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I

Mondhaus, Kunsthistoriker, schielte.

Dieses Übel, das wie jedes Gebrechen ohne Zweifel einer Charakteranlage entsprach, machte ihn nicht nur unsympathisch, sondern erzeugte, wenn man mit ihm zu tun hatte, eine eigentümliche Verlegenheit. Mit Mondhaus war ein ehrliches Zwiegespräch nicht möglich, denn es schien, von seinem doppelten Blick zitiert, immer noch ein Dritter dabei zu sein. Sein geschwindes, ungetöntes Reden glich aufs Haar dem Zur-Seite-Sprechen des älteren Dramenstils.

Im übrigen war Mondhaus Spezialist für ›Österreichisches Barock‹, worauf ich aber nicht schwören will. Er konnte ebenso Spezialist für ›Bäurische Glasmalerei‹ oder ›Alemannische Frühgotik‹ sein. Neben dieser wissenschaftlichen Tätigkeit verfaßte er unter dem Titel ›Italienische Briefe‹ für einige Zeitungen Artikel, wobei er aus Attentaten, Kunstausstellungen, politischen Meetings, Sportfesten, Sensations-Verbrechen, Opern-Premieren, Gesellschaftsskandalen, sozialen Stimmungsbildern, landschaftlichen Impressionen, noblen Bekanntschaften, aus den disparatesten Gewürzen also, eine scharfe Speise zu bereiten verstand. Er war die unüberwindliche Eingeweihtheit in Person. Ich kannte ihn seit langer Zeit. Wer kannte Mondhaus nicht? Es gab sogar Leute, die seine Aufsätze hochschätzten.

An jenem Nachmittag aber schien er außer Rand und Band zu sein. Exzentrischer denn je stocherten seine Augen an Menschen und Dingen vorbei. Seine Doppelzüngigkeit war unerträglich, aber man konnte sich ihr nicht entziehn.

Es ist durchaus nicht meine Art, angesichts alter Palazzi, erlauchter Kunstschätze und verwitterter Mobiliarien die Fassung zu verlieren, und um ihres Anblicks zu genießen, bei der ersten Gelegenheit Strapazen auf mich zu nehmen. Ich brüste mich dieser Stumpfheit keineswegs, verweist sie mich doch im Gegensatz zu schönheitstrunkenen Kennern, in jene niedere unverfeinerte Nervenkaste, die den weniger vornehmen Genüssen des Ohres zugänglicher ist.

Aber ich war diesmal so viele Wochen einsam in der Stadt, hatte außer Kellnern, Portiers und Barkenführern mit keinem menschlichen Wesen gesprochen, daß ich mich der Empfehlung an den Maler Saverio S. plötzlich erinnerte und zur Stunde, erregt von Selbstflucht und Menschenhunger, vor die Stadt fuhr.

Als ich in der vielgepriesenen Villa den Hausherrn nicht allein, sondern eine ganze Gesellschaft antraf, erschrak ich sehr. Ich war des Redens entwöhnt, meine Fähigkeit, mich unter Menschen zu bewegen, war völlig eingerostet, ich spürte in mir jene unfreie Beklemmung, die mir so viele Stunden meiner Jugend verbittert hat. Dies mag der Grund gewesen sein, warum ich mich anfangs allzuwillig an Mondhaus, den einzigen Bekannten, schloß, der mich sofort zur Beute seiner schlechtgezielten Blicke und gutgezielten Kommentare machte.

Er benahm sich, als wäre er hier zu Hause und zog mich bei der ersten Gelegenheit zur Seite:

»Sie kommen also auch unsere Sehenswürdigkeit anstaunen?«

Ich verstand ihn nicht gleich, was ihn aber nicht beirrte:

»Kein schlechtes Objekt für einen Psychologen!«

Wen meint er, dachte ich, während es mir immer unangenehmer wurde, daß er beim Reden meinen Arm antippte:

»Also, erstens gibt er sich für einen Italiener aus. Aber, ich bitte Sie, ist ein Triestiner (bestenfalls ein Triestiner!) ein Italiener? Triest war Österreich. Das kennt man schon. Die Triestiner stammen aus der Bukowina, die Wiener aus Mähren, oder auch umgekehrt ...«

Jetzt erst wußte ich, von wem er sprach:

»Beachten Sie, bitte, nur sein Italienisch! Es hat denselben bemerkenswerten Tonfall wie sein Deutsch. Und haben Sie seinen Händedruck genossen? Nicht wahr, er bittet einen mit aller Kraft um Verzeihung. Er wird schon wissen, warum ...«

Ich hatte tatsächlich in Herrn Saverios Händedruck und Begrüßung eine gewisse Übertriebenheit bemerkt. Von dem Druck, der selbst für die Besieglung eines Freundschaftsbundes zu stark ausgefallen wäre, tat mir die Hand noch weh. Ich war ihm fremd und nur ganz oberflächlich empfohlen. Warum hatte er meine Hand mit einem Ruck unmotivierten Einverständnisses an sein Herz gezogen? Warum hatte er seine Augen so tief in die meinen getaucht, als wollte er sagen: ›Ich erkenne dich‹ und: ›Nun haben wir einander doch gefunden!‹

Auch ohne Mondhausens Einflüsterung hätte ich bemerkt, daß in der Innigkeit dieser Augenbegrüßung, die jedem Gaste in gleicher Weise zu Teil ward, etwas Angestrengtes, Falsches, ja Bittflehendes lag.

Saverio war ein schwerer Mann. Sein glattes, gelbes Gesicht, das einem von betrübtem Fett erweichten Römerkopfe glich, reckte er immer höher, als genüge ihm die Größe seiner glänzend gekleideten Figur noch nicht, trotzdem sie alle überragte. Dieses Sich-immer-höher-Recken aber schien seine einzige Unbescheidenheit zu sein.

Ich habe niemals wieder einen Menschen gesehn, dessen Alter so schwer zu bestimmen gewesen wäre. In seinem dichten Haar fand sich kein einziger grauer Faden.

Er sprach durcheinander Deutsch, Italienisch und Englisch. Letzteres aber tat er nur, wenn er sich an die (welche Seltenheit!) dickliche Engländerin wandte, die einer chinesischen Maske oder tibetanischen Katze glich mit ihrem in der Mitte gescheitelten Grauhaar und dem schiefen, verständnislosen Lächeln. Ich konnte der Kritik des Kunsthistorikers keineswegs zustimmen. Saverio sprach seine Sprachen auf eine Art, die mir gerade wegen ihrer Heimatlosigkeit wohlgefiel. Es ist richtig, auch seine Sprechweise enthielt eine ähnliche Übertriebenheit wie sein Händedruck, aber sie war leise, etwas heiser, und ihre bettelnde Melodik schlug angenehm ins Ohr.

Er unterhielt sich mit zwei Damen: Mutter und Tochter. Ich staunte über die glatte Trivialität seiner Komplimente, die mir zu ihm nicht ganz passen wollten. Er schien zu jenen Leuten zu gehören, die angesichts jeder Frau eingebildete Verpflichtungen zu haben vermeinen.

»Jung möchte ich sein, nur daß ich glauben könnte, daß es Hoffnung für mich gibt.«

Dies galt der schönen, flammenhaarigen Tochter, die nur selten den bewundernden Blick von ihren eigenen Beinen wandte.

»Was werde ich mit dem Sessel anfangen, auf dem Sie sitzen?«

Das galt der schönen Mutter, die über die geschmacklose Dummheit lachte, deren Schultern aber dennoch Befriedigung zu erkennen gaben.

(Dieselbe Dame sagte einmal in späteren Jahren zu einem Freund: Dieser Saverio war ein interessanter Kerl, aber als Mann kam er absolut nicht in Betracht. Für mich wenigstens. Die Tochter allerdings schien diese Meinung ihrer Mutter nicht zu teilen. Denn sie wäre s wie Mondhaus behauptete – eines Tages mit Sack und Pack bei dem Maler erschienen und hätte sich ihm an den Hals geworfen, worauf sich Saverio höchst ritterlich benommen und das Mädchen der Mutter zurückgestellt habe. Dies ist nur ein Klatsch, ein Gerücht, und ein Gerücht aus dem Mund Mondhausens noch dazu. Viele Gerüchte aber umlagerten die Gestalt dieses Saverio S.)

Während Saverio mit weicher Stimme seine Komplimente schnitt und die Augen andächtig über die staunenswerten Linien der Damen gleiten ließ, waren seine Augen doch tief bekümmert. Manchmal schweiften sie vom Gegenstand ihrer Bewunderung ab und suchten mit dem Ausdruck ertappter Unsicherheit einen Richter in diesem Raum.

Der Gesuchte schien wirklich anwesend zu sein.

Man wird es begreiflich finden, daß ich den Namen des berühmten, international berühmten Malers nicht nenne, der an jenem Nachmittag in unserer Gesellschaft sich befand. Ein stämmiger Mann von Fünfzig, dessen selbstsichere Gedrungenheit statt in einem normalen Anzug in einem formlosen und dabei eigensinnigen Sack steckte. Haarige Hände mit breitbeschnittenen Nägeln, eisenbeschlagene Stiefel vollendeten das Bild festausschreitender Bauernbodenständigkeit, die zu Saverios Elegance in einem körnigen Gegensatz stand. Das backenknochige Gesicht der Berühmtheit, die große Glatze, der schwarze Bart, dies alles gemahnte deutlich an jenes Selbstporträt von Cézanne, das alle Kenner hinreißt. Ich will nichts Böses sagen, aber diese Ähnlichkeit ging weit. Das Gesicht des berühmten Malers konnte fast ein Plagiat genannt werden. Doch war es gewiß nur ein Plagiat in aller Unschuld, eine Ebenbildlichkeit aus Wahlverwandtschaft.

Der Mann rauchte eine kurze Pfeife, hielt sich abseits, betrachtete die Wände und was an ihnen hing mit Ernst, sah aus dem Fenster, wobei er die Augen zusammenkniff und das Gesehene in Bildausschnitte aufzuteilen schein. Das einzige, was wir von ihm zu hören bekamen, war der Atem, der laut und mühsam seine Nase passierte. Ich bin dem berühmten Maler noch mehrere Male begegnet, erinnere mich aber nicht, fünfzig Worte von ihm vernommen zu haben. Dagegen trage ich ein ganz bestimmtes, persönlichkeitserfülltes Grunzen im Ohr, das er als Zeichen der Zustimmung oder Ablehnung verlauten ließ, und sehe seine Faust samt einem riesigen auswärts gebogenen Daumen vor mir, mit dem er großzügige Hieroglyphen in die Luft hieb. Eine eindrucksvolle und echte Malergeste.

Nicht zum Vergnügen waren wir in Saverios Haus – dem Sommerpalast irgendwelcher Renaissanceadligen – versammelt. Schon begann unter Vorantritt des Hausherrn die Führung. Ich unterlasse es selbstverständlich, Bilder, Bildwerke, Truhen, Schränke, Türen, Stoffe, Brokate, Samte, die Kostbarkeiten der Jahrhunderte zu beschreiben, die in diesem Haus auf das Unauffälligste und Sparsamste angeordnet waren. Ein Kunstding, eine schöne Sache, wenn es der Zufall uns zeigt, wenn wir's beim Durch-die-Stadt-Schlendern entdecken, kann berauschen. Doch der Zufall, das Unvorhergesehene, die Entdeckerfreude, die Intimität der Stunde gehört dazu. Mit vorschriftsmäßiger Bewunderung und weniger vorschriftsmäßiger Ermüdung aber pflegt man an musealen Herrlichkeiten vorüberzuwandeln. Jede Sammlung bietet sich an und betäubt. Saverios Schätze allerdings waren von besonderer Lauterkeit. Selbst der berühmte Maler gab vor einigen Stücken seine selbstbewußte Teilnahmslosigkeit auf. Dennoch habe ich fast nichts davon im Gedächtnis behalten, da mich Saverios Persönlichkeit beunruhigte und ablenkte.

Mondhaus rührte sich nicht von meiner Seite. Er schien größte Angst davor zu hegen, daß ein Neuling ungeweiht und gläubig durch diese Räume gehn könnte:

»Für den Fall, daß Sie gar nichts wissen sollten: Weder das Haus, noch die Sachen gehören natürlich ihm. Er ist einfach der Agent Barbieris. Verkauft auf mondäne Weise und spielt den reichen Mann und Künstler. Das ist aber nur die oberste Glasur. Denn er ist eine sehr verwickelte Spezies.«

Mich störte das verleumderische Gerede neben mir. Wir waren schließlich im Hause des so übel Ausgerichteten. Wem dieses Haus mit seinen Schätzen gehörte, war mir vollkommen gleichgültig. Ich versuchte loszukommen. Mondhaus aber, der bemerkte, daß mir sein Klatsch auf die Nerven ging, verdoppelte seine Anstrengung:

»Sie müssen mich richtig verstehn. Ich schwärme für Saverio. Er ist ein wirkliches Unikum. Sie halten mich doch hoffentlich für keinen Moralisten, der sich damit abgibt, einen einfältigen Hochstapler zu entlarven. Es ist hier gar nichts zu entlarven, denn alle Welt weiß alles. Ich denke mir aber, Sie interessieren sich für gewisse kulturelle Erscheinungen Italiens. Nun, ich kann Ihnen sagen, ich habe gründliche Studien gemacht. Das Antiquarwesen zum Beispiel! Ein völlig unausgeschöpftes Thema. Diesen Roman müßten Sie schreiben. Ich stelle Ihnen gerne Details zur Verfügung ... Schöne Sachen hier, was?«

In diesem Augenblick ließ Mondhaus seine matte Patschhand auf einer edlen Schnitzerei ruhn. Es war eine so sinnwidrige Geste, als ob jemand mit stumpfen Fingern in Blumen greife. Nur ein Hasser der Kunst konnte solche Hände haben und ein belebtes Ding mit ihnen derart anrühren. Er wiederholte:

»Schöne Sachen? Ich frage Sie, was ist echt und was ist falsch? Beruhigen Sie sich! Das wissen die Gelehrten nicht, und nicht einmal die Laien wissen es. Die Entscheidung darüber liegt bei den Museumsbonzen, die es am allerwenigsten wissen. Dafür aber wissen die Herren, was ihre Expertisen in guter Valuta wert sind. – Ich würde die gefälschten Stücke wohl höher bezahlen als die echten. Welch ein Genie steckt in diesen unerkennbaren Fälschungen! Stellen Sie sich nur solch einen Kerl vor, der heute der ältere Bellini ist, morgen Tintoretto, Mantegna, Carpaccio, einmal Donatello, das andere Mal wieder Michelangelo. Übersetzen Sie sich das in die Literatur! Welcher von allen lebenden Dichtern könnte glaubhaft und ohne parodistisch zu werden, sagen wir, ein unbekanntes Shakespearedrama fälschen? Keiner! Bedenken Sie dabei, wie unerschöpflich Italien seit einem Jahrhundert ist! Immer wieder taucht, von den kleineren Göttern zu schweigen, ein unbekannter Tizian auf, der Händlern und Zwischenhändlern Hunderttausende zu verdienen gibt. Indessen aber sitzt der geniale Fälscher in irgend einem Nest und muß sich mit einer mageren Abfindungssumme zufriedengeben. Ich habe selbst einmal einen dieser großartigen Burschen in seiner Höhle besucht. Das war in Caserta. Man findet sie niemals in größeren Städten ...«

Wenn die treppauf, treppab geführte Gesellschaft auch in Gruppen ging und Mondhaus nicht gehört werden konnte, so wurde mir sein Tuscheln doch immer peinlicher und ich wollte einen Schlußpunkt setzen:

»Herr S. ist doch nicht nur Sammler, sondern vor allem Maler.«

Mondhausens unregelmäßige Blicke versuchten sich höhnisch auf mich zu konzentrieren:

»Maler!? Ich möchte darauf schwören, daß er nicht zweimal im Leben einen Pinsel in der Hand gehabt hat. Ich zweifle sogar daran, ob er die einfachste Tafel restaurieren kann, womit doch jeder zweite Antiquar in Italien seine Karriere beginnt. Er ist ebensosehr ein Maler wie Sie und ich. Aber in dieser Hinsicht werden wir ihm heute ein wenig auf den Zahn fühlen.«

Ich trat schnell von Mondhaus weg zu den andern, die jetzt alle vor einem Holzbildwerk standen. Es war eine sehr frühe Pietà mit einer schief-steifen Madonna und einem verkretschten Christus, der ohne Schwerpunkt sie als Diagonale kreuzte. Alles war hingerissen. Die Primitiven gehörten zum guten Ton. Selbst die Berühmtheit grunzte und hieb mit dem verbogenen und abgenützten Daumen den Rhythmus des Bildwerks kühn in die Luft.

Ich war von Mondhausens Schwatz schon so sehr vergiftet, daß ich nicht anders konnte und gegen meinen Willen Herrn Saverio S. scharf ins Auge faßte. Und wirklich – so kam es mir damals vor –, etwas Blinzelndes und ungemein Verlogenes offenbarte sein Wesen. Er sah die Pietà gar nicht an. Sie schien ihn ebensowenig zu interessieren, wie ein Kunstwerk einen Museumsdiener interessiert, der es Besuchern erklärt, oder einen Kommis die Ware, die er verkauft. Hingegen hatte er in seinem Gesicht Scheinheiligkeit aufgedreht wie eine Beleuchtung, für die man einen Schalter besitzt, und während seine schöne Hand mit zarten Fingerspitzen die Falten der Madonna berührte, seufzte er dumpf, als kondoliere er zu einem Todesfall, der uns insgesamt betroffen:

»Was sind wir alle dagegen?«

Mondhaus sah mich an. Und auch ich spürte das Hochtrabende und fast Beschämende einer solchen Redensart.

Der Tee wurde in Saverios Atelier genommen. Warum dieser Raum Atelier hieß, war nicht weiter erfindlich, es sei denn, daß er sehr groß war und hohe Fenster besaß. Ich mußte viel eher an einen Musiksaal denken. Denn ein Flügel, ein Harmonium und etliche Grammophonapparate standen da. Von Staffeleien aber, Leinwanden, Bretteln, Rahmen, Paletten, und was sonst etwa zu den Insignien der Malerei gehört, sah man keine Spur. Dafür häufte sich in einem Winkel verschnürtes, reisefertiges Gepäck, wodurch etwas Provisorisches, eine Aufbruchs- und Fluchtstimmung in den Raum kam.

Warum lud man uns, da so viele Prachtzimmer zur Verfügung standen, zum Imbiß gerade in dieses Atelier, das allen möglichen Verdächtigungen Mondhausens recht zu geben schien? Der angebliche Maler und Hausherr entfaltete eine berückende Liebenswürdigkeit. Er schenkte persönlich das Getränk ein, berührte mich, als ich an die Reihe kam, zärtlich, und äußerte gerührte Freude darüber, daß ich ihm die Ehre gegeben habe. Vor dem berühmten Gast beugte er ehrfurchtsvoll ein Knie, was demütig und vertrackt zugleich aussah. Mondhaus aber bekam einen leichten Freundschaftsklaps, der etwa sagen wollte: ›Ich kenne zwar deine Hecheleien, aber bei mir schadet dir's nicht.‹ Nachdem er seine beiden Nachbarinnen, Mutter und Tochter, eine Weile mit der ihm eigenen bettelnden Melodik umsponnen hatte, eröffnete er uns:

»Ich freue mich, Sie alle heute noch bei mir zu haben, denn morgen reise ich ab.«

Dabei zeigte er auf die Koffer.

Allseits erhob sich die Frage, wohin er verreise. Er nahm sich gar nicht die Mühe, einer süßlichen Miene Herr zu werden:

»In der Schweiz gibt es schon herrlichen Schnee. Ich bin leidenschaftlicher Skimensch und gehe nach Arosa.«

Mondhaus, der neben mir saß, stieß mich an und zischte mir ins Ohr:

»Kein Wort wahr! Die Mitteilung kostet ihm drei Wochen Verbannung nach Treviso, die er absitzen muß, um in Arosa zu sein. Ich kenne das schon. Es ist jedes Jahr die gleiche Geschichte.«

Ich suchte an Saverio S. irgend ein Zeichen zu entdecken, das die Sinnlosigkeit der albernen Prahlerei mir hätte erklären können. Hatte es der Besitzer dieses Palazzo und dieser Kunstschätze nötig, mit mittelmäßig-mondänem Gehaben großzutun, mit Dingen, deren keine Kommis-Seele sich rühmen würde? Freilich, er war nur Agent des Palais. Aber das konnte ja auch Verleumdung sein, denn offiziell war er Hausherr. Vielleicht hatte er eine Jugend schwerer Armut hinter sich; und davon bleibt bei den kultiviertesten Leuten stets irgend ein absurder Rest haften. Doch seine Hände waren weichlich und empfindsam. Solche Hände hatten niemals Armut erlebt. – Nach Treviso? Rätselhaft! Aber Saverio klärte jetzt das Rätsel seiner Reise selber auf, und ich war durchaus geneigt, ihm aufs Wort zu glauben:

»Natürlich, nicht wegen des Sports allein fahre ich nach Arosa. Ein Bekannter, ein Freund sogar, hat dort in der Nähe sein schönes Landhaus. Was? Nein, Sie kennen ihn alle nicht. Ich habe von ihm einen Auftrag ...«

Mondhausens Fäuste trommelten auf meinen Knien. Saverio schien etwas zu spüren, denn er fügte kleinlaut hinzu, während er leicht-verprügelte Hundeblicke nach der Berühmtheit schickte:

»Wir Modernen können leider keine Fresken mehr mit ehrlicher Überzeugung malen. Der soziale Hintergrund fehlt uns. Um Gotteswillen, ich möchte vor meinem hochverehrten Gast nichts Unbescheidenes reden. Ich ersterbe vor ihm ... Aber, Sie wissen ja: Große Wände locken den Maler ...«

Plötzlich schallte Mondhausens Stimme mit unterstrichener Deutlichkeit zu Saverio hinüber:

»Meister! Heute kommen Sie mir nicht aus.«

Der Angeredete wurde sofort dunkelrot.

Mondhaus gab nicht nach:

»Seit Jahren schon versprechen Sie uns eine Kollektivausstellung. Und nie noch haben wir ein Bild von Ihnen zu Gesicht bekommen. Ihre Freunde in Arosa haben es gut. Für die malen Sie gleich große Wandgemälde. Und wir haben das Nachsehn. Jetzt aber ist die Stunde da. Wir sind in Ihrem Atelier versammelt und Sie werden uns nicht entwischen.«

Saverio warf den Todesurteilsblick eines Delinquenten auf den berühmten Maler. Der sagte zwar kein Wort, sondern sog, stöhnenden Atems, an seiner Pfeife. Aber dann entstieg ein bereitwilliges Brummen seiner Kehle. Unternehmend streckte er die kurzen Arme vom Leibe, als rüste er sich zu einem Ringkampf, neugierig, wer es mit ihm aufnehmen wolle.

Saverios Stirn war bleich und naß. Er stammelte, um alle Fassung gebracht:

»Unmöglich! Sie sehen: meine Sachen sind eingesperrt oder weggesperrt. Wie soll ich ...«

Mondhaus beharrte ruhig:

»Ein Maler packt und sperrt nicht alle Bilder ein.«

»Ich habe nur ganz wenige Sachen hier. Und die sind alt und unbedeutend. Ich kann nicht ...«

»Das sind kindische Geschichten!«

Saverio wandte während seines Kampfes die Augen nicht von der Berühmtheit:

»Ich werde doch nicht einem solchen Meister zumuten ...«

Mondhaus trumpfte auf:

»Freuen Sie sich darüber, daß Sie einen großen Mann vor sich haben. Auf das Urteil von uns andern werden Sie weniger Wert legen.«

Saverio neigte seine unglückliche Stirn und schwieg eine Weile verzweifelt. Dann klagte er wieder auf:

»Ich kann nicht!«

Aber schon erscholl ringsum die verletzende Zurede, mit welcher eine Gesellschaft von Gleichgültigen den Künstler in Gnaden auffordert, sein Werk ihr preiszugeben:

»Keine Ausflüchte bitte!«

Saverio, für den ich zitterte, war verloren. Er erhob sich als ein fetter alter Mann und ging zu einem Fenster, durch das schon dunkelgoldnes Spätnachmittagslicht drang. Er hatte wirklich Pech. Eine halbe Stunde später und es wäre Abend gewesen. Kein Kunstverständiger hätte dann mehr verlangen können, ein Bild zu betrachten.

Man konnte nach einer Weile deutlich bemerken, daß Saverio zu einem Entschluß gekommen war. Aber er tat etwas vollkommen Unerwartetes.

Bedächtig, wie um Zeit zu gewinnen, ging er zu einem Grammophon, kurbelte an und setzte die Platte in Gang. Aus dem Apparat begann Carusos Stimme ihre gewaltigen Kantilenen zu schleudern. Aber nicht genug damit! Jetzt entfesselte der Bedrängte den elektrischen Mechanismus, der dem Klavier im Nacken saß, und den mächtigen Gesang überdonnerte eine von klobigen Gespensterpratzen getrommelte Bravouretude.

Es war unbeschreiblich. Kein Lärm ist grauenhafter, dämonischer als das unfreiwillige Durcheinandertönen verschiedenartiger Musiken. Davon kann sich jeder überzeugen, der auf Lustplätzen, Jahrmärkten, Lunaparks im Klangbrennpunkt mehrerer Ringelspielorgeln stehenbleibt. Derartige Polyphonie ist das tönende Abbild der zerstörten Seele, des Wahnsinns, des Abgrunds.

Und hier gar, in einem hohen, hallenden Raum!

Was war damit beabsichtigt? Sollte unsre Urteilskraft zermürbt werden? Verlangte das leidende Gewissen solche Betäubung? War es ein Ausbruch des in die Enge Getriebenen oder eine wüste Pose? Wir sahen uns alle an. Selbst Mondhaus war erstarrt. Nur der berühmte Maler blieb völlig kalt und gleichgültig. Er sah drein wie ein kühler Fachmann, der keineswegs gewillt ist, sich durch taschenspielerischen Lärm um den Verstand bringen zu lassen. Er war nicht überrascht und schien den Radau zu kennen, den Schwindler schlagen, wenn sie ertappt werden. Aber um ihres selbstsicheren Gleichmuts willen begann ich die Berühmtheit jetzt zu hassen.

Saverio hatte unversehens irgendwoher ein Bild hervorgezogen. Es war ein recht kleines, gerahmtes Ding unter Glas.

Er wartete, bis wir alle zu ihm getreten waren, dann machte er plötzlich scharf kehrt, so daß er mit dem Gesicht zum Fenster stand. Und jetzt, mit einem krampfhaften Ruck, hielt er das Bild gegen das Licht, stieß es geradezu in das goldene Rechteck des Fensters hinein.

Man sah eine schwarze gläserne Fläche, sonst nichts.

Alles schwieg, und nur die verfitzte Musik höhnte in die Szene hinein.

Mondhaus faßte Saverio am Arm:

»Umdrehn, Meister, umdrehn! Wir sehen schlecht.«

Da aber bleckte der Verhöhnte die Zähne und mit unbeherrschter Wut brach es aus ihm:

»Nichts verstehn Sie, Mensch! So ist es richtig, so, so, so!«

Diese plötzliche Wut erschreckte mich. Sie stand im schärfsten Gegensatz zu Saverios bisherigem weichem Wesen.

Wie um Erlösung und Hilfe zu finden, wandte sich der vor Erregung bebende Mann nach dem berühmten Maler um. Der aber stand längst nicht mehr hinter ihm, hatte das Bild kaum mit einem Blick gestreift und schlenderte mit eisenklappernden Schritten durch das Atelier, höchst interessiert für das schmetternde Wirbeln der Schallplatte. Als verkörperte Souveränität und Mißachtung hielt er sich abseits. Von dem Scharlatan dort, der einen bräunlichen Fleck gegen das Licht hielt, zu der echten Kunstbestrebung, welche das Gedicht der Welt in unbestechlichen Farben wiedergibt, von Saverio zu ihm selbst führte keine Brücke.

Trotz des lärmenden Geplärres aber, trotz des weit lärmenderen und peinvollen Schweigens hörte ich ein Aufschluchzen in Saverios Brust und hörte, wie seine Zähne leidenschaftlich knirschten.

Länger war es nicht zu ertragen. Jemand mußte jetzt ein Wort sprechen. Ich! Um es zu vermögen, trat ich ganz nahe an das Bild, denn ich war überzeugt davon, daß uns Saverio nicht zum Narren halte.

Zuerst begegnete mir in dem dunklen Glase nichts als mein eigenes Spiegelbild. Ich aber war gewillt, mein Spiegelbild zu durchdringen und zu überwinden. Und wirklich, vor dem schärferen Blicke verschwand es nach und nach. Langsam aber löste sich aus dem schwarzen Fleck ein geisterhaftes Männerantlitz von solcher Seelenkraft, so einzigartiger Leidenserfahrung, daß ich es jetzt, wo ich nach Jahren dies niederschreibe, daß ich es jetzt und immer mir vor die Augen rufen kann.

Gewiß, ich bin ein Laie und muß mich vor dem Urteil der Wissenden beugen. Aber ich weiß, was ich sage. Nur ein Männerbildnis noch hat einen ähnlichen Eindruck gemacht wie dieser Kopf, der aus dem unbestimmten Grunde des spiegelnden Glases für einen Augenblick sich hob. Es mag eine Blasphemie sein, aber ich kann mir nicht helfen ...: Rembrandts König Saul, der den Vorhang an die Augen zieht ...

War es Malerei, Gaukelei, meine eigene Imagination?

Ich weiß es nicht.

Aber festgebannt und zugleich erfüllt von starker Freude, der Berühmtheit zu trotzen, rief ich aus:

»Wie schön ist das!«

Und hinter mir antwortete jubelnd Saverios Stimme:

»Nicht wahr!?«


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