkür umgehen zu können, war ihm seit der Krankheit des Grafen, wo er sein ganzes Vermögen in seiner Gewalt hatte, beständig in zu süßem Andenken geblieben, um sie sich nicht wieder zu wünschen; solange der Graf von Longueville lebte, war er in unaufhörlicher Gefahr, daß seine Betrügereien entdeckt und er dafür bestraft werden möchte, was ihn die Drohungen seines Feindes in dem letzten Zanke sehr bald befürchten ließen; die Gräfin war liebenswürdig und er dem völligen rechtmäßigen Besitze derselben schon einmal so nahe gewesen, daß er nicht ein kleines Verlangen trug, in diese glückliche Lage wieder versetzt zu werden – alles Gründe, die den Tod des Grafen von Longueville für ihn höchst wünschenswürdig machten! Zorn und Rachsucht, die der letzte Zank bis zur Flamme entzündete, teilten jenen Gründen ihr Feuer mit, und der schreckliche Entschluß, seinen Gegner zu töten, entstand in ihm und wurde ausgeführt. Zu leugnen ist es nicht, daß der Graf Z. aus vielen Anzeigen Anstalten wider sein Leben von seiten seines Feindes argwohnen konnte, doch konnten es auch nur Anstalten zu seiner Wegschaffung sein sollen.

Der Graf von Longueville trank nach seiner Rückkunft seinen Kaffee; kaum hatte er ihn fünf Minuten hinunter, als er klingelte, laut rief: »Ich brenne! Hülfe! Ich verbrenne!« – und sich zu Bette bringen ließ. Das Brennen auf der Brust nahm zu, und des Nachts war er tot. Er hatte einigen Verdacht, daß man ihm Gift beigebracht haben möchte, und starb mit der völligen Wut eines Mannes, der ungern stirbt, ohne sich gerächt zu haben; das letzte Wort war noch eine Verwünschung seiner Feinde.

Die Gräfin rang indessen mit einer wirklichen Todesangst, und als sie seinen Tod vernahm, so sprang sie wie rasend im Bette auf und auf den Grafen zu, der bei ihr wachte; er hielt den Sturm aus und ließ sie toben, ohne sie beruhigen zu wollen, nur daß er ihr die Bedachtsamkeit empfahl, daß sie nicht mit ihm in Gefahr der Untersuchung geriet. Sie verdammte seine Bedachtsamkeit und hieß ihn gehn. Zween Tage lang blieb sie, als dieser verwilderte Zustand vorüber war, in der tiefsten Melancholie, ohne zu essen und zu trinken, mit kurzem unterbrochnen Schlummer, und der ganze Laut ihrer Stimme war ein Seufzer.

Öffentlich wurde die Vergiftung des Grafen als seine eigne Tat ausgegeben, und man fand so viele Beweise, die es glaublich machten, daß man sich wundern muß, wie eine falsche Sache mit so vieler Wahrscheinlichkeit bewiesen werden kann.

Nunmehr spannte der triumphierende Graf Z. alle Kräfte seiner kriechenden Dienstfertigkeit an, die Gräfin zu gewinnen; ihr schwaches Herz konnte nicht widerstehn, und er wurde ihr Gemahl; allein ihre Ehe war die unglücklichste unter der Sonne. Der Graf, als er sich im Besitze aller seiner Wünsche sah, warf die gefällige Maske ab und tyrannisierte in dem Maße, wie er vorher sklavisch gekrochen hatte. Sie schieden sich mit beiderseitiger Einwilligung. – Der Graf schleppte sein Leben in Unruhe und Angst hin; er fiel nach einer schweren Krankheit in eine Schwermut, die ihn Tag und Nacht folterte, daß er zuletzt mit dem nämlichen Gifte sich selbst das Leben raubte, wovon er dem Grafen gegeben hatte.

Die Gräfin lebte in der tiefsten Einsamkeit, und ob sie gleich ihr Gewissen von aller wirklichen Schuld an dem Tode ihres Mannes freisprach, so hörte sie doch nicht auf, sich Vorwürfe über ihre vielfältigen Vergehungen und besonders über ihre Verheiratung mit dem Grafen Z. zu machen. Das Herz des Menschen ist schwach, aber am schwächsten das weibliche – war das Resultat ihrer Erfahrungen, das sie in dem Briefwechsel mit ihren Freundinnen fast immer wiederholte und zur Regel der Aufmerksamkeit empfahl.


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